Ja, der Alltag hat mich längst wieder, nur enthält er halt ein paar neue Komponenten. Wen es vor dem Thema Krebs gruselt, klickt also am besten gleich wieder weg. ;-)
Mein Gewicht heute früh: 85,1 Kilogramm, nachdem ich gestern das viertägige Fasten gebrochen und zusätzlich zum ersten Mal wieder normal gegessen habe. Wie es bis zum nächsten Fasten weitergeht mit meinem Gewicht, kann ich jetzt noch nicht sagen, weil mir für diese veränderte Konstellation die Erfahrungswerte fehlen. Ich tippe aber darauf, daß mein Gewicht, das mit Low Carb von einem mit Fasten verbundenen Chemo-Zyklus zum nächsten bis auf um die 86 Kilogramm hochgegangen ist, nun die 87 Kilogramm wieder toppen wird. Vielleicht erreiche ich auch 88 Kilogramm, aber ich hoffe, mehr als das wird es nicht, bevor ich im Januar dann wegen der wöchentlichen statt dreiwöchigen Chemozyklen wohl wieder mit einer Abnahme rechnen kann.
Mit meinem Mann zusammen hatte ich gestern am Nachmittag einen Banktermin, und das haben wir zum Anlaß genommen, ein nahe der Bank gelegenes Lokal zu besuchen, das wir gerne mögen und zwar nicht allzu häufig, aber doch mehrmals im Jahr aufsuchen. Da mein Mann bei Frühschicht seine erste Mahlzeit zum Nachmittagskaffee zu sich nimmt, war ein verspätetes Mittagessen (und gleichzeitig vorgezogenes Abendessen) eine Idee, die ihm sofort gut gefiel. Ich selbst mußte beim Fastenbrechen (morgens noch in Low Carb) allerdings sehr aufpassen, daß ich nicht zu viel esse, denn ich wollte natürlich nachmittags auch ordentlich Hunger haben.
Essengehen ist wegen meines Immunsystems während der Chemo ja ein bißchen heikel, deshalb fand auch ich die Idee so gut, den Nachmittag zu nutzen, wenn in der Gastronomie weniger los ist. Das Lokal erwies sich dann zwar als überraschend besser besucht als erwartet, aber zumindest nicht als überfüllt. Ich habe also gestern mein erstes Bier seit zwei Monaten genossen, dazu die ersten Spätzle und den ersten Kaiserschmarrn (aber von dem nur ein paar Bissen, mein Mann hatte ihn bestellt) und wir hatten einen Tischnachbarn, der uns in ein Gespräch verwickelte. So was macht mir immer Spaß, solange man damit nicht an einen Langweiler gerät, und er war keiner. Es ist unwahrscheinlich, daß wir das allzu bald wiederholen werden, aber es war das Risiko allemal wert. Ich kann mich ja nicht für das nächste Dreivierteljahr in einen Einsiedler verwandeln.
An Tag 3 von Chemo-Zyklus 3 merke ich die Nebenwirkungen ungefähr gleich wie im letzten Zyklus: leichter Schwindel, kaum merklich der metallische Geschmack im Mund, meine Nasenschleimhaut ist leicht geschwollen (ich mache vorsichtshalber morgens immer ein Spülung mit Kochsalzlösung und wiederhole das untertags, wenn ich das Gefühl habe, es wird stärker). Tag Null und Tag 1 war ich völlig symptomfrei, gestern fing es dann wieder an (bis zum Nachmittag wurde es schleichend stärker, aber als wir das Lokal verließen, merkte ich schon nichts mehr davon), und heute verläuft es ebenso. Bis zum Montag wird es sich wohl sukzessive immer vormittags bis zum Mittag oder frühen Nachmittag weiter verstärken und ab Dienstag sich wieder abschwächen und zum nächsten Wochenende unter der Wahrnehmungsschwelle verschwinden, jedenfalls sofern der Verlauf so ist wie beim letzten Zyklus.
Heute habe ich gelesen, daß eines der Chemo-Mittel aus meinem Cocktail, Cyclophosphamid, ein Senfgas-Derivat ist - also eine Weiterentwicklung aus einem Giftgas, das im Ersten Weltkrieg zu trauriger Berühmtheit gekommen war - und zu den ältesten Chemotherapie-Mitteln gehört. Die Forschungen, die zu der Entwicklung von Cyclophosphamid führten, begannen schon in den vierziger Jahren, entwickelt wurde es in den Fünfzigern und patentiert in den Sechzigern. Hätte ich nicht gedacht, daß ein so altes Mittel bis heute in der Krebsbehandlung noch nicht durch etwas Besseres ersetzt werden konnte. Denn ansonsten ist es bemerkenswert, wie viel gerade in der Krebstherapie, insbesondere bei Brustkrebs, in Bewegung ist. Behandlungsschemata, die noch vor fünf, sechs Jahren üblich gewesen sind, gelten in Teilbereichen mittlerweile als veraltet, weil sich die Behandlung von Brustkrebs zunehmend immer weiter ausdifferenziert. Das macht natürlich auch Online-Recherchen schwierig, weil das Web nicht vergißt und man damit rechnen muß, auf viele "Wissenschaftliche Wahrheiten von vorgestern" zu stoßen, die längst nicht mehr für gültig gehalten werden. Nur sieht man das, wenn es Fach- oder seriöse Sachtexte sind, natürlich nicht an. Man sollte also immer auf das Publikationsdatum achten und nach möglichst neuen Informationen suchen.
Es kursieren auch viele einander widersprechende Annahmen zu Ernährungsfragen. Daß Krebszellen glukosegierig sind, dürfte den meisten Leuten mittlerweile bekannt sein, und daher kommt auch die Annahme, man könne Krebs einfach "aushungern". Ganz so einfach ist die Sache mit dem Aushungern natürlich nicht, aber ich nehme an, man kann zumindest das Wachstum verringern oder vielleicht auch ganz ausbremsen. Widersprüchliches hört man vor allem über Protein - mein Ex-Onkologe betonte, wie wichtig eine Ernährung mit ausreichendem Eiweißanteil während der Chemo sei, andere wiederum fänden es besser, dann auf tierisches Eiweiß zu verzichten, weil Tumore daran ebenfalls Bedarf haben. Das Problem dabei: Bekommen sie es nicht über die Nahrung, verfügen sie über Mittel und Wege, es aus meiner Muskulatur zu holen, und das will ich ja erst recht nicht. Das ist deshalb einer der wenigen Punkte, in denen ich mit meinem Ex-Onkologen spontan einer Meinung gewesen bin, und aus diesem Grund werde ich im Januar zu Beginn der zweiten Chemo-Phase mit den wöchentlichen Zyklen vorsichtshalber auch wieder auf Low-Carb-Ernährung wechseln.
Rein statistisch gesehen, sind die Aussichten, als Brustkrebspatientin die nächsten zehn Jahre zu überleben, für Krebspatienten erstaunlich gut, zwischen 70 und 80 % - daran alleine ist schon abzulesen, daß es wirklich große Fortschritte gegeben haben muß. Falls ich eine sogenannte pathologische Komplettremission erreichen sollte, liegt bei der HER2-positiven Variante die Wahrscheinlichkeit sogar bei knapp 90 %.
Mit Statistiken ist es aber bekanntlich ja so eine Sache. Ich habe trotz einer statistischen Wahrscheinlichkeit für diese Kombination im geradezu homöopathischen Bereich binnen zwei Jahren eine Schwangerschaft trotz Spirale und eine trotz Sterilisation selbst erlebt, also weiß ich, daß ein geringes Risiko halt immer noch ein Risiko und kein Stück Sicherheit ist. Und Statistiken kann man außerdem immer so oder so lesen. Man könnte auch sagen, ich habe jetzt nach meiner Krebsdiagnose immer noch ein einem Raucher vergleichbares Risiko, irgendwann im Lauf seines Lebens an Lungenkrebs zu versterben. 90 Prozent der Raucher passiert das nämlich nicht. Wenn man das so formulieren würde, dann würden aber die meisten, die das hören, mir vermutlich dazu raten, sofort einen Sarg zu bestellen, obwohl meine Zehn-Jahre-Überlebensrate so viel besser ist als bei vielen anderen Arten von Krebserkrankungen.
Die viele Bewegung, in die die Behandlung von Krebserkrankungen in den letzten Jahren geraten ist, enthält außerdem noch eine Mengen Potential für weitere Verbesserungen und vielleicht ja irgendwann mal einen wirklichen Durchbruch. Angenommen also, ich gehöre zu den statistischen Pechvögeln und entwickle ein Rezidiv oder Fernmetastasen, hilft mir vielleicht irgendwas aus diesem derzeitigen Potentialbereich doch wieder weiter.
Solche Gedankenspielereien machen mir glücklicherweise keine Angst, obwohl ich schon gemerkt habe, daß ich andere Leute leicht damit schockieren kann. Mit meiner eigenen Sterblichkeit habe ich mich vermutlich bewußter als die meisten anderen auseinandergesetzt, als in meinem Umfeld plötzlich die ersten in den fünfziger Jahren Geborenen anfingen, ein Rieseninteresse an ihrer eigenen Gesunderhaltung zu entwickeln und manchmal ihr komplettes Leben umkrempelten, um es an diesem Ziel auszurichten. Ich fand das Muster, das sich dabei auftat, wenn man Näheres von ihnen darüber wissen wollte, was sie damit genau bezwecken und wie ihre Zielvorstellung aussieht, so eigenartig, daß es mich gedanklich immer wieder beschäftigte.
Meistens war die Herangehensweise am ehesten vergleichbar dem Legen von Tarotkarten, dem Erstellen von Horoskopen oder dem Aufsagen von vermeintlich richtigen Zauberformeln, auch wenn immer angeblich wissenschaftliche Gründe genannt wurden. Nur, diese Wissenschaft war für diese Leute ja gar nicht selbst nachvollziehbar, sie zitierten immer nur Experten, denen sie - zu Recht oder zu Unrecht - vertraut haben, und zwar auf keine andere Weise, wie man auch einem Schamanen, einem Priester oder einer Wahrsagerin vertrauen würde. Ich kam dann irgendwann zu dem Schluß, daß das etwas damit zu tun haben muß, daß einem in einem gewissen Alter - meistens irgendwann zwischen 40 und 50, aber das kann natürlich sehr variieren - die unschuldige Gewißheit der jungen Lebensjahre verlorengeht, nach jeder Krankheit, die man bekommt, natürlich auch wieder gesund zu werden. Vom Kopf her hat man eigentlich immer gewußt, daß man eines Tages sterben wird, aber es ist halt doch etwas anderes, so etwas auf einmal auch emotional zu empfinden. Das macht einem natürlich große Angst, und so sucht man nach dem richtigen Mittel, nicht zu sterben, oder jedenfalls den Tod so lange hinauszuschieben, daß er wieder so weit weg zu sein scheint, wie man das vorher empfunden hatte.
Leider funktioniert das aber nicht: Hat man den Tod erst einmal als konkrete persönliche Bedrohung wahrgenommen, findet man das vorherige falsche Sicherheitsgefühl nie wieder. Denn falsch war dieses Sicherheitsgefühl ja immer. Auch junge Menschen können sterben, auch an Krankheiten, die vermeintlich nur Ältere treffen, von Herzerkrankungen bis zum Krebs. Aber weil das nur so wenige trifft, beeinträchtigt es das subjektive Gefühl, selbst unsterblich zu sein, bei den meisten Leuten nicht, jedenfalls nicht bei denjenigen, die keine chronischen Krankheiten habe. Was genau dann die Veränderung auslöst, kann ich nicht sagen. Möglicherweise hat es etwas mit physischen Veränderungen zu tun, von Falten, grauen Haaren oder bei Männern ausfallenden Haaren sowie bei Frauen die Wechseljahre über sinkenden Leistungsfähigkeit, Altersweitsichtigkeit und Gewichtszunahme bis hin zu den ersten Zipperlein, die nicht mehr weggehen wollen und der nervtötenden Gewohnheit von Ärzten, einem ab dem vierzigsten Geburtstag plötzlich dauernd die Arie vom Blutdruck und vom Cholesterin vorzusingen.
Auf diese Weise auf die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit zu reagieren, schien mir jedenfalls irrational, und das hat dazu geführt, daß ich auch die sogenannte Gesundheitsprävention (die eigentlich logischerweise Krankheitsprävention heißen müßte), die mit diesen Ängsten gerne spielt, immer sehr reserviert betrachtet habe. Das galt umso mehr, je deutlicher ich erkannte, wie wenig hilfreich ein großer Teil der Empfehlungen aus diesem Bereich in Wirklichkeit ist, was das verfolgte Ziel betrifft, aber ebenso, wie verfehlt es sein kann, das Ziel zu eindimensional als "Um jeden Preis so viele weitere Lebensjahre wie irgend möglich" zu definieren, wie das die Präventionsexperten als meist unausgesprochene Prämisse voraussetzen und fast jeder, der ihre Ratschläge umsetzt, damit auch automatisch übernimmt.
Aus diesen Erfahrungen heraus hat sich dann nach und nach meine eigene, ganz andere Herangehensweise entwickelt. Deswegen vertraue ich zum Beispiel Experten nicht, weder denen aus dem Mainstream noch den Außenseitern, obwohl ich von vielen Mainstream-Experten viel weniger halte, als es ihnen lieb wäre. Sie irren sich halt an unterschiedlichen Stellen und fast alle driften an irgendeinem Punkt in reine Glaubensfragen ab, und das ist bei den Außenseitern meistens - allerdings nicht immer - doch stärker ausgeprägt. Die meisten Experten beider Arten bemerken es nicht einmal, daß die optimale Empfehlung für ihren speziellen Teilbereich im Gesamtkontext betrachtet sehr wohl auch negative Gesamtwirkungen auf den Anwender haben kann. Auch wenn ich nur einen Bruchteil der Dinge selbst herausfinden kann, die ich eigentlich wissen müßte, um mit einem Experten auf Augenhöhe über sein Fach reden zu können, ist diese Art von Einordnung in ein Ganzes der Teil, in dem ich mich meistens sattelfester fühle, als es die Experten meinem Eindruck nach sind. Jetzt müßte ich nur noch herausfinden, wie man Experten zu der Einsicht verhelfen kann, daß diese Perspektive ihre eigene eigentlich super ergänzen und ihnen zu neuen Horizonten verhelfen würde, statt sich von ihr so bedroht zu fühlen, daß sie meistens reflexartig abgewertet wird - und wenn sie von einem Laien wie mir kommt, sowieso.
Aber das ist ein Problem, das ich in diesem Leben wohl nicht mehr lösen werde. Auch wenn ich meinen Krebs besiegen sollte und anschließend über 80 Jahre alt werde, der menschliche Faktor in der scheinbar rationalen Wissenschaft, der dort die irrationalen Aspekte beisteuert, ist vermutlich unbesiegbar.
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Auf Twitter fand ich eine Sammlung von (englischsprachigen) Sätzen, die Krebspatienten von Außenstehenden zu hören bekamen und sehr unpassend fanden. Falls also irgendwer sich unsicher fühlt, was er jemandem sagen soll oder was man lieber bleiben läßt, die Sammlung ist wirklich hilfreich, um Fettnäpfchen zu vermeiden. Auch wenn es natürlich sehr verschieden sein kann, was im Einzelfall auf einen ohnehin schon durch die Krankheit verunsicherten Menschen wie ein gut gezielter Schlag in die Weichteile wirken kann. Im Zweifelsfall, meine ich aber, ist es immer noch besser, etwas Blödes zu sagen - man kann sich ja ggf. entschuldigen, wenn man merkt, daß es als unpassend aufgefaßt wurde - als gar nichts, denn das sagt einem Krebskranken ja ohne Worte auch etwas sehr Unpassendes, und es hat schon etwas Unheimliches, wenn man plötzlich ein Thema hat, das für einen lebenswichtig ist, aber über das das drei Viertel seiner Gesprächspartner augenscheinlich nicht reden wollen.
Mir ist natürlich klar, was dahintersteckt, daß Nichtkrebskranke über Krebs nicht reden wollen, schließlich war ich selbst noch vor kurzem ein Nichtkrebskranker und mir war das Thema ebenso unangenehm wie jedem anderen. Krebs ist schließlich das, was man auf keinen Fall kriegen möchte, und jeder hat natürlich ein Problem damit, wenn jemand, der gestern noch ein normaler Nichtkrebskranker wie man selbst gewesen ist, einem plötzlich als Krebskranker gegenübertritt, sozusagen als Menetekel und düstere Prophezeiung auch für einen selbst. Ich glaube, es ist dann für beide Seiten hilfreich, wenn man sich auch als nicht selbst Betroffener eben auch daran gewöhnt und vielleicht mit dem nächsten Nichtkrebskranken, mit dem man es zu tun bekommt, dank dieser Erfahrungswerte weniger unsicher umgeht und vermutlich auch weniger in die überall herumstehenden Fettnäpfchen treten wird.
Die Phrasen unter dem obigen Link erinnerten mich auch daran, daß ich manche von diesen Sätzen in den letzten Wochen selbst schon gehört habe, aber spontan problemlos darüber lachen konnte. Zum Beispiel der Mann, mit dem ich vor der Radiologie eine Zigarette rauchte, bei dem ein Fuß-Problem vorlag, das mit dem jahrezehntelangen Tragen von spitzen Schuhen zusammenhing und der nun, nachdem er seine Krankheitsgeschichte erzählt hatte, von mir wissen wollte, was mir fehle. Als ich "Brustkrebs" sagte, fiel ihm als erstes ein: "Hat meine Mutter auch gehabt. Sie ist daran gestorben." Sehr taktvoll, nicht wahr? Aber ich mußte in dem Moment erst einmal laut lachen und sagte: "War das auch Ihre Prognose für mich?", und da machte er ein ganz verlegenes Gesicht und ich tröstete ihn: "Keine Sorge, ich werde es Ihrer Mutter nicht nachmachen."
Sicherlich hätte ich aber nicht so reagiert, wenn ich in Todesängsten gewesen wäre, und damit sollte man bei einem Krebspatienten bis zum Beweis des Gegenteils schon rechnen.
Bei meiner Nachbarin - die mit der Katze und dem weißen Alpenveilchen - weiß ich manchmal nicht, was ich für ein Gesicht machen soll, wenn sie mir etwas Aufmunterndes sagen will, denn das ist so daneben, daß ich echt froh bin, daß ich nicht mehr in diesem verunsichernden Zwischenstadium bin, in dem sie mich mit einer Blume in Grabbepflanzungsoptik noch so aus der Fassung bringen konnte. Sie hat eine Schwester, die vor zwei Jahren auch Brustkrebs hatte, und deshalb glaubt sie, sich mit dieser Krankheit sehr genau auszukennen - dabei ist ihr aber noch nicht einmal klar, wie sehr sich die verschiedenen Untergruppen voneinander unterscheiden. Aber außerdem hat sie einiges bei ihrer Schwester falsch in Erinnerung, das weiß ich, weil diese Schwester mich auch einmal angerufen und mir von ihrer eigenen Erkrankung erzählt hat. Deshalb weiß ich auch, daß sie die Chemotherapie von Beginn an sehr schlecht vertragen hatte. Meine Nachbarin glaubt sich aber daran zu erinnern, bei ihrer Schwester seien die Nebenwirkungen anfangs - wie bei mir - auch harmlos gewesen, dann aber immer schlimmer geworden. Das erzählt sie mir fast jedes Mal, wenn wir uns sehen, und zwar mit Grabesstimme, und dazu macht sie ein Gesicht, als erwarte sie, mich jeden Moment tot umfallen zu sehen.
Was man umgekehrt aber ebenfalls bleiben lassen sollte, sind billige Motivationstrainer-Phrasen, von "Denk positiv!" bis zu "Du schaffst das schon!", auch wenn mir das ebenfalls nichts ausmacht, aber das hat natürlich auch damit zu tun, daß ich keine Krebsart mit schlechter Prognose im Endstadium habe. In so einem Fall sind solche Phrasen schlicht und einfach taktlos.
Besser, als vor lauter Verlegenheit irgendetwas Unbedachtes zu erzählen, fände ich es, wenn man nicht weiß, was man sagen soll, stattdessen etwas zu fragen. "Wie geht es dir?" ist hier eine gute Frage, wenn sie ehrlich gemeint ist. Oder "Kommst du klar?". "Kann ich etwas für dich tun?" bitte nur, wenn man wirklich auf das Angebot zurückkommen kann.
Kurz noch zu "Wie geht es dir?". Bereits früher erwähnt hatte ich, daß ich diese scheinbar harmlose Allerweltsfrage bei Begrüßungen nicht mehr ausstehen kann, seit sie für mich verbunden ist mit der Entscheidung, ob ich in der Antwort Krebs erwähnen oder es lieber bleibenlassen sollte, weil ich im zweiten Fall ja per se keine ehrliche Antwort mehr geben kann. Ich begreife wirklich nicht, warum solche Fragen überhaupt anlaßlos an Leute, vor allem wenn man mit ihnen sowieso nicht so richtig intim ist, gestellt werden, denn sie sind ein klares potentielles Fettnäpfchen, nicht nur bei an irgendetwas schwer Erkrankten. Schlecht gehen kann es einem auch aus zahlreichen anderen Gründen, die viele nicht jedem flüchtig Bekannten erzählen möchte, mit denen man aber im umgekehrten Fall, wenn man also eine ehrliche Antwort gibt, diese Bekannten auch leicht in Verlegenheit bringen kann, weil sie mehr als ein "Danke, gut" ja gar nicht hören wollten.
Das ist also nicht dasselbe, wie auf die Mitteilung von jemandem, der sagt: "Ich habe Krebs" mit der Rückfrage "Wie geht es dir?" zu reagieren und damit echte Teilnahme zu signalisieren.
Mir ist es eigentlich am liebsten, wenn die Leute völlig normal mit mir reden. Wissen sie von meiner Krankheit, darf das den Krebs gerne einschließen, und ich erzähle ihnen gerne auch die ulkigen Seiten, etwa meinen anfänglichen Kampf mit der Perücke oder dem dauerhaften mit meinem Onkologen, aber auch sachlich über die Medikamente, die ich bekomme und wie eine Chemotherapie abläuft ... davon haben viele ja nur eine verschwommene Vorstellung. Gut, daß mein Bekanntenkreis überwiegend in einem Alter ist, in dem man schon ein paar Vorerfahrungen mitbringt und die meisten sich mit dem Thema dshalb nicht mehr ganz so schwertun.
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Erinnert sich noch jemand an meine Prognose zum Immobilienmarkt aus dem Frühjahr? Acht Monate später sind die Experten nun endlich auch soweit, sinkende Immobilienpreise zu prognostizieren. Ein Preisrückgang von nur bis zu zehn Prozent scheint mir aber eine viel zu zaghafte Prognose, zumal sie sich auf die bisherigen hitzigsten Hotspots bezieht. Bei mir in der Stadt, die zu diesen Hotspots zählt, dürfte der Preisrückgang bei den Angebotspreisen die zehn Prozent mittlerweile überschritten haben.
Ich hatte im Herbst 2019 ja das Glück, meine zwei Wohnungen nach einem Gutachtenpreis zu kaufen, der schon anderthalb Jahre alt war, und habe sie für damalige Verhältnisse also vergleichsweise günstig bekommen, denn die Preise waren zwischen Frühjahr 2018 und Herbst 2019 ja schon alleine um zehn Prozent angestiegen, wahrscheinlich, weil parallel dazu die Zinsen immer niedriger geworden waren. Ich war trotzdem sicher, daß ich nach einem Preisrutsch vermutlich diesen Kaufpreis nicht mehr bekommen würde, denn schon 2018 waren die Preise für Kapitalanleger normalen Kalibers schlicht unattraktiv. Gekauft wurden Wohnungen nur noch von diesen Aasgeiern, die sie zimmerweise möbliert zum Inklusivpreis vermieten wollen - ein Geschäftsmodell, das sich vermutlich für die zum Höhepunkt darin Eingestiegenen als unattraktiver als erwartet herausgestellt hat, weil die typischen Vor-Corona-Zimmerpreise auch nach einer diesjährigen Anpassung nach oben wegen höherer Nebenkosten immer noch weit unterschritten werden.
Aber in Wirklichkeit lagen die typischen bei Immoscout verlangten Angebotspreise ganz zuletzt, bevor die Zinssätze in die Höhe schossen, geradezu irrsinnige 80 Prozent höher als der von mir bezahlte Kaufpreis, obwohl der Zinssatz danach nur noch geringfügig weiter nach unten gegangen war. Wenn ich die tatsächlich bezahlten mittleren Kaufpreise im Grundstücksmarktbericht damit vergleiche, waren es immerhin auch noch zwischen 60 und 70 Prozent, und das war der Jahresdurchschnitt von 2021, das heißt, gegen Jahresende hin lag das bei kontinuierlich weitersteigenden Angebotspreisen bei Immoscout das ganze Jahr hindurch wahrscheinlich locker über den 70 Prozent. Es wäre fast schon lächerlich, zu erwarten, daß der dem Augenschein nach bereits erfolgte Preisrutsch um zehn Prozent alles ist, was bei einer Vervielfachung der Finanzierungskosten durch die höheren Zinsen angesichts dessen zu erwarten sein wird. Die Zahl der Angebote von Eigentumswohnungen und Häusern hat sich ja nahezu verdreifacht, der Markt ist also längst gekippt.
Einen Knall wird es beim Platzen dieser Blase meiner Meinung nach aber nicht geben, eher ein langsames Schrumpeln wie bei einem heliumgefüllten Luftballon von der Kirmes, der abends nach dem Heimkommen noch an der Decke klebte, aber als man nachts aufs Klo mußte, einen bereits auf Augenhöhe erschreckt hat und morgens auf dem Boden lag. Wo der Boden bei den Immobilien dann tatsächlich sein wird, bleibt natürlich abzuwarten. Gut möglich aber, daß die Kaufpreise von 2019 tatsächlich nicht mehr unterschritten werden, das wäre natürlich echter Dusel für mich. Gerechnet hatte ich damit aber eigentlich nicht.
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Apropos Dusel: Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist in der Gruppenphase der Weltmeisterschaft ausgeschieden. Das wäre mir eigentlich gar keine Notiz wert, aber was mich im Vorfeld des letzten Gruppenspiels so irritierte, war die irrationale Überzeugung, die in den Medien transportiert wurde, daß die Aussichten auf das Erreichen des Achtelfinales in Wirklichkeit noch sehr gut seien. Das fand ich eine sehr eigenartige Interpretation nach einer Niederlage und einem Unentschieden, was ja zeigte, wie wenig Vertrauen man darin haben konnte, daß die fußballerischen Fähigkeiten dann wenigstens im dritten Spiel sicher für den diesmal unbedingt benötigten Sieg ausreichen würden - obwohl das am Ende doch der Fall gewesen ist.
Aber als zweiten Faktor war man auch von einem bestimmten Ergebnis des zweiten Gruppenspiels abhängig, das man natürlich selbst nicht beeinflussen konnte. Mit anderen Worten: Es war neben einem selbst erarbeiteten Sieg zusätzlich auch noch reiner Dusel für die Deutschen nötig, um das Achtelfinale zu erreichen, und den haben sie dann nicht gehabt. Wenn man einen Faktor aber nicht selbst beeinflussen kann, ist das keine vernünftige Grundlage für Optimismus. Hoffen darf man natürlich immer. Diesmal hoffte man halt vergeblich, und man hätte vorher wissen können, daß das das wahrscheinlichere Ergebnis sein würde.
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Der Chef der Bundesnetzagentur wird darin vermutlich immer noch keinen Grund sehen, seinen Alarmismus ein bißchen zurückzufahren, aber den 100-Euro-Bonus meines Gasanbieters, den ich bekommen werde, falls ich zwischen November und April einen um mindestens 10 Prozent geringeren Gasverbrauch als im Vorjahreszeitraum habe, könnte ich ausweislich meines Gaszählerstands zum Monatswechsel November/Dezember vielleicht schon jetzt verdient haben, denn ich habe im November ziemlich genau 60 % weniger Gas verbraucht als im Vorjahreszeitraum, und das Minus ist in absoluten Zahlen so hoch, daß es sogar dann für den Bonus ausreichen wird, falls ich in den restlichen fünf Vergleichsmonaten ebensoviel verbrauchen sollte wie im Vorjahreszeitraum - was aber allenfalls dann zu erwarten wäre, falls wir mindestens einen vollen Monat lang zweistellige Minusgrade bekommen. Auch wenn meine Therme sauteuer gewesen ist, auch sie macht sich voraussichtlich diesen Winter bereits bezahlt. Daneben ist mir noch ein neuer Einspargedanke gekommen, ich lasse jetzt beim Dunkelwerden nämlich immer den Rolladen herunter.
Daß das Heizkosten sparen kann, wußte ich bereits, aber ich bin immer davor zurückgeschreckt, weil die Rolladengurt-Kästen im Arbeitszimmer - der Raum, in dem ich es die meiste Zeit warm haben muß - so miserabel angebracht sind (obwohl ich bei der letzten Reparatur eigens eine Fachfirma beauftragt hatte), daß ich ein bißchen Angst habe, der eine könnte mir vielleicht wieder aus der Wand herausbrechen, weil die Schrauben da so schlecht sitzen. Also blieben die Rolläden seit ein paar Jahren über Nacht offen. Jetzt mache ich es halt, vorsichtig natürlich, und da der Kasten die ersten Male nicht anfing, sich zu lockern, hoffe ich mal, daß ich damit während der drei Monate, in denen das wirklich viel bringen sollte, keinen neuen Schaden auslöse.
Für das letzte Jahr bekomme ich übrigens fast 300 Euro zurückerstattet, obwohl ich die Therme erst Anfang März und damit gegen Ende der letzten Heizperiode anschaffen mußte, weil die alte, selbstverständlich bei gerade ziemlich kaltem Wetter, ihren letzten Seufzer getan hatte. Das lag natürlich an dem milden letzten Winter. Ich spekuliere trotzdem darauf, daß ich nächstes Jahr um diese Zeit - zusätzlich zu dem Bonus - wieder etwas herausbekommen werde. Wieviel, bleibt einstweilen abzuwarten.
Was mir fast ebenso gut gefiel: Auch mein Stromverbrauch war im November 15 % niedriger als im Vorjahr. Ich habe wahrhaftig noch einen Stromfresser entdeckt, den ich nicht auf dem Schirm gehabt hatte: Die Akkus der Heimwerkergerätschaften meines Mannes, die ständig am Stromnetz hingen. Er reagierte ein bißchen säuerlich auf mein Ansinnen, sie auszustecken, weil es natürlich bequemer ist, bei jeder Nutzung mit einem vollen Akku-Ladestand rechnen zu können, hat es aber am Ende doch gemacht.
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