Dienstag, 31. August 2021

Neues zum Stoffwechsel

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von vier Fastentagen: 95 Kilogramm, nachdem ich gestern zum überhaupt ersten Mal mit einem Vorher-Gewicht unter 97 Kilo, nämlich 96,5, gestartet war. Jetzt endlich kann ich wirklich von mir behaupten, mehr als 50 Kilogramm abgenommen zu haben, da der Vorher-Wert der maßgebliche ist, das Gewicht, das ich zu halten versuchen würde, wenn ich in den Halte-Modus ginge.

Das sieht auch vielversprechend aus, was ein neues Tiefstgewicht am Freitag betrifft, also weniger als die 92,3 Kilogramm, die ich nach meinem fünftägigen Fastenintervall vor der "Sommerpause" zu verzeichnen hatte. Das hatte mir insgeheim in bißchen Sorgen gemacht: Ob ich womöglich zwei oder drei viertägige Fastenintervalle benötigen würde, um diesen Wert zu unterbieten oder es gar nur mit einem weiteren fünftägigen erzwingen kann. Aber die Sommerpause scheint mir bekommen zu sein, das sollte nach menschlichem Ermessen eigentlich klappen.

Inzwischen habe ich mein Pläne modifiziert: Sollte mein Gewicht am Freitag über 92,0 liegen, hänge ich einen fünften Fastentag an, das hatte ich schon vorher geplant. Dasselbe mache ich aber auch, falls mein Gewicht unter 91,0 liegen sollte. Die realistische Chance, durch einen fünften Tag die 90 erstmals zu knacken, will ich in so einem Fall natürlich auch nicht verstreichen lassen.

Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, daß keines von beidem passiert und ich irgendwo zwischen 91 und 92 Kilogramm herauskommen werde. Jedenfalls diesmal noch. ;-)

Aber in einem der beiden bis Anfang Oktober noch folgenden langen Fastenintervalle möchte ich schon gerne die 90 noch unterbieten, für meinen Seelenfrieden und so, und wenn es auch beim letzten Mal zum Monatswechsel September/Oktober mit vier Tagen nicht klappen sollte, hänge ich gerne noch einen fünften an, falls es wirklich damit stehen oder fallen sollte. In diesem Fall lägen 22 Monate zwischen dem Tag, an dem ich erstmals die 100 unterboten habe (Mitte Dezember 2019), und dem Tag, an dem ich die 90 erstmals unterschreiten konnte. Für meinen Geschmack hat das zwar viel zu lange gedauert, aber immerhin kann ich dann von mir sagen: Es hat weniger als zwei Jahre gebraucht. 

Um zu mir selbst fair zu sein, muß ich auch zugestehen, daß ich schon die "Unter hundert" damals mit der Brechstange erzwingen mußte,weil ich aus psychologischen Gründen unbedingt vor Weihnachten 2019 wenigstens einmal eine zweistellige Zahl auf der Waage gesehen haben wollte. Die U90 würden also eigentlich mehr als zehn Kilo Abnahme bedeuten, falls ich diesmal keine Brechstange brauchen sollte.

Jetzt lehne ich mich mal ungebührlich weit aus dem Fenster und sage außerdem: Für die nächsten zehn Kilo von U90 auf U80 will ich ebenfalls weniger als zwei Jahre brauchen. Ein Jahr wäre natürlich perfekt, aber dafür müßten meine Herbst- und Jahresanfang-Maßnahmen eine WIRKLICH gute Wirkung erbringen. Realistisch gesehen ist eine Abnahme von durchschnittlich einem Kilogramm pro Monat einfach zu wenig, um eine Abnahme von zehn Kilogramm im Jahr zu erreichen, sofern ich sie immer nur sieben Monate im Jahr verbuchen kann, dann in zwei Monaten zwei Kilo zunehme und anschließend drei Monate Stagnation hinter mich bringen muß. Nach Adam Riese bedeutet das, daß ich rechnerisch auf diese Weise zwei Jahre benötige, um zehn Kilo abzunehmen. Sollte ich wenigstens die Wiederzunahme ebenfalls in eine Stagnation umwandeln können, käme ich auf sieben Kilo im Jahr. 

Verdammte Herumrechnereien. Hinterher darf ich dann wieder mir selbst und der Welt erklären, warum alles ganz anders gekommen ist, als ich das ausgerechnet hatte. ;-)

Auf der positiven Seite kann ich weiterhin von mir behaupten, daß ich abnehme, ohne ein Energiedefizit anzustreben und ihm sogar bewußt entgegenzusteuern, ohne daß mir diese Frage aber wichtig genug wäre, um sie zu tracken und damit auch beweisen zu können. Eigentlich käme mir das sogar ein bißchen lächerlich vor angesichts der Berechnungsakribie, die fast alle, die kalorienbasiert abnehmen, auf sich nehmen, um ihr Energiedefizit zu erreichen, und auf längere Sicht dennoch fast alle an ihrem Ziel scheitern.

Ich mag es, mir die Sache möglichst einfach zu machen, auch deshalb, weil es mich dann keine große Überwindung kostet, einfach weiter dabei zu bleiben, auch wenn es zwischendurch zäh wird und man die Abnahme-Flaute eben aussitzen muß.

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Herman Pontzer hat sich wieder einmal zu Wort gemeldet. Verschiedene Medien, etwa die New York Times, berichteten über sein neu publiziertes Forschungsergebnis über die Entwicklung der Stoffwechselrate im Lauf des Lebens, eine gute deutsche Zusammenfassung fand ich ebenfalls. Die Studie selbst ist leider nicht öffentlich zugänglich, deshalb kann ich nur beurteilen, was über sie an anderer Stelle geschrieben wurde. 

Was Pontzer herausgefunden zu haben behauptet, ist ähnlich interessant wie seine Erkenntnisse über die Anpassungsfähigkeit des Leistungsumsatzes, die dazu führt, daß Sport als Mittel zum Abnehmen getrost als untauglich bezeichnet werden kann. Nunmehr tritt er an, um anderen Stoffwechselmythen den Garaus zu machen. Seine neuen Erkenntnisse:

  • Im Säuglings- und Kleinkindalter ist die Stoffwechselrate höher als später. Vor dem ersten Geburtstag liegt sie 50 % höher als bei Erwachsenen. Dies ist aber nicht von Geburt an so, es setzt erst nach ca. einem Monat ein.

  • Zwischen dem ersten und dem zwanzigsten Geburtstag sinkt sie nach und nach um etwa drei Prozent pro Jahr. Entgegen allen Vermutungen erhöht sie sich auch während der Pubertät nicht.

  • Zwischen 20 und 60 bleibt sie stabil. Das gilt verblüffenderweise sogar während einer Schwangerschaft. Ebenso konnten keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern festgestellt werden.

  • Nach 60 sinkt sie durchschnittlich um 0,7 Prozent pro Jahr. Der Stoffwechsel im Alter von 95 ist durchschnittlich um zwanzig Prozent niedriger als bei einem Sechzigjährigen.

Für die letztere Entwicklung gibt es eine recht plausible Erklärung: etwa 65 Prozent des Energieverbrauchs dienen der Versorgung von Herz, Leber, Nieren und Gehirn. Es wird angenommen, daß die abnehmende Stoffwechselrate in Verbindung mit nachlassender Leistung dieser Organe mit zunehmendem Alter steht.

Wie auch immer: Der Seniorenteller ist offenbar nicht grundlos erfunden worden.

Was die Sache ärgerlich macht, ist, daß aus dieser Studie nun natürlich von allen Seiten ein weiteres Mal der Schluß gezogen wird, daß folglich nur die Undiszipliniertheit beim Essen der Grund für Gewichtszunahmen in den Wechseljahren oder als dauerhafte Folge einer Schwangerschaft sein könne. Das finde ich allerdings gerade wegen dieser Ergebnisse nicht so ohne weiteres einzusehen. Die Altersgruppen, in denen die Stoffwechselrate zurückgeht, Pubertierende und Menschen über 60, sind ja gerade nicht von auffälligen Gewichtszunahmen betroffen, aber es wäre eigentlich naheliegend, denn es gibt ja keinen Grund, ausgerechnet diesen Altersgruppe im Gegensatz zu allen andern zu unterstellen, daß in ihnen die Nahrungsmenge rein intuitiv um die richtige Menge reduziert wird. Können Pubertierende das, müßten es junge Mütter eigentlich mit derselben Mühelosigkeit hinkriegen. 

Aus den spärlichen weiteren Detailinformationen:

Pontzer hatte Zugriff auf die Daten von ca. 6600 Personen im Alter von acht Tagen bis 95 Jahren, die von etlichen Laboren über einen Zeitraum von 40 Jahren in 29 Ländern gesammelt worden waren. Auf der individuellen Ebene bestanden große Unterschiede in den Stoffwechselraten, die durchaus 25 Prozent niedriger oder höher ausfallen konnten. 

Wir reden hier übrigens nicht vom Grundumsatz, sondern vom Gesamtenergieumsatz. Möglicherweise verbirgt sich ja irgendwo darin die Erklärung, denn wie Pontzer an anderer Stelle schon feststellte. In seinem Buch "Burn" hat er es näher beschrieben, daß sich der Körper bei höherem Leistungsumsatz um Energiesparmaßnahmen im Bereich des Grundumsatzes bemüht (u. a. in der körpereigenen Abwehr, weshalb Leistungssportler infektanfälliger sind), und so findet vielleicht ja zwischen beidem typischerweise ebenfalls ein Ausgleich statt, wenn sich der Grundumsatz im Zusammenhang mit der Pubertät oder den Wechseljahren verändert?

Was mir ebenfalls fehlt, ist Kenntnis der chronologischen und räumlichen Verteilung des Datenmaterials. Angenommen, ein Großteil der Daten stammten - nur als willkürlich herausgegriffenes Beispiel - aus den USA der neunziger Jahre, dann würde ich es für bedenklich halten, die daraus gewonnenen Erkenntnisse, die dann einen zeitlichen und räumlichen Schwerpunkt hätten, auf die heutige Zeit in Deutschland oder sonstwo auf der Welt anzuwenden. 

Aber ich will jetzt nicht superschlau tun: Natürlich habe ich - mindestens solange ich die Studie nicht im Volltext gelesen habe - keine Ahnung, was in Wirklichkeit aus Pontzers Ergebnissen geschlossen werden sollte. Daß die übliche Schlußfolgerung falsch ist, bin ich mir aber sicher genug, daß ich meinen eigenen weiteren Abnahmeerfolg als Wetteinsatz in die Waagschale zu legen bereit bin. :-)

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Neulich kam mir der Gedanke, ich könnte ja auch hier einen Gewichtsticker einfügen, so wie es ihn im Forum gibt, aber ich krieg es beim besten Willen nicht hin. Schade. :-(





Sonntag, 29. August 2021

Herbstvorbereitungen

Mein Gewicht gestern früh nach dem dritten Fastentag der Woche: 94,6 Kilogramm, nach 97 Kilogramm exakt vorgestern und 95,6 Kilogramm am Tag davor und heute wieder. Morgen werde ich - endlich! - wieder ein langes Fastenintervall beginnen können, und ich spekuliere auf ein Startgewicht um 97 Kilogramm herum und ein neues Tiefstgewicht am Freitag, da vier Fastentage noch nie weniger als 5 Kilogramm Abnahme bedeutet haben. 

Falls es aber doch nicht zu einem neuen Tiefstgewicht reichen sollte, ziehe ich einen fünften Fastentag in Erwägung. Aber erst mal schauen, was tatsächlich geschehen wird.

Einstweilen bin ich mit meinem Gewicht nach dem fünfwöchigen Aussetzen der langen Fastenintervalle einigermaßen zufrieden, obwohl es natürlich immer noch einen Tick besser sein dürfte. Mein Gewichtsverlauf seit 15.2.2021, meinem Gewichtshöchststand des Jahres, davon die letzten knapp fünf Wochen ohne lange Fastenintervalle, sah folgendermaßen aus:

 


Der Ausreißer nach oben im Juli auf einen Wert über 100 Kilogramm täuscht, da war ich krank, und das führt aus irgendwelchen Gründen immer zu einem höheren Gewicht, das sich aber sofort wieder normalisiert, sobald die Infektion abklingt. Von diesem einen Ausreißer abgesehen, war ich seit dem 31.3. stabil unter 100 Kilogramm mit relativ langsamer, aber dennoch unübersehbarer Tendenz nach unten.

Dreimal habe ich im Laufe dieser fünf Wochen die Gewichtsmarke von 98 Kilogramm gerissen, das ärgert mich ein bißchen. Auf der anderen Seite konnte ich es zweimal davon eindeutig wieder einer leichten Vergripptheit zuordnen (diesen Sommer war ich irgendwie ungewöhnlich häufig malade), weil es nach zwei, drei Tagen wieder in den eigentlich zu erwartenden Bereich abgesunken war. In der Regel bewegte ich mich zwischen 97,x vor und 95,x nach einem Fastentag, und man sieht auch die Regelmäßigkeit, mit der das Vorher-Gewicht im Lauf der Woche heruntergeht, um lediglich montags, nach drei Eßtagen, noch einmal kurz über die 98 zu rutschen. 

Unter 95 direkt nach meinem letzten langen Fastenintervall und tags darauf unter 96 war ich zuletzt vor drei Wochen, als mein Wasserhaushalt noch dabei war, sich nach den fünf Fastentagen zu normalisieren. Daran kann ich sehen, was die Waage mir bis gestern früh so lange nicht anzeigen wollte: Daß es in den letzten fünf Wochen ohne lange Fastenintervalle in Wirklichkeit insgeheim tatsächlich leicht nach unten gegangen ist.

Ich hoffe, nach dem Ende der nächsten Woche hat sich das mit der 98 dann endlich erledigt. Bis Anfang Oktober, solange ich noch mit hinreichender Sicherheit damit rechnen kann, daß mit dem Gewicht noch runtergeht, wenn ich faste, möchte ich vor einem Fastentag 96,x Kilo haben, damit es noch Luft nach oben gibt, falls mir der Herbst trotz aller Bemühungen, gegenzusteuern, auch dieses Jahr wieder einen Strich durch die Rechnung machen sollte. 

Diesmal fahre ich im Oktober zweimal zu meiner Mutter, beide Male nur drei bis maximal vier Tage. Das erste Mal ist aus Fastentage-Sicht unproblematisch (wird allerdings den Start meines Low-Carb-Experiments möglicherweise etwas verschieben, weil es gleich zu Monatsanfang des Oktobers ist), aber das zweite Mal wird mich dazu zwingen, ein langes Fastenintervall auf zwei Tage abzukürzen und anschließend wird es sechs Tage dauern, bis ich den nächsten einzelnen Fastentag habe. Das ist ein bißchen ungünstig, wenn man gegen eine alljährliche jahreszeitlich bedingte Zunahmewahrscheinlichkeit anzukämpfen versucht. Aber bis dahin sollte ich schon einen Eindruck davon gewonnen haben, ob und wenn ja welche Wirkung meine Low-Carb-Phase hat. Falls sie nicht überzeugend genug ausgefallen sein sollte, werde ich vielleicht in der Woche darauf einen zusätzlichen Fastentag einlegen - oder irgendetwas anderes. Das entscheide ich, wenn es soweit ist.

Mittlerweile habe ich mich für die Monate Januar und Februar beim EMS-Training angemeldet (mit automatischer Abmeldung Ende Februar). Vereinbart habe ich außerdem eine Körpervermessung vor dem ersten Training und vor dem letzten Training, um beurteilen zu können, ob und wenn ja welche Wirkung das Training hatte. Je nachdem, was sich daraus ergeben wird, werde ich diese Acht-Wochen-Trainings wiederholen oder nicht wiederholen - genauso, wie ich die Low-Carb-Phase, falls mich die Ergebnisse überzeugen sollten und ich keine Schwierigkeiten haben sollte, es acht Wochen lang durchzuhalten, durchaus irgendwann wiederholen könnte. 

Ich glaube aber nicht, daß mir das Durchhalten schwer fallen wird. Mittlerweile habe ich eine umfangreiche Rezeptsammlung an reizvollen Low-Carb-Gerichten, die ich absichtlich bislang noch aufgeschoben habe, um sie dann der Reihe nach durchprobieren zu können. Das werde ich wahrscheinlich in den zwei Monaten gar nicht alles durchkriegen. Dabei lautet meine Faustregel: Ich will so wenig "unnatürliche" Ersatzstoffe wie möglich verwenden, Dinge wie Guarkernmehl oder Johannisbrotkernmehl. Nur bei Brot und Brötchen sehe ich keinen anderen Weg, als auch Dinge wie Mandelmehl, Kokosmehl oder Kartoffelfasern wenigstens einmal auszuprobieren, und da zwei Monate acht Wochenenden bedeuten, an denen ich Brot- und Brötchenrezepte machen muß, schätze ich, daß ich am Ende die überzeugenden Rezepturen kennen werde. Im Zweifelsfall greife ich auf mein Haferflockenbrot-Rezept zurück und reduziere die Menge an Haferflocken zugunsten von Flohsamenschalen, denn die Brötchen nach diesem Rezept fand ich köstlich. 

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Dieser Sommer war merkwürdig kurz. Inzwischen fühlt es sich ja bereits wieder recht herbstlich an, und gestern sprang sogar die Heizung kurz an. Ich hatte leider wenig Gelegenheit, meine tollen Sommersachen in der neuen Größe zu tragen und werde dieses Jahr wohl keine mehr bekommen. Mal sehen, ob sie nächstes Jahr noch passen oder ich erneut auf eine kleinere Größe umgestiegen sein werde - falls es so sein sollte, freue ich mich trotzdem darüber.

Die Wespen haben sich von diesem Sommer, der kein richtiger Sommer war, aber nicht beirren lassen und haben sich vor ca. vier Wochen wieder bei uns eingefunden. Wir haben sie wie alte Freunde begrüßt, und seitdem steht auch immer ein Schälchen mit Wurst- oder Schinkenresten für sie bereit, seit kurzem außerdem auch eines mit Obstresten, für die einige der Wespen langsam ebenfalls Interesse zeigen.

Außerdem verfügen wir seit dem Frühsommer über eine kleine Balkon-Gemüseplantage: Radieschen, Gurken, Zucchini und Frühlingszwiebeln habe ich ausprobiert. Die Frühlingszwiebeln haben sich dabei als Reinfall erwiesen, aber die Radieschen wuchsen problemlos und schmecken sehr gut. Bei den Gurken und Zucchini hatte ich schon nicht mehr damit gerechnet, aber gestern fingen die Gurken, nachdem sie wochenlang damit beschäftigt waren, sich krakenartig in alle Richtungen (einschließlich nach oben) auszubreiten und alles zuzuwuchern, doch noch zu blühen an. Mal sehen, vielleicht gibt es ja doch noch Gurken, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, daß sie jetzt noch sonderlich groß werden. Zu meiner Überraschung haben sich im Schatten des Gurkengewuchers nun auch bei den Zucchini auf einmal Knospen gebildet. Blühen wollen die also doch noch. Da ich die eigentlich längst abgeschrieben hatte und nächstes Jahr eben früher mit ihnen loslegen und vor allem ein größeres Pflanzgefäß verwenden und an einem anderen Standort aufstellen wollte, nehme ich alles, was von denen vielleicht dieses Jahr doch noch kommen wird, als freudige Überraschung. 

Ansonsten gibt es bei mir gerade nicht allzu viel zu berichten. Ich habe eine Menge Arbeit, aber das ist ja nicht schlecht; wenn ich meine Umsätze des laufenden Jahres mit denen des Vorjahres vergleiche, werde ich in zwei bis drei Wochen wohl das gesamte letzte Jahr überboten haben. Das liegt natürlich nicht nur daran, daß ich ein gutes Jahr 2021 hatte, sondern auch daran, daß 2020 vor allem im Herbst coronabedingt nicht sonderlich gut lief. Kein Vergleich natürlich mit dem, was andere Selbständige zum Teil durchgemacht haben. Ich habe auch darauf verzichtet, irgendwelche Soforthilfen zu beantragen, obwohl ich möglicherweise welche bekommen hätte. So schlecht ging es mir dann doch wieder nicht. 

Trotzdem bin ich froh, daß es dieses Jahr besser lief, denn so konnte ich meine Finanzen wieder besser ausbalancieren nach meinem Wohnungskauf von 2019, und stehe jetzt wieder finanztechnisch an dem Punkt, an dem ich laut Plan von 2019 jetzt stehen sollte. 


Mittwoch, 11. August 2021

Die "Fettlöserin" Nicole Jäger und das Kalb mit den zwei Köpfen

Mein Gewicht heute früh nach Fastentag 1 dieser Woche: 95,9 Kilogramm. Was für eine Erleichterung, denn gestern frustrierte mich die Waage mit 98,8. Keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist, aber ein Minus von 2,9 am Fastentag war bei mir eigentlich schon immer eine ausgesprochene Seltenheit und seit wir das Abendessen um 18 Uhr machen, fällt das zu erwartende Minus ja noch viel geringer als vorher aus und liegt häufig sogar unter 2 Kilo. Da war also wohl irgendein blöder Sondereffekt mitbeteiligt, bei dem das Wasser von Montag auf Dienstag aus irgendeinem Grund übertrieben in die Höhe geschossen ist. Jetzt hoffe ich, daß ich morgen bei um die 97 Kilo herum anfange und am Freitag wieder um die 95 herum liegen werde. 

Falls es so läuft wie letztes Jahr im Sommer, als ich ja auch während des Urlaubs meines Mannes auf lange Fastenintervalle verzichtet habe, müßte mein Gewicht ab nächste Woche dann endlich leicht zu sinken beginnen. Aber mir ist schon klar, daß alles auch ganz anders kommen kann, siehe die blöde 98,8 gestern.

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Ein Einschub aus aktuellem Anlaß, obwohl der Blogartikel eigentlich schon zu 90 Prozent fertig war und ein ganz anderes Thema betrifft, weil das eine wichtige Entdeckung ist: Schwedische Forscher fanden heraus, daß es unterschiedliche Subtypen von menschlichen Fettzellen gibt, und von denen reagierte in ihrer Untersuchung offenbar nur eine Sorte auf Stimulation mit Insulin. (Studie im Volltext hier, ich habe sie aber noch nicht durchgelesen.) Darin könnte sich möglicherweise die Erklärung verbergen für einerseits die schnellen Erfolge von Low Carb/Intervallfasten, wie auch andererseits für das Plateau, in dem man schlußendlich damit häufig landet.

Deshalb werde ich die Studie in jedem Fall noch komplett durchlesen müssen, vielleicht stoße ich darin ja noch auf Details, aus denen sich irgendwelche praktisch anwendbaren Schlußfolgerungen ziehen lassen. 

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Erinnert sich im Jahre 2021 eigentlich noch irgendwer an die "Fettlöserin" Nicole Jäger? Ich stieß auf ein YouTube-Video einer Talkshow aus dem Jahre 2015, in dem sie einer der Talkgäste war, und war nicht nur von der Dame selbst, sondern auch von den anderen Gästen, man könnte sagen, überhaupt von dieser ganzen Veranstaltung irritiert. Mich wunderte, daß niemand das, was Nicole Jäger sagte, irgendwie hinterfragte, auch nicht die sonderbarsten Details. Das hätten ja keine kritischen oder gar inquisitorischen Fragen sein müssen, leichte Verwunderung hätte es ja auch schon getan. Mich berührte es sonderbar, daß die anderen Gäste stattdessen nicht einmal mit der Wimper zuckten, wenn merkwürdige Details vorkamen wie etwa die Behauptung, sie habe ihr Gewicht von 340 Kilogramm ermittelt, indem sie auf zwei Personenwaagen stand. 

Funktioniert das auf diese Weise wirklich? Mein Mann meint, diese Methode müsse jedenfalls sehr ungenau sein. Die Frage wäre dann also, wie grob geschätzt diese 340 Kilogramm in Wirklichkeit waren, falls es sich dabei nicht - siehe weiter unten - sowieso um einen Wert handeln sollte, der in Wirklichkeit niemals gemessen wurde. Plusminus 20 Kilo hin oder her? 40? Noch mehr?

Daß Nicole Jäger behauptete, einmal 340 Kilogramm gewogen zu haben, hat mich aber noch am wenigsten aus der Fassung gebracht, obwohl es eine ganze Reihe von Fragen aufwirft, auf die ich später noch einmal zurückkommen werde und die merkwürdigerweise in der Talksendung nicht gestellt wurden. Gewichtsangaben dieser Art übersetze ich mir spätestens seit dem "Ex-160-Kilo-Mann" bei Spiegel Online in ein "Ich war damals viel fetter als heute". Die Abnahme an sich war es nicht, die ich bei dem bedauernswerten Micha Klotzbier angezweifelt habe, aber solange mir niemand die glatte Zahl 160 belegt, halte ich sie für eine "Begradigung" der Wahrheit - so, wie mir das das in den Medien leider bei allen möglichen Themen regelmäßig auffällt. Niemand scheint dabei noch irgendetwas zu finden.

In der Realität läuft es ja nie so wie in einem Roman, in dem jedes beschriebene Detail irgendeinen Sinn hat, was den Plot betrifft. Die Wirklichkeit ist viel zerfranster, es gibt immer irgendwelche Dinge, die sich in die Geschichte, die erzählt werden soll, nicht so richtig hineinfügen oder für deren Erklärung man viel zu weit ausholen müßte, als daß dies Bestandteil der Story werden könnte. Dann kommt der journalistische Erzähler natürlich in Versuchung, ein bißchen zu schummeln, in der Annahme, dies sei ja nicht weiter schlimm, solange nur das Gesamtbild nicht grob verfälscht werde. 

Das ist leider ziemlich üblich geworden, aber es ist trotzdem eine ziemlich dumme Idee. Warum sollte ich denn einem Gesamtbild noch vertrauen, nachdem ich den Autor im Detail bei einer nachweislichen Unwahrheit ertappt habe? Und mir passiert das andauernd. Wenn ich nun noch bedenke, daß ich ja gar nicht gezielt nach so etwas suche, muß ich davon ausgehen, daß das, was mir als "echte" Schummeleien auffällt, nur die Spitze des Eisbergs ist.

In Nicole Jägers Geschichte ist so vieles ungereimt, daß es mir auf diese Zahl 340 letztlich kaum noch ankam. Was ich ihr vor allem nicht geglaubt habe, und das scheint mir bedeutsamer, war, daß sie zum Zeitpunkt der Talkshow 170 Kilogramm gewogen haben soll. Ihr Gewicht muß meines Erachtens deutlich höher gewesen sein. Mit 170 Kilogramm bei 1,77 Meter Körpergröße hat man einen BMI von um die 54. Mein eigener BMI zu Maximalgewichtszeiten lag bei 51,5, also nicht gar so weit weg von dem, den sie als Gast in dieser Talkshow gehabt haben müßte. Wie Nicole Jäger aber mit einem BMI, der nur so geringfügig höher lag als mein maximaler, eine solche Wampe gehabt haben sollte, die sich mindestens doppelt so weit vorwölbte wie meine damalige, leuchtet mir nicht ein. 

Auf die Gefahr hin, wegen des Begriffs "Wampe" und meiner Erörterungen derselben nun für taktlos gehalten zu werden: Nicole Jägers Bauch hing ihr im Sitzen in dem verlinkten Video beinahe bis über die Knie. So extrem war das bei mir definitiv nie, auch nicht in meinen schlimmsten Zeiten. Ich bin deshalb der Meinung, sie muß zum Zeitpunkt dieser Sendung eher um die 200 Kilogramm herum gewogen haben. 

Spielt das aber überhaupt eine Rolle, diese dreißig Kilogramm hin oder her? Zumal dann, wenn man ihr glaubt, daß sie - wenigstens ungefähr - von 340 Kilogramm hergekommen ist, macht das denn überhaupt einen so gravierenden Unterschied, ob sie nun 140 oder 170 Kilogramm abgenommen hat? Beides sind ja fast unvorstellbare Zahlen - jedenfalls für Leute, die noch nie einen BMI über 40 gehabt haben. In Wirklichkeit gelingen schwer Adipösen, die sich ernsthaft um eine Gewichtsabnahme bemühen, aber ziemlich häufig unvorstellbare Gewichtsabnahmen, 30, 40, 50 oder wie Nadja Hermann sogar über 70 Kilogramm sind längst nicht so selten, wie sich das viele Leute vorstellen. Und natürlich können diese Abnahmen umso höher ausfallen, je höher das Ausgangsgewicht war. Nur schaffen es die wenigsten unter diesen erfolgreichen Abnehmern, ihre unvorstellbare Gewichtsabnahme längere Zeit zu halten.

In Nicole Jägers Fall machte es deshalb einen Unterschied, weil es bei ihrem Talkauftritt wie bei ihrem Buch auch um die Frage ging, ob Nicole Jäger auch die zum Normalgewicht noch fehlenden 100 Kilogramm plusminus x noch abnehmen könne. Denn dies war ja sinngemäß ihre Kernaussage: Ich bin Abnehmprofi, weil ich 170 Kilo abgenommen habe.  Die Zahl derer, die ein Gewicht von 170 Kilogramm als Ergebnis einer Abnahme glücklich machen würde, ist allerdings höchstwahrscheinlich ziemlich überschaubar, also ging es stillschweigend ja wohl auch um die Erwartung, jemand, der eine solche Abnahme hingekriegt habe, der werde nun auch noch weiter bis zum Normalgewicht abnehmen können.

Tatsächlich ist dies aber in den Jahren seit dieser Talkshow nicht geschehen. Die Nicole Jäger von 2021 hat augenscheinlich ungefähr dieselbe Figur wie die von 2015, welches Körpergewicht auch immer das bedeuten mag. Zwischendurch legte sie 2016 meinem Eindruck nach außerdem ein gutes Stück zu, das sie später dann wieder abnahm. 

Das alles deutet weniger auf einen Abnehmprofi als auf einen Jojo-Profi hin.

Nicole Jäger war offenbar jahrelang (von 2008 bis 2015) im Forum Abnehmen.com aktiv, und dort löste ihr Buch, als es neu herausgekommen war und Frau Jäger gerade durch alle Talkshows tingelte, heftige Diskussionen aus, weil vieles, was sie in ihrem Buch geschrieben hatte, in erheblichem Widerspruch zu dem stand, woran man sich aus ihrer Forumszeit erinnerte. Ihr Tagebuch hatte sie 2015 löschen lassen, aber ihr Account besteht noch, und einige der Diskussionen, an denen sie beteiligt war, kann man noch nachlesen, und ein paar dieser Beiträge habe ich auch gelesen. Da gibt es tatsächlich gröbere Ungereimtheiten. Gleichzeitig haben gerade diese Diskussion um ihre Person und die Details, die von anderen Forumsteilnehmerinnen über sie recherchiert wurden, in Kombination mit ihren alten Beiträgen dazu geführt, daß sie mir eher leidtat. 

Ist Nicole Jäger eine Hochstaplerin? Eine Menge Leute halten sie dafür und nehmen ihr das übel. Ich nicht. Ich nehme die Hochstapelei nämlich nicht ihr übel, sondern den Medien. Falls man sie für eine Betrügerin hält, wäre ihr der Betrug ohne mindestens eine extrem hohe Bereitschaft der Medien, dabei mitzuspielen, ja gar nicht gelungen. Mit dieser Bereitschaft meine ich: Sich blind, taub und debil stellen, wenn sie Geschichten erzählt, bei denen eigentlich jeder Normalbegabte stutzig werden und ein paar Rückfragen stellen sollte, die nicht nur in dieser Talkshow unterblieben sind, sondern praktisch überall, wo sie interviewt oder porträtiert wurde. Es ist schon auffällig, daß sie immer nur "softball questions" gestellt bekam.

Noch vor den TV-, Print- und Onlinemedien, die Nicole interviewt und ihr eine Plattform geboten haben, gilt das erst einmal und vor allem für ihren Buchverlag. Und bei dem handelt es sich nicht um irgendeine von vornherein zweifelhafte Klitsche vom Kaliber eines Kopp Verlags, sondern dafür hat der Rowohlt-Verlag sein durchaus ansehnliches Prestige in die Waagschale geworfen. Ich finde es übrigens auffällig, daß Nicole Jäger und Nadja Hermann ungefähr zur selben Zeit von Buchverlagen unter Vertrag genommen wurden (Nadja Hermanns Verlag war Ullstein, auch ein Verlag mit eigentlich gutem Ruf). Offenbar bestand damals am Markt eine hohe Aufnahmebereitschaft für ungewöhnliche Abnehm-Geschichten, und je schräger, desto besser. (Der "Ex-160-Kilo-Mann" bei Spiegel Online, eine Fortsetzungsgeschichte, in deren Verlauf mir die Erbärmlichkeit, zu der das einst beste Nachrichtenmagazin Deutschland hinabgesunken ist, deutlicher denn je auffiel, war übrigens auch in dieser Zeit.) 

Buchverlage mit Ansehen zehren meiner Meinung nach mittlerweile - genauso wie die sogenannten "Qualitätsmedien" im journalistischen Bereich - überwiegend nur noch von dem guten Ruf, den sie sich in besseren Zeiten erworben haben, und das ist auch nicht erst seit gestern so. Es hat etwas damit zu tun, daß schon seit Jahrzehnten die Betriebswirte immer größere Teile der Verlagsbranche regieren, spätestens seit Konzerne wie Penguin Random House (vormals: Bertelsmann - genau, die von der Bertelsmann Stiftung) oder eben Holzbrinck (zu dem Rowohlt gehört) den größten Teil der angesehenen früher unabhängigen Verlage aufgekauft haben. Das Ansehen der Buchverlage von einst wurde erworben, indem man sich den Luxus leistete, Bücher, die für inhaltlich wichtig gehalten wurden, trotz absehbarer Verluste bei der Publikation trotzdem zu veröffentlichen und dies mit den Gewinnen anderer Titel querzusubventionieren. Heutzutage können Buchverlage sich das überwiegend gar nicht mehr leisten, und von denen, die es könnten - Stichwort Konzerne -, tun es auch nur noch die wenigsten. Statt dessen wird stur immer das publiziert, was voraussichtlich das meiste Geld bringen wird, und der Aufwand, den man in den Inhalt noch zu stecken bereit ist, orientiert sich natürlich ebenfalls an dieser Frage. 

Verlage sind nämlich längst darauf eingestellt, die neu publizierten Bücher nur für einen relativ kurzen Zeitraum einzuplanen. Bücher, auch Hardcover-Ausgaben, sind heutzutage eine Art Wegwerfartikel geworden, produziert für einen kurzatmigen Markt, der die brandaktuelle Neuerscheinung von heute spätestens in sechs Monaten in die Ramschkiste verbannen wird, und damit ist die Erstverwertung der Erstauflage im Prinzip abgeschlossen, es sei denn, ein Titel verkauft sich so gut, daß weitere Auflagen produziert werden können. Das Geld für die Deckung der Produktionskosten muß jedenfalls in der Zeit zwischen Erscheinen und der mit einiger Wahrscheinlichkeit betriebswirtschaftlich am vorteilhaftesten Verramschung nach wenigen Monaten verdient werden, und Bücher, bei denen dies nicht zu erwarten ist - oder jedenfalls von den Marktstrategen der Verlage nicht erwartet wird -, müssen ihr Heil im Selfpublishing-Bereich suchen. 

In jedem Verlag werden natürlich dennoch kommerzielle Nieten veröffentlicht. Es wird aber aktiv angestrebt, deren Zahl zu minimieren und idealerweise auf Null zu bringen. 

Jemand wie Nicole Jäger - die kurz zuvor als Abnehm-Coach im Fernsehen bestaunt werden konnte - ist für solche Rahmenbedingungen mit einer Aufmerksamkeitsspanne von ca. einem halben Jahr, die es zu nutzen gilt, fast ideal. 

Ein Buchverlag kann außerdem nicht viel verlieren, wenn er offensichtliche Lügen als angeblich wahre Geschichte publiziert, auch dann nicht, wenn sich über ihrem Autor ein Shitstorm zusammenbraut, weil ihm eine Lüge (oder, siehe Annalena Baerbock, ein Plagiat) nachgewiesen werden kann. Gerade ein Shitstorm ist - gleich nach einem Begeisterungs-Hype - sogar das Zweitbeste, was aus Verlagssicht passieren kann. Die Leute schimpfen dann zwar über das Buch und seinen Autor, aber sie kaufen es trotzdem wie verrückt, weil aus irgendwelchen Gründen jedermann glaubt, über ein Buch schimpfen darf nur, wer es auch gelesen hat. Auf diese Weise trägt gerade ein Shitstorm in besonderem Maße zum Erfolg des Buches, dem Honorar der Autoren und dem Gewinn des Verlages mit bei. 

Nicoles Vorgeschichte ist - von wenigen Schlaglichtern abgesehen - in eine Art diffusen Nebel gehüllt, den - so entnahm ich das einigen Rezensionen - auch die Lektüre ihres Buches nicht weiter erhellen würde, weshalb ich davon absehe, es mir aus der Bibliothek auszuleihen (es zu kaufen käme für mich nach der obigen Schilderung aus prinzipiellen Gründen nicht in Frage). Ob ich es stehenlassen werde, sollte es mir auf dem Flohmarkt in die Hände fallen, kann ich jetzt noch nicht sagen, und sollte ich es in einer dieser "Zu verschenken"-Kisten finden, nehme ich es höchstwahrscheinlich schon mit. 

Heute ist Nicole Jäger 38, das heißt, sie müßte ca. 1983 geboren sein. In einem Interview mit der Emma gab sie an, schon als kleines Mädchen pummelig gewesen zu sein und beschuldigte implizit Ärzte, ihre Eltern und diverse ihr verordnete Kuraufenthalte, bei ihr die Adipositas ausgelöst zu haben. Dennoch will sie in ihrer Kindheit außerdem Leistungssport betrieben haben. Im Alter von 14, also Ende der neunziger Jahre, erlitt sie nach eigenen Angaben einen Sportunfall, der ihre starke Zunahme auslöste. Ihr Maximalgewicht von 340 Kilogramm hatte sie, ebenfalls nach eigenen Angaben, im Alter von 26, also um 2009 herum. Zu jener Zeit war sie allerdings in einem Forum zugange, in dem von diesem Gewicht (noch) nicht die Rede war. Glaubhafter kommt mir der Satz im gleichen Interview vor, laut dem sie seit ihrem fünften Lebensjahr ständig auf Diät gewesen sei. 

Ständig auf Diät gewesen zu sein, das ist der Faktor, den meinem Wissensstand nach fast alle im Alter vor den Wechseljahren SEHR dick Gewordenen miteinander gemeinsam haben. Eine interessante Teilfrage beträfe aus meiner Sicht die Rolle, die übergewichtspanische Eltern sowie Diäten, mit denen sie bei ihren Kindern selbiges zu bekämpfen versuchten, bei heutigen jüngeren Erwachsenen (im Alter bis ca. 40) gespielt haben könnten: Könnte dies speziell ungewöhnlich hohe Gewichtszunahmen zusätzlich begünstigt haben? 

Denn ich erinnere mich noch sehr genau, daß schon in der Kindheit meines Sohnes während der neunziger Jahre die Übergewichtsvermeidung bei Kindern in Kindergärten, Schulen und bei Ärzten ein Riesenthema gewesen ist und Experten sich aktiv um die Eltern von betroffenen bzw. wirklich oder vermeintlich gefährdeten Kindern bemüht haben, und das mit einer Penetranz, daß ich vor jedem anstehenden Elternabend davon zu phantasieren begann, mir eine Dose Cola und eine Tüte Kartoffelchips mitzunehmen und sowie das Thema angesprochen wurde, beides demonstrativ hervorzuholen und zu verspeisen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Sohn in der zweiten Klasse eines Tages aus der Schule nach Hause kam und sagte: "Ich habe gerade noch Normalgewicht", und das klang wie "Ich habe gerade noch eine vier minus". Eigentlich war ich im Umgang mit Lehrern pflegeleicht, aber an diesem Tag machte ich einen Termin mit der Klassenlehrerin aus, um sie zu fragen, ob es aus ihrer Sicht wirklich nottue, Kindern schon in diesem Alter ein negatives Körperbild zu vermitteln, und ob es nicht völlig ausreiche, daß Mädchen um die Pubertät herum mit Diäten anfangen, ob man das nun schon bei Grundschulkindern beiderlei Geschlechts aktiv herbeiführen wolle. 

Ich erinnere mich auch noch an das kulleräugige Erstaunen der jungen Lehrerin, der meine Argumentation erkennbar über den Horizont ging. Sie gab sich betroffen, aber ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß sie an ihrem Unterricht allzu viel verändert hat. Außerdem gehe ich davon aus, daß dies überall im Lehrplan stand und entweder mit einigermaßen vorhandenem pädagogischen Geschick gehandhabt wurde, oder eben so, wie von dieser Lehrerin. Sicher zuweilen auch schlimmer. 

Was Ernährungsratschläge betrifft, war ich schon seinerzeit nicht sonderlich kooperativ, was auch damit zu tun hatte, daß ich kein schlechtes Gewissen hatte und keinen Grund dazu. Ich war ja die Mutter dieses Kinds, das sich mit einem Freudenschrei "Lecker! Blumenkohl" aufs Abendessen stürzte, wofür mich bestimmt anderer Kinder Mütter erdolcht hätte, wenn sie es nur gewußt hätten. Alles, was ich "falsch" machte, machte ich absichtlich falsch. Deshalb nahm ich ernährungspädagogische Bemühungen in der Regel ungnädig auf.

Bei vielen Eltern fielen entsprechende "pädagogische Gespräche" vermutlich auf fruchtbareren Boden als gerade bei mir, aber das muß nicht zwangsläufig bedeuten, daß dies zum Nutzen ihrer Kinder geschehen ist.

Übrigens fand ich es interessant, wie clever Nicole Jäger in der Emma genau die Knöpfe gedrückt hat, die bei einer Zeitschrift dieser ideologischen Ausrichtung funktionieren sollten. 

Zu bloggen begann Nicole Jäger 2013, 2014 trat sie erstmals im Fernsehen auf; beides mündete dann wohl in den Vertrag über ihre Buchpublikation. 2015 und 2016 waren für Nicole Jäger eine Art lange PR-Tour für ihr Buch. Was mag es zu bedeuten haben, daß die Emma erst im Sommer 2016 dran gewesen ist? Hatte da das Interesse der "Mainstream-Medien" bereits nachgelassen, so daß man die Interviews noch mitnahm, die aus irgendwelchen Nischen heraus noch zu bekommen waren, bevor die Restauflage ihres Buches in die Wühltische verbannt werden mußte? Ehrlich gesagt, es würde mich nicht wundern.

Also, diese Talkrunde im SWR Nachtcafé war offensichtlich auch Bestandteil der Buch-Promotion von Nicole Jäger, aber in einem frühen Stadium. Was ich von den anderen Talkgästen zu halten habe, bin ich mir nicht sicher. Kann das vielleicht sein, daß sie sich dafür hergegeben haben, in Bezug auf Nicole Jäger - ihre eigene Geschichte brachten sie natürlich ebenfalls ein - als bloße Stichwortgeber aufzutreten? Daß alle Teilnehmer - der Moderator wie auch alle Gäste, einschließlich derjenigen, die medizinisches Fachwissen hatten - so geradezu grimmig entschlossen schienen, kein Wort, das sie erzählte, anzuzweifeln, kann ich mir bei einer ungescripteten Sendung fast nicht vorstellen.  

Dabei drängten sich schon bei beiden Zahlen, ihrem angeblichen Startgewicht 340 Kilogramm und ihrem angeblich damals aktuellen Gewicht 170 Kilogramm, manche Fragen förmlich auf, und ich finde es vor allem als Zuschauerin ärgerlich, mit meinen unbeantworteten Fragen so alleine gelassen zu werden. Meine Fragen zur zweiten Zahl habe ich bereits gestellt. Die erste Zahl, 340, bedeutet wiederum ein so extremes Gewicht, daß ich die weltweite Zahl der lebenden Menschen, die so viel oder noch mehr wiegen, auf eine höchstens dreistellige Zahl schätze. 

Vielleicht war das nicht jedem der Talkshowgäste klar, da für viele Normal- oder fast Normalgewichtige ja oft schon alles über 100 Kilogramm den Rahmen des Vorstellbaren sprengt, obwohl ein solches Gewicht ja gar nicht so selten ist, und nur noch nach dem Prinzip "1, 2, viele" gezählt wird - also ein Gewicht von 300 Kilogramm auch nicht merkwürdiger als eines von 150 erscheint. Aber mit einem Gewicht von 300 Kilogramm ist - anders als bei 150 Kilogramm - auch der Rahmen dessen gesprengt, innerhalb dessen Ärzte und Epidemiologen für gewöhnlich Gesundheitsrisiken erörtern.Es gibt da ja diese trashige amerikanische TV-Dokumentationsserie "Mein Leben mit 300 kg", diesen Leuten sieht man auf den ersten Blick an, daß sie längst nicht mehr krankheitsgefährdet, sondern definitiv wirklich krank sind. 

Alleine die geschwollenen Beine! Solche Schwellungen sind kein Fett, sondern Wasser, das für sich alleine schon zig Kilogramm des überhöhten Körpergewichts ausmachen kann und ein ziemlich eindeutiges Zeichen dafür, daß der Körper mit dem hohen Gewicht nicht mehr klarkommt. Es erinnert mich außerdem an Sonja Bauer, den "Star" einer TV-Dokumentation, in dem es um Magenverkleinerungs-Operationen ging, deren Beine ebenfalls so extrem angeschwollen waren. Ihr Maximalgewicht lag bei - im Vergleich zu Nicole Jäger fast schon harmlos klingenden - 215 Kilogramm, und ich schrieb vor längerer Zeit einen Blogartikel über sie. 

In diesem Blogartikel über Sonja Bauer erwähnte ich unter anderem auch, daß diese 215 Kilogramm - aber ebenso auch schon mein eigenes Maximalgewicht von 147 Kilogramm - innerhalb der Personen mit Adipositas deutliche Ausreißer nach oben, nicht etwa das typische Gesicht einer sogenannten "Adipositasepidemie" darstellen.

1,5 Prozent der deutschen Bevölkerung, erwähnte ich dort (die damals verlinkte Quelle ist leider unter dem Link nicht mehr auffindbar, und ich such jetzt keine neue), haben Adipositas Grad 3, die höchste und gesundheitskritischste Einstufung von Übergewicht, das als krankhaft gilt. Das wären ungefähr 1,2 Millionen Menschen, also tatsächlich ziemlich viele. Aber von diesen 1,2 Millionen müssen die meisten ein Gewicht haben, das unter meinem Maximalgewicht liegt. Adipositas Grad 3, also einen BMI von  40, habe ich nämlich erst nach einer Abnahme von 33 Kilogramm mit einem Körpergewicht von 114 Kilogramm wieder unterschritten. 

Fälle wie meiner sind zwar wahrscheinlich deutlich in der Minderheit, aber dennoch nicht wirklich selten. Ich habe versucht, herauszufinden, wie häufig sie sind, aber leider erfolglos: Mit BMI 40+ werden wir alle über einen Kamm geschoren: diejenigen, die noch frohgemut mehrtägige Wandertouren unternehmen, wie ich mit 120 und sogar noch mit 130 Kilo, und diejenigen, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen können, weil ihre Beine sie nicht mehr tragen. Aber ich sehe relativ häufig Leute auf der Straße, die ich auf ungefähr meine damalige Statur einschätze - und: Meine Kleidergröße lag mit 56/58 noch in etwa in dem Bereich, in dem es eine vernünftige Auswahl gibt, also genügend Käufer einkalkuliert werden können, um eine Produktion im größeren Stil lohnend zu machen. 

Das ist jetzt gewissermaßen aus dem Kaffeesatz gelesen, aber ich könnte vielleicht zu den schwersten zehn Prozent unter diesen 1,2 Millionen "extrem Adipösen" in Deutschland gehört haben. Damit befände ich mich immer noch in Gesellschaft von immerhin 120.000 Menschen. In Sonja Bauers Gewichtsklasse, noch einmal 60 bis 70 Kilogramm schwerer,  sieht es aber garantiert schon sehr viel spärlicher aus. 180 Kilogramm sind zum Beispiel das Maximalgewicht normaler Krankenhausbetten. Die Schwerlastbetten, Schwerlaststühle und -liegen, die für Patienten zum Einsatz kommen müssen, die mehr als 180 Kilogramm wiegen, haben eine Belastungsgrenze von zwischen 200 und 300 Kilogramm. Körpergewichte über 300 Kilogramm werden bei der Konstruktion offenbar noch nicht ernsthaft mitberücksichtigt. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, daß es in Deutschland mehr als ein paar wenige Einzelfälle mit einem solchen Körpergewicht gibt. Mit der "Volkskrankheit Adipositas" hat so ein Gewicht dann natürlich auch nicht mehr viel zu tun, sondern ist eher eine Kuriosität, so wie ein Kalb mit zwei Köpfen. 

Nicht zu vergessen dabei: Dieser Kuriositätswert ist es dann natürlich auch, der eine Nicole Jäger, die angeblich vor einiger Zeit noch ein solches Kalb mit zwei Köpfen gewesen ist, für die Medien so interessant macht, daß niemand es für nötig hält, dafür irgendwelche Belege zu verlangen. Hilfreich für "normale" Adipöse, wie man sie jeden Tag auf der Straße sehen kann, ist meiner Meinung nach nichts daran, ausgerechnet ihrem Fall möglichst viel Publizität zu verschaffen. Aus meiner Sicht kann ich von Nicole Jäger rein gar nichts Sinnvolles lernen, und zwar nicht einmal dann, falls sie wirklich 170 Kilogramm abgenommen haben sollte, da ich ja kein Zielgewicht von 170 Kilogramm habe und das, was sie erreicht hat, weit hinter dem zurückbleibt, was sich nahezu hundert Prozent der Abnehmenden erhoffen.

Wenn ich mich zurückerinnere, wie es war, 147 Kilogramm zu wiegen, dann ist mir klar, daß Nicole Jägers Alltag mit ihrem jetzigen Gewicht nicht ganz unkompliziert sein kann. Ich hatte schon mit 120 Kilogramm Schwierigkeiten, bei meiner Mutter die Dusche zu benutzen und in der Wohnung meiner Schwester, früher die Wohnung meiner Großeltern, wäre ich nur mit Mühe ins Klo reingekommen, das eine Fehlkonstruktion von Tür hatte, die nach innen geöffnet werden mußte. Klar, man richtet sich die Sache in seinem gewohnten Alltag immer so ein, daß alles halbwegs reibungslos funktioniert. Aber daß Frau Jäger mittlerweile von öffentlichen Auftritten lebt, für die sie durch die ganze Republik tingelt, stelle ich mir ganz schön kniffelig vor, beginnend mit der Fahrt zum Auftrittsort bis zur Sicherstellung von Stühlen, in die sie überhaupt noch hineinpaßt. Auftritte im Stehen dürften für sie ganz schön anstrengend sein, und ihre Kleidung ist zwar wirklich schick, wirkt auf mich aber eher unbequem - und wie lange das dauern mag, diese Fummel anzuziehen, wage ich mir gar nicht vorzustellen.

Mit 340 Kilogramm, behaupte ich, wäre Nicole Jäger durch keine genormte normale Zimmer- oder Wohnungstür mehr hindurchgekommen. Man hat ab einem gewissen Gewicht schlicht keine Möglichkeit mehr, seine Wohnung zu verlassen, auch deshalb, weil einen die Beine auch nur noch schlecht oder gar nicht mehr zu tragen imstande sind. Wenn jemand mit einem solchen Gewicht ins Krankenhaus muß, ist das ein logistischer Kraftakt und erregt genügend Aufsehen, um Schaulustige anzulocken und Zeitungsmeldungen auszulösen.

In Berlin wurde kürzlich eine Frau ins Krankenhaus eingeliefert, die mehr als 300 Kilogramm wog. Die Feuerwehr hatte die Hauswand durchbrechen müssen, um die Frau aus ihrer Wohnung zu tragen. Zum Glück, hieß es, lebte die Frau im Erdgeschoss, sonst wäre ein Kran angefordert worden.

Vermutlich wog Nicole Jäger ungeachtet ihres massiven Übergewichts niemals dermaßen viel, daß sie ein Fall fürs Kuriositätenkabinett, also eines dieser erwähnten Kälber mit zwei Köpfen, geworden wäre, aber es ist ihr verblüffenderweise gelungen, sich ausgerechnet durch die Behauptung, dies einmal gewesen zu sein, eine Existenz - nämlich als halbprominente Buchautorin und als Komikerin - zu schaffen. Das ist aber allemal besser als ihre vorherigen Versuche, sich als Abnehm-Coach zu etablieren. Daß sie vom Abnehmen überhaupt nichts versteht, davon zeugt die Tatsache, daß es ihr in den letzten fünf Jahren nicht gelungen ist, weiter abzunehmen, sondern in der Jojo-Falle steckengeblieben zu sein scheint. Daß sie aber ungeachtet dessen ein echtes komisches Talent ist, davon zeugt, daß ich bei diesem Videoclip an einer Stelle Tränen gelacht habe, obwohl ich ihn gar nicht zum Spaß angeschaut hatte, sondern nur, um ihr aktuelles Gewicht des laufenden Jahres 2021 einzuschätzen. Ich habe sehr schmallippig begonnen, den Clip zu schauen, aber am Ende nickte ich anerkennend. Hochstaplerin hin oder her, in diesem Metier scheint sie am richtigen Platz zu sein.

Falls irgendwer neugierig darauf ist, welche Stelle mich so erheitert hat: Es ging um die Klebestreifen in Damenbinden. Über die habe ich noch nie und nirgends wahrere Worte gehört als die von Nicole Jäger. Das war eine Gelegenheit für ein stilles Dankgebet dafür, daß ich längst jenseits der Wechseljahre bin. Damenbinden gehören zu den Dingen, die ich ü-ber-haupt nicht vermisse.

Es ist eine spannende Frage, ob Nicole Jägers derzeit gesicherter Lebensunterhalt vielleicht sogar gefährdet wäre, falls sie tatsächlich den Dreh mit dem Abnehmen bis zum Normalgewicht doch noch herauskriegen würde, oder ob dies ihren Ruhm im Gegenteil in neue Höhen katapultieren würde. 

Wäre eine normalgewichtige Nicole Jäger noch so komisch, wie sie es jetzt ist? 

Wahrscheinlich wäre ihr das völlig egal. Sie hat ja nicht umsonst mindestens ihr gesamtes Erwachsenenalter lang gegen immer höheres Übergewicht angekämpft. Vielleicht fände sie es ja zur Abwechslung ganz angenehm, keinen Grund zu haben, über sich selbst zu lachen.

Vor vielen Jahren - angeblich um 2007 herum - hat Nicole Jäger sich schon einmal vergeblich um eine Magenverkleinerung bemüht. Damals waren die Krankenkassen noch sehr zögerlich mit den Genehmigungen, aber mittlerweile hat man eher den Eindruck, solche Operationen werden den Leuten geradezu aufgedrängt. Es würde mich gar nicht überraschen, wenn Nicole Jäger im Lauf der nächsten Jahre diese Möglichkeit nutzen würde. Obwohl ich es natürlich viel besser fände, wenn sie das Intervallfasten entdecken würde.

 

 

 

Samstag, 7. August 2021

Überlegungen eines überzeugten Sportverächters

Mein Gewicht heute früh: 95,5 Kilogramm. Schade. Eigentlich hatte ich darauf gehofft, daß ich heute knapp unter 95 liegen würde. Aber da mein Gewicht diese Woche so stur nach jedem Eßtag wieder über 97 gebounct ist, war da wohl nichts zu machen. Jetzt hoffe ich nur, daß ich auch nächste Woche in diesem Bereich zwischen 97,x vor dem Fasten und 95,x nach dem Fasten bleiben werde - es wäre ja doch ziemlich ärgerlich, wenn ich in drei Wochen doch wieder mit mehr als 98 Kilo in das lange Fastenintervall starten müßte, denn ich möchte vor dem Oktober schon noch mindestens einmal ein neues Tiefstgewicht erreichen.

Mein Thema heute: ein paar Überlegungen zum Thema Sport, eine Sache in der die Kalorienzähler und die Low-Carb-Fraktion sich, was sonst selten vorkommt, vollkommen einig sind. Sport treiben ist ein Muß zum Abnehmen, finden die meisten, und diejenigen, die seit Herman Pontzer mitbekommen haben, daß das vielleicht doch nicht ganz so funktioniert, sind jedenfalls der Meinung, in diesem Fall müsse man dennoch Sport treiben, weil das insgesamt wichtig für die Gesundheit sei und das Leben verlängere.

Ich selbst treibe deshalb bekanntlich auch keinen Sport und habe auch nicht die Absicht, daran etwas Wesentliches zu ändern. Einschränkung: Im Januar und Februar werde ich vorübergehend wieder einmal in der Woche EMS-Training machen, aber dies werde ich bewußt zeitlich beschränken, und zwar auf zwei Monate. Ebenso wie mein Low-Carb-Vorhaben im Oktober und November, das ebenfalls zwei Monate dauern soll, ist das ein Test, denn mich interessiert, ob ich bezüglich der Abnahme oder vielleicht auch in anderer Hinsicht eine Wirkung bemerken werde. 

Die Monate von Oktober bis Februar kann und konnte ich ja - und zwar vom ersten Fastenjahr an -  nicht mit einer Gewichtsabnahme rechnen. Im Herbst, also zwischen ca. Mitte Oktober und Mitte November, nehme ich im Gegenteil jedes Jahr ein bis zwei Kilogramm zu. Zwischen Dezember und Februar setzt sich die Zunahme zwar nicht weiter fort, aber vier verdammte Winter lang ist es mir noch niemals gelungen, in diesem Zeitraum Gewicht zu verlieren, obwohl ich ab dem zweiten Winter bewußt dagegen ankämpfte. Ich muß also damit rechnen, daß dies auch im fünften Herbst/Winter wieder passieren wird. Aber das heißt nicht, daß ich bereit bin, mich in dieses Schicksal kampflos zu ergeben - jedenfalls jetzt noch nicht. 

Deshalb diesen Winter die beiden Experiment-Phasen mit Low Carb und mit dem EMS-Training, nach dem Prinzip: "Hope for the best but expect the worst". Ich will also herausfinden, ob eines von beidem - oder vielleicht sogar beides - der zu erwartenden Entwicklung entgegenwirken kann. Also: Verhindert Low Carb - wohlgemerkt: zusätzlich zum Intervallfasten - die im betreffenden Zeitraum zu erwartenden Zunahme oder löst vielleicht sogar eine weitere Abnahme aus? Und: Führt EMS-Training dazu, daß meine Abnahme endlich mal bereits vor dem Monat März einsetzt; dem Monat, in dem ich bislang mit Ausnahme von 2020 in jedem Jahr nach einem zermürbenden Winter wieder angefangen habe abzunehmen?

Ich bin durchaus darauf gefaßt, daß mir dennoch zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 exakt dasselbe passieren kann wie in den vier Wintern davor, und nehme eine etwaige Abnahmewirkung, falls sie eintreten sollte, als erfreuliche Überraschung. Damit ich eine etwaige Wirkung sicher der richtigen Ursache zuordnen kann, muß ich das aber zu getrennten Zeitpunkten machen.

Beides, Low Carb und EMS-Training, werde ich - nach derzeitigem Wissensstand - kaum dauerhaft machen, und damit steht das Experiment eigentlich im Widerspruch zu meiner generellen Herangehensweise, die ja darauf basiert, daß ich nichts anfangen will, von dem ich nicht überzeugt bin, es für den Rest meines Lebens so weitermachen zu können. Aber gleichzeitig nehme ich an, daß ich von einem etwaigen Nutzen durch diese vorübergehenden Experimente dauerhaft profitieren kann, solange ich das Intervallfasten dauerhaft aufrechterhalte. Und ob diese Annahme korrekt ist, will ich ebenso herausfinden wie die Direktwirkung. 

Angenommen nämlich, ich habe mit Low Carb Glück und nehme, anders als in früheren Jahren, auch im Oktober und November jeweils ein Kilo ab, aber dafür dann eben ab Dezember alles Abgenommene plus die üblichen ein bis zwei Kilo wieder zu, dann hat es sich mit Low Carb natürlich trotzdem für immer bei mir erledigt. Im Vergleich zu den früheren Wintern sollte schon ein Netto-Verlust für mich herausspringen. Low Carb kann ich mir dauerhaft aber beim besten Willen nicht vorstellen, egal, wie gut es funktionieren sollte, weil ich einfach gar zu gerne all die Dinge esse, auf die ich dabei verzichten muß - von Brot über Pasta bis zum Kuchen -, und Low-Carb-Twitter zu verfolgen belehrt jeden, daß allen Lippenbekenntnissen zum Trotz das auch den fanatischsten Low-Carblern insgeheim genauso geht wie mir, weshalb es immer mal wieder tränenreiche Bekenntnisse über das eigene Schwachwerden gibt, kombiniert mit feierlichen Schwüren, künftig alles wieder richtig zu machen. 

Etwas, wofür ich mich für den Rest meines Lebens zu etwas zwingen muß, das ich andernfalls nicht tun würde, fange ich gar nicht erst an. Die Beweggründe der Betroffenen, sich trotz gelegentlicher Ausrutscher in die "Kohlenhydrat-Sünde" weiter an Low Carb zu halten, kann ich dabei durchaus nachvollziehen. Die Wirkung von Low Carb war für sie ja ein ganz ähnliches Wunder wie für mich die Wirkung des Intervallfastens im ersten halben Jahr, und ich erinnere mich noch sehr genau daran, was das mit mir gemacht hat. Letztlich hat ja Intervallfasten bei mir und Low Carb bei ihnen alles auf den Kopf gestellt, was sie bis dahin für richtig gehalten hatten. Das hat etwas von einem Erweckungserlebnis, und seine erwiesenen Wundertäter wechselt man nicht so einfach, wie man sein Hemd wechselt. 

Etwas anderes wäre es aber, falls sich vorübergehende Low-Carb-Phasen als wirksame Unterstützung meines Gesamtkonzepts erweisen sollten und ich außerdem - was ich doch hoffen will - kein ernsthaftes Problem damit habe, diese Ernährung während es eines überschaubaren Zeitraums von zwei Monaten aufrechtzuerhalten. In diesem Fall könnte ich so etwas durchaus nächstes Jahr noch einmal wiederholen.

Beim EMS-Training, das ich ja bis März 2020 acht Jahre lang regelmäßig einmal die Woche gemacht hatte, bevor ich Anfang 2020 den Vertrag gekündigt habe, möchte ich eine Anpassung des Stoffwechsels verhindern, wie sie bei dauerhaften Training leider zu erwarten ist, was ich auch schon zu spüren bekommen habe. Letztes Frühjahr war nämlich höchstwahrscheinlich dies der Faktor, der dazu geführt hat, daß meine übliche Abnahme ab März erstmals ausgeblieben ist und eine zehntägige Fastenpause im April zu einer sofortigen Zunahme führte. Später nahm ich zwar über den Sommer hinweg doch wieder ab, aber da ich ab Oktober, so wie immer, wieder zunahm, war das zu wenig, um per saldo übers Jahr eine vernünftige Gewichtsabnahme zu erzielen.

Wäre mir dasselbe dieses Jahr wieder passiert, hätte ich eine andere Erklärung suchen müssen. Da es nicht geschehen ist, nehme ich an, ich habe tatsächlich eine körperliche Reaktion auf weniger Bewegung erlebt, wie sie Pontzer beschrieben hat. So etwas will ich nicht noch einmal erleben, und also kommt für mich EMS-Training als Dauerprogramm nicht mehr in Betracht. 

Als vorübergehendes Vor-Frühlings-Programm sieht die Sache aber anders aus. Acht Wochen Training sollten nach der fast zweijährigen Pause lang genug sein, um körperlich ein paar positive Wirkungen hervorzurufen (neben den Bauchmuskeln bin ich vor allem gespannt, ob sich meine im letzten Jahr doch etwas schwabbeliger gewordenen Oberarme verändern), aber kurz genug, daß sich mein Stoffwechsel noch nicht auf das Training als regelmäßig wiederkehrende Sache eingestellt hat und mich bestraft, wenn ich wieder damit aufhöre. Wie lange so eine Stoffwechselanpassung dauert, kann ich aus der Entwicklung in meinem ersten Jahr EMS-Training ab Februar 2012 rekonstruieren: Als ich mit dem EMS-Training angefangen habe, verlor ich schon in den ersten vier Wochen eine Hosengröße an Bauchumfang; insgesamt waren es zwei, was mich auf Größe 46 brachte. Ca. ein halbes Jahr dauerte es, bis ich keine weiteren physischen Veränderungen mehr an mir bemerkte, also das Plateau erreicht war, und ca. 15  Monate nachdem ich begonnen hatte, wurden mir meine 2012 gekauften Hosen Größe 46 wieder zu eng, also ein halbes bis Dreivierteljahr nach Erreichen des Plateaus.

Vor einiger Zeit gab mir eine Frage im Abnehmen-com-Forum zu denken, als jemand, dessen Gewicht noch ein gutes Stück unter meinem einstigen Maximalgewicht lag, über Schwächegefühl klagte, etwas, was ich selbst in dieser Form nie erlebt habe, nicht einmal in meinen allerfettesten Zeiten. Unbeweglichkeit ja, zunehmende Kurzatmigkeit beim Treppensteigen oder wenn es sonst bergauf ging ja, aber im Prinzip hatte ich offenbar mehr Ausdauer, als man in meiner damaligen Gewichtsklasse erwarten würde. Es ist also nicht auszuschließen, daß ich dies einer gewissen Grundfitness durch das EMS-Training zu verdanken hatte, und wenn das so sein sollte, wäre es vielleicht doch besser, mich nicht komplett davon zu trennen. Vier Wochen fände mein Bauchgefühl etwas zu wenig. Drei Monate kommt mir aber schon wieder zu lang vor. Spontan dachte ich eigentlich an sechs Wochen, aber da ich den Vertrag monatsweise kündigen muß, werden es eben acht Wochen werden, vielleicht kommt auch noch eine neunte dazu, das müßte ich nochmal nachsehen. Das ist auch okay, aber mehr als das sollte es nicht werden.

Das alles sind meiner Meinung nach gute Gründe, um diese acht Wochen EMS-Training jetzt einfach mal auszuprobieren und zu schauen, was dabei passiert. Vielleicht behalte ich das ja als regelmäßige Veranstaltung speziell im Januar/Februar bei. Schade ist es freilich, daß das ausgerechnet bei meinem Anbieter so kompliziert ist mit dem Vertraglichen. Am liebsten wäre es mir, einfach eine Zehnerkarte kaufen und dann vielleicht pro Jahr zweimal fünf Wochen lang trainieren zu können, im Herbst und im ausgehenden Winter. 

Grundsätzlich bleibe ich natürlich dabei, daß Alltagsbewegung für mich im Großen und Ganzen ausreichen muß. Mit dieser Vergötzung von Anstrengung nur um der Anstrengung willen, die mir überall entgegenschlägt, kann ich nicht sonderlich viel anfangen. Wenn ich mich anstrenge, dann soll das schon auch für irgendetwas gut sein oder mit einem Spaßfaktor in Verbindung stehen, der die Anstrengung lohnenswert macht, wie etwa ein Flohmarktbesuch oder eine Wanderung mit einem verlockenden Ziel. Bereits in einem früheren Blogartikel habe ich geschrieben, daß es mir nicht einleuchtet, warum ausgerechnet so viel Bewegung wie möglich am allergesündesten sein soll, nur weil der Mensch physisch darauf eingerichtet ist, sie auszuhalten, sie auszuhalten, wenn er sie nicht vermeiden kann. Ich halte es für unnatürlich, Anstrengungen nicht vermeiden zu wollen. Keine Säugetierart bewegt sich meiner Kenntnis nach, jedenfalls in freier Wildbahn, nur um der Bewegung willen. Raubkatzen etwa liegen tagelang faul herum, nachdem sie größere Beute gemacht und sich sattgefressen haben. 

Wie auch immer, sogar dann, wenn es wirklich so wäre, daß ich mein Leben verlängern könnte, indem ich täglich eine Stunde Sport treibe, würde ich das nicht machen wollen. Denn die 15 Lebenstage pro Jahr, die ich dafür kalkulieren müßte, entsprechen, auf angenommene 70 sportlich aktive Jahre umgerechnet, drei Jahren meines Lebens, die ich mit einer Sache zubringe, die mich langweilt und die ich unangenehm finde. Und wofür? Um mit Glück dann ebenfalls drei Jahre länger zu leben, als ich es andernfalls täte. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich auf diese Weise per saldo mehr angenehm, produktiv und befriedigt verbrachte Lebenszeit gewinnen werde, als ich sie in der Zeit vorher an den Sport verloren habe, erscheint mir definitiv zu gering. Das Risiko, daß man auf diese Weise vor allem unangenehm verbrachte Zeit hingewonnen hat, steigt mit höherem Lebensalter, das man hinzugewinnt, ja an. 

Dieses Thema ist natürlich ein Minenfeld, und ich bewege mich darin mit gebotener Vorsicht. Meine Mutter wird im Oktober 85 Jahre alt, wäre uns im Frühjahr beinahe an einer Lungenentzündung hoppsgegangen und ist mittlerweile wieder fidel und freut sich ihres Lebens, bei nur kleineren Zipperlein, mit denen sie sich arrangieren kann, etwa ihrer Schwerhörigkeit. Nie im Leben würde ich behaupten, daß die letzten drei Jahre ihres Lebens eigentlich genausogut hätten unterbleiben können, und im Gegenteil hoffe ich, daß ich ihr in drei Jahren immer noch eine Geburtstagstorte backen werde, und gerne auch noch etliche Jahre darüber hinaus. 

Aber gleichzeitig läßt sich dennoch auch nicht übersehen, daß die Verheißung, länger zu leben, wenn ich x tue oder y unterlasse, eine ziemliche Mogelpackung ist. Denn wenn man sich anschaut, wie wenig alte Menschen in unserer Gesellschaft - außerhalb von wohlfeilen Sonntagsreden - in Wirklichkeit noch gelten, bin ich mir nicht sicher, ob ich in dieser Gesellschaft wirklich alt sein möchte; "alt" hier verstanden als "alt und gebrechlich". Solange ich mir in allen Alltagsbelangen selbst zu helfen weiß, kann mich die Gesellschaft ja gegebenenfalls kreuzweise, aber ich stelle es mir grauenhaft vor, in einer Gesellschaft wie unserer mit ihrem gräßlichen Nützlichkeitsdenken als nicht offen ausgesprochenem, aber dennoch unzweifelhaften ideologischem Unterbau als "nicht mehr Nützlicher" von anderen abhängig zu sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das bedeutet, daß meine Helfer mir ihre Vorstellung vom richtigen Leben aufzwingen können ... und ich sehe halt auch, daß solche Dinge mit alten Menschen ja tatsächlich geschehen. Bei Corona ist das geschehen, was auch immer man von der monatelangen Isolation der Bewohner von Altenheimen hält: Sie wurden schlicht nicht gefragt, sondern mußten es halt hinnehmen, weil sie gar keine Möglichkeit hatten, es zu verhindern. 

Ein harmloseres Beispiel - das heißt, harmlos ist es nur in der Wirkung, aber nicht in den angewandten Grundgedanken: Neulich las ich, wie ein Sozialunternehmen, das auch Betreiber von Altenheimen ist, ganz stolz schrieb, man habe nun die Ernährung in diesem Altenheimen klimafreundlicher gemacht, will heißen: fleischärmer. Klammern wir an dieser Stelle mal alles aus, was das Für und Wider einer solchen Ernährungsweise betrifft, und ebenso, wie man sich das in der Praxis vorstellen muß, also ob einfach die Stücke Fleisch ein bißchen kleiner ausfallen, die man den Bewohnern - beinahe hätte ich gesagt "Insassen" - zum Mittagessen serviert: Ich wage sehr zu bezweifeln, daß er vorher die Bewohner der Anlagen gefragt hat, ob sie das überhaupt wollen. Da stand wohl mal wieder der Nudging-Denkansatz Pate, und die vermutlich richtige Annahme lautete, daß wohl kaum jemand unter den Altenheimbewohnern sich über das plötzlich so kleine Schnitzel beschweren wird, während man sich gegenüber der jungen Generation (die die Oma bekanntlich sowieso für eine Umweltsau halten), weil das bei denen ja gerade in Mode ist, als superklimabewußte Institution anbiedern kann.

Alt werden ist definitiv nichts für Weicheier, und mir ist klar, daß der Tag irgendwann noch kommen kann, an dem ich nicht mehr imstande bin, für mich selbst zu sorgen, und dann auf Gedeih und Verderb auf die Vertrauenswürdigkeit und den guten Willen Dritter angewiesen sein werde. Wie das ausgehen wird, weiß ich nicht, und auch wenn ich mir deswegen jetzt, mit 56, noch keine schlaflosen Nächte mache: Auch deshalb möchte ich nicht um jeden Preis jeden zusätzlichen Lebenstag ergattern, der mir heute versprochen wird, wenn ich x tue oder y unterlasse, sofern x zu tun oder y zu lassen meine jetzige Lebensqualität beeinträchtigen würde. Der Moment gerade jetzt unerscheidet sich nämlich von dem künftigen dadurch, daß ich beurteilen kann, wie er sich anfühlt, wenn ich x bzw. y tue oder unterlasse, während ich das von dem künftigen nicht sicher sagen kann. Warum ich trotzdem dem künftigen Moment eine höhere Priorität geben sollte, leuchtet mir nicht ein.

Wenn jemand Sport treibt, weil ihm das Spaß macht und zu seinem Wohlgefühl im jetzigen Moment beiträgt, ist das ja eine tolle Sache. Was ich aber nicht akzeptiere, ist, wenn jemand sich mit dem regelmäßigen Sporttreiben selbst quält und schindet und seine eigene Moral nur aufrechterhalten kann, indem er permanent andere Leute abwertet, die sich für das Heil, für das er selbst sich pausenlos selbst überwinden muß, nicht auch vergleichbar anstrengen. Solche Leute sind eigentlich selbst am meisten zu bedauern, aber halt auch für alle anderen unangenehme Zeitgenossen. 

Wer Sport treibt, der entspricht ja nicht nur oft nicht dem Idealbild eines gesunden und glücklichen Menschen, sondern entfernt sich gar nicht so selten sogar weiter von dieser Zielvorstellung. Was ich immer ein bißchen pervers finde, sind zum Beispiel diese Freaks im Optimierungswahn, die den Zustand jedes Muskels unter Dauerbeobachtung halten, sich permanent in bewundernden Reaktionen von Dritten bespiegeln wollen und einen Koller kriegen, wenn irgendeiner ihrer Wert vom Idealzustand abweicht oder wenn die Bewunderung zu sparsam ausfällt, und die sämtliche Körperfunktionen überwachen, quasi als Gegenstück zum Kontrollfreak bei der Ernährung, dem noch zum besten Essen, das gerade vor ihm steht, nichts weiter als eine Kalorienzahl einfällt. Oder die "Sportsüchtigen". Gemeint ist damit, daß Sport auch dann zwanghaft getrieben wird, wenn und obwohl es aus irgendeinem Grund gesundheitlich bedenklich ist, dies zu tun. Ich denke dabei an Leute wie diesen Semi-Prominenten, dessen Namen mir gerade nicht einfällt, von dem ich vor ein paar Jahren mal las, er sei beim Joggen tot umgefallen, nachdem er trotz ärztlicher Warnungen wegen einer Erkrankung es buchstäblich ums Verrecken nicht lassen konnte, wie immer loszujoggen.

So merkwürdig sich das nach all dem, was ich über Sport geschrieben habe, vielleicht anhört, ich genieße es trotzdem, mich zu bewegen - wenn ich das aus den oben genannten aus meiner Sicht vernünftigen Gründen tue. Und das betrifft gerade Bewegungsabläufe, die ich jahrelang nicht mehr oder nur mit so viel Mühe hingekriegt habe, daß ich sie möglichst vermieden habe. Beim Putzen oder wenn ich an meinem Rechner etwas aus- oder einstecken muß unter den Schreibtisch zu kriechen zum Beispiel. Und, hört sich für mich selbst komisch an: bergauf gehen.

Ich erinnere mich noch an zwei andere Gelegenheiten, bei denen ich an den Kleidern gemerkt habe, daß ich zugenommen hatte, weil ich mich weniger bewegt habe. Die eine war ein Bänderriß. Damals bedeutete dies eine OP, vor der man das Bein ruhig halten mußte, und anschließend sechs Wochen Gips. Die zweite war mein Berufswechsel, gleichzeitig auch ein Wechsel ins Home-Office, wodurch mir nichts Weltbewegenderes als der tägliche Weg zur Arbeit an Bewegung fehlte, was bei mir seinerzeit den Wechsel von Kleidergröße 44 in 46 auslöste.

Es ist wohl wirklich so, daß man zunimmt, wenn man sich weniger als gewohnt bewegt. Aber gerade das ist dann ja erst recht kein Grund, sich von vornherein unbedingt so viel zu bewegen, wie man es in seinem Alltag gerade noch unterbringen kann, wenn man abnehmen will. Denn um so höher ist ja die Wahrscheinlichkeit, daß irgendetwas einen dazu bringt oder zwingt, das zu reduzieren, und das rächt sich dann natürlich sofort. Meine Schwester und ihr Mann, beide Briefträger, haben dieses Problem gerade auch, seit sie ihre Arbeitszeit reduziert hat und er in Rente gegangen ist: Beide klagen über eine spürbare Gewichtszunahme, die Klamotten werden zu eng, und ich bin schon jetzt gespannt, ob und wann und wenn ja bei welchem Körpergewicht meine vier Jahre ältere Schwester und ich uns vielleicht einmal treffen werden. Das wäre schon ein Ereignis für mich, denn ich habe mehr als sie gewogen, seit ich zehn war. Ob wir auf unsere alten Tage womöglich noch anfangen, wie die Teenager Kleider zu tauschen? ;-)

Mit der Bewegung ist es, finde ich, wie mit der Ernährung: Man sollte das regelmäßige Bewegungsverhalten nicht auf möglichst hohe Sofortwirkung optimieren, sondern auf genau das Level, das voraussichtlich ohne Probleme und nicht zuletzt auch ohne Widerwillen dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Klar, ein Beinbruch bringt den an dieses Bewegungsverhalten angepaßten Stoffwechsel dann trotzdem aus dem Konzept, aber doch weniger heftig. Darüber hinausgehende größere Anstrengungen haben punktuell und nach Laune eingesetzt, nicht etwa als regelmäßige "Arbeit an der Gesundheit", wahrscheinlich die bessere Wirkung auf das Körpergewicht. 

Ja, aber die Gesundheit? 

Keine Ahnung. Aber diese Ahnung haben die anderen ja auch nicht, und schon gar nicht die Experten. Einstweilen halte ich, was die Gesundheit betrifft, mit den Altersgenossen, die ich so kenne, noch jeden Vergleich aus und wundere mich sogar bei zehn Jahre Jüngern nicht gerade selten darüber, was die alles schon an Medikamenten nehmen müssen. Falls es sich eines Tages herausstellen sollte, daß ich es auf meine Weise dennoch falsch mache, werde ich jedenfalls keinem anderen die Schuld daran geben, falls ich vorzeitig den Löffel abgeben muß. 








Mittwoch, 4. August 2021

Experten, die ich nicht einmal nach der Uhrzeit fragen würde: die Ernährungs-Docs

Mein Gewicht heute früh: 97 Kilogramm exakt, damit auch exakt 50 Kilogramm Gesamtabnahme schon vor dem heutigen Fastentag. Das bestätigt mir, daß mein vorgestriges Gewicht in etwa realistisch gewesen sein muß, denn beim täglichen Wechsel zwischen Fasten- und Eßtagen an Werktagen ist das typisch, daß der Vorher-Wert im Lauf der Woche an jedem neuen Fastentag etwas niedriger ist als am vorherigen. Das war in den letzten zwölf Monaten anders, weil ich da meistens zwei Eßtage zwischen den beiden Fastentagen hatte, da fing ich am zweiten Fastentag der Woche wieder ungefähr mit demselben Gewicht an wie am vorherigen.

Die drei Fastentage im Wechsel, die früher mein Normalprogramm in den Spätschichtwochen meines Mannes waren, habe ich jetzt schon lange nicht mehr gemacht (stattdessen entweder mehrere Fastentage am Stück oder ebenfalls zwei Fastentage mit zwei Tagen dazwischen) und bin schon gespannt, was das mit meiner Gewichtsentwicklung machen wird. Zwar bin ich letztes Jahr wegen der besseren Wirkung auf die mehrtägigen Fastenintervalle umgestiegen, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß mein Stoffwechsel sich in dieser Zeit so umgewöhnt hat, daß ich ihn mit dieser neu-alten Variante so überrasche, daß er vor Schreck doch wieder ein Pfund oder so runtergeht.

Ein Nachklapp zu der Kalorienfrage: 

In letzter Zeit habe ich eine Reihe von Vorträgen im "Adipositas Channel" auf YouTube gesehen, dabei fiel mir dieses Video hier auf, weil der Referent, Dr. Jens Aberle mit solchem Nachdruck darauf verwiesen hat, daß die Wirkung von Schlauchmagen/Magenbypass-OPs auf das Körpergewicht ganz eindeutig die theoretische kalorienbasierte Abnahme übersteigt und dies auf hormonelle Ursachen zurückführt. Ist das dann aber nicht eigenartig, daß diese hormonellen Einflüsse auf das Körpergewicht zwar in Zusammenhang mit solchen Operationen mittlerweile, jedenfalls von den einschlägigen Fachmedizinern, anerkannt werden, aber daraus nicht die Schlußfolgerung gezogen wird, daß die vorherige Gewichtsentwicklung auch hormonell bedingt sein könnte und man dieser Frage vielleicht einmal nachgehen sollte? 

Wissenschaft und Medizin haben an dieser Stelle wohl eine Art blinden Fleck, auch der eigentlich sympathisch wirkende Dr. Aberle. Das Video lohnte sich aber auch für einen Verächter von Magenverkleinerungen wie mich, weil viele Faktoren, die Dr. Aberle in Zusammenhang mit der Entwicklung nach diesen OPs beschreibt, mit diesen hormonellen Einflüssen zusammenhängen dürften und somit auch bei einer hormonbasierten Gewichtsreduktion anderer Art eine Rolle spielen könnte. Kann gut sein, daß ich mir das Video noch einmal genauer anschaue und mir dazu ein paar Notizen mache. 

Ich habe in letzter Zeit eine Reihe anderer Videos gesehen, die ich eher ärgerlich fand, und viele habe ich dann auch nicht ganz zu Ende geschaut. Manchmal wundere ich mich darüber, daß ich mir überhaupt von albernem Kram wie etwa dieser Folge der "Ernährungs-Docs" die Zeit stehlen lasse. Ich habe freilich breit gegrinst, als zu Anfang des Videos das Ernährungsprotokoll des Patienten, Christoph Freiburger, erörtert wurde. An einem normalen Eßtag nehme ich nämlich eher mehr als weniger als dieser Mann zu mir. Anders ist zum einen die zeitliche Verteilung - es sind weniger Mahlzeiten und längere Phasen ohne Essen -, und Gelegenheit, Fast Food zu mir zu nehmen, habe ich von vornherein kaum, dafür koche ich zu gut und zu reichlich.

Wenn diese Videos sonst zu nichts gut sein sollten, dann bestätigen sie mir immerhin, daß ich nicht so falsch liegen kann mit dem, was ich mache, da es ja funktioniert - und ich wage zu bezweifeln, daß der Herr Freiburger das ebenfalls von sich behaupten kann. Was mir im übrigen leid für ihn tut, denn er macht einen netten Eindruck und ich würde ihm einen Erfolg von Herzen gönnen.

Die Ernährungs-Docs, die ich heute zum ersten Mal gesehen habe, sind bei mir wegen genau dieses Films gründlich und auf Dauer durchgefallen, denn kaum etwas nehme ich so übel wie Versuche, mich absichtlich hinters Licht zu führen, und das tut dieser Film. Es ist nämlich eine ziemliche  Frechheit, Wasserstandsmeldungen nach fünf Monaten (!) als eine Art Happy End zu präsentieren. Jeder Mediziner, der in der Praxis mit Abnehmenden zu tun hat, weiß schließlich ganz genau, daß die Probleme mit Stagnation und Wiederzunahme bei der Mehrheit der Patienten - jedenfalls bei denen, die brav mittun - erst nach sechs Monaten einsetzen. Deshalb glaube ich auch nicht daran, daß das Timing ein Versehen gewesen ist, das guten Glaubens in ein bevorstehendes Happy End für den Patienten geschehen ist, sondern unterstelle einen wissentlichen Täuschungsversuch, der ja wahrscheinlich bei den meisten Zuschauern gelungen sein dürfte. 

Natürlich hat es mich interessiert, wie es mit Christoph Freiburger weitergegangen ist, also fragte ich Tante Google.

Der Film wurde im Dezember letzten Jahres ausgestrahlt. Da in ihm niemand eine Maske trägt, läge es eigentlich nahe, davon auszugehen, daß hier der Stand vom Sommer 2019 gezeigt wurde. Aber ich sah ein Video vom Frühjahr 2020, das ziemlich eindeutig noch den "Vorher-Christoph" zeigt, somit müßte das, was bei den Ernährungs-Docs gezeigt wurde, doch der Stand Sommer 2020 sein. Ein Foto von Herrn Freiburger aus dem Frühjahr dieses Jahres zeigt zwar den Nachher-Christoph aus dem Film, der aber seit den Filmaufnahmen mit seiner Abnahme nicht nennenswert weitergekommen zu sein scheint, wie das leider ja auch zu erwarten war. 


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Gestern habe ich meine zweite Corona-Impfung bekommen; diesmal Biontech nach der Erstimpfung mit AstraZeneca. Und diesmal hatte ich auch eine Impfreaktion zu verzeichnen, nämlich Schmerzen im linken Arm, wo ich den Pieks reinbekommen habe, beginnend ca. sechs bis sieben Stunden nach der Impfung, die inzwischen wieder deutlich nachgelassen haben, aber die ganze Zeit problemlos auszuhalten waren. 

Das Gezeter um die Impfquoten - und das hatte ich schon vorher gewußt, daß das passieren würde - geht mir zunehmend auf die Nerven. Wie bekloppt war das eigentlich, einerseits von Impfquoten von 85 Prozent zu phantasieren, so als wären die wirklich realistisch, wenn andererseits die Impfung der unter 18jährigen insgesamt nach wie vor in Frage gestellt wird? Die unter 18jährigen machen fast zwanzig Prozent der Bevölkerung aus, also ist es rechnerisch unmöglich, ohne sie auf 85 Prozent zu kommen, auch dann nicht, wenn es gelänge, 100 Prozent aller Erwachsenen von einer Impfung zu überzeugen, was natürlich utopisch ist. 

Aber auch 85 Prozent aller Erwachsenen halte ich ohne Zwangsmaßnahmen für kaum zu schaffen. Wenn man sich die Vorreiterländer anschaut - diejenigen, mit denen Deutschland das ganze Frühjahr über verglichen wurde, ein Vergleich, der immer deutlich zu unseren Ungunsten ausfiel -, dann haben wir nämlich schon jetzt ziemlich zu ihnen aufgeschlossen und die USA sogar überrundet. 

Ich nehme an, am Ende werden sich unsere Impfquoten tatsächlich im internationalen Vergleich in der Spitzengruppe wiederfinden. Aber kann man dabei bitteschön dennoch ein bißchen realistisch bleiben?

Ich habe heute mal nachgesehen: Von den über 60jährigen haben mittlerweile tatsächlich mehr als 85 Prozent mindestens eine Erstimpfung und mehr als 80 Prozent bereits beide. Bei den 18- bis 59jährigen sind es 62 Prozent Erstgeimpfte und knapp über 53 Prozent, die beide Impfungen haben. Ich schätze, 70 Prozent plus x werden wir in dieser Altersgruppe schon noch erreichen. Am Ende wird es aber wohl darauf ankommen, wie hoch die Impfquoten bei den 12- bis 18jährigen ausfallen, um zu entscheiden, ob die Gesamt-Impfquote näher an 70 oder näher an 80 Prozent liegen wird. 

Aktuell gibt es weltweit aber nur wenige Länder mit einer Impfquote über 70 Prozent bei der Erstimpfung (Kanada etwa gehört dazu), darunter nur zwei, bei dem die 80 Prozent auch nur in näherer Reichweite sind, nämlich die Vereinigten Arabischen Emirate und Island. 

Die Meßlatte von 85 Prozent hängt weltweit erkennbar für die allermeisten Länder zu hoch. Entweder Impfquoten von 70 Prozent plus ein bißchen was reichen für die berühmte Herdenimmunität aus ODER man akzeptiert die Krankheitsfälle, die ohne Herdenimmunität entstehen, ODER man entscheidet sich für Zwangsmaßnahmen. Das sind, Stand heute, die bestehenden Optionen, und über die muß gesprochen werden. In meiner Zeitung wurde heute tatsächlich auch schon nach einer Impfpflicht gerufen. An sich ist das absolut legitim, es ist ja eine der drei Möglichkeiten; es gibt Argumente, die dafür sprechen, ebenso, wie es welche gibt, die dagegen sprechen, und es ist ja das Wesen einer öffentlichen Debatte, daß Für und Wider in so einer Sache zur Sprache kommen und begründet werden. 

Geärgert hat mich freilich maßlos, daß der Autor so tat, als wäre irgendetwas daran erstaunlich, daß "... fast jeder Zweite noch nicht vollständig geimpft" sei. Immerhin ist es gerade mal einen Monat her, da mußte man sich den Weg zur Erstimpfung noch mehr oder weniger mit der Machete freiräumen, wer dabei gar zu unzimperlich vorging, wurde als "Impfdrängler" gescholten, die manche Leute, womöglich ja auch der Autor meines Zeitungsberichts, am liebsten mit schweren Strafen belegt hätten. Diejenigen, die - wie ich - sich zum erstmöglichen Zeitpunkt, als die Impfdrängler- und nicht zuletzt auch die Impfstoffmangeldebatten endlich aufhörten, um eine Erstimpfung gekümmert haben, sind jetzt gerade erst frisch zweitgeimpft. Es gibt aber auch noch genügend Erstgeimpfte aus der Zeit vor meiner eigenen Erstimpfung, die einen Zweitimpfungstermin mit einem Zeitabstand von drei Monaten bekommen haben. Bestimmt hat ein Teil von denen die Zweitimpfung vorverlegt, aber ebenso sicher waren das nicht alle.

Und bei den unter 18jährigen fängt man ja jetzt überhaupt erst an mit den Erstimpfungen. Wo zum Teufel sollten also schon jetzt mehr als knapp über 50 Prozent Zweitgeimpfte herkommen? 

Utopische Wunschvorstellungen wie diese 85 Prozent Impfquote als angeblich erreichbar darstellen, wie es auch dieser Journalist getan hat, ist eher kontraproduktiv, weil es nämlich der Glaubwürdigkeit schadet. Von einem Journalisten, der seine Arbeit ordentlich macht, erwarte ich das einfach, daß er  eine Meinungsäußerung nicht einfach aus dem hohlen Bauch heraus macht, sondern vorher die zugrundeliegenden Fakten checkt. Ich erwarte, daß er dabei auch imstande ist, das zu tun, was ich unbezahlt ebenfalls mit nur ein paar Mausklicks tun konnte. Nämlich mir einmal die Impfquoten anderer Länder anzuschauen, insbesondere der USA, UK und Israel, die sich ja Anfang des Jahres fast den Fuß ausgerissen haben, um möglichst schnell zu impfen. Es sieht im Moment bei keinem dieser Länder so aus, als könnten sie es auf eine Impfquote bringen, die auch nur in der Nähe von 85 Prozent liegen wird. 

Ich erwarte außerdem, daß diesem Journalisten dabei bewußt wird, daß das, was die Amis, die Briten und die Israelis nicht ohne weiteres hinkriegen, bei uns womöglich auch die Meßlatte zu hoch legen wird. 

Die Argumente pro Impfpflicht dieses Autors wären ohne diesen Schnitzer legitim. Aus meiner Sicht wiegen die Argumente kontra Impfpflicht allerdings um einiges schwerer. Mit den verbleibenden Coronafällen mit schwerem Verlauf muß eine Gesellschaft genauso leben können, wie sie auch mit den - vor einer Impfmöglichkeit immer zu Unrecht als Vergleichsbeispiel angeführten, aber jetzt zutreffenden - Grippefällen mit schwerem Verlauf schon die ganze Zeit leben konnte. Ja, es ist eine staatliche Aufgabe, das Leben und die Gesundheit seiner Bürger zu schützen. Gleichzeitig kann es aber keine staatliche Aufgabe sein, jeden möglichen Todesfall um jeden Preis zu verhindern. Das wäre uferlos und der Versuch würde meiner Meinung nach früher oder später ins Gegenteil umschlagen, weil staatliche Handlungsfähigkeit nun einmal nicht grenzenlos ist. Nicht zuletzt wäre ich strikt dagegen, sich so in die Filigranarbeit dieser selbstgewählten Schutzaufgaben zu verbiestern, daß staatliche Kernaufgaben, die NICHT an die Eigenverantwortung der einzelnen Bürger delegiert werden können, darüber vernachlässigt werden und an anderer Stelle negative Wirkungen mit sich bringen, die sich fast immer auch in der einen oder anderen Form in negativen gesundheitlichen Wirkungen niederschlagen.

Was mir fehlt, ist eine öffentliche Debatte, an welchen Stellen aus welchen Gründen die Grenze der staatlichen Eingriffspflicht (was gleichzeitig auch bedeutet: des staatlichen Eingriffsrechts) zu ziehen wäre, denn schon bei der Einführung der Masernimpfpflicht war ein solcher Maßstab beim besten Willen nicht mehr zu erkennen. Gerade heute las man wieder darüber, daß der Übersterblichkeit durch Corona letzten Herbst und Winter eine geringere Sterblichkeit an manchen anderen Krankheiten, vor allem Infektionskrankheiten gegenüberstand. Ursache war mutmaßlich die Maskenpflicht. Mit demselben Argument, mit dem jetzt nach einer Impfpflicht gerufen wird, könnte man also ebenso nach einer dauerhaften Aufrechterhaltung der Maskenpflicht zum Schutz gegen Grippe und sonstige Infektionskrankheiten rufen. Das schützt schließlich auch Menschenleben! 

Falls das passieren sollte, hätten sich die bösen Vorahnungen der Covidioten mindestens in einem Punkt als korrekt erwiesen, und das würde mich fast noch mehr ärgern als eine dauerhafte Belästigung durch das Maskentragen - Brillenträger wissen, was ich damit meine -, das ich bislang klaglos akzeptiert habe, aber keineswegs für den Rest meines Lebens akzeptieren müssen will.