Freitag, 30. September 2022

Das Zeitalter der hungrigen Geister

Mein Gewicht heute früh nach vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 81,7 Kilogramm - neues Niedrigstgewicht, ungefähr im erwarteten Bereich. Sehr erfreulich. So darf es weitergehen.

Gerade habe ich vergeblich versucht, meinen aktuellen Gaszählerstand meinem Gasanbieter online zu übermitteln. Aus irgendwelchen Gründen kommt dauernd eine Fehlermeldung. Ich hoffe sehr, daß das später klappen wird. Solcher Kleinkram, der theoretisch in fünf Minuten erledigt sein könnte, aber aus irgendwelchen Gründen häufig nicht auf Anhieb funktioniert und mir dann das Zehnfache an Lebenszeit stiehlt, nervt mich ganz besonders.

Auch mein Gasverbrauch hat sich aber als erfreulich herausgestellt. In den letzten zwölf Monaten benötigte ich 712 cbm Gas, in den zwölf Monaten davor waren es 879. 167 cbm Gas entsprechen 1741 Kilowattstunden. Da werde ich wohl pi mal Daumen um die 200 Euro plusminus ein bißchen was von meinen Vorauszahlungen zurückbekommen, und außerdem dürften auch meine Vorauszahlungen auch verringert werden, denen liegt nämlich als Kalkulationsgrundlage ein Verbrauch von knapp über 900 cbm, also mehr als 20 Prozent mehr, als ich wirklich verbraucht habe, zugrunde.

Das hat natürlich zum Teil mit dem milden Winter zu tun, aber nicht nur. Wenn ich nämlich nur die Monate April bis September vergleiche, in denen die Heizkosten nur am Anfang und am Schluß und dann auch nur eine Nebenrolle spielen, dann waren es letztes Jahr 115 cbm Verbrauch, und dieses Jahr 93. Ich schätze, der kleine elektrische Clage-Durchlauferhitzer in der Küche, den ich ja erst zwei Monate lang benutze, ist in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen, das könnte durchaus im Monat einen Kubikmeter hin oder her ausmachen. Jetzt, wo die Heizperiode beginnt, geht das natürlich im Heizverbrauch unter, aber im September hätte ich eigentlich auch ohne Heizung mit einem Kubikmeter mehr rechnen müssen.

Besonders erfreulich daran ist, daß die Tätigkeit des Durchlauferhitzers so wenig Strom verbraucht, daß man diesen Zusatz-Stromverbrauch gar nicht bemerkt. Kurz vor dem Durchlauferhitzer habe ich ja die neue Kühl-Gefrier-Kombi angeschafft, und man sollte echt nicht glauben, wie groß der Satz nach unten beim Stromverbrauch geworden ist. Im August lag ich knapp über einer Kilowattstunde pro Tag niedriger als im Vorjahr (also übers Jahr gerechnet ein Minus von ca. 370 kWh zu meinem vorherigen Verbrauch), und im September waren es überraschenderweise sogar beinahe 1,5 Kilowattstunden am Tag (das wären dann in einem kompletten Jahr verblüffende 550 kWh), obwohl ich - weil ich die Heizung grundsätzlich immer erst zum 1.10. auf Winterbetrieb umstelle und es in den letzten zwei Wochen so arschkalt war - während der Arbeit auf mein praktisches Heizkissen zum Umbinden zurückgegriffen habe, das mir ja schon Anfang März nach dem Ableben meiner alten Therme so gute Dienste geleistet hatte. 

Das hat prima funktioniert, obwohl ich anfangs meine Zweifel hatte, weil ich ja über den Sommer so extrem infektanfällig gewesen bin - und falls ich krank geworden wäre, hätte ich natürlich die Heizung doch vorzeitig angestellt. Aber kurioserweise hatte ich in dieser Hinsicht in den letzten zwei Wochen keinerlei Problem. 

Spannend wird jetzt die Heizperiode, denn eigentlich sollte die neue Therme sich dann auch günstig auswirken. Aber wegen des milden letzten Winters kann ich auch nicht ausschließen, daß mein Gasverbrauch im Falle eines durchschnittlichen bis strengen Winters (by the way: Hatte man uns nicht eine Erderwämung versprochen?) genauso hoch oder vielleicht sogar höher sein wird. Das werde ich mit Interesse beobachten. 

Geärgert hat mich in diesem Zusammenhang ein Tweet des Präsidenten der Bundesnetzagentur.

Daß Herr Müller dies als schlechte Nachricht zu verkaufen versucht, betrachte ich als schlechten Witz: Temperaturen, die eher Mitte/Ende Oktober typisch sind, haben NICHT dazu geführt, daß der Gasverbrauch privater Haushalte in KW 37 und 38 auf Werte gestiegen sind, die dem Durchschnitt von KW 41 und 42 entsprechen, wie das eigentlich unter solchen Umständen zu erwarten war, sondern entsprachen typischen Mitte-bis-Ende-September-Werten bei typischerweise viel höheren Außentemperaturen, obwohl es gerade so viel kälter ist. Das halte ich für keine schlechte, sondern eine gute Nachricht: Die Leute nehmen die Sache mit dem Gas-Sparen offenbar ernst.

Der Temperatursturz in grafischer Darstellung - geklaut aus einer Antwort an Herrn Müller: 

Falls wir über Oktober typische Oktobertemperaturen bekommen - also sie ungefähr so bleiben, wie wir es seit zwei Wochen schon haben, und der Wetterbericht deutet an, daß es genau so kommen wird -, wird der Gasverbrauch dann vermutlich deutlich unter dem Vorjahresverbrauch bleiben ... und alles ist wieder gut.

Jedenfalls vorerst. Denn ohnehin viel entscheidender als der September und der Oktober sind die Monate Dezember bis Februar: Dann liegt der Verbrauch vier- bis fünfmal so hoch wie jetzt. Sollten wir DANN deutlich unter dem Vorjahresverbrauch bleiben können, hat das viel mehr Einfluß als der Ausreißer nach oben in KW 38, den jetzt Herr Müller ohne jeden vernünftigen Grund als Vorwand für unbegründete Panikmache genutzt zu haben scheint - denn trotz dieses Verbrauchs und trotz des russischen Lieferstopps gibt es immer noch tagtäglich ein wenn auch kleines Plus beim Füllungsstand der Gasspeicher, die außerdem bereits zu mehr als 91 Prozent gefüllt sind. Falls der aktuelle Verbrauch bis zum 1.11. konstant bleiben sollte - was zu erwarten wäre, falls die Temperaturen im Oktober durchschnittlich ausfallen sollten -, werden wir im nächsten Monat täglich mit höheren Füllungsständen der Speicher rechnen können. In früheren Jahren war das nicht so, da bei Außentemperaturen, wie wir sie diesmal Ende September hatten, normalerweise immer ein wenig Speichergas entnommen werden mußte. 

Wer direkt an der Quelle recherchiert, kann so etwas herausfinden.

Was zum Teufel erwartet dieser Mensch also von uns? Sollen wir glauben, von uns würde verlangt, auch bei Minusgraden die Heizung noch auszulassen? Aber wozu sollte das gut sein? 

Ob unsere Einsparbemühungen ausreichend sind oder nicht, läßt sich Anfang bis Mitte November sehr viel besser prognostizieren als jetzt, und falls es dann Grund zur Sorge wegen der Entwicklung des Gasverbrauchs geben sollte, wäre dann der richtige Moment, um "Der Wolf kommt" zu rufen. Nur, wen wird das dann noch interessieren, falls wir uns jetzt den ganzen nächsten Monat dieses "Der Wolf kommt" immer wieder anhören müssen?

Wir haben in diesem Land eindeutig ein Kommunikationsproblem, und das hat damit zu tun, daß wir es nicht mehr gewöhnt sind, konkrete Probleme akut und effektiv lösen zu müssen. Krisenkommunikation funktioniert dann nicht mehr so, wie man es sich in den für die Jahrzehnte zuvor typischen andersartigen Probleme mit längerem Zeithorizont (Klima etc.) angewöhnt hatte und für wirksam gehalten hat - obwohl ich dieses "Du tust sowieso nie genug, um uns zufriedenzustellen, also lassen wir mit dem Druck auf dich niemals nach" auch in diesem Zusammenhang für kontraproduktiv halte, nur kann man die Nebenwirkungen dann leichter ignorieren. 

In einem Buch über tibetischen Buddhismus stieß ich einmal auf die Inkarnationsstufe der "hungrigen Geister". Sie zeichnet aus, daß die Menschen, die in ihr wiedergeboren werden, völlig menschlich, aber mit nichts und auf keine Weise zufriedenzustellen sind. Ich bin kein Buddhist, aber dieses Konzept hat sich mir so eingeprägt, daß mein Mann und ich schon jahrelang diesen Begriff "hungrige Geister" verwenden, um das entsprechende Verhalten bei jemandem zu bezeichnen, denn solche Leute gibt es ja verflixt viele. Aber eigentlich könnte man es auch übergreifend sehen, denn so, wie manche Menschen niemals zufriedenzustellen sind, gibt es auch Institutionen, die sich so verhalten, und die einfach nicht aufhören wollen, an einem herumzuzerren. Vielleicht leben wir gerade in einem Zeitalter der hungrigen Geister?

Bestimmt gäbe es noch an der einen oder anderen Stelle ein zusätzliches Einsparpotential beim Gas zu heben, aber solche dramatisierenden Übertreibungen helfen dabei überhaupt nicht. Sie sind außerdem unfair und könnten deshalb unter Umständen sogar nach hinten losgehen. Ich jedenfalls reagiere fast immer ziemlich sauer, wenn meine Bemühungen so wenig wertgeschätzt werden, wie das Herr Müller macht, indem er uns wahrheitswidrig als Verschwender darstellt, obwohl er der Sachlage nach allen Grund hätte, uns im Gegenteil für unsere gute Einsparleistung zu loben. Je nach den Umständen stelle ich bei einem so ungerechten Feedback meine Bemühungen zuweilen auch ganz und gar ein. 

Das mache ich diesmal nicht, aber ich mache es nicht wegen, sondern trotz Herrn Müllers. Aber kann man sich darauf verlassen, daß andere Leute, die sich ebenfalls von ihm in ehrabschneiderischer Weise abgekanzelt fühlen, das genauso machen werden?  

Es gibt freilich einen viel bedeutsameren Faktor als die fehlgeleiteten erwachsenenpädagogischen Bemühungen der Bundesnetzagentur: die Energiekosten bieten mehr als genug Anreiz zum Energiesparen. Die Energielage ist aktuell ein typisches Gesprächsthema, und es gibt niemanden in meinem Bekanntenkreis, der sich über seinen Energieverbrauch noch keine Gedanken gemacht und in der Regel auch schon das eine oder andere unternommen hätte. Es gibt verblüffend unterschiedliche Herangehensweisen, von denen aber die meisten tatsächlich zu einer Energieeinsparung führen können. Ein Austausch von Tipps unter den Leuten bringt deshalb wahrscheinlich mehr als Herrn Müllers gesammelte Moralpredigten. Ich erlebe es nämlich auch immer wieder, daß jemand meine persönlichen Lieblings-Spartipps noch nie zuvor irgendwo gehört hatte und sie nun mit großem Interesse vernahm. 

Wieso ist dann aber bei der Bundesnetzagentur noch niemand auf die Idee gekommen, eine gut moderierte Diskussionsplattform zum Austausch über die eigenen Energiesparbemühungen einzurichten - um eigene Erfahrungen weiterzugeben und um bei anderen Rat zu suchen, falls man nicht weiß, wie man das anfangen soll -, und stattdessen läßt sie ihren Präsidenten (!) bei Twitter als Bußprediger auftreten, der die Leute dazu zu animieren versucht, sich selbst zu peitschen? 

Typisch öffentlicher Dienst. Wenn ich mit meinen Ressourcen so ineffizient umgehen würde, käme ich auch bei gar nichts auf einen grünen Zweig.