Montag, 19. Dezember 2022

Es gibt keine Krebsdiät. Aber das ist nur die halbe Geschichte.

Mein Gewicht heute früh: 90,1 Kilogramm. Das hatte ich mir doch fast gedacht: Eine volle Woche lang 89,6 plusminus 100 Gramm, aber kurz vor dem Start des Fastens rutsche ich doch wieder über die 90. Deshalb habe ich entschieden, schon heute mit dem Fasten anzufangen, zumal mein Mann ohnehin Spätschicht hat und ich außerdem fast nichts mehr im Kühlschrank habe und keine Lust habe, vor dem Fasten dann nochmal einzukaufen.

Ausnahmsweise gibt es diesmal also ein Fünf-Tage-Fastenintervall. Mal sehen, wie sich das mit der Chemo verträgt - aber da die vier Tage so unproblematisch waren, werden fünf bestimmt auch kein Problem sein.

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Twitter ist meine bevorzugte Plattform, um aktuelle Informationen möglichst rasch zu bekommen. Aber ein brauchbares Diskussionsmedium ist es eindeutig nicht. Im Grunde halte ich Twitter, auch wegen der Zeichenbegrenzung, sogar für eine noch schlimmere Zuspitzungsmaschine als Facebook. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn Elon Musk Twitter gegen die Wand fahren würde, und dann wäre Schluß damit. Obwohl ich es mit Sicherheit vermissen würde.

Mein jüngster Twitterfrust fing hiermit an: 

Warum Dr. Schmitz mit diesem Satz in eine ohnehin schon gehirnzellenschreddernd niveaubefreite Homöopathie-Debatte hineingrätschen zu müssen glaubte, ist mir echt schleierhaft, zumal der Tweet, auf den er reagierte, zu den - für sich alleine genommen - noch vernünftigeren des Teilnehmers NanakiXIIIR zählte und er damit ja sowieso keine "Krebsdiät" promoten wollte (erkennbar an der Einschränkung durch "eher" und "sicherer"), sondern sich vor allem gegen die Unterstellung verwahrte, er bilde sich ein, eine Krebstherapie ließe sich durch homöopathischen Heilmittel (aka "Zuckerkügelchen") ersetzen. 

Eigentlich sollte man ja meinen, eine solche Einschränkung, die ja für einen gesunden Selbsterhaltungstrieb spricht, müßte jeden anständigen Mediziner freuen. Denn ob irgendwer daran glaubt, daß er seinen Schnupfen oder seine Kopfschmerzen mit Zuckerkügelchen wirkungsvoll bekämpfen kann, ist meines Erachtens für einen Verfechter von Wissenschaftlichkeit noch lange kein Grund zu hyperventilieren, dazu benötigt man außerdem noch einen Hang zu moralinsaurer Prinzipienreiterei.

Nachdem ich mir ein Urteil darüber gebildet hatte, was für wirres Zeugs der Auslöser dieser klebrigen Schlammschlacht (Diskussion mag ich das nicht nennen) sonst noch so postet, nahm ich davon Abstand, mich auf Twitter einzumischen. Trotzdem nagt die Sache immer noch an mir, weil mir so unangenehm aufstieß, daß auch Dr. Schmitz selbst mit der kaum weniger gehirnerweichenden Blödheit und der außerdem oft ins Abstoßende abgleitenden Gehässigkeit eines nennenswerten Teils seiner Follower offenkundig gar kein Problem hat. Das finde ich sehr typisch für die sozialen Medien bzw. es kommt dort jedenfalls besonders deutlich zum Vorschein: Die Extrempositionen und offenkundige Wirrköpfe auf der eigenen Seite erhalten von den differenzierter Denkenden, die sich dem entsprechenden "Meinungslager" zugehörig fühlen, fast immer mindestens stillschweigendes Wohlwollen und erstaunlich oft sogar positives Feedback.

In den aufgeregten Debatten um den unheilvollen Einfluß der sozialen Medien auf die Meinungsbildung ist immer nur von Algorithmen die Rede, aber dieses Phänomen wird merkwürdigerweise nie erwähnt, obwohl es in allen Themenbereichen ein leicht erkennbares Muster ist. Es gab mal eine Zeit, in der ich neugierig genug war, um herausfinden zu wollen, ob es irgendwie möglich ist, die "Vernünftigen" innerhalb eines Meinungslagers dazu zu bringen, sich für die Deppen auf ihrer eigenen Seite selbst mitverantwortlich zu fühlen und ihnen wenigstens bei ihren schlimmsten Auswüchsen zu widersprechen, aber das scheint eine gruppendynamische Unmöglichkeit zu sein. Kein Wunder also, daß sich vor allem in weltanschaulich (mit-)motivierten Gruppen das Meinungsbild nahezu immer schleichend zu immer radikaleren Positionen verschiebt. Das passiert nicht nur in Online-Foren und sozialen Medien, aber dort kann man es besonders gut beobachten. Im Falle von Twitter kommt, wie erwähnt, als zusätzlicher zuspitzender Mechanismus die Zeichenbegrenzung hinzu, die billige Pointen begünstigt und differenzierte Meinungsäußerungen erschwert, aber ganz grundsätzlich halte ich die Wirkung der Algorithmen für überschätzt, weil die wohlwollende Toleranz der differenzierter Denkenden gegenüber den Vollidioten und den Fanatikern des eigenen Meinungslagers noch nicht einmal unterschätzt, sondern meist sogar komplett ignoriert wird.

Dr. Schmitz macht auf mich aber keinen radikalen Eindruck. Ich nehme an, er zählt zu denen, für die das Thema Homöopathie wie ein Reißnagel auf dem Stuhl wirkt, auf den er sich gerade niedergelassen hat. Ähnlich, wie ich mich nur schwer beherrschen kann, wenn von Nudging die Rede ist. Vielleicht war das mit der Krebsdiät dann vor allem einem bereits gestiegenen Blutdruck zuzuschreiben.

In der Sache bin ich mit dem Satz "Es gibt keine Krebsdiät" im Großen und Ganzen auch einverstanden. Das gilt auch bezogen auf Keto bzw. Low Carb, was auch immer für andere positive Wirkungen es haben mag. (Die Ketose als Faktor halte ich aber für generell eher überschätzt, im Gegensatz zur spürbaren wie meßbaren Wirkung, wenn ich vorübergehend Low Carb esse, hat sie bei mir nie irgendeinen erkennbaren Unterschied gemacht.) Das gilt aber für die Krebsprävention ganz generell in derselben Weise. Dr. Schmitz könnte ja sicherlich mehr als genug Fälle von jungen, schlanken, sportlichen und bewußt gesund lebenden Patienten aufzählen, die dennoch an Krebs erkrankten. Sobald jemand aber Krebs hat, spielt es keine Rolle mehr, ob er ihn "wegen seiner Sünden wider die Prävention" bekommen hat oder "trotz seiner bewiesenen Tugendhaftigkeit". Es gibt keine Zauberformel, mit der man sich davor schützen kann, daß alle Anstrengungen und Verzichtleistungen, die von Krebs schützen sollten, am Ende doch für'n Arsch gewesen sind.

Nachdem ich meine Krebsdiagnose bekommen hatte, fand ich es interessant, wie reflexartig auf einmal alle Ärzte auf sogar die leiseste Andeutung reagieren, die so gedeutet werden kann, daß man gerade nach einer eigenen Schuld für die Krankheit sucht, und dem dann mit Nachdruck widersprechen zu müssen glauben. Ich fühlte mich damit zwar mißverstanden, denn wenn irgendwer ganz bestimmt nicht die Absicht hat, als bislang bekennende fröhliche Sünderin nun unter Tränen Buße tun und Asche auf das momentan haarlose Haupt streuen zu wollen, dann bin das wohl ich. Nachdem ich mich aber seit Jahrzehnten gefühlt an jedem einzelnen Tag meines Lebens gegen das geradezu gehirnwäscheartige ständige Einhämmern all dieser Botschaften wehren mußte, was ich alles tun und was ich unterlassen solle, um bloß keinen Krebs zu bekommen, hatte es schon etwas Surreales, daß jetzt auf einmal alle - jedenfalls die Mediziner - mir den Eindruck vermitteln, eigentlich wäre das nie wahr gewesen. Ich fand das ganz prima ... endlich wird man mal in Ruhe mit diesem Zeug gelassen. Aber wer diesen Mantras sein Leben lang vertraut hat, den bringt diese Vollbremsung sicherlich noch mehr ins Schleudern als die Krankheit für sich alleine das ohnehin schon tut.

Aber ich schweife ab. Zurück zu den Zauberformeln. Das Mantra "Es gibt keine Krebsdiät" hat selbst eine Art Abrakadabra-Qualität, und dreimalige Wiederholungen lesen sich sowieso immer wie eine okkulte Übung. Vielleicht würde ich das ja weniger belächeln, wenn ich wüßte, was der Autor dieser Beschwörungsformel seinen Patienten alles schon an hanebüchenen Krebsdiät-Vorstellungen ausreden mußte. Trotzdem stört es mich, daß ich das Gefühl habe, er hätte mich wahrscheinlich ebenso wie mein glücklicherweise abgeschüttelter Ex-Onkologe-plus-Ernährungsmediziner einfach gegen eine Wand laufen lassen.

Daß eine "Krebsdiät" - egal, welcher Art - kein Ersatz für eine Krebstherapie ist, dem möchte ich auch gar nicht widersprechen. Aber was um alles in der Welt hat Dr. Schmitz nur dagegen, wenn ein Patient zusätzlich zur Krebstherapie eine bestimmte Ernährungsform wählt, von der er hofft, daß sie ihn dabei unterstützt? Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß irgendeine als Krebsdiät verkaufte Ernährungsweise innerhalb von so kurzer Zeit irreparabel schädliche Auswirkungen haben könnte, daß dies nicht durch eine Wiederaufnahme der gewohnten Ernährung rasch gestoppt werden könnte. Meistens geschieht das sicherlich sogar aus eigenem Antrieb des Patienten, denn schädliche Auswirkungen bemerkt man ja häufig von alleine, indem man sich schlechter statt besser fühlt. Sogar Steve Jobs, der Ernährungsfragen jahrezehntelang zu hundert Prozent ideologisch sah und damit mit der Krebsdiagnose natürlich nicht aufzuhören gedachte, tat das ab einem gewissen Punkt - und wäre es seinen Ärzten gleich zu Beginn gelungen, ihn davon zu überzeugen, seine alternativmedizinischen Versuche mit einer konventionellen Behandlung zu kombinieren, wäre er vielleicht ja dem Tod doch noch von der Schippe gesprungen.

So ziemlich das Dümmste, was man als Arzt tun kann, ist meines Erachtens, alternativmedizinische Maßnahmen, an die sein Patient aus irgendwelchen Gründen ganz fest glaubt, lieber einfach nicht wissen zu wollen, wenn er sie ihm nicht ausreden und somit nicht verhindern kann. Ob das bei jemandem wie Steve Jobs funktioniert hätte, der sowieso nie auf andere Leute hörte, bin ich mir nicht sicher, aber ich schätze, die meisten an Krebs Erkrankten würden aufgeschlossen auf den Vorschlag reagieren, das eine, worauf sie selbst ihre Hoffnungen setzen, zu tun, ohne dabei aber das andere - was der Arzt für sinnvoll hält -, deswegen bleiben zu lassen. Sicherlich klappt das Kombinieren nicht bei allen alternativmedizinischen Konzepten, aber was hindert einen denn daran, vermeintliche Krebsdiäten neben einer konventionellen Chemotherapie herlaufen zu lassen und vorsichtshalber die relevanten Blutwerte nebenbei im Auge zu behalten?

Für Low Carb während einer neoadjuvanten Brustkrebs-Chemotherapie (umgesetzt zwei Zyklen, also sechs Wochen lang in einer unfanatischen und ziemlich kalorienreichen Variante) kann ich jedenfalls aus eigener Erfahrung mindestens bestätigen, daß ich damit während der Chemo die ersten sechs Wochen lang mein Gewicht ohne Probleme halten konnte, während ich anschließend in den knappen drei Wochen, seit ich wieder normal esse, viel stärker zugenommen habe, als das eigentlich zu erwarten war. (Fürs Protokoll: Wenn man Low Carb beendet, nimmt man meiner Erfahrung nach immer zwischen einem und zwei Kilo zu, weil sich der Wasserhaushalt verändert. Die drei bis vier Kilo, die ich seit Anfang Dezember tatsächlich zulegte, sind also zwei mehr, als ich unter normalen Voraussetzungen erwartet hätte.) 

Eigentlich sollte man meinen, diese Wirkung von Low Carb auf das Gewicht müsse mindestens auf Brustkrebs fokussierten Onkologen gefallen, da ja eine Gewichtszunahme während der Chemotherapie bei Brustrkrebs der typischere Fall ist und auch vom behandelnden Arzt nicht gar so gerne gesehen wird, weil mit ungünstigerer Prognose verbunden, vor allem, wenn man in den Übergewichtsbereich hineinrutscht oder sein Übergewicht noch weiter erhöht. Die Vorstellung, die Patientinnen müßten diese Zusatzpfunde im Anschluß an die Chemotherapie eben wieder abnehmen, ist blauäugig, weil das mit dem Abnehmen nun einmal in 95 Prozent der Fälle mit herkömmlichen Weisheiten aus der Ernährungsberater-Kiste  nicht dauerhaft klappt. Nach einer Chemotherapie wird das auch nicht anders sein. Eine Ernährungsweise, mit der diese Zunahme gar nicht erst geschieht, müßte man als zuständiger Onkologe also eigentlich nützlich finden, und zwar auch dann, wenn Low Carb keine einzige Krebszelle das Leben kosten sollte, also in der Tat keine "Krebsdiät" ist.

Daß Low Carb zusätzlich auch noch eine verringerende Wirkung auf die Chemo-Nebenwirkungen hat (bzw. in meinem Fall die nebenwirkungsverringernde Wirkung des Fastens noch weiter verstärkt hat), halte ich auch für möglich; es ergäbe ja auch einen Sinn, wenn man annimmt, daß Fasten eine solche Wirkung hat und zusätzlich in Teilen vergleichbare Stoffwechselreaktionen bei Fasten und Low Carb voraussetzt. Allerdings: Sicher bin ich mir da nicht, weil die Stärke der Nebenwirkungen natürlich immer subjektiv empfunden wird und weil ich auch nicht ausreichend beurteilen kann, welche Faktoren (denkbar fände ich spontan zum Beispiel mit jedem Zyklus mehr und stärker vorgeschädigte Zellen) bei der Stärke der Nebenwirkungen sonst noch eine Rolle spielen. Aber die stärkeren Nebenwirkungen in Zyklus 3, nachdem ich mit Low Carb aufgehört hatte, könnten dennoch auch etwas damit zu tun haben, daß ich nun wieder deutlich mehr Kohlenhydrate in meine Ernährung mit aufgenommen hatte. Ein zeitlicher Zusammenhang war jedenfalls vorhanden und ein egal wie häufig wiederholtes Mantra "Es gibt keine Krebsdiät" widerlegt es noch lange nicht. Was mich schon eher vom Gegenteil überzeugen könnte, wäre es, wenn die Nebenwirkungen im vierten Zyklus doch wieder geringer ausfallen sollten. Schauen wir also mal, was ich nach Weihnachten darüber berichten kann. 

Nachtrag 20.12.: 

Im dritten Zyklus haben auch die Blutwerte - vor allem die Erythozyten - sich im Vergleich zu den beiden vorherigen Zyklen ein wenig verschlechtert. Das bestätigt meinen subjektiven Eindruck bezüglich der Nebenwirkungen. Einen Zusammenhang mit der Unterbrechung von Low Carb ab dem 1.12. kann ich natürlich nicht beweisen, aber verdächtig finde ich das schon. Hoffentlich muß die für Donnerstag geplante vierte Chemo nicht verschoben werden ... was geschehen würde, falls die Blutwerte heute immer noch schlecht gewesen sein sollten.

Hier noch einmal die gesamte Auflistung meiner Blutwerte seit Beginn der Chemotherapie.

13.10.22: Zyklus 1, Tag 0 (Chemotherapie)

18.10.22: Tag 5 Erste Blutabnahme. Erythozyten: 4,40; Thrombozyten: 164; Leukozyten: 6,23 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

25.10.22: Tag 12 Zweite Blutabnahme (in der Studie keine Werte für einen vergleichbaren Punkt im Zyklus). Erythozyten: 4,08; Thrombozyten: 121  Leukozyten: 1,09 (keiner der Werte innerhalb des Normalbereichs, aber die roten Blutkörperchen liegen nur sehr knapp darunter.)

02.11.22: Tag 20 Dritte Blutabnahme.  Erythozyten: 4,27; Thrombozyten: 226; Leukozyten: 4,21 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

04.11.22 Zyklus 2, Tag 0 (Chemotherapie)

08.11.22: Tag 4 Erste Blutabnahme.  Erythozyten: 4,36; Thrombozyten: 189; Leukozyten: 8,40 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

15.11.22: Tag 11 Zweite Blutabnahme (in der Studie keine Werte für einen vergleichbaren Punkt im Zyklus) .  Erythozyten: 4,08; Thrombozyten: 109; Leukozyten: 1,40 (keiner der Werte innerhalb des Normalbereichs).

22.11.22 Tag 18 Dritte Blutabnahme. Erythozyten: 4,29; Thrombozyten: 213; Leukozyten: 1,95 (Leukos zu niedrig, Rest normal)

28.11.22 Tag 24. Vierte Blutabnahme. Erythozyten: 4,43; Thrombozyten: 207; Leukozyten 6,79 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

29.11.22 Zyklus 3, Tag 0 (Chemotherapie)

06.12.22 Tag  7. Erste Blutabnahme. Erythozyten: 3,97; Thrombozyten: 138; Leukozyten: 4,53. (kursiv: zu niedrig)

13.12.22 Tag 14. Zweite Blutabnahme. Erythozyten: 3,90; Thrombozyten: 178; Leukozyten: 1,62 (kursiv: zu niedrig)

20.12.22 Tag 21 Dritte Blutabnahme (Werte liegen noch nicht vor)

22.12.22. Zyklus 4, Tag 0 (geplant)

 

Wie auch immer, die Empfehlung von NanakiXIIIR auf Twitter, bei Krebs auf Zucker zu verzichten und Keto zu essen, ist als Begleitung zu einer ansonsten leitliniengerechten Therapie kaum etwas, das irgendeinen Schaden anrichten kann, auch dann nicht, falls es nichts nützt. Auf so etwas mit einer dreimal wiederholten Beschwörungsformel zu reagieren, als gälte es, Dämonen auszutreiben, kam mir da doch ein wenig übertrieben vor. 

***

Es hat wohl erst eine Medikamentenknappheit gebraucht, um herauszufinden, zu welcher absurden Verschwendung uns das Arzneimittelgesetz nötigt - aber ebenso, daß der Präsident der Ärztekammer dieses Gesetz anscheinend gar nicht kennt, was ich ja schon ein bißchen beunruhigend finde. Wie sonst könnte er andernfalls aber auf den Gedanken gekommen sein, uns etwas nach geltender Rechtslage Strafbares wie eine Weitergabe nicht verbrauchter Medikamente in der Nachbarschaft vorzuschlagen

Über dieses Gesetz bin ich vor fünf Jahren mal gestolpert, als mein Schwager starb; er war herzkrank gewesen und hatte von Blutdrucksenkern über Entwässerungsmittel bis zu Metformin, weil er zum Schluß auch noch Diabetes entwickelt hatte, sicherlich sechs oder sieben verschiedene regelmäßig zu nehmende Mittel bekommen. In seiner Bude kamen schier unglaubliche Mengen teils angebrochene, teils nie geöffnete Schachteln voller Medikamente zusammen. Alles, was abgelaufen war oder in den nächsten Wochen ablaufen würde, schmiß ich natürlich sofort raus und nach etwas Zögern ebenso alles, was bereits angebrochen war. Aber dennoch blieben noch zwei Stofftaschen voller nie verwendeter Medikamente übrig. 

Dabei hatte er das Zeug wirklich genommen. Die Mengen lagen daran, daß die Medikation meines Schwagers während seiner letzten Lebensmonate mehrere Male verändert worden war und seine Hausärztin, die mir sonst eigentlich ziemlich lahmarschig vorkam, jedenfalls in einer Sache unheimlich fix war: neue Rezepte auszustellen. Das bedeutete, mein Schwager hatte jedes Mal, wenn seine Medikation verändert wurde, noch mindestens anderthalb Packungen (manchmal auch zweieinhalb) des zuvor verwendeten Präparats daheim - und dies alles mal sechs oder sieben Medikamente. Wenige Tage vor seinem Tod hatte er noch einmal das volle aktuelle Programm aus der Apotheke geholt. Weil er dennoch auch die alten Sachen nicht weggeschmissen hatte, war diese absurde Menge zusammengekommen.

Ich hätte mir nicht vorstellen können, daß ich sogar von ehrenamtlichen Organisationen, die sich um Obdachlose kümmern, einen Korb bekommen würde, als ich versuchte, die nicht angebrochenen Packungen mit Haltbarkeit von mindestens weiteren sechs Monaten zu verschenken. Aber von ihnen wie sonst überall bekam ich immer dieselbe Auskunft: Sobald eine Medikamentenschachtel einmal über den Apothekentresen gegangen ist, darf sie nur noch von dem Patienten verwendet werden, der sie bekommen hat, andernfalls müsse man sie wegwerfen. Am Ende habe ich diese Medikamente kurz vor Weihnachten 2017 in einen Karton verpackt und an die Krankenkasse des Verstorbenen geschickt, zusammen mit einem Begleitbrief: Für diese Medikamente, schrieb ich, hätten ihre Versicherten immerhin einen vierstelligen Betrag beigesteuert. Falls sie wirklich der Meinung seien, diese voll verwendungsfähigen Medikamente müßten dennoch weggeworfen werden, würde ich sie bitten, das selbst zu tun. 

Ich habe nie eine Antwort von dieser Krankenkasse bekommen. Und nun werden wir also sogar dazu aufgefordert, unseren Nachbarn von unseren angebrochenen - sogar von abgelaufenen! - Medikamenten etwas abzugeben.

Muß man bei uns eigentlich immer von einem Extrem ins andere fallen? 

Keine Frage, das Arzneimittelgesetz hat schon seinen Sinn. Was nämlich, wenn der beschenkte Nachbar zu Schaden kommt, etwa, weil er den Namen des benötigten Präparats verwechselt hatte? So bescheuert mir der Vorschlag mit dem "Nachbarschaftsflohmarkt" vorkommt, ich kann es aber wirklich nicht einsehen, warum man den Teil dieser rezeptpflichtigen Arzneimittel, die aus irgendwelchen Gründen übrig sind, aber problemlos anderweitig verwendet werden könnten, einfach wegwirft, während gleichzeitig ein solches Theater um weggeworfene Lebensmittel gemacht wird und gewisse Kreise einem sogar weiszumachen versuchen, man müsse Kartoffelschalen unbedingt auch noch verzehren, um nicht als Lebensmittelverschwender zu gelten.

Seinerzeit habe ich auch beim Gesundheitsamt meiner Stadt angefragt, ob es denn nicht möglich sei, daß die Stadt eine Apotheke speziell damit beauftragt, Medikamente zurückzunehmen und auf Verwendbarkeit zu sichten. Denn dies wäre nach Arzneimittelrecht sehr wohl zulässig. Vor fünf Jahren, zeigte sich bei diesem Briefwechsel, war der politische Wille für so etwas jedenfalls noch nicht vorhanden, denn ich bekam eine nichtssagende Blabla-Antwort, deren Autor nicht einmal bemerkt hatte, daß ich seinen Haupteinwand, das olle Arzneimittelgesetz, das leiderleider keine Abhilfe zulasse undsoweiter blahrhabarber, ja bereits mit meiner Frage widerlegt hatte. 

Wenn jetzt Medikamente tatsächlich so knapp werden sollten, wäre vielleicht gerade jetzt der richtige Moment, um diese Problematik endlich einmal ernsthaft anzugehen. Allerdings wird das bestimmt nicht passieren, wenn alle geführten Debatten um diesen lächerlichen Kartoffelschalen-Vorschlag des Ärztekammerpräsidenten kreisen, nur um sich nicht mit der Frage befassen zu müssen, ob es wirklich nottut, einmal an Patienten ausgegebene Medikamente grundsätzlich wie Abfall zu behandeln, sofern er sie aus irgendeinem Grund nicht genommen hat.

Womit wir wieder bei dem Einfluß der Zuspitzungsmaschinerie Twitter gelandet wären und der Frage, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, sie würde plötzlich mit einen Knall einfach zerplatzen.

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Ein Nachtrag: 

Ich habe keine Ahnung, wie ernst ich diesen beunruhigenden Thread auf Twitter zum derzeitigen Covid-Ausbruch in China nehmen muß. Kann es wirklich sein, daß ausgerechnet in China und ausgerechnet jetzt die Bevölkerungsdurchseuchungs-Option wieder aus der Mottenkiste geholt wurde und man dort willens ist, eine Bergamo-Situation in ganz China vorzuexerzieren, und wir uns demnächst davon ein Bild machen können, wie das aussieht, Corona einfach ohne Gegenwehr durch eine Bevölkerung von 1,5 Milliarden durchrollen zu lassen? 

Falls auch nur die Hälfte von dem zutrifft, was da beschrieben wird, waren die aktuellen Medikamentengpässe aber wohl erst der Anfang.

Von allem anderen, das da außerdem noch heraufziehen könnte - von neuen Coronawellen mit neuen Virusmutationen bis zu einer Wirtschaftskrise, die die bisherigen in den Schatten stellt - fang ich jetzt besser gar nicht erst an.


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