Mittwoch, 28. Februar 2024

Auf der Zielgerade

Mein Gewicht heute früh nach einem von drei aufeinanderfolgenden Fastentagen: 76,1 Kilogramm. Gestern früh zu Beginn des "Endspurts", in dem ich jede Woche ein mehrtägiges Fastenintervall mit drei oder vier Tagen einlegen werde (diese Woche eines mit drei Tagen): 78,5 Kilogramm. Da ich vorgestern wegen der Teilnahme an einer Veranstaltung aus Gründen des Pragmatismus erstmals wieder "normal" gegessen und dabei in vielen, vielen Kohlenhydraten geschwelgt hatte, lag das zwar etwas über dem, was ich mir erhofft hatte, aber nicht zu weit jenseits. Die für Low-Carb-Phasen untypisch hohe Abnahme am ersten Fastentag zeigt ja an, daß mein gestriges Gewicht bereits wieder wasserbedingt etwas höher gewesen sein muß.

Daß meine optimistischeren Hoffnungen vom Dezember sich nicht erfüllen würden, war mir ja bereits seit einiger Zeit klargewesen und ich habe meine Endspurt-Pläne daran angepaßt. Falls ich nächsten Montag das nächste viertägige Fastenintervall wieder ungefähr mit demselben Gewicht wie gestern beginnen kann, bin ich damit schon noch zufrieden - das entspräche nämlich genau fünf Kilogramm Abnahme bis zum Zielgewicht während eines Zeitkorridors von maximal zwei Monaten, also bis Ende April, und das zu erreichen ist nicht unrealistisch - obwohl ich auch darauf gefaßt sein sollte, daß ich das Ziel vielleicht doch ein wenig verfehle. Zwei Monate finde ich aber wirklich das absolute Maximum für eine Vorgehensweise, bei der ausnahmsweise tatsächlich ein kontinuierliches Energiedefizit nicht vermeidbar ist, also werde ich das dann keinesfalls weiter verlängern, sondern anschließend so oder so in den Haltemodus mit 6 Fastentagen monatlich gehen und beobachten, was passiert. Gegensteuernde Maßnahmen durch zusätzliche Fastentage ergreife ich über den Sommer nur dann, falls mein Gewicht während dieses Zeitraum 78 Kilogramm überklettern sollte. Alle Gewichtszunahmen bis unterhalb dieses Punkts gehe ich erst im Herbst in meiner nächsten Low-Carb-Phase durch zusätzliche Fastentage an. 

Der Hintergedanke dabei ist, daß sich mein Stoffwechsel, der ja auf meinen bisherigen Fastenrhythmus eingestellt war - was dazu führt, daß ich vergleichsweise langsam abnehme im Vergleich zu jemandem, der sich bislang konventionell ernährt hat und nun denselben Fastenrhythmus anfängt -, sich natürlich erst einmal umstellen muß, was, so die Arbeitshypothese, die ich als Grundlage verwende, mehrere Monate dauert. Deshalb sollte auch der Endspurt eigentlich die gewünschte Wirkung erzielen können. Aber je kürzer er dauert, desto besser natürlich, damit die damit einhergehende Stoffwechselanpassung mir nicht im Anschluß eine zu hohe Wiederzunahme verschafft, weil der Stoffwechsel sich anschließend ja wieder an die verringerte Zahl von Fastentagen anpassen muß. Ich spekuliere im Moment auch darauf, daß so etwas im Sommer - meiner traditionell guten Abnehmzeit - nicht zu größeren Gewichtszunahmen führen wird und daß zusätzliche Fastentage im Herbst nach einem kompletten Sommer im Haltemodus, also weniger Fastentagen, erheblich stärker als mit meinem bisherigen Fastenrhythmus zu Buche schlagen werden und mich auf das gewünschte Gewicht zurückbringen werden, noch bevor mein Stoffwechsel merkt, daß ich ihm schon wieder seine Homöostase durcheinandergebracht habe, auf die er so großen Wert legt. 

Was tatsächlich passieren wird, werde ich natürlich erst herausfinden müssen. So ist das halt, wenn man experimentiert. Immerhin, ich habe mittlerweile um die 70 Kilogramm Gesamtabnahme zu verzeichnen, was ein Vielfaches dessen ist, was einem die Wissenschaft im Schlepptau einer gewissen Rena Wing immer als "Erfolg" zu verkaufen versucht, und bin außerdem nahe genug am Ziel, um mit Selbstbewußtsein an die Sache heranzugehen und es auch recht entspannt sehen zu können, falls ich mich doch verkalkuliert haben sollte. Sollte es so doch nicht klappen, wie ich mir das ausgependelt habe, wird es eben auf irgendeine andere Weise funktionieren, die ich mir dann schon rechtzeitig ausdenken werde.

Zum Ende der Low-Carb-Phase habe ich auch den Bauchumfang meines Mannes noch einmal gemessen. Er liegt jetzt bei 105 cm, also weitere vier Zentimeter weniger als zum Ende der letzten Low-Carb-Phase im Dezember. Nicht schlecht. Ich fürchte allerdings, im Oktober wird er wieder bei dem Bauchumfang sein, den er letzten Oktober hatte. Aber wenn er selbst damit zufrieden ist, bin ich es auch. Ich liebe ihn so, wie er ist.

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Eine interessante Entdeckung im Bereich Brustkrebs fand ich diese Seite hier, auf der man sich über neue Studien im Bereich des metastasierten Brustkrebs informieren kann. Auch wenn mich das nicht selbst betrifft, bestimmt stößt früher oder später jemand auf mein Blog, der damit etwas anfangen kann, deshalb der Link. 

In Sachen Adipositas stieß ich auf ein TAZ-Interview mit Luise Demirden, eine Aktivistin gegen Fettdiskriminierung, und in der Folge auch auf ihr Blog, obwohl das kein Blog ist, in dem regelmäßig geschrieben wird, sondern in dem sie vor allem eine Art Manifest publiziert hat, in dem sie ihre eigene Haltung zusammenfaßt. Was ich daran interessant fand, war, daß sich ihre Sicht der Dinge schon ein wenig von dem Konzept der Body Positivity unterscheidet. Frau Demirden, die etwas über 30 Jahre alt ist, macht sich nicht vor, daß sie nicht gerne anders wäre, als sie ist, worauf sie abzielt, ist, daß sie sich damit abgefunden hat, so zu sein, wie sie ist, weil die Erfahrung ihr zu zeigen schien, daß sie es eh nicht ändern kann, und daß sie es dann nicht einsieht, daß ihr das von außen schwerer als nötig gemacht wird, mit sich selbst so zufrieden leben zu können, wie sie es möchte. Das Zufriedensein mit dem, was sie ist, ist gewissermaßen das neue Ziel ihrer Bemühungen, nachdem das Ziel, kein Übergewicht mehr zu haben, als aus ihrer Sicht unerreichbar abgehakt wurde.

Zum Thema Gesundheit stand da folgendes, das mir vom Grundgedanken her sehr bekannt vorkam:

 Ich habe diverse Ängste, wenn es um meine ganz persönliche Gesundheit geht. Einerseits wegen familiärer Vorgeschichte, die mich für bestimmte Krankheiten besonders anfällig macht und andererseits, weil mir seitdem ich klein war eingeredet wurde, dass ich erkranken und sterben werde, wenn ich fett bleibe. Ich verdränge also ständig Signale meines Körpers, wenn etwas nicht stimmt, weil ich Angst habe. Ich habe unglaubliche Angst krank zu werden und mich deshalb schuldig zu fühlen. Ich habe Angst, dass mir medizinisches Personal Schuld gibt, meine Familie und Freund*innen wissend nicken „wir wussten es ja“ und alle eigentlich erleichtert sind, dass sie doch Recht hatten, und ich sterben werde wegen des Fetts.
Schluss! Man kann krank und fett sein. Man darf krank und fett sein. Unsere Familie und Freund*innen werden uns hoffentlich unterstützen sollten wir krank sein und alle die das nicht können, müssen nicht deine Familie oder Freund*in bleiben.
Denn ich mag mir echt nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, mit 147 Kilo Lebendgewicht Brustkrebs zu bekommen, das Etikett "beginnend adipös" mit den 87 Kilo, die ich vor anderthalb Jahren noch hatte, hat mir ja schon mehr als gereicht, und dabei fiel bei mir der eigentlich schlimmste Aspekt, nämlich die Hilflosigkeit, gar nicht ins Gewicht, weil ich ja wußte, von welchem Gewicht ich hergekommen war, und ebenso, daß ich nicht "beginnend", sondern "endend adipös" war, weil das Gewicht, das ich haben wollte, kein unerreichbares, sondern ein erreichbares Ziel war. Trotzdem ging es mir auf die Nerven, wenn ich bemerkt habe, daß ich wegen meines Gewichts von den Medizinmännern und -frauen irgendwie bewertet wurde. Eigentlich, finde ich, sollte ich längst über so was stehen. Und meistens tue ich das ja auch. Aber gleichzeitig bin ich von meiner Gewohnheit, mir lieber selbst zu helfen als einen Arzt zu fragen, trotz des Ärzteslaloms, zu dem einen eine Krebserkrankung zwingt, nach wie vor nicht so richtig abgekommen.

Ich ärgere mich ein bißchen über mich selbst, weil ich nun gerne Frau Demirden darüber aufklären würde, wie sie es auch schaffen kann, abzunehmen, und warum es bislang nicht geklappt hat. Bevor ich selbst dahintergekommen bin, wie ich es angehen muß, wenn ich mein Gewicht beeinflussen will, hätte ich mich dabei gegen solche Belehrungen ebenfalls verwahrt, denn die bekommt man ja von allen Seiten und mit allen möglichen Rezepten, von denen die meisten Bockmist sind. Man wird wohl selbst ein bißchen besserwisserisch, wenn man unter Blinden zum Einäugigen geworden ist, aber da muß ich mich bremsen. Jeder, der eine Reihe von Abnehmversuchen hinter sich hat, die alle mit dem üblichen Ergebnis endeten, hat meiner Meinung nach ein Recht darauf, mit weiteren Vorschlägen in Ruhe gelassen zu werden, so lange, bis er selbst motiviert ist, etwas auszuprobieren, von dem er wirklich erwartet, daß es funktionieren wird.

Diese Problematik, also die vielfältigen unguten Wirkungen des Psychoterrors, dem man mit hohem Übergewicht ständig ausgesetzt ist, und eben ganz besonders, wenn man krank wird, werden wir gesellschaftlich so schnell nicht loswerden, und in keinem Fall, bevor der medizinische Mainstream endlich erkannt hat, auf was für einen Holzweg er die Leute seit Jahrzehnten mit "Eat less, move more" selbst geschickt hat. Hoffen wir also, daß die Tübinger Forscher aus meinem letzten Beitrag aus ihrer Entdeckung bezüglich Fettleber und Leberkrebs die richtigen Schlußfolgerungen ziehen. Und hoffen wir außerdem, daß derselbe Groschen anderswo auch fällt. Irgendwann muß doch eine kritische Masse an einschlägigen Entdeckungen erfolgt sein, um das Kaloriendogma von seinem Sockel zu stoßen.

Arztbesuche mit hohem Übergewicht sind wirklich ein Problem, und wenn man sich selbst den Schuh angezogen hat, daß man sich dafür schämen müsse, weil es ja aus sich selbst heraus beweise, daß man zu wenig für seine Gesundheit tue, ist das noch viel schlimmer, auch deshalb, weil man so viele falsche Ratschläge und dumme Seitenhiebe sowie taktlose Reaktionen erlebt. Frau Demirden hat natürlich völlig recht, wenn sie darauf pocht, daß sie auch als Übergewichtige krank werden "darf", so wie andere Leute auch, ohne befürchten zu müssen, daß alles, was sie an Beschwerden hat, erst einmal aufs Übergewicht geschoben wird oder offen oder versteckt verächtlich behandelt zu werden, weil so viele Leute ehrlich davon überzeugt sind, sie hätte ihre Krankheit selbst verschuldet, obwohl sie dies leicht hätte vermeiden können.

Mir ist ja erst vor einigen Monaten so _richtig_ klargeworden, wie sehr sich das, was mein damals neuer Hausarzt 2019 bei einem Gewichtsstand von ca. 105 Kilogramm in mir gesehen hat, von dem unterschieden hat, was ich damals in mir gesehen habe (nämlich 105 Kilogramm vs. 147 minus 42 Kilogramm). Ich habe das damals gar nicht so recht wahrgenommen, weil ich natürlich das Problem, das er - aus einer ärztlichen Erfahrung heraus natürlich mit einer gewissen Berechtigung - zu sehen glaubte, bereits für nichtexistent hielt und deshalb nur überlegen lächelte, als er nebenbei die Sache mit der Fettleber ansprach, die ich angeblich hatte - was ich nach wie vor für eine unüberprüfte Verdachtsdiagnose halte, denn nach guten zwei Jahren Intervallfasten mit 36stündigen Fastenintervallen und einer Gewichtsabnahme von mehr als 40 Kilo halte ich es für völlig ausgeschlossen, daß ausgerechnet das Fett an meiner Leber die zwei vollen Jahre lang hartnäckig bestehen geblieben sein soll. (Ja, manchmal klappt das mit dem "darüber stehen" bei mir schon ...) Erst als mein Bruder, der erst im Alter von um die 50 ein Bäuchlein entwickelt hat, nachdem er sein ganzes Leben lang schlank gewesen war, von seinem Arzt eine Fettleber bescheinigt bekommen hat, habe ich an seiner panischen Reaktion erkannt, was für eine Waffe der Präventionsmedizin zur persönlichen Beschämung und Beängstigung übergewichtiger Patienten da an mir wirkungslos abgeprallt war. 

Das Kurioseste fand ich, als ich letzten Sommer das letzte Mal bei meinem Hausarzt war und ganz nebenbei - in einem Nebensatz zu einer völlig anderen eigentlichen Sache - erwähnte, daß ich bis in einem Jahr ca. acht Kilo weniger wiegen würde. Da dachte ich mir überhaupt nichts dabei, für mich war das kein Ziel oder Wunsch und noch nicht mal eine Prognose, sondern eher ein unumstößliches Faktum (obwohl Fakten natürlich per se etwas bereits Geschehenes sein müßten, aber wenn Klimaforscher dagegen verstoßen dürfen, warum sollte ich es nicht auch dürfen?). Also: etwas, was zwangsläufig geschehen würde, wenn ich mit dem weitermache, was ich schon die ganze Zeit gemacht hatte. Seine Reaktion: Er fand es als Ziel übertrieben und bedeutete mir, daß ich zu ehrgeizig sei. Daß ich in den vier Jahren zwischen meinem ersten Besuch bei ihm und jenem Besuch mehr als zwanzig Kilo abgenommen hatte und kaum Probleme haben würde, noch weitere acht Kilo abzunehmen, scheint seiner Aufmerksamkeit irgendwie entgangen zu sein. Überhaupt haben wir bei unserem letzten Gespräch dauernd aneinander vorbeigeredet. Vielleicht liegt es ja daran, daß ich zu selten bei ihm auftauche und ich im Grunde jedes Mal für ihn wieder ein neuer Patient bin, dessen Entwicklung er spontan nicht im Kopf hat. Oder vielleicht lag es auch daran, daß ich mich insgesamt ganz anders verhalten habe, als er das von Krebspatientinnen gewöhnt ist, und er diese Kurve innerhalb eines einzelnen Arzgesprächs einfach nicht gekriegt hat. 

Wie auch immer, sobald ich mein Zielgewicht habe, werde ich einen Vorwand finden, um ihm meine finale Figur vorzuführen.

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Endlich habe ich meine älteste Baustelle aus der Vor-Brustkrebs-Zeit in Angriff genommen und gestern meinen ersten von insgesamt vier Zahnarztterminen absolviert, bei dem zunächst einmal die seit fast zwei Jahren überfällige Zahnreinigung auf dem Programm stand. Jetzt gefalle ich mir wieder, wenn ich mein Spiegelbild anlache.

Da ich schon seit über dreißig Jahren Parodontosepatientin bin, folgt nächsten Monat eine einschlägige Behandlung, damit ich da auch mal wieder auf dem laufenden bin. Es ist, wenn ich mich recht erinnere, meine insgesamt dritte. Allzu schlimm ist der Zustand meines Zahnfleischs zwar nicht, wie sich gestern ergab (auch der Zahnstein war, gemessen an der langen Dauer, in der ich keine Zahnreinigung hatte, relativ wenig), mir ist auch kein Zahnfleischbluten beim Zähneputzen aufgefallen, aber es reicht offenbar aus, um eine Behandlung zu rechtfertigen, und im Anschluß zählt die Zahnreinigung dann zwei Jahre lang zu den Kassenleistungen, anstatt von mir privat bezahlt werden zu müssen - ich gebe zu, das war es, was bei mir unter dem Strich den Ausschlag gegeben hat. Ansonsten sind meine Zähne erfreulicherweise in einem guten Zustand (jedenfalls für jemanden meines Alters), und die zahnärztlichen Besorgnisse bezüglich möglichen Zahnverlusts durch Parodontose klangen nicht dramatischer als diejenigen, die ich schon in den frühen Neunzigern von meinem damaligen Zahnarzt vernahm. Nur fehlt bei meiner jetzigen Zahnärztin dessen charmanter Akzent. Meine damaliger Zahnarzt kam nämlich aus Schweden und hörte sich haargenau so an wie der Typ aus der Ikea-Werbung. 

Das ist ganz ulkig, wie dieser Zahnarzt, der schon vor mehr als zwanzig Jahren weggezogen ist und mich seinem Nachfolger überlassen hat, mich im Alltag weiterhin beeinflußt. Immer, wenn ich Ikea-Werbung im Radio höre, fällt er mir wieder ein. Meine Ikea-Möbel stammen nahezu alle noch aus der Zeit, bevor ich diesen Zahnarzt hatte, denn es törnt doch ein bißchen ab, wenn man beim Möbelkauf dauernd im Kopf Zahnarztbohrer surren hört. Es sind mehr, als man angesichts dessen erwarten sollte. An so was merkt man wohl, daß man langsam alt wird: Wenn einem aufgeht, daß man die meisten Möbelstücke, die man besitzt, vor mehr als zwanzig, viele vor mehr als dreißig und manche sogar schon vor ziemlich genau vierzig Jahren gekauft hat. 

Machen das andere Leute meines Alters eigentlich auch, immer noch in den Möbeln ihrer jungen Jahre hausen bzw. zusätzliche Stücke dazu passend erwerben, was ja nicht mehr ganz so einfach ist? Oder hauen andere Leute ihren ollen Kram alle paar Jahre raus und richten sich nach heutiger Ästhetik ein? Ich mache das ja alleine deshalb schon nicht, weil ich die Farben und Formen der heute angesagten Wohnungseinrichtungen - das, was gerne als "stylish" bezeichnet wird, wenn Wohnungen möbliert vermietet werden, erkennbar als "stylish" auch daran, daß diese Wohnungen unglaublich teuer angeboten werden - überwiegend viel zu häßlich finde.

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Nachdem ich in den letzten Wochen diesen Mandel-Mozzarella-Teig rauf und runter mit allem möglichen ausprobiert habe, ist fürs Wochenende erst einmal wieder ein normaler Blätterteig für normale Apfelschnecken angesagt, und auf die freue ich mich auch schon. Aber nachreichen kann ich noch, daß ich am Sonntag Pastetchen in Muffinformen aus Mandel-Mozzarella-Teig gemacht habe, und zwar gefüllt mit gebratenen Champignons mit mediterranen Gewürzen. Auf die war ich richtig stolz. Dabei war das nur eine Art "Verlegenheitsessen". Die frischen Champignons aus dem Angebot hatte ich nämlich ziemlich unbedacht gekauft, ohne sie irgendwo eingeplant zu haben, und so schmiß ich meine anderweitigen Sonntagsmenüpläne kurzfristig wieder um.

Inzwischen habe ich den Bogen beim Teig ganz gut raus. Ich nehme 100 Gramm Mandeln und 100 Gramm grob geraspelten Mozzarella, 50 Gramm flüssige Butter, einen Tl Backpulver, etwas Salz und ein Eiweiß - ein ganzes Ei ist nämlich einfach zu viel, das Eigelb habe ich bei den Champignons mit dazugegeben. Beim Teigkneten gebe ich außerdem noch mehr gemahlene Mandeln dazu, so lange, bis die Konsistenz relativ fest ist, aber wieviel das am Ende ausgemacht hat, kann ich nicht sicher sagen. Am besten eine 200-Gramm-Packung Mandeln kaufen und darauf gefaßt sein, daß mindestens ein Viertel davon übrig bleiben wird. Dann rolle ich den Teig zwischen zwei Backpapieren aus - wenn sich das obere nicht problemlos abziehen läßt, ist der Teig noch zu weich und braucht noch mehr gemahlene Mandeln. Dann steche ich mit einer Tasse einen Kreis aus, hebe ihn vorsichtig mit einem Pfannenwender oder ähnlichem ab und kleide das Förmchen damit aus. Wenn die gewählte Füllung eingefüllt ist, steche ich mit einer Tasse oder einem Glas mit kleinerem Durchmesser den Deckel aus, lege ihn obendrauf und drücke ihn am Teigrand etwas fest. Bei 180 Grad brauchen die Pastetchen ungefähr 20 bis 25 Minuten, und sie schmecken mit Aioli kombiniert zum Abheben gut.



Freitag, 23. Februar 2024

Sandra, piep einmal! Und: Bei Ihnen piept's wohl, Herr Fuest!

Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier Fastentagen: 74,3 Kilogramm. Eigentlich müßte mich das maßlos ärgern, mein Tiefstgewicht Mitte Dezember lag ja bei 73,2 und das heutige Gewicht liegt außerdem 100 Gramm höher als vor zwei Wochen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber weil mein Bauch diesmal so stark geschrumpft ist wie noch nie in so kurzer Zeit, von 91 auf 89 Zentimeter zwischen der vorletzten Woche und dieser Woche, habe ich trotzdem sehr gute Laune. Letztlich ist das ja eigentlich viel wichtiger als diese blöde Zahl auf der Waage, von der man nie so genau weiß, was sie einem in Wirklichkeit sagen will. Der schwindende Umfang zeigt eindeutig, daß die Sache  in die angestrebte Richtung läuft, obwohl die Waage das Gegenteil zu behaupten scheint.

Den schrumpfenden Bauch habe ich vor zwei Tagen erstmals bemerkt, weil meine Hose auf einmal irgendwie anders saß als zuvor, und zwar im Laufe des Nachmittags, was ziemlich ungewöhnlich ist, weil die Veränderungen normalerweise über Nacht zu erfolgen scheinen, jedenfalls merke ich sonst immer morgens, daß sich Bewegungen irgendwie anders anfühlen als am Abend davor. Aber vorgestern war mir morgens keine Veränderung aufgefallen und den ganzen Vormittag über bei der Arbeit fühlte sich alles normal an. Erst am Nachmittag konnte ich irgendwie nicht mehr vernünftig stillsitzen, weil es anfing, sich irgendwie "anders als sonst" anzufühlen, und erst kapierte ich gar nicht, was da anders war. Erst nach einem Weilchen fiel bei mir der Groschen, daß ich irgendwie weniger Substanz am Bauch hatte.

Unter uns Klosterschülerinnen: Wer weiß, wozu es gut ist, wenn ich noch einen etwas längeren Weg bis zum Zielgewicht habe. Ich hatte mich im Dezember nämlich schon gefragt, was ich eigentlich tun will, falls ich am Ziel bin, aber die dann noch verbleibenden Reste meiner Wampe mir immer noch störend groß vorkommen. Denn danach sah es im Dezember aus. So, wie es jetzt ist, kann ich mir eher vorstellen, daß Waage und Wampe mir bei Erreichen des Zielgewichts dieselbe Botschaft geben werden: Du bist fertig! Ein bißchen bänglich wird es mir jetzt aber schon wegen meines Endspurts. Wollen wir hoffen, daß der Wechsel des Fastenrhythmus mit 50 % Fastentagen eine stärkere Wirkung zeigt als von mir erwartet, denn das mache ich unter keinen Umständen länger als bis Ende April, sonst muß ich damit rechnen, daß ich im Anschluß mehr als eingeplant wieder zunehme. 

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Und nun eine Vermisstenmeldung:

Sandra, ich habe schon ewig nichts mehr von dir gehört, und das macht mich langsam nervös. Wie geht es dir denn? Deine Chemo müßte jetzt ja vorbei sein, aber vielleicht liegst du ja gerade als Frischoperierte in der Klinik. Wenn du hier vorbeischaust, mach doch kurz mal "Piep"!

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Falls es daran lag, daß die von mir in letzter Zeit durchgenudelten Themen außerhalb deiner Interessengebiete lagen: Daran war die spärliche Nachrichtenlage schuld. Heute habe ich wieder einen Teil meines Blogbeitrags für ein Off-topic-Thema reserviert, aber trotzdem bietet sich auch endlich mal wieder die Gelegenheit, mich als kleine Hobby-Onkologin zu betätigen, weil ich einen Bericht über diese bemerkenswerte Studie las. Dabei ging es um die Langzeit-Wirkung von Trastuzumab/Carboplatin/Paclitaxel bei metastasiertem Brustkrebs.

Beobachtet wurden 40 Patientinnen. Von ihnen waren zwanzig Jahre nach der Diagnose immerhin noch vier weiter am Leben; eine fünfte überlebte immerhin mehr als 16 Jahre. Klingt super? Nun ja, die anderen 35 sind früher, überwiegend erheblich früher gestorben. So herum liest es sich weniger begeisternd. Bedenkt man aber, daß die Behandlung in den allerersten Anfängen der Antikörper-Therapie erfolgt ist, als neben Trastuzumab noch keine weiteren entsprechenden Mittel eingesetzt werden konnten, bedenkt man außerdem, daß das Durchschnittsalter bei der Behandlung bei 56 Jahren lag, und bedenkt man zum dritten, daß es sich hier ja um eine Erkrankung mit Metastasen in anderen Organen - Leber, Lunge, Gehirn usw. - handelt und dafür ein Langzeitüberleben von 20 Jahren bislang nur in Form von wenigen Einzelfällen bekannt ist, bin ich trotz allem beeindruckt. Das Ziel, Krebs zu einer prinzipiell in der Regel heilbaren bzw. als chronische Erkrankung beherrschbaren Krankheit zu machen, mag noch in weiter Ferne liegen, aber damit ist gerade für die typischerweise mit einer niedrigen weiteren Lebenserwartung verbundenen metastasierten Erkrankungen ein Lichtblick erkennbar. Es gibt auch zu weiterem Optimismus Anlaß, weil ja in den letzten zwanzig Jahren weitere Antikörpertherapien entwickelt wurden, die bei HER2-positivem Brustkrebs im lokalen Stadium die Aussichten noch viel stärker als Trastruzumab alleine verbessert haben. Eine Verbesserung ist also auch bei metastasiertem Krebs anzunehmen, aber da diese Behandlungen noch keine zwanzig Jahre im Einsatz sind, muß man natürlich noch abwarten, ob der Anteil der Zwanzig-Jahre-Überlebenden durch sie wirklich weiter steigt. Aber warum sollte das nicht der Fall sein, wenn es schon mit Trastuzumab alleine plötzlich zehn Prozent Zwanzig-Jahres-Überlebende gewesen sein? 

Ich frage mich ja schon, worin sich die vier Langzeitüberlebenden vielleicht von den anderen unterschieden haben könnten. Vielleicht sollte man ein Register der sagen wir mehr als zehn Jahre Überlebenden von metastasiertem Krebs anlegen (oder gibt es das vielleicht sogar schon und ich habe es bloß nicht mitbekommen?), um solche Dinge herauszufinden. Ich wäre nämlich echt gespannt, zu erfahren, welche Rolle ketogene Ernährung dabei vielleicht spielt. Neulich habe ich wieder einen Podcast von Peter Attia angehört, in dem er nebenbei erwähnte, daß eine Bekannte von ihm viele Jahre zuvor Teilnehmerin einer Studie zu metastasiertem Brustkrebs gewesen sei und als einzige Teilnehmerin bis heute (also bis zum Zeitpunkt des Podcasts) überlebt habe. Unabhängig von der Studie habe sie damals auch angefangen, sich ketogen zu ernähren. Das war freilich der einzige Schnipsel, bei dem ich in dieser Podcast-Folge aufgemerkt habe, und ich hatte keine Möglichkeit, mehr dazu herauszufinden, also habe ich den Link nicht aufgehoben.

Fasten ist natürlich auch noch eine interessante Variable. Nachdem der komplette Abnehm- und Diabetes-Mainstream nach wie vor Fasten für lediglich eine weitere Methode des Kalorieneinsparens hält und die Krebsbehandler es nach wie vor (dank des heldenhaften Einsatzes von Leuten wie dieser Frau Professorin Hübner) überwiegend ganz ablehnen, ist es nicht ausgeschlossen, daß es über die Krebsforschung doch noch einen Durchmarsch in den medizinischen Mainstream bei der Krebsbehandlung und im Ernährungsbereich schafft. Die Tagesschau berichtete über Forschungen an Mäusen an der Uni Tübingen, bei denen sich ergab, daß die beste Wirkung gegen die Entwicklung von Leberkrebs darin bestanden hatte, sie zweimal die Woche 24 Stunden lang fasten zu lassen. 

Die Tiere nahmen insgesamt genauso viele Kalorien zu sich wie die Vergleichsmäuse, die täglich Futter bekamen. Und sie wurden weiter ungesund, also sehr fett- und zuckerreich ernährt. Warum also waren die zwei Fastentage pro Woche so positiv?Die Forschenden haben sich während der Fastenzeit die Moleküle angeschaut, die in der Leber verändert werden. Sie konnten zeigen, dass es mindestens zwei Moleküle gibt, die diesen Effekt des Fastens ausführen. Haben sie die Moleküle weggenommen, so war der positive Effekt des Fastens nicht mehr gegeben.

Wie man aus einer Leber "Moleküle wegenehmen" können sollte, hat sich mir ja nicht so recht erschlossen, und das liest sich irgendwie, als hätte der Autor ein wenig Mühe gehabt, der Beschreibung der Forscher inhaltlich zu folgen. Das Video hier gab mir dazu zwar auch keine genaueren Aufschlüsse, aber ich verlinke es trotzdem mal, damit man einen Eindruck von dem bekommt, was da in Tübingen so gemacht wird. Ich reime mir die Sache einstweilen so zusammen, daß der Wirkmechanismus des Fastens, der unabhängig von der Art und Menge der aufgenommenen Kalorien in der Leber eine meßbare Wirkung entfaltet, in diesen Mäusestudien identifiziert werden konnte. Das ist in jedem Fall eine interessante Nachricht. Sie läßt außerdem darauf hoffen, daß den Herrschaften in Tübingen irgendwann einmal die Erleuchtung kommt, daß ein Wirkmechanismus, der als Präventionsmaßnahme vor Leberkrebs schützen kann, indem er Fettleber beseitigt, natürlich auch die geheime Zauberformel sein muß, mit der man die Adipositasepidemie samt deren ganzem Rattenschwanz von Folgekrankheiten auf eine geradezu lächerlich simple und noch dazu völlig kostenlose Weise bekämpfen kann. Wollen wir hoffen, daß eine Nachricht, für deren Verbreitung kein Pharmakonzern Geld ausgeben würde, weil sie ihrer Gewinnmaximierung schaden würde, anstatt ihnen zu nützen, trotzdem wirksam verbreitet werden kann, wenn es die richtigen Leute sind, die sie innerhalb des medizinischen Mainstreams mit ausreichender Hartnäckigkeit ausrufen.

Falls bei den Tübingern dieser Groschen fallen sollte und es ihnen zusätzlich auch noch gelingt, damit das Fasten in den medizinischen Mainstream zu bringen, hätten sie einen unschätzbaren Beitrag zur Verbesserung der Welt geleistet. Ich wäre dann geneigt, sie dafür nicht etwa für den Medizin-, sondern gleich für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, weil das neben allem anderen auch zum sozialen Frieden beitragen würde, der ja in den letzten Jahren immer mehr Risse bekommen hat. Populisten profitieren ja von einer gesellschaftlichen Grundstimmung, wehrlos unkontrollierbaren Kräften ausgeliefert zu sein. Alles bislang Unkontrollierbare, das man kontrollierbar machen kann, verringert den Grad dieser Grundstimmung. Falls die Tübinger Kaffeerösterei, über die ich mich im letzten Beitrag mokiert hatte, sich einmal wirklich nützlich machen möchte, dann fände ich es viel sinnvoller als ein Bekenntnis gegen die AfD, wenn sie stattdessen ein Bekenntnis ihrer Käufer zu Prof. Dr. Mathias Heikenwälder von ihren Kunden verlangen würde. ;-) 

Ach ja, das ist vielleicht nicht jedem spontan gleich klar: 24 Stunden Fasten bei Mäusen, das bedeutet natürlich mehrere Fastentage am Stück bei Menschen. Wieviele genau das wären, weiß ich nicht, aber ich nehme an, drei Tage am Stück müßten das mindestens sein.

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So, und jetzt, wie angekündigt, noch einmal zu etwas völlig anderem, und zwar, wie in meinem letzten Post, etwas, das keinen direkten Bezug zu meinen eigenen Angelegenheiten hat. Ich scheine in letzter Zeit also mal wieder im Weltrettermodus zu sein, über den ich mich eigentlich eher ein bißchen ärgere, weil es mir so sinnlos vorkommt, Dinge zu durchschauen, die sich außerhalb meiner Einflußmöglichkeiten befinden. Aber weil das gleichzeitig Themen sind, über die ich im "real life" Gespräche lieber gar nicht erst anfange, und weil ich andererseits vor mir selbst nicht so tun kann, als hätte ich nicht gesehen, was mir auffiel, ist dieser Blog immerhin eine gute Möglichkeit, ein bißchen Dampf abzulassen. 

Also, bitte anschnallen: 

Twitter spülte schon vor einiger Zeit eine Neiddebatte in meine Timeline, die ich ziemlich typisch für unsere Gesellschaft finde, in der sich alle dauernd in Opferpose werfen und jeder seinen Selbstwert vor allem daraus zu beziehen scheint, daß speziell ihm in dieser oder jener Rolle das schlimmste Unrecht von allen geschehen sein soll, wogegen er nun mit aller einem mündigen Bürger gebotenen furchtlosen Zivilcourage ankämpfe. Einen Thread nämlich, in dem jemand bewies, daß die derzeitig skandalöseste soziale Ungerechtigkeit darin bestünde, daß das Nettoeinkommen zwischen 2900 und 5500 Euro Bruttoeinkommen nicht nennenswert höher werde. Ich dachte erst, das könne gar nicht stimmen. Aber ich ging der Sache nach und es stimmte tatsächlich - allerdings nur für einen Teil der Bevölkerung, nämlich Familien mit mehreren Kindern. Der Casus knacksus sind dabei das Wohngeld sowie vor allem der Kinderzuschlag. Beides ist ja erhöht worden, das erste wegen der stark gestiegenen Kosten für Miete und Energie, das zweite ... darauf komme ich später noch zu sprechen.

Die Sache hatte ich jedenfalls schon fast schon wieder vergessen, als dieselbe Debatte vor ein paar Tagen ein weiteres Mal losgetreten wurde, und zwar diesmal von dem Wirtschaftsforscher Clemens Fuest vom Ifo-Institut. Weil ich der Sache schon beim letzten Mal aus Neugier nachgegangen war, mich aber darob zu keinem Blogartikel entschließen konnte, kann ich Clemens Fuest jetzt ohne viel Rechercheaufwand bescheinigen, daß er mit gespaltener Zunge spricht, und habe das Bedürfnis, dies öffentlich zu tun.

Falsch sind dabei nicht die von Fuest vorgetragenen Fakten. Falsch ist deren Problematisierung.

Fuest argumentiert - anders als der Account bei Twitter - aus der Interessenperspektive der Wirtschaft. Die stellte fest, daß bei Familien mit zwei Kindern die variablen Transferleistungen Kinderzuschlag und Wohngeld dazu führen, daß das verfügbare Gesamteinkommen dieser Familien zwischen einem Einkommen von 3000 und 5000 Euro nahezu gleich bleibt, statt spürbar zu steigen. Deshalb lohne sich aus deren Sicht eine Vollzeitarbeit nicht und stattdessen würde für einen Elternteil lieber Teilzeit gewählt. Der von ihm beschriebene Fall ist dabei durchaus richtig dargestellt, nur wurden ein paar wichtige Informationen verschwiegen: Dies betrifft in Wirklichkeit nur einen ziemlich kleinen Teil der Bevölkerung, und es ist auch nicht aus Versehen geschehen. Schon gar nicht ist es eine Fehlsteuerung durch staatliche Transferleistungen und führt auch nicht dazu, wie Fuest das behauptet, daß Leistung sich bei uns "nicht lohnt".

Richtig ist daran, daß die Wirtschaft, Stichwort Fachkräftemangel, ein Interesse daran hätte, auch diesen Teil der Bevölkerung für eine Vollzeitarbeit zu gewinnen. Nur ist das Interesse der Wirtschaft nicht deckungsgleich mit dem Interesse der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat in der Tat ein Interesse, daß Unternehmen produzieren können, und dafür brauchen sie natürlich genügend Beschäftigte. Die Gesellschaft braucht aber mindestens genauso dringend Familien, in denen Kinder gut heranwachsen können.

Vorab fürs Protokoll: Von den insgesamt 40 Millionen Haushalten in Deutschland umfassen 6 Millionen Familien mit zwei oder mehr Kindern (darunter 1,1 Millionen Haushalte mit drei Kindern). Die Mehrheit dieser 6 Millionen ist freilich von Fuests Szenario gar nicht mitbetroffen. Und die anderen 34 Millionen sind es sowieso von vornherein nicht, das werde ich im Laufe des Beitrags auch noch kurz belegen.

Im ursprünglichen, oben verlinkten Fall, den ich recherchierte, waren es aber drei Kinder, deshalb hier, was ich damals herausbekam, ohne Anpassung an Fuests Kalkulation, bei der es um eine Familie mit zwei Kindern und Brutto-Erwerbseinkünfte in Höhe zwischen 3000 und 5000 Euro ging. Zugrunde gelegt wurde in dem Tweet, der mich auf die Sache aufmerksam machte, der Modellfall einer Familie mit drei Kindern aus Frankfurt am Main (Alter 4, 6 und 9 Jahre), die eine Warmmiete von ca. 1300 Euro bezahlt. 

Monats-Familieneinkommen

  • ... nur mit Bürgergeld: 3494 Euro
  • ... direkt außerhalb der Bürgergeld-Zone (1500 Euro Bruttoeinkommen): 3922 Euro
  • ... mit 2900 brutto: 4625 Euro 
  • ... mit 5500 brutto: 4693 Euro

Daß das Familieneinkommen zwischen den Werten 2900 brutto und 5500 brutto nicht nennenswert steigt, liegt daran, daß die variablen Transferleistungen Kinderzuschlag und Wohngeld umso niedriger werden, je höher das Einkommen ist. 5500 brutto ist im Beispielfall ungefähr die Grenze, ab der diese Transferleistungen keine Rolle mehr spielen, weil mit noch höheren Einkommen bei dieser Miethöhe beide nicht mehr bezahlt werden. Je mehr das Erwerbseinkommen einer Familie über dieser Grenze liegt, desto deutlicher steht sie finanziell besser da als die Familien mit einem Erwerbs-Familieneinkommen zwischen 2900 und 5500 Euro. 

5500 Euro Bruttoeinkommen, das klingt erst einmal üppig, und darauf bin ich zuerst auch hereingefallen, als ich die Sache spontan erst einmal nicht glaubte. Aber in Wirklichkeit gilt das nur, wenn es das Einkommen eines einzelnen Verdieners ist. Bei zwei Vollverdienern mit gleich hohem Einkommen bedeutet es ein Bruttoeinkommen von gerade mal 2750 Euro im Monat je Elternteil. Das liegt niedriger als das Durchschnittseinkommen von ungelernt Beschäftigten und sehr weit unter dem durchschnittlichen Brutto-Erwerbseinkommen Vollzeitbeschäftigter von (Stand 2022) 4105 Euro. Siehe die Einkommen verschiedener Qualifikationen laut Statistischem Bundesamt. Für eine Familie, in der beide Elternteile ungefähr durchschnittlich verdienen, nämlich jeder brutto um die 4000 Euro bei Vollzeit, besteht sehr wohl ein finanzieller Vorteil, und zwar ein ganz erheblicher, wenn beide Elternteile in Vollzeit arbeiten. Dieser Vorteil setzt aber schon weit unter dem Durchschnittseinkommen ein, nämlich wenn beide Ehepartner jeweils 2800 Euro verdienen, und vergrößert sich mit jedem zusätzlichen Hunderter auf dem Lohnzettel.

Daß die aktuell gültige Mindestlohnregelung in Vollzeit ein Monats-Erwerbseinkommen von 2150 Euro als Minimum für ein Monats-Erwerbseinkommen für eine 40-Stunden-Woche festgezurrt hat, bedeutet außerdem, daß, wenn ein Partner 3500 Euro oder mehr pro Monat und der andere lediglich ein Mindestlohneinkommen bezieht, ebenfalls von vornherein ein finanzieller Vorteil besteht, wenn beide in Vollzeit tätig sind. Unterschiedliche Einkommenshöhen beider Elternteile haben deshalb nur dann einen Einfluß auf Vorteile durch variable Transferleistungung, wenn der besserverdienende Partner weniger als 3500 Euro verdient und der schlechterverdienende um den Mindestlohnbereich herumkrebst. Akademiker mit hochspezialisiertem Fachwissen muß man in diesem Bereich eher nicht vermuten. Und wo das doch so sein sollte, sind sie so skandalös unterbezahlt, daß ich ihren Brötchengebern nur raten kann, sich zu einer angemessenen Bezahlung zu entschließen, wenn sie unbedingt wollen, daß sie auch in der Familienphase vollen beruflichen Einsatz bringen.

Im Falle der Familieneinkommen, die Fuest nennt, ist die Sache noch offensichtlicher. 3000 Euro, das wäre ein Mindestlohn-Vollzeiteinkommen plus ein Mindestlohn-Halbtagseinkommen (genaugenommen ist es sogar noch ein bißchen weniger!), und 5000 Euro, das wären zwei Vollzeiteinkommen, die zusammengenommen gerade mal 700 Euro oberhalb des Mindestlohneinkommens liegen. Pro Vollzeitverdiener also Mindestlohn plus 350 Euro, das wären pi mal Daumen zwischen 14 und 15 Euro pro Stunde. Das bekommt man als Einstiegslohn bei Aldi.

Betrachten wir die Sache nun aber auch noch aus einer anderen Richtung: Das durchschnittliche Brutto-Erwerbseinkommen von fünfköpfigen Familien betrug laut Statistischem Bundesamt schon vor drei Jahren, also mitten in der wirtschaftlich angespannten Corona-Zeit, 6100 Euro. (Fürs Protokoll für den von Herrn Fuest vorgetragenen Fall: Bei vierköpfigen Familien sind es 6351 Euro.) Man darf angesichts der Tarifabschlüsse der letzten Jahre getrost davon ausgehen, daß dieser Betrag seitdem gestiegen ist. 

Zu bedenken ist dabei außerdem, daß in diesen Durchschnittswert auch die Erwerbseinkommen des ziemlich hohen Anteils von Familien mit eingeflossen sind, in denen einer der Elternteile überhaupt nicht, im Minijob oder in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit arbeitet. Die nachstehende Grafik umfaßt zwar nur die Erwerbstätigkeit von Familien mit Kindern unter 6 Jahren, aber sie vermittelt eindrucksvoll, daß bei Familien mit Kindern diesen Alters in nicht einmal der Hälfte aller Familien mit auch nur einem Kind mehr als ein Elternteil überhaupt erwerbstätig ist. Bei Familien mit drei Kindern ist es nur ein Drittel. "Erwerbstätigkeit" meint hier außerdem Vollzeit, Teilzeit UND geringfügige Beschäftigung. Es ist keine allzu verwegene Annahme, daß Vollzeitbeschäftigung dabei der weniger häufige Fall ist. 

Mit anderen Worten: Bei Familien mit Kindern unter 6 Jahren ist es ein Ausnahmefall, wenn beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig sind.

Nach dieser Quelle hier machen Familien, in denen Kinder unter 6 Jahren leben, 3,5 Millionen aus. Wieviele davon unserer Gruppe von Familien mit drei Kindern zuzuordnen sind, fand ich auf Anhieb leider nicht heraus, aber da Familien mit drei Kindern sowieso nur 1,1 Millionen ausmachen, hätten schon bescheidene zehn Prozent der Gesamtzahl, also 350.000, einen erheblichen Einfluß auf die statistischen Werte gehabt, weil das immerhin schon ein Drittel aller Familien mit drei Kindern beträfe.

Die Daten dieses gemutmaßten Drittels plus zusätzlich noch die Minijobber plus die Halbtags- und sonstigen Teilzeitbeschäftigten, die sich hinter den Erwerbstätigen in der Tabelle verbergen, bedeuten, daß der Durchschnitt von 6100 Euro Erwerbseinkommen für eine Familie mit drei Kindern (aller Altersstufen bis zur Volljährigkeit) bei einem ziemlich großen Teil der Familien und, so meine Vermutung, unter dem Strich der Mehrheit von ihnen, nicht zwei Vollzeitjobs bedeutet haben kann. Wenn man sich außerdem daran erinnert, daß zwei Durchschnittsverdiener zusammen 8000 Euro verdienen würden, paßt das auch sehr gut zu dieser Annahme.

Wenn also Familien mit drei oder mehr Kindern trotzdem im Durchschnitt 600 Euro mehr als die Obergrenze von 5500 Euro erzielen, wie dies dem Tweet zugrunde lag, scheint mir, es ist hinreichend belegt: Der finanzielle Vorteil durch die aktuell gültigen Sätze des Wohngelds sowie des Kinderzuschlags betrifft nur Familien, deren Einkommen erheblich unter dem Durchschnitt liegt. Für Fuests Szenario gilt das noch eindrucksvoller, da in Familien mit zwei Kindern die Erwerbseinkommen um 250 Euro höher liegen und sein Grenzbetrag mit 5000 Euro niedriger gesetzt werden mußte, weil natürlich Kindergeld und Kinderzuschlag für zwei Kinder längst nicht so stark zu Buche schlagen wie bei dreien, also die Einkommensschere früher wieder aufgeht als bei den Familien mit drei Kindern. Der Vorteil durch Transfereinkommen besteht in Fuests Fall nur, wenn das Einkommen einer Familie mit zwei Kindern um mindestens 1350 Euro monatlich niedriger liegt als das Durchschnittseinkommen von Familien mit zwei Kindern.

Genau das war aber auch Ziel der Anpassung von Wohngeld und Kinderzuschlag. Noch vor gar nicht so langer Zeit waren Kinder nämlich ein solches Armutsrisiko, daß Familien mit Kindern einen großen Teil der Hartz-IV-Empfänger stellten, die trotz Vollzeitarbeit wegen zu geringen Erwerbseinkünften noch aufstocken mußten. Es war richtig, an diesem Mißstand etwas zu verändern. Wie man an dem Vergleich des Bürgergeld-Einkommens mit einem Erwerbseinkommen von 2900 Euro brutto sehen kann, ist es in der Tat auch gelungen, durch die anders strukturierten Transferleistungen für einen ausreichenden finanziellen Abstand zu reinen Transferempfängern zu sorgen. 

Bloß, daß jetzt diejenigen, die zwar ausweislich ihres Einkommens noch lange nicht reich waren, aber bislang doch immer viel mehr Geld als solche Leute hatten, sich ihrerseits ungerecht behandelt fühlen. Und die Sprachrohre der Wirtschaft bestärken sie aus ihrer eigenen Interessenlage heraus darin.

Meines Erachtens ist aber gar nichts ungerecht daran, wenn Eltern nicht nach der Elternzeit vor der Wahl stehen, entweder gleich wieder alle beide in Vollzeit ranklotzen oder als Sozialfälle aufstockend Bürgergeld beantragen zu müssen. Mit drei Kindern ist Vollzeitarbeit beider Elternteile ein solcher Kraftakt, daß genügend Eltern, die so oder so keinen Anspruch auf diese variablen Transferleistungen haben, lieber den finanziellen Nachteil einer Teilzeitarbeit akzeptieren, als ihn auf sich zu nehmen - dies belegt die oben gepostete Grafik deutlich genug. Fuests Forderung bedeutet also vor allem, daß eine Reduktion der Erwerbsarbeit in Familien mit Kindern ein Privileg derer bleiben soll, die sich das ohne Inanspruchnahme von höheren Transferleistungen leisten können. 

Fuests Forderung ergibt außerdem schon alleine deshalb keinen Sinn, weil natürlich das Einkommen umso höher ist, je besser qualifziert Eltern sind, und weil die Wirtschaft ja ein viel höheres Interesse daran haben müßte, Fachkräfte, die typischerweise ein höheres Einkommen haben sollten, möglichst rasch wieder ins Vollzeit-Berufsleben zurückzubringen. Mit mehr Geld kann man sie offenbar aber nicht verlocken, denn der Vorteil, den Fuest kritisiert, betrifft sie von vornherein nicht. Und trotzdem scheinen sie mehrheitlich keine Lust zu haben, als Doppelverdiener-Eltern mehr Geld zu scheffeln. Warum nur, wenn es nur an den finanziellen Anreizen hängen soll? Wenn die Wirtschaft wirklich so dringend auf junge Eltern als Arbeitskräfte angewiesen zu sein glaubt, dann empfehle ich ihr deshalb, sich mal ein paar Gedanken darüber zu machen, warum Eltern dieser Meinung sind und ob sie irgendetwas anderes als Geld zu bieten hat, um sie vom Gegenteil zu überzeugen.

Die Wirtschaft, um die sich Fuest so sehr sorgt, verfügt außerdem über ein höchst wirksames Mittel, um speziell Mitarbeitern mit geringerem Einkommen mehr finanzielle Anreize für Vollzeitarbeit zu verschaffen: Lohnerhöhungen. Niemand wird schließlich mit vorgehaltener Waffe gezwungen, seine Mitarbeiter mit weniger als 3000 Euro für Vollzeit abzuspeisen. Schon mit 3000 Euro für Vollzeit (mal zwei Elternteile) ist es für den Paketboten und die Supermarktkassiererin, die ich gerade vor dem geistigen Auge habe, aber nicht mehr unter dem Strich vorteilhafter, stattdessen Teilzeit plus höhere Transferleistungen zu wählen. Es sei denn natürlich, auch diese Familien finden mehr Zeit für ihre Familie wichtiger als mehr Geld, sobald das Geld ihren für den Lebensunterhalt notwendigen Bedarf übersteigen und der Verzicht auf mehr Geld, als unbedingt erforderlich ist, ihnen mehr Zeit verschaffen würde.

Da ich einmal alleinerziehend war, interessierte mich aber außerdem, wie sich die Sache eigentlich für meinen Fall, eine Alleinerziehende mit einem Kind, gestalten würde. Bei Alleinerziehenden kommt für gewöhnlich Kindesunterhalt oder staatlicher Unterhaltsvorschuß mit hinzu. Dafür ist aber nur in Ausnahmefällen mehr als ein einziges Erwerbseinkommen zu erzielen. (Ich gehörte zeitweise zu diesen Ausnahmefällen, als ich neben meiner Vollzeitarbeit zusätzlich meine freiberufliche Tätigkeit im Nebenberuf begonnen habe, weil mir anders mein Einkommen nicht ausgereicht hätte, um meine laufenden Kosten zu decken.)

Sagen wir also, eine Alleinerziehende drückt sich mit  ihrem Kind wohnungstechnisch in zwei Zimmer, zahlt an Miete 1000 Euro warm und erhält - wie ich einst - Unterhaltsvorschuß vom Amt, also den Minimalbetrag. 

Bruttoeinkommen wie im Fall oben:

  • Bürgergeldempfängerin: 1873 Euro
  • 1500 Euro brutto: 2246 Euro: 1173 Euro plus 250 Euro Kindergeld plus 188,50 Kinderzuschlag plus 230 Euro Unterhaltsvorschuß plus 593 Euro Wohngeld
  • 2900 Euro brutto: 2567,37 Euro: 2007,37 Euro plus 250 Euro Kindergeld plus 230 Euro Unterhaltsvorschuß plus 78 Euro Wohngeld
  • 4000 Euro brutto: 3098,92 Euro: 2618,92 Euro plus 250 Euro Kindergeld plus 230 Euro Unterhaltsvorschuß
  • 5500 Euro brutto: 3897,51 Euro: 3417,51 plus 250 Euro Kindergeld plus 230 Euro Unterhaltsvorschuß

Wie man sieht, bewegt sich hier die Schere viel schneller und viel stärker auseinander; das liegt daran, daß schon bei 2900 brutto Erwerbseinkommen die variablen Transferleistungen kaum noch der Rede wert sind. Für die Alleinerziehende mit einem Kind lohnt es sich auch definitiv nicht finanziell, sich in Teilzeit mit 1500 Euro brutto zu begnügen.

Kalkulieren wir die Sache nun aber auch mal für einen Single, die häufigere Haushaltsform im Vergleich zu einer Familie mit drei Kindern oder einem alleinerziehenden Elternteil mit einem Kind. Sagen wir, er zahlt eine Warmmiete von 600 Euro - preisgünstig, aber nicht unrealistisch niedrig. Kindergeld und Kinderzuschlag gibt es in diesem Fall natürlich nicht - aber Wohngeld.

Erwerbseinkommen brutto: 

  • Bürgergeldempfänger: 1163 Euro (563 Euro Regelsatz zzgl. tatsächliche Wohnkosten)
  • 1500 Euro brutto: netto 1391,25 Euro inkl. 227 Euro Wohngeld
  • 2900 Euro brutto: netto 1994,80 Euro - kein Wohngeldanspruch
  • 4000 Euro brutto: netto 2602,42 Euro - kein Wohngeldanspruch
  • 5500 Euro brutto: netto 3397,96 Euro - kein Wohngeldanspruch

Weiter oben hatte ich es bereits erwähnt: Wer Mindestlohn verdient, kommt in 40-Stunden-Vollzeit bereits auf 2150 Euro monatlich. Also hier noch die Berechnung für einen Single, der Mindestlohn verdient und 40 Stunden pro Woche arbeitet:

  • 2150 Euro brutto: netto 1574,93 Euro inkl. 14 Euro Wohngeld

Eigentlich bin ich ja der Meinung, ein Mindestlohn müsse einem Single, der ihn verdient, ausreichen, um ohne Transferleistungen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber immerhin, er ist doch ziemlich nahe dran. Außerdem war hier ja etwas anderes zu beweisen, nämlich die Frage, ob es einen Anreiz gibt, Vollzeit durch Teilzeit zu ersetzen. Meines Erachtens ist für Singles der Anreiz, Teilzeit zu arbeiten, praktisch nicht existent, denn gerade bei solchen Einkommen ist jeder Hunderter hin oder her von Bedeutung. Allenfalls sähe ich hier einen Grund, den Mindestlohn bei der nächstmöglichen Gelegenheit nochmal ein bißchen zu erhöhen, um sicherzustellen, daß eine Mehrheit der Mindestlohnverdiener aus dem Wohngeld-Anspruchsbereich herausgelangt.

Nun könnte man natürlich auch noch die Wirkung auf Doppelverdiener-Paare und kinderlose Doppelverdiener-Ehepaare sowie solche mit nur einem Kind überprüfen. Aber es liegt ja auf der Hand, daß keine dieser Gruppen auch nur annähernd so viel von den variablen Transferleistungen Kinderzuschlag und Wohngeld profitiert wie Ehepaare mit zwei oder mehr Kindern. Damit liegt auf der Hand, daß in allen diesen Haushaltsformen über die Frage Voll- oder Teilzeit entschieden wird, ohne daß dabei der finanzielle Aspekt und ein etwaiger Vorteil durch staatliche Transferleistungen dabei unbedingt die Hauptrolle spielt. Die allermeisten Erwerbstätigen haben den kritisierten Anreiz durch staatliche Leistungen nämlich von vornherein nicht. 

Diejenigen, die ihn haben, sind, wie gezeigt, Familien mit zwei oder mehr Kindern, aber nur solche Familien, die deutlich unter Durchschnitt verdienen. Auch sie haben ihn aber außerdem sowieso nur vorübergehend. Als Gesellschaft bekommen wir dafür auch eine Gegenleistung, nämlich Kinder, deren Wohlergehen nicht kurzerhand jederzeit Arbeitgeberwünschen untergeordnet wird, bloß weil denen das natürlich viel besser in den Kram passen würde. Es ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, Familien mit Kindern Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie ihren Aufgaben als Eltern mindestens genauso gut und sorgfältig nachkommen können wie ihren Pflichten als Erwerbstätige. Bei Familien mit einem Einkommen, das deutlich unter dem Durchschnitt liegt, zählt dazu natürlich auch eine finanzielle Ausstattung, die ihnen dies möglich macht.

Gönnen wir es doch den Paketboten und Supermarktkassiererinnen, wenn sie nach der Elternzeit die Chance haben, ohne erhebliche Einkommenseinbußen ein paar Jährchen Teilzeit zu arbeiten, solange die Kinder noch klein sind! Von den Lohnerhöhungen, mit denen ihr Arbeitgeber sie zu verlocken versuchen wird, profitieren außerdem neben ihnen auch andere Beschäftigte. Das Ziel, daß das Einkommen die Lebenshaltungskosten wieder besser abdeckt, nachdem letztere so stark gestiegen sind, wird auf diese Weise ja für alle etwas schneller erreicht. Was außerdem noch erwähnt werden sollte: Wir leben in Inflationszeiten, und so schnell werden die Beträge kaum angepaßt werden, also führen die steigenden Einkommen dazu, daß der Vorteil im Lauf der nächsten Jahre sowieso immer weniger Familien betreffen wird. Das ist eine mehr oder weniger unausweichliche Entwicklung, und sie macht das Gejammer der Lobbyisten noch gegenstandsloser.

Es gibt aber auf dem Arbeitsmarkt andere gesetzliche Fehlanreize, die ich für sehr beseitigenswert halte. Der eine ist das Ehegattensplitting. Der andere sind die Minijobs. Beides gehört meiner Meinung nach abgeschafft, aber schon die Abschaffung eines der beiden Faktoren wäre ein Grund, die  Sektkorken knallen zu lassen, da sie vor allem im Zusammenspiel eine gesellschaftlich nicht wünschenswerte Wirkung haben.

Minijobs sind die wichtigste Ursache für Altersarmut bei Frauen, nicht nur, weil bis vor kurzem nie oder nur selten Rentenversicherungsbeiträge aus ihnen abgeführt wurden und die heute üblichen Beträge zu keiner existenzsichernden Rente führen können, sondern auch, weil sie in eine berufliche Sackgasse führen, aus der man nur schwer wieder herauskommt. In der Vergangenheit, als die Arbeitslosigkeit noch höher war und die Chefs mit spitzen Fingern unter Bewerbern auswählen konnten und zudem kaum ausreichende Kinderbetreuung zu finden war, hat dies eine Menge eigentlich gut ausgebildeter Frauen dauerhaft aus dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsmarkt herausgekegelt. Mittlerweile mag dieses Risiko nicht mehr ganz so hoch sein, also ein Wiedereinstieg in Vollzeit einfacher sein und dabei häufiger auch die vorherige Qualifikation in angemessener Weise mitberücksichtigt werden. Aber in meiner Generation sind eine Menge Frauen, die ich kenne, nach der Geburt ihrer Kinder für den Rest ihres Erwerbslebens nie wieder in ihren alten Beruf hineingekommen, haben sich also auch dann, wenn sie wieder in existenzsicherndem Umfang zu arbeiten begannen, mit Tätigkeiten unter ihrer eigentlichen Qualifikation - und entsprechend schlechterer Bezahlung - begnügen müssen. Hinzu kamen natürlich außerdem noch die skandalös niedrigen Löhne, mit denen jeder gerade Arbeitssuchende der meisten Qualifikationen in den Jahren nach 2005 abgespeist wurde, wie das ja auch einer der Hintergedanken der Agenda 2010 gewesen war. Je geringer die Qualifikation, desto mehr Jahre hielt dieser Zustand an. Die Folgen werden sich bei allen im Rentenbescheid bemerkbar machen, die das Pech hatten, in diesem Zeitraum ihre vorherige Arbeit zu verlieren und ein neues Arbeitsverhältnis eingehen zu müssen, aber Mütter, die schon davor aus familiären Erwägungen heraus keine oder nur geringe Rentenbeiträge bezahlt hatten, werden davon ganz besonders benachteiligt sein.

Die unangenehme Quittung einer Rente auf niedrigerem Niveau, als es ohne die Minijobfalle eigentlich möglich gewesen wäre, kommt dann beim Renteneintritt. Den Frauen meiner Generation (Geburtsjahrgänge 1960 bis 1970) steht der Schock beim Anblick des Rentenbescheids erst in zwei bis zwölf Jahren ins Haus, aber ich bin mir sicher, daß sämtliche Qualitätsmedien, wenn unsere Verrentung erst einmal angefangen hat, ein großes Heulen und Zähneklappern darob anstimmen werden. Denn wir sind noch dazu verflixt viele. Wir gehören ja den geburtenreichsten Jahrgängen an.

Wie oft habe ich schon gehört oder gelesen, daß mir vorgerechnet wurde, wie wenig sich eine Halbtagsarbeit im Vergleich zu einem Minijob lohnt. Das wiederum ist eine Wirkung des Ehegattensplittings. Die Kosten-Nutzen-Relation sieht aus Perspektive eines Elternpaars einfach nicht überzeugend aus. Das gilt noch mehr, wenn die Eltern sich einig sind, daß die Familienpflichten nicht kompatibel zu zwei Vollzeitjobs sind, wofür es ja nach wie vor gute Gründe gibt und zu meiner Familienzeit noch sehr viel bessere gab, als es noch wenig Kinderbetreuungslösungen gab und berufstätige Mütter als Rabenmütter gesehen wurden. Denn mit dem, was unter dem Strich bei Teilzeit 50 % herauskommt, wenn man Steuerklasse V hat, und davon noch die Mehrkosten abzieht, die erst durch diesen Teilzeitjob enstehen, steht man oft nicht besser da, als wenn man kündigt und lieber gleich einen Minijob beim Bäcker um die Ecke annimt. In der Regel ist es dann die Ehefrau, die ihr vorheriges Arbeitsverhältnis ganz aufgibt und nur noch einem Minijob nachgeht. Aber die Kalkulation dieser Ehefrau geht nur dann auf, wenn die Ehe dauerhaft hält, und bei jeder dritten Ehe ist das nicht der Fall. Nicht nur bei einer Scheidung, in der dann von diesen Frauen erwartet wird, ganz schnell eine "richtige" Arbeit zu finden und ihren Lebensunterhalt alleine zu erwirtschaften, auch beim Renteneintritt kann es dann ein böses Erwachen geben, wenn zu viele Berufsjahre mit Minijobs ausgefüllt wurden - vor allem dann, wenn, wie in meinem Umfeld bereits miterlebt, die Scheidung erst ziemlich spät geschieht. Aus Rentenperspektive sind absurderweise Mütter umso besser dran, je schneller ihre Ehe in die Brüche geht, weil nach der Trennung die Minijoblösung sowieso keine mehr ist und durch etwas Besseres ersetzt werden muß.

Fuest erwähnt beides nicht, und das bedeutet wohl, daß es ihm egal ist. Das verstehe ich auch. Der Wirtschaft ist es per se ja immer gleichgültig, ob und wie viele Menschen sie in den Ruin treibt. Das nehme ich ihr noch nicht einmal übel, es entspricht der inneren Logik, nach der sie funktioniert. Dieser Logik Grenzen zu setzen, ohne sie damit ihrerseits in den Ruin zu treiben, das wäre eigentlich Aufgabe der Politik, obwohl man nicht immer den Eindruck hat, daß ihr das klar ist (was ich schon um einiges übler nehme). Wir als Büger sollten uns aber jedenfalls davor hüten, der Wirtschaft und ihren Sprachrohren - in diesem Fall Herrn Fuest - auf den Leim zu gehen, wenn sie bei der Vertretung ihrer eigenen Interessen so tut, als würde sie nebenbei oder sogar hauptsächlich auch unsere Interessen vertreten. Das tut sie nämlich nicht, sie spekuliert bloß darauf, uns als Verbündete gewinnen zu können, wenn sie an unsere niedrigsten Instinkte appelliert, den giftgrünen Futterneid, das ständige Schielen darauf, ob womöglich jemand anders mehr auf dem Teller haben könnte als man selbst.

Unsere Interessen müssen wir immer noch selber vertreten - aber davor erst einmal erkennen, was in unserem Interesse ist und was nicht. Daß Fuest nicht in unserem Interesse argumentiert, zeigt sich nicht nur bei näherer Betrachtung der Sachlage, sondern auch, weil wir als Gesellschaft die Ängste vor dramatischen wirtschaftlichen Folgen, die er zu schüren versucht, und die Neidhammelei, die er dafür anzufachen versucht, im Moment so nötig brauchen wie ein Loch im Kopf. Vielleicht also sollte ich bei den Tübinger Kaffeeröstern ja doch lieber anregen, daß sie von ihren Käufern künftig ein Bekenntnis gegen Clemens Fuest verlangen? ;-)