Mittwoch, 31. März 2021

Konsequent "falsch", weil das so richtig ist

Mein Gewicht heute morgen nach dem zweiten von vier Fastentage: 97,2 Kilogramm. 

Meine Wunschphantasien von einem Startgewicht unter 100 Kilogramm haben sich leider nicht erfüllt, und auch mit einem neuen Niedrigstgewicht wird es wohl nichts. Mein zweiter Fastentag letzte Woche erbrachte nämlich aus irgendwelchen Gründen ein Gewichtsminus von nur 500 Gramm, womit ich nun gar nicht gerechnet hatte, weil das der bei weitem niedrigste Wert an einem einzelnen Fastentag war, den ich je erlebt habe. Damit war der Ausgangspunkt, von dem aus ich meine Wiederzunahme übers Wochenende kalkulierte, etwa ein Kilo höher als gedacht. (Die Wiederzunahme selbst hatte ich immerhin fast exakt richtig kalkuliert.) 

Auf der positiven Seite lag mein vorgestriges Startgewicht immerhin dennoch um 1,5 Kilogramm niedriger als mein Gewichtsmaximum während des Februars und sowohl gestern als auch heute hatte ich das jeweils niedrigste Gewicht des Jahres zu einem vergleichbaren Fastenzeitpunkt, also bewegt sich die Sache gerade dennoch in die richtige Richtung, allerdings nicht so schnell, wie sich das letzte Woche noch abzuzeichnen schien. 

Das wäre ja auch gar zu schön gewesen. ;-)

Meinem Twitter-Feed habe ich Schreckliches angetan, als ich Herman Pontzer zu folgen begonnen habe, der Low Carb und ähnliches für einen reinen Schwindel zu halten scheint. Anfangs hat mich das sehr vor den Kopf gestoßen, weil die Wirkung von Low Carb, obwohl die Methode, wie sich immer deutlicher herauskristallisiert, ihre Grenzen hat, so eindeutig und außerdem eindrucksvoll ist - jedenfalls dann, wenn man sich nicht auf Studien beschränkt, die Sechs-Wochen-Vergleiche zwischen Low Fat und Low Carb ziehen (die ohne jede Aussagekraft sind, weil im Lauf von sechs Wochen ja mit jeder halbwegs konsequent durchgezogenen Maßnahme abgenommen werden kann). Oder solchen, bei denen sich hinter diesem Begriff Ernährungsweisen verbergen, die sehr viel mehr Kohlenhydrate enthalten als eine typische Low-Carb-Ernährung. 

Auch wenn ich selbst nicht Low Carb praktiziere, sondern Intervallfasten, muß ich mich doch in diesem Punkt mit der Low-Carb-Fraktion solidarisieren: Es ist ein echtes Problem, daß Studien oft so wenig von der praktischen Erfahrung mit Low Carb widerspiegeln, die ja reale Menschen bei realen Ärzten gemacht haben. Noch ärgerlicher, daß die persönliche Erfahrung aus wissenschaftlicher Sicht vernachlässigenswert ist und - gerne mit einem geradezu verächtlichen Unterton - als "eine reine Anekdote" abgetan wird. Genau auf diese Anekdoten kommt es doch am Ende ausschließlich an, und es sollten möglichst viele Anekdoten sein, die einen Erfolg vermelden. Mich stört das überhaupt gewaltig, wenn seitens der Wissenschaft so getan wird, als müßte ich die Durchsschnittswerte, die Studienergebnisse ja immer sind, für relevanter halten als meine eigene Gewichtsabnahme. Dafür habe ich überhaupt keinen Grund. 

Mein Vertrauen in die Wissenschaft vergrößert es wahrhaftig nicht, wenn ich erkenne, daß die Forschungsfrage von Beginn an so gestellt wurde, daß sie im richtigen Leben gar keinen Nutzen bringen kann, von mir dann aber erwartet wird, daß ich mich dennoch so verhalten müsse, als wäre für mich ein Nutzen zu erwarten. Oder auch nur überhaupt ein Nutzen für irgendwen, dem sein Arzt bedeutet hat, er solle abnehmen um seiner Gesundheit willen.

Ich weiß nicht, ob Wissenschaftler aus einem nur sechswöchigen Vergleich zwischen Low Carb und Low Fat irgendwelche wichtigen Erkenntnisse ziehen können, die ihn doch sinnvoll machen können, aber ein Urteil über die Abnahmewirkung kann man jedenfalls frühestens nach zwei bis drei Jahren fällen, weil eine typische Low-Fat-Diät unweigerlich eine Wiederzunahme zur Folge hat, was bei Low Carb allem Anschein nach sehr viel seltener zu erwarten ist. 

Ja, anekdotischem Anschein nach natürlich. Solange die Wissenschaft auf einem zu hohen Roß sitzt, um sich diese zwei bis drei Jahre lang mit einem Vergleich zu befassen, halte ich anekdotische Evidenz zu solchen Zeiträumen immer noch für aussagekräftiger als irgendwelche Sechs-Wochen-Studien.

Ich halte es aber durchaus für möglich, daß Low Carb unter BMI 40 nur bei einem Teil der Anwender funktioniert, nämlich bei denen, die bereits eine Insulinresistenz mindestens zu entwickeln beginnen - was aber nicht zwangsläufig auf jedes Übergewicht zutreffen muß. Die Wirkung müßte umso stärker ausfallen, je stärker ausgeprägt sie ist, und ab BMI 40 kann man sie wohl als bei so gut wie jedem nachweisbar voraussetzen. Wenn aber die Auswahl der Studienteilnehmer gerade diese Gruppe von vornherein ausschließt, scheint sich niemand für die Frage interessiert zu haben, warum Low Carb wirkt, wenn es wirkt, und damit auch die Frage, unter welchen Voraussetzung die Wirkung besser oder schlechter ist, was ja wichtig für einen sinnvollen praktischen Einsatz wäre. Stattdessen mixt man die Ergebnisse aller Teilnehmer, die vielleicht ganz unterschiedlich erfolgreich waren, zu einem Durchschnittswert, damit solche Unterschiede auf gar keinen Fall mehr von außen erkennbar sind.

Es heißt ja immer, man solle der Wissenschaft doch bitte vertrauen. Ich vertraue Ratschlägen aber nicht, die auf der Prämisse basieren, ich wäre eine verdammte Nachkommastelle in einer Statistik, und schon gar nicht, wenn meine Gesundheit und mein Wohlbefinden davon abhängen.

Irgendwie enttäuscht es mich schon, einen Wissenschaftler, der einen ziemlich verbreiteten Mythos, nämlich der Wirkung von Sport auf das Körpergewicht, entzaubert zu haben behauptet, andere Ernährungsmythen so unkritisch sieht. Ich habe immer noch vor, Pontzers Buch zu lesen, aber mit einer guten Portion Skepsis. Denn wenn Pontzer so offensichtliche Haken in einer Studie aus einem angrenzenden Fachgebiet nicht als solche erkennt, sondern deren Ergebnis einfach für bare Münze nimmt - und als Bestätigung dessen, was er offenbar von vornherien geglaubt hatte -, hat er vergleichbare Irrtümer womöglich auch in der Interpretation seiner Forschungsergebnisse untergebracht. 

***

Nachträglicher Einschub: Gerade sah ich eine Studie - genaugenommen eine Metaanlyse -, deren Ergebnis den Zusammenhang zwischen Hyperinsulinämie und BMI nahelegt, auf dem die Wirkung sowohl von Low Carb als auch Intervallfasten beruht. Was Ursache und was Wirkung ist, wird durch die zeitliche Abfolge nachgewiesen: Sinkt der Wert des Fasten-Insulins, sinkt in der nächsten Zeitperiode auch der BMI.

Es ist also nicht so, daß es nur anekdotische Evidenz dafür gibt, sich in der ärztlichen Praxis erst einmal mit dem Insulin zu befassen. Nur sind es ausschließlich die bereits Überzeugten, die solche Ergebnisse überhaupt mit Blick auf ihr Ernährungsmodell wahrnehmen. Weil der ärztliche und wissenschaftliche Mainstream sich darauf geeinigt hat, sie als Quacksalber zu betrachten, dringt die Bedeutung solcher Ergebnisse einstweilen nicht weit genug in diesen Mainstream vor, um ein Umdenken auszulösen. 

Jedenfalls noch nicht.

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Immerhin, wenigstens in einem Punkt ist sich die Low-Carb-Gemeinde, deren messianisches Gehabe mir momentan übrigens ebenfalls ziemlich auf den Zeiger geht, mit Pontzer doch einig: Man müsse unbedingt Sport treiben. Pontzer ist zwar derjenige, der herausgefunden hat, daß man mit Sport nicht abnimmt, aber für lebensnotwendig hält er ihn dennoch, nur eben aus anderen Gründen.

Aber genau in diesem Punkt bin ich wiederum völlig anderer Meinung. Nach dem Motto "Viel Feind, viel Ehr" widerspreche ich deshalb jetzt beiden.

Sport ist letztlich nur eine Simulation, und zwar eine Simulation der harten körperlichen Arbeit, die seit Menschengedenken für nahezu jeden Menschen zur Nahrungsbeschaffung überlebensnotwendig war, bis die Technik sie schleichend überflüssig machte. Daß diese kraftraubende Notwendigkeit aber ausgerechnet gesundheitlich überlebensnotwendig gewesen sei, daran glaube ich einfach nicht, weil das keinen Sinn ergibt. Der physische Verschleiß durch diese Art von Anstrengungen führte ja zu damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen und, ja natürlich, einem vorzeitigen Tod im Vergleich zur heutigen Lebenserwartung. In gewissem Sinne finde ich die Gesundheitsrisiken der Lebensweise, die uns als natürlich und gesund hingestellt wird, aber in Wirklichkeit einfach auf nicht vermeidbaren Notwendigkeiten beruhte, vergleichbar mit der Gesundheit heutiger Leistungssportler, die bekanntlich ja auch viel krankheitsanfälliger sind als wir Normalsterblichen.

Es kommt ja auch nicht von ungefähr, daß Wildtiere in Zoos viel älter werden als in ihrem natürlichen Habitat. Die Lebensweise, für die wir eigentlich konstruiert sind, ist in Wirklichkeit gar nicht dafür gedacht, uns alle hundert Jahre alt werden zu lassen; im Prinzip reicht es ja aus evolutionsbiologischer Sicht, wenn wir uns fortpflanzen und unsere Kinder großkriegen, danach sind wir aus dieser Perspektive verzichtbar. Es führt meines Erachtens in die Irre, wenn wir glauben, besonders naturnahe Lebensgewohnheiten - wie etwa tägliche Maximalanstrengungen, die wir leisten können, sofern wir müssen - würden uns ein besonders hohes Lebensalter und lange Gesundheit verschaffen. Tatsächlich haben sämtliche Zivilisationskrankheiten, die sich im Lauf der letzten siebzig Jahre so gehäuft haben, eine ständig steigende Lebenserwartung ja nicht verhindert. Bislang nicht einmal Diabetes mit all seinen Folgekrankheiten, auch wenn ich es nicht für ausgeschlossen halte, daß gerade diese an sich leicht vermeidbare und durch Low Carb oder Intervallfasten auch reversible Krankheit den Trend irgendwann einmal zum Stoppen bringt.

Ich würde mich solchen "Bußritualen", die angeblich das Leibesheil mit sich bringen sollen, aber nicht einmal dann mehr unterziehen, wenn ich an die Notwendigkeit von Sport glauben würde, um vielleicht doch ein oder zwei zusätzliche Lebensjahre herauszuschinden. Es kommt mir nämlich völlig absurd vor, daß die Geschichte der Menschheit als roten Faden die Bemühungen enthält, mittels technischer Erfindungen die körperlichen Anstrengungen und den Zeitaufwand weniger werden zu lassen, die erforderlich sind, um zu überleben, dann aber die gesparte Zeit dafür genutzt werden soll, sich ohne vernünftigen Grund genauso anzustrengen. Da habe ich doch viel mehr davon, die Zeit, die ich andernfalls für langweiligen Kram wie Joggen und dergleichen einplanen müßte, schon jetzt so zu nutzen, um mein Leben erfüllt, sinnvoll und anregend zu machen. 

Eines kann ich garantieren: Auf meinem Sterbebett, wann auch immer das stattfinden mag, werde ich mit Sicherheit nicht bedauern, daß ich keinen Sport getrieben habe.

In der Zeit, als ich noch darauf hoffte, die Stellschraube "Bewegung" könne mir zu der gewünschten Gewichtsabnahme verhelfen, habe ich ebenfalls Wert darauf gelegt, nicht gar zu viel Lebenszeit daran verschwenden zu müssen. Das machte das EMS-Training zu einer vernünftigen Option, zumal es mir gelang, diese Sache perfekt in meinen Alltagsrhythmus einzubauen. Aber schon die Viertelstunde Gymnastik, die ich zwei Jahre lange jeden verdammten Morgen gemacht habe, empfand ich eigentlich als störend, und obwohl ich sie in diesem Zeitraum diszipliniert und konsequent durchgezogen habe,  habe ich nie in Erwägung gezogen, damit wieder anzufangen, nachdem sich bei einer unfreiwilligen Unterbrechung durch einen Wasserschaden und damit verbundenen Platzmangel herausstellte, daß das Fehlen der Gymnastik meine weitere Gewichtsabnahme nicht verhinderte.

Was mir aber außerdem durch den Kopf ging, und zwar am Samstag, als ich im Schweiße meines Angesichts beim Frühjahrsputz war und gerade auf Händen und Knien unter dem Schreibtisch herumrobbte: Wieviele von den Leuten, die glauben, Sport sei notwendig, um gesund zu bleiben, haben wohl eine Putzfrau, um sich mit so etwas nicht selbst die Hände dreckig machen zu müssen? Hausarbeit ist ja eigentlich auch eine körperliche Anstrengung, jedenfalls dann, wenn man sie richtig macht. Irgendwie finde ich die Vorstellung ulkig, daß jemand Geld für eine Putzfrau UND für ein Fitnesstudio ausgibt, obwohl er sich beide Geldbeträge sparen und dadurch die gleiche Bewegungsintensität bekommen könnte.

Bewegung nur um der Bewegung willen ist ein Konzept, das mir noch nie eingeleuchtet hat. Wer das wirklich gerne macht, für den spricht nichts dagegen, es zu tun, aber es als eine gesundheitliche Notwendigkeit zu verkaufen, halte ich für lächerlich. Der gesundheitliche Vorteil ergibt sich allenfalls im Vergleich zu einem extrem bewegungsarmen Leben, etwa zu einem Bettlägerigen, wie es normale Leute wohl kaum führen. 

Ich finde auch gar nicht, daß ich mich zu wenig bewege. Gestern zum Beispiel hatte ich in meiner gerade freigewordenen Wohnung einen Handwerkertermin und wegen des schönen Wetters habe ich mich spontan entschlossen, zu Fuß hinzulaufen, statt den Bus zu nehmen, weil ich erst vor einigen Wochen einen Fußweg durch ein schönes Stadtviertel entdeckt habe, mit dem ich in relativ gerader Linie dort hinkomme, aber ohne die wenig verlockenden Hauptstraßen entlanggehen zu müssen. Jetzt weiß ich, daß ich für diesen Fußweg nur ein bißchen mehr als eine halbe Stunde brauche, ungefähr ebensolange wie mit dem Bus, mit dem ich einmal Umsteigen einplanen muß. Das werde ich künftig sicherlich öfter machen, wenn dort etwas anliegt.

Auf dem Rückweg bin ich allerdings lieber zur Bushaltestelle gegangen, weil ich im nahegelegenen Discounter zwei 20-Liter-Packungen Blumenerde mitnehmen wollte. Mit so einer Bepackung mache ich keine vermeidbaren Fußmärsche - was mich aber dennoch daran erinnerte, daß diese Last weniger ist als das Körpergewicht, das ich seit Beginn des Intervallfastens verloren habe. Trotzdem war ich eigentlich aber auch damals ständig zu Fuß unterwegs, wie man das als Nichtautobesitzer eben gewohnheitsmäßig macht. Jetzt ist es weniger anstrengend, das fällt mir vor allem dann auf, wenn es bergauf geht, aber gemacht habe ich es eigentlich immer. 

Also, ich finde nicht, daß ich mich zu wenig bewege, nur weil ich keinen Sport treibe. Alleine schon, weil ich im vierten Stock eines Altbaus ohne Aufzug wohne. Ich bin der Meinung, diese Art von Alltagsbewegung muß einfach ausreichen.

Ganz ähnlich geht es mir auch beim Thema Essen. Es gibt da einen Spruch, den man immer wieder hört oder liest bei Leuten, die viel abgenommen haben: "Kein Eis schmeckt so gut, wie xy (Zahl variiert) Kilo (erreichtes Gewicht) sich anfühlen." In Wirklichkeit bin ich zwar gar kein so begeisterter Eisesser, aber ich sehe das genau umgekehrt: Kein Idealgewicht fühlt sich gut genug an, um dafür dauerhaft auf etwas zu verzichten, das ich für den Rest meines Lebens vermissen würde. Und kein Idealgewicht würde mich glücklich genug machen, um das Unglück aufzuwiegen, mich permanent kontrollieren zu müssen - sei es durch Kalorien-, Kohlehydrate- oder Schrittezählen. Mein Leben ist mir einfach zu schade dafür, um es dauerhaft mit solchen um mich selbst kreisenden Beschäftigungen zu füllen. Sollte ich also irgendwann überhaupt nicht mehr weiterkommen mit dem Abnehmen, wäre es für mich eher eine Option, mich mit dem dann erreichten Gewicht zufriedenzugeben, als mich zu einem Wechsel in so ein Verfahren als Dauerlösung zu entschließen. Denn den Punkt, ab dem ich anfing, mich wegen meines Gewichts in meinem Körper unwohl zu fühlen, habe ich ja längst wieder unterschritten.

Von denen, die es versuchen, eine solche Dauer-Selbstkontrolle für längere Zeit auch nur annähernd konsequent genug durchzuziehen, schaffen es ohnehin so wenige, daß ich sogar versucht bin, alleine schon die Fähigkeit zu dieser Art von konsequenter dauerhafter Selbstdisziplinierung für eine Art Persönlichkeitsstörung zu halten. Und zwar für eine potentiell gefährliche Persönlichkeitsstörung. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß die Sache bei einem Teil dieser erfolgreichen Kontroll-Freaks dann in eine Magersucht umschlägt, und die ist mit einem weitaus höheren Risiko für einen frühen Tod als Übergewicht verbunden. 

Die versteckte gute Nachricht in der schlechten für alle, die an einem selbstauferlegten Dauerprogramm nach einiger Zeit scheitern, das Sport mit Ernährungseinschränkungen kombiert, wäre dann: An einer Zwangsstörung dieser Art, die es euch ermöglichen würde, euch permanent selbst Gewalt anzutun, leidet ihr jedenfalls nicht.



Donnerstag, 25. März 2021

Der Uhu ist ein Zugvogel oder: Frühlingsgefühle auf der Waage

Manchmal platzt der Knoten unerwartet - aber Hauptsache, er platzt überhaupt. 

Mein Gewicht ist seit dem letzten langen Fastenintervall langsamer als sonst wieder angestiegen: Von 95,7 Kilogramm über 96,6 und 97,7 auf 99,0 am Montag, immer ungefähr ein Kilogramm weniger als vor zwei Wochen beim letzten langen Fastenintervall. Die eigentliche faustdicke Überraschung kam aber am Dienstag, als ich wie am Montag 99 Kilogramm wog, statt noch einmal ein Kilo mehr auf die Waage zu bringen. Aber vor allem heute, am zweiten Fastentag der Woche, als die Waage ein Startgewicht von 98,3 Kilogramm anzeigte, nachdem mein Gewicht von Montag auf Dienstag weniger als erwartet nur auf 97,5 zurückgegangen war. 

Damit werde ich morgen früh endlich mal wieder ohne langes Fastenintervall höchstwahrscheinlich bei einem Gewicht unter 97 Kilogramm - also einer Abnahme von mehr als 50 Kilogramm - landen. Möglicherweise sogar relativ weit unter dieser Marke. 

Wenn man bedenkt, daß ich letzte Woche nach vier Tagen Fasten auch nur knapp unter 96 Kilogramm aufgeschlagen bin, ist das schon spektakulär.

Ich mußte in meiner Gewichtstabelle ziemlich weit hochscrollen, um ein noch niedrigeres Ausgangsgewicht am zweiten Fastentag in einer Woche mit nur zwei Fastentagen zu finden, und es gab nur ein Ergebnis das noch besser war, nämlich am 15. Oktober letztes Jahr. Jetzt bin ich also wieder ungefähr an dem Punkt, an dem ich war, bevor der Herbst seine alljährliche Sabotagearbeit aufgenommen hat.

Ist das zu fassen? Seit Januar waren die Ausschläge auf der Waage wie festzementiert, und jetzt, wo ich gerade erst meine komplette Ratlosigkeit eingestanden habe, wartet der häßliche Ühu vergeblich darauf, wie gewohnt den Platz seines flatterhaften Kollegen einnehmen zu können.

Diese Wiederzunahmen nach viertägigen Fastenintervallen, ich sollte es wohl wiederholen, sind normal und unvermeidbar. Von den durchschnittlich sechs bis sieben Kilogramm Abnahme in diesen vier Tagen sind mindestens vier Wasser und eines Magen-Darm-Inhalt. Mein Problem der letzten zwei Monate bestand darin, daß ich immer die vollen sechs bis sieben Kilogramm wieder zugenommen habe und die Gewichtstendenz, wenn überhaupt, eher leicht nach oben ging statt nach unten. Erklären konnte ich mir das nicht. Es ergibt schließlich keinen Sinn, zu vermuten, daß bei vier Tagen Nahrungsverzicht überhaupt keine Fettverbrennung stattgefunden haben soll, und ich kann ja sehen und spüren, daß mein Bauch weniger geworden ist.

Mein Uhu scheint ein Zugvogel zu sein. Immerhin, der Lenz ist da, ich höre es am Vogelgezwitscher draußen. Und noch jedes Jahr hat es im Frühjahr dann auf einmal wieder mit dem Gewichtsverlust funktioniert.

Oder sollte das wahrhaftig eine Wirkung des früheren Abendessens sein? Wenn ja, ging das ja irre schnell. Es ist ja noch nicht einmal eine volle Woche her, daß ich damit angefangen habe.

So ganz einfach war die Umstellung auf das frühe Abendessen zu Beginn übrigens nicht. Am Samstag ist es doch wieder 20 Uhr geworden, bis das Essen auf dem Tisch stand. Am Sonntag gelang es immerhin um 18.30 Uhr, und erst am Montag gingen wir wirklich um 18 Uhr zu Tisch. Mein Magen besaß prompt die Frechheit, gegen 23 Uhr, als ich schon im Bett war, herumzuknurren. Aber der gewöhnt sich schon noch daran.

Eine Theorie, was den unerwarteten Gewichtsrutsch in diesem Zusammenhang ausgelöst haben könnte: Die Zunahme im Februar, über die ich so entsetzt war, war gar keine Zunahme im eigentlichen Sinne, sondern hatte irgendetwas mit dem auffallend häufigeren Auftreten des Sodbrennens zu tun, vielleicht irgendeine Infektion im Magen-Darm-Bereich, die aus irgendwelchen Gründen zu mehr Körperwasser führte. Sodbrennen habe ich nicht mehr gehabt, seit wir das Abendessen vorverlegt haben, aber noch ist es natürlich viel zu früh, es für dauerhaft beendet zu erklären. 

Auch mein Mann hat das Gefühl, daß es ihm guttut, er sagt, er schläft auf einmal viel besser. Wenn man bedenkt, daß wir vor allem seinetwegen immer so spät gegessen haben ...

Was mir aufgefallen ist, war, daß der große Unterschied nicht in einer höheren Abnahme an einem Fastentag, sondern an einer niedrigeren Wiederzunahme an normalen Eßtagen besteht. Auch meine Abnahme am Dienstag war mit 1,5 Kilogramm niedriger als sonst. Wahrscheinlich kann ich auch morgen nicht mit einer höheren Abnahme als dieser rechnen. Aus irgendeinem Grund sind offenbar die wasserbedingten Schwankungen seit letzten Freitag niedriger als sonst ausgefallen. Ob das nun so bleiben wird? Und kann ein Zusammenhang mit dem früheren Abendessen bestehen?

Es könnte schon sein, daß das frühe Abendessen der entscheidende Schlüssel gewesen ist. Mal sehen, ob das ein einmaliger Schub nach unten gewesen ist oder ob ich mich nun endlich mal wieder auf eine kontinuierliche Abnahme freuen kann.

Auf einmal befindet sich mein Gewicht wieder in der Nähe meiner Bestwerte im Gewicht Anfang Oktober, und prompt werde ich wieder größenwahnsinnig: Nächste Woche lege ich außerplanmäßig eine weitere viertägige Fastenrunde ein. Wenn ich Glück habe (bitte Daumen drücken!), starte ich in diese Fastenrunde zum überhaupt allerersten Mal mit einem Startgewicht von unter 100 Kilogramm. Und wenn ich noch mehr Glück habe, dann winkt nächste Woche am Freitag vielleicht sogar endlich ein neuer Niedrigstwert, hoffentlich dann außerdem nur der erste von regelmäßig immer weiteren. Bitte anschnallen für eine hoffentlich zügige Fahrt nach unten!

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Eine Corona-Folge, die weltweit zu Buche schlägt, ist ein im Durchschnitt steigendes Körpergewicht der Bevölkerung. Weltweit im Durchschnitt soll die Gewichtszunahme 6,1 Kilogramm für das gesamte letzte Jahr betragen; Deutschland liegt in diesem Punkt mit 5,9 Kilogramm knapp unter dem Durchschnitt. Spitzenreiter innerhalb der EU war Polen mit 7,2 Kilogramm und weltweit Mexiko mit 8,5 Kilogramm. 

Was beschwere ich mich da eigentlich über meine Gewichtsentwicklung über den Winter? Allerdings bin ich mir wie immer keineswegs sicher, ob ich solchem Zahlenabrakadabra wirklich trauen kann. 

Was mir außerdem dazu noch durch den Kopf ging: Mexiko, das war doch das Land mit diesen vielgepriesenen "tollen Erfolgen" einer Zuckersteuer. Wenn die Corona-Gewichtszunahme ausgerechnet in diesem Land - das noch dazu nie einen richtigen Lockdown hatte - am stärksten zu Buche geschlagen haben sollte und dies mit den ungesunden Ernährungewohnheiten begründet wird, dann sollte endlich auch zugegeben werden, daß diese seit nunmehr sieben Jahren geltende Zuckersteuer ganz einfach ein Schuß in den Ofen gewesen ist. 

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Auf Twitter hat die DGE einen Artikel über Intervallfasten verlinkt. In dem Tweet wurden die Verbreiter des Intervallfastens dafür gerügt, daß meistens Empfehlungen für eine Ernährungsumstellung "hin zu einer ernährungsphysiologisch günstigen Lebensmittelauswahl" fehlten. 

Es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte eine Antwort geschrieben, nur, wozu wäre das gut gewesen? Außerdem hätte mir die Zeichenzahl nicht ausgereicht. Ich kann nur immer wieder meinem Schicksal dafür danken, daß ich rechtzeitig alleine auf das Intervallfasten gekommen bin und nicht darauf warten mußte, daß dieser Sorte Experten ein Licht aufgeht.

Ernährungsempfehlungen, my ass. Werte Frau Dr. Backes, wenn man mit Intervallfasten auch ohne "ernährungsphysiologisch günstige" Ernährungsumstellung abnimmt, aber umgekehrt nicht durch besagte Ernährungsumstellung ohne Intervallfasten, sollte an der Methode ja irgendwas dran sein. 

Ach ja, das kann ich ja ruhig auch noch erwähnen: Die unerwartete Talfahrt beim Gewicht diese Woche hatte selbstredend nicht den Grund, daß ich mich in welcher Form auch immer "ernährungsphysiologisch günstig" ernährt hätte. Ich habe jeden Tag, an dem ich gegessen habe, gut und mit Genuß gegessen, und morgen habe ich genau das auch wieder vor. Da wir gestern das Brot bis zum letzten Krümel aufgegessen haben, werde ich morgen früh Pogatschen backen, die bekanntlich ungefähr eine Milliarde Kalorien haben (viiiiiel Butter!), und mir dazu meinen berüchtigten 1000-Kalorien-Salat machen, diesmal wieder mit Feta. Außerdem denke ich über eine Torte nach, mir schwebt momentan irgendwas Käse-Sahne-Artiges vor (aber mal sehen, was mein kulinarisches Kopfkino nachher, wenn ich im Bett bin, für Alternativvorschläge haben könnte), das für drei Tage ausreichen soll. Von der gibt es morgen nach dem Abendessen - Maultaschen in der Brühe - ein ordentliches Stück als Nachtisch.

Und ja, so ungefähr esse ich schon seit vier Jahren, und nebenbei habe ich abgenommen. Der mehrmonatige Stillstand, der jetzt hoffentlich beendet sein wird, hatte jedenfalls nichts damit zu tun, daß mich "ernährungphysiologisch ungünstiger" als sonst ernährt habe. 



Sonntag, 21. März 2021

BMI über 40? Dann fragen Sie bloß kein Adipositaszentrum!

Mein Gewicht heute früh am zweiten Tag nach dem "Übergangstag" und am dritten nach dem letzten Fastentag: 97,7 Kilogramm, das war - ich weiß nicht, wie ich es nennen soll: eine kleine freudige Überraschung oder ein tiefes erleichtertes Aufatmen? So tief unter meinem Sonntagsgewicht von vor zwei Wochen - 99,1 kg - hatte ich mich heute echt nicht erwartet. Das hebt die Laune, auch wenn ich gewarnt bin: nach der positiven Überraschung ist oft vor der unangenehmen Überraschung.

Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, heute noch einen Blogbeitrag dem von vorgestern nachzuschieben, aber aus aktuellem Anlaß: Bei YouTube bin ich über eine noch ziemlich neue SWR-Dokumentation zur Adipositas-Frage gestolpert, die ich ohne Zeitverzug kommentieren möchte. 

Die Potagonistin dieser handwerklich durchaus interessant gestalteten Doku ist die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Stoeckle. Jemand, der der Theorie nach also eigentlich wissen müßte, wie man Übergewicht vermeiden kann. Trotzdem wiegt sie 105 Kilogramm und will nun herausfinden, warum das so ist und was sie dagegen tun kann. Einen tatverdächtigen Übeltäter hat die sympathisch wirkende Mittfünfzigerin durch eigene Recherche identifiziert: ihr cortisonhaltiges Asthmamedikament. Ansonsten geht sie wie allgemein üblich davon aus, im Laufe ihres Lebens eben zu viel gegessen und sich zu wenig bewegt zu haben. Den Zusammenhang mit der Bewegung vermutet sie außerdem nicht einfach ins Blaue hinein, sondern mit einer guten Begründung: An einer Stelle sieht man in der Tat einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Ende des Tanzsports, den sie in jungen Jahren betrieben hat, und ihrer ersten stärkeren Gewichtszunahme. 

Wie ich in meinem letzten Beitrag schon geschrieben hatte: Die Sache mit der Bewegung ist ein bißchen komplizierter als die mit der Nahrungsenergie. Wer sein Bewegungsverhalten ändert, bei dem passiert etwas mit dem Gewicht. Bewegt man sich dauerhaft mehr, etwa indem man anfängt, Sport zu treiben, nimmt man einige Monate lang ab. Dann aber paßt sich der Stoffwechsel dem veränderten Ernährungsverhalten an, und man nimmt das Abgenommene wieder zu, wie in meinem letzten Blogbeitrag und schon einige Male früher erwähnt. Das scheint mir sowohl anekdotisch in meinem Umfeld wie auch wissenschaftlich außerdem ganz gut gesichert zu sein.

Aber was passiert im umgekehrten Fall, also wenn man sich dauerhaft weniger bewegt? Darüber ist längst nicht so viel bekannt. Das liegt wohl daran, daß es so offensichtlich zu sein scheint, aber das ist es nicht, wenn mehr Bewegung eben doch nicht zu einer Gewichtsabnahme aufgrund einer verbesserten Energiebilanz führt, wie es der Theorie nach sein sollte.

Dazu fand ich Minute 6:45 des Films (ich hoffe, es hat geklappt, die betreffende Stelle im Film direkt zu verlinken), wo eine grafische Darstellung der Gewichtsentwicklung zu sehen war, sehr interessant: Nach dem Ende des Tanzens ist ein maximal einjähriger Anstieg (vielleiht auch nur die erwähnten sechs Monate) mit einer anschließenden, ungefähr ein- oder zwei-, vielleicht auch bis zu dreijährigen Plateauphase zu erkennen. 

Eine Wiederabnahme des Zugenommenen durch reduzierte Bewegung analog zur typischen Wiederzunahme des Abgenommenen bei Mehrbewegung erfolgte also nicht, jedenfalls in diesem Fall.

Die weitere Zunahme läßt sich nicht so ohne weiteres zuordnen, auch wenn Stoeckle es in Zusammenhang mit gewissen Lebensereignissen zu bringen versucht. Sicher ist: Dies geht kaum noch zu Lasten der Aufgabe des Sports. Wenn ich aber einen Tipp wagen darf: Man sieht der Journalistin an, daß ihr Übergewicht extrem oberkörperlastig ist. Dagmar Stoeckle ist vom Körperbau her eigentlich ein anderer Typus als ich, bei mir hat sich das Mehrgewicht viele Jahre lang ziemlich gleichmäßig am Körper verteilt, bis die Sache irgendwann doch anfing, immer bauchlastiger zu werden - und erst ab da fing ich übrigens an, mich in meinem Körper nicht mehr so recht wohlzufühlen. Die Journalistin dagegen hat erkennbar den allergrößten Teil ihres Übergewichts am Oberkörper zugenommen. Falls das von Beginn an so gewesen ist, unterscheidet sie das von mir. 

Mich würde mal ihre Kleidergröße in diesem Zusammenhang interessieren.

Die meiste Zeit ihres Lebens hat Dagmar Stoeckle trotz ihrer stetigen Zunahme ab den neunziger Jahren erheblich weniger als ich gewogen. Zu der Zeit, als sie ihren ersten Zunahmeschub auf vielleicht zwischen 70 und 80 Kilogramm hatte, war ich bereits Mutter eines Kinds im Grundschulalter und wog längst über 90 Kilogramm, von denen ich etwa zehn als Vermächtnis meiner Schwangerschaft zurückbehalten hatte, aber jährlich im Durchschnitt ungefähr eines weiter zunahm, ohne daß ich allerdings sicher sagen könnte, ob das wirklich regelmäßig oder doch in Schüben erfolgte, weil ich mich damals nicht gewogen habe. 

So war ich Frau Stoeckle eigentlich immer ca. zwanzig Kilogramm voraus, jedenfalls bis ca. 2015/16, als - wahrscheinlich ab Winter 2015/2016 - mein Gewicht so rapide nach oben schoß, daß ich im März 2017 bei 147 Kilogramm gelandet war.

Seit dem 20.3.2017, als ich mit dem Fasten begonnen habe, näherten die Frau Stoeckle und ich uns gewichtstechnisch aber einander an, ich von oben her und sie von unten her. Letztes Jahr muß mein Gewicht dann unter ihres gefallen sein, denn seit der Zeit nach Ostern 2020 wog ich immer weniger als ihre 105 Kilogramm. Sie scheint übrigens geringfügig kleiner als ich zu sein, wenn sie mit 105 Kilogramm einen BMI von 38 hat - bei mir wird für 105 Kilogramm Gewicht, wie ich es letzte Ostern hatte, ein BMI von 36,8 angezeigt; mit meinem aktuellen Gewicht (gerechnet als "Vorher"-Gewicht vor einem langen Fastenintervall in Höhe von 101 Kilogramm) habe ich momentan einen BMI von 35,4. 

Aber wer weiß, vielleicht liegt sie ja mittlerweile schon längst wieder gleichauf mit mir? Der Film wurde von einem Monat gesendet, und ein Monat hin oder her kann mit entsprechender krimineller Energie und der richtigen Methode schon vier Kilogramm minus bedeuten. 

Leider hat Frau Stoeckle aber höchstwahrscheinlich keine Ahnung davon, welche Methoden wirklich erfolgversprechend wären. Dabei hat sie eigentlich alles richtig gemacht. Sie hat sich nicht geniert, um Rat zu fragen, und sie fragte Leute, die sich eigentlich auskennen müßten. 

Nur, kennen die sich wirklich aus?

Was mich wirklich auf die Palme brachte in diesem Film war Stoeckles Besuch im Adipositaszentrum, wo man ihr wahrhaftig sagte, mit ihrem BMI von 38 sei es "fünf vor zwölf", wenn sie ohne Magenverkleinerungs-OP abnehmen wolle. Denn ab einem BMI über 40 bekäme gerade noch ein Prozent noch eine Abnahme hin. Die Leute kämen leider immer viel zu spät, mit BMIs über 50, wenn nichts mehr zu machen sei.

Statistisch mag das ja sogar zutreffen, trotzdem ist es grenzdebil. So etwas am BMI festzumachen, ist geistesverwandt mit Astrologie - es ist nichts weiter als eine Art Zahlenmagie. Die Frage ist doch: Warum ist das so? Also: Was ist am BMI 40 und mehr anders als an einem niedrigeren BMI? Und wenn etwas anders sein sollte, sind dann vielleicht einfach die angebotenen Mittel die falschen?

Ich bin der Meinung, ich kenne die richtige Antwort: Je höher der BMI, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, daß die von keinem Arzt bei Nichtdiabetikern auch nur abgecheckte Hyperinsulinämie dahintersteckt. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit auch bei einem niedrigeren BMI ziemlich hoch, diese Ursache vorzufinden. Aber spätestens ab BMI 40 - und dies ist die Erklärung dafür, daß sogenannten Experten mit ihrem kalorienbasierten Baukasten dabei so extrem erfolglos sind, daß sie es vor Nichteingeweihten zugeben müssen - sind fast alle Adipositas-Fälle in Wirklichkeit Hyperinsulinämie-Fälle. 

Aber trotzdem ist es eine glatte Lüge, daß bei einem so hohen BMI nur noch eine Magenverkleinerung hilft, abzunehmen. Tausenden ist es in den letzten Jahren, seit beides in Mode gekommen ist, gelungen, mit Low Carb oder Intervallfasten von einem BMI über 40 aus abzunehmen, und zwar nicht lediglich 10 oder 15 Prozent ihres Übergewichts, sondern sehr viel mehr. Mit einem BMI von mehr als 51 habe ich mit Intervallfasten kinderleicht 30 Prozent nicht meines Übergewichts, sondern meines Ausgangsgewichts verloren, und die ersten zwanzig Kilo davon sogar in spektakulär kurzer Zeit, nämlich sechs Monaten, abgenommen. 

Aber danke für den Hinweis, daß es sich für jemanden mit so einem BMI schlicht nicht rentiert, ein Adipositaszentrum zu konsultieren, weil die dort sowieso keine Ahnung haben. Blöd nur, daß das die meisten der Verzweifelten mit BMI 40 plus, die dort vorsprechen, nicht ahnen. 😡

Wie kann das aber sein, daß Fachleute solche Dinge nicht wissen? Wollen die das vielleicht gar nicht wissen? Wollen sie dort vor allem ihre Magenverkleinerungs-OPs verkaufen? 

Auch Dagmar Stoeckle wurde eine solche OP sofort in den zugesandten Unterlagen angedient, und als sie spontan beschied, das käme für sie nicht in Frage, wurde sogar noch blöd nachgefragt, aus welchem Grund eigentlich. Als ob es intuitiv nicht naheliegend wäre, sich das Einverständnis mit einer körperlichen Verstümmelung, die einen lebenslang zum Patienten machen würde, sehr sorgfältig zu überlegen und zuvor noch alle andere auszuprobieren, das erfolgversprechend sein könnte.

Beim Ultraschall wurde Dagmar Stoeckle eine Fettleber bescheinigt (später beim Arztgespräch war dann nur noch von einer "leichtgradigen Fettleber" die Rede, dieser Unterschied fiel mir auf - es erinnerte mich an die Problematik mit der "Diabetes-Vorstufe", die gerne mal als "Diabetes"-Diagnose verkauft wird).

Diese Diagnose machte ihr augenscheinlich ernsthaft zu schaffen. Aber damit war bei einem Bauch solcher Größe ja eigentlich zu rechnen. Alle Achtung übrigens, daß sie den Mut hatte, sich beim Ultraschall auf diese Weise filmen zu lassen. Ich dachte bei diesem Anblick, daß mein Bauch vor noch gar nicht allzu langer Zeit ganz ähnlich ausgesehen hat - sogar noch, als ich im September 2019 bei meiner Gallenblasen-OP war, damals wog ich um die 106 Kilogramm -, und damit freue ich mich gerade noch mehr, daß sich gerade der Bauch mit jedem langen Fastenintervall so sichtbar verändert. Noch habe ich ein Rest-Bäuchlein, aber das werde ich unter Garantie noch los. Mit meinen 73,5 Kilogramm Zielgewicht mag ich mir nicht mehr völlig sicher sein, aber diese Wampe überlebt die nächsten ein, zwei Jahre definitiv nicht mehr.

Diese Fettleber-Diagnose ist in gewisser Weise wohl eine Modeerscheinung - womit ich nicht behaupten will, daß sie nicht korrekt wäre, nur wird sie erst seit einigen Jahren so wichtig genommen und in so dramatischem Ton präsentiert. Als ich 2019 bei meinem neuen Hausarzt war, hat er mir ebenfalls ganz en passant eine Fettleber bescheinigt, was mich aber so wenig beeindruckt hat, daß er nicht weiter darauf herumgeritten ist. (Ich zuckte nämlich nur die Achseln und sagte: "Die verschwindet schon von alleine, wenn ich weiter faste.") So ganz habe ich ihm diese Diagnose damals nicht einmal geglaubt - eine Fettleber ist eher unwahrscheinlich, wenn man schon zweieinhalb Jahre lang regelmäßig seine Glykogenspeicher restentleert -, aber nachdem mein Oberkörper seit diesem Gespräch um etwa zehn Zentimeter Umfang verloren hat, will ich mal nicht so tun, als könne bei dem, was sich seither alles unterhalb meiner Rippen in Wohlgefallen aufgelöst haben muß, nicht auch eine Fettleber gewesen sein.

Die Blutwerte ergaben bei Frau Stoeckle, und das fand ich ganz interessant, einen HBa1C, also Langzeitzuckerwert "im normalen Bereich". Also keine Hinweise auf Diabetes, nicht einmal Prädiabetes - ein Grund zum Aufatmen? Ich würde da nicht zu führ jubeln. Insulin wird ja - und vermutlich auch bei solchen Gelegenheiten - nicht routinemäßig überprüft, aber beim HBa1C wäre dann wohl wichtig zu wissen, ob er im Vergleich zu früheren Blutabnahmen auf demselben oder einem höheren Level ist. Ein Anstieg würde nämlich trotz der scheinbar normalen Werte auf eine Hyperinsulinämie hinweisen, und das wäre sehr wohl ein Warnsignal, daß auch die Langzeitglukose früher oder später über den Rubikon marschieren wird.

Der Onkel Doktor im Adipositaszentrum wußte davon aber nichts und war darüber beruhigt. Auch das cortisonhaltige Asthmaspray hielt er für unverdächtig. Sein Vorschlag war eine Gewichtsreduktion um sechs Kilogramm in einem halben Jahr, das entspräche 15 Prozent ihres aktuellen Übergewichts. Wie sie dabei vorgehen sollte, dazu sagte er nichts, aber auf Rückfrage wurde ihr beschieden, von vergleichbar übergewichtigen Ratsuchenden würde das nur zwanzig Prozent ohne eine OP gelingen.

Nein, ich werde mir jetzt nicht die Haare raufen, denn wenn ich das jedes Mal täte, wenn ein sogenannter Experte Blödsinn über das Abnehmen erzählt, liefe ich längst mit einem Kahlkopf herum, denn danach kam ja außerdem noch das von Frau Stoeckle erstellte Ernährungsprotokoll und der weitere Blödsinn von der Ernährungsberaterin (Fettreduktion hat sie empfohlen. Bacon, Bratwürste und Eier sind pfuipfui. Süßigkeiten natürlich ebenfalls) und ein Psychologe, der ein paar nichtssagenden Binsen von sich gab. Anschließend wurde auch noch ihr Schlaf unter die Lupe genommen und ihr die bei so einer Untersuchung fast mit Sicherheit zu erwartende Schlafapnoe ("mittel- bis schwergradig") diagnostiziert.

Damit endete die Dokumentation. Dagmar Stoeckle zeigte sich insbesondere über die Schlafapnoe ziemlich erschüttert und die Sache endete damit, daß sie sich motiviert sah, etwas gegen ihr Übergewicht zu tun, und man solle ihr dafür die Daumen drücken.

Das mache ich natürlich gerne. Nur wäre ich um einiges optimistischer für sie, wenn auch Intervallfasten (von mir aus auch Low Carb, das wirkt ja aus denselben Gründen wie Intervallfasten) an der einen oder anderen Stelle wenigstens als Option miterwähnt worden wäre. So blieb mir als Fazit, daß Dagmar Stoeckle weder eine vernünftige Diagnose noch einen brauchbaren Therapievorschlag bekommen hat, was unter Umständen dazu führen wird, daß sie sich eines Tages als letzten Notnagel vielleicht doch für die ihr angepriesene Magenverkleinerung entscheiden wird. Denn mit den Tipps der Ernährungsberaterin kann sie zwar tatsächlich innerhalb von sechs Monaten ihre sechs Kilogramm abnehmen, je nach krimineller Energie auch mehr, vielleicht sogar beträchtlich mehr. Nur wird sie das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Anschluß wieder zunehmen, wie das den meisten passiert, die nach dem "Calories in/Calories out"-Prinzip abnehmen.

Das war an diesem Adipositaszentrum das Ärgerlichste von allem: Es wurde kein Wort darüber gesagt, daß es bei den achtzig Prozent, die scheitern, nicht etwa um ein Scheitern am Abnehmen selbst geht, sondern ein Scheitern am nahezu unvermeidlichen Jojo-Effekt. 

Was mir außerdem zu denken gibt: Es war nirgends die Rede davon, daß eine Magenverkleinerungs-OP zwar erfolgreicher beim Abnehmen ist als alle kalorienbasierten Abnehmempfehlungen, aber in der Regel nicht zum Erreichen des Normalgewichtsbereichs führen. Ebenfalls nicht erwähnt wurde, daß eine Magenverkleinerung deprimierend häufig zu sogenannten Fettschürzen führt, die weitere operative Eingriffe nötig machen. Mit meinem Abnehmerfolg brauche ich mich aber vor keinem Magenoperierten zu verstecken, und wie das beim Fasten normal zu sein scheint, ist meine Haut problemlos mitgeschrumpft.

***

An meinem Übergangstag vorgestern habe ich etwas getan, von dem ich eigentlich vor langer Zeit geschworen hatte, es niemals zu tun - nämlich die Kalorien meiner beiden vorgestrigen Mahlzeiten gezählt. Das ergab sich so nebenbei, weil ich die Kohlenhydrate wissen wollte, und ich habe nicht die Absicht, nun eine Gewohnheit daraus zu machen.

Mittags habe ich das Fasten mit herzhaften Syrniki gebrochen, Quarkpfannkuchen, denen ich ein paar Schinkenwürfel und Frühlingszwiebeln beigemischt hatte, und dazu gab es meinen heißgeliebten Rettich-Karotte-Apfel-Salat mit Walnüssen und diesmal Goudawürfelchen anstelle des fehlenden Feta, die sich als hervorragende Ergänzung erwiesen. Diesmal machte ich ihn statt mit Creme fraiche mit Sauerrahm, aber das überzeugte mich geschmacklich so wenig, daß ich doch noch einen halben Becher Creme fraiche ergänzte. Als Nachtisch gab es eine Handvoll Tiefkühl-Heidelbeeren mit einem Klecks Quark, gesüßt mit Erythrit. 

Daß ich an meinem Übergangstag nach meiner ersten Mahlzeit einen Jieper auf Süßes bekomme, ist eine absonderliche neue Entwicklung, aber auch wenn ich an diesem Tag bei Low Carb bleiben möchte, habe ich Mittel und Wege, ihn zu befriedigen.

Erythrit, erworben unter dem Handelsnamen Xucker, überzeugt mich geschmacklich allerdings ebenfalls nicht besonders, aber ich hebe es jetzt mal bis zum Herbst auf, denn ich werde dann bestimmt auch ab und zu nach Süßem lechzen, und besser als nix ist es in so einem Fall wohl doch. Außerdem gilt dabei das Prinzip der schwäbischen Hausfrau: Jetzt habe ich es gekauft, jetzt sollte ich es wohl auch verbrauchen. 

Mein Mittagsmahl, mit dem ich vorgestern gegen 12 Uhr das Fasten gebrochen habe, umfaßte, wie ich durch das Kalorienzählen herausgefunden habe, stolze 1500 Kalorien, das ist mehr, als manche Diäten für den ganzen Tag enthalten.

Aber das erwies sich letztlich als (beinahe) ausreichend für diesen Übergangstag, denn ich bekam abends um 18 Uhr dann natürlich noch keinen Hunger. Um 18.30 machte ich mir trotzdem etwas zu essen aus der Überlegung heraus, daß ich jetzt anfangen sollte, mich an das frühe Abendessen zu gewöhnen. Von den Syrniki waren noch drei übrig, ebenso ca. die Hälfte des Salats und dazu machte ich einen Rest Hähnchen-Kebab aus dem Tiefkühlbeutel. Schon nach einigen Bissen war ich allerdings so pappsatt, daß ich etwa drei Viertel davon stehenließ, davon das meiste Fleisch und mit leisem Bedauern auch einen der Quarkpfannkuchen. Ich fand, etwas, das so gut schmeckt, habe es einfach nicht verdient, daß ich es in mich reinstopfe, obwohl mir gar nicht mehr nach Essen zumute ist.

Den Rest des Salats (von dem eher wenig übrigblieb) habe ich gestern vormittag mit Hochgenuß verspeist, nicht aus Hunger, sondern rein aus Gelüsten heraus. Ich kann mir gar nicht erklären, wie ich mehr als fünfzig Jahre meines Lebens überstanden habe, ohne diese Köstlichkeit zu kennen.

Insgesamt habe ich vorgestern jedenfalls gut und gerne 2000 Kalorien zu mir genommen, und witzigerweise hat sich ausgerechnet im Salat fast die Hälfte davon versteckt. Kein Wunder, daß er so gut ist. :-) 

Dieses Essen enthielt übrigens - und das hatte ich eigentlich vor allem herausfinden wollen -10 Prozent Kohlenhydrate, 20 Prozent Protein und 70 Prozent Fett, das ist eine Verteilung, die mich doch ein bißchen überrascht hat, weil ich spontan den Fettanteil erheblich niedriger geschätzt hätte. Damit liege ich aber jedenfalls locker im Rahmen von Low Carb. Ich fürchte allerdings, Low Carb/Low Fat wird bei mir wohl kaum klappen, da würde mir der Geschmacksträger Fett auf die Dauer doch zu sehr fehlen, das habe ich gestern besonders beim Salat gemerkt. Und wenn ich eines ganz bestimmt nicht tun werde, dann auf irgendwelche chemisch veränderten Ersatzprodukte umzusteigen, die geschmacklich entfernt an das erinnern, was man eigentlich essen wollte. Wenn ich esse, dann esse ich "richtige" Lebensmittel, das bin ich mir einfach wert.

Wenn anderthalb Mahlzeiten an einem Tag, an dem ich nach vier Fastentagen gar nicht so viel essen KANN, mich schon auf 2000 Kalorien bringen (der BMI-Rechner bescheinigte mir einen Grundumsatz von knapp über 1400 Kalorien), dann kann ich mir gut vorstellen, daß ich es an einem normalen Tag mindestens auf 4000 bis 5000 bringen muß, und relativ viel davon dürfte auf Fette zurückzuführen sein. Denn wenn die Kalorienzählerei vielleicht sonst nicht für besonders viel gut war, diesen Aha-Effekt hat sie mir jedenfalls gebracht: Das Olivenöl im Salat, beim Backen der Pfannkuchen und beim Kebab haut kalorientechnisch extrem rein, aber ebenso auch die Creme fraiche, die ich gerne und großzügig verwende. 

Arme Dagmar Stoeckle, falls sie auf das fettige Essen wirklich verzichten wird, da mich der großzügige Konsums von Fett ja nicht daran gehindert hat, fast 50 Kilogramm abzunehmen. Das macht mir glücklicherweise auch klar, von was für einem Luxusproblem ich mich aus der Fassung bringen lasse, wenn ich mich darüber beschwere, daß meine Abnahme im letzten Jahr ins Stocken geraten ist. Klar drücke ich Frau Stöckle die Daumen, auf welche Weise auch immer sie ihr Problem anzugehen versucht. Aber ich hoffe, an irgendeinem - hoffentlich nicht allzu fernen - Punkt stößt auch sie auf die Rolle des Insulins.



Freitag, 19. März 2021

Vierjähriges Fastenjubiläum

Mein Gewicht heute früh nach vier aufeinanderfolgenden Fastentagen, die dritte Serie innerhalb von fünf Wochen: 95,7 Kilogramm. Eigentlich hatte ich, als ich diese Serie begonnen hatte, einen neuen Niedrigstwert angepeilt, der unter meinem Niedrigstgewicht vom September mit 94,3 Kilogramm hätte liegen sollen. Statt dessen krebse ich weiter auf dem Level herum, auf dem ich mich schon seit der Weihnachtspause bei den langen Fastenintervallen befinde. Weder nach Insulin- noch nach Kalorienlogik ergibt das sonderlich viel Sinn, aber nun ist es halt so, wie es ist.

Morgen, am 20.3., ist mein vierjähriges Intervallfasten-Jubiläum, ein guter Anlaß für einen Rückblick und einen Ausblick.

Ich habe dieses Blog vor zwei Jahren, ebenfalls am Jahrestag, nämlich dem zweiten, begonnen mit einem Gewicht zwischen 110 (vor einem 36stündigen Fastentag) und 108 Kilogramm (nach einem 36stündigen Fastentag) und war damals zuversichtlich, mittels Intervallfasten innerhalb von zwei bis drei Jahren mein Wunschgewicht zu erreichen, das ich mit 73,5 Kilogramm festgelegt hatte. Begonnen hatte ich mit dem Intervallfasten am 20.3.2017 mit einem Startgewicht von 147 Kilogramm. Inzwischen ist es offensichtlich, daß ich mein Zielgewicht mindestens deutlich später, möglicherweise auch gar nicht erreichen werde. Das erfordert eine Neuorientierung. Daß sich die Abnahme verlangsamen wurde, damit habe ich gerechnet, aber nicht, daß sie so extrem langsam wird.  

Von Beginn an habe ich Schwierigkeiten gehabt, anderen zu erklären, daß es sich bei diesem Zielgewicht nicht um etwas handelt, das mir mit allen Mitteln zu erkämpfen ich mich entschlossen habe, sondern um das erwartete Ergebnis einer Prognose. Emotional verbindet mich nichts mit dieser speziellen Zahl - außer natürlich, daß ich sie mir als Zielprognose gesetzt habe und nun, da das geschehen ist, es mir doch etwas peinlich wäre, ihr Nichterreichen eingestehen zu müssen.

Falls ich in diese Situation kommen sollte, mache ich es hocherhobenen Hauptes (jedenfalls trainiere ich hiermit gerade dafür, es hocherhobenen Hauptes tun zu können), denn eine falsche Prognose ist keine Schande, wenn man die zugrundeliegenden Fakten mehr oder weniger auspendeln muß. Daß ich da vor zwei Jahren nicht ganz richtig lag, muß ich tatsächlich eingestehen. Vor zwei Jahren, als ich mein Blog begann, dachte ich aufrichtig, ich hätte verstanden, wie und warum Intervallfasten funktioniert. Dafür kann ich auch mildernde Umstände geltend machen, denn ich konnte damals bereits auf zwei Jahre Intervallfasten und 37 Kilogramm Gewichtsabnahme zurückblicken, also eine Menge persönlicher und praktischer Erfahrungswerte. In den letzten zwei Jahren ist allerdings manches deutlich anders gelaufen, als ich es aufgrund der beiden Jahre davor erwarten konnte.

Ich bin kein Phantast, sondern glaube an Ursachen und Wirkungen. Wenn also die Wirkungen nicht so wie erwartet ausfallen, dann hat das irgendwelche Ursachen. Will ich die Wirkungen verändern, muß ich herausfinden, was an den vermuteten Ursachen nicht stimmt.

Die Fakteneinschätzung, nämlich die Theorie, daß das Hormon Insulin für Gewichtszu- und -abnahme hauptverantwortlich sei, habe ich von Dr. Jason Fung übernommen, und zu dem Zeitpunkt, als ich sie übernommen habe, nämlich im Herbst 2017, schien auch alles darauf hinzudeuten, daß sie korrekt sei. Auch wenn sich nun herausstellen sollte, daß sie nur teilweise korrekt ist, war sie in jedem Fall korrekt genug für die damalige Phase meiner Abnahme, denn als ich mein Vorgehen auf diese Theorie hin optimierte, bescherte mir dies weitere Gewichtsabnahmen. Fast fünfzig Kilogramm Körpergewicht verliert man mit einer unwirksamen Methode nicht.

Trotzdem scheint diese Methode jetzt an ihre Grenzen zu gelangen. Für die noch zu beseitigenden ca. 25 Kilogramm Abnahme muß ich mir wahrscheinlich etwas anderes einfallen lassen.

Eine interessante Abweichung von Dr. Fungs Theorie fiel mir schon damals auf, als ich sie entdeckte, und bislang habe ich dafür auch noch keine vernünftige Erklärung gefunden.

Meine Abnahme fand nämlich weitgehend bzw. ab Jahr 2 sogar vollständig nur in den Monaten zwischen März und September statt. Von 2017 an bis 2020 nahm ich im Oktober in jedem einzelnen verdammten Jahr zu - nicht wahnsinnig viel, ein bis zwei Kilo, aber die erwiesen sich in jedem Winter als verflixt seßhaft. Die Entwicklung zwischen November und März veränderte sich dagegen im Lauf der Zeit. In Jahr 3 verzeichnete ich im November eine zweite, weitere Zunahme-Phase, und im Jahr 4 hatte ich neben Oktober und November im Februar sogar noch eine dritte. 

Ich muß eingestehen, daß mich diese dritte Zunahmephase ziemlich demoralisiert hat, denn noch bis letzte Woche sah es ihretwegen so aus, als ob trotz der viertägigen Fastenintervalle das Gewicht auch jetzt noch ständig weiter leicht nach oben ginge. Aber dann begann ich am Montag das dieswöchige lange Fastenintervall völlig überraschend mit einem Gewicht, das 1,2 Kilogramm niedriger lag als das Maximum von Mitte Februar, und im Moment wiege ich jedenfalls ein bißchen weniger als vor zwei Wochen nach vier Tagen Fasten. Dem Himmel sei Dank für gelegentliche positive Überraschungen, vor allem, wenn man von den unangenehmen Überraschungen langsam doch etwas zermürbt ist.

Wenn ich mit letztem Jahr um diese Zeit vergleiche, lag mein Ausgangsgewicht am Montag nur um 1,5 Kilogramm niedriger. Aber noch am Wochenende hatte ich allen Grund, damit zu rechnen, daß ich sogar ungefähr gleich viel wie letztes Jahr wiegen würde. Insofern will ich mich nicht beschweren. Mein "Nachher"-Gewicht letztes Jahr - exakt am Samstag, dem 21.3. - lag bei 98,4 Kilogramm und heute wiege ich 95,7, da habe ich immerhin einen etwas größeren Abstand. Außerdem muß ich berücksichtigen, daß ich letztes Jahr über Ostern wieder bis auf mehr als 105 Kilogramm zugenommen habe, und das wird hoffentlich nicht wieder passieren, weil ich über Ostern nicht mit dem Fasten aussetzen werde. Zwischen Ostern letztes Jahr und Anfang Oktober letztes Jahr hatte ich immerhin fünf Kilogramm Minus zu verzeichnen. 

Mein Zielgewicht von 73,5 Kilogramm ist im Moment viel weiter weg, als ich das letztes Jahr um diese Zeit erwartet hätte, und spätestens seit Februar denke ich ernsthaft darüber nach, was ich sonst noch tun kann, aber ebenso, was ich zu tun bereit bin (und was hingegen nicht), um mein Ziel zu erreichen - und mittlerweile auch, ob ich dieses Ziel wirklich unbedingt erreichen will bzw. welche alternativen Ziele für mich in Frage kämen, falls ich es ab einem gewissen Punkt für unerreichbar halten sollte. Man könnte sich beispielsweise ja auch mit Kleidergröße 40 zufriedengeben, und das ist ein Ziel, das in relativ überschaubarer Zeit realistisch erreichbar sein müßte, da ich um Bauch und Hüften herum weiter schrumpfe, obwohl die Waage seit Monaten so ungnädig zu mir ist. 

Bei dieser Frage spielt auch eine Rolle, daß es mich langsam wirklich zu stören beginnt, daß mein Gewicht so ins Zentrum meines Lebens gerückt ist. Jedes Mal, wenn es beim Abnehmen nicht so läuft wie erwartet und gewünscht, fange ich an, mit meinen anderen Prioritäten im Alltag zu hadern, die dazu führen, daß ich nicht hundertfünfzigprozentig konsequent meine Fastenphasen einhalte, etwa mit der fatalen Fastenpause letzte Ostern oder dem langen Aussetzen der langen Fastenintervalle im Sommer. Das ist für mich ein klarer Verlust an Lebensqualität. Am Intervallfasten mochte ich ganz besonders, daß das lange Zeit einfach nebenher laufen konnte und man nicht viel darüber nachdenken mußte und sie auch den Alltagserfordernissen anpassen konnte. Falls ich das Jahr künftig in eine gute Hälfte und in eine schlechte Hälfte einteilen muß, in letzterer ich, wenn ich zu unvorsichtig nebenbei mein normales Leben zu führen versucht habe, das Abgenommene der ersten Hälfte komplett wieder zunehme, dann schränkt mich das doch in einer Weise ein, die mir nicht mehr behagt.

Ende Oktober letztes Jahr zum Beispiel habe ich zehn Tage mit dem Fasten ausgesetzt, weil ich für ein paar Tage meine Mutter besucht habe. Es war ihr 84. Geburtstag damit verbunden, und ich hatte damals schon so eine Ahnung, daß es zu Weihnachten vielleicht noch ungünstiger für einen Besuch sein würde. Es stört mich, daß ich jetzt bis in den März hinein diesen kleinen Mann im Ohr hatte, der mir dauernd zuflüsterte, diesen Besuch hätte ich bleibenlassen müssen, weil er mir mein Gewicht versaut habe. Nein, hätte ich nicht. Dieser Besuch war viel wichtiger als ein bis zwei Kilogramm hin oder her, so weit habe ich meine Maßstäbe dann doch nicht verloren. Es war bitter, daß ich speziell diese ca. drei Pfund Zunahme den ganzen Winter über ums Verrecken nicht mehr losgekriegt habe, obwohl ich sorgfältig geplant hatte, dem durch gezielte Maßnahmen gegenzusteuern. Aber ich lasse mir nicht einreden, daß eine Gewichtsabnahme bis zu einem speziellen Gewicht x erstrebenswert ist, wenn man es zu seinem Lebensinhalt machen und alles andere, das einem etwas bedeutet, dem unterordnen muß. 

Einstweilen kommt jetzt erst mal glücklicherweise die "gute" Jahreszeit und vielleicht bringt eine anstehende Veränderung in meinem Alltag ja noch ein bißchen Schwung in die Sache. Mein Mann und ich haben nämlich beschlossen, unser bislang immer ziemlich spätes Abendessen (zwischen 20 und 21 Uhr, wenn mein Mann kocht, sogar noch später) künftig auf 18 Uhr vorzuziehen. Nachmittags zum Kaffee gibt es dementsprechend auch keinen Kuchen mehr, denn dann hätten wir um 18 Uhr ja noch gar keinen Hunger. Statt dessen gibt es eventuell nach dem Abendessen noch einen Nachtisch, was wir sonst eigentlich nie hatten; das sehen wir dann, wenn wir ab dem Wochenende damit anfangen. Diese Entscheidung hatte nichts mit dem Abnehmen zu tun, sondern damit, daß ich in letzter Zeit öfter mal - nicht regelmäßig, aber zu oft für meinen Geschmack - nachts aufwache und Sodbrennen feststelle. Möglicherweise hängt das mit meiner rausoperierten Gallenblase zusammen, obwohl diese Beschwerden erst vor ein paar Wochen eingesetzt haben. Dagegen probieren wir jetzt mal das simpelste Mittel aus, mit dem es, wie ich hoffe, beseitigt werden kann.

Von meinen Übergangstagen nach den langen Fastenintervallen weiß ich: Wenn man sich um 18 Uhr ordentlich satt ißt, hält das leicht bis zum Schlafengehen vor. Ein so frühes Abendessen läßt mir außerdem abends nach dem Essen noch genügend Zeit, um noch das eine oder das andere im Haushalt zu erledigen, während bislang eigentlich immer klar war, daß nach dem Abendessen nicht mehr viel passieren wird. Wenn ich in einer Streßphase bei der Arbeit bin, würde es sich auch anbieten, mir danach noch einen Kaffee zu machen und eine "Spätschicht" einzulegen. Bislang habe ich so etwas nur in Notfällen gemacht, aber dabei ging es um eine sehr viel spätere Uhrzeit und das lief dann in der Regel weniger auf eine Spät- als auf eine komplette Nachtschicht hinaus. Aber dafür fehlt mir natürlich ein Teil meiner bislang ganz selbstverständlich eingeplanten Arbeitszeit am frühen Abend, in der ich effektiver arbeitete als beispielsweise am Nachmittag. Ob sich das durch "Spätschichten" nach dem Abendessen wirklich ersetzen läßt, muß ich erst noch herausfinden.

Ich bin ein füchterliches Gewohnheitstier, also mal sehen, ob ich mich an diese Veränderung leicht oder nur unter Schwierigkeiten anpassen werde und welche weiteren Nebenwirkungen das mit sich bringen wird. Gut möglich etwa, daß ich nun morgens auf einmal doch früher Hunger bekommen werde. Aber ich will auch nicht ausschließen, daß es mir nebenbei zu einer etwas zügigeren Abnahme verhilft. 

Stay tuned - ich werde berichten. :-)

Wie geht es dann aber im Herbst weiter, hoffentlich auch dieses Jahr wieder mit ein paar Kilo weniger auf den Rippen? Irgendetwas muß ich verändern, um nicht über den Winter wieder das meiste von meiner Abnahme zuzunehmen und am Ende ein weiteres Jahr lang auf der Stelle getreten zu sein. Neben meinem schon länger geplanten Low-Carb-Experiment käme folgendes in Frage: 

Faktor Energiezufuhr, also: Kalorien zählen und deren Menge einschränken. Das kann ich gleich ausschließen. Ich werde ganz sicher nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, gegen meinen eigenen Körper zu kämpfen, und das muß man in diesem Fall, wenn man auch nur eine geringe Chance haben will, dauerhaft damit erfolgreich zu sein - und die meisten von denen, die dazu willens sind, scheitern dennoch daran, unter anderem, weil der Rest des Lebens eben doch eine verdammt lange Zeit ist, um sich dauernd zu irgendwelchen Dingen zwingen zu müssen.

Faktor Energieverbrauch, also: Bewegung. Das ist ein bißchen komplizierter. Sport als Mittel zum Abnahmen halte ich nicht für erfolgversprechend, weil sich der Stoffwechsel nach einiger Zeit an mehr Bewegung anpaßt, siehe auch weiter unten. Aber umgekehrt ist es wohl genauso, und ich vermute, daß meine spärliche Abnahme letztes Jahr auch damit zu tun hatte, daß ich so viel weniger Gelegenheit als sonst hatte, draußen unterwegs zu sein und noch dazu auch mein EMS-Training aufgegeben habe. Aber auch dem müßte sich der Körper eigentlich nach einer gewissen Zeit anpassen, wenn er es im umgekehrten Fall ebenfalls tut. Wenn ja, sollte ich eigentlich alleine durch die Normalisierung dieses Jahr einen gewissen positiven Effekt erleben können, wenigstens vorübergehend. 

Sport kommt für mich aber auch aus prinzipiellen Gründen nicht in Frage, ich bestehe darauf, daß Bewegung immer irgendeinen Sinn hat und nicht nur als Bewegung um der Bewegung willen erfolgt. Entweder sie hat einen konkreten Nutzen - Einkäufe, Frühjahrsputz oder Renovierungen und dergleichen - oder sie ist Nebeneffekt einer Beschäftigung, die mir Spaß macht. Neben meinen geliebten Flohmärkten betrifft das vor allem Wanderungen, denn ich wandere wirklich gerne. Möglicherweise hätten unregelmäßige und seltenere, aber dafür besonders anstrengende Aktivitäten (etwa eine mehrtägige Wanderung) einen höheren Einfluß auf das Gewicht als regelmäßige, auf die der Stoffwechsel sich einstellen kann. Vielleicht mache ich irgendwann dieses Jahr noch eine solche Wanderung, aber sicher ist das einstweilen noch nicht.

Faktor Ernährungseinschränkungen: Also, manche Lebensmittel möglichst zu vermeiden. Etwa in Form von Vegetarisch/Vegan, zuckerfrei, Low Carb oder diese neue innerhalb der Low-Carb-Szene gehypte Low Carb+Low Fat-Variante. Vegetarische Ernährung kommt für mich zweifelsfrei nicht in Frage, und vegane schon gar nicht. Alles andere jedenfalls nicht als Dauerlösung, aber ggf. als vorübergehende Phase. Deshalb auch das für den Herbst geplante Low-Carb-Experiment, alternierend zu meinen regulären Fastentagen, und zwar höchstwahrscheinlich in der Low Carb/Low Fat-Variante. Ich achte mittlerweile auf taugliche Rezepte, etwa Syrniki, russische Quarkpfannkuchen, die ich neulich zum ersten Mal gemacht habe und von denen ich total begeistert war. Den zugehörigen russischen Quark, Tworog, der an Hüttenkäse erinnert, gibt es neuerdings bei Lidl, und ich nahm aus Neugier ein Päckchen mit (an Low Carb dachte ich dabei gar nicht) und recherchierte erst anschließend, was man mit so was überhaupt anfangen kann. 

Bestimmt schmecken die in einer herzhaften Variante genauso gut wie in einer süßen - und das werde ich heute, an meinem Übergangstag nach dem Fastenintervall gleich mal ausprobieren, nur eben ohne das zugehörige (ohnehin wenige) Mehl, sondern statt dessen mit Kokosmehl im Teig und einer Haselnuß-Panade außenrum. Vielleicht schnipsle ich noch eine Frühlingszwiebel und ein bißchen von dem Schwarzwälder Schinken hinein, den ich seit einiger Zeit immer am Stück kaufe, und dazu gibt es natürlich meinen immer wieder besonders heiß geliebten Rettich-Karotte-Apfel-Salat mit Walnüssen und diesmal zusätzlich mit einer gewürfelten Vespergurke und ein paar Würfelchen Gouda, weil der Feta gerade alle ist. Das sollte Low Carb genug sein, obwohl ich mich belehren lassen mußte, daß Äpfel unter Keto-Freaks für Stirnrunzeln sorgen, weil nicht kohlehydratarm genug. Der Low-Fat-Ergänzung zuliebe ersetze ich wahrscheinlich die Creme fraiche durch normale saure Sahne, nur um mal zu sehen, ob ich es damit ebenfalls mag. 

Im Moment ist meine Herangehensweise eher ein bißchen spielerisch, erst im Herbst wird es ernst. Das Ganze ist dann als ein Experiment geplant, und ob ich es wiederhole, hängt davon ab, welche Erfahrungen ich dabei mache. In dem geplanten Zeitraum von zwei Monaten will ich mindestens eine Wirkung von mindestens ein bis zwei Kilogramm sehen, und sollten die sich vor Februar wieder zurückschleichen, hake ich die Sache als einen Fehlschlag ab. Andernfalls könnte ich mir aber vorstellen, daß ich Februar/März noch eine weitere Runde einlege, um gut aus der "miesen Jahreszeit" herauszukommen.

Noch längere Fastenintervalle. Ich muß zugeben, der flüchtige - und rasch wieder verworfene - Gedanke, einfach so lange in den "Hungerstreik" zu gehen, bis ich bei 73,5 Kilogramm Gewicht angekommen bin, ist mir schon gekommen, und ein bißchen wäre ich tatsächlich neugierig, zu erfahren, wie lange ich für die noch fehlenden 28 Kilogramm (gerechnet von einem Startgewicht von 101,5 Kilogramm aus) wohl brauchen würde, wenn ich so lange gar nichts essen würde, bis mein Körper entsprechend viel Gewicht verheizt hat. Wenn ich den legendären Angus Barbieri als Maßstab nehme, der in 392 Tagen Fasten 125 Kilogramm abgenommen hatte, sollten zwei bis drei Monate dafür eigentlich ausreichen.

Aber so verzweifelt bin ich einstweilen doch noch nicht. ;-) 

Ein solches Vorgehen wäre wohl eher eine Option für die "letzte Meile", also, sagen wir: wenn mir weniger als zehn Kilogramm bis zum Ziel fehlen, der benötigte Zeitraum also überschaubar ist, und mir der Geduldsfaden reißt. Falls das passieren sollte, ist es höchstwahrscheinlich im Herbst oder Winter, wenn meine Geduld noch jedes Jahr über Gebühr strapaziert worden ist. Sogar in meinem ganz persönlichen Horrormonat Oktober sollte ich wohl wirklich abnehmen können, wenn ich diesen ganzen Monat lang gar nicht esse. 

Die Vorstellung, für mehrere Wochen gar nicht zu essen, erschreckt mich nicht sonderlich. Von meinen viertägigen Fastenintervallen weiß ich ja, daß man ab Tag 2 gar kein Verlangen nach Essen mehr hat. Das scheint unter anderem eine Kopfsache zu sein, denn wie wäre es sonst zu erklären, daß am Abend von Tag 4 mein berüchtigtes kulinarisches Kopfkino wieder anläuft? Auf meine erste Mahlzeit heute freue ich mich schon, obwohl mein Magen im Moment nicht knurrt.

Falls ich so etwas einmal machen will, werde ich aber vorher noch mit meinem Hausarzt sprechen (und ihn mit meinen Plänen vermutlich ein wenig schockieren, aber das ist mir egal), weil dann vielleicht doch irgendwelche Vitamintabletten oder so sinnvoll wären und er vielleicht auch gelegentlich meine Blutwerte überprüfen will.

Unterbrechung des Intervallfastens für einige Monate (und dabei eine Wiederzunahme in Kauf nehmen) und anschließender Neustart in der Hoffnung, das Ausgangsgewicht im Anschluß dann deutlich unterbieten zu können. Also in etwa das Gegenteil der vorherigen Option. Auch das kann ich mir im Prinzip vorstellen, allerdings ebenfalls noch nicht jetzt. Das kommt für mich frühestens dann in Frage, wenn ich einmal die 90 Kilogramm deutlich genug unterschritten habe, um den häßlichen Ühu, der sich gerade wieder bei mir breitgemacht hat, trotzdem nicht wieder zu Gesicht zu bekommen. 

Unschlüssig wäre ich mir dann aber, in welcher Jahreszeit ich das machen sollte. Die Wirkung dieses Herbst-Phänomens wäre in jeder denkbaren Variante ein ärgerlicher Faktor, aber auf eine explosionsartige Zunahme habe ich natürlich gar keine Lust. Andererseits hätte es aber wohl auch wenig Sinn, einen Neustart ausgerechnet in den Oktober zu legen. Darüber müßte ich wohl noch nachdenken. Aber im Moment eilt es damit noch nicht, denn mit meinem aktuellen Kampfgewicht mache ich das noch nicht.

Methoden, die nicht in Frage kommen: Vielleicht fallen mir irgendwann noch weitere Möglichkeiten ein, Operationen schließe ich dabei aber von vornherein aus. Auch mit der Vorstellung, Medikamente zu nehmen, kann ich mich nicht anfreunden.

Was ich aber tun werde: Ich werde die Debatten der Low-Carb-Gemeinde auf Twitter sorgfältig im Auge behalten und einschlägige Studien, die dabei immer mal wieder aufpoppen, aufmerksam lesen in der Hoffnung, auch etwas über mögliche Wirkmechanismen zu erfahren. Vielleicht finde ich dabei ja den richtigen Schlüssel, um die betreffenden Wirkungen, die die Abnahme so verlangsamen, auszuhebeln. Der Schlüssel für meinen so lange anhaltenden Erfolg beim Intervallfasten war ja ebenfalls, daß mir die von Jason Fung beschriebenen hormonellen Mechanismen eingeleuchtet haben, die das Intervallfasten auslöst, so daß ich meine Fastenintervalle auch auf diese Gründe hin optimieren konnte. Gut möglich, daß ich mit meinem ursprünglichen 18:6-Modell schon im Winter 2017/2018 ans Ende meiner Möglichkeiten gelangt wäre, entmutigt aufgegeben und das ganze Intervallfasten bloß für einen dieser sinnlosen Diäthypes gehalten hätte. Zum Glück verfüge ich also über ausreichend gesunde Neugier in Tateinheit mit beruflicher Recherchier-Routine. 

Auf meiner Leseliste steht in diesem Zusammenhang eine Neuerscheinung, nämlich "Burn" von Herman Pontzer, das mich deshalb interessiert, weil Pontzer darin auch sein Forschungsergebnis beschreibt, daß sich der Energieverbrauch des Körpers an das Bewegungsverhalten anpaßt (das ging irgendwann letztes oder vorletztes Jahr schon einmal durch die Medien), was Sport zum Abnehmen ungeeignet mache. Ich folge Pontzer jetzt bei Twitter und hätte ihn um ein Haar sofort wieder entfolgt, als ich entdeckte, daß er statt dessen Diäten vernünftig findet und dabei der üblichen Kalorienlogik huldigt. Aber das sollte ich ihm doch fürs Erste noch verzeihen, denn darüber hat er ja nicht selbst geforscht, und aus seiner Perspektive ist das wohl die nächstliegende Schlußfolgerung, da Bewegung ja als Wirkfaktor von ihm ausgeschlossen wird. (Das erinnert mich daran, daß ich in der Zeit, bevor ich das Intervallfasten entdeckt habe, einmal den umgekehrten Schluß gezogen habe: Weil Diäten sich als sinnlos erwiesen hatten, hoffte ich darauf, daß mehr Bewegung dann vielleicht die Lösung wäre. Spoiler: Sie war es nicht.)

Vor diesem reflexartigen Freund-Feind-Denken, das mich daran hindern würde, die vielversprechenderen Elemente in einer Theorie zu erkennen und anzuwenden, muß ich mich wirklich in acht nehmen, denn bei diesem Thema gibt es keine Hüter einer einzig wahren Lehre, sondern auf allen Seiten nur Leute, die Richtiges und Falsches miteinander vermischen, wenn sie Forschungsergebnisse auswerten und interpretieren. Die Körnchen Wahrheit, die ich irgendwo finden kann, sind es, für die ich mich interessieren sollte, egal, wie sehr mich die Irrtümer drumherum ärgern, denn nur die können dazu beitragen, daß ich herausfinde, was den Zeiger meiner Waage wieder nach unten streben läßt.

Ermutigend finde ich jedenfalls, daß ich mein Pulver noch nicht verschossen habe, was eigene Experimente betrifft, auch dann nicht, falls Frühjahr und Sommer dieses Jahr ein totaler Griff ins Klo werden sollten, was der Himmel aber bitte verhüten möge. Was ebenfalls eine Erwähnung wert ist: Ich habe mit einer einzigen Ausnahme (ein besonderer Anlaß) überhaupt noch nie darüber nachgedacht, einen Fastentag vorzeitig abzubrechen. Und vollständige Fastentage, an denen ich gar nichts gegessen habe, hatte ich bislang immerhin schon 411. Das Fasten fällt mir nach wie vor so leicht, daß ich kein echtes Problem damit habe, einfach damit weiterzumachen, auch wenn es nicht so recht vorwärtsgehen will. Somit gehe ich trotz allem mit Optimismus in mein fünftes Jahr Intervallfasten.



Dienstag, 9. März 2021

Die Mühen der Ebene oder: Ich marschiere über mein Plateau

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des ersten von zwei Fastentagen der Woche: 101,8 Kilogramm, ziemlich genau das, was ich auch vor Weihnachten als "Vorher-Gewicht" zu verzeichnen hatte. Das hätte mich vor einer Woche noch ziemlich gefrustet, aber irgendwie merke ich in den letzten Tagen, daß ich diese Sache nun, da ich eingesehen habe, daß es nicht in meiner Macht steht, etwas daran zu ändern, emotional loslassen kann. Das hängt aber sicherlich auch damit zusammen, daß ich gerade an andere Dinge zu denken habe; meine Kundschaft scheint nämlich gerade sämtliche verschobenen Projekte des Jahres 2020 aus der Schublade zu holen und in Angriff nehmen zu wollen. Hinzu kommt, daß mein afghanischer Mieter - es sei ihm von Herzen gegönnt - einen Glückstreffer auf dem Wohnungsmarkt gelandet hat, wahrscheinlich zum Monatsende in eine größere Wohnung umziehen wird und ich in dem Objekt die Elektroleitungen erneuern lassen möchte, bevor ich es neu vermiete. Auch mit dem Thema Steuer muß ich mich langsam mal befassen. Mir ist es im Moment also schlicht nicht langweilig genug, um mich über mein Gewicht aufzuregen.

Ich konzentriere mein Interesse gerade auf das Maßband statt auf den Zeiger der Waage. Wenn zehn Fastentage im Verlauf von drei Wochen, also 10 von 21 Tagen, eine Wirkung von null (wenn man die Sache hundertgrammweise auf die Goldwaage legt, sogar eine leichte Zunahme) erbringen, dann hat es einfach nicht allzu viel Sinn, mir über das, was die Waage sagt, viele Gedanken zu machen. Sobald ich wieder Ideen habe, die ich umsetzen könnte, fange ich wieder damit an, über mein weiteres Vorgehen nachzudenken. Bis dahin mache ich einfach mit dem weiter, was ich schon die ganze Zeit mache.

Die Low-Carb-Bubble auf Twitter, jedenfalls soweit sie von einem vergleichbar hohen Ausgangsgewicht wie ich herkommt, scheint insgeheim kollektiv mit ähnlichen Problemen zu ringen, was sie aber bislang nie so direkt ausgesprochen hatte. Man konnte es sich lediglich bei manchen Leuten aus manchen Äußerungen erschließen, so fing etwa einer aus diesem erlauchten Kreis vor ein paar Wochen an, gegen Milchprodukte und Nüsse zu wettern. Auf einmal, und das finde ich wirklich spannend, scheint es da aber eine Art Erdrutsch zu geben, seit ein weiterer eine fettreduzierte Modifikation von Low Carb ausprobiert und damit binnen acht Wochen fünf weitere Kilogramm abgenommen hat.

Klammern wir einmal dabei aus, daß ich es sehr positiv finde, daß die Grenzen des Erfolgs von Low Carb nicht weiter einfach vertuscht werden; Dr. Fung könnte sich dem bezogen auf das Intervallfasten gerne anschließen, denn so ein Eingeständnis widerlegt ja nicht die Erfolge. Und insbesondere nicht die weitreichenden krankheitsverhindernden Wirkungen, die sich durch diese Erfolge ergeben, und höchstwahrscheinlich für den einzelnen seiner Patienten auch dann, wenn das Idealgewicht für ihn dauerhaft nur ein Wunschtraum bleibt, sind ja in jedem Fall ein bleibender Wert, der noch viel zu wenig bekannt ist. Die Frage ist: Bedeutet diese Entwicklung etwas, das mich etwas angeht und das ich aufgreifen könnte/sollte, oder doch eher nicht?

Die Antwort darauf lautet: Kommt darauf an. Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, meinen Plan für den Herbst, in dem ich ja zwei Monate lang ergänzend zum Intervallfasten Low Carb testen möchte, an die hier skizzierte Vorgehensweise anzupassen. Was ich aber ganz sicher nicht tun werde, ist mich dauerhaft so ernähren. Angenommen, ich würde - so wie Dr. Eenfeldt - in diesen zwei Monaten fünf Kilogramm abnehmen, sie aber anschließend gleich wieder zunehmen, würde ich unter Garantie keinen zweiten Versuch mit dieser Methode unternehmen. Interessant wäre die Sache aber, falls ich mein damit erreichtes Gewicht mit meinem normalen Fastenrhythmus weiter halten würde. Wieder angenommen, ich nähme tatsächlich fünf Kilogramm in einem Zwei-Monats-Zeitraum ab, hielte das Gewicht über einen längeren Zeitraum und nähme dann, sagen wir, ein halbes Jahr später, wenn ich es noch einmal versuchen würde, wieder fünf Kilogram ab, dann hätte es sehr viel Sinn, solche vorübergehenden Low-Carb-Phasen zu nutzen, um die Gewichtsstagnation auszuhebeln.

Das ist also schon mal ein guter Grund, bei dem geplanten Herbst-Experiment zu bleiben. Auf Frühjahr oder Sommer vorziehen will ich es allerdings nicht, obwohl es gerade ums Verrecken nicht mehr vorwärtsgehen will. Erst möchte ich noch sehen, ob Frühjahr und Sommer nicht vielleicht doch wieder bessere Zeiten für mich bringen, und ich möchte außerdem mein Pulver nicht in der "besseren Zeit" verschießen und mich anschließend im Herbst wieder mit einer Zunahme herumschlagen. Noch habe ich mich damit nicht abgefunden, daß diese alljährliche Zunahme überhaupt nicht zu verhindern ist. Mit diesem Low-Carb-Experiment habe ich ein Mittel, das ich noch nicht ausprobiert habe, und wenn ich meine Erfolgschancen erhöhen kann, indem ich es fettärmer und proteinreicher mache, als ich es andernfalls getan hätte, dann ist das ja immerhin mal interessant zu wissen.

Was mir sonst gerade zu denken gibt: Letztes Jahr um diese Zeit steuerte ich, geschäftlich gesehen, auf ein Rekordjahr zu. Dann kam bekanntlich Corona, und am Ende hatte ich doch eine Einkommensdelle, zum Glück nicht in dramatischem Ausmaß, aber zwischendurch habe ich schon ein bißchen jonglieren müssen. Immerhin habe ich nach wie vor Schulden in mittelgroßer sechsstelliger Höhe wegen der Wohnungen, die ich vor anderthalb Jahren gekauft habe. Jetzt sind meine finanziellen Verhältnisse wieder halbwegs sortiert, und erfreulicherweise scheine ich nun erneut auf ein geschäftliches Rekordjahr zuzusteuern. Angenehm überrascht hat mich vor allem, daß ich in den letzten vier Wochen so viele Neukunden gewonnen habe wie sonst eher in einem ganzen Jahr. Das wirft nun aber wieder die Frage auf, ob es im laufenden Jahr vielleicht doch wieder zu einer ähnlichen Notbremsung durch wieder ansteigende Corona-Infektionszahlen kommen könnte und dann auch meine Kunden wieder eine Notbremsung einlegen. 

Betrachten wir die Infektionszahlen, könnte man ungute Vorahnungen bekommen, denn wir haben einen leichten Anstieg, ähnlich wie im November während des Lockdowns light, bevor die Infektionen dann auf einmal durch die Decke gingen. Beruhigenderweise nimmt aber der Anteil der positiven Coronatests an allen Tests nicht zu und hat im Vergleich zur letzten Woche sogar ein bißchen abgenommen. Das war im Herbst ganz anders: 

In der Grafik noch nicht enthalten sind die Daten der letzten Woche, die heute publiziert wurden. Der Anteil der positiven Tests lag da geringfügig niedriger als am Endpunkt der Grafik. 

Da nun die Selbst- und die Schnelltests mit einfließen werden, ist allerdings ab nächster Woche doch damit zu rechnen, daß der Anteil der positiv Getesteten steigt. Grund ist, daß die Schnelltests selbst zwar nicht einfließen, aber jeder mit einem positiven Schnelltest auch noch regulär getestet werden muß. Damit kommt eine vermutlich nicht ganz kleine Zahl an höchstwahrscheinlich Positiven zu all den normal Getesten hinzu, und es wäre merkwürdig, wenn dadurch nicht auch die Positivenrate steigen würde. Aber das ist dann kein Warnsignal mehr. Im Ergebnis darf man ja damit rechnen, daß durch diese Schnelltests eine Menge Infizierte gefunden und somit andere nicht mehr anstecken werden, die andernfalls ahnungslos und ansteckend durch die Gegend spaziert wären. 

Gleichzeitig schreiten die Impfungen jetzt doch rascher voran, aktuell etwa in einem Tempo von 200.000 Impfungen pro Tag (also mehr als eine Million pro Woche). Sobald jeder Hausarzt impfen darf, wird das sich vervielfachen. Vielleicht werden es ja nicht gerade die zehn Millionen Impfungen pro Woche, die irgendein Politiker (weiß gerade nicht mehr, wer) im Überschwang der Gefühle prognostiziert hat, aber lassen wir es auch nur die Hälfte sein, was mir angesichts der Million, die jetzt schon durch die Impfzentren geschafft wird, sehr machbar erscheint, dann sind spätestens Ende Mai alle Rentner durchgeimpft und die werktätige Bevölkerung kommt an die Reihe. Die jetzige Übergangsphase ist natürlich eine Gratwanderung, aber ich glaube nicht, daß es noch großflächige Lockdownverschärfungen geben wird, das wird allenfalls auf Landkreisebene da und dort noch passieren. Und deshalb nehme ich an, daß meine Kunden keinen Grund haben werden, in Schockstarre zu fallen.

Ich selbst hatte mir bislang noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, ob ich mich überhaupt impfen lassen möchte, weil es ja bislang klar war, daß ich so oder so noch viele Monate lang warten müßte. Aber inzwischen stelle ich mich darauf ein, daß ich sehr wahrscheinlich schon im Frühsommer drankommen könnte, und dabei habe ich gemerkt, daß ich auch tatsächlich drankommen möchte. Ich habe entschieden, meinem Hausarzt, nachdem das Impfen in Hausarztpraxen begonnen hat, zwei Monate Vorlauf zu lassen, damit er erst diejenigen unter seinen Patienten impfen kann, die Risikogruppen angehören oder es damit sehr eilig haben. Wahrscheinlich verfüge ich spätestens im August über den vollen Impfschutz, und so lange kann ich auch noch warten, denn ich halte mich nicht für besonders gefährdet.

Man darf gespannt sein, ob die Impfbereitschaft in der Bevölkerung in allen Altersgruppen hoch genug ist, um die berühmt-berüchtigte Herdenimmunität zu erreichen. Für einen Grund, eine Impfpflicht einzuführen, würde ich es aber nicht halten, falls das nicht der Fall wäre. Sobald jeder, der geimpft ist, damit rechnen kann, mit ausreichender Sicherheit vor Ansteckung geschützt zu sein, muß man diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, vor dem Eingehen dieses individuellen Risikos meines Erachtens nicht schützen, und schon gar nicht gegen ihren Willen. Schwere Erkrankungs- und vielleicht auch Todesfälle treffen dann ja nahezu ausschließlich diejenigen, die risikobereit waren. Mit dem - nach aktuellem Wissensstand aber geringen - Restrisiko auch für Geimpfte werden wir uns arrangieren müssen, genauso, wie man sich mit vergleichbaren Restrisiken anderer Art arrangiert, etwa durch den Straßenverkehr oder die Grippe.

Ich habe vorgestern ein Phoenix-Interview mit Mathias Richling gesehen, der etwas oberflächlich betrachtet ähnliches geäußert hat, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Er meinte Corona-Infektionen generell. Aus seiner Sicht war das Infektionsrisiko schon seit Beginn der Pandemie ein  hinnehmbares Restrisiko - hinnehmbar jedenfalls eher als die Folgen des Lockdowns, insbesonders für die Angehörigen seines Metiers, also der Kulturschaffenden. Richling behauptete, man hätte all diese Branchen von vornherein wegen einer Lappalie wie Corona gar nicht schließen dürfen. 

Damit ist er zwar kein "Corona-Leugner", wie das postwendend von aufgebrachten Zuschauern mit gegenteiliger Meinung behauptet wurde, denn Richling leugnet ja weder die Krankheit noch ihre Lebensgefährlichkeit, er hält "nur" die Todesfälle für hinnehmbar, wofür man ihn natürlich genauso verabscheuen darf, als wenn er Corona leugnen würde. Ebenso darf man über seine Milchmädchenrechnungen den Kopf schütteln, denn wenn er die 70.000 Coronatoten ins Verhältnis zu den Gesamt-Todesfällen in einem normalen Jahr zu setzen versucht, ignoriert er die Tatsache, daß es nur wegen der Corona-Maßnahmen nicht sehr viel mehr Corona-Todesfälle geworden sind.

Richling sprach an einer Stelle von den "Kollateraltoten", und gemeint waren damit Todesfälle, die durch die Corona-Maßnahmen, etwa den Lockdown, ausgelöst wurden. Also zum Beispiel Suizide von Depressiven oder geschäftlich Ruinierten. Aus irgendwelchen Gründen scheint er diese Art von Todesfällen bedauerlicher zu finden als die als Folge von Corona-Todesfällen natürlich ebenfalls zu erwartenden "Kollateraltoten" - also Todesfälle nicht durch Corona, sondern als Nebenwirkung von Corona-Todesfällen. Es wäre mir beispielsweise völlig neu, daß der Corona-Tod des Partners, eines Elternteils, der besten Freundin oder, Gott behüte, eines (erwachsenen) Kindes für einen Depressiven leichter zu ertragen wären als ein Lockdown. Und welche schwerwiegenden auch finanziellen Folgen der Tod eines Familienvaters für seine Hinterbliebenen haben kann, übrigens ganz besonders dann, wenn er ein eigenes Geschäft hatte, ändert sich ja nicht dadurch, daß es "nur" Corona war, das ihn dahingerafft hat und nicht die Verzweiflung über den Corona-Lockdown. 

So zahlreich die von Richling vorgebrachten Einzelargumente waren, sie waren allesamt nicht zu Ende gedacht. Das liegt meiner Meinung nach daran, daß sie kein Ergebnis eigener Denktätigkeit gewesen sind, sondern nur einschlägigen Quellen nachgeplappert wurden, beispielsweise bei jenem Professor aus Hannover, Stefan Homburg, denen der gemeine Nichtdenker gerne die Argumente entnimmt, die ihm begründen sollen, warum genau das richtig ist, was ihm persönlich an meisten in den Kram passen würde.

Ich verzichte darauf, noch einmal im einzelnen zu erklären, warum seine Vergleiche - von der Grippe bis zu den Verkehrstoten - allesamt falsch sind, weil ich das schon in zahlreichen früheren Beiträgen erklärt habe. Aber eines muß ich doch noch loswerden, zu einem Argument, das ich in seiner erschütternden Einfalt so bezeichnend fand: Richling verglich außerdem die Mortalität (gemeint war eigentlich "Letalität") von Corona mit der Pest. Lassen wir es mal dahingestellt, daß er dem Zuhörer nebenbei sowohl eine untertriebene Letalität - bleiben wir bei dem richtigen Begriff - von Corona unterjubelte, als sie aufgrund der Datenlage naheliegt, wie auch eine übertriebene der Pest (60 statt 50 %), obwohl auch das ziemlich bezeichnend ist. Klammern wir außerdem einmal aus, daß die Zeiten vorbei sind, in denen es gegen die Pest keine wirksamen Medikamente gegeben hat, während man bei schwerem Corona-Verlauf immer noch hilflos ist. Für mich warf dieser Vergleich nämlich vor allem die Frage auf: Ist Richling wahrhaftig der Meinung, eine Seuche, gegen die es keine Impfung und keine gut wirksamen Behandlungsmethoden gibt, rechtfertige Schutzmaßnahmen nur dann, wenn sie jeden zweite Erkrankten binnen weniger Tage tot umfallen läßt, wie das einst bei der Pest der Fall war? 

Ich frage deshalb, weil in diesem Fall ein Lockdown der Art, wie wir ihn hatten, so sinnlos und lächerlich wäre, als würde man sich darauf beschränken, in den Fußgängerzonen Kamillentee auszuschenken. Eine Seuche, die so ansteckend ist wie Corona und so tödlich wie Ebola (Letalität ungefähr wie die Pest), hätte vom Patienten Null bis zum Ergreifen erster Maßnahmen ja schon mehr Menschen das Leben gekostet, als an Corona in den letzten zwölf Monaten insgesamt gestorben sind. Nach Einführung von Maßnahmen wäre ein beträchtlicher Teil der zuvor bereits Angesteckten wahrscheinlich einfach in der eigenen Wohnung oder sogar auf offener Straße an der Krankheit verreckt oder zum Teil vielleicht auch verhungert, weil sie natürlich von allen panischen Freunden, Bekannten und Nachbarn gemieden worden wären, als hätten sie, nun ja, die Pest. Außerdem wären natürlich sämtliche Lieferketten zusammengebrochen und wir hätten ganz andere Versorgungsprobleme bekommen als nur mit Klopapier. Apropos Kollateraltote, die hätten wir dann wahrscheinlich in rauhen Mengen gehabt.

Bin ich denn wirklich die einzige, die begriffen hat, daß wir es hier neben allem anderen auch mit einer Art Generalprobe zu tun haben? Die nächste Pandemie kann tatsächlich das Leben der einen Hälfte der Bevölkerung akut und unmittelbar bedrohen und das der anderen Hälfte der Bevölkerung zu einem Überlebenskampf wegen des Zusammenbruchs der Versorgungsstrukturen machen, sofern nicht sehr viel schneller darauf reagiert wird als im Fall von Corona. Alles, was im Fall von Corona noch nicht so gut geklappt hat (und da gab es ja schon einiges), sollte dringend funktionieren, wenn diese nächste Pandemie kommen sollte, denn sonst erleben wir das, was im Mittelalter die Pest gewesen ist, live und in Farbe und mit allen zugehörigen Gerüchen.

Den hiesigen Lockdown, der nie so radikal war wie in manchen anderen Ländern, zur schlimmstmöglichen Katastrophe hochzustilisieren, weil Mathias Richling mit seinesgleichen, vor allem der Zielgruppe der gerade in der Tat und zu Recht von Existenzängsten geplagten Kulturschaffenden, so viel Mitleid hat, finde ich schlicht und ergreifend dekadent. Richling hat überhaupt keine Ahnung, wie eine wirkliche Katastrophe aussehen könnte. Sein Tellerrand sind seine eigenen kleinen Egoismen und die derjenigen, die ein ähnliches Leben führe wie er selbst, und über die blickt er nicht hinaus.

Ich breche an dieser Stelle ab, sonst ufert mir das zu weit aus, obwohl ich noch längst nicht fertig mit diesem Hühnchen bin, das ich mit Mathias Richling zu rupfen habe. So ehrenwert sich Alfred Schier von Phoenix mit seinem Talkpartner auch mühte, genau das hatte er nicht verstanden, konnte daher den roten Faden der vor ihm ausgeschütteten einzelnen Faktoide auch nicht benennen und ihm so um die Ohren hauen, wie er es verdient hatte, und so kam Richling in diesem Gespräch viel zu gut davon.

Manchmal frage ich mich ja schon, ob Zahlen nicht vielleicht doch des Teufels sind, weil sie Böswillige dazu einladen, mit ihnen Schindluder zu treiben, und Ahnungslose dazu verführen, die sich aus irgendwelchen verzweifelten Hoffnungen heraus an Wunschdenken klammern, sie wie die Papageien nachzuplappern. Richling kommt mir wie eine Mischung aus beidem vor, wie ein ahnungsloser Trottel, aber auch wie einer, der andere ebenfalls zu Trotteln machen möchte, weil ihn das ein bißchen aufwertet. Von seinem Niveau als Kabarettist habe ich schon lange nicht mehr besonders viel gehalten, aber nach diesem Interview muß ich entweder an seinem Verstand oder an seiner Integrität zweifeln, oder noch besser: an beidem. 

So, das mußte mal raus, und jetzt ist es mir wohler. ;-)