Dienstag, 29. November 2022

Wer bist du und wenn ja, wieviele? Eine neue Teilantwort dazu

Mein Gewicht heute früh am Morgen vor der vormittags anstehenden - also mittlerweile erfolgten - dritten Chemo-Session, also nach Fastentag 2: 84,1 Kilogramm exakt. Das ist noch im Rahmen für Fasten in Kombi mit Low Carb, aber ich war doch ein bißchen enttäuscht. Eigentlich war ich auf irgendwas mit 83 eingestellt. Aber was soll's - erstens ist mir die im letzten Blogpost erwähnte häufigste Nebenwirkung mehrtägiger Fastenintervalle heute nachmittag passiert, deshalb nehme ich an, daß ich morgen früh den typischen leichten Gewichtsanstieg nach Fasten am Chemotag nicht erleben werde, sondern trotz dieses Umstands wohl doch ein bißchen weniger wiege. Und zweitens ist die Entwicklung meines Gewichts im Moment Nebensache, auch wenn ich reflexartig trotzdem darauf reagiere. Wichtig ist mir ja beim Fasten momentan vor allem die Wirkung auf die Chemo-Nebenwirkungen und eventuell auch den Tumor.

Oder vielmehr auf die zwei Tumoren. Eine neue Erkenntnis, die ich vom gestrigen Ultraschall-Termin mitgenommen habe: Ich habe tatsächlich zwei, einen größeren und einen kleineren. Der kleine Satellit war offenbar von Anfang an da, er war nur auf der Mammographie nicht zu sehen (bzw. ich als Laie habe ihn nicht erkannt). Glücklicherweise habe ich heute den schriftlichen Bericht des Radiologen, der der Chemo-Schwester vorlag, gleich ergattern können. In dem wird erwähnt, daß auch der Satellit (der wirklich so und außerdem als "direkt angrenzend" bezeichnet wurde, während ich mir einbilde, einen allerdings kleinen Abstand gesehen zu haben) geschrumpft sei.

Das Ulkige ist, daß ich am Vorabend des Mammographie-Termins abends im Bett eine besonders intensive Abtastung vorgenommen hatte und mir bei dieser Gelegenheit selbst in einem Moment eingebildet hatte, zwei statt eines Knotens zu ertasten. Ich hatte allerdings eher angenommen, daß das etwas mit der Schrumpfung des Tumors zu tun hatte, also ein ursprünglich einzelner Knoten sich langsam auflöst und dabei in zwei kleinere aufgespaltet hat. Ich muß da schon kurz vor dem Einschlafen gewesen sein, am nächsten Morgen tauchte die Erinnerung daran wie aus einem Nebel wieder auf, nachdem ich das Ultraschallbild gesehen hatte und erst mal fast vom Stuhl gefallen war, weil ich so erstaunt war über das, was ich sah. Der Radiologe bestätigte auf Nachfrage, daß ich tatsächlich zwei Tumore habe - und erst beim genauen Studium meiner Unterlagen stellte ich fest, daß ich das auch selbst hätte wissen können, weil es nämlich in dem bewußten Nachbericht des Laborbefunds - der, den ich auch erst auf ausdrückliche Nachfrage bekommen hatte - so stand: "ein ... Herd von ca. 26 x 17 x 18 mm ... und ein kleiner ... von 6 mm."

Das hätte ich also schon vorher selbst herausfinden können, nur war ich auf eine solche Nachricht einfach nicht gefaßt, weil niemand es vorher für nötig gehalten hatte, mir davon etwas zu sagen, und weil das aus meiner Sicht keine zu klärende offene Frage war - von denen ich ja genügend abzuklären hatte, da mein Onkologe die zugehörigen Antworten für nicht mitteilenswert hielt und außerdem schon seit fast acht Wochen überhaupt nicht mehr mit mir spricht.

Liegt das nun ein weiteres Mal nur an meinem Onkologen oder ist das doch ein Fehler im System? Der Radiologe Dr. ABC (leider nicht Dr. XY, den ich beim letzten Mal sehr nett fand) - vom Alter her könnte er mein Sohn sein und er sieht ein bißchen aus wie Richard David Precht - rügte mich nämlich, als ich ihn auf die immer noch ausstehende Ultraschalluntersuchung der Leber ansprach. Sinngemäß sagte er, Patienten sollten diese Arztbriefe, also solche, die von Facharzt zu Facharzt gehen, gar nicht erst lesen, sie verstünden sie sowieso nicht richtig und regten sich dann nur unnötig über alles mögliche falsch Verstandene auf. 

Was sagt man dazu? 

Hinzu kommt noch, daß ich diese Lebersache erstens mitnichten aus dem Arztbrief erfahren, sondern vielmehr mündlich von dem CT-Arzt gesagt bekommen habe, der offenbar die Philosophie eines möglichst niedrigen Informationsstands der Patienten als Grundlage für den optimalen Erhalt ihres Seelenfriedens nicht teilt. Und zweitens regte mich das keineswegs auf - oder jedenfalls sprach ich die Sache zumindest diesmal ganz unaufgeregt an -, ich wollte ja nur wissen, wann das denn gemacht werden soll und ob ich vielleicht selbst dafür aktiv werden muß, damit ich diesen Punkt irgendwann auch mal runter von meiner Liste bekomme.

Daraufhin erfuhr ich, es werde vielleicht gar nicht gemacht. Darüber entscheide die Tumorkonferenz.

Tumorkonferenz, aha. Vorher nie gehört. Noch so eine Sache, die man als Patient besser gar nicht erst erfahren soll?

Ich wollte also wissen, ob diese Tumorkonferenz denn schon gewesen sei, wenn das CT bereits einen Monat her ist. Offenbar ist davon auszugehen, daß sie schon war. In diesem Fall muß aber auch die Entscheidung, nichts zu machen, längst stattgefunden haben, aber erneut hielt niemand es für nötig, mir das mitzuteilen. 

Somit wird die Liste meiner Fragen an den Onkologen, obwohl ich seit heute sogar mehrere Punkte streichen kann, nicht kürzer. Immerhin steht in dem Schreiben ja "Sonographische Korrelation empfohlen", also wenn man einer solchen Empfehlung nicht nachkommt, wird man sich ja irgendetwas dazu überlegt haben, und ich würde gerne wissen, was. Außerdem will ich natürlich auch noch wissen, was eventuell sonst über meinen Tumor so zusammenkonferiert wurde. Es ist ja immerhin mein verdammter Tumor, und ich will alles über ihn wissen einschließlich der Dinge, die die Spezialisten sich zu ihm so überlegen. Das macht also zwei neue Fragen anstelle der alten Frage.

Für einen einzigen Arztbesuch, von dem ich mir nichts weiter als Aufschlüsse darüber versprochen hatte, ob die Chemotherapie so anschlägt wie erhofft, waren das unerwartet viele überraschende Neuigkeiten. Ich habe allerdings darauf verzichtet, auch noch nach dem Titan-Clip zu fragen, weil ich dachte, das ist sicherlich auch so eine Sache, die ich nach Meinung der Halbgötter in Weiß als Patient nicht zu wissen brauche. Oder vielmehr: Erst dann, wenn mich die Chemo-Schwester wieder fragt, ob ich eigentlich schon wisse, daß ich nächste Woche einen Termin dafür habe. Ich nahm daneben an, daß die Entscheidung, ob und wann das gemacht wird, sowieso nicht von ihm getroffen wird. Und sieh an, wieder lag ich damit teilweise falsch: Dieser Clip soll, sofern er als erforderlich erachtet wird, gemäß der Empfehlung des Radiologen im Nachgang zu einem weiteren Ultraschall nach Ende des vierten Zyklus erfolgen. Das riecht mir verdächtig nach einer weiteren Tumorkonferenz als eigentlichem Entscheidungsträger, spätestens im Januar. Noch ein Grund, den Doc nach diesen Konferenzen zu fragen.

Den Ultraschalltermin hat die Chemo-Schwester mir heute dann gleich für Anfang Januar vereinbart. Hätte sich das vielleicht doch mit einem anderen, bereits feststehenden Termin "gebissen", hätte ich also noch beizeiten anrufen und das ändern können. - Über die vereinbarte Uhrzeit 8 Uhr 15 - was bedeutet, ich muß zu einer Zeit zum Bus, zu der ich normalerweise noch friedlich meinen Kaffe schlürfe - bin ich zwar nicht wirklich glücklich, aber meiner Erfahrung nach verkürzt ein möglichst früher Arzttermin die damit verbundene Wartezeit oft ganz erheblich, also spare ich mir vielleicht wenigstens einen Teil der üblichen halben Stunde, die ich dort erfahrungsgemäß sonst immer im Wartezimmer herumsitze. Und immerhin habe ich endlich mal das Gefühl, vernünftig planen zu können. Vielleicht lassen sich also die Anfangsschwierigkeiten beim organisatorischen Teil meines Problems mit den zu spärlich fließenden Informationen doch noch beheben. 

Jetzt hoffe ich sehr, daß der neue Onkologe außerdem auch noch ein bißchen anders als sein Vorgänger tickt und sein Herrschaftswissen auch mit mir zu teilen bereit ist. Als er mir gestern bei der Blutabnahme über den Weg lief, konnte ich nicht anders, als seine Körpersprache (Mimik fiel wegen Maske natürlich flach) als Grundlage für eine - äußerst unwissenschaftliche - hoffnungsvolle Prognose auf Intuitionsbasis zu nutzen. Der Mann macht mir nämlich schon sehr viel mehr als sein Kollege den Eindruck eines energischen, zielbewußten und somit vermutlich vernünftigen und pragmatischen Menschen. Jetzt muß nur sein Kollege der Versuchung widerstanden haben, ihm so viele abschreckende Schauergeschichten über mich zu erzählen, wie ich der Blogleserschaft (und jedem anderen, der nicht vor mir davongelaufen ist ...) wiederum über ihn erzählt habe ...

Aber vorsichtshalber schaue ich mich trotzdem jetzt schon mal nach anderen in Frage kommenden Fachärzten in meiner Stadt um. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß das, was ich gerade erlebe, dem üblichen Standard in Onkologenpraxen entspricht, und womöglich halten speziell in dieser Praxis das ungeachtet dessen ja alle doch alle für normal? Für den Fall, daß das so wäre, möchte ich schon jetzt einen geordneten Rückzug irgendwohin vorbereiten, wo man als Patient mit einem etwas weniger respektlosen Umgang rechnen kann. (Ich schrieb bewußt nicht "mit einem respektvollen". Man möchte die Meßlatte ja im realistisch zu erwartenden Bereich halten //Sarkasmus off.) 

Ich habe halt immer gerne einen Plan B, genau deshalb regt es mich ja so auf, daß ich über den Plan A der Medizinmühle, der ich mit nur wenigen eigenen Spielräumen  ausgeliefert bin, so schlecht ins Bild gesetzt worden bin, daß ich jetzt schon wiederholt feststellen mußte, daß ich mit irgendetwas, das ich schon zu wissen glaubte, total falsch lag, was mir jedes Mal richtiggehend den Boden unter den Füßen wegzieht. (Bitte dies unter "Lebensqualität" verbuchen, Frau Professorin ...) Nicht zu unterschätzen sind auch die organisatorischen Schwierigkeiten, die mir damit ohne Not zugemutet werden - auch wenn ich davon ausgehen sollte, daß die allesamt sich gar nicht vorstellen könnten, daß ich keineswegs gerade ein halbes Jahr AOK-Urlaub mache, sondern arbeite, und das nicht zu knapp. Während des Oktobers sogar überdurchschnittlich viel. Die glauben bestimmt (und irrtümlich), ihre Übergriffe auf meine Zeitplanung seien dadurch voll gerechtfertigt, weil ich ja im Moment sowieso einen Haufen Zeit habe.

Glücklicherweise konnte ich bezogen auf den zweiten Teil der Chemotherapie, der im Januar beginnen soll, heute bei der Chemo-Schwester eine Informationslücke schließen: Ich werde tatsächlich neben der wöchentlichen Taxane-Verabreichungen (nur nannte sie es Taxol), mit beidem ist aber dasselbe gemeint, nämlich Paclitaxel, ein aus Eibennadeln oder -rinde gewonnener Wirkstoff, alle drei Wochen zusätzlich Trapuzumab und Pertuzumab als Antikörpertherapie (aka "Doppelblockade") verabreicht bekommen. Die Chemo-Schwester sagte überigens ebenfalls erst, mit den Namen der Antikörpermedikamente könne ich doch gar nichts anfangen. Ich antwortete, sie solle mich nicht unterschätzen, ich hätte meine Hausaufgaben längst gemacht, soweit ich die zugehörigen Informationsgrundlagen hätte, und nur die fehlten mir bezüglich der Namen der Wirkstoffe bis auf weiteres noch, und so schrieb sie sie mir am Ende auf.

Die gute Nachricht zum Schluß: Nach zwei Chemo-Sessions ist der (größere) Tumor in der Tat kleiner geworden. Das sah ich sogar mit bloßem Auge, und Richard David Prechts Wiedergänger bestätigte diesen Eindruck: "Ein bißchen" sei er kleiner geworden, ungefähr in dem Maße, wie man das nach nur zwei Chemos erwarten könne. Ich hatte ihn als "ein bißchen über zwei Zentimeter Durchmesser" in Erinnerung, hier wurden nun in seiner äußersten Ausdehnung 2,6 Zentimeter als Ausgangswert angegeben ... aber natürlich war der Tumor auch nicht kreisrund, sondern elliptisch. Jetzt mißt er an seiner ausgedehntesten Stelle nur noch 2,3 Zentimeter. Hört sich nicht nach einer weltbewegenden Entwicklung an, scheint aber im Rahmen des Normalen nach den ersten zwei Chemos zu sein. Außerdem hat er auch seine Form verändert, und ich nehme dem Augenschein nach an, in 3-D-Angaben über sein Volumen wäre die Schrumpfung ein bißchen höher ausgefallen, als sie mit dieser Meßmethode erscheint.

Obwohl der unsympathische Precht-Wiedergänger (noch eine Ähnlichkeit ...) das in sehr ungehaltenem Ton ins Reich der Märchen verwies, bin ich mir außerdem immer noch nicht sicher, ob und wieviel der Tumor zwischen der Mammographie (28.9.) und dem Beginn der Chemotherapie (13.10.) noch weitergewachsen ist. In einer Studie, die ich erst wieder suchen müßte - und darauf habe ich gerade keine Lust -, haben sich der schnellstwachsenden Tumoren innerhalb von knapp über einen Monat von einem auf zwei Zentimeter verdoppelt. Ein Anwachsen von 2,6 Zentimeter auf, sagen wir, 3, innerhalb von 14 Tagen scheint mir bei einem Turbo-Monster wie dem, was ich habe, da nicht von vornherein abwegig.

Daß die Schwellung nach der Biopsie tatsächlich 14 Tage lang in vollem Umfang angehalten haben soll, kann ich mir außerdem auch nicht so richtig vorstellen, auch wenn ich zur Frage, wie lange der Heilungsprozeß dauert, im Web keine Informationen finden konnte (vermutlich bin ich nicht auf die besten Suchbegriffe gekommen). - Vor der Biopsie war der (größere) Tumor außerdem noch nicht ertastbar bzw. wahrscheinlich eher: noch so unauffällig, daß ich schon hätte wissen müssen, wo ich suchen muß, um ihn zu finden - denn natürlich habe ich, auch am Morgen vor der Mammographie, gelegentlich meine Brust abgetastet, seit ich die geschwollenen Lymphknoten bemerkt hatte. 

Update am 30.11.22, weil mir das in der Nacht noch durch den Kopf ging: 

Ich glaube, der nächste Ultraschall wird deutlicher zeigen, ob der Arzt in dieser Sache näher dran war oder ich. Angenommen, der Tumor wäre in den zwei Wochen zwischen der Mammographie und der ersten Chemo nicht gewachsen, wäre er in zwei Zyklen um 3 Millimeter geschrumpft, das entspricht ungefähr 11 Prozent der Ursprungsgröße. (Klammern wir die Frage nach dem Volumen, bei dem die Schrumpfung größer ausgefallen sein könnte, einmal aus, weil es dazu ja keine Nachweise gibt.) Angenommen aber, er wäre in dieser Zeit von 2,6 auf 3 Zentimeter gewachsen, wie mir das möglich erscheint, dann wäre er um 7 Millimeter geschrumpft, das wären dann 22 Prozent. 

Was von beidem eher zu vermuten ist, sollte sich wohl bis zu einem gewissen Grad aus der Tumorgröße nach dem vierten Zyklus ableiten lassen. Falls der Tumor Anfang Januar 2 cm plusminus 1 mm groß ist, hat der Radiologe wohl recht. Falls er 1,6 cm plusminus 1 mm (oder, man wird ja wohl noch träumen dürfen, noch weniger) messen sollte, dürfte ich näher dran sein. 

Mir kam das Ding nämlich nach der Biopsie wirklich riesig vor, zumal gemessen daran, daß ich zuvor überhaupt nichts hatte ertasten können. Es war nun aber nicht nur ertastbar, sondern bildete sogar eine sichtbare Ausbeulung. Und diese Beule wurde mehr als zwei Wochen lang überhaupt nicht kleiner. Die erste Veränderung bemerkte ich an Tag 6 nach dem ersten Chemo-Zyklus.

Daß der Precht-Lookalike außerdem behauptete, auch meine geschwollenen Lymphknoten seien "ein bißchen" geschrumpft, schien mir erst eine erhebliche Untertreibung, denn die Schwellung ist extrem viel kleiner geworden. Aber um die Schwellung geht es ja nicht, sondern um den Befall mit Krebszellen, und ich habe irgendwo ja schon beschrieben, daß die sehr deutliche Verkleinerung der Schwellung nach nur einer einzigen Nacht mit erhöhtem nächtlichen Harndrang verbunden war. Diese Schrumpfung hat bestimmt vor allem etwas damit zu tun, daß ein Teil der Verteidigungstruppen vom Immunsystem abgezogen wurde - oder vielleicht auch: sich abgesetzt hat bzw. von der Chemo mit derselben Rücksichtslosigkeit plattgemacht wurde wie die Krebszellen? Immerhin fährt mir die Chemo ja auch das Immunsystem herunter. 

Es war also nur ein Teil der ursprünglichen Größe auf Krebsbefall zurückzuführen, aber ein beträchtlicher weiterer Teil ist auf andere Weise plausibler erklärt. Da haben wir wohl einfach aus unseren jeweiligen Perspektiven aneinander vorbeigeredet. Indem ich hier das hier eingestehe, möchte ich dem Philosophendouble ein Stückchen Gerechtigkeit widerfahren lassen: Vermutlich hat er in diesem Punkt recht und ich hatte unrecht. Obwohl es trotzdem nicht nötig gewesen wäre, mich dermaßen aggressiv anzubelfern. Eine einleuchtende Erklärung hätte ich ja auch von ihm mit Interesse vernommen und mir dann die Mühe sparen können, selbst auf sie kommen zu müssen.

Ach ja, und die zweite gute Nachricht gab es beim Nachmittagskaffee mit meinem Mann, dem ich das alles natürlich gleich brühwarm erzählt habe. Dem fiel nämlich eine so einleuchtende Erklärung für die unklare Stelle an meiner Leber ein, daß ich sie sofort für richtig gehalten habe: Das muß natürlich die Stelle sein, wo mir meine Gallenblase herausoperiert wurde. Ärgerlich, daß mir das nicht selbst eingefallen ist. - Wenn ich mich bei gar zu vielen Irrtümern und übersehenen Erklärungen für Detailfragen ertappe, bekomme ich womöglich noch Komplexe. 😳 Aber andererseits: Umgekehrt geht es meinem Mann oft genauso, daß er auf Erklärungen von mir, die ihm auf Anhieb einleuchten, selbst nicht gekommen wäre. Wir ergänzen uns ziemlich gut, abgesehen davon, daß wir uns außerdem auch noch lieben. 💏

Hm. Soll ich das jetzt von der Liste meiner Fragen an den neuen Doc vielleicht ebenfalls streichen? Ich glaube, ich kann die zwei neuen Fragen mindestens wieder in eine eindampfen, nämlich was es mit dieser Tumorkonferenz auf sich hat. Nebenbei kann ich ja dann noch die Gallen-OP als mögliche Erklärung für das, was im CT an der Leber zu sehen war, erwähnen und dabei die Frage stellen, was denn die Gründe für die Entscheidung der Tumorkonferenz waren, es nicht zu untersuchen. Waren sie vielleicht selbst auf diese Erklärung gekommen, und wenn ja, wie?

***

Zum letzten Blogartikel über die Stellungnahme zum Fasten als Begleitung einer Chemotherapie noch ein Nachklapp: Schon vor einiger Zeit habe in einem ernährungsmedizinischen Blog eine gute Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse (allerdings auf dem Stand von 2019) zu diesem Thema gefunden (auch wenn ich meine eigene Analyse noch besser finde, aber die hatte ich damals noch nicht geschrieben) und mich dort zu einem Kommentar hinreißen lassen (ganz nach unten scrollen). Wie alle Ernährungsmediziner fand der Autor Professor Martin Smollich nämlich die Risiken des Fastens höher, als sie es meiner Meinung nach sind (insbesondere bezogen auf die Frage einer möglichen Mangelernährung), und natürlich braucht man auch seiner Meinung nach unbedingt eine ernährungsmedizinische Begleitung, wenn man sich auf so etwas einlassen will. Andererseits kann man seinem Blogartikel entnehmen, daß er die Wirkung des Fastens bei einer Chemotherapie längst nicht so negativ sieht wie die Frau Professorin Hübner und ihre Mitautoren, und mir gefiel an dem Text, daß er eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema einschließlich einer ebenfalls ernst gemeint klingenden Abwägung enthält, auch wenn mir dabei die Patientensicht fehlte und seine Schlußfolgerungen von meinen natürlich erheblich abweichen.

Weil ich diesen Blogartikel zufällig fand, als ich mich vergeblich darum bemühte, irgendwelche Hinweise darauf zu finden, ob es zum Fasten und der Bestrahlung auch irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, dachte ich, das könne ich jemanden wie ihn doch mal fragen. Aber eine Sache, die mir besonders aufstieß, wollte ich zu seinem Text außerdem auch noch anmerken ... und dann wurde es, wie bei mir dummerweise keine Seltenheit, doch wieder ein halber Roman:

Sehr geehrter Professor Smollich,

schöne und übersichtliche Zusammenfassung. Danke dafür – auch wenn ich mir das meiste davon inzwischen schon anderswo angelesen hatte und also fast alles schon kannte. Womit ich aber Schwierigkeiten habe, ist Ihre Mahnung, solche Experimente professionell ernährungsmedizinisch und onkologisch begleiten zu lassen. Denn dann können es wohl die meisten Interessierten ja sowieso nur noch bleiben lassen. Beim Fasten scheint der Onkologe an und für sich – so mein Eindruck bei Google-Recherchen – nämlich massive Berührungsängste zu haben.

Das wirft aber die Frage auf, warum so viele Patienten, die Interesse hätten, es damit zu versuchen, nur aus diesem einen Grund darauf verzichten müssen, obwohl es – normalen Ernährungsstatus und Einhalten ein paar simpler Grundregeln vorausgesetzt – nach menschlichem Ermessen überhaupt nicht riskant ist, während auf der anderen Seite ein möglicherweise hohes Potential eines echten gesundheitlichen Nutzens besteht. Mir leuchtet hier der Kosten/Nutzen-Aspekt aus Patientensicht nicht ein.

Potential, keine Garantie, schon klar. Vielleicht beträgt die Wirkung also auch nur Null. Aber sogar dann hätte man dafür mit minimalen Vorsichtsmaßnahmen, die eigentlich nicht mehr als normalen Alltagsverstand benötigen, ja trotzdem auch nur einen Preis von Null bezahlt. Und meine persönliche Erfahrung – derzeit zweiter Chemo-Zyklus – spricht außerdem eher für eine Wirkung von deutlich über Null. Mindestens bei den Nebenwirkungen, bei der Wirkung auf den Tumor selbst traue ich mir einstweilen noch kein Urteil zu. Ich bin zwar nicht blöd, aber trotz allem Laie und bemühe mich, mir meiner Grenzen bewußt zu bleiben.

Mein Onkologe hat sich in der Frage des Fastens als völlig unzugänglich erwiesen, bis hin dazu, daß er sich regelrecht geweigert hat, es auch nur zur Kenntnis zu nehmen, daß ich ungeachtet seines dringenden, ja geradezu panischen Abratens trotzdem um die Chemo herumfasten würde – nachdem es mir trotz aller Mühe nicht gelungen war, ihm ein überzeugendes Gegenargument zu entlocken, bis er das Gespräch kurzerhand abbrach und mich nebenbei auch noch mit einem ganzen Sack weiterer unbeantworteter Fragen stehenließ.

Ja, ich denke gerade ernsthaft über einen Arztwechsel nach. Aber was hilft mir das in der Frage des Fastens, bei der ja offenbar bis zu einem gewissen Grad fast alle Onkologen so ähnlich ticken, nur allenfalls etwas weniger extrem? Ist die vielleicht von vornherein aussichtslose und zeitraubende Suche nach einer eventuellen Ausnahme ausgerechnet in meiner an Onkologen nicht gerade armen Stadt wirklich diese Mühe wert? Bis zu einem abschließenden Ergebnis wäre ich mit der Chemotherapie wahrscheinlich längst durch. Und habe ich momentan außerdem nicht schon mehr als genug anderes am Hals?

Ich traue mir die Sache mit dem Fasten auch ohne einen Arzt zu, weil ich reichlich Vorerfahrungen mit Intervallfasten zur (nachhaltig erfolgreichen) Gewichtsreduktion habe, ebenfalls ohne professionelle Hilfe, weil Fasten mir geradezu lächerlich leicht fällt und weil ich die von Ihnen so übersichtlich und gut zusammengefaßte Literatur nach bestem Wissen und Gewissen (immerhin geht es um mein eigenes Überleben, das nehme ich schon ernst!) ausgewertet und an meine Situation angepaßt habe. Ich weiß ja schon lange, was mir beim Fasten bekommt und was nicht, also habe gerade ich dafür die bestmöglichen Voraussetzungen.

Meine Meinung ist außerdem: Jede vermiedene Nebenwirkung kann doch auch eine vermiedene Zellschädigung im gesunden Gewebe bedeuten, die ich andernfalls nicht vermeiden würde, mit allen gesundheitlichen Risiken, die damit wieder einhergehen. Was ist aus onkologischer Sicht dann aber besser daran, diese Risiken dennoch einzugehen? Für meinen bescheidenen Laienverstand geht diese Rechnung beim besten Willen nicht auf.

Klar wäre mir ein ärztlicher Begleiter, der mich über die Wirkung meines Tuns auf meine Gesundheit ausweislich der Daten auf dem Laufenden hält, mir damit eventuell nützliche steuernde Eingriffe im Detail ermöglicht oder mich im Extremfall mit überzeugenden Argumenten vielleicht ja doch noch von einem Abbruch überzeugt und der vielleicht – man wird ja noch träumen dürfen – sogar ein kleines bißchen Interesse an meinen praktischen Erfahrungen aufbringt, eigentlich lieber gewesen, aber backen kann ich ihn mir halt auch nicht. Also mache ich, was ich gerade mache, eben auf eigene Verantwortung und halte das auch für das geringere von zwei Risiken, unter denen ich auszuwählen hatte.

Danke für das geduldige Lesen. Ich fürchte, ich habe mich bei meiner Grundsatzrede ein bißchen hinreißen lassen. Dabei ging es mir doch eigentlich vor allem um eine konkrete Frage, von der ich hoffe, daß Sie mir weiterhelfen können: Über Fasten im Zusammenhang mit Bestrahlung – die ja auch noch auf mich zukommt – habe ich im großen weiten Web bislang noch gar nichts Erhellendes gefunden. Komisch, eigentlich bin ich sonst ganz fit in solchen Recherchen. Fehlen mir die richtigen Suchbegriffe? Oder ist meine Frage aus irgendwelchen Gründen so abwegig, daß vor mir wirklich noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, sich für die Wirkung von Fasten (evtl. ja auch in viel kürzeren Intervallen) auf Bestrahlungsnebenwirkungen zu interessieren?

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dazu etwas wüßten!

Herzliche Grüße und schon im voraus vielen Dank
Perditax


Was mich beim Wiederlesen meines Leserbriefs jetzt freilich ins Grübeln bringt, ist die Frage, ob ich den Faktor "Blinder Aktionismus des Patienten" in der Frage des Fastens nicht vielleicht doch unterschätze, nur weil ich selbst nicht vom blinden Aktionismus befallen bin, sondern sehr genau weiß, was ich mache und warum ich es mache. Sollte der von Prof. Smollich heraufbeschworene Fall, daß jemand in der Annahme, seinen Krebs "aushungern" zu können, es mit dem Fasten so sehr übertreibt, daß tatsächlich ein Gesundheitsrisiko daraus entsteht, realistisch sein? 

Spontan hätte ich das für einen seltenen und leicht vermeidbaren Fall gehalten, aber in Gesundheitsfragen ist den Leuten natürlich alles und dessen jeweiliges Gegenteil zuzutrauen - und ebenso, daß sie es dabei gerne nach dem Prinzip "Viel hilft viel" maßlos übertreiben und damit am Ende nur Schaden anrichten. Mir fiel dazu Steve Jobs ein, aber ebenso der Fanatismus mancher Low-Carb-Jünger beim Vermeiden auch noch des letzten vermeidbaren Kohlehydrats. Sicherlich sind gerade Onkologen (und Ernährungsmediziner) auch häufig damit beschäftigt, ihren Patienten zweifelhafte Alternativ-Heilmittel wieder ausreden zu müssen, von denen sie im Internet, in ihrer Fernsehzeitschrift oder von der besten Freundin erfahren haben und es aufgegriffen haben, weil sie halt irgendwie daran glauben wollen, daß es besser wirkt als die schulmedizinische Herangehensweise. Speziell beim Fasten halte ich es aber anstelle einer "engmaschigen Betreuung" durch Ernähungsspezialisten - deren Vorwissen zum Fasten ohnehin meistens kläglich ist - für völlig ausreichend, wenn der behandelnde Arzt (im Falle einer Krebserkrankung also der Onkologe) ein paar Basics über die praktische Anwendung des Fastens weiß und sie weitervermitteln kann - wie er sie übrigens am leichtesten erfahren kann, wenn er einfach die bereits fastenerfahrenen unter seinen fastenwilligen Patienten fragt. 

Hat sich die Wissenschaft (TM) eigentlich schon mal mit der Frage befaßt, wie hoch der Anteil der Patienten ist, die eine potentiell gefährliche alternativmedizinischen (Neben-)Behandlung machen wollten, durch dramatische Warnungen ihres Arztes mehr profitierten als durch dessen pragmatisches Angebots, den Patienten bei der alleinigen oder supplementierenden Umsetzung schulmedizinisch zu begleiten und bei negativen Wirkungen rechtzeitig zu warnen und erforderlichenfalls gegenzusteuern?

Als fachliche Lektüre zum Einlesen über die Wirkung von Fastenintervallen, die sich über mehr als 36 Stunden erstrecken (wer kürzere Intervalle für gefährlich hält, der scheint mir von irrationalen Ängsten geplagt, die man einfach ignorieren kann), auf die von Onkologen als kritisch betrachteten Bereiche bei gesunden Fastenden wäre vielleicht u. a. dies hier geeignet, obwohl es dabei um das von mir ausdrücklich nicht sonderlich geschätzte Buchinger-Fasten geht (mit einer täglichen Kalorienzufuhr von ca. 250 kcal). Es gibt bestimmt noch eine Menge Studien über die generellen Risiken des Fastens für Gesunde, auch wenn ich um diese Tageszeit nicht mehr nach ihnen suchen will. Auch wenn mir klar ist, daß die Krebserkrankung wie auch die Chemotherapie natürlich zusätzliche Probleme aufwerfen, die dazu ergänzt werden müßten, sollten doch manche Bedenken auf diese Weise bereits im Vorfeld dessen gegenstandslos werden können. Speziell zur eingegrenzten Frage, warum Frauen mit Brustkrebs sich dazu entscheiden, zu fasten, würde man im Volltext dieses Abstracts vielleicht Interessantes herausfinden können - und dies vielleicht auch bei der Frage mit einbeziehen, wann Fasten welche Auswirkungen auf die Lebensqualität hat und bei welchen Grundannahmen und Herangehensweisen der Patientinnen das Risiko durch Fasten höher und bei welchen niedriger ist. Die Annahme, daß alle nur irgendwelche irrationalen Gründe haben oder auf Scharlatane hereingefallen sein müssen und man deshalb besser weiß als sie, ob ihr Vorhaben gut oder schlecht ist, ist nämlich selbst irrational.

Komischerweise stieß ich auf diese interessant klingende Studie bei keiner Suche nach Fasten bei Chemotherapie, obwohl ich mehrere durchführte, sondern bei der Suche nach Studien zu den Risiken des Fastens allgemein. Ich muß wirklich dringend meinen Bibliotheksausweis erneuern lassen. Aber außerdem wundere ich mich manchmal schon über die Algorithmen bei Google, die mir solche Quellen nicht einfach freiwillig liefern, wenigstens auf Seite 15 der Treffer oder so. Manchmal findet man die beste Quelle zu seiner Frage nämlich wirklich erst auf Seite 15 oder noch später. Das habe ich übrigens auch nicht herausgefunden, indem ich nach den zugehörigen Erkenntnissen in wissenschaftlichen Studien darüber gesucht habe, sondern aufgrund von Erfahrungswerten in meiner Eigenschaft als hartnäckiger Recherchierer. 

Ich halte viel von Erfahrungswerten. Schade, daß die Erfahrungswerte ihrer Patienten von so vielen Ärzten anscheinend für mehr oder weniger bedeutungslos gehalten werden.





Sonntag, 27. November 2022

Dschungelcamp reloaded: Survivaltraining in der Onkologenpraxis

Mein Gewicht heute früh: 86 Kilogramm exakt. Seit vier Tagen balanciere ich um die 86 herum, mal 100 Gramm mehr, mal 100 Gramm weniger, also nehme ich an, daß ich morgen wieder in diesem Bereich liegen werde, wenn ich - zwei Tage vor dem dritten Chemo-Zyklus - mein nächstes viertägiges Fastenintervall beginne, das also von Sonntag bis Mittwoch dauern wird. 

Sonntags zu fasten ist für mich ziemlich ungewohnt, und weil ich sowieso am liebsten an einem ganz normalen Arbeitstag faste, habe ich mich entschlossen, morgen eben zu arbeiten. Das erscheint auch deshalb vernünftig, weil mir mein Doc (keine Ahnung, ob das der alte oder der neue war) mir meinen Arbeitsplan für Montag über den Haufen geworfen hat, indem er mich ungefragt für die erste Ultraschall-Inspektion des Tumors nach zwei Chemo-Zyklen angemeldet und dort für den ziemlich frühen Montagvormittag einen Termin für mich vereinbart hat. Ohne jede Rücksprache mit mir. Offenbar rechnet niemand damit, daß ich vielleicht ja doch noch ein paar andere Dinge vorhaben könnte, als darauf zu warten, daß mein Arzt eine Beschäftigung für mich findet.

Keine Ahnung, ob das beim Onkologen vielleicht ja doch normal ist (ist ja mein erster Krebs), aber ich war schon einigermaßen befremdet, als ich bei der Blutabnahme gefragt wurde: "Sie haben am Montag einen Termin bei Dr. XY, das wissen Sie doch bestimmt schon?" Nee, wußte ich nicht. Hätte mich die Chemo-Schwester nicht gefragt, hätte ich den Termin verpaßt.

Noch mehr hat mich gewundert, daß ich nur für diese Untersuchung angemeldet worden war. Was ist nun eigentlich mit diesem blöden Titan-Clip, der im Fall einer Komplettremission die Stelle bezeichnen soll, wo sich der Tumor befand? Bislang habe ich ihn nicht bekommen. Und was ist mit dem Ultraschall der Leber? Das ist jetzt auch schon vier Wochen her, daß ich dieses CT Abdomen habe machen lassen, und weil das die Sache mit dem Geburtstag meiner Mutter so kompliziert gemacht hat, hätte ich das gerne verschoben, aber der Doc hatte es so eilig damit, daß er eine Verschiebung abgelehnt hat und ich vor dem CT in höchster Eile noch einen Auftrag fertigstellen und direkt nach dem CT auf der Stelle zum Zug hetzen mußte. 

Wieso also ist es jetzt auf einmal gar nicht mehr eilig, nun, da das CT dummerweise doch noch eine (nach Meinung des dortigen Arztes) höchstwahrscheinlich harmlose Sache ergeben hat, die aber trotzdem noch abgeklärt werden sollte? Wieso veranlaßt mein Onkologe nicht gleich alles, was im Moment noch zu tun aussteht, wenn er schon so selbstherrlich über meine Zeit verfügt? Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil alle drei Dingen in derselben Praxis bei Doktor XY gemacht werden müssen.

Aus schierer Prinzipenreiterei fange ich aber nicht an zu meutern, dafür ist meine Zeit viel zu knapp. Diesmal bin ich deshalb den Weg des geringeren Widerstands gegangen, will also heißen, ich gehe am Montagfrüh tatsächlich dorthin und erledige die Aufträge für den Montag eben schon am Sonntag. Auf Dienstag verschieben kann ich sie ja nicht, weil ich da den gesamten Vormittag für die Chemo brauche und am Nachmittag vorsichtig planen sollte, weil ich mich natürlich nicht zu fest darauf verlassen sollte, daß ich dann so fit sein werde wie bei den ersten beiden Zyklen. Auch wenn ich das natürlich hoffe!

Wie war das noch gleich mit dem Streß, den ich als Krebspatient unbedingt vermeiden solle?

Am Montag werde ich aber mal den Dr. XY darauf ansprechen. Ich weiß ja nicht, ob er die Sache mit dem Titanclip auch ungefragt machen kann, aber wenn ich Glück habe, fragt er zumindest gleich mal beim Onkologen nach und bei dieser Sache bewegt sich endlich mal was.

***

Wie es der Zufall wollte, ist in den letzten Tagen eine Stellungnahme zum "Fasten vor, während oder nach der Chemotherapie" publiziert worden, die sich an die behandelnden Ärzte von Chemotherapiepatienten richtet. Ich nahm das zum Anlaß, mich auch noch einmal mit den Studien zu beschäftigen, die Grundlage dieser Stellungnahme wie auch für mich die Grundlage meiner Entscheidung gewesen waren, chemobegleitend zu fasten. Die Stellungnahme empfahl aber auf derselben Grundlage genau das Gegenteil. Also schien es mir angebracht, mich noch einmal zu vergewissern, ob ich vielleicht doch etwas übersehen oder falsch interpretiert hatte.

Spoiler: Ich sah keinen Anlaß, meine Entscheidung zu korrigieren. Diese Überprüfung hat mir vielmehr bestätigt, daß ich auf Grundlage meiner persönlichen Abwägung sowie der gegebenen Fakten genau das Richtige mache.

Verantwortlich zeichneten für diese Empfehlung, Patienten vom Fasten abzuraten, neben der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin der Arbeitskreis Ernährung der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft und der Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. (VDD). Drei ernährungsorientierte Organisationen auf einem Haufen also, die vermutlich allesamt bezüglich des Kaloriendogmas das gleiche Brett vor dem Kopf haben, das in allen Bereichen fast zwangsläufig dazu führt, daß falsche Grundannahmen eine ganze Kaskade von falschen Schlußfolgerungen auslösen. Was hätte man da schon erwarten können? 

Als korrespondierende Autorin ist eine gewisse Prof. Dr. med. Jutta Hübner vom Uniklinikum Jena angegeben; man darf also getrost davon ausgehen, daß sie den Ton der Stellungnahme gesetzt hat. Die Frau Professorin mag Fasten vielleicht ja ganz generell nicht, ebenso wie mein gewesener Ernährungsmediziner-Onkologe. Das könnte etwas damit zu tun haben, daß sie sich in der Vergangenheit schon mehrfach kritisch mit alternativmedizinischen Konzepten auseinandergesetzt hat (etwa der Homöopathie) und Fasten vielleicht irrtümlich in dieselbe Schublade steckt. Zum Fasten gibt es aber sehr wohl aus Labor- und Tierversuchen wissenschaftlich belegt konkrete Hinweise darauf, daß es sich als supportive Maßnahme bei einer Chemotherapie unabhängig von einem etwaigen Placebo-Effekt möglicherweise positiv auswirken könnte. Daß auch manche alternativmedizinische Strömungen aufgrund ganz anderer Grundannahmen Fasten für wirksam halten, ändert daran nichts.

Schauen wir uns die Sache mit den Vorteilen und den Risiken aber mal genauer an.

    Keine Vorteile durch Fasten. Wirklich nicht?

    Zum derzeitigen Zeitpunkt, behauptetet die Stellungnahme, lägen keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, die belegen, dass das Fasten vor, während und/oder nach der Chemotherapie ...

    1. das Therapieansprechen der Chemotherapien erhöhen kann. 
    2. die Toxizität und damit die therapiebedingten Nebenwirkungen reduzieren kann.
    3. die Lebensqualität der PatientInnen im Vergleich zur leitliniengerechten Ernährung verbessert.

    Das bedarf zunächst vor allem einer noch grundsätzlicheren Vorbemerkung.

    Richtig ist es in der Tat, daß die bislang vorliegenden Studien zum Thema Fasten und Chemotherapie sehr wenige sowie klein und noch dazu sehr heterogen sind, also verschieden formulierte Fragestellungen an Patienten mit unterschiedlichen Arten von Krebserkrankungen in verschiedenen Stadien der Erkrankung untersuchen. Auch die Chemotherapien, die verabreicht wurden, unterscheiden sich bezüglich der Zahl der Zyklen und der verabreichten Mittel. Nicht zuletzt wurde außerdem auch "Fasten" unterschiedlich definiert und die Fastenintervalle fielen verschieden lang aus. Die vorliegenden Ergebnisse erinnern mich deshalb an eine Sammlung von Puzzleteilen, die man beim besten Willen nicht zu einem ganzen Bild zusammensetzen kann, weil sie zu unterschiedlichen Bildern gehören, sagen wir: zu Bildern auf denen dasselbe Motiv (zum Beispiel Schloß Neuschwanstein) aus verschiedenen Abständen, Perspektiven oder Außen- und Innenansichten wiedergegeben wird. 

    Eine berechtigte Frage ist also, ob diese Studien überhaupt als Faktenbasis für irgendeinen Beweis ausreichend sind. Ich selbst habe sie in früheren Blogbeiträgen noch nicht für ausreichend gehalten und kann es durchaus verstehen, daß das als Grundlage für eine ausdrückliche Anwendungsempfehlung an Onkologen noch ein bißchen zu wenig ist. Aber es ist trotzdem schon mehr als das, was die Autoren dieser Stellungnahme unterstellen. 

    Richtig ist nämlich ebenso, daß diese Studien sehr wohl wichtige Indizien jedenfalls bezüglich der Punkte 2 und 3, also der Toxizität und der Lebensqualität, liefern. Gerade weil die Studien so heterogen waren, ist das m. E. beachtenswert. Eine unvoreingenommene Auswertung hätte meiner Meinung nach mindestens zu einer Art vorsichtig optimistischer Neugier auf die Ergebnisse künftiger Studien führen sollen. Der eher säuerlich formulierten Stellungnahme ist so etwas nicht einmal ansatzweise zu entnehmen. 

    Ich als Patientin leiste mir den Luxus, vorsichtig optimistisch neugierig zu sein, und bin noch dazu eine routinierte Intervallfasterin und konnte mich deshalb schon davon überzeugen, daß die postulierten Risiken, die eine Menge Ernährungsfachleute dem Intervallfasten zur Gewichtsabnahme zuschreiben, Ammenmärchen sind. Die angeblichen Risiken des Fastens während einer Chemotherapie können mir deshalb auch nur ein gelangweiltes Achselzucken entlocken. Ich brauche nicht unbedingt einen Beweis  für die Wirksamkeit, um es einfach mal zu auszuprobieren, weil mir klar ist, daß ich damit ein Risiko nahe null eingehe. 

    Ich hätte übrigens mit meinem individuellen Fastenmodell in keine einzige dieser Studien hineingepaßt. 

    Die betreffenden Studien an dieser Stelle zum Nachlesen in der Reihenfolge, in der sie in der Stellungnahme in Kurzform besprochen wurden: 

    Die allererste (sehr kleine) Studie zum Fasten mit Fallstudien von nur zehn Patienten von 2009 ließ man in der Stellungnahme ganz unter den Tisch fallen. Der Vollständigkeit halber hier auch von ihr der Link: Safdie et al (2009) (Volltext).  

    Nun zu den abgestrittenen Vorteilen im Einzelnen:

    1. Therapieansprechen der Chemotherapien 

    Richtig ist in der Tat, daß in keiner der ausgewerteten Studien ein eindeutig positiver Einfluß des Fastens auf die Bekämpfung des Tumors selbst nachweisbar gewesen ist. Auch wenn dieser Punkt nur in einer der Studien (De Groot et al, 2020) überhaupt zur untersuchten Fragestellung gehört hat, wären besser schrumpfende Tumoren natürlich in jeder Studie prominent erwähnt worden, falls das eingetreten wäre. Daß es nicht erwähnt wird, belegt also hinreichend, daß es nicht geschehen ist. 

    Die Studie, in der gehofft worden war, auch diese Wirkung nachweisen zu können, fällt noch aus einem anderen Grund aus dem Rahmen. In ihr wurde das Fasten nämlich durch eine "Fasting Mimicking Diet" (FMD) ersetzt, eine kohlenhydrat- und proteinarme Diät, die dem Fasten vergleichbare Stoffwechselreaktionen hervorruft. Damit hoffte man, so steht das in der Studie, den Patienten das Fasten leichter zu machen. Gerade in dieser Studie brach dann allerdings der größte Teil der FMD-Gruppe (80 %) das Fasten noch vor Ende der in diesem Fall acht Chemotherapie-Zyklen ab. Die Hälfte der Abbrecher begründete das mit dem Geschmack der vorgegebenen Nahrung, weitere 15 Prozent mit Übelkeit, möglicherweise ja ebenfalls in Zusammenhang mit dieser Diät.

    Interessanterweise ist etwas ganz ähnliches noch in einer weiteren Studie passiert (Bauersfeld et al), deren Definition von Fasten ebenfalls geringe Kalorienmengen in Form von Säftchen und Süppchen enthielt. Die Abbruchquote war zwar geringer - möglicherweise, weil es in dieser Studie nur um sechs statt acht Zyklen ging -, aber etwa die Hälfte der Abbrechenden machte nach eigenen Angaben auch hier deshalb nicht weiter, weil es ihr von diesem Essen übel geworden sei. 

    So richtig überrascht bin ich darüber noch nicht einmal. Abgesehen davon, daß die Chemotherapie als solche, wie in der Studie vermutet, vielleicht das Geschmacksempfinden beeinträchtigt hat: Der Vorteil des Fastens in mehrtägigen Intervallen besteht ja darin, daß man ab Tag 2 jedes Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme verliert. Auch ich habe aber diesen Vorteil eingebüßt, als ich Anfang des Jahres einmal ein mehrtägiges Fastenintervall lang abends immer einen halben Liter Brühe zu mir nahm, weil ich damit den andernfalls unausweichlichen hohen Flüssigkeitsverlust verhindern wollte und irrtümlich annahm, darüber hinaus werde sich das Fasten auf diese Weise nicht von meinem gewohnten Vorgehen unterscheiden. Ein vergleichbar unangenehmes Fastenintervall habe ich allerdings weder vorher noch nachher jemals erlebt, und ich habe dieses Experiment deshalb auch nicht wiederholt.

    Das Konzept mit den Süppchen und Säftchen, um das Fasten den Patienten leichter zu machen, sollte man also in künftigen Studien besser noch einmal überdenken. Ich hielte es für zielführender, so etwas optional anzubieten, anstatt es verpflichtend zu machen. Das gilt auch deshalb, weil einige Patienten der Kontrollgruppe - fünf an der Zahl, das entsprach fast zehn Prozent - ebenfalls nicht "compliant" waren, und zwar, indem sie sich entschlossen, auf eigene Faust - und höchstwahrscheinlich nach einem selbstgewählten Modell anstelle des vorgegebenen - mindestens während eines Zyklus ebenfalls zu fasten, womit sie ebenso wie die FMD-Abbrecher nicht mehr in die Auswertung einbezogen werden konnten. Leider wurde in der Studie nicht darauf eingegangen, ob diesen fünf Patienten das Fasten leichter als den FMD-Patienten gefallen ist und wie lange sie das jeweils machten.

    Aber zurück zur Frage des Therapieansprechens, also der Entwicklung des Tumors bis zum Ende der Chemotherapie.

    Ein Vorteil in diesem Punkt für die FMD-Gruppe (bzw. jedenfalls des Teils, der alle acht Zyklen mit der Diät durchhielt) gegenüber der Kontrollgruppe ist zwar nicht belegbar, aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Das liegt daran, daß aus unerfindlichen Gründen doppelt so viele Patientinnen mit triple-negativem Brustkrebs in die FMD-Gruppe gelangten wie in die Kontrollgruppe. Bekanntlich ist triple-negativer Brustkrebs besonders aggressiv und spricht gerade deshalb - auch ohne Fasten - viel stärker auf Chemotherapie an als langsamer wachsende Varianten. Das macht die Ergebnisse der beiden Gruppen schlecht vergleichbar. 

    Tatsache ist, daß in der FMD-Gruppe (bzw. des Teils von ihr, der acht Zyklen lang durchhielt) häufiger als in der Kontrollgruppe eine Verringerung der Tumorgröße um mindestens 90 Prozent erreicht wurde. Ebenso geschah es in der FMD-Gruppe seltener als in der Kontrollgruppe, daß der Tumor nach dem Ende der Chemotherapie sich überhaupt nicht verkleinert hatte oder sogar gewachsen war. Aber ob das "Fasten" (also die FMD-Ernährung) dafür (mit-)verantwortlich war, läßt sich beim besten Willen nicht sagen, auch deshalb, weil nur 13 von 64 in der FMD-Gruppe bis zum Schluß der Chemotherapie durchgehalten hatten, während dem mehr als die vierfache Zahl in der Kontrollgruppe gegenüberstand. 

    Es gibt aber ein Teilergebnis, das meiner Meinung nach eher dagegen spricht: Angesichts des hohen Anteils von triple-negativen Tumoren war eigentlich - auch unabhängig vom Fasten - ein höherer Anteil an Komplettremissionen, also das vollständige Verschwinden des Tumors, bei der FMD-Gruppe zu erwarten. Tatsächlich waren es aber in beiden Gruppen ungefähr gleich viele Komplettremissionen - auch die Autoren der Studie scheinen damit nicht gerechnet zu haben.

    Künftige Studien werden hoffentlich mehr Licht in das Dunkel um die Frage nach der Reaktion von Tumoren auf Fasten während der Chemotherapie bringen. Im Moment läßt sich diese Frage nicht beantworten.

    2. Toxizität und therapiebedingte Nebenwirkungen

    Daß das Fasten ausweislich der vorliegenden Studien "vor, während und/oder nach der Chemotherapie die Toxizität und damit die therapiebedingten Nebenwirkungen" nicht reduzieren könne, ist hingegen belegbar falsch. Denn in allen drei von mir im Volltext verfügbaren Studien, in denen auch die Toxizität untersucht wurde, ergaben sich klare Vorteile der Fastenden im Vergleich zu einer nicht fastenden Kontrollgruppe. Präziser gesagt: Es waren zwei Studien. In der dritten gab es nämlich keine Kontrollgruppe. Statt dessen wurden unterschiedlich lange Fastenintervalle untersucht, und dabei ergaben sich ebenso deutlich erkennbare Vorteile der längeren Fastenintervalle im Vergleich zu kürzeren Fastenintervallen bei Toxizität und Nebenwirkungen. Das paßt jedenfalls ausgezeichnet zu den Grundannahmen über die Zeitspanne, die benötigt wird, um die biochemischen Vorgänge auszulösen, die gesunde Zellen vor Schädigungen durch Chemotherapie schützen, und ist ein Indiz dafür, daß diese aus Labor- und Tierexperimenten aufgegriffenen Annahmen tatsächlich - ganz oder teilweise - auch auf Chemotherapiepatienten übertragbar sein könnten. Das hat diese dritte Studie trotz der fehlenden Nicht-Fastenden-Gruppe mit den beiden anderen gemeinsam. 

    Die Vorteile wurden in unterschiedlicher und nur zu kleineren Teilen sich überschneidender Weise belegt. Daran, daß sich in drei von fünf Studien nachweislich meßbare Vorteile für die Fastenden gegenüber den nicht Fastenden (bzw. die länger Fastenden im Vergleich zu den kürzer Fastenden) bezüglich der Toxizität ergaben, ändert diese Unterschiedlichkeit aber nichts. 

    1) De Groot et al (2020):  

    Drei Stunden nach der Chemotherapie wiesen die Patientinnen der Kontrollgruppe in einigen Bereichen erheblich höhere Zellschädigungen auf als die der Fastengruppe. Das ist umso bemerkenswerter, als bei der Fastengruppe während der Chemo-Infusion und offenbar auch danach auf die Gabe von Dexamethason verzichtet wurde, die ebenfalls dazu gedacht ist, Zellschäden zu minimieren. 

    Dexa bekomme ich während der Chemo als Infusion und nehme es danach fünf Tage lang in Tablettenform, erstens zur Verringerung der Zellschäden durch die Chemotherapie und zweitens, damit ich nicht tagelang kotzend über der Kloschüssel hänge, wie das ja früher bei Chemotherapien üblich war. Mir ist es bislang noch nie unterlaufen, daß ich diese Tablette zu nehmen vergessen habe, aber bei der letzten Blutabnahme habe ich mich, während ich wartete, mit einer Frau unterhalten, der das mal passiert ist. Ich war ziemlich beeindruckt von den Folgen, die sie geschildert hat. Das probiere ich am besten niemals selbst aus, dachte ich und denke es immer noch. Die Kombination von Dexa und Fasten - setzen wir mal voraus, daß Fasten tatsächlich eine Wirkung hat - sollte ja besser als eines von beidem alleine wirken, also würde ich sowohl nur mit Fasten als auch nur mit Dexa vermutlich stärkere Nebenwirkungen erleben, als ich sie tatsächlich erlebt habe. Ich kann nicht behaupten, daß ich darauf sonderlich scharf wäre. 

    Was die Autoren der Studie auf den Gedanken gebracht hat, Dexa und Fasten nicht als Kombination einzusetzen, kann ich mir nicht so recht erklären. An einer Stelle im Text bekam ich den Eindruck, ein Teilziel dieser Studie habe möglicherweise darin bestanden, herauszufinden, ob man sich Dexa ganz sparen können, indem man die Patienten fasten läßt. Das wäre eine Art Krankenkassenlogik. Aus Patientensicht ergibt das m. E. aber keinen Sinn. Wünschenswerter wäre es aus diesem Blickwinkel, die Nebenwirkungen so weit wie möglich zu reduzieren.

    Was mir indes noch viel mehr zu denken gab, ist, daß dieser - in der zu erwartenden Wirkung wirklich bedeutsame - Unterschied bei der Behandlung der beiden Gruppen von den Autoren der Stellungnahme, die doch gerade auf diese Studie ausführlicher eingegangen sind als auf die vier anderen, unterschlagen und durch die Behauptung ersetzt wurde, Fasten hätte "auch hier keinen Vorteil gegenüber einer Standardernährung" erbracht. Aus meiner Sicht wirft das ein paar kritische Fragen auf: Haben die Autoren der Stellungnahme, was ja im Grunde die einzige Erklärung für eine unbeabsichtigte Fehleinschätzung wäre, die Bedeutung dieses Behandlungsunterschieds wirklich nicht gekannt? In diesem Fall bin ich so frei, sie nicht für qualifiziert genug zu halten, um mir Empfehlungen bezüglich meiner Chemotherapie zu geben. Das, was ich über sie denken würde, falls sie es hingegen wissentlich unterschlagen haben sollten, darf sich jeder Leser - vor allem diejenigen, die mich schon länger kennen 😎 - selbst ausmalen.

    2) De Groot et al (2015): 

     

    Die Erythozyten und die Thrombozyten im Vergleich der Fasten- und der Kontrollgruppe an Tag Null, Tag 7, Tag 21 eines dreiwöchigen Zyklus. Der Rückgang bei beiden war in der Kontrollgruppe deutlich stärker. 

    Was bedeutet das konkret? 

    Einmal in der Woche muß ich mir Blut abnehmen lassen, und dann lasse ich mir immer die Laborergebnisse vom letzten Abzapftermin ausdrucken, um sie daheim in Ruhe mit den früheren Werten vergleichen zu können. Sie enthalten freilich eine Unmasse von Werten, deren Bedeutung ich zugegebenermaßen noch nicht bei jedem Einzelwert vollständig durchschaue. Aber drei von ihnen sind besonders wichtig: 

    • Leukozyten (weiße Blutkörperchen) --> je niedriger der Wert, desto höher das Infektionsrisiko. Normalbereich: 3,5-9,8
    • Erythrozyten (rote Blutkörperchen) --> zu niedriger Wert: Anämie. Normalbereich: 4,1-5,1
    • Thrombozyten (Blutplättchen) --> zu niedriger Wert: Gerinnungsstörungen des Blutes. Normalbereich: 140-440

    Da in der Studie die Ergebnisse bei den Leukos nicht wiedergegeben wurden, nehme ich an, bezüglich des Infektionsrisikos hatten die Fastenden wohl keinen Vorteil. Die abgebildeten Werte habe ich mit meinen eigenen Blutwerten verglichen, auch wenn bei mir natürlich die Tage nicht ganz übereinstimmen. Ich ergänze außerdem auch die Leukos - nur der Vollständigkeit halber.

    13.10.22: Zyklus 1, Tag 0 (Chemotherapie)

    18.10.22: Tag 5 Erste Blutabnahme. Erythozyten: 4,40; Thrombozyten: 164; Leukozyten: 6,23 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

    25.10.22: Tag 12 Zweite Blutabnahme (in der Studie keine Werte für einen vergleichbaren Punkt im Zyklus). Erythozyten: 4,08; Thrombozyten: 121  Leukozyten: 1,09 (keiner der Werte innerhalb des Normalbereichs, aber die roten Blutkörperchen liegen nur sehr knapp darunter.)

    02.11.22: Tag 20 Dritte Blutabnahme.  Erythozyten: 4,27; Thrombozyten: 226; Leukozyten: 4,21 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

    04.11.22 Zyklus 2, Tag 0 (Chemotherapie)

    08.11.22: Tag 4 Erste Blutabnahme.  Erythozyten: 4,36; Thrombozyten: 189; Leukozyten: 8,40 (alle Werte innerhalb des Normalbereichs)

    15.11.22: Tag 11 Zweite Blutabnahme (in der Studie keine Werte für einen vergleichbaren Punkt im Zyklus) .  Erythozyten: 4,08; Thrombozyten: 109; Leukozyten: 1,40 (keiner der Werte innerhalb des Normalbereichs).

    22.1.22 Tag 18 Dritte Blutabnahme. (Werte liegen mir noch nicht vor) 

    Das sieht tatsächlich alles sehr ähnlich aus wie bei der Fasten-Gruppe in der Studie (sie bekam Dexa übrigens an drei Tagen verabreicht, also sind unsere Werte im Groben vergleichbar), mit Ausnahme der Thrombozyten an Tag 21, die mir bei beiden Gruppen sehr hoch vorkommen: Wenn sie auch nicht den Rahmen des Normalbereich sprengen, sind sie doch ziemlich nahe dran. Keine Ahnung, warum das in der Studie so war, aber bei mir nicht so ist. 

    Wie auch immer, der Vorteil der Fasten-Gruppe bei der Toxizität ist auch für jeden Laien klar erkennbar.

    3) Dorff et al. (2016): 

    Hier gab es keine Kontrollgruppe, die nicht fastete, aber dafür kann man die Anzahl der beobachteten Nebenwirkungen sowie außerdem deren Intensität in unterschiedlich langen Fastenintervallen vergleichen, und interessanterweise nahmen sie bei längerer Fastendauer in den meisten Bereichen (subjektiv empfundende wie objektiv meßbare Nebenwirkungen) ab. 

    Es gab aber ein paar Ausnahmen. Für Durchfall etwa gilt das Gegenteil. Das ist auch kein Wunder, denn Durchfall scheint zu den typischen Reaktionen bei mehrtägigen Fastenintervallen (länger als zwei Tage) zu zählen, in den einschlägigen Communities werden oft Witze darüber gerissen. Lange Fastenintervalle führen bei mir auch ohne Chemotherapie dazu, daß - meistens aber erst an Tag 4 oder auch erst an Tag 5 nach der ersten Mahlzeit - meine Darmflora sich auf einmal sehr plötzlich von mir verabschiedet. Es ist ja auch sicherlich kein Zufall, daß beim üblicherweise siebentägigen Heilfasten am Beginn erst mal eine Darmreinigung steht; auf diese Weise erledigt man die "Drecksarbeit" bereits im Vorfeld. Das mit dem Durchfall passiert aber immer nur einmal, im höchsten Fall hat man zwei Sitzungen ziemlich kurz hintereinander auf dem stillen Örtchen, und danach funktioniert die Verdauung wieder völlig normal. Als Nebenwirkung ist es allenfalls ein bißchen lästig.

    "Alopecia" ist Haarausfall. Ein Jammer, daß Fasten auch in langen Intervallen einen davor offenbar nicht bewahren kann. So ein kleines bißchen hatte ich es trotz allem gehofft. Aber wie man sieht, die Patientinnen dieser Studie haben mit einer einzigen Ausnahme alle ebenfalls ihre Haare verloren, auch die mit den längsten Fastenintervallen, damit werde ich mich jetzt halt trösten müssen. 

    Die Werte zur Toxizität befinden sich in der Abbildung unter der Überschrift "Hematologic". Sie sprechen meiner Meinung nach für sich. 

    Das waren also die drei erwähnten Studien und die Frage, ob in ihnen tatsächlich nicht belegt werden könne, daß Fasten "die Toxizität und damit die therapiebedingten Nebenwirkungen
    reduzieren" könne. Bei Bauersfeld ging es nur um den Faktor Lebensqualität, die Toxizität war gar nicht Bestandteil der Studie. Was bei Riedinger im Volltext steht, weiß ich einstweilen noch nicht. Wenn ich aber nur diese drei Studien heranziehe, liegen immerhin meßbare Vorteile der Fastenden bezüglich der Toxizität von zusammengenommen mehr als 200 Chemo-Zyklen vor. Ich lasse mal dahingestellt, ob und inwiefern diese Studien als Beleg noch nicht ausreichend sind und was noch geschehen sollte, um die Wirkung des Fastens auf die Toxizität auf eine Weise zu belegen, daß sie über begründete Zweifel erhaben sein wird. Aber so, wie Prof. Hübner und ihre Mitautoren das in ihrer Stellungnahme formuliert haben, wird ein Eindruck erweckt, der an der tatsächlichen Faktenlage vorbeigeht. 

    Was mich daran besonders ärgert: Es ist damit zu rechnen, daß die einschlägigen Berufsgruppen, Onkologen und Ernährungsmediziner, sich auf diese Stellungnahme berufen und auf ihre Richtigkeit vertrauen werden. Ich hoffe inständig, mein neuer Onkologe hat sie noch nicht gelesen, andernfalls werden wir vermutlich auf der Stelle in Streit geraten.

    3. Lebensqualität im Vergleich zur leitliniengerechten Ernährung

    Die Lebensqualität während der Chemotherapie ist zwangsläufig immer im Vergleich zu der Lebensqualität vor der Behandlung beeinträchtigt. Aber gleichzeitig steht die Lebensqualität auch sowohl in einem direkten Zusammenhang mit der Toxizität aus Punkt 2 weiter oben wie auch mit den Punkten 2 und 3 bei den postulierten zusätzlichen Risiken durch das Fasten: Je höher die Toxizität, desto mehr Nebenwirkungen der Chemotherapie sind zu erwarten und desto stärker voraussichtlich die Beeinträchtigung der Lebensqualität.

    Auf die Frage der Toxizität bin ich bereits ausführlich eingegangen. Auf die subjektiv empfundenen und erlebten Nebenwirkungen komme ich im nächsten Teil zurück, wenn es um die Risiken geht.

    Zusätzliche Risiken durch Fasten. Wirklich?

    Ein typisches Merkmal von wissenschaftlichen Texten sind die Fußnoten, manchmal in so großer Zahl, daß man den Verdacht haben könnte, die Autoren glaubten, je mehr Fußnoten, desto wissenschaftlicher der Text. Ich bin trotzdem Fußnoten-Fan, spätestens, seit ich Terry Pratchett gelesen und seine Fußnoten lieben gelernt habe. Ich gehöre zu der Minderheit unter den Nichtwissenschaftlern, die solche Fußnoten bei Interesse an der zugehörigen Detailfrage tatsächlich anschauen und sich ggf. in der zitierten Quelle vergewissern, ob in ihr wirklich das steht, was behauptet wird. Manchmal kann man dabei nämlich auch Überraschungen erleben.

    Die Überraschung bei einer der Quellen, die in der Stellungnahme zitiert wurden, bestand darin, daß sie unvollständig zitiert und damit der Sinn der Gesamtaussage fast schon auf den Kopf gestellt wurde. Dieses Zitat hat mich außerdem davon überzeugt, daß in Wirklichkeit bei der Auswertung der Studien für diese Stellungnahme wahrscheinlich gar keine ergebnisoffene Analyse stattfand, sondern das negative Urteil von Frau Professorin Hübner und ihren Mitautoren zum Fasten als supportive Maßnahme bei einer Chemotherapie schon im Vorfeld der Auswertung feststand. 

    Leider konnte ich von dieser Quelle nur den Abstract lesen, weil der Volltext sich hinter einer Bezahlschranke befindet. Aber das macht nichts. Vielleicht haben auch die Autoren der Stellungnahme nicht mehr als das gelesen, denn das Zitat stammt aus dem Abstract. Vollständig lautet es: "Fasting of at least 24 h, appears to be safe and showed some beneficial effects on chemotherapy toxicity, that could be further investigated, however studies presented heterogeneous samples and protocols."  Das Interessante daran ist, daß nur der unterstrichene letzte Teil in der Stellungnahme aufgegriffen wurde - er bestätigt die Einschätzung der Autoren -, aber die nicht unterstrichenen ersten zwei Drittel nicht, die sowohl das Risiko als auch die Toxizität betreffend nicht so urteilten wie die Autoren der Stellungnahme, sondern vielmehr zum selben Urteil wie ich gekommen sind.

    Ganz langsam zum Mitmeißeln: So. Etwas. Passiert. Nicht. Aus. Versehen. 

    Als Nichtwissenschaftler weiß ich nicht, ob so etwas in einschlägigen Kreisen für akzeptabel gehalten wird oder vielleicht doch nicht, aber meiner unmaßgeblichen Meinung nach verfälscht es die zitierte Aussage. Daneben ist es schon mehr als eigenartig, daß der Eifer der Autoren, ihre Urteilsbildung zu begründen, ausgerechnet in dem Moment erlahmt zu sein scheint, in dem man eine so gute Gelegenheit gehabt hätte, einen Irrtum anderer richtigzustellen ... jedenfalls, sofern man wüßte, wie. Aus irgendwelchen Gründen waren die Autoren der Stellungnahme dem Augenschein nach aber nicht interessiert daran, ihre Gegenargumente gegen die Annahme der Autoren jener Quelle vorzubringen, die im Widerspruch zu ihrer eigenen Ansicht stand.

    Hier die Einschätzung in der Stellungnahme, welche zusätzlichen Risiken durch das Fasten während der Chemotherapie entstehen:
    • Gefahr einer Mangelernährung in Bezug auf Makro- und Mikronährstoffe
    • negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und 
    • vermehrtes Auftreten von Nebenwirkungen, die potenziell die Behandlung der PatientInnen beeinträchtigen können.

    Glücklicherweise muß ich dazu nicht so ausführlich werden wie bei den angeblich ausgebliebenen Vorteilen des Fastens. Kürzestfassung: In den Studien spiegeln sich die hier aufgezählten Risken jedenfalls nicht wider. 

    Mangelernährung sowieso nicht. Die Auswahlkriterien für die Teilnahme an allen Studien schlossen Patienten mit einem hohen Risiko auf Mangelernährung, etwa Untergewicht, von vorherein aus und als Folge davon kamen Mangelerscheinungen, wie in den Studien auch jeweils erwähnt, ganz einfach nicht vor. Warum das nach Meinung der Autoren in der onkologischen Praxis nicht einfach ebenso gemacht werden können sollte und dann natürlich auch dasselbe Ergebnis zu erwarten wäre, dafür habe ich in der Stellungnahme vergeblich nach einer Erklärung gesucht. 

    Für das Risiko einer Mangelernährung durch Fasten gilt genau dasselbe wie für den Vorteil beim Therapieansprechen durch Fasten: Sie stützen sich auf theoretische Grundannahmen, die in der praktischen Anwendung allerdings nicht belegbar waren.

    Die Punkte 2 und 3 sind erneut als ein einziger Punkt zu verstehen, der lediglich aus zwei verschiedenen Blickrichtungen betrachtet wird: Je mehr Nebenwirkungen die Chemotherapie hat, desto schlechtere Lebensqualität ist zu erwarten - und umgekehrt. Aber konnten die Autoren tatsächlich belegen, daß in den Studien mehr Nebenwirkungen und eine schlechtere Lebensqualität entstanden?

    Kürzestfassung: Sie konnten es nicht. Aber das hat sie nicht daran gehindert, dies wenigstens zu suggerieren.

    Die Autoren arbeiten nämlich mit einer merkwürdigen Milchmädchenrechnung, die nirgends explizit so formuliert ist, aber unausgesprochen dennoch der Argumentation zugrundegelegt wurde: Es wird suggeriert, daß sich die Menge der Nebenwirkungen zwangsläufig erhöht, wenn zu den Nebenwirkungen der Chemotherapie auch noch die Nebenwirkungen des Fastens hinzukommen. Nachdem man ja schon "bewiesen" hatte, daß die Menge der Nebenwirkungen der Chemo durch das Fasten nicht verringert wird, hat man damit quasi automatisch auch bewiesen, daß das Fasten die Lebensqualität der Patienten zwangsläufig verschlechtern muß. 

    Nur ist der Beweis in Wirklichkeit gar keiner. Klammern wir dabei an dieser Stelle die Frage der Toxizität einmal aus und beschränken uns auf die "subjektiven" Erfahrungen der Nebenwirkungen während einer Chemotherapie.

    Es geht dabei ja nie alleine um die Zahl der abgefragten einzelnen Ereignisse, die zu manchen Studien ganz akribisch in der Stellungnahme aufgelistet werden, sondern auch um deren Intensität. Mit gutem Grund werden Nebenwirkungen in vier Grade unterteilt, Grad 1 die harmlosesten und Grad 4 sehr schwerwiegende. Nur kamen beim Fasten keine Nebenwirkungen vor, die Grad 1 übersteigen, und bei den Nebenwirkungen der Chemotherapie in den Studien ergab sich typischerweise für das Fasten eine Verbesserung im Vergleich etwa zu einer Kontrollgruppe bzw. bei längeren Fastenintervallen im Vergleich zu kürzeren Fastenintervallen.

    Hinzu kommt außerdem, daß - mit der Ausnahme der Nebenwirkung "Hunger" - so gut wie keine der angeblichen Nebenwirkungen des Fastens zweifelsfrei dem Fasten tatsächlich zuzuordnen ist. Denn Schwindel, Kopfschmerzen und Müdigkeit zählen ja auch zu den klassischen Chemo-Nebenwirkungen. Woher in drei Teufels Namen sollen denn ausgerechnet die befragten Patienten ihre Nebenwirkungen korrekt einem dieser beiden möglichen Auslöser zuordnen können?  

    Sofern in einer Studie also zwei Nebenwirkungslisten enthalten sind, eine für die Chemo und eine für das Fasten, ist es durchaus möglich, daß ein und dieselbe Nebenwirkung zweimal enthalten ist. Überprüfen konnte ich das allerdings nicht. Aber das macht nichts, denn letzten Endes hat es viel weniger Bedeutung als die Frage, an wievielen Tagen Nebenwirkungen welcher Intensität aufgetreten sind. Und auf diese Frage findet man sowieso keine Antwort. Meiner Meinung nach wurde das in allen Studien nicht befriedigend gelöst. Ist die Angabe "Kopfschmerzen" für einen Patienten nun so gemeint, daß er an einem Tag Kopfschmerzen hatte, haben sie mehrere Tage oder sogar während des gesamten Zyklus angehalten? Gerade die Dauer der Symptome wäre für einen Vergleich mit der Kontrollgruppe schon wichtig gewesen. Wenn beide Gruppen gleich häufig das Auftreten von Kopfschmerzen angegeben haben sollten, würde es ja trotzdem einen gewaltigen Unterschied machen, falls die Fastengruppe diese Kopfschmerzen überwiegend an einem oder zwei Tagen hatten und die Kontrollgruppe an vier oder fünf Tagen.

    Unangenehm fiel mir auch auf, daß in der Stellungnahme ausgerechnet zu einer Studie (Dorff et al.), in der es nicht einen einzigen Fall einer Nebenwirkung von Grad 3 oder schlimmer gegeben hatte, in geradezu anklagender Weise die von den Patienten aufgezählten vergleichsweise unbedeutenden Nebenwirkungen aufgelistet wurden, die von ihnen dem Fasten zugeschrieben wurden:

    Neben der eingeschränkten Aussagekraft ... berichteten die PatientInnen als Nebenwirkungen des Fastens von Fatigue (77 %), Kopfschmerzen (46 %), Benommenheit (46 %) und Hypoglykämien (23 %).

    Ich frage mich gerade ernsthaft, in welcher Form in dieser Stellungnahme wohl mein letzter Blogartikel verarbeitet worden wäre. Würde ich, wenn ich die Version der Frau Professorin und ihres Teams zu lesen bekäme, mir womöglich gleich einen Sarg bestellen wollen? Immerhin habe ich sage und schreibe sechs verschiedene von mir beobachtete Arten von Chemo-Nebenwirkungen aufgezählt. Daß sie allesamt als Nebenwirkung Grad 1 einzustufen waren, also nicht den geringsten gegensteuernden ärztlichen Eingriff benötigten, um von alleine wieder zu vergehen, hätte man bestimmt ebenso unter den Tisch fallen lassen wie die Tatsache, daß ich mich im Alltag dadurch nur an wenigen Tagen und dann auch nur geringfügig beeinträchtigt fühlte. 

    Nebenwirkungen des "Nichtfastens"

    Was in der Stellungnahme nirgends erwähnt wurde und auch in den Studien keine ausreichende Betonung gefunden hat: Es gibt auch Nebenwirkungen positiver Art, die in einigen der Studien explizit auf das Fasten zurückgeführt werden - also Wirkungen, die nicht aktiv angestrebt wurden, aber trotzdem sehr wohl als wünschenswert gelten müßten. In diesem Fall war die nicht fastende Kontrollgruppe gegenüber den Fastenden ebenso wie bei der Toxizität im Nachteil.

    Dazu zählt zum Beispiel das Körpergewicht. In zwei Studien wurde nämlich beschrieben, daß die Patientinnen der Fastengruppe ihr Vor-Chemo-Körpergewicht halten konnten bzw. es sechs Monate danach nach einer vorübergehenden und nur leichten Abnahme wieder erreicht hatten, während mindestens in einer Studie die Kontrollgruppe deutlich an Gewicht zulegte und dieses Zusatzgewicht auch sechs Monate später nicht wieder losgeworden war. 

    Die mittel- und langfristigen gesundheitlichen Zusatzrisiken, die einer Gewichtszunahme zugeschrieben werden, fanden die Autoren der Stellungnahme merkwürdigerweise ganz uninteressant, ebenso wie die Frage, ob und in welcher Weise eine Gewichtszunahme auch kurzfristig die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich zu allen weiteren Belastungen noch mehr beeinträchtigt. Das nimmt auch deshalb wunder, weil es für das Vorkommen und somit auch für die zugehörigen Risiken einer Gewichtszunahme für die nichtfastende Kontrollgruppe - im Gegensatz zum bloßen Popanz der Mangelernährung - in einer Studie handfeste Nachweise gab ... wozu außerdem angemerkt werden sollte, daß diese Nebenwirkung von Chemotherapien besonders bei Brustkrebserkrankungen in Fachkreisen allgemein bekannt ist und deshalb wenig Grund besteht, sie zu bezweifeln.

    Sollte das Desinteresse der Autoren der Stellungnahme an dieser "Nebenwirkung des Nichtfastens" womöglich nur daran liegen, daß diese höheren Risiken bezüglich ihrer Gesundheit wie auch ihrer Lebensqualität der "falschen" Gruppe zuzuordnen sind?

    Eine weitere positive Nebenwirkung des Fastens, wenn sie auch in den Studien keine Rolle spielt, sehe ich in all jenen Fällen, in denen - so wie bei mir - der Patient selbst die Initiative ergreift, weil er Grund zur Annahme zu haben glaubt, daß Fasten die Wirkung der Chemotherapie begünstigt und/oder deren kurz- bis langfristige Nebenwirkungen verringern kann. Selbstwirksamkeit - schon mal gehört, Frau Professorin? Sie gilt als ungefähr so gesundheitsfördernd, wie Übergewicht das Gegenteil zugeschrieben wird.

    Was ich aus meinen bisherigen Erfahrungen aus meiner Krebserkrankung aber gelernt habe: Die ganze onkologische Behandlung zielt im Gegenteil darauf ab, Patienten zu passiven Behandlungsobjekten zu machen, die sich so durch eine vorgegebene Maschinerie durchschleusen lassen, wie es den Behandlern am besten in den Kram paßt - siehe etwa auch den Ultraschall-Termin, der ohne Rücksprache mit mir vereinbart wurde, anscheinend in der Annahme, eine Terminabstimmung mit mir sei überflüssig, weil ich sowieso nichts anderes zu tun hätte, als auf ärztlichen Zuruf hin alles fallen zu lassen, was ich gerade in der Hand habe, und wie von ihm befohlen zu einem Behandlungstermin zu dackeln. Ich habe mich in meinem ganzen bisherigen Leben nur von einer einzigen anderen Art von Institution noch extremer wie eine Nummer als von der Krebsbehandlungs-Maschinerie behandelt gefühlt, und das waren meine Telefonanbieter. Merkwürdigerweise unterscheidet sich diese praktische Erfahrung sehr deutlich von dem, was in all diesen Broschüren so steht, die mir vor Beginn der Chemo ausgehändigt wurden. 

    Ein bißchen zwiegespalten bin ich bei Angeboten wie einer psychoonkologischen Betreuung, Reha-Maßnahmen und Selbsthilfegruppen oder organisierte Veranstaltungen, die sich an Betroffene richten, denn nur weil ich selbst überhaupt keine Lust habe, irgendeine von ihnen wahrzunehmen, falls es nicht aus irgendwelchen Gründen unbedingt erforderlich werden sollte, heißt das ja noch lange nicht, daß sie nicht anderen trotzdem hilfreich sind. Dennoch wird mit ihnen aber das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden, um seine Krankheit besser bekämpfen und bewältigen zu können, erkennbar auf eine Weise kanalisiert, bei der eher die Eigeninitative des einzelnen nach den Bedürfnissen des Apparats eingedämmt wird, als die persönliche Erfahrung des Kranken bestmöglich zu dessen Vorteil zu nutzen. Für mich sind solche Angebote eher unattraktiv, weil sie nicht zu meiner Herangehensweise passen. Daß man mich mit dieser Herangehensweise ständig gegen die Wand laufen läßt, ändert daran nichts und ist außerdem ziemliches Pech für die Wand.

    Lese ich nun aber noch die abschließend empfohlene Behandlung für "renitente Trotzdem-Faster" durch ihre Onkologen, geht mir endgültig das Messer in der Tasche auf: 
    • Sollten sich die PatientInnen trotz entsprechender Aufklärung für ein Fasten während ihrer Chemotherapie entscheiden, sollten diese engmaschig von einem/r DiätassistentIn oder einem/r entsprechend qualifizierten ÖkotrophologIn/ErnährungswissenschaftlerIn betreut werden.
    • PatientInnen mit einer (drohenden) Mangelernährung sollten einer engmaschigen Ernährungstherapie nach einem standardisierten Ablauf zugeführt werden. Diese beinhaltet ein Ernährungsscreening und -assessment, eine Diagnose der Ernährungsprobleme, das Setzen von Ernährungszielen, eine Interventionsplanung und -durchführung sowie das Monitoring und
      die Evaluation. Die Ernährungstherapie sollte von qualifizierten
      Ernährungsfachkräften in einem multidisziplinären Team geführt werden.

    Noch habe ich meinen neuen Onkologen nicht kennengelernt, aber ich fürchte, unsere Arzt-Patienten-Beziehung wird ernsthaften Schaden nehmen, falls er Diätassistenten oder Ernährungswissenschaftler auch nur erwähnen sollte. Gerade im Zusammenhang mit meiner Krebserkrankung - so viel steht fest - werde ich Diätassistenten und Ernährungsmediziner nicht einmal im selben Raum dulden, in dem ich mich gerade aufhalte. Und dafür, daß ich mich - und womöglich gar "engmaschig" - von ihnen betreuen lasse, müßte man mich vorher schon erst mal totschlagen. 💀

    Eine der überraschendsten Einsichten, die ich aus den letzten zwei Monaten mitgenommen habe, ist, daß ich mir vorkomme, als wäre ich im Dschungel ausgesetzt worden, aus dem ich mich nun herauskämpfen muß. Irgendwo lauern vielleicht hungrige Raubtiere auf mich, und vor denen müßte ich mich wohl fürchten und sollte ich mich außerdem dringend in acht nehmen. Aber was mich in Wirklichkeit am meisten beschäftigt und mich außerdem daran hindert, so schnell, wie ich es gerne hätte, an einen sicheren Ort zu gelangen, sind die Schlingpflanzen, die Stechmücken und die Blutegel. Die Stellungnahme "Fasten während der Chemotherapie" zähle ich zu den Schlingpflanzen. Sie wird mich nicht daran hindern, weiter nach dem von mir für das sinnvollste gehaltenen Schema zu fasten, aber wenn ich Pech habe, macht sie meine Therapie beschwerlicher als nötig.