Samstag, 29. August 2020

Wir schaffen das! Oder: Ich schaffe das. Und Frau Merkel schafft das auch.

Mein Gewicht heute morgen: 98,9 Kilogramm nach 97,4 gestern nach dem zweiten Fastentag der Woche. Übermorgen, also am Montag, dem 31.8., werde ich dann hoffentlich zum letzten Mal die 100-Kilo-Grenze überschreiten, denn am Montag geht es wieder los mit einem viertägigen Fastenintervall. 

Ich muß sagen, ich bin positiv überrascht über die Wirkung meiner vierwöchigen reduzierten Fastenwochen (jeweils zwei Fastentage die Woche) gewesen. In der Grafik sehen die letzten knapp sechs Wochen (zu Woche 6 fehlen heute noch zwei Tage) so aus:

 

Auf den ersten Blick sieht das nicht so toll aus, nicht wahr? Man muß die Rahmenbedingungen ausreichend kennen, um die Zahlen im Kontext beurteilen zu können. Das ist übrigens auch ein Faktor, an dem es oft bei den Urteilen über die Ergebnisse irgendwelcher Studien klemmt, vor allem dann, wenn der Effekt bei einer niedrigen Teilnehmerzahl (weniger als dreistellig) auch noch relativ gering ist - es können so viele "Störfaktoren" eine Rolle spielen, daß ich die Interpretation vieler Studienergebnisse von vornherein gewagt bis unseriös finde. 

Die Faktoren in meinem Fall waren Schwankungen beim Wasser, teils fasten-, teils hitzebedingt.

Der steile Gewichtsrückgang in Woche 1 war das letzte viertägige Fastenintervall. Im Anschluß daran ging mein Gewicht dann wie üblich ebenso steil wieder nach oben. Das ist normal, da ja der größte Teil des Gewichtsverlusts bei mehrtägigen Fastenintervallen aus Wasser besteht, das sich dann rasch wieder regeneriert.

Was dieser Kurve nicht zu entnehmen ist: In den sechs dieser Grafik vorausgegangenen Wochen hatte ich nie weniger als drei Tage pro Woche gefastet, deshalb bin ich, was Wasser betrifft, in dieser ganzen Zeit nie auf ein halbwegs normales Level gekommen, sondern war auch vor Beginn eines Fastenintervalls immer mehr oder weniger stark dehydriert. Das setzt sich im Verlauf der Grafik in gewissem Umfang noch bis zur zweiten Woche fort, in der ich ebenfalls drei Tage gefastet hatte. Erst danach reduzierte ich auf zwei Fastentage in der Woche, und zwar legte ich zwischen diese beiden Fastentage dann jeweils zwei Eßtage. Damit war mein Wasserlevel in den letzten vier Wochen im Durchschnitt näher am normalen Pegel als seit langem. Das hat natürlich auch dazu geführt, daß mein Gewicht ein wenig höher war. 

In Woche 3 und 4 sah es so aus, als ginge mein Gewicht mit zwei Fastentagen die Woche tatsächlich wieder nach oben. Aber dann drehte es wieder. Der Gewichtshöhepunkt lag zu Beginn von Woche 4, bei großer Hitze und mit deutlich angeschwollenen Knöcheln. In Woche 4 und 5 war die Wirkung der Fastentage erkennbar größer als in den Wochen davor, während die Wiederzunahmen an Eßtagen geringer wurden. Ich nehme an, das hat damit zu tun, daß mein Körper jetzt an den Eßtagen nicht mehr so dringend möglichst viel Wasser speichern will.

Letztlich bin ich jetzt wieder an dem Punkt, an dem ich nach Woche 2 gewesen bin. Das ist gut, denn in Woche 1 und 2 hatte ich zusammengenommen 7 Fastentage, und in den drei Wochen 3 bis 5 zusammen nur 6. Die Richtung stimmt also weiterhin, und die Wirkung der zwei Fastentage scheint eher ein bißchen stärker gewesen zu sein als zuvor die der drei Fastentage die Woche. 

Hier mal der Zeitraum ab meinem ersten langen (fünftägigen) Fastenintervall in einer grafischen Darstellung. Zwischen den beiden langen Fastenintervallen - zu erkennen an den großen Gewichtsausschlägen nach unten - hatte ich drei Wochen mit dreitägigen Fastenintervallen.

In diesen drei Wochen ging mein Gewicht langsamer nach oben, aber eben doch nach oben. Meine Wasserpumpe scheint auf Hochbetrieb gelaufen zu sein. Trotzdem ist deutlich erkennbar, daß ich zu Beginn von Woche vier, als ich dann mein viertägiges Fastenintervall begann, noch ein gutes Stück vom Anfangsstand entfernt war, und daß ich zu Beginn der jetzigen Woche ungefähr mit demselben Gewicht gestartet bin (geringfügig höher), und das, obwohl ich etliche Eßtage mehr gehabt hatte.

Ich kann jetzt also davon ausgehen, daß mein "normales" Gewicht (bei normalem "Wasserstand", also nach zwei bis drei Eßtagen und bei normaler Außentemperatur) momentan bei knapp über 100 Kilogramm liegt. Das liegt, siehe die Grafik weiter unten, doch ein gutes Stück niedriger als mein jeweiliges Vorher-Gewicht Mitte Juni, obwohl das ja mit einem nicht ausgeglichenen Wasserhaushalt war, also, falls ich am Wochenende drei Tage am Stück gegessen hätte, noch höher gelegen wäre. 

Die beiden langen Fastenintervalle im Juni und im Juli haben mir überschlägig jeweils ca. ein Kilogramm Abnahme gebracht, und eine so deutliche - und wie sich in den letzten vier Wochen zeigte: dauerhafte - Wirkung hatte keines meiner anderen Modelle, die ich in den letzten Monaten ausprobiert hatte. 

Ich wüßte wirklich gerne, was der Grund dafür war, zumal ich ja trotzdem körperliche Veränderungen wahrgenommen hatte. Im Moment spüre ich auch die körperlichen Veränderungen nach einem Fastentag aber wieder erheblich stärker, letzte Woche war das vor allem um den Bauch herum. Das hat die eigenartige Nebenwirkung, daß ich seit letzter Woche auf meinem Bürostuhl nicht mehr richtig bequem sitze. Die Armlehnen sind mir neuerdings einen Tick zu weit weg, um die Arme darauf so wie bisher zu plazieren! Ich muß mir also eine etwas veränderte Haltung angewöhnen, damit das mit dem bequem Hinsetzen wieder intuitiv funktioniert.

Ich nehme an, in den letzten ca. acht Monaten, in denen ich ja viel mit mehrtägigen Fastenintervallen experimentiert hatte, habe ich wohl doch ein bißchen zuviel des Guten getan. Darauf werde ich künftig also mehr als bislang achten, daß ich nicht zu viele Fastentage einbaue. Der Normalfall in vier Wochen bleibt deshalb künftig bei 10 Fastentagen (im Rhythmus 2 - 2 - 2 - 4) zu 18 Eßtagen,  in Ausnahmefällen 12 Fastentagen (im Rhythmus 2 - 4 - 2 - 4) zu 16 Eßtagen. Eine dieser Ausnahmen plane ich jetzt im September und eine weitere im November, eventuell dann wieder eine im Januar (aber das hängt davon ab, wie sich mein Gewicht im Weihnachtsurlaub entwickelt).

Das sind natürlich schon wieder ziemlich viele Ausnahmen, aber die sind der Jahreszeit geschuldet.

Der Monat November ist ohnehin der Monat, den ich aus dem Kalender streichen würde, wenn ich das könnte, aber was ihn mir in den letzten drei Jahren immer zusätzlich vermiest hat, war, daß ich zwischen Mitte und Ende Oktober immer und unweigerlich (ich habe wirklich jedes Jahr etwas anderes ausprobiert, um das zu verhindern) ein bis zwei Kilo zugenommen habe. Das könnte mich dieses Jahr, wenn ich Pech habe, sogar dann, falls ich im September endlich die 100 wirklich nicht wieder sehen sollte, doch noch einmal zum ÜHU machen. Ich will es nicht hoffen, und sollte ich im September/Oktober tatsächlich bei drei viertägigen Fastenintervallen drei Kilo abnehmen, bin ich vielleicht auch sicher davor. Aber trotzdem plane ich schon jetzt das zugehörige Gegensteuern.

Zum Vergleichen habe ich auch mal meinen Gewichtsverlauf der letzten zwölf Monate in eine Grafik gegossen:

Alles in allem ein Verlauf, mit dem ich leben kann, auch wenn der Ausreißer nach oben an Ostern mich ein bißchen wurmt und meine Experimente mit zwei- und dreitägigen Fastenintervallen zwischen Anfang Dezember und Mitte Juni weniger als erwartet gebracht haben. Erst seit Juli ging es wieder erkennbar nach unten, und ich hoffe doch sehr, daß ich jetzt das richtige Schema ausgetüftelt habe, damit sich das auch weiter fortsetzen wird. 

Mein Ziel bleibt die 73,5. Und: Ich schaffe das. Das ist kein billiger Motivationsspruch, sondern ich sehe an der Entwicklung, daß ich es schaffen werde. Nicht so schnell, wie ich vor einem Jahr noch gehofft habe, aber schaffen werde ich es. Ohne Sport. Mit intuitivem Essen. Ohne Verzicht auf irgendetwas.

Das führt mich zur Überschrift meines Blogbeitrags, ein Zitat, das wohl jeder spontan unserer Bundeskanzlerin zuordnen kann. Ich fand - und finde - diesen Satz im damaligen Zusammenhang des Höhepunkts der Flüchtlingskrise geradezu genial. In diesem Land wird mir nämlich viel zu viel mit Druck, Drohungen, moralischen Zeigefingern und apokalyptischen Prophezeiungen gearbeitet, um die Leute dazu zu bringen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Mir gefiel an diesem "Wir schaffen das!", daß es eine positive Botschaft war, die Mut machte und den Wunsch nach eigener Aktivität auslöste. 

Nicht bei jedem natürlich! Alle diejenigen, die sich schon vorher (durch welche Umstände auch immer) so belastet und unter Druck fühlten, daß sie kein Gramm zusätzlich mehr tragen zu können glaubten, ohne darunter zusammenzubrechen, fühlten sich durch diesen Satz natürlich eher verhöhnt, und auch das kann ich im Prinzip verstehen. Entscheidend ist aber: Damals, als der Satz ausgesprochen wurde, hat er genügend Menschen aktiviert, um in einer Situation, die viel zu chaotisch war, als daß unser berühmter Amtsschimmel mit ihr alleine fertig geworden wäre, unheimlich viel positive Energie freizusetzen, die dabei geholfen hat, eine Situation zu bewältigen, die jede Menge SOFORT helfende Hände benötigte, auch wenn ein anderer Teil der Bevölkerung ihn eher als überwältigend und Panik auslösend empfand. Aber diese Leute hätten ja keineswegs weniger Panik empfunden, wenn Frau Merkel gesagt hätte "Wir schaffen das nicht". 

Mit solchen ermutigenden Botschaften sollte meiner Meinung nach viel mehr gearbeitet werden. Die apokalyptischen Drohungen wirken zwar in der Regel auch, aber immer nur vorübergehend, denn niemand ist imstande, seinen Angstpegel dauerhaft auf "Panik" zu halten, und seine Panik womöglich noch auf unterschiedliche Themen auszubreiten, wie das die Panikbotschafter ja gerne haben wollen. Außerdem wirkt Angst lähmend. Sie verringert die Handlungsfähigkeit und -willigkeit. Wenn die Welt ohnehin nahezu sicher untergehen wird, wozu sich dann überhaupt noch abstrampeln? Je mehr Entmutigungen ein Mensch bereits bewältigen mußte, desto schlechter ist die Wirkung dieser Strategie. Es ist sicherlich kein Zufall - aber ebensowenig ein Zeichen besonderer politischer Unreife -, daß die Flüchtlingskrise gerade im Osten für so unbewältigbar gehalten wurde, denn dort schleppen eine Menge Leute - vor allem die in meinem Alter und noch älter - besonders große und schwere Päckchen mit Entmutigungserfahrungen mit sich, beginnend spätestens mit der Wende, oft auch schon vorher, und mit Reflexen und Gewohnheiten, die sich teils seit DDR-Zeiten erhalten haben. Mein Mann stammt aus dem Osten, ich kenne das von ihm. Es ist immer noch wahrnehmbar, daß er die Zeitungslektüre mit der "Neues Deutschland" angefangen hat, aus der man nichts erfuhr, was sich zu wissen lohnte, wenn man nicht ständig zwischen den Zeilen las. Er macht das reflexartig, und dabei kommen öfter mal Schlußfolgerungen heraus, die eher auf das DDR-Politbüro selig als auf die heutige Bundesregierung passend wären - die damit gleichzeitig über- und unterschätzt wird. Und das sage ich, ohne ein ausgesprocher Fan dieser Bundesregierung zu sein.

Was mir zur Wirkung von Panikbotschaften außerdem noch einfällt, ist "Fridays for Future". Da wurde die Panik abgelöst durch das Gefühl, gemeinsam eine Katastrophe abwenden zu können. Die Galionsfigur der Bewegung Greta Thunberg hatte das Glück (oder vielleicht war es auch Pech, aber das wird sie wohl erst in der Rückschau beurteilen können), die Aufmerksamkeit der Medien erst in Schweden, dann international zu bekommen und so nicht nur selbst zu erfahren, daß es sich lohnte, aktiv zu werden, sondern dieses Gefühl auch einer ganzen Generation Jugendlicher zu vermitteln. Ich kann nicht abstreiten, daß mir das Ausmaß, das diese Bewegung zeitweise angenommen hatte, imponiert hat, allerdings sah ich die vertretenen Positionen mit eher gemischten Gefühlen. Meiner Meinung nach hatte Greta Thunberg völlig recht damit, daß ein erheblicher Widerspruch zwischen den wissenschaftlichen Forderungen und der politischen Umsetzung besteht. Worin sie meiner Meinung nach nicht recht hat - und früher oder später wird ihr das ebenfalls klarwerden -, ist, daß die Wissenschaft vertrauenswürdiger als die Politik sei und deshalb alles, was die Wissenschaft für notwendig hält, eins zu eins umgesetzt werden müsse. 

Damit tut man der Wissenschaft, inbesondere ihren Kommunikationsabteilungen, meiner Meinung nach doch deutlich zu viel Ehre an. Die kommunizieren nämlich keine wissenschaftlichen Ergebnisse, die unverrückbar feststehen, sondern betreiben auch nur PR, das heißt, sie arbeiten mit verkürzten Aussagen und übertriebenen Forderungen, in denen sie ungefähr das Dreifache von dem fordern, was sie wirklich haben wollen, damit sie wenigstens auf die Hälfte des insgeheim Gewünschten kommen werden, und zwar deshalb, weil sie mit dieser Hälfte eines Drittels im Grunde auch noch glauben, gut leben zu können. 

Diese Spielchen mochte ich noch nie, aber ich habe sie als eine der Realitäten akzeptiert, die ich im Bedarfsfall mit in Betracht ziehen muß. Ich erinnere mich noch daran, wie vor den Kopf gestoßen ich in meiner Ausbildungszeit immer vom Ausgang der Tarifverhandlungen war, und zwar davon, daß das Ergebnis, mit dem die Gewerkschaft sich am Ende zufrieden zeigte, immer so deutlich weniger war als das, was sie während der Verhandlungen als absolut unverzichtbar dagegestellt hatte. Ich war anfangs noch naiv genug, um ihr diese Unverzichtbarkeit wirklich zu glauben, also es deshalb auch für wirklich unverzichtbar zu halten, und daß das am Ende auf einmal nicht mehr wahr sein sollte, führte dazu, daß ich der Gewerkschaft ihr Verhandlungsergebnis, aber ganz besonders die Art, wie es uns dann als Erfolg "verkauft" wurde, ziemlich übelnahm. Ich könnte mir vorstellen, daß sich Greta Thunberg in dieser Reaktion wiederkennen würde.

Aber dieses PR-Spielchen ist ein Spiel mit Regeln, die man lernen kann. Die Klimawissenschaft spielt es in ihren Forderungen an die Politik ebenfalls - hat man das Spiel auf einem Gebiet durchschaut, erkennt man es auch in anderen Bereichen problemlos wieder. Deswegen geht mir die mediale Lust an der Apokalypse in Bezug auf Klimafragen auch ziemlich auf den Geist. Mit einer Apokalypse rechne ich nicht. Sie ist auch in früheren Fällen übrigens nicht eingetreten.

Der Elan der Fridays-for-Future-Bewegung ist inzwischen ziemlich erlahmt, und auf lokaler Ebene konnte ich darüber in meiner Heimatzeitung herauslesen, daß das viel mit enttäuschten Erwartungen zu tun hatte. Die wöchentlichen Demonstrationen wurden bei uns eingestellt, weil immer weniger Aktivisten nach ca. einem Jahr noch die Motivation dafür aufbrachten, da sich - aus ihrer Sicht - immer noch nichts verändert hatte. Man darf gespannt sein, ob sich das - wenn die Corona-Pandemie beendet ist - noch einmal wiederbeleben läßt. Ich persönlich glaube ja nicht daran. Die politisch Aktiveren streben nun, auch das kam in der Zeitung, "normale" politische Karrieren an, in der Regel bei den Grünen. Die anderen werden sich größtenteils wieder ihren Alltagserfordernissen zuwenden, und was sie dabei gelernt haben, ist, daß niemand ihnen ihr Engagement positiv anrechnet, wenn sie dabei in der Zwischenzeit etwas Gravierenderes versäumt hatten. Nun gut, diese Sorte Enttäuschungen gehört, glaube ich, zum Erwachsenwerden - auch wenn sie immer auch bewirken, daß eine Handvoll nie wieder in den vorigen Alltag zurückfindet und dazu ebensowenig eine brauchbare Alternative zu finden.

Es ist ein Jammer, daß Merkels berühmter Satz "Wir schaffen das!" kein Bestandteil einer durchdachten Kommunikationsstrategie gewesen zu sein scheint, die darauf abzielte, Selbstwirksamkeitserwartungen zu stärken und damit nicht nur das Selbstvertrauen, sondern auch auch die Bereitschaft, aktiv zu werden, sondern eher bloß ein Versehen. Genau deshalb ist er wohl auch so sehr zum Bumerang geworden. Man hätte aus der Spontanwirkung dieses Satzes etwas lernen können, aber anscheinend hat man bloß aus der zeitverzögerten Negativwirkung etwas gelernt.

Vor einiger Zeit habe ich ja einen Blogartikel über Nadja Hermann geschrieben; deren Buch "Fettlogik überwinden" ist im Grunde auch ein einziges langes "Du schaffst das!", und genau das hat das Buch meiner Meinung nach auch zu einem solchen Erfolg werden lassen. So etwas wirkt viel ermutigender als die ständigen Drohungen mit Folgekrankheiten und einem frühen Ableben, mit denen man als Übergewichtiger sonst ständig konfrontiert wird. Wer wissen will, warum ich ihr Buch trotzdem nicht empfehlen kann, sollte den verlinkten Blogartikel lesen.

Das Interessante ist, daß auch Frau Merkel vor ein paar Jahren eine Bauchlandung mit der Kalorienlogik hingelegt hat. Anfang 2014 hatte sie einen Skiunfall und im Anschluß daran überzeugte sie ihr Arzt offenbar davon, daß sie abnehmen müsse. Und das gelang ihr auch. 

Mal ein paar Fotos zum Vergleichen (alle mit Wladimir Putin, weil sie den im betreffenden Zeitraum so häufig traf): 

(Update: Letzte Nacht träumte ich von Abmahnhaien, deshalb habe ich die Fotos doch lieber durch Links zu den Bildquellen ersetzt. Sorry, daß ich die Sache unbequemer machen mußte.)

2013.

2014 (im Juni, da sah man ihr die Abnahme sehr deutlich an.)

2015.

2017.

2019.

Offenbar ist Frau Merkel genau dasselbe passiert wie den meisten: Der Abnehmerfolg war nur von kurzer Dauer, dafür nahm sie im Anschluß noch stärker zu. Ich gebe zu, ich wüßte unheimlich gerne, wie die Bundeskanzlerin sich das selbst erklärt. Ob sie auch in die Falle getappt ist, sich selbst für schuld daran zu halten? Ich gebe zu, heimlich wünsche ich mir schon, daß ihr das nicht passiert ist. Als Naturwissenschaftlerin und als disziplinierter Mensch, dem ich schon zutraue, sich an Ernährungsvorschriften relativ weitgehend zu halten (natürlich ist das alles relativ, gerade in so einem Amt, in dem man dauernd irgendwo mit irgendwem essen soll und in dem Streßphasen zu unregelmäßigen Essenszeiten führen, aber ich glaube nicht, daß sie unter solchen Freßattacken leidet, daß sie eine solche Zunahme erklären könnten), ist ihr vielleicht doch die Einsicht gekommen, daß an dieser Entwicklung irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht. 

Vielleicht wird das ja ihr erstes Ruhestandsprojekt Ende nächstes Jahr nach der nächsten Bundestagswahl, wenn sie nicht mehr antritt, herauszufinden, warum das mit dem Abnehmen nicht funktioniert hat und wie sie es gescheiter anfangen kann. Und ich drücke ihr die Daumen, daß sie dabei dann auf das Intervallfasten stößt. Denn natürlich schafft sie das mit dem Abnehmen dann höchstwahrscheinlich auch.




Samstag, 22. August 2020

Der Balkon als Imbißbude

Mein Gewicht heute morgen nach dem zweiten Fastentag der Woche: 98,3 Kilogramm. Nächste Woche arbeitet mein Mann wieder und beginnt mit einer Woche Frühschicht, dann faste ich die vierten Woche nur zweimal in der Woche, und in der Spätschichtwoche, die darauf folgt, gibt es für mich wieder das Vier-Tage-Fastenintervall und für meinen Mann drei Fastentage im Wechsel mit Eßtagen. Wir freuen uns schon beide darauf, jedenfalls auf die Ergebnisse. Meinem Mann spannt nämlich die Hose nach seinem Urlaub wieder. Bei mir ist das Gewicht - Wasserschwankungen ausgeklammert - weder nach oben noch nach unten gegangen, allerdings fand ich mich, wie schon zuvor vermutete, tatsächlich mehrere Male wieder als ÜHU wieder. Das soll sich im September ändern. Ich bin entschlossen, im nächsten Monat noch ein zweites viertägiges Fastenintervall einzulegen, da ich im August keines hatte, damit ich die Hundert endlich wirklich nur noch von weitem sehen muß. 

Im Oktober habe ich dagegen nur ein viertägiges Fastenintervall, und zwar in der zweiten Monatshälfte, geplant. Aber weil der Oktober bekanntlich jedes Jahr der Monat ist, in dem ich auf einmal wieder zunehme, egal, was ich mache, werde ich das natürlich sehr genau beobachten und falls erforderlich kurzfristig vielleicht doch noch einmal umdisponieren. Dieses Jahr will ich herausfinden, ob ich das mit strategisch eingesetzten häufigeren mehrtägigen Fastenintervallen vielleicht doch ganz verhindern kann, aber dafür habe ich einstweilen den November eingeplant. Normalerweise erfolgt der Oktober-Gewichtsanstieg nämlich erst in der zweiten Oktoberhälfte.

Mit dem Verlauf des Sommers bin ich an sich ganz zufrieden, obwohl es natürlich immer noch besser hätte verlaufen können. Zwei Tage Fasten pro Woche führt bei mir zwar, wie ich in meiner Zwischenbilanz festhalten kann, zu einer Gewichtsstagnation, aber nicht zu einer Zunahme. Davon war ich zwar auch ausgegangen, aber trotzdem weiß man es ja erst wirklich, wenn man es ausprobiert hat, und bevor man das verifziert hat, bekommt man zuweilen allerhand ungute Gefühle, so dämlich das eigentlich auch ist.

Was mir besonders gut gefiel, war das Modell Dienstag fasten - Mittwoch/Donnerstag essen - Freitag fasten - Samstag bis Montag essen, das ich wegen Verabredungen und deshalb Verschiebungen von Fastentagen zweimal hatte. Ich glaube, das werde ich künftig öfter anwenden, ich bin mir nämlich auch nicht sicher, ob es wirkungsvoller wäre, als Dienstag und Donnerstag zu fasten. 

Die Überlegung dabei ist: Ich könnte mir vorstellen, daß alles, was man zu regelmäßig macht, den Stoffwechsel dazu bringt, sich anzupassen, was natürlich die Wirkung des Fastens verringert. Damit wäre es kontraproduktiv, allzu häufig und nach einem zu gleichbleibenden Rhythmus zu fasten. Mir gibt es etwa zu denken, daß vier Fastentage am Stück sich als so viel wirksamer erwiesen haben als vier Fastentage, die nach zwei Tagen von einem Eßtag unterbrochen werden (beides zwischen Wochen, in denen ich meinem normalen Fastenrhythmus folgte), und daß es außerdem nicht besonders viel gebracht hat, in den "normalen" Fastenwochen immer drei Tage lang zu fasten. Möglicherweise war das also schon zu viel und/oder zu viel Regelmäßigkeit. Aber wie ich an meinen drei "Schmalspur"-Wochen gesehen habe, hat es andererseits auch nicht dazu geführt, daß ich plötzlich wieder zunehme, wenn ich weniger als drei Tage die Woche faste. Das ist ja auch schon mal was.

Drei Wochen lang Dienstag und Freitag fasten und in der vierten vier Tage am Stück könnte sich deshalb als genau das Richtige erweisen, und es hätte den Vorteil, daß sich vor jedem meiner Fastenintervalle mein Wasserhaushalt ausreichend regeneriert, um mir ein halbwegs realistisches Vorher-Gewicht zu zeigen. In meinem alten Fastenrhythmus war das immer nur am ersten Fastentag der Woche, also im Wechsel Montag oder Dienstag, der Fall.

Was mir gerade durch den Kopf geht: Eigentlich hatte ich am Fasten besonders angenehm gefunden, daß ich nicht viel darüber nachdenken mußte, und jetzt denke ich doch dauernd darüber nach, weil es nach drei Jahren offenbar längst nicht mehr so effektiv ist wie vorher und ich herausfinden will, wie es in dieser Phase die beste Wirkung zeigt. Das ist Pionierarbeit, also komme ich um das Nachdenken nicht herum. Nirgends finde ich dazu irgendwelche brauchbaren Informationen, sogar Dr. Fung schweigt sich dazu meistens aus, nur ganz nebenbei fällt in neueren Interviews ab und zu eine Bemerkung, die man so deuten kann, daß seine Patienten nach den anfänglichen Erfolgen wohl ungefähr dasselbe erleben, und ein bißchen ärgere ich mich darüber, daß man dazu nicht ein bißchen mehr erfährt. Wobei bei mir natürlich die Besonderheit besteht, daß ich mich ausschließlich auf das Fasten beschränken und keine anderen Methoden anwenden will, auch wenn es deshalb länger als nötig dauert, was bei Dr. Fungs Patienten eher untypisch ist. Im Bereich Bewegung gibt es bei mir in letzter Zeit wirklich nur noch die Alltagsbewegung, was sich aber dramatischer anhört als es ist, weil ich kein Auto habe und deshalb ohnehin viel zu Fuß unterwegs bin, wenn ich Erledigungen habe. Das ist natürlich schon ein Unterschied zu Patienten, die neben dem Fasten natürlich auch Ernährungsempfehlungen (die in Richtung Low Carb gehen) und Bewegung empfohlen bekommen.

Heute gab es bei uns zum Frühstück (wie immer am Wochenende um 12 Uhr) ein selbstgebackenes Fladenbrot, dazu Wurst und Käse aus der Markthalle, und anschließend ein Stück von einer Schoko-Biskuitrolle mit Eier-Mascarponecreme und Reineclauden und Birnen - sehr lecker. Die Wespen, habe ich dabei festgestellt, ziehen Birnen den Mirabellen und Reineclauden vor; als ich nach dem Kuchenbacken die Birnenschalen und -kerngehäuse rausgestellt habe, sind sie ohne Zögern zu den Birnen übergelaufen und haben den Rest keines Blickes mehr gewürdigt. Vielleicht liegt das daran, daß im Hof, bei einem der Nachbarhäuser einen Birnbaum steht, so daß der Birnengeschmack ihnen einfach besonders vertraut ist. Wir hatten heute unheimlich viele Wespen da, vielleicht waren sie nach dem Regenwetter besonders hungrig.

Heute war ein Teil der Wespen auch wieder sehr gierig nach Proteinen, für die sie sich gestern gar nicht interessiert hatten; da sind wohl seit letzter Nacht Larven geschlüpft, die gefüttert werden müssen. Ich habe ihnen ein Stück Schinken heruntergesäbelt, an dem waren zeitweise ein halbes Dutzend Wespen gleichzeitig zugange. Darunter war eine, die irgendwie anders aussah, ein wenig größer und von nicht ganz so schlanker Körperform. Die fiel mir auch deshalb auf, weil sie so rücksichtslos war. Alle anderen suchten sich nach dem Anflug immer ein Plätzchen, das frei war, und fingen an, sich ein Stückchen vom Schinken abzunagen. Diese hier plumpste aber regelmäßig den anderen auf den Kopf oder Hinterleib und drängelte sich anschließend direkt an die Stelle, wo sie gerade an der Arbeit waren. Interessanterweise ließen sich die anderen davon aber gar nicht stören, und aggressiv wurden weder sie noch die "dickere" Wespe. Ich vermute, das war eine andere Wespenart, ich habe noch mehr von denen gesehen, die ihr ähnelten, allerdings mehr an den Birnen, und ein paar lernten auch meine Rückhand kennen, weil sie sich zunächst auch für unser Frühstück interessierten. Ich werde im Umgang mit dem "Tennisschläger" immer routinierter, nur mein Mann beschwert sich, daß mein Herumgefuchtel damit fast noch schlimmer als das Herumgesurre der Wespen sei. 

Aber nach ein paar Minuten hatten dann alle den Teil des Essens gefunden, von dem sie nicht weggejagt werden, und dann konnten wir in Ruhe frühstücken.

Ich stelle ja regelmäßig auch Wurst oder Schinken für die Wespen raus, und dabei ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen: Manchmal ist das morgens, wenn ich zum Blumengießen auf den Balkon gehe, einfach weg - also komplett weg. Wenn die Wespen alles aufgegessen haben, hinterlassen sie so komische kleine Kügelchen - wir sagen immer dazu "Wespenscheiße", aber keine Ahnung, was das wirklich ist. Aber anscheinend gibt es noch einen weiteren Fan von meinem Essen, und ich vermute, er trägt ein Federkleid, und wenn der sich bedient hat, ist das Schälchen ratzekahl und ohne irgendwelche Rückstände leer. Gesehen habe ich diesen Futtergast allerdings noch nicht, aber ich weiß, daß er neuerdings regelmäßig meinen Balkon inspiziert, denn heute habe ich dreimal Schinken nachfüllen müssen, weil er immer wieder geklaut worden ist. Ich bin deshalb am Überlegen, ob ich mir nicht eine Wildkamera kaufen soll, um den Dieb zu überführen. Vorsichtshalber habe ich nach dem Abendessen das Schälchen mit dem Schinken wieder in die Küche gebracht und stelle es erst morgen früh wieder raus.

Hauptverdächtig sind natürlich die Elstern, aber in Frage kämen auch Krähen - wir haben ziemlich viele in der Nähe -, und möglich wäre sogar der Specht, den wir in letzter Zeit öfter hören können und vor ein paar Tagen auch zum ersten Mal gesehen haben. Ein Grünspecht der Färbung nach, aber merkwürdig klein.

Das ist schon ulkig. In früheren Jahren habe ich mich so bemüht, die Meisen und Spatzen und Amseln in der Gegend für eine Futterstelle auf meinem Balkon zu begeistern, und sie haben ihn immer links liegen gelassen. Jetzt auf einmal könnte ich offenbar eine Imbißbude aufmachen für alles, was da kreucht und fleucht.


Mittwoch, 19. August 2020

Was Adipositas und Billigklamotten gemeinsam haben

Mein Gewicht heute morgen nach dem gestrigen Fastentag: 98,2 Kilogramm. Nach den eher frustrierenden 101,4 Kilogramm gestern früh war das eine angenehme Überraschung. Mehr als 3 Kilogramm runter nach 36 Stunden Fasten, das habe ich in dreieinhalb Jahren höchstens zwei bis drei Mal erlebt. Da kamen wohl mehrere Faktoren zusammen, erstens die Abkühlung und zweitens war der ärgerlich hohe Wert 101,4 wohl überwiegend wasserbedingt. Komisch an ihm ist, daß ich ihn nach der Abkühlung noch hatte. Aber jetzt ist er ja wieder weg.

Daß meine Waage heute freundlich zu mir sein würde, habe ich schon gestern abend geahnt, weil ich im Vergleich zum Morgen unglaubliche 1,5 Kilogramm weniger wog, was ziemlich untypisch ist, weil der Großteil der Abnahme normalerweise über Nacht geschieht. Manchmal wiege ich mich auch abends, deshalb weiß ich, daß am Abend eines Fastentags ein Gewicht zu erwarten ist, das durchschnittlich 400 bis 500 Gramm unter dem morgendlichen Gewicht liegt. Sind es mehr als 500 Gramm, kann ich normalerweise* für den nächsten Morgen mit einer Gesamtabnahme rechnen, die höher als 2 Kilogramm liegt. 

* Aber keine Regel, bei der es nicht auch schon die eine oder andere, meist ärgerliche Ausnahme gegeben hätte ... 👹

Diesmal habe ich keinen Grund zum Ärger. Daß über Nacht weitere 1,7 Kilogramm sich verflüchtigen würden, hätte ich freilich gestern gar nicht erwartet. Ich hätte auf irgendwas zwischen 2,5 und 2,8 Kilo Gesamtabnahme getippt.

Zur Feier des Tages gab es heute bei uns eine Birnentorte* zum Nachmittagskaffee, mit einem Schoko-Biskuitboden, Schokopudding, Zartbitterkuvertüre und natürlich Birnen, das gleiche Rezept, das ich am Wochenende mit Mirabellen gemacht hatte. Ich habe diesmal ein bißchen variiert. Weil der Pudding erst am zweiten Tag richtig fest war und ich Probleme hatte, die Kuchenstücke heil herunterzuschneiden, stellte ich die Torte erst mal für eine Stunde in den Gefrierschrank, holte sie dann heraus und trug einen Teil der Kuvertüre erst dann an der Seite auf. Die brauchte nämlich auch bis zum zweiten Tag, bis sie richtig hart war, aber dann war sie dermaßen steinhart, daß man den Kuchen erst recht nicht mehr schneiden konnte, ohne daß der weichere Teil zermatscht wurde. Meine jetzige Methode hat sich als sinnvoll erwiesen - der Kuchen sah aus wie vom Konditor. Allerdings fand ich, der Birnengeschmack war nicht intensiv genug für dieses Rezept, er ging im Schokogeschmack ein bißchen unter. Bei den Mirabellen war das anders gewesen, deren Eigengeschmack kam sehr gut zur Geltung. Geschmeckt hat es uns natürlich trotzdem. 

* Update: Die Birnentorte, das hatte ich gestern gar nicht erwähnt, ist zwischen meinem Mann und mir eine Art Running Gag, obwohl ich gestern zum ersten Mal tatsächlich eine gebacken habe. Das ist ein Zitat aus dem dänischen Film "Adams Äpfel", siehe den Trailer. Wer schwarzen Humor mag, sollte bei diesem Film voll auf seine Kosten kommen. Wer zusätzlich noch bibelfest ist, wird unter dem Humor einen durchaus ernsthaften Kern entdecken. Vielschichtig und abgründig. Ich sollte ihn mir vielleicht mal wieder anschauen, nun da ich die verdammte Birnentorte wirklich gebacken habe.

Die Birnenschalen und -kerngehäuse habe ich den Wespen auf ihrem Tischchen hingestellt und, wenn ich mir das Gewusel so anschaue, sie damit offenbar glücklich gemacht.

Heute abend schlemmen wir weiter, es gibt Penne Carbonara (Spaghetti habe ich gerade nicht im Haus).

Alles nicht das, was mir die freundliche Ernährungsberaterin eine Straße weiter empfehlen würde, und ebenso würden auch die Vertreter der Low-Carb-Ernährung und sogar Dr. Fung die Stirn darüber runzeln. Aber diese Sorte Ernährung begleitet mich schon seit Beginn des Intervallfastens vor mehr als drei Jahren, und sie hat mich nicht daran gehindert, SEHR VIEL abzunehmen. Vielleicht wäre es noch mehr gewesen, wenn ich Low-Carb-Elemente in meine Ernährung mit eingebaut hätte, aber das würde nicht nur das von mir angestrebte Ergebnis verfälschen - immerhin will ich wissen, ob bzw. mit welcher Strategie es wirklich möglich ist, 73,5 Kilogramm nur mit Intervallfasten abzunehmen, und wenn ja, in welchem Zeitraum -, sondern es wäre auch mit einer Verzichtslogik verbunden, die mich viel zu sehr anöden würde, um das dauerhaft durchzuziehen. 

Neuerdings gibt es einen Trend, Adipositas vor allem als ein psychisches Leiden zu behandeln, und dabei wird der letztgenannte Umstand pathologisiert, daß nämlich das Einhalten einer Verzichtslogik so unangenehm ist, daß es von praktisch niemandem dauerhaft durchgehalten werden kann. Daran ist natürlich so viel richtig, daß die zermürbenden Diätkarrieren, mit denen sich Übergewichtige abkämpfen, natürlich in der Psyche ihre Spuren hinterlassen. Aber dabei werden Ursache und Wirkung verwechselt. Es ist nicht so, daß man nicht abnimmt, weil man psychisch gestört ist. Die Ursache der psychischen Störungen - von Depressionen über Schuld- und Schamgefühle bis zu Eßstörungen - ist vielmehr umgekehrt das ständige Scheitern der Abnehmbemühungen. Ich war auch deprimiert, wenn einer meiner früheren Versuche nach anfänglichen Erfolgen plötzlich nicht mehr klappte und ich am Ende sogar mit einem höheren Gewicht als zuvor dastand.

Die Diät-und-Bewegung-Methode beim Abnehmen scheitert nicht in erster Linie, weil die Leute nach einiger Zeit schlappmachen, sondern deshalb, weil sie offenbar in den meisten Fällen von vorherein nicht funktionieren kann. Ebenso bin ich der Meinung, daß auch das Schlappmachen selbst häufig nicht zu den Ursachen, sondern zu den Wirkungen einer gescheiterten Diät gehört, und einer der Gründe, warum ich beim Intervallfasten auch nach dreieinhalb Jahren noch nicht schlappmache, besteht darin, daß ich fast nach jedem Fastentag irgendein Erfolgserlebnis verbuchen kann. Auch wenn das nicht immer auf der Waage ist, sondern manchmal nur vor dem Spiegel, bei bestimmten Bewegungsabläufen oder bei der Kleideranprobe.  

Ich halte es keineswegs für pathologisch, wenn jemand, dessen Bemühungen ständig ins Leere laufen, dadurch psychisch in Mitleidenschaft gezogen wird. Das ist im Gegenteil eine völlig normale Reaktion auf eine unnormale Situation, vergleichbar dem typischen Ergebnis in einer Versuchsanordnung, in der Ratten nach dem Zufallsprinzip Stromschläge bekommen, ohne eine Chance, dies durch eine Verhaltensanpassung zu verhindern. Wenn der Betroffene glauben muß, daß es nur an seinen eigenen psychischen Defiziten liege, wenn er immer wieder scheitert, macht das die Sache natürlich keineswegs besser, sondern nur noch schlimmer. 

Diese neue Mode, Übergewicht als dauerhaft behandlungsbedürftige chronische Krankheit zu betrachten, ist meiner Meinung nach keine Verbesserung, sondern eine Verschlimmerung einer bereits sehr unbefriedigenden Situation. Ich bin außerdem überzeugt davon, den meisten, die hier zu Dauerpatienten gemacht werden sollen, um noch mehr Ernährungsfachleuten, neuerdings wohl bevorzugt mit psychologischer Zusatzausbildung, ihren Lebensunterhalt zu sichern, fehlt nichts weiter als eine funktionierende Methode, um sowohl beim Abnehmen erfolgreich als auch psychisch stabil zu werden. Daneben bin ich davon überzeugt, daß Intervallfasten - möglicherweise nicht für jeden, aber für sehr viele - eine solche Methode ist.

Von Paul Watzlawick stammt die Geschichte von dem Mann, der seinen verlorenen Schlüssel unter der Straßenlaterne sucht, obwohl er ihn ganz woanders verloren hatte, nur weil dort das Licht besser ist. Genau so kommt mir die Ernährungswissenschaft auch vor. Eigentlich müßte es doch für jeden Experten auf der Hand liegen, daß an den Grundlagen ihrer Herangehensweise irgendetwas nicht stimmen kann. 

Das alles kommt mir immer dann in den Sinn, wenn ich dazu aufgefordert werde, der Wissenschaft und ihren angeblich gesicherten Erkenntnissen sowie deren Vermittlung durch die selbsternannten Qualitätsmedien doch gefälligst zu vertrauen. Wenn ich den "gesicherten Erkenntnissen" über Adipositas, die ich ständig in der Zeitung lese, aber nicht vertrauen kann, warum sollte ich dann annehmen, daß ich in anderen Bereichen besser informiert werde?

Es sind ja nicht nur die Ernährungswissenschaftler, die mir viel zu gute Gründe bieten, ihnen nicht zu vertrauen. Weder beim Dieselskandal noch jetzt bei Corona hatte und habe ich allzu viel Grund, mich auf die Ergebnisse der Wissenschaft zu verlassen, wie mir das immer gepredigt wird - wobei die jeweilige Gegenseite allerdings auch nicht vertrauenswürdiger ist, weshalb ich auch nicht in Gefahr bin, mich in Verschwörungstheorien zu verstricken.

Bei Corona gestehe ich jedem Wissenschaftler bereitwillig zu, daß die Krankheit immer noch zu neu ist, um sie zu durchschauen. Was ich allerdings der globalen Expertenschaft - von der WHO bis zum RKI - mittlerweile ziemlich übel vermerke, ist, daß sie es verschweigen, daß quer durch alle Studien hinweg ausgerechnet die Raucher auffallend seltener an Corona erkranken. Inzwischen, ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie, reden wir von mehreren hundert Studien aus der ganzen Welt, bei denen  fast ausnahmslos immer ungefähr dasselbe Ergebnis herausgekommen ist. Der Effekt ist so groß und die Beweislage so umfangreich, daß es rational betrachtet, keinen Grund mehr gibt, ihn zu bezweifeln, ob er einem nun gefällt oder nicht. 

Daß es der WHO und dem RKI nicht gefällt, verstehe ich durchaus. Aber berichten müßten sie es dennoch. Andernfalls kann ich nur davon ausgehen, daß sie mir neben dieser einen Sache, die ich weiß, noch einen Haufen anderer Dinge verschweigen, die ich eigentlich ebenfalls wissen sollte und nur deshalb nicht erfahre, weil sie ihnen aus welchen Gründen auch immer ebenfalls nicht gefallen. Vertrauenswürdigkeit funktioniert anders, also vertraue ich ihnen natürlich nicht.

Die Beweggründe, die bei so etwas meiner Meinung nach zum Tragen kommen, bewegen sich in dem religiösen Denkmuster von Sünde, Strafe, Buße und Erlösung, das in der Wissenschaft gar nichts zu suchen hat. Ich habe sogar den Verdacht, man ist in den einschlägigen Kreisen aus diesem moralisch unterfütterten Denken heraus insgeheim etwas enttäuscht darüber, daß Raucher - die nach innerer Logik der Krankheit ja theoretisch stärker gefährdet sein müssen - in Wirklichkeit sogar seltener als Nichtraucher sterben, weil man irgendwie empfindet, sie hätten das höhere Sterberisiko doch eigentlich auch verdient. Wissenschaftlich gedacht ist das natürlich ebensowenig, wie es ethisch akzeptabel sein sollte. Als Wissenschaftler müßte man sich eigentlich dafür interessieren, was an dieser inneren Logik man falsch gedeutet hat, wenn das Ergebnis so anders ausfällt als erwartet.

Ein weiteres Beispiel, das mir zu dieser moralisch unterfütterten Denkweise einfällt, ist Billigkleidung, ein Thema, über das ich mich regelmäßig mit Freunden streite. Daß in Bangladesh die Textilarbeiterinnen ausgebeutet werden, ist mir dabei keineswegs egal. Mich irritiert aber, daß alle Welt glaubt, dieses Problem ließe sich lösen, wenn wir nur alle so tugendhaft wären, keine billige Kleidung mehr zu kaufen. 

Das halte ich in mehrfacher Hinsicht für einen Trugschluß.

Erstens produzieren praktisch alle Textilketten in asiatischen und neuerdings auch afrikanischen Billiglohnländern, nur kalkulieren die Billiganbieter nach dem Ikea-Prinzip eine niedrigere Gewinnspanne als die teuren und verdienen ihr Geld durch die größere Menge verkaufter Teile. Zweitens blieben einem deshalb, wenn man Bangladesh und vergleichbare Länder beim Textilienkauf unbedingt vermeiden wollte, nur noch ein paar Nischenanbieter wie Trigema. Aber drittens, und das finde ich am allerwichtigsten, bezweifle ich ernstlich, daß die Textilarbeiterinnen von Bangladesh glücklich darüber wären, wenn solche Kampagnen erfolgreich wären, weil sie dann ihren Job verlieren würden. Die Massenentlassungen dort, als wegen Corona plötzlich die meisten Textilketten Aufträge in Bangladesh stornierten, wurden in den Medien, die sonst immer Wortführer der Kampagnen gegen Kleidung aus Bangladesh waren, plötzlich auch nicht mehr für gut gehalten. 

Nüchtern betrachtet, sind die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse in der Textilindustrie für die Arbeiterinnen in Bangladesh eben immer noch eine Verbesserung im Vergleich zu ihrer vorherigen Situation. Wäre es anders, würden die Textilfirmen dort keine Mitarbeiter finden. Und es führt dazu, daß ein Boykott solcher Kleidung für sie eine Verschlechterung bedeutet. Das bedeutet nicht, daß die aktuellen Verhältnisse achselzuckend akzeptiert werden sollten, nur führt der Weg, den die meisten, durch einschlägige Medienberichte beeinflußt, für den moralisch gebotenen halten, für die betroffenen Arbeiter nur zu einer Verschlechterung ihrer Situation.

Ich begreife es einfach nicht, wieso die moralische Verantwortung für das vorhandene Angebot immer der Nachfrageseite aufgebürdet wird, wie das ja auch bei billigen Lebensmitteln ist. Richtig ist es natürlich, daß jeder Händler, der hier verkauft, dafür verantwortlich sein muß, daß seine Lieferanten, egal, wo auf der Welt sie produzieren, die definierten Minimalstandards gegenüber ihren Beschäftigten einhalten. Das ist die Stelle, wo man ansetzen muß und wo man Druck auf die Politik ausüben kann und sollte. Diese Standards so zu definieren und sie durchzusetzen, so daß man sich als Käufer darauf verlassen kann, daß sie eingehalten werden, ist nämlich eine staatliche Aufgabe. Als Käuferin weigere ich mich aber, dafür verantwortlich gemacht zu werden, wenn der Staat dieser Aufgabe nicht nachkommt. Wenn ich etwas zum Anziehen kaufe, dann erwarte ich, daß solche Fragen bereits im Vorfeld geklärt wurden.

Was ich besonders ärgerlich finde, ist, daß so viele Leute mit wenig Geld sich unter moralischem Druck gesetzt fühlen, teurere Kleidung zu kaufen, als sie sich eigentlich leisten können. Daß diese Sachen oft in der gleichen Fabrik hergestellt wurden als die Billigklamotten, ist den wenigsten von ihnen bewußt. 

Ich selbst hatte noch nie Bedenken, bei Billiganbietern wie Bon Prix meine Kleidung zu kaufen. Gerade jetzt sehe ich es außerdem noch weniger ein, viel Geld für Klamotten auszugeben, wo ich ohnehin ständig auf kleinere Größen wechseln muß. Andererseits habe ich aber auch kein Problem damit, einmal mehr Geld auszugeben, wenn es um etwas Besonderes geht. Ich besitze etwa eine handgehäkelte Weste, für die alleine das Material 50 Euro gekostet hat. Dafür habe ich ein ganz individuelles Stück bekommen, das einfach perfekt ist. Zu den vielen Hobbys, die ich wohl für den Ruhestand aufschieben muß, zählt es, auch einmal zu versuchen, mir meine Kleidung selbst zu nähen. Wahrscheinlich würde ich es lernen, wenn ich mir dafür die nötige Zeit nehmen würde. Brot backen habe ich ja auch problemlos gelernt. Das Problem dabei ist nur, daß bei mir so viele Interessengebiete um so wenig Zeit konkurrieren.

Wenn ich mein Zielgewicht einmal erreicht habe und davon ausgehen kann, daß sich meine Figur nicht mehr stärker verändert, kann ich mir durchaus vorstellen, mir meine Kleidung auch maßschneidern zu lassen und dafür entsprechend Geld auszugeben. Ich bin kein Shopaholic, mir ist es immer am liebsten, wenn meine Sachen von solider Qualität sind und lange getragen werden können. Bei Kleidung von der Stange ist das meiner Erfahrung nach reine Glückssache, und zwar völlig unabhängig vom Kaufpreis und der Marke. Es ist also nicht so, daß es bei mir unbedingt Kleidung made in Bangladesh sein muß. Was ich aber gar nicht einsehe, ist dieses hochmoralische Getue, das meines Erachtens einfach keine Faktengrundlage hat. Genauso wie beim "ungesunden" Essen.


Sonntag, 16. August 2020

Flohmarkt in Corona-Zeiten ... und die Frage, wie es mit der Pandemie weitgehen wird

Mein Gewicht heute morgen: 99,9 Kilogramm, ein ganz normales "So lala"-Gewicht in dieser "So lala"-Phase mit zwei Fastentagen die Woche. 

Gestern war ich das erste Mal dieses Jahr auf einem Flohmarkt, von dem ich erst sicher war, daß er wirklich stattfand, als ich vor Ort war und die Stände sah. Wie sich herausstellte, sind Flohmärkte zwar inzwischen erlaubt, aber es darf keine Werbung dafür gemacht werden, damit nicht zu viele Leute kommen und die Ansteckungsgefahr zu groß wird. Entsprechend gemischt war die Stimmung bei den Händlern, einige wirkten ganz zufrieden, andere waren enttäuscht. Mir hat es gefallen, daß das Gedrängel nicht so groß war, und ich habe eingekauft, als müßte ich alle ausgefallenen Flohmärkte des Jahres nachholen. Zum ersten Mal überhaupt habe ich dabei auch die Klamottenständer etwas systematischer durchwühlt und mir einige Teile gegönnt, darunter ein hübsches Sommerkleid (das ich erst daheim anprobieren konnte, und es erwies sich als geringfügig zu weit, aber durchaus tragbar), eine Jeansweste und, etwas, das ich im Winter tatsächlich brauchen werde, eine lange Strickjacke, die mir perfekt paßt.

Meine beiden kuscheligen Strickjacken in Größe 48/50 (in Grün) und 44/46 (in Blau) sind mir nämlich definitiv schon diesen Winter viel zu groß gewesen, und angesichts meines geschrumpften Brustumfangs komme ich mir darin nächsten Winter sicherlich unmöglich vor. Ich mochte diese Strickjacken sehr, weil sie so schöne leuchtende Farben hatten, und hätte mir gerne "dasselbe ne Nummer kleiner" gekauft, aber leider gibt es sie nicht mehr. Einmal sah ich ein Exemplar bei eBay, noch dazu in der einzigen und ebenfalls sehr schönen Farbe, die mir noch fehlte (ein ebenfalls sehr schönes, kräftiges, aber etwas dunkleres Rot), allerdings in Größe 56, was kaum eine Verbesserung gewesen wäre. 😳

Was Mode betrifft, bin ich schon immer ein hoffnungsloser Fall gewesen. Ich trage meine Lieblingsteile viele Jahre lang, bis sie in Fetzen an mir herunterhängen (robustere Teile bis zu zehn Jahre oder bis sie nicht mehr passen), und dann hätte ich gerne "genau dasselbe, bloß ohne Löcher" und finde es dann natürlich nicht mehr, obwohl ich sehr ausdauernd sein kann, was das Suchen danach betrifft. Im Falle der Strickjacke habe ich mich langsam damit abgefunden, daß ich eine andere kaufen muß, und in den letzten Tagen nach Alternativen gesucht, da das, was ich eigentlich will, nicht mehr zu bekommen ist, und war ziemlich unentschlossen. Jetzt kann ich die Suche glücklicherweise beenden, das Teil, das ich gekauft habe, erfüllt alle Voraussetzungen - außer, daß es natürlich nicht das ist, was ich insgeheim immer noch haben möchte. Aber sobald ich angefangen habe, diese Jacke zu tragen, werde ich diese Zwangsvorstellung von mir abschütteln können.

Außerdem habe ich mir ein Wiegemesser gekauft und heute gleich zum Einsatz gebracht, einen gußeisernen Untersetzer mit einem prächtigen bunten Gockel und daneben auch eine merkwürdige Schere, von der ich mir gar nicht erklären konnte, wofür sie gut sein soll. Es stellte sich heraus, daß es sich um eine Konturenschere handelt, mit der man dekorativ gemusterte Ränder schneiden kann, die ähnlich aussehen wie bei alten Fotografien aus den fünfziger Jahren. Ich habe noch keine Ahnung, wofür ich das brauchen könnte, aber ich bin froh, daß ich sie gekauft habe. Ein Flohmarkt ohne einen einzigen Kauf von irgendwas, das ich eigentlich nicht brauche, aber total abgefahren finde, wäre ja kein richtiger Flohmarkt. 

2020 wurde also doch nicht das "Jahr ohne Flohmärkte", das ich im Frühjahr befürchtet hatte, nur wird es nicht ganz einfach werden, von stattfindenden Flohmärkten zu erfahren. Die Abstände zwischen den Ständen waren zwar etwas größer als sonst, aber die Zahl der Stände hat mich dennoch angenehm überrascht. Bis auf einen Stand, an dem man aufgefordert wurde, sich die Hände zu desinfizieren, bevor man etwas anfaßte, war auch alles wie immer. Ich hatte meine Maske dabei, und wenn es wirklich mal etwas dichteres Gedrängel gab, habe ich sie mir übergezogen, aber das empfand ich nur zwei- bis dreimal als nötig. 

Als "neue Normalität in Corona-Zeiten" war das echt eine angenehme Erfahrung. 

Im Moment bin ich ja sehr gespannt, wie sich die Corona-Lage weiter entwickeln wird, da die Infektionszahlen nun schon seit ca. vier Wochen ständig nach oben gehen. Was mir aufgefallen ist: Bislang sind die Todesfallzahlen hingegen nicht gestiegen. Wahrscheinlich wird das noch kommen, aber ich bin verwegen genug, um darauf zu hoffen, daß sie nicht so stark steigen werden wie bei der ersten Welle. In den USA jedenfalls scheint genau das passiert zu sein; im Sieben-Tages-Durchschnitt liegen die Zahlen seit ca. drei Wochen zwischen 1000 und 1150 Todesfällen. Das ist natürlich schlimm genug, aber es sind nicht die von mir erwarteten 1300 (eine Zahl, die angesichts der doppelt so hohen Infektionszahlen im Vergleich zur ersten Welle niedrig geschätzt war), und der Höhepunkt dürfte in den hauptbetroffenen Bundesstaaten bereits überschritten sein. 

Ich bin gar nicht traurig darüber, daß ich mit meiner Schätzung falsch lag. Wie könnte man sich darüber ärgern, daß eine vierstellige Zahl von Menschen nicht gestorben ist? 

Auch daß Schweden bislang um einiges besser davongekommen ist, als ich erwartet habe, freut mich. Wobei der jüngste Medienhype darum, daß Schwedens Methode "doch erfolgreich" gewesen sei, erstens von falschen Voraussetzungen ausgeht (ebenso übrigens wie die Horrormeldungen in den Wochen davor) und es zweitens ziemlich verfrüht ist, dort das "Ende der Pandemie" auszurufen, wie das ein paar Leichtsinnige schon gemacht haben. Auch in Schweden rollt gerade die zweite Welle an, erkennbar daran, daß der Anteil der Infizierten an allen Getesteten in KW 32 wieder gestiegen ist, von 3 auf 4 Prozent. 

Der starke Anstieg in Schweden im Juni und Juli lag vor allem daran, daß ab KW 23, das war die erste Juniwoche, deutlich mehr Tests (S. 17 des Dokuments) durchgeführt wurden. Der Anteil der Infizierten an allen Getesteten ging parallel ständig zurück - von 13 Prozent bis auf in KW 31 (letzte Juliwoche) nur noch 3 Prozent - obwohl die absolute Zahl der Infizierten ziemlich lange anstieg. Nicht einmal die WHO hat erkannt, daß dieser Anstieg irreführend war und in Wirklichkeit bis KW 25 der Anteil der Infizierten ungefähr gleich blieb. Die Schweden haben sich völlig zu recht über die Panikmeldungen in den internationalen Medien beschwert.

Danach sank der Anteil der Infizierten an den Getesteten, und das ziemlich schnell. Aber das ist leider ebenfalls irreführend. Schwedens sehr lange Sommerferien, von Mitte Juni bis Mitte August, begannen nämlich in KW 25, und das Sinken der Infektionszahlen ist zum einen darauf zurückzuführen, und zum anderen darauf, daß auch weniger getestet wurde. Aber nun sind die Schulferien vorbei, und schon in den letzten zwei Wochen zeigte der Trend beim Anteil der positiv Getesteten unter allen Getesteten wieder in die Gegenrichtung. Wie es weitergeht, wird sich zeigen. Ich nehme an, die Infiziertenzahlen werden nun wieder für einige Wochen nach oben gehen.

Aber Ehre, wem Ehre gebührt: Schwedens Gesundheitssystem ist - im Gegensatz zu Ländern wie UK, die anfangs denselben Kurs verfolgten - bislang zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet gewesen, die Corona-Infizierten nicht ausreichend versorgen zu können, und vermutlich wird das auch in der zweiten Welle nicht geschehen. Das sollte man schon anerkennen, obwohl die Zahl der Todesfälle schrecklich hoch gewesen ist. Im weltweiten Vergleich gibt es ja nur wenige Länder, die gemessen an der Zahl der Gesamtbevölkerung, anteilig mehr Menschenleben verloren haben als Schweden: Belgien. Peru. Spanien. UK. Italien. Und das war's auch schon, wenn man die Zwergstaaten Andorra und San Marino ausklammert. Nicht einmal die USA und Brasilien haben einen so hohen Anteil ihrer Bevölkerung verloren. Aber einen katastrophalen Fehlschlag haben die Schweden dennoch nicht erlitten, den ich befürchtet hatte. Ob es die Sache wert gewesen ist, das muß die schwedische Bevölkerung entscheiden.