Montag, 27. November 2023

Saboteure und Überläufer und viel Karma: Was man nicht alles in sich mit herumschleppt ...

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des vorletzten langen Fastenintervalls des Jahres: 79,4 Kilogramm - ein bißchen mehr, als ich mir eigentlich erhofft hatte, aber so viel auch wieder nicht, daß ich mich allzu sehr grämen müßte. Im Vergleich zum Start der Low-Carb-Phase am 16. Oktober sind das immerhin 3,1 Kilogramm minus (vor zwei Jahren nach demselben Zeitraum waren es 3,8 kg, die Differenz ist nicht gewaltig), und daß ich ein bißchen höhergewichtig bin, als der Plan es vorsah, liegt vor allem daran, daß meine winterschlaffreudigen Bärengene den Herbst samit zugehöriger Gewichtszunahme dieses Jahr zwei Wochen früher eingeläutet haben. Gegen Sabotageakte durch meinen eigenen Stoffwechsel bin ich halt machtlos. Aber am Ende krieg ich ihn ja trotzdem noch klein, meinen inneren Saboteur.

Wenn ich nach meinem letzten langen Fastenintervall Mitte Dezember bei 78,4 (plusminus ein bißchen was) herauskommen sollte, ist das okay - allerdings befürchte ich, daß ich vor dem Start der nächsten Low-Carb-Phase Mitte Januar die 80-Kilo-Grenze vielleicht doch noch einmal reißen könnte, da ich ja wasserbedingt ungefähr ein Kilogramm zulegen werde. 

Dr. Klement erwähnte, dieses Wasserkilo läge daran, daß sich die Glykogenspeicher der Muskulatur bei LC-Ernährung entleeren, also im umgekehrten Fall halt wieder füllen, und wie man dem Link entnehmen kann, meint Wikipedia dasselbe, also habe ich jetzt immerhin mal eine vernünftige Erklärung für diese Art von Gewichtsschwankungen bei der Ernährungsumstellung. Komisch, daß das eigentlich bekannt sein müßte, wenn Wikipedia es mit solcher Selbstverständlichkeit beschreibt, aber ich aus dem Kreise der Keto-Gurus noch nie etwas davon gehört hatte. Glaube ich Wikipedia, macht diese Schwankung "bis zu 1 Prozent" des Körpergewichts aus, das wären also in meinem Fall, Glykogenspeicher in der Muskulatur plus der Leber zusammengenommen ungefähr ein Kilo zu erwartende Zunahme, also hoffe ich mal, es kommt nicht deutlich mehr als das zusammen. Ich bin ja immer noch ein bißchen traumatisiert von meiner erschröcklichen Gewichtsentwicklung im letzten Dezember. Auch wenn die chemobedingt war, muß ich es doch erst noch erleben, daß mir das diesen Dezember nicht noch einmal passiert, um es zu glauben. 

Das Buch von Dr. Klement habe ich zu lesen begonnen und bin bereits so weit vorgedrungen, daß ich jedenfalls sagen kann, daß ich ihm in einer ganzen Reihe von Punkten widersprechen werde, in einigen davon sogar sehr vehement und, wie ich finde, mit guten Gründen. Ich hoffe, daß im Laufe der Lektüre doch auch noch ein bißchen mehr kommt, dem ich zustimmen kann. Vielleicht gelingt es mir, am Freitag zusammen mit meinem hoffentlich erfolgenden neuen Tiefstgewicht schon eine Rezension zu schreiben, aber das hängt natürlich auch davon ab, wie viel Zeit mir für die Lektüre bleibt. Im Moment bin ich mir noch unschlüssig, ob ich dieses Buch wirklich weiterempfehlen möchte. 

Den Besuch beim Doc habe ich hinter mir und wenig Erhellendes mit nach Hause bringen können, außer, daß ich das mit dem nächtlichen Tragen des BHs richtig gemacht habe und ich so weitermachen soll. Es ist nicht unmöglich, daß ich dauerhaft dabei bleiben muß, aber so richtig festlegen wollte er sich in diesem Punkt nicht - vermutlich hat er in solchen Fragen halt auch schon alles und dessen Gegenteil erlebt. Wegen des Endes der Trastuzumab-Infusionen wurde ich an den Onkologen verwiesen, das frage ich also beim nächsten Mal dort, und den Port solle ich zwei bis drei Jahre behalten. Er sagte: "Wir empfehlen ...", also behalte ich ihn jedenfalls bis auf weiteres, entscheide mich ggf. aber vielleicht doch noch vor Ende des Empfehlungszeitraums um, falls er anfängt lästig und unangenehm zu werden. Alle Vierteljahr muß der Port gespült werden, aber das ist ja ein überschaubarer Aufwand gemessen an dem, ihn entfernen, aber dann womöglich wieder neu legen lassen zu müssen. 

Ich bin das mit den Kommentaren noch nicht so recht gewöhnt - bislang habe ich ja gewissermaßen immer ein bißchen ins Leere gepostet, und ich breche mir immer fast einen ab beim Antworten, deshalb bin ich mal so frei und stelle aus Faulheitsgründen deine Antwort von gestern hier mit rein, liebe Sandra, und gebe hier meine Antwort:

Liebe Perditax,
Montag bist du bei deinem Doc und ich bei meiner Onkologin :) wie passend. Ich werde an dich denken. Mein Gespräch zum Zwischenstand musste nämlich verschoben werden, da sie krank war vergangenen Dienstag.
Wie kommt man an solche Ärzte. Ein Mix aus Zufall/Karma und zusammengeklaubt würde ich sagen. Die Onkologin ist am hiesigen Brustzentrum tätig, meine Gynäkologin hat witzigerweise schon den Kaiserschnitt meiner mittleren Tochter gemacht und bald danach eine eigene Tochter geboren sowie ihre eigene Praxis eröffnet. In dieser war ich jahrelang Patientin und da unsere Töchter in der selben Klasse sind ist daraus eine respektvolle Freundschaft entstanden. Daher geht sie gerne auf meine Vorschläge ein. Wir „ticken“ da ähnlich. Der Orthomolekularmediziner/Komplementärmediziner wurde mir von einem befreundeten Augenarzt Päärchen empfohlen, die eine Krebspatientin in Ihrer Praxis behandeln und die ganz begeistert von der Begleitung-Therapie war.
Ich habe das Riesen Glück immer im rechten Moment die passenden Empfehlungen zu bekommen, Artikel zu lesen, auf deinen Blog zu stoßen oder Leute kennenzulernen. Darum schrieb ich Karma.
Mein Clip wurde gesetzt Ende September 14 Tage vor Beginn der Chemo. Das ist hier im Brustzentrum
Üblich, da man die Stelle mit dem Tumor ja wiederfinden will insbesondere wenn die Behandlung gut anschlägt. Ich habe einen weiteren Clip in einem befallenen Lymphknoten sitzen, da dieser definitiv mit weg operiert werden soll.
Nach der KI Info hier auch bei dir - die erkennt, dass bzw ob überhaupt noch Tumorzellen vorhanden sind - bekomme ich ein wenig Zweifel. Im Prinzip sind doch alle pCR‘s einheitlich der Beweis das die OP überflüssig war…. Ein wenig wie mit Schrödingers Katze. Man weiß es erst wenn man es operiert. Habe sogar schon kurz überlegt auf die OP zu verzichten… Metastasen werden wohl im Schnitt 8 Jahre vorher „angelegt“ und in den 10 Monaten vor deren Wachstum steigt wohl dieser Krebsmarker im Blut an? Wenn das so ist, dann kann ich da mit ner OP seh kaum was verändern.
Natürlich werde ich mich aber operieren lassen, da das derzeit ja „State of the art“ ist und dazu gehört. Insbesondere da auch noch das Ergebnis meines Gentests aussteht. Nun denn, ich bin gespannt wohin mein Weg mich führt und verfolge mit Spannung deinen weiteren Weg hier :)
Hab eine schöne Vorweihnachtszeit, vor allem eine gesunde,
Herzliche Grüße
Sandra

Dein Clip wurde schon vor der Chemo gesetzt? Wow. Irgendwas muß ich in meinem letzten Leben falsch gemacht haben, das du wiederum richtig gemacht hast, da mein Karma mir ständig so viel höhere Hürden setzt. ;-)

Spaß beiseite, mir ist im Lauf der letzten zwölf Monate schon aufgefallen, daß keine zwei meiner diversen Ärzte immer alle Entscheidungen gleich getroffen hätten, obwohl Brustkrebs jedenfalls bis Stadium 2 ja eigentlich eine Art Fließband-Krebs ist, bei dem man annehmen sollte, daß je nach histologischem Befund alles bei allen ungefähr gleich abläuft. Aber im Detail gibt es offenbar mehr kreative Spielräume als gedacht. Meine Strahlenmedizinerin wirkte sogar ernsthaft erzürnt darüber, daß mein Doc mir eine viereinhalbwöchige Bestrahlung in Aussicht gestellt hatte, während sie mich fünfeinhalb Wochen lang brutzeln lassen wollte, wie es dann auch passiert ist. Sie sagte wahrhaftig sinngemäß, wer sich nicht richtig in ihrem Fach auskenne, solle doch am besten einfach die Klappe halten. Und unsereins als Patient, bei dem es ja immerhin um Leben und Tod gehen kann, soll dann beurteilen können, welcher der Experten nun die Weisheit mit dem größeren Löffel gefressen hat. 

Also war es wohl ein Frage von glücklichen und weniger glücklichen Zufällen - ohnehin der meiner Meinung nach meistunterschätzte Faktor der Geschichte.

Die Sache mit den Metastasen könnte übrigens auch ganz anders sein. Professor Seyfried - dessen Buch ich unbedingt demnächst endlich fertiglesen muß - behauptet nämlich, die Metastasen entstammten gar nicht dem ursprünglichen Tumor, sondern seien wildgewordene Abwehrzellen aus den Lymphknoten, die von den dorthin ausgewanderten Tumorzellen gewissermaßen zu Überläufern zur Feindseite umgedreht worden seien. Deshalb seien Metastasen auch so viel aggressiver als der Ursprungstumor, denn diese Abwehrzellen sind ja - solange sie ihrer Pflicht korrekt nachkommen - unsere körpereigene Security und haben den großen Schlüsselbund, um in jedes Organ reinzukommen, was normalerweise gut für uns ist, aber in diesem speziellen Fall halt genau das Gegenteil. Keine Ahnung, wie nahe dran an der Wahrheit der Seyfried damit ist, aber es würde einiges ansonsten Rätselhafte erklären, was die Metastasierung betrifft.

Hoffe, die Besprechung mit der Onkologin verlief für dich erfreulich! Und auch dir eine schöne Vorweihnachtszeit! :-) 

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Nachdem ich mich im letzten Blogbeitrag noch über die Kampagne zugunsten einer Zuckersteuer mokiert habe, stieß ich auf einen geistesverwandten Ansatz, den ich interessanter finde, nämlich eine generelle Steuer auf hochverarbeitete Lebensmittel, die Kolumbien eingeführt hat, die in drei Schritten bis 2025 von anfangs 10 % auf schließlich 20 % ansteigen soll. Wie "hochverarbeitete Lebensmittel" genau definiert ist, konnte ich nicht herausfinden, lediglich, daß unter anderem Wurst ausgenommen sei, war in einem Medienbericht zu lesen. Insgesamt scheint die Sache also auf die richtige Art von Lebensmitteln aus der Massenproduktion der Konzerne abzuzielen, die aus welchen Gründen auch immer (denn weder Fett noch Zucker halte ich dabei für den entscheidenden Faktor, sieht man einmal davon ab, daß natürlich die minderwertigsten Fette gerade billig genug sind) der menschlichen Gesundheit wenig zuträglich zu sein scheinen. Falls der Großteil des betreffenden Angebots von dieser Steuer betroffen sein sollte und dabei keine allzu weitreichenden Ausnahmeregelungen die Sache wirkungslos machen sollten, lohnt es sich vermutlich, zu beobachten, ob das vielleicht tatsächlich eine bessere Wirkung als die vielgepriesene, aber in der Praxis ziemlich wirkungslose Zuckersteuer mit sich bringt. Allerdings finde ich meine eigene Idee mit der Transportsteuer weiterhin besser, weil die direkt auf den im Moment so großen Wettbewerbsvorteil von Massenprozenten, die billigste Zutaten kreuz und quer mit hohem Energieaufwand durch die Welt karren lassen, um minderwertigen Fraß aus ihnen zu produzieren, gegenüber von kleinen, regional orientierten Herstellern abzielt. Wenn man für fast das gleiche Geld gutes Essen kriegen kann, entscheiden sich bestimmt weniger Leute für den Schlangenfraß.

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Gestern habe ich einen neuen Versuch der Herstellung von Low-Carb-Pasta vorgenommen, und das Rezept, das ich diesmal hatte, erwies sich als das bislang geschmacklich und von der Textur her bei weitem beste. Mein Mann und ich waren uns einig, daß es das nächstes Wochenende noch einmal gibt, nur diesmal nicht mit Bolognese, sondern mit Lachs und Sahnesoße. Die Zutaten: 20 Gramm Leinmehl, 20 Gramm Flohsamenschalen, 100 Gramm Frischkäse, vier Eier und 60 Gramm grob geraspelten Gouda, dazu noch ein bißchen Salz. Nächstes Mal werde ich vielleicht noch ein bißchen Milch zusätzlich verwenden, weil der Teig einerseits zu weich war, um ihn normal ausrollen zu können, aber andererseits nicht weich genug, um nicht am Ende trotz all meiner Bemühungen doch noch etwas ungleichmäßig dick ausgefallen zu sein. Ich glaube, wenn er ein bißchen mehr Flüssigkeit enthält, gelingt mir das beim nächsten Mal gleichmäßiger.

Alles jedenfalls mit dem Mixer verrühren, auf Backpapier verstreichen. Ich habe ein zweites Backpapier darübergelegt, um ohne Sauerei mit dem Wellholz drüberfahren und den Teig einigermaßen glatt bekommen zu können, und dieses zweite Backpapier dann auch mitgebacken, weil beim Abziehen zu viel vom Teig daran klebengeblieben wäre, und das hat auch prima funktioniert. Für 6-7 Minuten bei 180 Grad in den Backofen, anschließend testen, ob man das obere Backpapier nun rückstandsfrei abziehen kann, und bis zur Fertigstellung der Soße in den abgeschaltenen Backofen zurück. Nach dem Rausholen das untere Backpapier auch abziehen, den Teig zusammenrollen und von der Rolle dann die Nudeln so breit abschneiden, wie man sie gerne haben will - die sehen bei mir dann ähnlich wie Tagliatelle aus und schmecken in der Tat erfreulich pastaartig. Leinmehl mag ich ohnehin sehr, das kommt bei mir auch meistens mit in die Brötchen, und bei 2 Gramm KH pro 100 Gramm Leinmehl ist diese Art von Pasta nahezu kohlehydratfrei, sehr zum Unterschied zu der Hülsenfrüchte-Pasta aus dem Discounter, von der ich auch in LC-Phasen mittlerweile ganz abgekommen bin.

Ob ich auch mal versuchen sollte, aus diesen Zutaten Spätzle zu machen? Vielleicht am Freitag, erst einmal eine Probeportion für mich alleine, denn vielleicht geht diese Sache ja auch fürchterlich schief ...

Die Menge hat für zwei übrigens locker gereicht.





 


Freitag, 24. November 2023

Gesundheitspolitische Luftschlösser im epidemiologischen Wolkenkuckucksheim

Mein Gewicht heute früh nach dem zweiten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 76,7 Kilogramm, das sind 500 Gramm weniger als heute vor zwei Wochen. Die Richtung stimmt, aber das Tempo, in dem ich sich mein Gewicht abwärts bewegt, dürfte gerne ein bisschen höher sein. Aber zur Zeit finde ich meine Gewichtsausschläge in beide Richtungen sowieso schwer vorhersehbar und freue mich lieber daran, daß gerade vor allem der Bauch weniger und weniger wird. Noch im Sommer brachte mich der Gedanke ins Grübeln, was ich eigentlich tun werde, wenn ich mein Zielgewicht erreicht habe, falls der Bauch dann trotzdem immer noch da ist. Im Moment sind das aber schon nach jedem langen Fastenintervall sichtbare Veränderungen gerade dort, wo ich sie auch haben will, also hoffe ich doch mal, daß die letzten um die fünf Kilo, um die es jetzt noch geht, vor allem am Bauch verschwinden werden und ich dann keinen Handlungsbedarf mehr sehe.

Ich schiebe heute einen Blogbeitrag ein, damit ich vom vielen Kopfschütteln über die Nachrichten, die mir in meinen Twitter-Account gespült werden, keine Genickstarre bekomme, sondern die Sache hier abladen kann. Das fängt schon damit an, daß ich erhebliche Mühe habe, mir vorzustellen, daß die Argentinier tatsächlich eine Type zum Präsidenten gewählt haben, der aussieht wie einem Loriot-Sketch der siebziger Jahre entsprungen. Die passende Evelyn Hamann dazu wäre dann wohl diese BBC-Moderatorin, die zusätzlich zu ihrer unglaublich dummen Frage auf dem Standbild auch noch einen richtigen Evelyn-Hamann-Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Manchmal frage ich mich, ob es nicht vielleicht doch kürzlich einen Riß im Raum-Zeit-Kontinuum gegeben hat und ich mich nun in einem Paralleluniversum befinde, das von einem sehr schwarzhumorigen Satiriker entworfen wurde.

Daß an der Gesundheits- und Präventionsfront alle genauso dämlich zu sein scheinen wie immer, zeigt mir immerhin, daß es dieses Paralleluniversum nicht bräuchte, um mir meine tägliche Dosis Kopfschütteln zu verschaffen, die einzige Sportart, die ich offenbar nicht vermeiden kann. Meine spezielle Freundin, die Ernährungs-Umschau, schwafelte heute etwa - ausgerechnet an dem von ihr so betitelten "Fakten-Freitag" - davon, daß mehr als die Hälfte aller Krebspatienten heute "dauerhaft geheilt" werden könne, während noch 1980 mehr als zwei Drittel an ihrer Erkrankung starben. 

Das halte ich im besten Fall für Selbstbetrug und im ungünstigsten für absichtliche Desinformation.

Erstens: Mit "dauerhaft" meinen die in Wirklichkeit gar nicht das, was Sprachlogik und gesunder Menschenverstand dem Leser zwangsläufig suggerieren. In der von der Ernährungs-Umschau verlinkten Quelle, dem DKFZ, steht an einer Stelle: "Insgesamt lebt heute mehr als die Hälfte aller Krebspatienten noch fünf Jahre nach der Diagnosestellung." Da es sich um dieselbe Angabe des prozentualen Anteils wie bei dem der "dauerhaft Geheilten" handelt, wird somit behauptet, wer fünf Jahre nach seiner Krebsdiagnose noch lebt, sei dauerhaft geheilt. Das ist natürlich blühender Blödsinn, zumal im Vergleich zum Jahr 1980 dank Früherkennung etliche Krebsarten in einem viel früheren Stadium diagnostiziert werden. Wenn die Diagnose zeitlich um ein, zwei oder noch mehr Jahre früher als in den achtziger Jahren erfolgt - was vor allem bei den beiden allerhäufigsten Krebsarten, Brustkrebs und Prostatakrebs, heute die Regel ist -, sind diese fünf Jahre heute ganz eindeutig nicht mehr derselbe zeitliche Maßstab wie 1980, als sie im Durchschnitt in einem viel späteren Krankheitsstadium erfolgten. Hinzu kommt außerdem zweitens, daß die Differenz zwischen "weniger als die Hälfte" heute an ihrer Krankheit verstorbenen Krebspatienten - also 50 % minus ein bißchen was -, in Wirklichkeit keine so gewaltige Verbesserung zu den "mehr als zwei Dritteln", also 66 % plus ein bißchen was, darstellt. Wieviel von diesen zwischen 16 und maximal 20 Prozentpunkten hin oder her bleiben denn eigentlich noch übrig, wenn man den  früheren durchschnittlichen Diagnosezeitpunkt in der heutigen Zeit in die Kalkulation mit einbezieht?

Müßte ich mich auf den "Fakten-Freitag" verlassen, um meine weiteren Überlebensaussichten einzuschätzen, würde ich mir wohl gleich heute noch einen Sarg bestellen, denn immerhin hatte ich ja mit den geschwollenen Lymphknoten ein Symptom, das auch schon 1980 zu einer Diagnose im selben Stadium wie heute geführt hätte, und eine erwähnenswerte statistische Verbesserung ergibt sich, näher betrachtet, auf Basis dieser Fakten in Wirklichkeit gar nicht. Erst in einer nach Krebsarten differenzierten Betrachtung hat mein Sargtischler dann doch noch Pech gehabt und muß weiter auf meine Bestellung warten.

Daß ich mich schon jetzt wieder so normal fühle und die letzten Nachwirkungen der Chemo fast verschwunden sind, daß ich besser dran bin als die Mehrheit der Fünf-Jahres-Überlebenden, ist ein zweiter Faktor fast schon unverschämten Glücks im Unglück, das eine Krebsdiagnose ist natürlich trotzdem immer ist. Wie lange viele dieser Überlebenden körperlich und/oder seelisch weiter leiden, darauf stoße ich in letzter Zeit immer öfter, und gestern wieder. Diesmal ging es um "Fatigue", chronische Erschöpfung mit Krankheitswert, also von solcher Intensität, daß sie eine normale Lebensführung beeinträchtigt. Daß chonische Erschöpfung auch viele Jahre nach erfolgreich abgeschlossener Krebsbehandlung noch für so viele Brustkrebspatientinnen ein Problem ist, war mir neu. Auch zehn Jahre danach betrifft das nämlich immer noch mindestens 20 % aller vom Krebs selbst geheilten Patientinnen. Die Gründe dafür sind noch unklar, eine Studie ergab nun über eine Depressions-Diagnose hinaus, bei der Fatigue ein typisches Begleitsymptom ist, zwei weitere Zielrichtungen für weitere Forschungen:

  • hohe Werte entzündlicher Biomarker, hoher Body-Mass-Index, häufig Schmerzen. Die Fatigue äußert sich dabei primär körperlich.
  • hoher Spiegel des Hormons Leptin. Die Fatigue äußert sich primär kognitiv.

Alle drei Gruppen zusammen machen einen Großteil aller Fatigue-Patientinnen aus, allerdings gab es auch eine starke Minderheit, die in keine der drei Guppen paßt. 

Ich glaube, ich würde es in allen Gruppen trotzdem als erstes mit Intervallfasten oder Low Carb (oder beidem) probieren, immerhin wirkt das ja nachweislich sowohl leptin- als auch entzündungshemmend, von der BMI-senkenden Wirkung gar nicht erst anzufangen. Und auch psychische Leiden wie Depressionen werden ja neuerdings zuweilen mit ketogener Ernährung behandelt, angeblich auch mit guten Erfolgen, aber weil ich nie depressionsgefährdet war und kaum bei meinen eigenen Interessengebieten bei den Neuigkeiten hinterherkomme, habe ich das nur am Rande mitbekommen, aus den Tweets einiger einschlägiger Therapeuten aus der Keto-Szene, die das jedenfalls behaupten.

Die Erfahrung meiner Liegennachbarin bei der Chemo sei mir natürlich eine Warnung: Daß Fasten bei jedem gleich gut wirkt, ist leider nicht zu erwarten. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß jedenfalls ein Teil der Patientinnen davon profitieren würde, und der ließe sich am einfachsten herausfiltern, indem man alle mal zwei, drei Wochen lang ausprobieren läßt, was geschieht, wenn sie das versuchen, bevor man andere Methoden einsetzt. Immerhin, das kostet das Gesundheitssystem gar nichts und kaputtmachen kann man damit eigentlich auch nichts, jedenfalls, wenn man ein paar wenige Basics vermittelt, die eingehalten werden sollten, darunter vor allem, viel zu trinken.

Ich finde es aber vor allem alarmierend, daß so viele geheilte Brustkrebspatientinnen sich offenbar psychisch nie so richtig von dem Krankheitsschock zu erholen scheinen. Das ist eine Sache, mit der sich die Wissenschaft eigentlich mal gründlicher befassen sollte, denn eigentlich sollte das Ziel einer erfolgreichen Krebsbehandlung ja nicht nur darin bestehen, daß ihre geheilten Patienten weiterleben, sondern sie sollten auch imstande sein, sich über ihre Heilung zu freuen. Wenn so viele das nicht können, sollte man herausfinden, warum das so ist und wie man es verhindern kann.

***

Vielleicht sollte die Fasten/Keto-Community von der Anti-Zucker-Community zu lernen versuchen, wie man seine Forderungen wirksamer promotet, zumal es da ja gewisse inhaltliche Überschneidungen gibt, die sogar recht groß sind.

Einer meiner ganz speziellen Freunde, der Professor Hauner, weiß nämlich mal wieder auf Basis von Modellberechnungen Dinge, die sich, da bin ich mir nämlich ganz sicher, als falsch erweisen werden, falls wirklich durchgesetzt wird, was dazu gerade mal wieder als Forderung an die Adresse der Politik durch die Nachrichtenlandschaft rauscht. Konkret geht es um eine Studie, die dem Augenschein nach schlicht dazu gedacht ist, eine Zuckersteuer auch in Deutschland zu promoten, im Ärzteblatt wurden dabei mal wieder Mexiko und UK als große Vorbilder genannt. Wenig überraschend, kam bei dieser Modellberechnung heraus, daß eine Zuckersteuer hunderttausende von Erkrankungen verhindern und damit den Krankenversicherungen Milliarden einsparen würde. Dr. Hauner nun geht die Kalkulation der Studienautoren allerdings noch längst nicht weit genug, er monierte, daß die generell mehr Zucker konsumierenden unter 30jährigen in ihr gar nicht berücksichtigt worden seien, weshalb der Vorteil in Wirklichkeit noch viel größer ausfallen werde, als die Studienautoren angenommen hätten. 

Das Problem dabei ist nur, daß UK (Zuckersteuer ab 2018) und Mexiko (ab 2014) zwar Erfolge insofern vorzuweisen hatten, als der Zuckergehalt in Süßgetränken tatsächlich zurückging. Nur auf die Erfolge bei der Adipositas warten wir bis heute in beiden Ländern leider vergeblich, und das haben die Studienautoren irgendwie zu erwähnen vergessen und der offenbar etwas zerstreute Professor Hauner ebenfalls. Deswegen wird es aber trotzdem nicht unwahr

Das sind so die Momente, in denen ich immer wieder neu vom Glauben auch an den guten Willen der einschlägigen Akteure abfalle, überhaupt etwas für die Gesundheit der Menschen bewirken zu wollen, weil ich es für unmöglich halte, daß diese Fachleute, die sich hier in Szene gesetzt haben, das alle gar nicht mitbekommen haben könnten. Geht es ihnen also wirklich nur um symbolpolitischen Aktionismus und darum, ihre eigene Wichtigkeit unter Beweis zu stellen? Da bleibt wohl der einzige Trost, daß eine Zuckersteuer, falls sie denn durchgesetzt wird, umgekehrt wohl auch keinen größeren gesundheitlichen Schaden anrichten wird, auch wenn sie wie so viele andere sogenannte Präventionsmaßnahmen bloß ein weiteres gesundheitspolitisches Luftschloß sein wird, das im epidemiologischen Wolkenkuckucksheim gebaut wurde. 

Sorgen machen kann einem aber der kropfunnötige zusätzliche gesellschaftliche Flurschaden. Die Leute nehmen Maßregelungen in ihren privaten Lebensgewohnheiten ja zunehmend immer ungnädiger auf - erkennbar daran, daß Leute, die einen offensichtlichen Sprung in der Schüssel haben (siehe den Loriot-Verschnitt, aber auch Typen wie Donald Trump oder Sahra Wagenknecht), nicht mehr von einer Mehrheit für von vornherein für unwählbar gehalten werden -, also wäre es wahrscheinlich besser, sie auf Dinge zu beschränken, die wirklich einen Sinn haben. Das ist die eine übersehene Sache, die man aus Corona eigentlich hätte lernen können, bei dem gesundheitspolitische staatliche Eingriffe ja einen echten Sinn hatten, der aber Teilen der Bevölkerung von vornherein mehr oder weniger unvermittelbar geworden war.

Nicht weniger problematisch finde ich einen weiteren Teil der Bevölkerung, und zwar einen mindestens ebenso großen, dem die Eingriffe gar nicht strikt genug sein konnten. Diese Leute reagierten dann nicht weniger wütend und im Lauf der Zeit geradezu verbittert bei jeder Lockerung, da ihnen aus ihrer Sicht damit ein ihnen doch eigentlich zustehender Schutz vor dem Krankwerden entzogen wurde. Das ist meiner Meinung nach ein Ausdruck dessen, das ich - frei nach Konrad Lorenz - in einem früheren Blogbeitrag als "Käfigverblödung" bezeichnet hatte, und auch an der hat die Politik der letzten Jahrzehnte eine gehörige Mitschuld. Je mehr Schutz man solchen Leuten verspricht, desto mehr weiteren Schutz glauben sie unbedingt zu benötigen. Und ihnen gegenüber stehen dann diejenigen, die sich schon halb zu Tode geschützt fühlen und lieber einem Randle McMurphy nachlaufen, als sich von Schwester Ratchett weiter schurigeln lassen zu wollen - was allerdings nicht zwangsläufig für sie irgendetwas besser machen wird, da  "McMurphy first" dessen Grundprinzip ist.

Vor einiger Zeit habe ich "Einer flog über das Kuckucksnest" mal wieder angesehen und mir ging durch den Kopf, wie sehr dieser Film und seine Kernaussagen heute aus der Zeit gefallen wirken. Würde man ihn aus der Perspektive von Schwester Ratchett neu verfilmen, träfe man so exakt den heutigen gesundheitspolitischen Zeitgeist, daß ich jedem das Experiment empfehlen möchte, den Film mit diesem Gedanken im Hinterkopf noch einmal neu anzuschauen. Aus gewohnter heutiger Sicht ist nämlich schlichtweg alles an der Message dieses Films falsch, und wenn man sich trotzdem mit McMurphy identifiziert, sollte man sich mal ein paar Gedanken darüber machen, warum man das tut und was das über die heutige Präventionsphilosophie aussagt.


Mittwoch, 22. November 2023

Neues aus dem Pferdekopfnebel: Auf ein Rübchen mit Dr. Klement

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 76,9 Kilogramm, nachdem ich gestern mit infusionsbedingten 78,8 in den Fastentag gestartet war. Um die 300 bis 400 Gramm plus macht das typischerweise aus, aber allzu oft muß ich diesen Faktor nicht mehr berücksichtigen, denn wenn es bei einem Ende der Antikörpertherapie "im Januar" bleibt (so richtig exakt sind solche Vorankündigungen ja nie), dann stehen mir nur noch zwei, maximal aber drei Infusionen bevor. Danach werde ich mich am Montag mal beim Nachsorgetermin bei meinem Doc erkundigen, und ein paar weitere Fragen stehen ja auch an, etwa wegen der Schwellung an der rechten Brust (die im Moment dank Kompressions-BH unproblematisch ist) und außerdem, wie es eigentlich mit meinem Port weitergehen wird. Ich nehme nicht an, daß der unmittelbar nach dem Ende der Infusionen gleich rauskann, aber was ich nicht weiß, ist, wie lange so ein Port für gewöhnlich dringelassen wird. Qua Bauchgefühl würde ich darauf tippen, daß das noch mindestens ein Jahr dauern wird, denn in den ersten beiden Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Krebs wiederkommt, am höchsten.

Besonders störend finde ich den Port übrigens nicht, ich bemerke ihn kaum, höchstens mal beim Duschen oder Umziehen, aber weil ich jetzt ungefähr acht Kilo weniger wiege als letzten Herbst, prägt er sich doch ein bißchen stärker aus als anfangs, da hatte ich ja am Nachmittag des Tages, als er mir gelegt worden war, schon wieder vergessen, daß ich ihn überhaupt habe. Trotzdem, wenn er mal weg ist, habe ich mir ein weiteres Stück Normalität zurückerobert.

Meine Liegennachbarin hat am Montag sehr tapfer den Platz neben ihrem so lange für mich verteidigt, bis ich zur Trastuzumab-Infusion kam, um ihn zu besetzen, und so war die Chemo-Gang (zusammen mit zwei weitere Mitstreiterinnen) dann vollständig, und es kam fast ein bißchen Kaffeeklatsch-Stimmung auf, als wir unsere aktuellen und gewesenen Nebenwirkungen durchhechelten, während wir unsere Infusionen in uns reinplätschern ließen. Bei meiner Liegennachbarin hat jetzt die zweite Chemo-Hälfte begonnen, das heißt, kein EC mehr, worüber sie sehr erleichtert ist, weil sie das extrem schlecht vertragen hat (und Fasten, stellte sich heraus, half bei ihr auch nichts - dann erbrach sie zwar keinen Mageninhalt, aber dafür Galle, und das ebenfalls tagelang), und ich drücke ihr beide Daumen, daß sie im Gegenzug dafür mit dem Carboplatin besser zurechtkommt als ich, irgendwo sollte es ja auch eine ausgleichende Gerechtigkeit geben. Für alle Fälle habe ich ihr den Tip mit dem Heizkissen zum Umbinden gegen das extreme Kältegefühl gegeben, das ich erlebt habe, und vielleicht bringe ich nächstes Mal auf Verdacht einfach mal eines zur Chemo mit - ich habe nämlich zwei davon. Schlimmstenfalls muß ich es halt wieder heimtragen, weil bei ihr die innere Kälte gar nicht auftritt oder sie eine andere Lösung gefunden hat, die genauso gut funktioniert.

Ach ja, die Polyneuropathie in den Füßen ist in den letzten ca. zwei, drei Wochen weiter zurückgegangen. Wenn man das Gefühl mit dem einer nachlassenden Wirkung einer Betäubungsspritze beim Zahnarzt vergleicht, bin ich jetzt in dem Stadium, in dem man es nach der Zahnbehandlung wieder riskieren würde, etwas zu essen, obwohl die Spritzenwirkung noch ganz leicht zu spüren ist. Es kribbelt noch, aber nur noch sehr wenig, typischerweise rechts weiterhin etwas stärker als links. Es ist jetzt deutlich schwächer als zum OP-Zeitpunkt, also vielleicht folgt jetzt mit einem halben Jahr Verspätung die Entwicklung, die ich damals eigentlich für die Wochen darauf erwartet hatte, nämlich daß es ganz damit aufhört.

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Daß es in diesem Blogbeitrag um den Schweinfurter Strahlenmediziner und Studienautor zum Thema Keto bei Krebs, Dr. Rainer Klement, gehen wird, habe ich am Schluß meines letzten Beitrags ja bereits verraten, und ebenso, daß ich - was für mich selbst eine unangenehme Überraschung gewesen ist -, einige Vorbehalte gegen ihn entwickelt habe, die ich an dieser Stelle einmal begründen möchte. Auf  Klement war ich das erste Mal ziemlich kurz vor Beginn meiner Bestrahlung gestoßen, das ist also erst wenige Monate her. Seine Arbeiten waren die ersten, die mir ein paar Antworten darauf geben konnten, ob und wenn ja wie Fasten und/oder Keto einen günstigen Einfluß auch auf die Nebenwirkungen bei einer Bestrahlung haben können - obwohl ich auf die speziellen Fragen, die mir am wichtigsten gewesen wären, auch bei ihm keine Antworten fand. Aber darüber will ich nicht meckern, schließlich hatte ich zuvor rein gar nichts zum Thema Bestrahlung gefunden, und der Professor Smollich, bei dem ich mit der Frage angeklopft hatte, hat mich ja vorsichtshalber gleich ganz ignoriert. 

Mir gefiel der pragmatische Ansatz bei Klement, eine ketogene Ernährung als eine Ernährung zu definieren, die den Zustand der Ketose zum Ziel hat, und offen bei den Mitteln zu bleiben, mit denen dieses Ziel erreicht wird. Das ergibt einen Sinn, denn wenn man sich darauf versteift - wie die Frau Professorin Hübner -, unbedingt exakt identische Methoden vergleichen zu wollen, sonst gilt es nicht, treffen die dann ja wieder auf die unterschiedlichen Voraussetzungen des Patienten.

Worin genau mein neu aufgetauchtes Problem mit Dr. Klement besteht, läßt sich am besten erklären, wenn ich mal beschreibe, wie ich letzte Woche erneut auf ihn gestoßen bin und was daraufhin geschah.

Vor wenigen Tagen wurde mir ein Podcast mit einem ziemlich aktuellen Interview mit Rainer Klement bei YouTube in die Vorschlagsliste gespült, und das war zunächst eine freudige Überraschung für mich. Das Interview als solches brachte mir dann im Prinzip zwar keine allzu aufregenden neuen Erkenntnisse - das lag sicherlich vor allem an den "Anfängerfragen", die ihm von der Interviewerin gestellt wurden -, aber ich stellte erfreut fest, daß Klement zu Fasten und Keto als Ernährungsweise (auch außerhalb von Krebstherapien) in großen Teilen dasselbe vertritt, was ich ebenfalls für richtig halte. (Sogar die Panik vor dem Verzehr von Kartoffeln auch in homöopathischer Dosierung gewisser Leute teilt er nicht und findet wie ich, Kartoffeln seien okay, wenn man sich auf wenige beschränkt.) Und: Dr. Klement hat außerdem vor wenigen Wochen ein Buch über seine Sichtweise von Krebs veröffentlicht, das sich an ein normales Lesepublikum richtet. Das war nun wirklich eine hochinteressante Neuigkeit, denn so ein bißchen unbefriedigt ließ mich an diesem Podcast zurück, daß er sich auf Schmalspurbegründungen für seine Ansichten beschränkte. Ich gehöre ja zu den Zeitgenossen, die es für vertane Zeit halten, sich bloß an jemandem mit einer gleichlautenden Meinung zu erfreuen, ich will dann immer auch wissen, wie er darauf kommt und ob er irgendwelche andere Gründe oder Herangehensweisen hatte als ich. Und das kam da einfach zu kurz. Dieses Buch würde sicherlich mehr in die Tiefe gehen, alleine schon deshalb mußte ich mir das unbedingt beschaffen. Und natürlich erhoffte ich mir von der Lektüre zusätzliche Erkenntnisse, die mir wirklich neu sind.

Aber was war das eigentlich für ein Podcast? Ich kannte ihn nicht, obwohl mir der Name der Betreiberin, Jasmin Kosubek, vage vertraut vorkam. Einordnen konnte ich ihn spontan freilich nicht. Die Betitelung des Videos war für meinen Geschmack zwar zu reißerisch, aber darauf hat Frau Kosubek ja auf YouTube weiß Gott kein Monopol. Ich sah mir an, wen sie sonst so in ihrem Podcast interviewt hatte, und es waren schon ein paar merkwürdige Gestalten darunter, aber da Keto ja auch eine Außenseitermeinung repräsentiert und ich vermutlich selbst in die Kategorie "Merkwürdige Gestalten" falle, hätte ich das als eine Sammlung unterschiedlichster Außenseitermeinungen betrachtet, die sonst wenig Gelegenheit haben, ihre Sicht der Dinge zu Gehör zu bringen, woran gar nichts verwerflich gewesen wäre. Der Groschen fiel bei mir erst, als ich den Titel eines der ersten Videos im Kanal sah: "Gekündigt! Warum ich nach über sieben Jahren RT DE den Rücken kehre". 

Ich hatte mich also in den YouTube-Kanal der einstmaligen Moderatorin dieser berüchtigten russischen Lügenpropagandasendung "Der fehlende Part" der deutschen Ausgabe des Senders Russia Today locken lassen. Das gefiel mir nicht besonders. Eingestellt wurde Jasmin Kosubek von den Russen ungefähr um die Zeit herum, als die in der Ostukraine gerade dieses malaysische Passagierflugzeug abgeschossen hatten. Auch wenn sie damals gerade erst ihr Studium abgeschlossen hatte und vielleicht ja noch ein bißchen unbedarft war, darf man annehmen, daß sie ziemlich genau wußte, mit wem sie sich da einließ. Da sie sieben Jahre lang weiter für RT Deutsch gearbeitet hatte, fand sie daran offenbar aber viele Jahre lange nichts problematisch. Und warum hatte sie nun bei RT gekündigt? Vielleicht doch aus einem zunehmenden Verdruß über die Inhalte, die sie zu vertreten hatte? Von wegen. In ihrem "Gekündigt"-Video ging es um ziemlich banalen Kram, sie war halt unzufrieden mit ihren beruflichen Perspektiven, den Rahmenbedingungen und mit der Art, wie ihr Brötchengeber mit ihr umging. Typischer Arbeitnehmer-Kram, über den man in jedem Betrieb Unzufriedene finden kann. Mit den Inhalten hatte sie augenscheinlich bis zum Schluß kein Problem, und damit habe ich zwangsläufig ein Problem mit ihr. 

Was außerdem sagt das über die Inhalte ihres jetzigen Podcasts aus? Und was um alles in der Welt macht jemand wie Klement, den ich für einen seriösen Mediziner gehalten hatte, in so einem Podcast? 

In solchen Fragen verstehe ich nicht viel Spaß. Mit manchen Publikationen und deren Urhebern läßt man sich unter gar keinen Umständen ein, sowohl aus Gründen der Selbstachtung wie auch des Selbsterhaltungstriebs. Gerade dann, wenn es einem unheimlich wichtig ist, mit dem Gehör zu finden, was man zu sagen hat, riskiert man damit unnötigerweise seinen Ruf, und das unter Umständen dauerhaft. Wer etwa einmal im Compact-Magazin oder beim Kopp-Verlag publiziert hat, ist als seriöse Quelle für immer verbrannt. Ich hatte ja sogar schon über den allzuseichten Riva-Verlag die Nase gerümpft, bei dem die deutschen Ausgaben von Jason Fungs Büchern erschienen sind, aber Kopp, das ginge gar nicht. Ein Wissenschaftler, dem ernsthaft daran gelegen ist, eine neue These in der Fachwelt zu verbreiten, publiziert meiner Meinung nach lieber überhaupt nicht als auf diese Weise, weil er damit bei einem Nischenpublikum zwar populär werden kann, aber in Fachkreisen keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen wird. Das ist nicht gerade das, was ich mir von einem Wissenschaftler erhoffen würde, der ja - wenigstens dem Augenschein nach - seriöse wissenschaftliche Arbeit zum Einsatz ketogener Ernährung bei Krebs geleistet hat. 

Nun gut, dachte ich, nachdem ich mich von meiner Überraschung erholt hatte. Außenseitermeinungen haben es im Mainstream schon schwer. Wen außerhalb der Keto-Fangemeinde kann Klement da für seine Sache interessieren, ohne daß er gleich abwinkt? Die Kosubek mit ihrem Podcast kann man zur Not noch als Grenzfall durchgehen lassen. Vielleicht war Klement ja der Meinung, um sein neues Buch zu promoten, könne er nicht sonderlich wählerisch sein, und immerhin war es ja nicht Russia Today, wo er aufgetreten war, sondern nur jemand, der einmal für Russia Today gearbeitet hatte ...

So weit war ich mit meinen Überlegungen gekommen, als mir auf einmal etwas ganz Furchtbares dämmerte: Wo zum Teufel hatte Dr. Klement eigentlich sein Buch veröffentlicht? 

Ganz so schlimm, wie ich mir das vorgestellt hatte, kam es damit dann doch nicht, wenn sich auch "Deutscher Wissenschafts-Verlag" um einiges bedeutender anhört, als es das Haus in Wirklichkeit ist. Auf den ersten Blick erscheint mir der Verlag, auch wenn ich noch nie etwas von ihm gehört hatte, jedenfalls nicht unseriös (keine Garantie freilich, daß ich nicht doch vielleicht irgendwelche Abgründe übersehen habe). Es handelt sich um eine Art Nischenanbieter mit einem Verlagsprogramm, bei dem es sich meinem Eindruck nach um Publikationen mit wissenschaftlichem Anspruch, aber ziemlich geringer zu erwartender Reichweite handelt. Stutzig machte mich an der Verlagswebsite vor allem, daß die "Testimonials" zufriedener Kunden auf der Hauptseite von Autoren des Verlags stammten, die ihre Zufriedenheit mit der Umsetzung ihres Buchprojekts zum Ausdruck brachten, nicht etwa von Käufern der betreffenden Bücher, die diese Bücher gut gefunden hatten. Auch wenn ich nirgends Hinweise auf vom Autor zu tragende Publikationskosten sowie deren Höhe fand, das sah nach einem Bezahlverlag aus, der also davon lebt, daß die Autoren ihn dafür bezahlen, ihr Buch zu publizieren - was bei Nischenthemen natürlich unvermeidlich sein kann, bei denen eine Kalkulation auf Basis der Buchverkäufe von vornherein nicht aufgehen kann. Für wissenschaftliche Themen ist das oft eine vernünftige Publikationsmethode. Die eigentlich typische Verfahrensweise im Verlagswesen ist es aber nicht. Üblich ist es, daß ein Verlag seine Produktionskosten von den Käufern des Buches wieder hereinholen will und Bücher veröffentlicht, wenn er glaubt, auf dieser Basis mit ihnen einen Gewinn erzielen zu können.

Was also macht ein Buch wie dieses, das ja auf ein ähnliches Publikum abzielt wie dieses überaus populäre Himbeerbuch, dann eigentlich ausgerechnet in so einem Verlagsprogramm?

Auf Dr. Klements Website beschlich mich beim näheren Umschauen dann der Verdacht, daß er gerade dabei ist, sich für die berufliche Zukunft eine gemütlichere Nische zu suchen als die Krebsforschung, in der seine Arbeiten ja ziemlich aus dem Rahmen fallen und, nehme ich beim Gedanken an die Frau Professorin Hübner an, oft auch nicht auf besonders viel Gegenliebe stoßen. Denn beruflich strebt er gerade ein weiteres Mal zu neuen Ufern, und das sieht mir sehr nach einer alternativmedizinischen Richtung aus. Begonnen hat er ja als Astrophysiker, dann nutzte er eine Fortbildung zum medizinschen Physiker und landete dann in der Strahlenmedizin. Aktuell macht er aber eine Fortbildung zum Heilpraktiker an der Rolf-Schneider-Akademie, und egal, was er aus der Auswahl der dort angebotenen Fernstudiengänge gewählt haben mag, das verringert seine Chancen, im herkömmlichen Medizinbetrieb mit seinen ohnehin konträr zum Mainstream laufenden Forschungserkenntnissen in denselbigen durchzudringen, nur noch weiter - denn die Qualifikation "Heilpraktiker" ist im medizinischen Forschungsbetrieb ungefähr dasselbe wie für mich eine Publikation im Kopp-Verlag: Man kann dann einfach nicht mehr damit rechnen, daß einem - abgesehen von denen, die einem sowieso schon die ganze Zeit geglaubt haben - allzu viele Leute überhaupt zuhören. 

Natürlich habe ich keinen Schimmer, was Dr. Klement in Wirklichkeit antreibt, welche Inhalte er als Heilpraktiker vertreten wird, und ebenso weiß ich auch nicht, was für Pläne und Perspektiven er darüber hinaus für weitere Arbeit in der Forschung hat, aber auf mich wirkt das so, als habe er sich von dem Ziel, seine Inhalte im Wissenschaftsbetrieb bestmöglich zu Gehör zu bringen, für immer in Richtung Pferdekopfnebel verabschiedet, wo er ein Häuschen mit Garten bauen, Rüben züchten und im Guru-Modus Patienten behandeln will, die sich lieber von Gurus als Ärzten behandeln lassen. 

Das ist natürlich sein gutes Recht. Ich bin aber so frei, in dieser Frage ganz egoistisch mal die Perspektive des Durchschnitts-Krebspatienten einzunehmen, der niemals auf die Idee käme, einen Guru anstelle eines Onkologen zu konsultieren und dessen Behandlungsperspektiven so gut oder schlecht bleiben, wie sie aktuell sind, wenn zu Klements Forschungsthema künftig noch weniger geforscht wird. Und das sollte man nicht unterschätzen, denn zum Thema Ketose bei Krebs zählt Klement nach eigenen Angaben zu den "weltweit meistzitierten Wissenschaftlern". Ich glaube ihm auch unbesehen, daß das keine Übertreibung ist, denn das Publikationsgeschehen in diesem Teilbereich ist so spärlich, daß sowieso nicht sonderlich viel dazu gehören würde, in so einen Rang aufzusteigen. Und in der Tat ist der empfehlenswerteste Teil von Dr. Klements Website die Auflistung seiner zahlreichen Fachartikel und sonstigen Publikationen, die sich zu einem recht großen Teil mit ketogener Ernährung, sei es generell, sei es bei Krebs, befassen. Die werde ich mir selbst auch noch einmal in Ruhe durchsehen müssen, und ich nehme an, daß sich da tatsächlich Wissenswertes finden läßt.

Aus Patientensicht wäre es also ein schwerer Verlust, falls Klement sich gerade selbst aus diesem Bereich zurückziehen würde, da es Heilpraktiker und Ernährungsgurus mit einer gewissen Nischenpopularität ja in rauhen Mengen gibt. Aber in der Forschung wäre sein Wegfall kaum zu ersetzen. Auf der Website der Klinik, die er auf seiner eigenen Website als seinen Brötchengeber angibt, nämlich das Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt, ist sein Name überhaupt nicht (mehr?) zu finden. Deshalb nehme ich an, dort hat er schon seinen Abschied genommen. Ob damit auch seine Tätigkeit in der Forschung eine Ende haben wird, bleibt natürlich abzuwarten.

Der peinlichste Teil seiner Website ist sein Blog, denn der demonstriert, daß Wissenschaftler in allen Bereichen, die außerhalb ihres Wissensgebietes liegen, halt doch auch nur Laien sind und fürchterlich danebenliegen können. Denn Klement war/ist in der Coronaskeptikerszene aktiv und hat sich an einer Studie beteiligt, die zu beweisen versuchte, daß die Corona-Schutzimpfungen fast so viele Tote verusachten, wie sie auf der anderen Seite verhindern. Diese Studie mußte später wegen Fehlerhaftigkeit zurückgezogen werden. Klement stellte das in einem seiner Podcasts so dar, als wäre der Grund dafür nichts weiter als kleinlicher Formalkram gewesen, den man an den Haaren herbeigezogen hätte, (... um eine unliebsame Wahrheit zu unterdrücken, wie man zwischen den Zeilen herauslesen konnte). Auf Basis meiner eigenen Herangehensweise an die Corona-Problematik (siehe meinen letzten Blogartikel), kombiniert mit der groben Sichtung der Übersterblichkeit der Coronajahre habe ich allerdings auch keinen Grund, eine so hohe negative Wirkung der Coronaimpfungen für realistisch zu halten. 

Ich habe nicht ernsthaft versucht, die Sache mit dieser zurückgezogenen Studie allzu tiefgehend zu durchdringen, da der rote Faden bei Klement beim Thema Corona nie ein wissenschaftlicher gewesen ist und von Cherrypicking, kombiniert mit politikkritischen Bauchgefühlen geprägt war. Deshalb ging ich davon aus, daß Klement sich an einem solchen Projekt von vornherein nicht beteiligt hätte, wenn es dabei um eine ergebnisoffene Auswertung aus wissenschaftlichem Interesse heraus gegangen wäre.

Auffällig fand ich im Klements Blogartikeln zum Thema Corona, daß alte Überlegungen, auch solche, die sich in der Rückschau als Fehlannahmen erwiesen hätten, nie rückblickend einer kritischen Sichtung und ggf. Korrektur unterzogen wurden, sondern nur immer dieselbe Leier auf neue Weise begründet wurde. Eine dieser Begründungen war eben die angebliche Gefährlichkeit der Corona-Impfung. Davor ging es unter anderem um die Fehlerhaftigkeit von Coronatests (dieselben Tests, die in der Studie, die der Impfstudie zugrundelag, ebenfalls angwandt worden waren, aber deren Fehler nun komischerweise gar keine Rolle mehr spielten), daß die Lockdowns unzumutbar für die Bürger seien oder daß eine Überlastung der Krankenhäuser bei zu hohen Corona-Fallzahlen doch die eigene Schuld der Gesundheitspolitik seien - letzteres ist zwar nicht falsch, ändert aber an der Überlastungsproblematik und der Notwendigkeit, mit Corona einen den de facto bestehenenden Gegebenheiten angemessenen Umgang zu finden, überhaupt nichts. Klement war offenbar zu beschäftigt, Indizien gegen die Coronapolitik zu sammeln, um sich darüber auch noch Gedanken zu machen.

Kurz, ich sah nicht viel Sinn darin, einem Eichhörnchen, das wie aufgezogen von einem Ast zum nächsten hüpft, jedes Mal hinterherzuhüpfen und jeden der Äste einzeln zu analysieren, denn auf Basis meiner Grundannahmen liegt er von vornherein schon im ersten Ansatz falsch, nichts an seinen Corona-Einwänden widerlegt meine Grundannahmen, und überhaupt sind seine Blogbeiträge zur Coronafrage erkennbar die eines Laien, also hat er mir bei diesem Thema sowieso nichts voraus. Ich hätte damit eigentlich ja auch kein Problem, viele haben auf genau dieselbe Weise psychische Erleichterung in einer Zeit gesucht, die ihnen persönlich und beruflich mehr als mir abverlangt hat, aber bei einem wissenschaftlich Arbeitenden hätte ich, wenn schon auch Corona zum Thema in seinem Blog wird, weniger Schwurbel, Bauchgefühl und Politikverdruß und mehr Anzeichen für einen ernstzunehmenden Versuch, die betreffenden Aspekte der Thematik wissenschaftlich zu durchdringen, erwartet. Und natürlich finde ich es als Patientensicht-Vertreter auch unangenehm, daß es die Position einer wissenschaftlichen Außenseitermeinung wie Ketose bei Krebs noch weiter verschlechtert, wenn sie von einem sogenannten "Coronaleugner" kommt.

Natürlich enthält die Website auch eine Unterseite, auf der Dr. Klement für sein Buch Werbung macht, und man könnte es sogar direkt bei ihm bestellen. Das hätte mich normalerweise gereizt, aber nach Lektüre des Blogs war mir die Lust darauf vergangen. Ich entschied, es doch lieber bei Amazon zu bestellen, aber als erstes las ich dort natürlich die Kundenrezensionen. Es waren nur wenige - kein Wunder bei einem Buch, das in einem Nischenverlag erschienen und erst seit sechs Wochen auf dem Markt ist -, dafür waren die fünf, die es gab, aber sehr enthusiastisch. Eine Rezension fiel mir besonders auf:
    Prof. Werner E. Gerabek
5,0 von 5 Sternen Wertvolle Informationen zur Steigerung der Widerstandskraft gegenüber Krebs
Rezension aus Deutschland vom 27. Oktober 2023
Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution! Dieser berühmte Satz des Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky wird gerne zitiert, hat jedoch innerhalb der modernen Medizin kaum praktische Bedeutung.
Dieses Buch jedoch setzt genau dort an, wo der Schlüssel zum Verständnis chronischer Krankheiten wie Krebs liegt: der Evolution des Lebens auf der Erde von den Einzellern bis hin zum modernen Menschen. Dem Autor gelingt es, eine schlüssige Theorie von Krebs als programmierten Rückschritt in der Evolution bis in die Zeit der Einzeller aufzustellen, welcher maßgeblich durch biopsychosoziale und spirituelle Faktoren unseres modernen Lebensstils getriggert wird. Davon ausgehend, werden viele nützliche und gut umsetzbare Strategien abgeleitet, wie man seine Resilienz gegenüber dieser Erkrankung stärken kann. Dazu zählen die artgerechte Ernährung des Menschen, Mikronährstoffe, Entgiftung, Kältereize, Sauerstofftherapie, Bewegung und Spiritualität. Zwölf sehr lesenswerte Interviews mit weltweit anerkannten Wissenschaftlern, Therapeuten und Ärzten, in denen diese Themen nochmals vertieft werden, runden das Buch ab.
Insgesamt ein im deutschen Sprachraum wohl einmaliges Werk, das für Betroffene, an Gesundheit interessierte Laien und Therapeuten sehr zu empfehlen ist.

Dieser Professor ist dummerweise weder Onkologe noch ein vom Inhalt des Buches begeisterter unvoreingenommener Leser mit Professorenstatus, sondern der Inhaber des Verlags, in dem Klements Buch veröffentlicht wurde, und diesen Tiefschlag nahm ich Autor und Verlag übler als alles andere. So etwas tut man einfach nicht. Never ever. Ich kann Dr. Klement nur dringend dazu raten, seinen Verleger dazu zu bringen, diese plumpe lobhudelnde Fake-Rezension schleunigst wieder zu löschen. Sogar dann, wenn ihn ehrliche Begeisterung für das Buch seines Autors übermannt hätte, wäre es seine Pflicht gewesen, in der Rezension offenzulegen, daß er das Buch verlegt hat, anstatt mit seinem Professorentitel zu protzen und mit ihm zu suggerieren, die Fachwelt werde von Klements Thesen gerade im Sturm erobert.

Das ist übrigens die Sache, die mich schon bei diesem Podcast als einziges zum Widerspruch reizte. Klement erweckte darin an einer Stelle den Anschein, als setze sich die ketogene Ernährung in der Krebsbehandlung gerade durch. Das deckt sich aber nicht im entferntesten mit meinem eigenen Eindruck. Als Patient muß man schon selbst Bescheid wissen und über Durchsetzungsvermögen verfügen - oder das Glück haben, an einen der wenigen Ärzte geraten zu sein, die sich für Keto begeistern können -, um im Fall einer Krebsdiagnose nicht in dramatischen Worten davor gewarnt und aus Leibeskräften davon abgehalten zu werden. Falls sich in der fachlichen Innenperspektive daran wirklich gerade etwas ändern sollte, bekommt man als Patient so wenig davon mit, daß sich der angeblich gerade stattfindende Paradigmenwechsel ungefähr in der Geschwindigkeit der Kontinentaldrift vollziehen muß und dann wohl auch noch ähnlich lange dauern kann. 

Wie auch immer, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Angesichts einer eindeutigen Fake-Rezension betrachte ich die vier weiteren begeisterten Rezensionen (alle Rezensenten vergaben fünf Sterne) bis zum Beweis des Gegenteils ebenfalls als Fakes. Nicht, daß es darauf ankäme, denn sie sind sowieso ziemlich nichtssagend, also helfen sie mir auch im anderen Fall nicht bei einer Kaufentscheidung, die ich mitterweile schon beinahe wieder umgeschmissen hatte, so enttäuscht war ich vom Autor und seinem verdächtigen Geschäftsgebaren. 

In der Hoffnung, daß die Verkaufszahlen nicht so unterirdisch sind, daß mich ein Erwerb persönlich zurückverfolgbar machen wird, habe ich das Buch dann aber nach längerem Nachdenken trotzdem bestellt. Eine Rezension von Dr. Rainer Klements Buch "Krebs. Weckruf des Körpers" (erschienen am 4. Oktober 2023 im Deutschen Wissenschafts-Verlag in Baden-Baden, 282 Seiten) folgt in diesem Blog, sobald ich es gelesen und mir ein Urteil darüber gebildet habe. Ich werde mir für letzteres genügend Zeit lassen und lieber ein bißchen mehr als zu wenig überprüfen und überdenken, weil mir diese Thematik viel zu wichtig ist, um mich von Emotionen vielleicht zu vorschnellen Urteilen verleiten zu lassen.

Was trotz all meiner hiermit ausführlich begründeten Zweifel weiterhin für das Buch spricht, ist, daß der Autor die Grundannahmen Professor Seyfrieds aufgegriffen hat, dessen Buch ich leider immer noch nicht fertiglesen konnte, obwohl ich es kürzlich noch einmal angefangen habe. Weil ich mit diesem Kindle-Mist einfach nicht klarkomme, habe ich zuvor Seite für Seite als Bildschirmfoto aufgenommen, alle in PDFs umgewandelt und alles zu einem Gesamtdokument zusammengefügt, und jetzt sollte die Sache eigentlich schnell gehen ... wenn bloß meine Kunden mir mal im richtigen Moment eine Woche Verschnaufpause geben würden. ;-) Eigentlich wäre es wohl sinnvoll, Seyfrieds Buch zuerst zu lesen, da es ja die Grundlagen auch zu Klements Buch enthält, aber ich muß mit dem Seyfried sowieso jetzt noch einmal warmlaufen, und mit Klement sollte ich schneller durch sein, wie das eben so ist bei einem deutschsprachigen allgemeinverständlichen Sachbuch vs. einem englischprachigen Fachbuch mit viel englischsprachigem Fachchinesisch. Ich bin mir jedenfalls ziemlich sicher, daß an Seyfrieds Annahmen etwas dran ist, auch wenn ich mir wegen der von ihm vermuteten generellen Tragweite nicht sicher bin, solange ich dieses Buch nicht gelesen und verstanden habe, und vielleicht vereinfacht es die Sache ja ein bißchen, wenn ich den Klement zuerst lese.

Klement, Jahrgang 1979 (näher am Alter meines Sohnes als an meinem, offenbar werde ich wirklich langsam alt), ist einer der wenigen, die in Deutschland zu Ketose bei Krebs geforscht haben und will es sich nun, so jedenfalls mein Verdacht, lieber in einer alternativmedizinischen Nische gemütlich machen, statt an den harten Brettern vor den Köpfen derer, die die Richtung der Krebsbehandlungen vorgeben (mit Professorin Hübner an der Spitze), weiterzubohren. Für Krebspatienten, die dem Medizinbetrieb so ausgeliefert sind, wie er eben gerade ist, und die damit überwiegend keine Chancen haben, von Keto als Behandlungsoption überhaupt zu erfahren, geschweige denn, sie ernsthaft in Erwägung ziehen zu können, wäre das eine sehr schlechte Nachricht. Die Sturheit, mit der Professor Seyfried, Jahrgang 1946 (könnte vom Alter her mein Vater sein), wieder und wieder gegen dieselben Wände läuft in der anscheinend festen Erwartung, daß sie eines Tages doch noch vor ihm zu Staub zerfallen werden, gefällt mir da erheblich besser.

Egal, ob Seyfried recht behalten wird oder nicht, aber genau das ist das Mindset, das man haben muß, wenn man glaubt, wichtige Erkenntnisse gewonnen zu haben, und findet, sie müßten unbedingt allgemein bekannt werden. Dr. Klement hat es wohl nicht. Schade drum.


Sonntag, 19. November 2023

Selbst denken: Wie man im Gestrüpp der Meinungen zu einem Urteil kommen kann

Mein Gewicht heute früh: 75,2 Kilogramm. Gestern, also nach den üblichen vier Fastentagen, waren es 75,4 Kilogramm - neues Tiefstgewicht also beides, aber trotzdem wieder ein bißchen enttäuschend. Ich hatte mit noch weniger gerechnet, irgendwas mit 74. Aber andererseits: 75,x ist nun tatsächlich weniger, als meine Schwester wiegt - aktuell 76,4 -, und als ich zuletzt ein niedrigeres Gewicht als sie gehabt habe, kann ich nicht älter als zehn gewesen sein. Sie hat mir übrigens dazu gratuliert, aber ich habe auch den Eindruck, daß sie sich dadurch auch herausgefordert fühlt. Seit dem Frühjahr, als sie selbst mit 84 Kilo ihr All-time-Höchstgewicht erreicht hatte, während ich mit 84,5 auf einem neuen Tiefstgewicht war, rivalisieren wir ja ein bißchen um unsere Abnahme. Mal hatte sie die Nase vorne, mal ich. Also mal sehen, wann sie nachziehen wird. Falls sie ihr Gewicht auf unter 73,5 Kilogramm runterdrücken kann, wäre sie vor weiteren Unterbietungen durch mich jedenfalls sicher. Ich bin gespannt, ob ihr das Anreiz genug ist, den alten Zustand wiederherzustellen, in dem es normal war, daß ich mehr wiege als sie.

Dieses lange Fastenintervall war teils normal, teils kurios. Das Fasten als solches war total normal, auch der fünfte Tag machte mir keinerlei Probleme, ich fühlte mich prima und hatte null Bedürfnis nach Essen. Das war jetzt aber schon mein sechstes langes Fastenintervall in Folge, in dem der "flotte Otto" stur bis zum Freitag ausgeblieben ist, obwohl es diesmal ab Donnerstag in meinem Gedärm merklich grummelte, aber dabei blieb es dann halt. In der Nacht auf heute bin ich dann kurz nach Mitternacht aufgewacht und hatte einen Wadenkrampf aus der Hölle, und dummerweise hatte ich auch noch verpeilt, mir eine Flasche Sprudel griffbereit zu stellen. Das war diesmal ein richtig fieser Krampf, er ging manchmal kurz weg, kam aber nach ein paar Sekunden dann in gleicher Stärke wieder - eines der Anzeichen dafür, daß er von Wassermangel herrührt -, und die Krampfphasen waren erheblich länger als die Pausen. Der Schmerz war so intensiv, daß mir trotz der Kälte der Schweiß ausgebrochen ist, und ich mußte minutenlang stehenbleiben und mich am Pfosten unseres Himmelbetts festhalten, weil ich so unsicher auf den Beinen war und Angst hatte, einfach zusammenzuklappen. Irgendwie schleppte ich mich dann doch noch in die Küche und verbrachte die nächste Viertelstunde am Spülbecken, wo ich mir panisch ein Glas Wasser nach dem anderen einschenkte und herunterkippte, bis einfach nichts mehr in mich hineinging, und nach ein paar Minuten - die mir freilich endlos vorkamen - löste sich der Krampf dann doch noch endgültig und ich sank schweißgebadet auf den Küchenstuhl. Aber dann grummelte es stattdessen auf einmal ohne Vorwarnung sehr heftig im Gedärm und ich mußte nun doch noch notfallmäßig "für kleine Bloggerinnen". Da wußte ich, was der Grund für den Krampf gewesen war, bei mir hatte der Darmtrakt zusätzlichen Bedarf an Wasser angemeldet, und das fehlte dann halt in den peripheren Körperteilen, und dann reichte eine unvorsichtige Bewegung, um einen Krampf auszulösen.

So ein bißchen machte ich mir Sorgen, daß mir das im Lauf der Nacht noch einmal passieren könnte, aber es passierte dann glücklicherweise nichts mehr, und heute war eigentlich alles ganz normal. Ich war vormittags ausgiebig einkaufen, vom Discounter bis zum Wochenmarkt, was ich sonst eigentlich nie samstags mache, aber mein Mann arbeitet heute und da habe ich nicht den üblichen Tagesrhythmus, und am Donnerstag paßte es mir einfach schlecht in meinen Tagesablauf. Auch unterwegs hatte ich keine Probleme, vermutlich, weil ich vorsichtshalber erst nach dem Heimkommen meine erste Mahlzeit zu mir genommen habe. Das verringert nämlich das Risiko, daß ich auf einmal ganz schnell unterwegs eine Toilette finden muß.

In jedem Fall bin ich weiterhin einigermaßen "on track", obwohl ich mich von meinem Zwischenziel, noch dieses Jahr erstmals die 73,5 als Nachher-Wert zu sehen, möglicherweise doch mal verabschieden sollte, denn ich glaube nicht mehr daran, daß das zum Ende des nächsten langen Fastenintervalls etwas wird. Ein Rest Hoffnung besteht deshalb noch, weil wir heute beschlossen haben, Low Carb, anders als zunächst geplant, noch um eine Woche zu verlängern. Wir werden also in der ersten Dezemberwoche noch weiter Low Carb essen und mal sehen, das direkt daran anschließende letzte lange Fastenintervall des Jahres bringt vielleicht ja doch noch am Freitag die heißersehnte Zahl 73,5 auf der Waage.

Eigentlich war es mein Mann, dem die Sache mit sechs Wochen überraschend doch ein bißchen zu kurz gewesen ist. Im Moment kann ich mir diese Zusatzwoche selbst aber auch gut vorstellen, ich habe nämlich - anders als letzten Herbst - noch überhaupt keinen Schmacht auf eine meiner bevorzugten Kohlehydrat-Bomben und außerdem noch etliche Low-Carb-Rezepte in petto, die ich vor dem Ende der LC-Zeit noch machen wollte, und die Zeit wird langsam ein bißchen knapp dafür. Daß ich meine Essenspläne für heute umgeworfen habe, macht dieses Zeitfenster noch kleiner. Mein kulinarisches Kopfkino hat mir gestern abend so lecker aussehende Visionen von Linsenwaffeln vorgespielt, die ich mit Schinken und Käse gefüllt noch einmal in den Backofen schiebe, und dazu einen Geflügelsalat und einen Eiersalat, schön auf Salatblättern angerichtet, daß mir kaum etwas anderes übrigblieb, als meine Pläne entsprechend zu ändern, und das war auch gut so, denn wir waren beide vom heutigen Abendessen sehr angetan.

Beim Weihnachtsgebäck bleibe ich aber auch über die Feiertage bei Low Carb, das hat sich nach zwei Jahren schon zu einer von der ganzen Familie geliebten Tradition entwickelt, und neulich erst hat mir meine zöliakiekranke Schwägerin am Telefon wieder davon vorgeschwärmt. Sie hat mich auf diesen Gedanken überhaupt gebracht, ich fand es nämlich immer ein bißchen traurig, daß sie sich immer ein eigenes kleines Tellerchen mit Weihnachtgebäck richten mußte, das sie verträgt, während die anderen über die normalen Gutsle aus einem gemeinsam Teller mitten auf dem Tisch herfallen, und so kam mir der Gedanke, daß Low Carb ja immer glutenfrei ist. Also warum nicht alles Low Carb machen, und dann kann sie auch unbesorgt über den Teller mitherfallen? Mein Keto-Lebkuchen war ja schon vor zwei Jahren so gut angekommen, und die anderen Sachen, die ich letztes Jahr gebacken habe, dann ebenfalls - und meine Mutter ist ganz froh, wenn sie sich nicht mehr selbst um die Weihnachtsbäckerei kümmern muß, während meine Schwester ihr so viel anderes abnehmen muß, daß sie gar keine Zeit dafür finden kann. Also mache ich das jetzt, und ich mache es in Low Carb. Meine Schwägerin hat letzte Weihnachten mindestens fünfmal ganz ungläubig gefragt, ob sie das alles wirklich auch essen könne, aber nachdem ich ihr von jeder einzelnen Sorte die Zutaten aufgezählt hatte, hat sie reingehauen, als lägen vierzehn Tage Fasten vor ihr. Ich habe mich gefragt, wo dieses zierliche Persönchen solche Mengen hingesteckt hat, denn ich habe höchstens die Hälfte geschafft.

Also mache ich das mit dem Weihnachtsgebäck jetzt immer so. Wenn man bedenkt, daß ich, bevor ich 2019 meinen Gasherd durch ein Modell mit E-Backofen ersetzt habe, zu Weihnachten nie gebacken habe, habe ich es ganz schön weit gebracht. :-)

Meine erste Ladung Keto-Lebkuchen für dieses Jahr habe ich heute morgen, noch bevor ich aus dem Haus ging, gebacken, und obwohl ich mit dem Ergebnis nur zu 90 Prozent zufrieden bin (gerade nasche ich die leicht angebrannten Randstreifen), schmecken sie doch wieder unheimlich gut. Was mich wundert, ist, daß sie diesmal flacher als letztes Jahr geworden sind, obwohl ich doch dasselbe Rezept mit denselben Mengen und auch dasselbe Blech verwendet habe. Die doppelte Menge wäre wohl zu viel, aber ich glaube, ich werde die Mengen auf das Anderthalbfache umrechnen müssen.

Ich habe schon ewig nichts mehr hier geschrieben. Ich bin zur Zeit nämlich weiterhin ein bißchen verpeilt, im Moment, weil ich an einer größeren Aufgabe sitze, die zu unterbrechen mir immer richtig schwer fällt, und wenn ich es mache, weil halt doch dies oder das sofort eingeschoben werden muß, das absolut nicht vermieden werden kann, bringe ich die nötige Konzentration nur mit viel Mühe und Überwindung auf. So ist auch mein montägliches Fastenbeginn-Posting durch den Rost gefallen. Das lag aber auch daran, daß ich gedanklich viel mit einem Thema beschäftigt war, das sich beim besten Willen nicht auf die Länge eines Blogbeitrags eindampfen ließ. Versucht hatte ich das, und zwar schon letzte Woche, aber das habe ich dann aufgegeben, weil das eher eine 300-Seiten-Abhandlung geworden wäre. Mir fehlte die Konzentation, mir stattdessen was anderes zu überlegen.

Heute habe ich aber etwas, worüber ich unbedingt etwas schreiben wollte, nur muß ich dafür erst mal einen langen erklärenden Anlauf nehmen. Das sprengt den Rahmen eines Blogbeitrags, also habe ich entschieden, die Sache auf mehrere Beiträge zu verteilen. Ich hoffe, zwei reichen aus, aber als dritter Streich kommt dann irgendwann auch noch eine Buchrezension, wobei ich das zugehörige Buch im Moment noch gar nicht habe, es ist erst bestellt. Und heute muß ich mich außerdem auf den einleitenden Anlauf beschränken.

Ich will nämlich zunächst erklären, wie ich eigentlich vorgehe, wenn ich versuche, mir ein Urteil über irgendwas zu bilden, und das gilt im Prinzip von der kleinen Einzelentscheidung im Privatleben bis zur großen Weltpolitik (und natürlich auch im Bereich Ernährung oder Krebs). So ein bißchen spielt dabei mit rein, daß ich vor Jahren einmal ein Buch gekauft habe mit dem Titel "Selbst denken". Autor war Harald Welzer. Es stellte sich beim Lesen allerdings heraus, daß der Autor keinesfalls will, daß seine Leser lernen, von ihrem Denkapparat einen besseren Gebrauch zu machen. Vielmehr hatte er selbst allerlei gedacht, und das sollten sie nun einfach übernehmen und in die Praxis umsetzen. Das hat mich damals geärgert, obwohl das Buch eigentlich noch nicht mal uninteressant war, weil der Titel ein solcher Etikettenschwindel war.

Hier kommt sie also, die Anleitung zum Selbstdenken, vielleicht erweist sie sich ja für den einen oder anderen als nützlich. Dazu braucht man ja nicht unbedingt einen Harald Welzer, eine Perditax reicht vielleicht ja schon aus.

Vieles von dem, was jetzt folgt, habe ich schon in früheren Blogbeiträgen erwähnt, aber meistens nur so nebenbei. Dies ist mein erster Versuch, mein intuitiv entwickeltes Verfahren - das ich erst in den letzten Monaten überhaupt als ein immer nach demselben Muster angewandtes Verfahren erkannt habe - strukturiert wiederzugeben und in einen Zusammenhang zu bringen. Entstanden ist es aus früheren eigenen Fehlurteilen. Ich kann es nämlich gar nicht leiden, mich zu irren, und so will ich dann immer unbedingt wissen, an welcher Stelle ich den entscheidenden Denkfehler gemacht habe, um ihn künftig besser vermeiden zu können. 

Der Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Einsicht, daß ich immer nur unvollständig informiert bin und daran auch nichts Grundsätzliches ändern kann. Auch nicht durch Auskunft von erfahrenen Experten, denn auch wenn sie über Fachkenntnisse verfügen, die mir fehlen, und sogar dann, wenn sie besten Willens sind, richtig zu informieren, wissen sie über die Ursachen und Wirkungen meistens längst nicht so gut Bescheid, wie uns das gerne weisgemacht wird, sondern stochern nur auf einem höheren Level im selben Nebel wie unsereins. Tatsächlich hat man es in vielen Bereichen, in denen man zu einem Urteil kommen möchte, mit so vielen Unbekannten zu tun, daß man es akzeptieren muß, daß man eine Blackbox vor sich hat. Mein Ansatz in solchen Fällen besteht darin, nicht so viele Details wie möglich wissen zu wollen, sondern herauszufinden, welcher Teil dessen, was ich bereits weiß (oder noch nicht weiß, aber herausfinden kann), gewissermaßen "systemrelevant" ist, also das gesamte Gedankengebäude nicht funktionieren würde, wenn die Sache anders wäre. 

Ich glaube, bei Nassim Nicholas Taleb habe ich erstmals den Begriff "Heuristik" für das gelesen, was ich mir - noch ohne Kenntnis dieses Begriffs - da im Lauf der Zeit angewöhnt habe. Eine Heuristik ist eine Art Daumenregel, ähnlich, wie man mit einer vereinfachten Überschlagsrechnung feststellen kann, ob eine Rechnung von vornherein gar nicht stimmen kann oder grundsätzlich im Rahmen des Erwartbaren ist. Eine ausführlichere Definition des Begriffs "Heuristik" kann man hier nachlesen.

Meine Heuristik funktioniert ungefähr so: 

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen beurteilen? Als Beispiel fällt mir diese Semaglutid-Studie ein, über die ich kürzlich schrieb, in der die Kontrollgruppe einen ganz anderen Verlauf nahm als in anderen Studien bei einem vergleichbar hohen Kaloriendefizit von 500 Kalorien. Ich brauche kein Hochschulstudium, um zu erkennen, daß hier die Kurve nicht so verläuft wie in anderen Studien mit vergleichbarem Kaloriendefizit, und da niemand sich bemüßigt hat, diesen merkwürdigen Verlauf zu begründen, traue ich dieser Studie jetzt nicht mehr.
  • Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann? Idealerweise müßte es ein Faktor sein, dessen Vorhandensein oder Nichtvorhandensein entscheidend dafür ist, wie das Urteil ausfällt. Dazu fallen mir die beiden gleich konzipierten Ernährungsstudien von Kevin Hall ein, einmal hochverarbeitet vs. unverarbeitet und die andere Low Carb vs. Low Fat. Die Hochverarbeitet-Gruppe und die Low-Carb-Gruppe haben ähnlich viele Kalorien zu sich genommen, aber die erste Gruppe nahm zu und die zweite ab, und das stellt die Kalorienlogik in Frage, auch wenn der Autor das entweder nicht bemerkt hat oder es nicht für opportun hält, es anzusprechen. 
  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre? Im Fall der Kevin-Hall-Studien ja, denn wenn die Kalorienlogik fehlerhaft ist, sind kalorienbasierte Gewichtsreduktionsmethoden falsch.

Das unterstützt mich dabei, mich von der üblichen medialen Kakophonie einander widersprechender reißerischer Meldungen nicht verunsichern zu lassen. Die einzigen Fragen, die ich mir zu einem Medienbericht stellen muß, der die Sache anders darstellt und ein anderes Vorgehen empfiehlt, als ich das erwartet hätte, lauten: 

  • Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn ich ein anderes Ziel für richtig halte, kann mir eigentlich auch egal sein, ob der Weg, den er für richtig halten würde, wirklich zu dem von ihm befürworteten Ziel führt.
  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag.

Es kommt nur recht selten vor, daß ich alle drei Schritte vornehmen muß, und noch seltener muß ich mein Urteil im Anschluß überdenken und eventuell ganz oder teilweise revidiere. Aber vorkommen kann das natürlich schon, und da ich gesteigerten Wert darauf lege, mich nicht durch Wunschdenken zu Fehlannahmen verführen zu lassen, ringe ich mich dann, wenn auch manchmal zähneknirschend, dazu durch, meine eigene Position zu korrigieren.

Zwei Beispiele dafür, wie ich auf dieser Basis zu Urteilen komme: 

Gazastreifen

Greta Thunberg ist nicht die einzige ihrer Generation in unseren westlichen Gesellschaften, die gerade für Palästina demonstriert, und ich habe relativ beiläufig meinem Erstaunen (und ebenso meinem Ekel) darüber Ausdruck verliehen. Dabei lag meine Heuristik zugrunde. 

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen (bzw. in diesem Fall als Außenstehende aus der Ferne) beurteilen?

Wer den Krieg im Gazastreifen ausgelöst hat: Es war die palästinensische Terrorgruppe Hamas, die im Gazastreifen ein autokratisches Regime führt, mit ihrem terroristischen Überfall vom 7. Oktober. Es ist irritierend, ständig Demos mit Transparenten zu sehen, auf denen der Eindruck erweckt wird, Israels Angriff auf den Gazastreifen sei mehr oder weniger unprovoziert oder der Angriff sei berechtigt oder wenigstens verständlich und verzeihlich gewesen. Egal, ob Palästinenser Gründe haben, Israel zu bekämpfen, oder ob dies nicht der Fall ist: Was am 7. Oktober geschah, war eindeutig nicht berechtigt. Angriffe auf ahnungs- und wehrlose Zivilisten, sie zu töten oder als Geiseln zu verschleppen, ist nach allen ethischen Maßstäben der Welt und unter allen denkbaren Voraussetzungen verwerflich.

  • Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann? 

Greta Thunberg und andere haben als zentrale Forderung "Free Palestine", was im Kontext nicht viel Sinn ergibt; begreiflicher wäre es, wenn die Transparente und Sprechchöre den Schutz der Zivilisten im Gazastreifen fordern würden; das klingt zwar immer auch mit an, ist aber nur ein Nebenthema. Stattdessen wird vorrangig für die Palästinenser ein eigener Staat gefordert.

Ist das aber wirklich ein wünschenswertes Ziel?

Angenommen, dieser Staat käme zustande, gäbe es die Hamas immer noch, und da sie aktuell zwar im Gazastreifen regiert, aber nicht im Westjordanland, dem zweiten Teil der palästinensischen Autonomiegebiete, sehe ich zunächst mal einen ausgewachsenen Bürgerkrieg auf den frischgebackenen Palästinenserstaat zukommen. Die Hamas sind eine Terrororganisation und die Regierung Abbas im Westjordanland ist korrupt und auch sonst auch nicht so viel besser. Welche Freiheit dabei für Normalpalästinenser herauskommen soll, erschließt sich mir nicht so recht.

Dann handelt es sich bei "Free Palestine" um eine unpräzise Forderung, denn damit kann ein Palästina neben Israel, aber auch eines anstelle von Israel gemeint sein. Es fällt auf, daß die Unterstützer dieser Forderung nicht verdeutlichen, welche Version davon gemeint ist, und die zweite ist von vornherein inakzeptabel, während die erste nur unter den aktuellen Voraussetzungen schlecht wäre. Für Israel sowieso, aber so richtig prickelnd wäre es auch für die Palästinenser selbst nicht. 

Daneben wird außerdem ein sofortiges Ende des Krieges im Gazastreifen verlangt.

Erklärtes Ziel des Krieges im Gazastreifen ist es laut israelischer Regierung, die Hamas auszuschalten, eine islamistische Terror-Organisation, die im autonomen Gazastreifen einmal demokratisch gewählt worden war aber seitdem ein autokratisches Regime führt und alle politischen Gegner ausgeschaltet hat. Ein spezielles Interesse daran, die Zivilbevölkerung zu schädigen, besteht für die israelischen Streitkräfte im Prinzip nicht, aber dies ganz zu verhindern, ist natürlich von vornherein nicht möglich, und in jedem Krieg kommen immer auch nicht akzeptable Übergriffe gegen Zivilisten vor. Das läßt sich nicht vollständig verhindern, man kann es aber minimieren, indem die militärische Führung streng darauf achtet, Übergriffe auf Zivilisten zu unterbinden und ggf. zu bestrafen. Ob dies wirklich geschieht, darf und sollte man auch von außen kritisch beobachten und im Zweifelsfall anmahnen.

Die Wahl ist hier aber keine zwischen Krieg und Frieden, sondern, welche der beiden Zivilbevölkerungen, Israels und des Gazastreifens, den höheren Anspruch auf den bestmöglichen und welche nur auf den gerade beschriebenen zweitbestmöglichen Schutz hat. Denn klar ist, eine von beiden Bevölkerungen muß in jedem Fall zusätzliches Leiden hinnehmen, das nur verhindert werden kann, indem sie halt der anderen aufgebürdet werden. Führt Israel Krieg, leidet die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Verzichtet es darauf, können die Terroristen den Gazastreifen weiter als Basis für Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung nutzen, und es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie dies dann auch tun werden. Wer ein Ende der Kriegshandlungen fordert, verhindert damit nicht tote Zivilisten, er verschiebt sie lediglich auf die andere Seite der Grenze.

Letztlich hat die israelische Regierung ihrer eigenen Bevölkerung gegenüber, die zu schützen zu ihren zentralen Aufgaben gehört, aber erkennbar die vorrangige Pflicht. Das ist so eindeutig, daß ich es, glaube ich, nicht weiter begründen muß, es wäre bei jeder Regierung der Welt gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung so.

Die weltpolitischen Aspekte klammere ich hier einmal aus, weil das uferlos wäre. ;-)

  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre?

Ja, aus all dem ergibt sich, daß der Fortbestand bzw. die weitere Einsatzfähigkeit der Hamas der Schlüsselfaktor ist, auf dem es ankommt: Bleibt sie intakt, wird sie Israel weiter bedrohen. Damit ist ein freier palästinensischer Staat für den Moment halt leider vom Tisch. So etwas würde nur ohne einen maßgeblichen Einfluß der Hamas einen Sinn ergeben. Das Ziel, die Hamas als Organisation zu beseitigen oder wenigstens so zu schwächen, daß sie künftig nicht mehr diese Schlüsselrolle spielen kann, ist also richtig. Ob die gewählten Mittel dazu tauglich sind, kann zwar nur die Zukunft zeigen, aber andere Optionen werden im Moment nirgends diskutiert, da die Vorkämpfer der Palästinenser sich mit der Rolle der Hamas gar nicht auseinandersetzen und deshalb auch keine Vorschläge dafür machen. Falls es bessere Mittel geben sollte, müßte sie aber vorschlagen. Mir freilich fallen keine ein. Begeisterung für einen Krieg bringe ich nicht auf, aber mir fehlen im vorliegenden erkennbare bessere oder wenigstens ungefähr gleich wirksame Alternativen.

  • Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn nicht, kann mir eigentlich auch egal sein, ob sein Weg wirklich zu diesem Ziel führt. 

Ich habe keine Ahnung, welches der beiden möglichen Ziele von "Free Palestine" Frau Thunberg meint, allerdings machen viele palästinensische Demonstranten sowie andere aus muslimischen Ländern (diese Gruppen stellen die Mehrheit der Demonstranten) kein großes Geheimnis daraus, daß sie ein Palästina "von der Maas bis an die Memel" meinen. Dieses letztere Ziel setzt eine Beseitigung des Staats Israel nebst seiner Bürger voraus und ist aus ethischen wie völkerrechtlichen Gründen per se nicht unterstützenswert. Warum ich die andere Variante für den Moment auch nicht unterstütze, hatte ich weiter oben begründet. 

Die beiden letzten Punkte

  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag. 

 waren nach dieser Feststellung nicht mehr zu prüfen, da sie bei falscher Zielstellung gegenstandslos sind. 

Corona: 

Schon in der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 traten mit wenigen Wochen Verzögerung Kritiker auf, die behaupteten, Corona gäbe es gar nicht, es sei nicht schlimmer als eine Grippe und würde sowieso nur alte und schwerkranke Menschen töten - drei Punkte, die einander nicht nur widersprechen, sondern auch auf unterschiedliche Weise falsch sind, auf die ich hier aber nicht eingehen werde.

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen beurteilen? 
 Die Exponentialfunktion.

Immer wieder wundere ich mich darüber, daß andere Leute die Sache mit dem exponentiellen Wachstum so häufig übergehen und sie nicht einmal zu verstehen scheinen. Das wundert mich auch deshalb, weil ich das exponentielle Wachstum schon in meiner Kindheit kennenlernte. Das erste Mal las ich davon in einer Comiczeitschrift während meiner Grundschulzeit, ich kann nicht mehr sicher sagen, ob das Disneyland, Fix und Foxi, Primo oder vielleicht doch irgendetwas ganz anderes war. Darin jedenfalls kam die Geschichte von dem Schachbrett vor, und die hat mich so fasziniert, daß ich aus unserer Spielesammlung das Schachbrett herausgeholt, ausgeklappt und die Sache mal selbst ausprobiert habe. Ich habe nicht einmal die erste Reihe der Felder vollgekriegt, weil die Reiskörner schon da am Ende nicht mehr auf ein Feld gepaßt haben, und nach den acht Feldern der ersten Reihe kamen ja noch 56 weitere ... Ich mußte aber nicht weitermachen, um damit einen sehr anschaulichen Begriff von exponentiellem Wachstum bekommen zu haben. Daß die gesamte Reisernte nicht ausgereicht hätte, um das letzte Feld zu füllen (angenommen, es enthielte ein Faß ohne Boden, in das besagte Reisernte gepaßt hätte), leuchtete mir schon nach der Entwicklung auf acht der 64 Felder völlig ein, ohne daß es exakter Zahlen dafür bedurft hätte. 

Bei einer Infektionskrankheit ist der Verlauf natürlich ein bißchen anders als in dieser Schachbrettgeschichte. Es ist von Zufällen abhängig, wieviele andere Personen ein Infizierter ansteckt, also kann die Ausbreitung schneller oder langsamer als in diesem Schach-Modell sein. Und ab einem gewissen Punkt sinkt das Ansteckungsrisiko wieder, weil Folgeinfektionen für bereits einmal Erkrankte zwar möglich, aber doch seltener als bei noch nie Infizierten sind. Aber es funktioniert grundsätzlich nach demselben Prinzip.

Das Problem speziell bei exponentiellem Wachstum besteht darin, daß der größte Teil der Infektionsfälle, der Erkrankungs- und der Todesfälle innerhalb einer ziemlich kurzen Zeitspanne zu erwarten ist.

Noch einmal zurück zum Schachbrett: Auf Feld 16 von 64 am Ende der zweiten Reihe lagen 32.768 Reiskörner; für ein Schachbrett sehr viel, aber für eine Infektionswelle in ganz Deutschland noch überschaubar. Auf Feld 24 am Ende der dritten Reihe, also acht Felder weiter, waren es aber 17 Millionen Reiskörner. Wenn wir jedes Feld als eine Woche betrachten (als Überschlagsrechnung, damit die Sache möglichst einfach bleibt), wäre also bei einem Durchlaufenlassen der Epidemie nach dem "Patienten 0" und einer angenommenen Verdopplung der Erkrankungszahlen die ersten 16 Wochen lang die Sache noch halbwegs überschaubar, aber danach wird mit jeder weiteren Woche die Lage kritischer, und in Woche 24 ist damit zu rechnen, daß im ganzen Land schlicht nichts mehr funktioniert, weil ein zu großer Teil der Bevölkerung gerade mit Corona flachliegt. Das entspricht natürlich nicht allen 17 Millionen Infizierten, aber es sind doch zu viele, um nicht die grundlegenden Alltagseinrichtungen von der Wasser- und Energieversorgung bis zu ausbleibenden Lebensmittellieferungen zu beeinträchtigen oder ganz lahmzulegen. Denn natürlich muß man zu den jeweiligen Neuinifizierten einer Woche noch die "immer noch Kranken" der Vorwochen hinzuaddieren.

Erschwerend kommt hinzu, daß unser auf die falschen Ziele optimiertes und kaputtgespartes Gesundheitssystem schon einige Wochen vorher nicht mehr funktionsfähig sein würde. Zu den Coronatoten kämen deshalb noch Todesfälle durch eigentlich behandelbare Krankheiten, aber auch Unfälle, für die zu wenig Behandler zur Verfügung stehen. Schlimmstenfalls kämen ab einem bestimmten Punkt auch noch weitere Todesfälle durch ausgefallene Infrastruktur hinzu, bis hin zu Mangel an Nahrung und Wasser, falls die Versorgung in manchen Regionen besonders schlecht klappt.

Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen wäre bei einer Verdoppelung wie auf dem Schachbrett ungefähr in Woche 25 der Höhepunkt der Infektionswelle erreicht und danach nähmen Infektionen wie Erkrankungsfälle wieder ab, die Todesfälle folgen mit etwas Zeitverzögerung. Für einen Zeitraum von einigen Wochen vor und nach diesem Höhepunkt muß man allerdings mit etwas ähnlichem wie postapokalyptischen Zuständen rechnen, und auch wenn sich eine Gesellschaft von so einer vorübergehenden Situation auch wieder erholen können sollte, läge es doch näher, es zu vermeiden versuchen.

Das alles sind realistische Annahmen für den Fall, eine Regierung entscheidet sich, gar keine Gegenmaßnahmen gegen eine Corona-Welle innerhalb einer Bevölkerung ohne Grundimmunisierung vorzunehmen, und mir kommt es auch nicht darauf an, ob es in der Praxis - je nach der tatsächlichen Geschwindigkeit der Ausbreitung, denn die Verdoppelung ist ja nur eine vereinfachende Berechnungsgrundlage - doch ein bißchen anderes verlaufen würde, denn die Abweichungen würden nichts daran ändern, daß wir auf einen Höhepunkt mit astronomischen Erkrankungszahlen und dann für geraume Zeit ziemlichj katastrophale Zustände hätten. Das ist keine "Regierungspropaganda", sondern praktisch angewandte Mathematik. (Meine Fresse, wenn das meine einstige Mathelehrerin erleben könnte, die mich immer für einen hoffnungslosen Fall hielt ...)

Maßnahmen sind also grundsätzlich zu befürworten, mindestens um das Infektionsgeschehen so zu verlangsamen, daß es nicht zu diesen Höhepunkt-Wochen samt ihrer Folgen kommt. Wenn keine bessere Möglichkeit besteht, ist es sogar besser, dieselbe Zahl von Todesfällen hinzunehmen, wenn sie sich nur zeitlich so verteilen, daß alles halbwegs funktionsfähig bleibt. Die Maßnahmen können auf unterschiedliche Weise geschehen, die verschiedene Vor- und Nachteile haben: Je mehr infektionsverhinderndende Maßnahmen getrofffen werden, desto unbequemer wird das Leben, je weniger, desto mehr Menschen erkranken und desto mehr Erkrankte sterben. Wie man das entscheidet, ist eine Frage der Prioritäten. In einer Gesellschaft, in der gerne so getan wird, als wäre der Tod als solcher vermeidbar, liegt es dann nahe, den Leuten das Leben zunächst lieber sehr viel unbequemer zu machen, wie das in der ersten Coronawelle dann auch geschah. Aber wir sind auch keine Gesellschaft, die einen besonders langem Atem hat, und so glaubte man in der Politik, als der Sommer eine Besserung bei den Infektionszahlen brachte, so etwas den Leuten nicht noch einmal zumuten zu können, und spekulierte darauf, das Schlimmste sei überstanden. Als Folge war die zweite Coronawelle schlimmer als die erste, weil der richtige Zeitpunkt für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen verpaßt worden war. 

Das exponentielle Wachstum und dessen Wirkung war auch der Grund, warum die Wachstumsraten in der Coronazeit vor allem im ersten Jahr so sorgfältig beobachtet wurden. Auf dem Schachbrett geht es um einen Faktor 2, also eine Verdoppelung innerhalb einer vorgegebenen Zeit. Bei Corona wurde immer noch einmal weiter gegengesteuert, wenn der Faktor 1 deutlich überschritten wurde - also eine deutliche Zunahme der Zahl der Infizierten zu erwarten war. Das diente dem Ziel, das ich gerade beschrieben habe, und es fand deshalb meinen Beifall.

  •  Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann?

Mit "Annahme" ist hier ein Sammelsurium ganz unterschiedlicher Behauptungen und vermeintlicher Belege gemeint, warum Corona nicht oder nicht auf die tatsächlich erfolgte Weise bekämpft werden müßte. Ein Teil wirkt auf den ersten Blick plausibel. Das kommt meistens daher, daß die Zahlen, mit denen sie untermauert wurden, nicht mehr aktuell waren. Das Infektionsgeschehen ließ sich nur mit einer gewissen Zeitverzögerung abbilden, weil zwischen Ansteckung und nachgewiesener Infektion oder Krankheitsausbruch einige Tage vergingen. Das heißt, die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen bildete das Ansteckungsgeschehen von einigen Tagen vorher ab, und in den Tagen dazwischen konnte sich die Zahl der Neuansteckungen erheblich verändert haben. Wer mit Zahlen daherkam, die älter waren als maximal eine Woche, arbeitete mit Daten, die längst von der Realität überholt waren, und das war der Regelfall bei den Kritikern der Coronamaßnahmen. Damit waren ihre Behauptungen häufig von vornherein gegenstandslos.

  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre? 
Das hängt davon ab, wie wichtig man die mit zunehmender Infektionszahl einhergehenden Erkrankungsfälle sowie den Teil der schweren Erkrankungen und Todesfälle nimmt, und das kann man schon unterschiedlich sehen. Daß in der Politik der Eindruck vermittelt wurde, man müsse unbedingt jeden einzelnen irgendwie vermeidbaren Todesfall verhindern, hat mehr mit einer Art von Machbarkeitswahn in jener Frage zu tun als mit realistisch erreichbaren Zielen. Es war allerdings eine logische Folge der Grundgedanken der gesamten Präventionspolitik der vorausgegangenen ca. zwei Jahrzehnte, auch wenn dabei zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein Abgrund klaffte und man sich gerne auf symbolpolitischen Theaterdonner beschränkte. Freilich, auch Schweden hat seinen liberaleren Kurs nicht mehr durchgehalten, als die erste Coronawelle dort für besonders hohe Todesfallzahlen sorgte. In späteren Wellen fuhr Schweden dann hingegen besser als viele andere Länder, aber später war Schwedens Herangehensweise auch nicht mehr so viel anders als die anderer Länder, auch wenn das nicht an die große Glocke gehängt wurde.
 
Richtig war es zweifellos, ein exponentielles Wachstum verhindern zu wollen, solange in der Bevölkerung keine Grundimmunität bestanden hat. Ich bin ja ein scharfer Kritiker der Auswüchse in den staatlichen Steuerungsbemühungen im Gesundheitsbereich, wenn sie in den privaten Bereich der Bürger eingreifen wollen. Aber die zu rasche Ausbreitung einer neuen Infektionskrankheit, von der man weder weiß, wie man sie behandeln kann, noch einen Impfstoff gegen sie hat, die also fast die gesamte Bevölkerung treffen wird und außerdem einen nennenswerten Teil der Infizierten töten oder dauerhaft invalide machen wird, zu bekämpfen, ist klar eine der echten Aufgaben staatlicher Gesundheitspolitik. Genau für so was haben wir ein Gesundheitsministerium. Dafür muß auch nicht jede der getroffenen Maßnahmen wirklich brillant gewesen sein, vor allem zu Anfang nicht, als noch so vieles über die Verbreitungsarten unklar war und man tatsächlich mit einem Teil der Maßnahmen über das Ziel hinausgeschossen ist. Damit meine ich vor allem Regelungen, die das Verhalten im Freien betrafen. Es gab schon damals Hinweise darauf, daß Infektionen im Freien in keinem Verhältnis zu denen in geschlossenen Räumen stehen, aber andererseits herrschte noch so viel Unsicherheit, daß ich es akzeptieren kann, daß man im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig tun wollte.

Die Situation hat sich geändert, seit der Großteil der Bevölkerung entweder über einen Impfschutz verfügt oder durch eine überstandene Erkrankung eine gewisse Grundimmunität erworben hat. Seitdem ist es meines Erachtens wieder im Bereich der Eigenverantwortung, sich dem Ansteckungsrisiko stärker oder weniger auszusetzen.
  •  Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn nicht, kann mir eigentlich auch egal sein, ob sein Weg wirklich zu diesem Ziel führt. 
Die Ziele der Coronakritiker waren immer ein bißchen nebulös, für mich hörte sich das jedenfalls immer ein bißchen an wie "Ich will wieder normal weiterleben", was aber in auch ohne Coronamaßnahmen unnormalen Zeiten so oder so kaum erreichbar ist, also hielt ich es für vertane Zeit, mich mit diesen Fragen überhaupt zu befassen. Mein Ziel bestand darin, das beschriebene exponentielle Wachstum so lange möglichst umfassend zu vermeiden, bis mit Folgen wie oben beschrieben nicht mehr zu rechnen war. Da sich selten Coronamaßnahmen-Kritiker überhaupt zu diesem Punkt geäußert haben, weiß ich nicht so recht, wie sie zu ihm standen. Ich habe aber den Verdacht, sie haben überhaupt nicht begriffen, wie zentral dieser Punkt war.
  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag.

Da schon bei der Frage der Ziele keine Übereinstimmung hergestellt wurde, waren die beiden Folgefragen auch in diesem Fall gegenstandslos.

***

So, das war eine leider überlange Einleitung, aber ich fand sie notwendig, weil die Sache, um die es mir eigentlich geht und die ich nun in den nächsten Blogbeitrag verschieben muß, auch für mich ein bißchen verzwickt ist. Ich bin nämlich in einer Art Zwickmühle: Es gibt da einen Autor, sogar mit Expertenstatus, der im Bereich Fasten und Low Carb fast aufs Haar genau das vertritt, was ich auch für richtig halte. Die Sache hat aber den Haken, daß ich trotz besagtem Expertenstatus Zweifel an seiner Seriosität bekommen habe. Eigentlich möchte ich wahnsinnig gerne, daß er in den einschlägigen Punkten recht hat, aber ihm nun einfach nur deshalb zu glauben, weil es halt so schön wäre, ihm einfach glauben zu können, widerspräche allem, was ich für richtig halte.

Verdammt, ich hasse solche Situationen wie die Pest. Unseriöse Leute sehe ich viel lieber auf der "Feind-Seite".

Apropos Pest. Den Grund für die beiden Beispiele weiter oben kann ich wenigstens noch kurz erklären. Gaza, Ursachen und Folgen sind das Thema, das mich gerade gedanklich so beschäftigt. Und Corona ... nun ja, falls Dr. Rainer Klement sich jemals in mein bescheidenes Blog verirren sollte, weil er neugierig darauf ist, was in diesem obskuren Blog irgendeiner alten Schachtel über ihn geschrieben habe, wird jedenfalls er bestimmt sofort wissen, warum ich ausgerechnet dieses Beispiel gewählt habe. 

Dienstag, 7. November 2023

Zum Miträtseln: Seit wann haben Kaloriendefizite nicht einmal mehr eine Kurzfrist-Wirkung?

Mein Gewicht heute früh am ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 79,1 Kilogramm. Die 80 scheint jetzt also Geschichte zu sein, und das hoffentlich auch auf Dauer, da ich das lange Fastenintervall nächste Woche ausnahmsweise auf fünf Tage ausdehnen will, um ganz sicher damit rechnen zu können, daß ich bis zum Ende der Low-Carb-Phase zum Monatswechsel die 80 deutlich genug unterschreiten werde, um sie auch im Dezember und Anfang Januar nicht mehr zu erreichen. Damit werde ich ab Anfang Januar wahrscheinlich eine Abnahme zu verzeichnen haben, die deutlich höher als zehn Kilogramm niedriger als zum Vorjahreszeitpunkt liegt. Aktuell sind es noch sieben Kilo, aber letztes Jahr war ja wegen der Chemo eine besondere Situation. Mal sehen, ob das dann bis zum Zielgewicht so bleibt. Eigentlich müßte es, falls es mir gelingt, bis spätestens im Mai 2024 bei 73,5 Kilogramm zu sein, denn diesen Mai wog ich noch über 84.

Die Low-Carb-Phase läuft weiter angenehm, ich habe noch kein einziges Mal 100 Gramm Kohlenhydrate überschritten, aber etliche Male deutlich unterboten. Eigentlich könnte ich also mit dem KH-Zählen wieder aufhören, das ich ja nur deshalb noch einmal in Angriff genommen hatte, weil ich mißtrauisch war und befürchtete, vielleicht in der Routine doch etwas zu lässig geworden zu sein. Aber das stellte sich als grundlos heraus, ich habe das Nötige ganz gut im Gefühl. Gestern gab es gefüllte Auberginen mit Keto-Knoblauchbrot und Salat, morgen mache ich panierten Blumenkohl (in einer Panade aus geriebenem Parmesan und zerstoßenen Schweinekrusten) und dazu endlich die Steckrüben-Bratkartoffeln, auf die ich schon sehr gespannt bin. Am Freitag probiere ich mal eine Bacon-Pizza aus (mit einem Boden aus "geflochtenen" Baconscheiben), die ich schon im Frühjahr hatte machen wollen, aber irgendwie kam ich dann nicht dazu. Und am Wochenende probiere ich, falls das Ergebnis mich beim Blumenkohl überzeugt hat, mal die Panade mit Schnitzeln aus, dazu mache ich Kartoffelbrei aus 50 % Kartoffeln und 50 % Kohlrabi. Die Rezepte werden mir bis Monatsende bestimmt nicht ausgehen. Eier in Senfsoße wollte ich eigentlich diese Woche schon machen, aber die brachte ich beim besten Willen nicht mehr unter ... 

Nach den Keto-Donauwellen in der ersten LC-Woche habe ich keinen Kuchen mehr gebacken, weil ich nach lange Zeit wieder die selbstgemachten Bountys entdeckt habe und danach die Joghurt-Gums, die ich beide mehrmals machen mußte, weil wir sie so gut fanden, und dazu noch geht beides ja auch sehr schnell. Aber ich glaube, morgen will ich nachmittags zum Kaffee endlich mal wieder was Gebackenes. Mir schwebt irgendeine Art von Muffins vor, mal sehen, nach welcher Geschmacksrichtung es mich morgen am meisten lüstet. Am Wochenende will ich dann mal wieder den mallorquinischen Mandelkuchen machen. Nächste Woche faste ich ja bis zum Freitag, aber ich glaube, danach sollte ich wohl auch schon am Wochenende mit der ersten Ladung Lebkuchen anfangen, auf die ich mich auch schon sehr freue. Letztes Jahr mußte ich dreimal ran, um auch an Weihnachten noch welche zu meiner Mutter mitnehmen zu können. 

Die Leute, die überzeugt davon sind, zum Abnehmen müsse man sich dauernd verkneifen, was man eigentlich gerne essen würde, können einem wirklich leid tun. Im Moment fehlt mir rein gar nichts, aber die Voraussetzung dafür ist natürlich, daß ich nur vorübergehend Low Carb esse. Irgendwann werden mir Brot, Spätzle und Bier schon wieder fehlen, aber im Moment bin ich dafür viel zu beschäftigt damit, alte LC-Lieblingrezepte zu wiederholen und neue auszuprobieren.

***

Nachdem meine gynäkologische Praxis meine E-Mail mit der Frage, ob die Sache mit dem Lymphödem an meiner rechten Brust eilig sei oder warten könne, nicht beantwortet hat, habe ich gestern persönlich dort vorgesprochen und die Auskunft bekommen, es habe bis zu meinem nächsten Nachsorgetermin in drei Wochen Zeit. Kein Problem damit, da ich die Sache ja durch den Kompressions-BH im Griff habe, aber das hätte man mir eigentlich ja auch kurz mailen können, denn der Aufwand bei persönlicher Vorsprache ist ja nicht nur für mich, sondern auch dort höher, und Mails kann man dann einschieben, wenn es gerade halbwegs paßt. Telefonisch habe ich diese Praxis, glaube ich, überhaupt noch nie erreichen können, aber diesmal habe ich es nicht einmal versucht. Eine der Damen in der Warteschlange vor mir erwähnte allerdings, daß sie vergeblich versucht hatte, anzurufen, und dann ebenfalls vorbeigekommen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich nur ein Ausdruck des Gesundheitsnotstands ist, oder auch etwas mit Defiziten in der Praxisorganisation zu tun hat.

Auf der Website der Praxis wurde darauf hingewiesen, daß in der Praxis weiterhin Maskenpflicht bestehe, aber als ich mit Maske eingelaufen bin, war ich mal wieder die einzige, die eine trug, und weil die Mitarbeiterin mich dann nicht gleich richtig verstanden hat, habe ich sie auch abgenommen.

Die Terminvereinbarung für die Impfung mußte ich allerdings verschieben, weil ich noch einkaufen mußte und die Arbeit daheim drängte und sicher auch, weil ich irgendwie in den letzten Tagen vieles nicht auf die Reihe kriege, was eigentlich gerade anliegt. Vielleicht haben die Defizite in der Praxisorganisation bei meinem Doc mich ja angesteckt. Das kommt davon, wenn man die Maske nicht aufbehält.

***

Und nun die Kurznachrichten aus meiner Twitter-Bubble:

Das Ärzteblatt berichtete über eine neue Studie, die Überraschendes über die Wirkungsweise des "Eibenscheiß", also Taxanen, in der Chemotherapie herausgefunden hat, denn mit der verhält es sich offenbar anders, als man die ganze Zeit angenommen hatte: Sie führen dazu, daß sich Krebszellen zwar weiter teilen, aber in abnormer Weise, weil der Eibenscheiß ihnen das Genom verspult. Die Tochterzellen verändern sich deshalb bei der Mitose (also der Zellteilung) und verlieren einen Teil ihrer DNA, anstatt daß die Zelle ihren Chromosomensatz verdoppelt und jeder Tochter als Mitgift übrläßt. Übersteigt der DNA-Verlust einen gewissen kritischen Wert - die Forscher gehen von einem Fünftel aus -, stirbt die neue Zelle ab.

Neue Therapieansätze mit dem Ziel, die Zellteilung bei Krebszellen zu verhindern, brachten bislang keine überzeugenden Ergebnisse. Nun will man sich darauf fokussieren, weitere Methoden zu finden, die Zellteilung bei Krebszellen in vergleichbarer Weise zu stören, damit bei ihr zwar Tochterzellen entstehen, die dann aber nicht überlebensfähig sind. 

***

Wirtschaftliche Verwerfungen durch Semaglutid? Klingt wie Satire, aber diese Wirkungen werden durch die Finanzredaktion der Tagesschau tatsächlich in gravitätischem Ernst erörtert. Gewinner wären nach deren Urteil die Hersteller der betreffenden Medikamente aber auch Klamottenproduzenten, und Airlines - nicht lachen, genau das ist die Prognose: niedrigeres Durchschnittsgewicht der Fluggäste = weniger Kerosin. Verlierer: Die Lebensmittelindustrie sowie sämtliche Anbieter anderer Abnehmprodukte, aber auch Hersteller von Pharmaprodukten für Adipositas- und Diabetes-Folgeerkrankungen, etwa Dialyse.

Wenn ich ergänzen darf: Auch Organspenden würden dann natürlich weniger benötigt werden. Aber die sind offenbar kein finanzredaktionell bedeutender Faktor. Falls es wirklich wie prognostiziert kommen sollte ... was ich aber sehr bezweifle.

Denn auch wenn ich an der Wirkung von Semaglutid eigentlich nicht zweifle, zeigt doch eine Studie, die über zwei Jahre lief, daß die Abnahme im Durchschnitt zwar länger anhielt, als man das bei andern Methoden gewöhnt ist: Es dauerte 68 Wochen, bis die Sache in ein Plateau mündete, das bis zum Ende des zweiten Jahres allerdings eine leichte, aber dennoch erkennbare Tendenz nach oben zeigte. Aber das deutet schon darauf hin, daß die Abnahmewirkung im zweiten Jahr an ihre Grenzen stößt, und wie geht es dann ab Jahr 3 weiter? 

Hinzu kommt außerdem, daß - siehe den rechten Teil der Grafik - fast einem Viertel der Semaglutid-Gruppe eine Abnahme von mehr als 5 % des Ausgangsgewichts (das entspricht im Durchschnitt ein bißchen mehr als fünf Kilogramm) nicht gelungen ist. Es gibt also auch hier eine starke Minderheit, bei der Wirkung schon früher oder von Anfang an weitestgehend ausbleibt.

Als ich dann durchlas, wie ich mir die genaue Vorgehensweise bei dieser Studie eigentlich vorzustellen hatte, fiel ich fast vom Stuhl, denn daß die Sache mit einer 500-kcal-Energierestriktion plus zusätzliche Bewegung verbunden worden war, hatte ich bislang gar nicht gewußt. Die ganze Zeit hatte ich angenommen, es wäre die reine Wirkung von Semaglutid und einem Placebo verglichen worden. 

Angesichts dieses Kaloriendefizits erscheint es mir aber sehr eigenartig, daß es in den ersten sechs Monaten in der Kontrollgruppe zu fast gar keiner Gewichtsabnahme gekommen sein soll. Viel typischer wäre nämlich für das erste halbe Jahr ungefähr dieser Verlauf gewesen (Kalorienrestriktion hier 25 % des Energiebedarfs, was 500 kcal aber recht nahe kommt, aufgeteilt in eine Gruppe mit Sport und eine ohne Sport und natürlich eine Kontrollgruppe, die weder das eine noch das andere machte):

Angenommen, die Placebo-Gruppe hätte einen typischen Gewichtsverlauf gehabt, wäre in ihr die Abnahme zwar in Woche 24 etwa 50 % hinter der Semaglutid-Gruppe hinterhergehinkt, aber doch etliche Kilos weit von der fast vollständigen Erfolglosigkeit der Kontrollgruppe in dieser Studie entfernt gewesen. Erst nach diesem Zeitaum hätte sich Semaglutid dann - spätestens im zweiten Jahr - immer weiter von der Kontrollgruppe abgesetzt, bei der das Einsetzen einer Wiederzunahme typisch gewesen wäre.

Also, es tut mir ja leid, wenn ich jetzt wie ein Verschwörungstheoretiker klinge, aber an dieser Studie ist meiner Meinung nach irgendetwas faul. Ehrlich gesagt, bin ich darüber selber ein bißchen erschüttert, denn ich habe die ganze Zeit nie Zweifel daran gehabt, daß diese Studie sich in aller Aufrichtigkeit um eine Abbildung der Realität bemüht hat. Aber ein so fragwürdiges Ergebnis ist erstens unglaubwürdig und kann zweitens kaum aus Versehen herausgekommen sein. Zugunsten der Patienten, die mit Semaglutid behandelt werden, kann ich also nur hoffen, daß das "Frisieren" der Studie sich darauf beschränkte, die Kontrollgruppe auf welche Weise auch immer absichtlich schlechter als nötig abschneiden zu lassen. 

Potzblitz. Das war jetzt für mich selbst eine ziemliche Überraschung. Und wieso eigentlich ist das all den Experten, die solche Kalorienreduktions-Studien durchführen, gar nicht aufgefallen? Von kritischen Rückfragen zu diesem Punkt und etwaigen Erklärungen, warum die Kalorienreduktion ausgerechnet in dieser Studie von Anfang an eine Wirkung nahe null hatte, ist mir jedenfalls nichts bekannt. 

Unabhängig davon: Die Wahrscheinlichkeit, daß demnächst die halbe Bevölkerung auf Ozempic und Wegovy sein und dauerhaft bleiben wird, erscheint mir alleine aus Kapazitätsgründen so gering, daß die Lebensmittelkonzerne vermutlich keine schlaflosen Nächte wegen etwaiger Umsatzeinbrüche haben müssen. Spannend werden dann außerdem noch die Langzeitauswirkungen, die bei einem erst 2017 zugelassenen Medikament, das erst seit ca. ein, zwei Jahren so massiv gehypt wird, im Moment noch kein Mensch wissen kann. Der Hersteller Novo Nordisk wäre gut beraten, vorsichtshalber ein bißchen Geld auf die hohe Kante zu legen, falls Patienten in ein paar Jahren auf einmal doch noch massenhaft an Krebs erkranken oder vom Schlag getroffen werden ...

***

Eigentlich sehe ich KI insgesamt mit ziemlich gemischten Gefühlen, aber das Obige erinnert mich daran, daß mir schon länger durch den Kopf geht, ob es sinnvoll wäre, sie speziell im Bereich Epidemiologie einzusetzen, etwa zur Plausibilitätsprüfung bei Studienergebnissen, aber auch, um Fehler beim Studiendesign zu verhindern (egal, ob absichtliche oder versehentliche). Sie würde außerdem nicht nur Zusammenhänge in den Daten erkennen können, die auch hochqualifizierte Forscher nur mit viel Glück finden können, sondern auch diejenigen, die sie aus welchen Gründen auch immer nicht sehen wollen. Ganz am Ende des Prozesses müßten aber natürlich dann wieder Menschen sitzen, denn etwaige praktische Anwendungen benötigen neben Logik auch gesunden Menschenverstand, und die KI verfügt nur über die Logik. Die Frage ist nur: Wie findet man qualifizierte Fachkräfte, die neben ihrem Fachwissen auch über gesunden Menschenverstand verfügen? Manchmal habe ich das Gefühl, Hochschulen trainieren einem den systematisch ab.

Über den Einsatz von KI bei Krebsbehandlungen habe ich kürzlich zum ersten Mal gelesen. Auch wenn es nur um Therapieentscheidungen bei einer einzigen Krebsart, nämlich Prostatakrebs, geht - so ein Einsatz könnte schon einen Sinn ergeben, wieder natürlich mit einem menschlichen Entscheider am Ende. Letztlich hat es ja einen Grund, warum Medizin als "ärztliche Kunst" bezeichnet wird - Fachwissen alleine macht noch keinen guten Arzt, ein bißchen Intuition und Aufmerksamkeit für die indviduellen Besonderheiten eines Patienten braucht es auch, und das kann man einer KI kaum gut genug beibringen. Aber sie könnte die Entscheidungsgrundlage des ärztlichen Künstlers auf der Faktenseite verbessern.