Mittwoch, 28. Juli 2021

BMI 50+ als unheilbare Krankheit

Mein Gewicht vorgestern früh: 96,3 Kilogramm - die Retourkutsche nach der überraschend geringen Zunahme von Samstag auf Sonntag. Damit mußte ich wohl rechnen, aber irgendwie bin ich in dieser Hinsicht auch nicht schlauer als andere Leute (obwohl ich es gerne wäre). Unwillkürlich denkt man doch immer zu linear und erwartet, daß eine Entwicklung sich morgen so fortsetzt, wie man es gestern und heute erlebt hat. Trotzdem waren 2,8 Kilo Zunahme an einem Tag ein bißchen frustrierend. Später am Tag fing der Hals an zu kratzen und die Nase zu laufen und ich bekam eine schreckliche Matschbirne, dann war mir klar, woher das gekommen war. Bei einem Infekt muß ich ja immer mit ca. einem Kilo mehr rechnen, und so paßte es dann auch wieder alles zusammen. 

Gestern am Morgen des ersten Fastentags dieser Woche freute ich mich darüber, daß der Kopf wieder klar war und die Nase nicht mehr lief, und mit einem Startgewicht von 96,7 Kilogramm hatte ich dann auch nur noch 400 Gramm zusätzlich zu verbuchen. Damit habe ich zum überhaupt ersten Mal an einem Fastentag ein Vorher-Gewicht, mit dem ich die 50 Kilogramm Abnahme bereits überschritten habe, aber das wurde langsam ja auch echt mal Zeit. Möge das künftig der Regelfall sein. Seit über einem Jahr rede ich schon davon, daß ich "fast 50 Kilo" abgenommen habe, und langsam kam ich mir dabei schon wie ein Hochstapler vor, weil die 50 einfach nicht fallen wollte.

Heute nach dem gestrigen Fastentag freute ich mich über ein Gewicht von 94,6 Kilogramm, ebenfalls ein Novum nach einem einzelnen Fastentag. Das sieht mir sehr danach aus, daß ich nun tatsächlich nicht mehr befürchten muß, noch einmal in die Nähe der 100er-Marke zu gelangen - endlich. Im Vergleich zu den letzten Wochen war das ein regelrechter Rutsch ein bis zwei Kilogramm tiefer. Was genau hat diese Schallmauer nun aber gebrochen, die mich regelmäßig auf ein Vorher-Gewicht von noch Montag letzter Woche immer noch beinahe 99 Kilogramm zurückbouncen ließ? Der eine zusätzliche Fastentag letzten Freitag kann das unmöglich ausgelöst haben, denn mehr als 200 Gramm reale Nettoabnahme kann ich von einem einzelnen Fastentag hin oder her nicht erwarten. Eher nehme ich an, daß es insgeheim die ganze Zeit heruntergegangen ist, was aber aufgrund verzerrender Faktoren auf der Waage nicht erkennbar war.

Aber nach dem Meilenstein ist vor dem nächsten Meilenstein. Die nächste interessante Schwelle, die zu knacken wäre, sind die 90 Kilogramm, 2,3 Kilogramm weniger als mein Niedrigstgewicht vom Samstag. Ob ich das vor dem Oktober noch schaffe? Und wie weit nach oben entferne ich mich davon dann wieder über Winter?

Ich stieß bei weiteren Recherchen nach Carel le Roux, über den ich im letzten Blogartikel geschrieben habe, bei YouTube auf einen "Adipositas-Channel", darin fand ich diverse deprimierende Videos von Fachleuten, die felsenfest davon überzeugt sind, daß Adipositas eine unheilbare Krankheit sei, mit der man sich vertrauensvoll für den Rest seines Lebens in die Hände von Fachleuten und nach Meinung etlicher natürlich am besten gleich unters Messer begeben sollte, um sich den Magen rausschnippeln zu lassen. Wobei man dann natürlich erst recht für den Rest seines Lebens diese Fachleute benötigt und außerdem offenbar mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit einen sogenannten "Rebound", also eine Gewichtszunahme in substanzieller Höhe, mit einkalkulieren muß. Zum Mitgruseln empfehle ich hiermit die beiden Interviews mit dem Leiter des Adipositaszentrums Frankfurt-Sachsenhausen, Dr. med. Plamen Staikov zu diesem Thema. Bei ihm ist von 30 bis 40 Prozent Rebounds die Rede, zum Teil auch noch so viel später, daß das natürlich in keiner Studie mehr mit einfließt. Adipositas sei halt, das müsse jedem klar sein, eine Krankheit, die man nicht heilen könne. Dieser Arzt behauptet außerdem, und da gingen bei mir natürlich alle Alarmglocken an, daß das Risiko eines Rebounds viel höher liege, wenn - wie in Deutschland noch, leider, sagte er, üblich - die OP erst mit einem BMI über 50 erfolgt. Dies müsse früher geschehen, spätestens mit BMI 40. 

Ich habe ohnehin den Eindruck, daß die in Adipositas-Zentren mittlerweile ziemlich flott dabei sind, Magenverkleinerungen zu empfehlen, und das dürfte sich in den nächsten Jahren wohl noch beschleunigen. Damit scheint sich wohl gut Geld verdienen zu lassen. 

Was mich ein bißchen geärgert hat, ist, daß der Begriff "Rebound" nicht etwas präzisiert wurde, denn das dürfte eher selten eine Wiederzunahme bis zum Ausgangsgewicht bedeuten. Im Durchschnitt sind es meiner Erinnerung nach ca. 25 Prozent der Abnahme, die nach fünf bis zehn Jahren wieder drauf sind, aber natürlich kann das je nach Einzelfall - siehe die Grafik im oben verlinkten Blogbeitrag - zwischen null und 100 Prozent ausmachen. Der Durchschnittswert könnte durchaus auch einen falschen Eindruck erwecken, wenn darunter viele Extremfälle - also: zu einem nennenswerten Teil gar keine, aber zu einem anderen nennenswerten Teil viele Zunahmen bis in die Nähe des Ausgangsgewicht - zu verzeichnen wären.

Mir kam dazu Sigmar Gabriel in den Sinn, einer der Prominentesten unter den Magenverkleinerten der letzten Jahre, denn der hat ohne Zweifel wieder ein bißchen zugelegt, so pausbäckig wie er neuerdings geworden ist (Standfoto aus einer Nachrichtensendung vom Mai 2021): 

 Zum Vergleichen: So sah sein Gesicht ca. 9 Monate nach seiner Operation aus: 

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) bricht am Montagabend überraschend nach Washington auf. Foto: dpa

Auch sein Bauch scheint wieder einiges an Umfang gewonnen zu haben.

Komisch, über Gabriels Abnahme rauschte es so gewaltig im Blätterwald, aber seine Wiederzunahme scheint außer mir niemand bemerkt zu haben. Das ist ähnlich wie seinerzeit bei Frau Merkels angeblicher Wunderdiät im Jahre 2014. (Hatte ich darüber eigentlich schon mal geschrieben?) 

Das einzig Positive, das ich aus diesen Interviews mitnehme, die Einsicht dieses Arztes, daß in der Regel kein Fehlverhalten des Patienten dahintersteckt, wenn sie nach einer OP wieder zunehmen, also genau das, was auch Le Roux so betont hat, ist leider auch so ein "vergifteter Apfel". Jemanden für unheilbar krank zu erklären und ihm außerdem dringend zu raten, sich der Adipositasmedizin für den Rest seines Lebens auf Gedeih und Verderb auszuliefern, führt jedenfalls dazu - und soll ja offenbar auch dazu führen -, daß sich die meisten so beratenen Patienten von vornherein nicht mehr zutrauen, sich selbst zu helfen. Obwohl ich felsenfest davon überzeugt bin, ein großer Teil von ihnen könnte sich selbst helfen, sobald sie ihren Bemühungen nicht mehr das Kaloriendogma zugrunde legen müßten.