Mittwoch, 23. September 2020

Der Null-Fehler-Mensch und sein zwangsläufiges Scheitern

Mein Gewicht heute früh: 96,2 Kilogramm - das bei weitem niedrigste Gewicht, das ich je nach einem einzelnen Fastentag zu verzeichnen hatte. Sehr erfreulich. So darf es weitergehen. :-) 

Bekanntlich ist mein Verhältnis zu Politik, Medien und Gesellschaft ja ein ziemlich mürrisches, und das ist vielleicht manchmal für den Leser ermüdend, aber es macht mir auch selbst keinen sonderlichen Spaß. Ich wünschte aufrichtig, es wäre anders. Ich gebe mir aber immerhin größte Mühe, das, was aus meiner Sicht gesellschaftlich wirklich falsch läuft, nicht zu verwechseln mit dem, das mir einfach deshalb nicht gefällt, weil es ANDERS ist als vor zwanzig, dreißig Jahren, als ich noch jung und (halbwegs) hübsch war. Diese Dinge gibt es natürlich auch. Wahrscheinlich haben schon die Höhlenmenschen, die anfingen, Feuer zu verwenden, von ihren Eltern und deren Altersgenossen dafür wenig Dank, aber viel Gemotze über das neumodische Gelumpe bekommen, das zu ihrer Zeit niemand gebraucht hat.

Kürzlich habe ich Theodor Adornos "Minima moralia" gelesen und anschließend gleich noch die "Dialektik der Aufklärung" nachgeschoben, weil ich mir nicht sicher war, wie ich Adornos gleichfalls mürrische, wenn auch sorgfältig formulierte Fundamentalkritik der modernen Gesellschaften einordnen sollte. Der 1934 aus Nazideutschland ausgewandete Adorno (nach Nazi-Terminologie war er Halbjude) schrieb beide Bücher (das letztere zusammen mit seinem Freund Max Horkheimer) im New Yorker Exil in den vierziger Jahren, noch bevor Nazideutschland besiegt war, und man sollte eigentlich meinen, daß das eine düstere Grundstimmung mehr als ausreichend erklärt. Aber meinem Eindruck nach vermischt sich in beiden Büchern außerdem die kritische Reflexion der Abgründe in der (damaligen) Gegenwart sowie die Suche nach deren Wurzeln mit genau diesem Generationenproblem, für das er ganz unphilosophisch ebenfalls die Außenwelt verantwortlich macht, weil er gar nicht bemerkt, daß er da zwei verschiedene Dinge miteinander vermengt.

Beispiel Musik. Adorno war offenbar ein sehr musischer Mensch, der klassische Musik aufrichtig liebte, und der damals noch neue und aufregende und überaus populäre Jazz entsetzte ihn geradezu. Heutzutage ist Jazz in einer ganz ähnlichen Rolle wie damals schon die klassische Musik: Etwas für Kenner, nicht mehr die musikalische Sprache, die von jedem als selbstverständlicher Begleiter des Alltags wenigstens rudimentär beherrscht wird, sondern eine Welt, in die man sich erst einfinden muß. Jazzmusiker rümpfen heute wiederum die Nase über die aktuelle Popmusik, ohne dabei zwischen dem überwiegenden Ramsch Qualität auch nur zu erkennen - genau wie es Adorno damals mit dem Jazz gegangen ist. 

Angefangen habe ich mit dem Adorno, weil ich nach dem berühmten Zitat "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" suchte. Ich wollte wissen, in welchem Zusammenhang es ursprünglich geschrieben wurde, und war dann einigermaßen erstaunt, daß es der Schlußsatz eines Texts zum Thema Wohnen ist. Ich habe diesen Text dreimal gelesen, ohne aber dahinterzukommen, wie der Mensch nun eigentlich wohnen müsse, um nach Adornos Meinung eine Chance zu haben, ein richtiges Leben (nämlich "ein richtiges Leben im richtigen") führen zu können, und habe die Sache am Ende damit abgehakt, daß er es offenbar selbst nicht so genau wußte. Mitgenommen habe ich aus dem Text folglich nur, daß Adorno in seiner New Yorker Zeit wohl neben allem anderen auch unzufrieden mit seiner Wohnsituation gewesen ist und dies für philosophisch wichtig genug gehalten hat, um es in einem Buch zu veröffentlichen. Über so etwas kann ich nur tief seufzen, es kommt mir unnötig wichtigtuerisch vor. Da lobe ich mir Hannah Arendt, die zur selben Zeit auch in New York lebte, aber ihre persönlichen Alltagsprobleme nicht gar so wichtig genommen hat wie Adorno, sondern sich lieber mit Fragen von wirklicher Bedeutung befaßt hat.

Also, wie gesagt, ich versuche, diese beiden Bereiche ebenfalls voneinander zu unterscheiden: Das, was mich deshalb stört, weil ich eine alte Schachtel bin, die sich an eine selbstdefinierte "gute alte Zeit" erinnern kann, und das, was mich stört, weil ich es für eine gesellschaftlich Fehlentwicklung halte. Ich finde es nämlich immer ein bißchen peinlich, wenn meine Altersgenossen sich in die Siebziger oder Achtziger als eine Art Paradies zurückträumen, das in Wirklichkeit so nie existiert hat. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß wir in der damaligen Gegenwart keineswegs glücklich und zufrieden gewesen sind, sondern die Welt als sehr verbesserungsbedürftig empfunden haben. 

Daß die heutige Welt immer noch verbesserungsbedürftig ist, ist nicht das Problem. Auch nicht, daß manche erfüllten Träume von damals einen Rattenschwanz neuer, nicht vorhergesehener Folgeprobleme nach sich gezogen haben. Beides halte ich für normal. Bedenklicher finde ich eine Beobachtung, die ebenfalls mit erfüllten Hoffnungen von damals in Zusammenhang stehen. Wo sich nämlich tatsächlich einiges zum Positiven verändert hat, scheint niemand dadurch allzu viel glücklicher geworden zu sein, merkwürdigerweise sogar eher im Gegenteil. Mein Eindruck ist inzwischen, daß es sich längst nicht mehr lohnt, das aktuell in den Medien als das schlimmste präsentierte Problem innerhalb unserer Gesellschaft zu lösen, denn sobald es gelöst ist, wird ja doch nur das derzeit zweitschlimmste Problem zum nunmehr schlimmsten aufsteigen und so fort, aber das Getöse darum wird eher mehr als weniger. Je lauter das Getöse, desto unzufriedener werden die Unzufriedenen, das scheint eine Regel zu sein.

Bis dann doch mal ein wirkliches Problem auftritt und die Maßstäbe wieder etwas zurechtrückt. Corona stellt sich in dieser Hinsicht womöglich sogar noch als eine Art Glücksfall heraus.

Noch eine weitere Entwicklung scheint mir in eine sehr unglückliche Richtung gegangen zu sein, und das hat, glaube ich, schon in den Siebzigern eingesetzt. Für die Siebziger stehen in technischer Hinsicht die Atomkraftwerke. Das Problematische an den Atomkraftwerken, über das in einschlägigen Debatten vergleichsweise wenig gesprochen wird, ist aus meiner Sicht, daß ihr Betrieb nicht fehlertolerant ist. Jeder Fehler - von der Planung über den Bau bis zum Betrieb - kann unverhältnismäßige Folgen nach sich ziehen, und das wiederum ist für mich ein KO-Kriterium. Menschen machen nun einmal Fehler. Wenn man Technologien verwendet, für deren sicheren Betrieb eigentlich Übermenschen nötig wäre, dann sind sie überall dort fehl am Platz, wo es keine Übermenschen gibt. - Also überall auf der Welt.

Dieses Verschwinden der Fehlertoleranz durchzieht die Planung aber längst in allen möglichen Bereichen. In der Industrie sind Null-Fehler-Ziele allgemein gebräuchlicher Bestandteil fast jeder Konzern-Firmenpolitik. An sie zu glauben erfordert allerdings neben allgemeiner Weltfremdheit auch die Unkenntnis der jeweils speziellen tatsächlichen betrieblichen Abläufe. Ich kenne zwar nur wenige Betriebe aus eigener Anschauung, aber im Grunde höre ich von jedem, mit dem ich mich über das unterhalte, was in seinem eigenen Betrieb in dieser Hinsicht abläuft, dasselbe: Zwischen dem Mist, der im Geschäftsbericht steht, und dem, was im Betriebsalltag wirklich abläuft, klaffen tiefe Abgründe, auch wenn die Fehlerfrage betrifft. 

Für den Rest der Wirtschaft kann ich mich an meinen gesunden Menschenverstand halten, der mir sagt, daß Null-Fehler-Ziele von vornherein nicht eingehalten werden können. Nie und nirgends.

Auch die Politik verweigert uns als Bürgern zunehmend das menschliche Maß. Im Bereich Gesundheit, insbesondere der Prävention, finde ich das am unangenehmsten spürbar, und daß es Teilbereiche gibt, in denen die Präventionsmaßnahmen der Wahl einfach falsch sind, etwa sämtliche Empfehlungen zu Adipositas und damit assoziierte Erkrankungen wie Diabetes, macht die Sache noch unangenehmer. Ein anderer Bereich, in dem uns unsere wirklichen und vermeintlichen Unzulänglichkeiten mindestens genauso regelmäßig und mit demselben immer penetrant erhobenen moralischen Zeigefinger vorgeworfen werden, ist der Bereich Umwelt.

Twitter beglückt mich in den letzten Tagen mit einem ziemlichen Wust an Propaganda zur Aktionswoche "Deutschland rettet Lebensmittel". Ich klickte mich von dem verlinkten Tweet bis zu der Studie vor, auf die man sich berief. Mehr als die Hälfte aller Lebensmittelabfälle, las ich dort, sollen auf Kosten privater Haushalte gehen, während  Erzeugung, Verarbeitung, im Handel und in Gastronomie/Catering zusammengenommen für weniger als die Hälfte verantwortlich seien. Dieses Thema macht mich schon seit Jahren närrisch, weil eine Menge eigentlich gescheiter Leute mich immer wieder mit Versatzstücken aus der von Fehlern nur so wimmelnden Medienberichterstattung belästigen, ohne zu bemerken, daß es sich dabei um Quatsch handelt. Meine Schwester etwa bekam von mir neuliche eine barsche Antwort, als sie sagte: "Weißt du, du und ich, wir haben das ja noch daheim gelernt, aber ..."

Betrachtet man die Sache näher, ist an dem skandalösen Verhalten der privaten Verbraucher weit weniger dran, als immer getan wird. 

Obiger Studie zufolge soll jeder private Verbraucher um die 80 Kilogramm Lebensmittelabfälle pro Jahr verursachen. So ähnlich steht das auch in diversen Zeitungsberichten, die seit mehreren Jahren immer wieder aufpoppen; die Kilogramm-Menge variiert ein bißchen, je nachdem, welche Studie einem Zeitungsbericht zugrundeliegt. Was in der Regel gar keine oder nur ganz versteckt Erwähnung findet: Etwa 60 Prozent dieser Abfallmenge besteht aus nicht vermeidbaren Abfällen: Bananen-, Kartoffel-, Eierschalen, Knochen, Kerngehäuse und so weiter. 

Am Rande sei noch bemerkt, daß weder beim Handel noch bei den Erzeugern diese Art von Lebensmittelabfällen überhaupt anfällt, weshalb Vergleiche von deren Abfallmengen mit denen privater Verbraucher von vornherein falsch sind. 

Nun gut, aber dann bleibt dennoch ein Rest von - wieder laut Studie - zwischen 30 und 36 Kilogramm tatsächlich vermeidbarer Lebensmittelabfälle. Was ist denn damit?

Gegenfrage: Ist diese Menge denn wirklich viel? 

Die Studie wendet nämlich das an, was ich im Bereich "Lügen mit Fakten" gerne unter der Rubrik "Shock and Awe - der Trick mit der großen Zahl" verbuche: Immer, wenn zeitlich lange Zeiträume oder räumlich ganz Europa oder die ganze Welt herhalten müssen, gehe ich davon aus, daß die Forscher in Verlegenheit waren, wirklich eindrucksvolle Werte - also eine Zahl mit möglichst vielen Nullen - herzeigen zu müssen, denn wenn man nur den Maßstab entsprechend weit ausdehnt, bekommt man die praktisch immer. Weltweit betrachtet, werden beispielsweise jedes Jahr 24.000 Menschen vom Blitz erschlagen und noch einmal zehnmal so viele tragen Verletzungen durch Blitzschlag davon. Das ändert aber nichts daran, daß die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz erschlagen zu werden, sehr niedrig ist.

30 bis 36 Kilogramm vermeidbare Lebensmittelabfälle, das entspricht ca. 600 bis 700 Gramm pro Woche. Darin sind enthalten: 

  • alle nicht leergegessenen Teller, wenn die Reste mehr als nur Spuren ausmachen. (Es sei daran erinnert, daß der Gesundheitsminister jeden Übergewichtigen sogar davor warnen würde, den Teller leerzuessen, obwohl er schon satt ist.)
  • alle "Fehlkäufe" - das neue, lecker aussehende Produkt, das dann absolut widerlich schmeckte, daß niemand sich opfern und es dennoch essen wollte
  • der unterste Apfel/Orange/Pfirsich, der unbemerkt angefangen hatte, zu faulen
  • der Frischkäse, der schon beim Öffnen oder einen bis zwei Tage danach Schimmelflecken aufwies

Ich finde nicht, daß 600 Gramm pro Woche so wahnsinnig viel ist, denn ich kann mir vorstellen, daß das unter dem Strich sogar bei mir in etwa anfallen könnte. Und meine Schwester hat recht: Sie und ich, wir beide, haben das wirklich noch im Elternhaus vermittelt bekommen, daß man so etwas einfach NICHT TUT, Lebensmittel wegwerfen, und ich handle auch danach. Der Casus knacksus ist der Sommer. Im Sommer hat man es einfach nicht in der Hand. Und wenn man sich auf den Kopf stellt, irgendwas vergammelt einem immer.

Was einem außerdem möglichst gar nicht passieren darf, ist eine Lebensmittelmotteninvasion. Und glauben Sie bloß nicht, daß man die immer verhindern kann. Das funktioniert nur in der Theorie. In der Praxis ist man davon abhängig, daß vom Erzeuger bis zum Ladenregal nichts passiert ist. Sogar wenn man die nötige kriminelle Energie aufgebracht hat, alle seine Lebensmittel in gummiabgedichteten Dosen zu lagern, kann man dann locker ein bis zwei Kilo Mehl auf einmal losgeworden sein. Und in alle anderen Arten von Verpackungen, Gläsern oder Schüttdosen kommen die Motten mühelos rein, wenn sie erst mal da sind.

Jeden einzelnen Fall von verdorbenen Lebensmitteln kann man ansonsten theoretisch verhindern. Aber eben nicht in der Praxis. Warum? - Weil die Praxis des Alltags auch noch aus anderen Anforderungen als dem Kauf, der Lagerung und dem Verbrauch von Lebensmitteln besteht. Keine dieser Anforderungen hat aber ständig hundert Prozent der eigenen Aufmerksamkeit. Workarounds zur Vermeidung von verderbenden Lebensmitteln könnten einerseits so aussehen, daß man täglich und nur für den Bedarf dieses einen Tages einkauft. Das würde erstens unverhältnismäßig viel Zeit kosten, die an anderer Stelle fehlen und aus Zeitersparnisgründen an anderer Stelle umweltschädliches Verhalten erzwingen würde (etwa Kleidereinkauf beim Versandhändler), zweitens kleinere Verpackungen im Handel erzwingen, was ebenfalls umweltschädlich ist, und drittens Vorratshaltung unmöglich machen - und Corona zeigte: Vorratshaltung in einem vernünftigen Umfang ist sehr zu empfehlen. Die zweite denkbare Lösung bestünde darin, nur noch abgepackte Lebensmittel zu kaufen. Dann ist die Frau Ministerin Klöckner aber noch unzufriedener mit uns, weil man dann ja erst recht eine olle Umweltsau ist. 

Auch im Bereich der Abfallvermeidung bei Lebensmitteln werden wir den Null-Fehler-Menschen nie in der Realität erleben. Und deswegen stört es mich, wenn er plötzlich für uns alle der Maßstab sein soll. 

Daneben stört mich außerdem, daß die zugehörigen Propagandisten so deutlich demonstrieren, daß sie in Wirklichkeit vom Umgang mit Lebensmitteln in einem realen Haushalt überhaupt keine Ahnung haben. Meine 84jährige Mutter, ein Kriegskind, das den Hungerjahre-Modus bis heute nicht ganz abgeschüttelt hat und deren Vermeidung von Lebensmittelverschwendung fast schon pathologische Züge hat (nach meiner ersten Lebensmittelmotteninvasion als noch sehr junge Hausfrau - ich war in heilloser Panik - riet sie mir wahrhaftig, das Mehl durchzusieben und weiterzuverwenden), würde dieses Pfund vermeidbare Abfälle übrigens deutlich überschreiten. Wer Obst aus dem eigenen Garten hat, der kann diese vermeidbaren Abfälle nämlich gar nicht vermeiden, auch dann nicht, wenn er - wie meine Mutter - im Winter täglich die eingelagerten Äpfel sichtet und alle zum alsbaldigen Verzehr herausnimmt, an denen angefaulte Stellen erkennbar sind. So kann es einem also auch passieren, daß man einen gesamten Winter lang täglich Äpfel ißt, von denen kein einziger ohne Faulstellen gewesen ist, und sich dennoch als Verschwender beschimpfen lassen muß.



Dienstag, 22. September 2020

Gezähmte Uhus und andere große Tiere

Mein Gewicht heute morgen zu Beginn des ersten Fastentags der Woche sowie nach vier Eßtagen: 98,2 Kilogramm. Das sieht vielversprechend aus für die kommenden zwei Wochen bis zu meinem nächsten viertägigen Fastenintervall: Ich kann damit rechnen, daß ich (nach den beiden Wochen, in denen ich mich auf zwei Fastentage beschränke) übernächsten Montag wohl mit einem Ausgangswert von um die 99,2 Kilogramm plusminus ein bißchen was in das nächste lange Fastenintervall gehen werde. Der Adler ... äh, der Uhu ist somit nicht nur wieder einmal gelandet, sondern hat sich endlich dazu entschließen können, sich auf Dauer bei mir häuslich einzurichten. 

Nachtrag: Gerade habe ich meinen Brustumfang gemessen und festgestellt, daß der ebenfalls geschrumpft ist - von 112 auf 110 cm. Das kam unerwartet, nachdem ich ihn erst am Sonntag gemessen und keine Veränderung festgestellt hatte. Auf den Gedanken hatte mich gebracht, daß das Liegen am Sonntagmorgen irgendwie unbequem gewesen war, ich spürte meine Rippen auf eine ziemlich störende Weise. Offenbar haben sie zwei Tage zusätzlich gebraucht, um sich neu in Position zu bringen.

Es hat den Anschein, als könne ich mit ca. einem Kilogramm Netto-Gewichtsabnahme je viertägigem Fastenintervall rechnen, sowie damit, daß ich diese Nettoabnahme bis zum nächsten langen Fastenintervall halten kann, indem ich zwei Tage die Woche faste. Die spannende Frage lautet: Wie lange wird es dauern, bis die Wirkung anfängt nachzulassen? Mit den zehn 36stündigen Fastenintervallen in vier Wochen nach dem Rhythmus 2-3-2-3 Tage pro Woche hat die Wirkung ja auch nachgelassen. 

Ironischerweise hat die Verlangsamung der Abnahme ausgerechnet zu der Zeit angefangen, als ich mit diesem Blog begonnen habe und völlig sicher war, daß mein Modell als Dauerlösung bis zum Erreichen des Zielgewichts tauglich sei. Davor hatte es immerhin anderthalb Jahre lang zu meiner vollen Zufriedenheit funktioniert. Danach fing es auf einmal an zu holpern. Theoretisch war mir klargewesen, daß das passieren kann, aber natürlich schützt einen das nur begrenzt vor dem Frust, wenn es tatsächlich passiert. Zum Glück bin ich so stur und habe so lange herumprobiert, bis ich wieder eine funktionierende Formel gefunden habe.

Mein neuer Rhythmus 2-2-2-4 umfaßt letzlich genausoviele Fasten- und Eßtage innerhalb eines Vier-Wochen-Zeitraums wie mein alter Rhythmus. Vielleicht besteht der Trick, die Abnahme damit nicht nur vorübergehend, sondern über einen längeren - vorzugweise den kompletten erforderlichen - Zeitraum hinzukriegen, ja wirklich darin, die Zeitabstände zwischen den Fastenintervallen richtig zu dosieren. Das würde dann wieder ein Kilo Gewichtsabnahme pro Monat bedeuten ... was mir, wie ich einsehen muß, innerhalb der letzten zwölf Monate leider nicht gelungen ist; vergleiche ich mein heutiges Gewicht mit dem vor zwölf Monaten, liege ich nur sechs Kilogramm darunter. 

Falls meine derzeitige Methode genauso lange wie die alte gut funktionieren sollte, würde ich nach anderthalb Jahren bei ungefähr 80 Kilogramm als Vorher-Wert stehen, nur noch 6,5 über meinem Zielgewicht, und da ich nach einem langen Fastenintervall derzeit immer um die 6 Kilogramm minus erwarten kann, sollte ich meinen Zielwert einmal im Monat schon von ganz nahe sehen können. 

Sollte ich in diesem Stadium aber bemerken, daß es mit der weiteren Abnahme nicht mehr im erhofften Tempo klappen will, könnte ich mir dann wohl doch vorstellen, vorübergehend zusätzlich zu anderen Mitteln zu greifen, sei es Sport oder sei es Low Carb (oder beides zusammen), um auf der Zielgerade etwas mehr zu beschleunigen und schneller an den Punkt zu kommen, an dem ich in den Haltemodus gehen kann. Aber das wäre dann wirklich nur als vorübergehende Zusatzmaßnahme gedacht. Und falls ich ohne auskommen sollte, mache ich es natürlich gar nicht.

Ich hoffe, mein nächstes langes Fastenintervall in zwei Wochen kommt nicht zu früh und klappt noch einmal genauso gut. Ich hoffe außerdem, daß ich damit auch meiner traditionellen Herbst-Zunahme zum ersten Mal Paroli bieten kann. Aber falls sie wieder zuschlägt - womit ich realistischerweise rechnen muß, denn es ist mir in drei Jahren nie gelungen, sie zu verhindern -, werde ich im November nicht eines, sondern wieder zwei lange Fastenintervalle einschieben. Am Schichtrhythmus meines Mannes kann ich mich sowieso erst wieder im Januar orientieren, also muß er es aushalten, daß ich auch während seiner Nacht- und Frühschichtzeiten lange Fastenintervalle nach meinem neuen Schema einlege. Aktuell hat er die zweite von vier Wochen Spätschicht, gefolgt von vier Wochen Nachtschicht und dann vier Wochen Frühschicht sowie im Anschluß sein Weihnachtsurlaub. 

Soviel steht fest, zehn Wochen lang warte ich nicht ohne lange Fastenintervalle darauf, daß er wieder Spätschichten hat. Dafür ist deren Wirkung einfach zu gut. Daß ich es schaffen werde, bis Weihnachten wenigstens einmal kurz die 90 Kilogramm zu unterschreiten - so, wie ich letztes Jahr vor Weihnachten erstmals kurz die 100 unterschritten habe -, halte ich inzwischen aber leider für nahezu ausgeschlossen. Darauf werde ich wohl eher bis ca. Februar, vielleicht auch März warten müssen, nur mit viel Glück klappt es vielleicht auch schon im Januar. Aber Hauptsache, ich bin weiter auf Kurs nach unten und kann endlich davon ausgehen, daß ich nun die 100 wirklich nicht noch einmal sehen werde.

Mein Mann fastet übrigens auch weiterhin, allerdings bekam er Schwindelanfälle bei der Arbeit, weil er auch an Eßtagen nicht vor der Arbeit essen wollte. Davon, sagt er, bekommt er zu viel Durst, was ihn bei der Arbeit stört. Jetzt hat er von 48 Stunden im täglichen Wechsel bei Spätschichten umgestellt auf One Meal a Day, aber das dafür an allen fünf Tagen unter der Woche, solange er Spätschicht hat, und ißt aber dann nur eine Kleinigkeit, nachdem er abends heimgekommen ist. Dadurch vermeidet er sein anderes Problem, daß ihm das späte Essen einfach nicht so recht bekommt und er nicht gut schlafen kann. Er wiegt sich nach wie vor nicht, ist aber zufrieden mit der Paßform seiner Hosen nach seiner ersten von vier Spätschichtwochen und will die nächsten drei Wochen so weitermachen. Danach entscheidet er neu, wie es bei ihm weitergehen soll.

Ich bin ein kleines bißchen irritiert über Dr. Fung bzw. wer auch immer da bei "The Fasting Method" zuständig sein mag. Letzte Woche am Donnerstag veröffentlichte er einen Blogartikel, der in sechs Sprachen angeboten wurde. Spontan habe ich angeboten, für seine Website die noch fehlende deutsche Übersetzung zu erstellen, bekam dann auch eine E-Mail-Adresse, an die ich mich wenden sollte, schrieb dort hin einschließlich meines Klarnamens und meiner Qualifikation, und seitdem habe ich nichts mehr gehört. Gut, fünf Tage sind jetzt noch nicht so wahnsinnig lange, aber das kann ja eigentlich nicht so schwierig sein, zu entscheiden, ob man eine angebotene kostenlose Leistung in Anspruch nehmen will oder vielleicht lieber doch nicht. Ob der Casus knackus gewesen ist, daß ich geschrieben habe, ich würde mich freuen, wenn ich die Übersetzung dann auch hier im Blog bringen könne? 

Wie auch immer, ein spontanes Nein wäre mir eigentlich lieber gewesen, als jetzt dazusitzen und mich fragen zu müssen, was zum Teufel an mir so abschreckend ist, daß ich nicht einmal irgendeine Antwort bekommen habe. Wenn ich das vorher gewußt hätte, dann hätte ich das Angebot wahrscheinlich gar nicht erst gemacht. Übersetzungen mache ich ganz gerne, aber am besten funktioniert das, wenn ich es einfach spontan machen kann, weil ich einen Text sehe, den ich gerne auf Deutsch hätte, und einfach mal anfange. Am vergangenen Wochenende hätte ich genügend Zeit gehabt, um mich für so eine Beschäftigung hinzusetzen, und das ist nächstes Wochenende vermutlich nicht der Fall (und unter der Woche ist es noch kniffeliger), und so befürchte ich jetzt, daß die sich dort zu einem Zeitpunkt dazu entschließen könnten, mein Angebot dankend anzunehmen, wenn es bei mir überhaupt nicht paßt. 

Na ja, vielleicht war es von vornherein ein Fehler, auf Augenhöhe mit jemandem kommunizieren zu wollen, der mittlerweile im angelsächsischen Raum doch schon ziemlich prominent geworden ist. Ich kranke ja nicht gerade an übertriebener Bescheidenheit und fand, eine deutsche Übersetzung das Blogartikels wäre auch für einen Prominenten eine nützliche Ergänzung gewesen, die ich mir an seiner Stelle mit Dank mitgenommen hätte. Aber sicherlich muß man da vorsichtig sein, unter den Enthusiasten gibt es bestimmt auch viele Spinner, die man besser auf Abstand hält. 

Tja, es war nett gemeint von mir, aber aufdrängen will ich mich natürlich niemandem. 

Aus der Reihe "Wissenschaft, die die Welt nicht braucht", stieß mir heute ein Artikel auf, in dem die alte leidige Frage, wie man den Leuten gesundes Essen schmackhafter machen kann, auf psychologische Weise beantwortet werden sollte. Hier mal ein Ausschnitt aus dem Teaser:

Leider sind viele der Gerichte, die uns beim Gedanken an leckeres Essen einfallen, ungesund. Müssen wir uns also entscheiden – entweder lecker oder gesund? Aktuelle psychologische Forschung gibt Entwarnung: Auch gesunde Speisen können gut schmecken. Wenn wir uns das bewusst machen, können wir uns einfacher gesund ernähren und schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen vorbeugen

So wird das allerdings nicht funktionieren. Denn je mehr sich die Ernährungsexperten darum bemühen, uns davon zu überzeugen, daß wir gesund essen sollen, desto mehr wird gesundes Essen mit "bittere Medizin" assoziiert. Wahrscheinlich wäre eine erfolgversprechendere Lösung, den Konsum von Gemüse bei Strafe zu verbieten. 

Ich erinnere mich noch, wie ich vor vielen Jahren, als ich noch zu den abhängig Beschäftigten gehörte, einmal nachmittags ein Stück Kuchen aus der Cafeteria an meinen Arbeitsplatz geholt hatte. Damals war das für mich noch sehr ungewöhnlich; ich hatte nachmittags zwar ein Bedürfnis nach Kaffee, aber nicht unbedingt nach Süßem. Den regelmäßigen Kuchen nachmittags zum Kaffee habe ich mir erst vor zwei, drei Jahren angewöhnt, und zwar nach etlichen Jahren, in denen mein Mann in dieser Richtung Seelenmassage geleistet hatte, denn er hatte dieses Bedürfnis schon, als ich ihn kennenlernte, und zwar eher mit Tendenz zu zwei Stücken statt einem. Daß ich, wenn er vom Bäcker ab und zu was geholt hatte, nach dem ersten Stück, das ich höflichkeitshalber auch ohne echtes Bedürfnis aß, beim besten Willen nicht mehr konnte und das zweite Stück aufheben mußte, fand er immer sehr verwunderlich.

Aber wie auch immer: Aus irgendeinem Grund hatte ich an diesem Tag ein wirkliches Bedürfnis nach einem Stück Kuchen. Mit Sahne natürlich - wenn schon, dann richtig.

Mein Vorgesetzter machte, als ich mit meiner Beute hereinkam, eine Bemerkung, an deren genauen Wortlaut ich mich nicht mehr erinnern kann, es war jedenfalls ein spöttischer Seitenhieb, und ich keifte spontan zurück: "Sie sind ja nur neidisch, weil Sie daheim mit Naturkost traktiert werden und nie etwas Anständiges zu essen kriegen." Wir flachsten öfter auf diese Weise herum, und ich hatte mir gar nichts Schlimmes dabei gedacht. Aber daß ich diesmal voll ins Schwarze getroffen hatte, merkte ich daran, daß er plötzlich ganz ernst wurde und antwortete: "Oh, manche von diesen Sachen schmecken aber wirklich gut ..." In dem Moment war es mir echt unangenehm, ihn bei dem zwischen den Zeilen versteckten Geständnis ertappt zu haben, daß er vieles (wenn auch nicht alles) von dem, was seine ökobewegte Frau ihm kochte, nicht besonders mochte, aber krampfhaft zu mögen versuchte, weil das eine Art moralische Pflicht war. Gar nicht davon anzufangen, daß es ja auch das war, was der Arzt sagte. 

So sieht die Sache mit dem richtigen Bewußtsein nämlich in Wirklichkeit aus, und zwar sogar bei denen, die besten Willens sind, alles gerne zu essen, das als gesund gilt.

Ich bin der Meinung, Essen hat in erster Linie gut zu schmecken. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ißt wahrscheinlich jeder von ganz alleine gesund genug, um sich keine Sorgen machen zu müssen, wenn er a) ein passendes Angebot im Laden vorfindet und b) Kochen gelernt hat. 

Nein, am Geld hängt die Sache dagegen nicht. Frische Lebensmittel aus dem Discounter sind IMMER günstiger als ihre bereits verarbeiteten Varianten im gleichen Ladengeschäft. Die Vorstellung, daß es nur den Gegensatz "Hier Dosenfutter aus dem Discounter - dort Rohkost aus dem Naturkostladen" gebe, ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe dafür, daß viele Leute sich eine gesunde Ernährung nicht zutrauen. Der zweitwichtigste ist vermutlich, daß immer weniger Leute kochen können. - Ich rede hier nicht von "Kochen zu besonderen Anlässen", sondern vom traditionellen Alltagskochen. Inzwischen wachsen vermutlich eine Menge Kinder auf, deren Eltern auch schon nicht mehr richtig kochen gelernt haben, also wäre es überlegenswert, das zu einem Schulfach zu machen. Kompetenzen vermitteln und freistellen, ob sie angewandt werden oder nicht ist nie verkehrt und allemal besser als irgendwelche Psychotechniken aus der Nudging-Trickkiste.



Freitag, 18. September 2020

Viel hilft viel? Von wegen.

Mein Gewicht heute früh: 94,3 Kilogramm - na also. Doch ein halbes Kilo weniger als mein vorheriges All-time-Low. Gestern dachte ich schon, ich müßte mich heute wieder einmal Murphys Gesetz geschlagen geben. 

Damit kann ich eine positive Zwischenbilanz für die viertägigen Fastenintervalle ziehen: Sie sind eindeutig effektiver als die vorherigen Versuche mit zweimal zweitägigen. Und meines Erachtens muß das Fasten klug dosiert werden - wenn man zuviel davon macht, reduziert es meinem Eindruck nach die Wirkung. Die Fastenphasen sollten in einem Vier-Wochen-Zeitraum in jedem Fall deutlich weniger als die Hälfte ausmachen.

So jedenfalls kann man meinen Gewichtsverlauf interpretieren. Dazu zwei Grafiken. Die erste umfaßt 45 Tage zwischen Ostern und Ende Mai, von denen 22 Fastentage gewesen sind. Die meisten dieser Fastentage waren Zwei-Tages-Intervalle, aber es waren auch zweimal dreitägige dazwischen und natürlich ebenso ein paar einzelne. Zeitweise sah es aus, als gäbe es einen Trend nach unten, aber so richtig überzeugend fiel er nicht aus, und das, obwohl ich fast die Hälfte der Zeit gefastet hatte.

 

Zum Vergleich die grafische Darstellung meiner bisherigen vier langen Fastenintervalle im Zeitraum zwischen dem 22.6. und heute. Dieser Zeitraum umfaßt 89 Tage, von denen 39 Fastentage gewesen sind - und zwar in den ersten 40 Tagen 21 Fastentage, in den zweiten 49 Tagen 18 Fastentage. Das erste lange Fastenintervall umfaßte fünf Tage, die drei anderen vier. Der zwischenzeitliche Anstieg hat natürlich etwas damit zu tun, daß ich die Zahl meiner Fastentage reduziert hatte, aber die Ursache dafür war nicht, daß meine Fettpolster mehr geworden wären, sondern daß mein Wasserhaushalt, der wegen der vielen Fastentage davor nie richtig ausgeglichen war, sich zwischen den Fastenintervallen wieder normalisieren konnte.

Und hier der komplette Zeitraum ab Ostern: 

Ich meine, man sieht schon einen deutlichen Fortschritt. Die heftigen Ausschläge nach oben nach einem viertägigen Fastenintervall muß man halt aushalten, wichtig wäre es mir diesmal nur, daß dieser Ausschlag nach oben vor der Zahl 100 gestoppt werden kann, und da ich heute 700 Gramm weniger wiege als nach dem letzten viertägigen Fastenintervall hoffe ich, es klappt diesesmal wirklich. Diese verflixte 100! Ich hätte nie gedacht, daß es so lange dauern würde, bis ich sie nicht mehr sehen muß. Aber offenbar hatte es nicht viel Sinn, das mit der Brechstange schnellstmöglich erzwingen zu wollen.

Nächste und übernächste Woche faste ich jeweils zwei Tage die Woche und danach kommt das nächste viertägige Fastenintervall. Rechne ich die darauffolgende Woche noch dazu, um auf 28 Tage zu kommen, habe ich in diesem Vier-Wochen-Zeitraum zehn Fastentage, also so viele wie zu der Zeit als ich noch nach dem Schema 2-3-2-3 mit einzelnen Fastentagen fastete, das mittlerweile keine überzeugende Wirkung mehr zeigt. Ich vermute, daß die Umstellung trotz gleicher Zahl von Fastentgen ein überzeugenderes Ergebnis bringt. Ob das wirklich so sein wird, sehen wir dann in drei Wochen.



Donnerstag, 17. September 2020

Dick ist schick? Das Konzept "Body Positivity"

Mein Gewicht heute morgen nach drei aufeinanderfolgenden Fastentagen und zu Beginn des vierten: 95,4 Kilogramm. Ich hoffe, morgen früh kann ich ein neues All-time-Low melden, aber völlig sicher bin ich mir da noch nicht. Das alte All-time-Low lag bei 94,8, also 600 Gramm niedriger als mein heutiges Gewicht, und am vierten von vier aufeinanderfolgenden Fastentagen kann die Abnahme auch mal bei nur 600 Gramm liegen. Gehabt habe ich bei meinen drei früheren langen Fastenintervallen an Tag 4 aber auch schon mehr als ein Kilo minus.

Wenn ich Pech habe, gibt das also eine Punktlandung auf die alte Bestmarke, statt eine neue zu setzen. Wäre das nicht mal wieder typisch? Aber das eigentlich Wichtige ist es natürlich, daß das Gewicht nicht wieder auf über 100 zurückbounct. In diesem Punkt bin ich langsam wirklich einigermaßen zermürbt. Wie tief das Gewicht insgesamt runtergeht, ist ja vor allem eine Wasserfrage, und ich könnte mir vorstellen, daß eine einzige normale Fasten-Woche mit zwei Fastentagen zwischen zwei viertägigen Fastenintervallen einfach nicht ausreichend war, um meinen Wasserhaushalt vollständig zu regenerieren. Wenn von vornherein weniger Wasser da ist, verliert man natürlich auch weniger davon. 

Mit den viertägigen Fastenintervallen werde ich in den nächsten Monaten noch weitere Erfahrungen sammeln können. Die drei vollständig durchgezogenen seit Juni hatten teils in etwa denselben Verlauf, teils gab es aber auch Unterschiede. Gemeinsam hatten sie aber, daß ich eine deutliche Wirkung bemerke, die stärker ist als bei meinen vorherigen Experimenten mit zwei- oder dreitägigen Fastenintervallen, auch dann, wenn dabei unter dem Strich mehr Fastentage als jetzt herauskamen. Aber an welchem Körperteil sich die Unterschiede vor allem bemerkbar machen, bleibt doch jedes Mal von Neuem eine Überraschung. Angenehm finde ich es, daß der sichtbare und spürbare Schrumpfungsprozeß sich diesmal vor allem auf den Bauch zu konzentrieren scheint, genau den Körperteil, an dem ich mir wirklich noch eine deutliche Veränderung wünsche.

Daß ich mich über meine körperliche Veränderung freue, ist wohl ein KO-Kriterium, um in gewissen Kreisen gut gelitten zu sein, mit denen ich mich eigentlich - bis zu einem gewissen Punkt - identifizieren kann. Es gibt ja neben den omnipräsenten Kalorienlogikern, mit denen ich nicht einverstanden bin, auch noch die Body-Positivity -Bewegung, mit der ich ebenfalls nicht einverstanden bin. Andererseits praktizieren die genau das, was ich zwanzig Jahre lang auch gemacht habe, und den Grundgedanken, daß es sinnlos ist, sich selbst für seine Figur zu verabscheuen, wenn man diese Figur offenbar bei aller Anstrengung nicht so weit verändern kann, daß man sich dem Mainstream zugehörig fühlen kann, finde ich im Prinzip immer noch vernünftig. 

Die selbstgefällige Arroganz, die hinter der öfter gehörten Warnung von Gesundheitsbeflissenen, durch Body Positivity würden "falsche Rollenmodelle" verbreitet, erinnert mich ein bißchen an die unangenehmeren Spielarten des Pietismus, in denen jeder sich alleine dadurch schon verdächtig machte, daß er ein Leben führte, in dem er sich wohlzufühlen schien und nicht ständig in Zerknirschung Schuldbekenntnisse ablieferte. Glaubt etwa wirklich irgendwer ernsthaft, Body Positivity werde dazu führen, daß junge Mädchen absichtlich dick werden, weil ihnen das aufgrund solcher Einflüsse besser gefällt als eine normalgewichtige Figur? Obwohl den wenigen Vertretern dieses Konzepts wahre Heerscharen von dünnen bis untergewichtigen Models gegenüberstehen, deren Gewichtsklasse der größte Teil der Mode praktisch auf den Leib geschneidert ist? Von der lautstarken Abnehm-Lobby gar nicht erst anzufangen, deren destruktive Botschaften kaum so leicht abzuschütteln sind, wie sich das die Vertreter von Body Positivity wohl wünschen - sogar ich kann nicht verhindern, daß so etwas in meinem Hirn ab und zu bei Mißerfolgserlebnissen aufpoppt. 

Body Positivity ist eine Krücke, die dabei helfen soll, sich mit dem auszusöhnen, was man nun einmal ist und glaubt, nicht ändern zu können, womit von vornherein gesagt ist, daß deren Vertreter auch Zeiten gekannt haben, in denen sie mit ihrem Körper auf Kriegsfuß standen. Es erscheint mir hochgradig irritierend, wenn die "Pietisten" kritisieren, daß dieser Krieg nicht bis zum Sieg, was in Sachen Körpergewicht leider bedeutet, ad infinitum weitergeführt wird (weil dieser Krieg mit den propagierten Mitteln von vornherein nicht zu gewinnen ist). Ich bin aber auch skeptisch, wenn gar zu laut behauptet wird, daß dieser Krieg mit einem aufrichtig gemeinten Friedensvertrag geendet hat. Warum? Weil darüber zu häufig zu viele Worte verschwendet werden. Wenn man seinen Frieden mit sich geschlossen hat, erkennt man das daran, daß die Sache plötzlich nicht mehr großartig erwähnenswert scheint.

Wie ich auf dieses Thema gekommen bin:

Die FAZ brachte gestern einen Bericht über die Entscheidung von H+M, seine Plus-Size-Kollektion nur noch im Onlineshop anzubieten, und interviewte darin auch eine Plus-Size-Bloggerin zu diesem Thema, die fand, dicke Frauen würden dadurch diskriminiert. Ein paar Sätze weiter sagte sie dann aber selbst, daß sie so gut wie alles online einkaufe. Im Prinzip verständlich, das mache ich ebenfalls, aber andererseits würde ich in diesem Fall doch etwas mehr Verständnis für die Händler erwarten, die sich aus der Logik gewinnerzielender Unternehmen heraus natürlich dem real erlebten Kaufverhalten anpassen. Nach Kremers Meinung müsste es umgekehrt laufen, und so ganz leuchtet mir nicht ein, warum. Auch das hier hat mich nicht ganz überzeugt:

Als dicker Mensch wächst man damit auf, dass nicht alles passt, dass man oft benachteiligt und diskriminiert wird, dass man einen blöden Spruch bekommt, das kennt man nicht anders.

Ich habe mal flüchtig durch Julia Kremers Blog geklickt, unter anderem weil mich ihre Kleidergröße interessiert hat. Zugegeben, dabei kam mich mir ein bißchen blöd vor. Was geht mich denn die Kleidergröße anderer Leute an? Aber um einschätzen zu können, ob ich den ersten Halbsatz des zitierten Satzes für richtig oder für falsch halte, spielt es halt doch eine Rolle. Die zweite Hälfte kann ich schon eher mitunterschreiben ... wobei das aber meinem Empfinden nach mit zunehmendem Alter ganz erheblich nachgelassen hat, obwohl ich gleichzeitig immer fetter geworden bin, also trotz der zunehmenden Umfänge anderer Gleichaltriger immer ungefähr gleich stark aus dem Rahmen gefallen bin. Wahrscheinlich hat es nicht nur mit dem, was andere Leute sagen oder tun, zu tun, sondern auch damit, daß man so etwas umso tragischer nimmt, je näher man noch an den Teenagerjahren dran ist, und dabei manchmal auch Flöhe husten hört. 

Meine Güte, mit 16 trug ich Kleidergröße 40 und litt gräßlich unter jedem möglicherweise auch ganz falsch interpretierten spöttischen Blick. Aus der Zeit in den letzten zehn Jahren, in denen meine schlimmste Zunahmephase mitenthalten ist, fallen mir spontan gerade mal zwei Gelegenheiten ein, bei denen mir irgendwer etwas ins Gesicht gesagt hat, was mir unangenehm aufstieß. Das einzige, was mich in dieser Zeit wirklich geärgert hat, waren blöde Medienberichte und natürlich auch dumme Forumskommentare von irgendwelchen Besserwissern, die aber keine Ahnung hatten, daß das, was sie geschrieben hatten, auf mich zutreffend war. Aber wenn ich das in Verhältnis setze zu gleich dummen Forumskommentaren von Besserwissern zu anderen Themen, über die ich mich genauso ärgerte, ist mir klar, daß der Ärger ein übergreifender ist, der viel mehr mit dem Eindruck, von lauter selbstgefälligen Vollidioten umgeben zu sein, als mit Vorurteilen gegenüber Übergewichtigen zu tun hat. Das ist eher ein Problem mit dem Medium "Online-Diskussionsforum"; auch wenn man dort wirklich nette und kluge Leute treffen kann, überwiegen doch die gehirnerweichenden Beiträger bei weitem. In letzter Konsequenz hat das dazu geführt, daß ich Forumsdiskussionen vor einigen Jahren ganz aufgegeben habe. Bei Abnehmen.com habe ich meinen Account erst nach einigem Zögern erstellt und war schon zwei- oder dreimal kurz davor, ihn wieder zu löschen. Aber obwohl ich dort mittlerweile ziemlich still geworden bin, ist es dazu bislang nicht gekommen.

Julia Kremer, auch das fiel mir auf, erwähnt ziemlich häufig, daß sie unter ihrem Übergewicht früher sehr gelitten hat. Mit ihrem Blog hat sie also vor allem den Spieß herumgedreht, und das sei ihr, was mich betrifft, gegönnt, denn ich bin da ganz unpietistisch. Aber irgendwie wirkt die gar zu häufige Erwähnung, wie selbstbewußt sie jetzt sei und wie sehr ihr dieses Selbstbewußtsein früher gefehlt habe, doch ein bißchen wie Pfeifen im finsteren Wald. Ich fände es um einiges überzeugender, wenn das nur sporadisch und dann ganz beiläufig erwähnt würde.

Was die Frage der Paßform von Kleidung betrifft, muß ich dem Zitat aber in jedem Fall widersprechen. Erstens ist es kein Privileg von Kleidergröße 46 aufwärts (Julia Kremers Definition von Plus Size, also gehöre ich mittlerweile nicht mehr dazu, sie mit aktuell Größe 48 hingegen schon), daß manche Kleidungsstücke, die einem gefallen würden, an einem einfach nicht so aussehen, wie man sich das wünschen würde. Und obwohl mir ab Kleidergröße 52 eigentlich fast gar nichts mehr an mir richtig gefallen hat, bin ich doch nicht blind dafür, daß unabhängig vom Gewicht und der Figur vor allem nicht jedem alles steht, was gerade als der letzte Schrei gilt - man mache die Probe aufs Exempel, indem man sich in ein Straßencafé setzt, von dem aus man die Leute beim Flanieren beobachten kann; mir fallen da so gut wie immer nach der neuesten Mode gekleidete Mädels auf, bei denen ich denke: Das Teil, das die anhat, steht ihr aber überhaupt nicht. 

Das geht mir aber auch bei schlanken Frauen so; ich finde zum Beispiel, wer an der Grenze zum Untergewicht ist, tut sich selbst gar keinen Gefallen mit dem Tragen hautenger Jeans, das sieht manchmal sogar bei eigentlich hübschen jungen Mädchen richtig abstoßend aus. Von Damen in reiferen Jahren gar nicht anzufangen. Bei denen sieht oft aber auch schon ein bemüht jugendliches Outfit ein bißchen peinlich aus, nämlich immer dann, wenn es Bestandteil eines dem Augenschein nach ernstgemeinten Versuchs ist, wie eine Sechzehnjährige auszusehen, etwa wenn sie sich zusätzlich auch noch benehmen wie ein kichernder Teenager. Man muß ja nicht gleich zur Kittelschürzenträgerin werden, aber mit etwas mehr Würde zu altern, darauf lege ich für mich eigentlich schon Wert. Ich finde es übrigens auch immer ein wenig skurril, wenn Leute meines Alters allen Ernstes zu glauben scheinen - und ja, das erlebe ich ziemlich regelmäßig -, daß Zwanzigjährige sie als Teil ihrer eigenen Generation betrachten. Das tun Zwanzigjährige nämlich keineswegs. Sogar mein Sohn hat mit Mitte 30 bereits bemerkt, daß er nicht mehr zu der "Jugend von heute" gehört.

Aber außerdem kann ich auch nicht finden, daß man mit Übergröße zu wenig Auswahl beim Shoppen hat. Kleidung in großen Größen gibt es inzwischen ja in jeder Preislage und für jeden Anspruch, von Primark und Kik über C&A oder Kaufhof, sämtliche Anbieter von "Made in Italy" und Vergleichbarem, bis hin zu schicken Boutiquen, in der Regel speziell für große Größen. 

Auch wenn Julia Kremer darüber vielleicht die Nase rümpfen würde, gerade im Billig-Bereich hat sich am meisten geändert, und mich hat eigentlich schon lange gewundert, warum das nicht schon viel früher geschehen ist. Übergewicht ist ja bei niedrigem Einkommen und Sozialstatus häufiger. Über die Gründe dafür will ich jetzt keine langen Abhandlungen schreiben, aber wenn Handelsketten Milliarden damit gescheffelt haben, speziell dieser Zielgruppe günstige Lebensmittel zu verkaufen, erstaunt es doch ein wenig, daß die Kleidung unter den dort angebotenen Aktionsartikeln so lange unweigerlich nur bis Größe 44 ging.

Aber seit ein paar Jahren finden sich regelmäßig auch große Größen in den Prospekten, und das scheint ein solcher Verkaufsschlager zu sein, daß ich neuerdings das Gefühl habe, das ist nahe dran, die Normalgrößen von der Menge her zu übersteigen. Aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. Es ist ja eigentlich immer so, daß man immer das Gefühl hat, die coolen Sachen gibt es in allen möglichen Größen außer derjenigen, die man gerade trägt. Und ich bin jetzt halt doch mittlerweile aus den Kleidergrößen ab 46 nach unten herausgerutscht. Und ja: Manche von den Sachen im Lidl- oder Aldi-Prospekt finde ich cool. Ich habe meinen Geschmack (und mein Selbstwertgefühl) noch nie am Preis der Kleidung, die ich trage, festgemacht.

Mit Größe 44 - die ich nicht nur jetzt trage, sondern auch vor dreißig Jahren trug - ging es gerade noch, aber mit Größe 52 hatte man um 1990 herum eine weit geringere Auswahl als jetzt. Und außerdem verlangten die Versandhäuser auch höhere Preise für größere Größen, was mich schon mit Größe 40 tierisch geärgert hat. Ich erinnere mich noch an den ersten Bon-Prix-Katalog Anfang der Neunziger, an dem das besonders Interessante war, daß dort alle Größen gleich viel kosteten. Es ist sicherlich kein Zufall, daß dieser Versandhändler sich nicht nur seitdem auf dem Markt gehalten hat, sondern vermutlich einen großen Teil seines Umsatzes mit Übergrößen macht. 

Daß es mit zunehmendem Gewicht immer schwieriger wird, Kleidungsstücke zu finden, in denen man sich selbst hübsch findet, ist meiner Meinung nach nicht die Schuld der Modeketten, sondern hat etwas damit zu tun, daß man mit Kleidergröße 52 in einem Modell, das an Kleidergröße 38 toll aussieht, den eigenen Anblick meistens als enttäuschend empfindet. Ich spreche da auch aus Erfahrung! Nun könnte man argumentieren, daß solche Enttäuschungen einem erspart werden könnten, indem die Modelabels von vornherein Models in Größe 52 für ihre Werbung engagieren. Ich kann allerdings verstehen, daß sie den Teufel tun werden, denn die wissen natürlich, daß dieser Anblick für die potentiellen Käuferinnen so ernüchternd wäre, daß er höchstwahrscheinlich zu weniger Verkäufen führen würde. Es ist ja auch kein Zufall, daß die Plus-Size-Modelle selten mehr als Kleidergröße 44 aufweisen. 

Wer Klamotten kaufen will, die er schon an jemandem mit der eigenen Kleidergröße gesehen hat, hat die besten Chancen noch bei eBay, wo manche Leute Fotos von sich selbst in dem angebotenen Kleidungsstück beifügen. 

Das Konzept der "Body Positivity" sehe ich eher kritisch, wenn es um eine Figur geht, wie ich sie 2017 hatte. Bis ca. Kleidergröße 46 oder 48 hat ein vergleichbares gedankliches Konzept für mich in der Tat auch gut funktioniert. Ich war (und bin) der Meinung, es sei sinnlos, gegen mein Körpergewicht anzukämpfen, wenn dafür eine freud- und lustlose permanente Selbstkasteiung erforderlich wäre, also war ich bereit, mich so zu akzeptieren, wie ich eben war. Aber - alle Gesundheitserwägungen einmal ausgeklammert, die als Drohkulisse so gerne auch noch vollständig gesunden Übergewichtigen vor den Latz geknallt werden - Voraussetzung dafür war dennoch, daß mich meine Figur nicht im Alltag behinderte. Ich möchte ausdrücklich nicht, daß irgendwer mir einzureden versucht, eine Figur, mit der ich nicht mehr in der Lage bin, mir auf dem Klo den Hintern abzuwischen (und an diesen Punkt war ich zeitweise gelangt!), sei etwas, womit ich mich superwohl fühlen könnte, wenn ich nur über genügend Selbstbewußtsein verfügte. Ich lege Wert darauf, meine Zehennägel nicht im Blindflug schneiden zu müssen, weil ich meine Zehen nicht mehr sehen kann, oder nicht so tun zu müssen, als hätte ich einen aufgegangenen Schnürsenkel auf der Straße nicht bemerkt, weil ich nicht in der Lage bin, mich vollständig hinunterzubücken. Gar nicht davon zu reden - und diesen Zugewinn an Lebensqualität hatte ich noch nicht einmal auf der Rechnung gehabt -, daß ich nie wieder unfähig sein will, mich am Rücken zu kratzen.

Ich will auf gar keinen Fall, daß das irgendwie hämisch klingt, denn so ist das nicht gemeint: In einem Post erwähnte Julia Kremer, daß sie seit ihrem Beginn als Bloggerin zehn Kilogramm zugenommen hätte, und das läßt ahnen, daß der Prozeß der Gewichtszunahme bei ihr nicht von alleine enden, sondern weiter anhalten wird. Das wiederum bedeutet, daß sie eines Tages wohl auch an den Punkt kommen wird, an dem ich - nach einigen inneren Kämpfen - entschied, daß ich mich in diesem veränderten Körper gar nicht wohlfüllen wollte. Diesen Moment stelle ich mir bei jemandem wie ihr besonders schwierig vor, denn schließlich hat sie sich selbst mit dem gleichen Konzept zur Marke gemacht. Wahrscheinlich werden ihre Follower ihr eine solche Meinungsänderung ähnlich übelnehmen, wie das Veganern, die bloggen, passieren kann, die nach ein paar Jahren merken, daß ihre Ernährung ihnen gesundheitlich nicht wirklich guttut, und ihre Ernährung deshalb wieder auf Fleisch- oder wenigstens Milchproduktekonsum umstellen. 

Genau das wird dann wirkliches Selbstbewußtsein erfordern, wollen wir ihr also wünschen, daß sie wirklich genügend davon aufgebaut hat.

Bis ich über diesen Schatten gesprungen war, das hat auch seine zwei, drei Jahre gedauert. Bei mir war die Hürde damals ausschließlich die zwanzig Jahre alte Entscheidung, daß es unter meiner Würde sei, gegen mein Gewicht anzukämpfen, wenn das einen Dauerkampf ohne zu erwartenden "echten" Erfolg, also das Erreichen des Idealgewichts (wie ich das in meinen Teenagerjahren vergeblich versucht hatte) erforderlich machen würde. Daß ich im Alter zwischen 42 und 52 dann über Jahre hinweg nicht einmal in der Lage war, meinen letzten Wohlfühlbereich im Gewicht wieder zu erreichen, sondern mit jedem neuen Versuch nur noch schneller zunahm, fand ich ganz schön deprimierend, aber es schien auch zu bestätigen, daß mein vorheriges Konzept richtig gewesen war. Nur ändert das halt nichts daran, daß es nicht witzig ist, seine Fußnägel nicht mehr vernünftig schneiden zu können. Von noch peinlicheren Problemen ganz zu schweigen. Das war so unangenehm, daß ich zu meinem alten Konzept nicht mehr zurückkonnte, ohne mich selbst zu belügen, obwohl ich so lange kein neues fand.

Aber als ich dann mit dem Intervallfasten das richtige Mittel gefunden hatte, das wirklich funktionierte, habe ich mich mit dem Wohlfühlgewicht nicht mehr allzu lange aufgehalten. Sobald mir klar war, daß Intervallfasten mir tatsächlich zum Normalgewicht zurückverhelfen kann, wollte ich wenigstens so nahe an diese Marke herankommen, daß ich weiß, wenn ich es wirklich wollte, könnte ich sie ebenfalls überspringen. Daß ich dieses Überspringen aber nicht plane, sondern bewußt unterlassen werde, ist mein Stinkefinger an die Adresse der BMI-Rechenkünstler und, wenn ich es mir recht überlege, doch auch eine Art Hommage an die Body-Positivity-Bewegung, so zwiespältig ich sie auch in Teilbereichen sehe.

Ich wünsche also Julia Kremer, daß sie sich weiter wohlfühlt und auch wirklich Grund dazu hat, aber falls sie anfängt, sich in ihrer Haut unwohl zu fühlen, daß ihr Selbstbewußtsein ausreicht, um sich neu und anders zu entscheiden. Und ich wünsche ihr, daß sie dann auch keine zehn Jahre vergebliche Mühen hinter sich bringen wird, bis auf eine der beiden Methoden stößt, mit denen sie ein selbstgewähltes Abnahmeziel wirklich erreichen kann, nämlich Low Carb oder Intervallfasten. Jeder Mensch braucht seine Umwege, glaube ich, aber man muß im Irrgarten des Lebens ja nicht jeden einzelnen Umweg mitmachen müssen.