Freitag, 25. Juni 2021

Hosen Größe 40 :-)

Mein Gewicht heute früh nach vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 93,8 Kilogramm. Schade, kein neues Niedrigstgewicht (300 Gramm zu viel), aber dazu sprechen wir uns am besten in zwei Wochen wieder, nach meinem nächsten langen Fastenintervall, es müßte nämlich schon mit dem Teufel zugehen, wenn mir dann dasselbe passieren würde. Erfreulich ist in jedem Fall, daß ich so nahe an meinem Niedrigstgewicht herausgekommen bin, das ich vor dem Besuch bei meiner Mutter und der damit verbundenen Fastenpause hatte, denn damit hatte ich nicht unbedingt gerechnet. 

Ebenso erfreulich: Das Maßband brachte wieder ein Minus an den Tag, und zwar beim Bauch (wo ich es auch besonders gerne gesehen habe). Estmals seit Gottweißwann habe ich außerdem einen Bauchumfang von weniger als 100 cm gemessen. Ulkigerweise hatte ich diesmal subjektiv gar nicht den Eindruck, daß das Fasten am Bauch besonders starke Wirkung gezeigt hat. Ich merke den Unterschied nach dem Fasten diesmal ganz besonders an den Oberschenkeln.

Noch erfreulicher finde ich, daß bei meinen Hosen die Umstellung von Größe 42 auf Größe 40 begonnen hat. In einer dieser 40er-Hosen, eine Leinenhose von Lidl, sitze ich gerade vor dem Rechner. Es ist dieselbe Hose, die ich letzten Sommer in einem Anfall von Größenwahn schon in 38 erworben hatte, aber die muß wohl noch bis nächsten Sommer warten. Und weil dieselben Hosen dieses Jahr wieder angeboten wurden, habe ich mir ein Exemplar in Größe 40 zugelegt und ein zweites Modell in anderem Design gleich noch dazu, das mir ebenfalls paßt.

Heute morgen habe ich außerdem eine neue Jeans in Größe 40 anprobiert und festgestellt, ich kriege sie, wenn auch mit etwas Mühe, tatsächlich schon zu. Richtig bequem ist sie freilich noch nicht, und da mich nichts dazu zwingt, es anders zu halten, werde ich sie über den Sommer noch liegenlassen, das ist ja ohnehin nicht die typische Jeanshosenjahreszeit. Im September sollte sie dann eigentlich tragbar sein. Zwei, drei Kilo hin oder her sollten bezüglich der Bequemlichkeit einen großen Unterschied machen, und die werde ich ja hoffentlich dann weniger wiegen. 

Drei Hosen in Größe 40 also, die ich bislang tragen kann. Das sind natürlich diejenigen, die vom Schnitt her etwas größer ausfallen, aber wie bei Größe 42 wird nun der Rest nach und nach ebenfalls folgen. Obenherum fehlen mir aktuelle Erfahrungswerte - ein paar T-Shirts will ich schon ewig kaufen, weil ich einige als zu groß aussortiert habe, ohne bislang dazugekommen zu sein -, aber meinem Eindruck nach kann ich da wohl auch langsam von der 44 auf 42 umsteigen. Auch wenn meine Abnahme gerade nicht mehr so stürmisch wie im April und Mai verläuft, habe ich doch auch im Juni meine Erfolgserlebnisse.

Gegessen habe ich heute noch nichts, weil ich mich in meinen aktuellen Projekten verheddert hatte und mich durch die verschobene Mahlzeit zu zügiger und konzentrierter Arbeit motivieren wollte, was auch gut funktioniert hat. Da ich momentan auch gar keinen Hunger habe, kann ich mit meiner ersten Mahlzeit des Tages problemlos noch warten, bis ich - nach 16 Uhr - mit meiner Mutter telefoniert und ihr vorgelesen habe. (Das Vorlesen haben wir jetzt zu einer Dauereinrichtung gemacht, weil es uns beiden Spaß macht, wir auf diese Weise täglich telefonieren und ich Bücher lese, die ich andernfalls vermutlich so schnell nicht wieder in die Hand genommen hätte - eine Win-win-win-Situation gewissermaßen. Inzwischen haben wir zwei dreibändige Werke abgeschlossen und jetzt sind wir beim dritten Buch, diesmal nur einbändig.)

Da ich jetzt aber noch eine Runde konzentierter Arbeit einlegen sollte, lasse ich es diesmal mit einem ungewohnt kurzen Blogbeitrag bewenden.




Samstag, 19. Juni 2021

Herman Pontzer: Der Armchair-Engineer

Mein Gewicht heute morgen nach dem zweiten Fastentag der Woche: 96,9 Kilogramm. Schön, daß ich jetzt regelmäßig auch nach einzelnen Fastentagen die 97 Kilogramm unterschreite, die bei mir bekanntlich die schöne Zahl von 50 Kilogramm Gewichtsabnahme markieren. Da ich mich entschieden habe, im Juni und Juli zusammengenommen drei lange Fastenintervalle mit je vier Fastentagen unterzubringen, bin ich guten Mutes, wenn Ende Juli dann der Urlaub meines Mannes beginnt, noch ein Stückchen weiter abwärts gelangt zu sein. Vielleicht gelingt es ja sogar, vor dem August die 97/50 komplett hinter mir zu lassen? Drei lange Fastenintervalle in sechs Wochen sind ja schon eine Menge.

Wenn mein Mann im August seine drei Wochen Urlaub hat, will ich auf lange Fastenintervalle auch dieses Jahr wieder verzichten, aber so viel habe ich aus dem letzten Jahr gelernt, daß mir diese Zeit gar zu sehr fehlen würde, um dies ersatzlos zu tun. Also ziehe ich ein langes Fastenintervall, das eigentlich im August geplant gewesen wäre, in den Juli vor. Und sollte der Brötchengeber meines Mannes im Anschluß an den Urlaub wieder mit wochenlangen Nachtschichten herumspinnen, so wie letztes Jahr, werde ich darauf diesmal keine Rücksicht mehr nehmen, was die Planung meiner Fastenintervalle betrifft. Dafür war ich mit dem Verlauf von 2020, als ich dauernd um ungelegene Schichten herumzuplanen versucht und dabei mehrmals lange Fastenintervalle ausgelassen habe, viel zu unzufrieden. 

Mittlerweile habe ich den Verdacht, daß der unbefriedigende Verlauf im Jahr 2020 vielleicht wirklich etwas damit zu tun hatte, daß ich ab März das EMS-Training aufgegeben habe UND zusätzlich über den Sommer hinweg viel weniger Bewegung hatte als sonst, da ich ja von Mai bis Oktober normalerweise mindestens jedes zweite Wochenende (zum Teil auch öfter) für Flohmärkte, vor allem Hofflohmärkte nutze. Vor allem die Hofflohmärkte sind einer ausgedehnten Wanderung ja praktisch gleichzusetzen. Letztes Jahr hat mir nicht nur das EMS-Training, sondern auch das gefehlt. 

Falls dies der Grund für die ins Stocken geratene Abnahme gewesen sein sollte (denn sonst habe ich 2020 eigentlich nichts anders gemacht als 2019), finde ich es besonders erfreulich, daß es mit dem Abnehmen dieses Jahr wieder wesentlich besser klappt. Denn dann kann ich annehmen, daß der Effekt, um den Herman Pontzers Buch "Burn" kreist, nämlich die Tatsache, daß der menschliche Stoffwechsel sich - mit einer gewissen Zeitverzögerung - an ein verändertes Bewegungsverhalten anpaßt, in beide Richtungen funktioniert. Das heißt, auch dann, wenn man sein Bewegungsverhalten dauerhaft reduziert, nimmt man zwar zunächst zu (bzw. in meinem Fall trotz Intervallfasten nicht mehr vernünftig ab), aber nach einiger Zeit hat sich der Stoffwechsel der neuen Situation angepaßt und dann läuft es wieder normal. 

Mein diesjähriger Gewichtsverlauf, beginnend mit dem Jahres-Gewichts-Höchststand am 15. Februar:

Nicht einmal meine zehntägige Unterbrechung des Fastens wegen des Besuchs bei meiner Mutter hat mir einen Rückschlag beschert. Bis zum September rechne ich jetzt mit einer kontinuierlichen Tendenz nach unten. 

Im Vergleich dazu derselbe Zeitraum letztes Jahr (noch mit zweitägigen Fastenintervallen): 

Zur Verdeutlichung: Dieses Jahr hatte ich zwar längere, aber deutlich weniger Fastenintervalle im Vergleichszeitraum als letztes Jahr: 48 Fastentage anstelle von 56. Ich vermute, ein Teil des letztjährigen Problems bestand auch darin, daß ich ausnahmsweise doch einmal in ein Energiedefizit gerutscht bin, das ich ansonsten bewußt zu vermeiden versuche.

Herman Pontzer: Burn

Der vorhin erwähnte Herman Pontzer löst bei mir ziemlich gemischte Gefühle mit Tendenz zum Negativen aus. Vor ein paar Wochen habe ich sein Buch "Burn" gelesen. Gemessen an dem Lob, das andere für dieses Buch fanden, ließ es mich enttäuscht und ein bißchen verärgert zurück. Eingestandenermaßen tue ich mich schwer damit, Herman Pontzer und seinen Erkenntnissen gerecht zu werden, weil ich sein Auftreten bei Twitter so unsympathisch finde. Das ist einer der Gründe, warum ich für diesen Blogartikel so verflixt lange gebraucht habe (der andere war Zeitmangel), denn andererseits möchte ich das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten. Ein bißchen möchte ich mir selbst auch beweisen, daß ich Pontzer die Fähigkeit voraus habe, über diesen Sympathie-Schatten zu springen und mich um ein sachgerechtes Urteil zu bemühen.  

Ich habe diesen Blogartikel ja vor einiger Zeit schon vorangekündigt, auch Herrn Pontzer gegenüber, und möchte ihm die Chance geben, ihn zu lesen (auch wenn er sie höchstwahrscheinlich nicht nutzen wird), deshalb an dieser Stelle wieder ein Link zur Google-Übersetzung:  https://translate.google.com/translate?sl=auto&tl=en&u=https://intervallfastenfuerernaehrungssuender.blogspot.com/2021/06/herman-pontzer-der-armchair-engineer.html

Das Zwiespältige an der Sache ist, daß mir Pontzers wissenschaftlicher Beleg dafür, daß Sport beim Abnehmen weitgehend sinnlos ist, eigentlich ja hochwillkommen ist. Vor einigen Jahren schlug das in den Medien schon ziemliche Wellen, aber wie die meisten Berichte, die quer zum Zeitgeist stehen, verschwand es nach einiger Zeit wieder nahezu spurlos aus dem kollektiven Gedächtnis. Diese damaligen Berichte gingen auf Herman Pontzers Arbeit zurück. Nunmehr hat er seine wissenschaftliche Arbeit über die Wirkung des Bewegungsverhaltens auf den Stoffwechsel des Menschen um eine populärwissenschaftliche Buchversion ergänzt, die, nun ja, eben populärwissenschaftlich ist.

Zum fachlichen Hintergrund: Pontzer ist Anthropologe, der sich mit dem Stoffwechsel von Menschenaffen und Menschen in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften vergleichend zu denen in unseren Industriegesellschaften befaßt hat. Besonderer Schwerpunkt seines Buches ist die Stammesgesellschaft der Hadza in Tansania, bei denen Pontzer Feldforschung betrieben hat. Über sein eigenes Fachgebiet hinaus hat Pontzer es aber aus irgendwelchen Gründen sinnvoll gefunden, sich auch mit der an seine Erkenntnisse  anknüpfbaren Frage zu befassen, wie Übergewicht entsteht und wie man es bekämpft. Das war meines Erachtens ein Fehler, denn davon versteht er leider ungefähr so viel wie ein Blinder von der Farbe.

Ein Blinder erklärt uns die Farbe

Pontzer ist schlank und war dies offenbar auch sein ganzes Leben lang. Höchstwahrscheinlich hat er noch nie versucht, sein Gewicht substantiell zu reduzieren, weil er es wohl noch nie nötig gehabt hat. Das schließe ich nicht nur aus den Fotografien des Autors, die ich im Internet so gefunden habe, sondern auch aus der Tatsache, daß er in seinem Buch überhaupt keine persönliche Erfahrungen mit seinem Körpergewicht auch nur flüchtig erwähnt. Gewicht halten oder reduzieren, ist für Pontzer persönlich offenbar kein Thema - jedenfalls noch nicht, denn er scheint noch relativ jung zu sein. Wie er auf das schmale Brett gekommen ist, anderen, die dieses Glück nicht haben, ex cathedra zu erklären, wie das mit der Gewichtskontrolle funktioniert, ist mir nicht bekannt. Daß er herausgefunden hat, daß und warum ein bestimmte und ziemlich populäre Methode nicht wirksam ist, qualifiziert ihn dafür nämlich keineswegs. 

Man merkt dem Text übrigens auch an, wo Pontzer beschreibt, was er selbst erlebt bzw. sich erarbeitet hat und wo er sich auf den Stand der wissenschaftlichen Forschung verläßt, den er zwar wirklich ziemlich genau wiedergibt, aber an keiner Stelle so hinterfragt, wie er seine eigenen Ergebnisse hinterfragen mußte, um seine vorherige Einschätzung den ihr widersprechenden Fakten anzupassen. Das ist auch deshalb schade, weil es ihm eigentlich hätte auffallen sollen, daß es gerade in diesem das Buch dominierenden Teil seiner Schilderung ein paar innere Widersprüche gibt.

Aus irgendeinem Grund ist Pontzer zwar einerseits erkennbar stolz darauf, herausgefunden zu haben, daß eine allgemein für richtig gehaltene Annahme über die Wirkung von Sport auf den menschlichen Stoffwechsel so nicht stimmen kann, aber andererseits felsenfest überzeugt davon, daß es bei der Energiezufuhr keine vergleichbaren steuernden Mechanismen gibt. Beispielhaft dafür ein Zitat:

“Despite all the abuse that the laws of physics have suffered as collateral damage in the Diet Wars, the available data point to calories as the only real factor determining weight loss and gain. If you eat more calories than you burn, you gain weight. Eat less than you burn, and you lose weight.“

(Herman Pontzer, “Burn”)

Was dieses Zitat - sowie eine Unzahl von Äußerungen vergleichbaren Inhalts - so befremdlich macht, ist, daß mit genau derselben Begründung auch seinen eigenen Erkenntnissen widersprochen werden könnte, und vermutlich geschieht dies auch. Pontzers Erkenntnisse sind ja über die Sorgen, die sich kommerziell Interessierte außerdem auch noch machen, mehr als nur ein bißchen verstörend aus Perspektive von Fitnessenthusiasten. So überzeugend Pontzers Beweisführung auf mich auch wirkt, ich bin außerdem überzeugt davon, daß man die eine oder andere Studie auftreiben könnte, die für einen Widerlegungsversuch tauglich wäre. Das ist einer der Gründe, warum ich darauf verzichtet habe, den Wissenschaftler "wissenschaftlich" widerlegen zu wollen. Wissenschaftliche Studien sind in der heutigen säkularen Zeit das, was früher einmal die Bibel gewesen ist: Mit ihrer Hilfe läßt sich alles und dessen Gegenteil "beweisen". Das mache ich nur dann, wenn mir keine gescheitere Methode einfällt, und auch dann nur, wenn allgemeine Logik und der Vergleich der Daten mit ihrer Interpretation ausreichend sind, um sich ein Urteil über eine Studie zu bilden.

Speziell beim Thema Körpergewicht und dessen Beeinflussung ist es aber sowieso sinnvoller, subjektiv dagegen zu argmentieren. Denn klar ist: Keine Studie der Welt kann mich so sehr vom Sinn oder der Sinnlosigkeit einer Maßnahme in diesem Bereich überzeugen wie der persönlich erfahrene Erfolg oder Mißerfolg mit dieser Maßnahme. An Pontzers Entdeckung bezüglich des Sport hat mich folglich mehr als alles andere überzeugt, daß sie sich mit meiner persönlichen Erfahrung bis zum letzten I-Tüpfelchen deckt. Umgekehrt stehen meine persönlichen Erfahrungen im Widerspruch zu Pontzers Beweisführung für die Rolle der Nahrungskalorien, also überzeugt er mich in diesem Punkt nicht. 

Über inhaltliche Differenzen könnte man ja noch diskutieren, aber über den arroganten Dogmatismus in obigem Zitat und das Bestreben, Einwände von vornherein lächerlich zu machen und damit jegliche Diskussion über etwaige einflußnehmende Faktoren gleich im Keim zu ersticken, habe ich mich aber wirklich geärgert. Übrigens ist ein solches Gebaren auch so ziemlich das Gegenteil einer wissenschaftlichen Herangehensweise.

Pontzer spricht außerdem mit gespaltener Zunge. Die Gesetze der Physik hatten Pontzers kämpferischen Einsatz nämlich gar nicht nötig. Daß die zentralen Verfechter der Insulintheorie (auf Englisch "Carbohydrate Insulin Model", abgekürzt: CIM) als Mittel der Gewichtsreduktion und -kontrolle wie auch der allgemeinen Gesunderhaltung die Gesetze der Physik jemals abzustreiten versucht hätten, wäre mir völlig neu. Der Physik den Krieg zu erklären, ist ja auch gar nicht nötig, um Pontzers Auffassung zu widerlegen. Den darin enthaltenen zentralen Denkfehler habe ich auf der Stelle gefunden – er verbirgt sich in dem harmlos wirkenden Wort „Eat“. Wie viele Kalorien an Nahrungsenergie ich in den Mund nehme, kaue und hinunterschlucke, ist es nämlich nicht, worauf es dabei ankommt, sondern vielmehr, was daraufhin mit dieser Energie geschieht. 

Näher betrachtet, widerspricht Pontzer mit obiger Polemik außerdem sich selbst. Daß die Menge Energie, die der Körper verbrennt, von zahlreichen Faktoren und darunter auch von der Menge Energie abhängt, die man zu sich nimmt, streitet Pontzer nämlich gar nicht ab, sondern bestätigt es sogar ausdrücklich. Als kleine Kuriosität findet er es sogar physisch vorteilhaft, mehr Energie durch die Nahrung aufzunehmen, als eigentlich benötigt wird.

When excess calories come pouring in, metabolic rates go up,
burning off much of the excess intake. Think for a moment about what
that means for your organs and all of their various tasks: when energy
is scarce, some nonessential metabolic processes are suppressed; when
times are good, some nonessential metabolic processes are promoted
.

(Pontzer, Burn, Hervorhebungen durch mich)

Wenn der Großteil des Überschusses an Energie also nicht nur einfach sinnlos verbraucht wird, sondern dabei sogar für gewisse nachrangige Stoffwechselprozesse sinnvoll eingesetzt werden kann, die andernfalls vernachlässigt würden (was als Dauerzustand kaum so richtig gesund sein kann!) -, wäre ein Nahrungsmittelüberschuß ja sogar vorteilhaft. Auch verlangt keine zwingende Logik die Annahme, daß speziell dieser kleine Bruchteil, der als Fett gespeichert wird, zwangsläufig gespeichert werden müsse. Im Gegenteil gibt es ja nachweislich Menschen, deren Stoffwechsel überhaupt nicht so verfährt, sowie einen ziemlich großen Teil der Bevölkerung, in der das "Hüftengold" sich erst ab bestimmten Lebensphasen ansammelt, also über mehrere Jahrzehnte der Stoffwechsel ebenfalls so verfährt, daß auch Überschüsse verbraucht werden. 

Ob Herman Pontzer selbst einer der dauerhaften Glückspilze bleiben wird oder zu der viel größeren Zahl von Menschen gehört, die irgendwann einmal doch feststellen, daß ihr Gewicht in die Höhe geht, bleibt abzuwarten. 

Typischerweise passiert diese Veränderung übrigens - mindestens bei Frauen - in Phasen hormoneller Veränderungen wie Schwangerschaften oder in den Wechseljahren. Die Wirkung hormoneller Faktoren angesichts dessen einfach für ausgeschlossen zu erklären, wie Pontzer das macht, ist so irrational, daß ich ihm unterstellen muß, seine Annahme begründet sich vor allem auf einer unausgesprochenen und vielleicht nicht einmal bewußten moralischen Bewertung von Übergewicht: daß nämlich die Gewichtszunahme eine so verdiente Strafe für die Sünde der Völlerei sei, daß es gar nicht anders sein könne, als diese Sünde als ihre Ursache vorauszusetzen. 

Rationaler fände ich allerdings die Frage, ob und wenn ja auf welche Weise der Körper in den beschriebenen Fällen dazu bewogen wird und somit möglicherweise auch in anderen Fällen dazu bewogenwerden kann, auch diesen kleinen Bruchteil nicht zu speichern. Pontzer stellte sie leider nicht.

Skylla und Charybdis

Zweifellos richtig liegt Pontzer, wenn man seiner zitierten Behauptung die unausgesprochene Annahme zugrundelegt, daß eine Speicherung überschüssiger Energie von vornherein gar nicht stattfinden kann, wenn ein Energieüberschuß nicht besteht. Die Sache hätte freilich einen Haken, denn ein über längere Zeit andauerndes Energiedefizit löst ein ärgerliches Phänomen aus, das Pontzer als „Starvation Mode“ ("Hungermodus") bezeichnet.

Now the not-so-great news: their bodies were in starvation mode.
By week 30, their BMRs had dropped nearly 700 kcal per day, or about
25 percent. The reduction in BMR wasn’t just a function of weighing
less; it was far greater than expected from weight loss alone. The
change was deeper. Their cells had reduced their metabolic rate,
working and burning energy more slowly. And the changes weren’t
temporary. When Hall and colleagues checked in with the contestants
again six years after the show, their BMRs were still lower than
expected.

(Pontzer, Burn, über die "Biggest Loser"-Studie)

Mit anderen Worten: Wer weniger Energie zuführt, als der Körper benötigt, riskiert damit, daß sein Körper genau dasselbe tut wie bei zu viel Bewegung: Er paßt seinen Energieverbrauch der Energiezufuhr an. Bei dem Satz "If you eat more calories than you burn, you gain weight" sprach Pontzer also ebenfalls mit gespaltener Zunge, denn natürlich trifft dieser Satz auch dann zu, wenn der Körper in den Hungermodus geht, aber es bedeutet, daß man schon mit weniger Nahrungsenergie zunimmt. Kurz gesagt: Wer seinem Körper ein Kaloriendefizit mit dem Ziel der Gewichtsabnahme für längere Zeit zumutet, wird von ihm bestraft, indem er minderwichtige Körperfunktionen mit weniger Energie versorgt und das dadurch Eingesparte auf den Hüften bunkert.

Unsereins hat das natürlich schon lange aus eigener Erfahrung gewußt. Es ist nämlich das, was nach Diäten regelmäßig passiert. Daß so viele Diätpleiten stattdessen mit persönlichem Versagen erklärt werden, liegt vor allem daran, daß eine andere Erklärung nach Kalorienlogik nicht vorliegen kann. Wer zum Opfer dieses sogenannten Jojo-Effekt wird, ist außerdem besser beraten, sich für sein Versagen selbst zu geißeln, als zu beteuern, daß er sich richtig verhalten habe, denn das wird einem ja sowieso nicht geglaubt.

Bevor wir uns nun einer Frage zuwenden, die Pontzer merkwürdigerweise nicht stellt, obwohl sie angesichts der von ihm akribisch beschriebenen Bemühungen des Stoffwechsels um Ausgleich so naheliegend wäre - nämlich der Frage, ob neben diesen ungewollten Veränderungen der Stoffwechselrate auch die Möglichkeit besteht, selbst an den zugehörigen Stellschrauben zu drehen, um ihn aktiv günstiger zu beeinflussen, möchte ich die innere Logik von Pontzers Behauptungen noch einmal zusammenfassen:

Schenke ich Pontzer Glauben, dann spielen bei der Frage nach zu viel bzw. zu wenig Energie so geringe Energiedifferenzen wie 20 Kilokalorien pro Tag eine Rolle. Diese Zahl - oder, wie Pontzer es ausdrückt: "5 M&Ms", die angeblich 20 kcal entsprechen -, täglich überkonsumiert führen seiner Meinung nach im Jahr zu einer Zunahme von einem Kilogramm Fett. Ein Negativsaldo in dieser Höhe müßte aber dann umgekehrt auch zu einer entsprechenden Reduktion des Grundumsatzes führen und somit die andernfalls zu erwartende Abnahme von einem Kilogramm Fett sabotieren und eine Gewichtsabnahme entweder geringer ausfallen lassen, sie vielleicht sogar ganz verhindern oder schlimmstenfalls ebenfalls eine Zunahme auslösen. 

Um das Gewicht zu halten, müßte man also nach diesem Denkmodell irgendwie zwischen der Skylla „zu viele Kalorien = 5 M&Ms Zunahme pro Tag“ und der Charybdis „zu wenige Kalorien = 5 M&Ms Zunahme pro Tag plus x“ mit heiler Haut hindurchkommen. Ist es aber überhaupt menschenmöglich, seinen persönlichen Energiebedarf auf 20 Kalorien pro Tag exakt zu ermitteln? Mir scheint das nämlich nahezu ausgeschlossen.

Und angenommen, Normalgewichtigen gelänge es auf Basis dieser Kalkulation, das Gewicht halten, hätten wir immer noch das Problem, daß eine Gewichtsabnahme dann von vornherein unmöglich wäre. Ein Lösungsvorschlag auf Basis von Pontzers Annahmen - sogar dann, wenn er wider Erwarten funktionieren würde -, wäre in jedem Fall einer, der die eigentlich drängende Problemstellung komplett ignoriert, die sich aus nachstehender Grafik ergibt:


db360-fig4.gif

Denn wie sollte auf Basis dieser Annahmen Adipösen überhaupt eine Gewichtsabnahme möglich sein?

Aber dann schwärmt Pontzer wieder ausgerechnet von dieser oberpeinlichen National Weight Control Registry.

... an online group of over ten thousand men and women who have lost at
least thirty pounds and kept it off for at least a year. These folks defy
the cynical view that meaningful, sustainable weight loss is impossible.
The average Registry member has lost over sixty pounds and kept it off
for more than four years. They are truly exceptional.

Meiner Meinung nach ist ihm der innere Widerspruch in seiner Herangehensweise also nicht einmal selbst aufgefallen. 

In einem meiner früheren Blogartikel bin ich auf die Merkwürdigkeiten der National Weight Control Registry schon einmal näher eingegangen, also versuche ich, mich hier kurz zu fassen:

"Erfolgreiche Abnahmen" nach Definition der Weight Control Registry umfassen als Minimum ca. 13,6 Kilogramm, die mindestens ein Jahr lang gehalten werden. Da sich der Jojo-Effekt meistens erst nach dem ersten halben Jahr mit einer mehrmonatigen Plateauphase ankündigt und damit ein Jahr nach der Abnahme meistens noch nicht absehbar ist, wie weit die Wiederzunahme noch gehen wird, ist zwar für eine ausreichende Zahl an "Erfolgreichen" wirksam gesorgt, aus deren Datenmaterial man allerhand Kurzweiliges zusammenfabulieren kann, aber für die richtige Welt mit ihren Problemstellungen ist dies eine aus mehreren Gründen völlig unbrauchbare Definition. 

Ich erkläre das mal an meinem eigenen Beispiel:

Die Definition von "Erfolg" à la National Weight Loss Registry hatte ich mit Datum 1.7.2018 erfüllt: Zum 1.7.2017 hatte ich - nach Beginn Intervallfasten am 20.3.2017 mit einem Startgewicht von 147 Kilogramm - erstmals ein Gewicht von 133 Kilogramm unterschritten und somit über 14 Kilogramm abgenommen. Dieses Gewicht hätte ich lediglich halten müssen, um ein Jahr später die Kriterien jener Datensammlung zu erfüllen. In Wirklichkeit habe ich freilich mit Datum 1.7.2018 mein Vorjahresgewicht mit nunmehr 118 Kilogramm um weitere 15 Kilogramm unterboten. Für den 1.7.2021 rechne ich mit einem Gewicht von unter 98 Kilogramm.

Nach den Erfolgskriterien der National Weight Control Registry wäre jemand, der binnen 12 Monaten 48 Kilogramm ab-, aber im Lauf der folgenden drei Jahre davon 34 Kilogramm wieder zugenommen hat, allerdings ebenso erfolgreich wie ich, und das obwohl man bei beiden Gewichtsverläufen kaum dieselben gesundheitlichen Wirkungen unterstellen kann.

Es ist ein Riesenproblem in praktischen allen Studien, daß der Gewichtsverlauf selten auch nur flüchtige Beachtung findet, sondern lediglich Anfangs- und Endgewicht bewertet werden. Was aber, wenn die positive oder negative gesundheitliche Wirkung mit dem Prozeß des Abnehmens und Zunehmens zusammenhängt, und nicht mit dem aktuellen Körpergewicht?Ich kann mich nicht erinnern, jemals irgendwo diese Vermutung gelesen zu haben, aber sie wäre naheliegend, sofern man - anders als Herman Pontzer - hormonelle Faktoren als Auslöser für Gewichtszunahme annimmt.

Warum ich selbst hormonelle Faktoren für maßgeblich halte, will ich nicht wissenschaftlich begründen, sondern mit praktischer Erfahrung.

Zwischen dem 20.3.2017 und dem 1.7.2017, also in einem Zeitraum von ziemlich genau 100 Tagen bzw. 14 Wochen habe ich - wie bereits beschrieben - 14 Kilogramm abgenommen, und zwar mit einer Variante des Intervallfastens, die so sehr "Schmalspur" gewesen ist, daß es mich rückblickend fast geniert: drei Fastenintervalle pro Woche mit einem Fastenzeitfenster von 18 bzw. 21 Stunden pro Fastentag (jeweils im wöchentlichen Wechsel). 

14 Wochen mal drei Tage würde rechnerisch 42 Fastentage ergeben - aber in Wirklichkeit müssen davon zwei Wochen abgezogen werden, in denen ich im Urlaub war. Verbleiben also noch 36 Fastenintervalle. Rein rechnerisch habe ich also in jenem Zeitraum alle 5 Fastentage 2 Kilo abgenommen, obwohl ich je Fastentag nur ein bis zwei Mahlzeiten ausgelassen habe. Außerhalb der Fastenintervalle habe ich daneben so gegessen wie immer, und zwar aus einem ganz einleuchtenden Grund: Ich wollte von niemandem, insbesondere meiner Familie, Fragen gestellt bekommen, die ich nicht beantworten mochte. Was ich tat, war mir nämlich peinlich. Unter anderem deshalb, weil ich gar nicht mit einem Erfolg rechnete, und schon gar nicht mit einem so durchschlagenden.

Mit genau derselben Ernährung hatte ich vor dem 20.3.2017 aber noch zugenommen, und zwar entsetzliche 10 Kilogramm im Zeitraum zwischen Januar und März. 

Auf die beschriebene Weise fastete ich bis Oktober 2017 und nahm in dieser Zeit knapp über 20 Kilogramm ab. Inzwischen habe ich meine Fastenintervalle längst mehrfach verändert und bin mir bewußt, daß die Heilige Inquisition von den allseligmachenden Kalorien sich meine jetzige Abnahme auch auf Basis ihrer Theorie erklären können würde, obwohl mich diese Vorstellung so erbost, daß ich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, auf der Stelle eine 1000-Kalorien-Mahlzeit zu mir nehme. Aber speziell mein Anfangserfolg mit Intervallfasten ergibt auf Kalorienbasis so wenig Sinn, daß Herrn Pontzers einzige Chance, sein Weltbild aufrechtzuerhalten, darin bestehen müßte, mich der Lüge zu bezichtigen.

Ähnliche Erfahrungen wie ich haben aber auch so gut wie alle der besonders leidenschaftlichen Low-Carb-Verfechter auf Twitter gemacht: eine spektakuläre und in dieser Höhe völlig unerwartete Anfangs-Abnahme in den ersten Monaten, gefolgt von einer gewissen Verlangsamung und nach einer gewissen Zeit Plateaubildung, aber typischerweise ohne den Jojo-Effekt, der bei allen anderen Arten von Diäten nach einiger Zeit einsetzt.

Läge es für jemanden, der von sich behauptet, wissenschaftlich zu denken, da nicht nahe, nach dem Faktor zu fragen, der Intervallfasten und Low Carb verbindet, aber bei Diäten fehlt?

Aber wenn jemand mit Low Carb abgenommen hat, kann das in den Augen Herman Pontzers dennoch nur daran liegen, daß derjenige, sozusagen aus Versehen, eine unter seinem physischen Bedarf liegende Kalorienmenge zu sich genommen hat. Wie das zugegangen sein soll, wenn es sich um eine Person mit Ausgangs-BMI 40+ handelt, die eine jahrzehntelange Vorgeschichte mit gescheiterten Versuchen, auf Basis eines Kaloriendefizits Gewicht zu verlieren, erklärt er nicht. 

Und das ist auch kein Wunder.

Vielleicht ist die in der Unterstellung mitschwingende Beleidigung ja doch nur ein Versehen, aber unterschwellige moralische Urteile über Menschen mit Adipositas (die für ihre "Sünde der Völlerei" eine Strafe verdient haben) verringern jedenfalls die Hemmschwelle, solche Menschen zu beleidigen. Und wie beleidigend Pontzers Unterstellung tatsächlich ist, ergibt sich daraus, daß Pontzer damit gleichzeitig unausgesprochen behauptet, in allen früheren Versuchen, ein Kaloriendefizit zu erzielen, wäre dies eigentlich genauso leicht möglich gewesen, da es sich nunmehr bei Low Carb als so einfach erwiesen hat. 

Damit ist die Schuld am vielfachen Versagen der Diät wirkungsvoll dem Diäthaltenden in die Schuhe geschoben worden, und genau das ist beleidigend. Ich bin der Meinung, Pontzer sollte sich für diese Behauptung entschuldigen müssen. Aber damit ist wohl kaum zu rechnen, solange der Himmel nicht das Einsehen hat, ihm als eine Art Akt ausgleichender Gerechtigkeit aus heiterem Himmel zehn Kilo Übergewicht zu schicken und ihn damit vor die Aufgabe zu stellen, es nach seiner eigenen Theorie wieder loszuwerden.

Irritierend fand ich in Pontzers Buch die unausgesprochenen Prämissen, worin das Problem besteht, zu dessen Lösung Pontzer mit seinem Buch beitragen möchte, denn das wechselt ständig. Mal könnte man meinen, die Industrienahrung sei an allem schuld. Dann ist es wieder die Industrialisierung. Und dann der Übergang von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften hin zu Ackerbau und Viehzucht. Fehlt eigentlich nur noch der berühmte Satz von Douglas Adams: "Schon die Bäume waren ein Holzweg. Die Gewässer hätten wir niemals verlassen sollten." Ich fand gerade das, was nicht oder nur selten direkt ausgesprochen wird, sondern zwischen den Zeilen als Urteil versteckt wurde, oft nicht besonders schlüssig.

So ihr nicht alle werdet wie die Hadza ...

Ein Beispiel: Bei den noch ihre traditionelle Lebensweise pflegenden Hadza, so Pontzer in seinem Buch, haben Männer wie Frauen bis ins hohe Alter einen sehr niedrigen Körperfettanteil, eine vermeintlich sehr positive und gesundheitsfördernde Sache, die die Hadza uns klar voraus haben und weshalb bei ihnen auch all die häßlichen Krankheiten nicht auftreten, an denen wir leidern:

The kids and old folks are active, too. Kids are often tasked with fetching water, which can be half a mile from camp, and men and women in their sixties, seventies, and even eighties are out most days foraging like they did in their prime. Obesity, type 2 diabetes, heart disease, and the other major killers in the developed world are virtually unheard of among hunter-gatherers and subsistence farmers. ... Hadza men and women, for example, are incredibly weight stable across the life span; body weights and BMIs hardly change from early adulthood to old age. Ponder that for a moment. In the face of seasonal changes in food availability, through good years and bad, and despite the fact that men and women in their twenties and thirties (usually with young children) work a bit harder than older adults, their weight doesn’t change. Presumably, this sort of effortless weight management was the norm in our hunter-gatherer past. In hunter-gatherer environments like those in which we evolved, our bodies are perfectly capable of managing our weight by adjusting our metabolism and hunger to suit the conditions.

Was Pontzer dabei nicht erwähnt: Die Datenbasis ist, erstens, sehr bescheiden, denn die Zahl der Hadza, die so leben, wie er das beschreibt, wird aktuell nur auf ca. 400 Personen geschätzt. Zweitens ist deren Lebensserwartung geradezu erschütternd niedrig: Sogar wenn die Kindersterblichkeit dabei ausgeklammert wird, beträgt sie weniger als vierzig Lebensjahre. Auf Basis wie vieler Personen im Alter von über sechzig, siebzig oder sogar achtzig Jahren beruht denn Pontzers Einschätzung überhaupt?

Die niedrige Lebenserwartung der Hadza hat natürlich viel mit Infektionskrankheiten zu tun, und theoretisch wäre es bestimmt möglich, einen Hadza-Lebensstil mit unseren Infektionsbekämpfungmethoden zu kombinieren und dadurch das Beste beider Lebensweisen zu vereinen. Aber wäre das, was Pontzer uns als "das Beste der Hadza-Lebensweise" zu verkaufen versucht, eigentlich wirklich so gut für uns, eine Gesellschaft mit einem Durchschnittsalter, in dem der durchschnittliche Hadza schon längst die Radieschen von unten betrachtet? Vergeblich habe ich auch darauf gewartet, daß Pontzer in seinem Buch auch beschreibt, wie es einem Hadza ergeht, der durch Krankheit oder Verletzung für längere Zeit in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt ist, dabei wäre gerade das im Zusammenhang mit seiner Forschung hochinteressant gewesen.  

Was mir durch den Kopf gegangen ist: Ist der konstant niedrige BMI der Hadza bis ins hohe Alter vielleicht das Ergebnis von Selektionsdruck, der ein längeres Überleben gerade derjenigen begünstigt, deren Stoffwechsel in den berüchtigten mittleren Jahren, in denen er auch bei uns in den westlichen Zivilisationen anfängt, uns häßliche Streiche zu spielen, stabiler als bei der Mehrheit der Stammesgenossen bleibt? Erinnert sei außerdem daran, daß mit zunehmendem Lebensalter ein sehr niedriger Körperfettanteil bedeutet, daß das Sterberisiko bei Erkrankungen steigt. Je älter man wird, desto lebensrettender kann es sein, ein bißchen zuzusetzen zu haben. Das habe ich gerade erst bei meiner (normalgewichtigen) Mutter wieder gesehen, als sie im April mit einer Lungenentzündung flachlag. Die fünf Kilo, die sie in den vier Krankheitswochen abgenommen hat, hätten sie mit einem Hadza-BMI bis aufs Skelett abmagern lassen und vermutlich ihre Überlebenschancen drastisch verringert.

Also: Was genau bedeutet es, daß Herman Pontzers Datenmaterial für die überlebenden Hadza im Alter von über 60 einen auffallend niedrigen BMI bescheinigt? Ich kann nicht akzeptieren, daß mir von Pontzer eine dick mit rosa Zuckerguß versehene Interpretatation als die einzig mögliche vorgesetzt wird - und schon gar nicht, wenn uns die dabei beschriebene Lebensweise als vorbildlich und so nacheifernswert dargestellt wird. Daß die Lebensweise der Hadza (auch in Kombination mit einem westlichen Infektionsschutz) wirklich gesünder auch für eine Gesellschaft wäre, in der der Altersdurchschnitt der Bevölkerung höher liegt als die Lebenserwartung eines durchschnittlichen Hadza, davon hat Pontzer mich nicht überzeugt.

Dazu trug auch Kapitel 8 des Buches bei, in dem die Wirkung von körperlichen Höchstleistungen auf den Stoffwechsel untersucht wurde, also sinngemäß das, was der Körper alles aushalten kann. 

Daß er etwas aushalten kann, bedeutet aber noch lange nicht, daß das sonderlich gesund sein muß. Spitzensportler, das ist Allgemeinwissen, müssen sich vor Infektionen sehr viel mehr hüten als unsereins, weil ihr ständiges Leistungstraining ihre Anfälligkeit erhöht. Wenn die körperliche Aktivität nämlich einen so hohen Anteil an der Nahrungsenergie benötigt, läßt sich dies nämlich nicht unbegrenzt durch mehr Energiezufuhr kompensieren. Statt dessen werden minderwichtige Körperfunktionen heruntergefahren - darunter auch die Immunabwehr. Hört sich nicht sonderlich gesund an, oder? Besteht da eigentlich ein Zusammenhang zwischen diesem Phänomen und der niedrigen Lebenserwartung der Hadza, denen wir nacheifern sollen?

Ich bin generell nicht davon überzeugt, daß die gesündestmögliche Lebensweise des Menschen eine mit so viel Bewegung wie möglich wäre, nur weil belegbar wahr ist, daß er eine solche Lebensweise bewältigen kann, jedenfalls in Gesellschaften, in denen vorwiegend junge Menschen leben. Mal eine kleine polemische Stichelei von mir: Vielleicht würden die Hadza ja eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung erreichen, wenn sie nur halb so viel Aktivität für ihren Lebensunterhalt aufbringen müßten und dadurch einen etwas höheren Körperfettanteil hätten.

Ein Denken in radikalen Extremen - hier Hadza-Lifestyle, dort apathische Couch-Potato im dauerhaften Halbkoma - wie das, mit dem diese Auffassung begründet wurde, finde ich auch aus sich selbst heraus bedenklich, es ist ein typisches Merkmals eines zeitgeistigen Optimierungswahns, über dessen Auswüchse ich mich schon an anderer Stelle geäußert habe. Mir liegt gar nichts daran, in irgendeiner Angelegenheit das optimale Ergebnis zu erreichen, weil das mir ein aus sich selbst heraus verfehltes Ziel zu sein scheint und man bei den Bemühungen, auch noch den letzten Prozentpunkt zum Optimum zu bewältigen,  nebenbei ein Dutzend anderer, genauso erstrebenswerter Ziele sabotiert. Mir persönlich ist meine Lebenszeit außerdem viel zu schade dafür, Dinge, die ich nicht gerne tue, nur deshalb dennoch zu tun, weil sie möglicherweise (aber vielleicht eben auch nicht) mein Leben verlängen könnten.

Abschließend noch eines zu Herman Pontzers Buch "Burn", das ich kritikwürdig finde: Was mich anfangs amüsiert, aber bei Fortschreiten des Lesens doch immer mehr geärgert hat, waren die polemischen Ausfälle des Autors, und zwar sowohl diejenigen an die Adresse der Propagandisten von Sport zum Abnehmen  - wo ich Pontzers inhaltliche Kritik teile, aber das verwendete Stilmittel verfehlt finde - als auch diejenige an die Adresse der Low-Carb-Gemeinde, mit der sich Pontzer in den sozialen Medien in Dauerfehde befindet, die ich darüber hinaus auch inhaltlich für falsch halte. 

Ich frage mich wirklich, was das Verlagslektorat geritten haben mag, diesen nervtötenden roten Faden im Buch nicht zu beseitigen. Es erhöht den Unterhaltungswert des Buches keineswegs, im Gegenteil.

Eigentlich bin ich der Meinung, Pontzer sollte sich gerade mit den Leuten aus der Low-Carb-Gemeinde zusammenschließend, die als Mediziner praktisch mit der Behandlung von Adipositas befaßt sind. Mir ist es nämlich ein Rätsel, warum Studien über die Wirkung von Low-Carb-Ernährung in der Regel Normal- bis nur leicht Übergewichtige umfassen. Meinem subjektiven Eindruck nach wirkt eine insulinbasierte Herangehensweise - also: Intervallfasten oder Low Carb oder Zuckerverzicht oder in insulinbeeinflussende andere Maßnahmen -  bei der Gewichtsreduktion umso häufiger (und umso stärker), je höher der Ausgangs-BMI. Genau die besonders hohen BMIs ab ca. 40 sind doch aber das eigentliche auf gesellschaftlicher Ebene zu lösende Problem wegen ihrer höheren gesundheitlichen Relevanz. Ich halte es gesundheitspolitisch für blanken Irrsinn, auf eine möglicherweise besonders wirksame Methode - und sei diese besondere Wirkung auch nur auf einen Teil der Patienten beschränkt, was ich für durchaus möglich halte - nicht ein bißchen interessierter zu reagieren.

Was spräche eigentlich dagegen, anstelle der üblichen Beschränkungen des Datenmaterials bei einer "normalen" wissenschaftlichen Studie die Entwicklung von Patienten einer konventionellen Adipositasklinik einerseits und die eines Low Carb bei der Behandlung von Adipositas anwendenden Arztes andererseits über einen ausreichend langen Zeitraum zu verfolgen? (Spoiler: ein Jahr ist KEIN ausreichend langer Zeitraum.)

Ich blogge jetzt seit über zwei Jahren, deshalb weiß ich nicht mehr genau, wann ich das schon einmal geschrieben habe: In Sachen Adipositas sind wir meiner Meinung nach von Wissenschaft, Medizin und Politik verlassen und haben nur noch die Chance, uns selbst zu helfen. Mir ist es gelungen, mir selbst zu helfen, und anfangs kam mir das wie ein Wunder vor. Ich glaube allerdings nicht an Wunder. Ich glaube an Ursachen und Wirkungen. 

Wenn Herman Pontzer an die Ursachen nicht glaubt, mit denen als Arbeitshypothese eine ganze Reihe vermeintlich hoffnungsloser Fälle von Adipositas unglaubliche Mengen Gewicht abschütteln konnten, wäre es ihm dennoch möglich, sich mit dieser Wirkung zu befassen. Wenn er das nicht tun möchte, dann, finde ich, sollte er aufhören, sich wie die "Armchair Engineers" zu verhalten, über die er sich in seinem Buch so ereifert, denn dann ist er selbst einer.