Freitag, 24. Februar 2023

Gute oder schlechte Idee: Sättigung ohne Lustfaktor?

Mein Gewicht heute früh am dritten von drei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 87,2 Kilogramm. Damit bin ich zufrieden, denn ich habe gestern abend Low Carb wegen einer Veranstaltung unterbrochen, bei der es auch etwas zu essen gab, also war mir klar, daß mein Wasserspeicher heute morgen etwas voller gepumpt sein würde als seither. Am Montag, wenn ich am Tag vor der siebten und damit vorletzten Chemo wieder das nächste lange Fastenintervall starte, sollte ich etwa zwei Kilogramm weniger wiegen als zwei Wochen davor, das ist besser, als ich es vor drei Wochen erwartet hätte. Die hohe Abnahme seit der dritten Januarwoche, als ich noch mehr als 91 Kilogramm gewogen habe, enthält aber, glaube ich, einen verzerrenden Effekt, weil ich in der zweiten Januarwoche trotz Low Carb, vermutlich ebenfalls wegen einer kurzen Unterbrechung, überhaupt keinen Wasserverlust zu verzeichnen hatte. Von den vier Kilogramm minus besteht deshalb wohl mindestens eines aus Wasser. 

Drei Kilogramm in sieben Wochen ist aber auch schon eine Hausnummer. Schade, daß es in diesem Tempo ab jetzt bestimmt nicht mehr weitergehen wird, aber wie es aussieht, kann ich die Dezember-Zunahme trotzdem in Bälde abhaken und mich wieder neuen Gewichtszielen zuwenden, und das kommt genau zur richtigen Zeit, nämlich wenn meine Chemotherapie endet.

Vorgestern war mein Mammographie-Termin, diesmal mit einer "echten" Mammographie - die letzten beiden waren "nur" "Mammo-Sonographien", also Ultraschall, keine Röntgenstrahlen. Diesmal wurde beides gemacht. Auch mit dem Arzt hatte ich Glück, es war nicht der Schnösel. Mit dem Ergebnis war ich ebenfalls zufrieden: Die Tumorgröße gemessen an der längsten Seite hat sich seit der letzten Untersuchung in der Länge ungefähr halbiert, und auf der Röntgenaufnahme war er nur noch als eine Art Strich zu sehen, nicht mehr als Ellipse. Das stellte endlich auch mal den Radiologen zufrieden, der mir zu verstehen gabe, er habe den Schrumpfungsprozeß im Verlauf der ersten vier Zyklen genau wie der Schnösel nicht besonders zufriedenstellend gefunden, obwohl mein Doc das so gelassen sah. Die Antikörpertherapie wirkt so eindrucksvoll, daß ich mich jetzt doch mal fragen muß, warum man eigentlich die EC-Chemo vorher überhaupt macht - oder wenn schon, warum man sie als Erstes macht und nicht gleich mit den Antikörpern anfängt. Das muß ich gelegentlich mal den Doc fragen. 

Aber wer weiß, vielleicht hätte er ja tatsächlich anders entschieden, wenn ich von Anfang an bei ihm Patientin gewesen wäre? In dem Fall will er seinem Kollegen aber bestimmt nicht vor mir am Zeug flicken. Also stelle ich mich mal auf eine eher nichtssagende Antwort ein.

Der Radiologe erwähnte auch - und das war mir völlig neu -, daß auch das jetzt noch sichtbare Tumorgewebe eventuell schon jetzt bereits vollständig "totes Gewebe" sein könnte. Auf diese Idee wäre ich überhaupt nicht gekommen, ich hatte mir irgendwie immer vorgestellt, daß alle "abgemurksten Tumorzellen" sofort abgebaut werden, also das, was noch sichtbar ist, immer auch noch lebendig sei. Dabei hatte ich, wenn ich darüber nachdenke, vor allem die vage Vorstellung, daß das Zellgift der Chemo bzw. die Antikörper den Tumor nur von außen angreifen können, also die Zellen im Inneren, die von der Außengrenze des Tumors weiter entfernt sind, erst angreifbar werden, wenn der Abbau des toten Gewebes bis zu ihnen vorgedrungen ist. Das scheint also doch nicht so zu sein. Unter Umständen habe ich bereits jetzt eine Art "Tumorleiche" in mir - auch wenn der Radiologe über den von mir verwendeten Begriff ein bißchen unglücklich wirkte, als ich ihn aussprach, gab er doch zu, daß er die Sachlage nicht ganz falsch beschreibt.

Ach ja, und den verdammten Clip hat der Radiologe auch endlich gesetzt, obwohl er erst meinte, eigentlich sei das nicht unbedingt nötig. Da es auf der Überweisung stand und ich ihn ausdrücklich haben wollte, habe ich ihn nun also bekommen. Das war übrigens total harmlos, ich habe kaum etwas gespürt. Allerdings bin ich, was Spritzen betrifft - das Ding wurde mit einer Spritze eingeführt - von Haus aus zimperlich und will da immer gar nicht hinsehen, deshalb habe ich den Vorgang, wie die lange Nadel sich dem Punkt näherte, wo der Clip hingehört, nur auf dem Ultraschall-Bildschirm beobachtet und kann deshalb nicht beschreiben, wie das in echt ausgesehen hat. Auf dem Bildschirm sah es ziemlich verwegen aus, wie diese lange Nadel sich langsam dem Ziel näherte, aber das machte mir trotzdem viel weniger aus, als es von außen zu beobachten.

Zwischen mir und dem Radiologen gab es ein Mißverständnis, das dazu führte, daß ich nach Mammo-Sonographie, Clipsetzung und Mammographie eine halbe Ewigkeit im Wartezimmer saß, weil ich selbstverständlich davon ausging, daß die Bilder mit mir noch besprochen werden, während er genauso selbstverständlich glaubte, ich sei schon längst nach Hause gegangen. Weil die Wartezeiten gestern generell ziemlich lang waren - ich glaube, der Schnösel war kurzfristig ausgefallen, so daß sein Kompagnon die doppelte Zahl an Patienten bewältigen mußte -, kam ich nicht darauf, daß ich früher hätte nachhaken sollen. 

Aber hätte ich nachgehakt, wäre ich nicht mit einer wartenden Patientin mit noch ziemlich frischer Brustkrebsdiagnose ins Gespräch gekommen, und wer weiß, wofür das bei ihr gut gewesen ist. Als ich erwähnte, was ich habe und daß ich mit der Chemo schon drei Viertel hinter mir habe, konnte sie sich nämlich gar nicht darüber beruhigen, daß ich so fit und fidel wirkte, denn so hatte sie sich eine Chemo-Patientin überhaupt nicht vorgestellt. Sie hat mich Löcher in den Bauch gefragt zu dem Ablauf der Chemo, dem Port und allem möglichen, und ich gab ihr nach bestem Wissen Auskunft, und ich hoffe, daß ihr das in dieser unangenehmen Phase, in der man einstweilen nur weiß, daß man die Arschkarte gezogen hat, aber noch nicht, wie man sich vorstellen muß, was konkret einen zukommt, ein bißchen geholfen hat.

Ich habe ihr auch vom Fasten erzählt, und das interessierte sie ebenfalls sehr. Ich mußte aber auch an meine letzten beiden Blogartikel und die Nahrungsergänzungsmittel denken, denn sie hat sich, seit sie die Diagnose hat, aus dem Internet bereits eine ziemlich unglaubliche Zusammenstellung von Mittelchen aller Art zusammenbestellt, von Vitaminpräparaten bis zum Wundermittel gegen Krebs eines mazedonischen Wunderheilers, von dem ich auf dem Handyfoto, das sie mir zeigte, nicht erkennen konnte, was es überhaupt enthält, weil die Flasche kyrillisch beschriftet war. Jetzt überlegt sie, ob sie zusätzlich auch fasten soll. Ich gab ihr eine Kurzanleitung, denn als Muslimin ist ihr Fasten zwar vom Ramadan her vertraut, aber im Detail sind beim mehrtägigen Fasten ja ganz andere Dinge zu beachten, vor allem muß man viel trinken, und im Ramadan-Fasten wird ja tagsüber nicht nur nicht gegessen, sondern auch nicht getrunken. Außerdem habe ich ihr gesagt, sie solle auf jeden Fall ihren Arzt über alles informieren, was sie während der Therapie nebenbei einnimmt. Eigentlich hätte ich ihr auch noch sagen wollen, daß sie in jedem Fall herausfinden müsse, ob und wenn ja wie die verschiedenen Mittel miteinander wechselwirken, damit sie nicht versehentlich das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen will, aber da wurde sie dann aufgerufen und ich kam nicht mehr dazu. Hoffen wir also, daß ihr Arzt ihr da weiterhelfen wird und daß er sich dabei nicht wie ein solcher Trampel aufführt, wie es mein erster Onkologe war.

Ihr zu sagen, daß dieses Zeug meiner Meinung nach wahrscheinlich weder eine positive noch eine negative Wirkung haben wird (wobei ich mir bei der kyrillisch beschrifteten Flasche freilich nicht völlig sicher war, weil ich nicht weiß, was sie enthält), habe ich nicht übers Herz gebracht. Im Moment ist es für sie ja sicherlich eine psychische Entlastung, selbst etwas tun zu können, und das wollte ich ihr nicht gerade in der ätzenden Phase, in der man noch gar nicht so genau weiß, wie es weitergehen wird, wegnehmen. Eines fiel mir aber auf, sie hatte gar nicht erst versucht, zu durchschauen, was sich bei Krebs in ihrem Körper abspielt, und darauf basierend überlegt, wie dieses oder jenes Mittel darauf Einfluß nehmen kann, sondern vertraut einfach den Empfehlungen bestimmter Menschen aus ihrem Umfeld, was deren Meinung nach "bei Krebs hilft", und auch wenn das natürlich immer mit irgendwelchen oberflächlichen behaupteten Erklärungen zu der Wirkweise garniert wird: Da ticke ich doch ziemlich anders, obwohl von außen das, was ich mache, auf den ersten flüchtigen Blick möglicherweise ganz ähnlich wirkt.

Nun ja, jedenfalls konnte sie aus unserem Gespräch mitnehmen, daß Chemotherapie nicht zwangsläufig bedeutet, ein halbes Jahr lang wie eine Leiche auf Urlaub auszusehen und sich entsprechend schlecht zu fühlen. Sicherlich hat ja auch sie all diese komischen Broschüren bekommen, die sind voll von Fotos mit bleich geschminkten, meistens traurig lächelnden Frauen. Ich muß sagen, meine Mitpatientinnen, die mir in der Chemo-Abteilung begegnet sind, sehen eigentlich fast alle fitter aus als die in den Broschüren.

Vor dem Mammographie-Termin war ich noch beim "Anzapfen", und auch mit der Chemo-Schwester bin ich in ein Gespräch über das Fasten geraten, weil sie eine Bemerkung darüber gemacht hat, wie erstaunlich gut ich vor allem das fiese Carboplatin wegstecke, und da habe ich ihr davon erzählt, daß und wie ich um die Chemo-Termine herumfaste. Das zu hören, war mir schon eine kleine Genugtuung. Mir selbst fehlt ja so ein bißchen der Vergleich, wie die Nebenwirkungen der Chemo, die ich gerade bekomme, bei anderen Patientinnen ausfallen, aber wenn das irgendwer beurteilen kann, dann sicher sie. Sie bezog sich dabei auf die Blutwerte, die sie ja bei allen Patientinnen regelmäßig zu sehen bekommt, und offenbar sind meine besser, als zu erwarten war. (Das darf sie ruhig mal nebenbei bei meinem ersten Onkologen erwähnen, der das Fasten so vehement abgelehnt hat ...) Also beschrieb ich ihr, wie ich das Fasten einsetze. Das interessierte sie, aber sie  schien sogar noch interessierter am Intervallfasten zur Gewichtsabnahme, an den sechzig Kilo minus, die ich damit erreicht habe, und daran, wie man es überhaupt aushalten kann, mehrere Tage am Stück zu fasten. ;-)

Am Dienstag ist es ja wieder soweit mit der Chemo, und ich fragte sie auch, ob ich dann am Montag noch einmal zur Blutabnahme kommen solle. Wir sind dann so verblieben, daß sie gestern anrufen wollte, falls die Blutwerte noch nicht gut genug waren und deshalb noch einmal kontrolliert werden sollten. Da sie sich aber nicht gemeldet hat, gehe ich davon aus, meine Blutwerte waren vorgestern bereits okay.

***

Etwas Neues aus der Reihe "Studienergebnisse für den Mülleimer": 

In den letzten Tagen zerrte die Online-Ausgabe der Zeit eine Studie hervor, die angeblich herausgefunden haben will, daß Intervallfasten - gemeint war hier die 16:8-Methode - keineswegs beim Abnehmen helfe. Ich bin mir nicht ganz sicher, warum die Studie von 2023 ist, denn über sie wurde schon vor Jahren berichtet. Vielleicht gibt es einfach ein neues Follow-up, denn die Teilnehmer werden nun schon seit sechs Jahren beobachtet - aber so wichtig war es mir nicht, um das unbedingt herausfinden zu müssen. Frühere Zwischenergebnisse gingen aber wohl schon zu verschiedenen Zeitpunkten durch die deutschen sogenannten Qualitätsmedien.

Die Qualität dieser Berichte, der früheren wie der neuen - oder vielmehr das Fehlen selbiger -, beweist alleine schon, daß nirgends, nicht einmal in medizinischen Fachmedien des Springer-Verlags, bemerkt worden ist, daß in dieser Studie keineswegs die Wirkung von 16:8 beschrieben worden sein kann, obwohl man nun wirklich kein Hochschulstudium bräuchte, um das zu erkennen:

"Die durchschnittliche Zeit zwischen der ersten bis zur letzten Mahlzeit betrug 11,5 Stunden. Im Schnitt warteten die Menschen nach dem Aufstehen mit dem Frühstück 1,6 Stunden, während zwischen Abendessen und Schlafengehen vier Stunden verstrichen."

Ich habe mich natürlich vergewissert, daß diese Zeitangaben nicht falsch aus der Studie abgeschrieben wurden. Sie stimmten in der Tat mit den dortigen Angaben überein. 

Keine Ahnung, wieviele Stunden der Tag in dem Paralleluniversum hat, in dem diese Studie durchgeführt wurde, aber bei uns sind es immer noch 24. Eine kleine Textaufgabe, Schwierigkeitsgrad allerhöchstens vierte Grundschulklasse:

Wenn ein Tag 24 Stunden hat und 11,5 Stunden zwischen der ersten und der letzten Mahlzeit des Tages liegen, wieviele Stunden liegen dann zwischen der letzten Mahlzeit dieses Tages und der ersten Mahlzeit des nächsten Tages?

Ergebnis: 

Eine Gewichtsabnahme ist nach dieser Studie nicht zu erwarten, wenn man das Fasten auf __,_ Stunden am Tag beschränkt. 

Es wäre mir allerdings auch völlig neu, daß jemals irgendwer behauptet hätte, mit einem Fastenintervall von 12,5 Stunden könne man prima abnehmen. 

Diese Studie hat also nur einen Popanz aufgebaut und die gesamte Journalistenwelt scheint darauf hereingefallen zu sein. Manchmal verstehe ich diese "Lügenpresse"-Krakehler besser, als es mir lieb wäre, denn bei dieser Art von "Wissenschaftsjournalismus" bin ich mir nie ganz sicher, ob die wirklich so doof sein KÖNNEN, um so grobe innere Widersprüche nicht zu bemerken. Gab es da wirklich überhaupt keinen, der begriff, daß wir mit dieser Studie veralbert werden? :-(

Ungeachtet dessen halte auch ich 16:8 für kein dauerhaft wirksames Mittel zur Gewichtsreduktion, und schon gar nicht sechs Jahre lang, wie das in dieser Studie auch dann hätte sein müssen, falls sie wirklich 16:8 untersucht hätte. Und natürlich wäre sie dann zu einem mindestens ähnlichen Ergebnis gekommen. Was mit solchen Studien aber nicht gemessen werden kann, ist aber die Wirkung in den ersten ca. sechs Monaten, die ja sehr wohl eindrucksvoll ausfallen kann. Dafür gibt es mehr als genug glaubwürdige Zeugen, etwa Eckart von Hirschhausen. Ich gestehe, ich wüßte unheimlich gerne, ob er seit 2019 wieder zugenommen hat, denn seine Abnahme mit 16:8 ist damit ja auch schon wieder vier Jahre her. Das interessiert mich auch deshalb, weil er ja das 16:8-Intervallfasten in einer Weise zum Wohle des eigenen Geldbeutels vermarktet, die mir generell mißfällt, aber natürlich noch viel mehr mißfallen würde, falls es bei ihm selbst mittlerweile gar nicht mehr funktionieren sollte. 

Früher mochte ich den Hirschhausen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ihm der kommerzielle Erfolg seiner Bücher wirklich gutgetan hat. Und Geldmacherei mit Abnehmerfolgen ist mir ja ganz generell ein Greuel. Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der eine 30-Kilo-plus-x-Abnahme hinter sich und darüber KEIN Buch geschrieben hat, obwohl ich gleichzeitig auch sicher bin, daß der Anteil der Buchautoren, die ihr Gewicht nach Veröffentlichung des Buches auch erfolgreich halten konnten, nicht besonders hoch ist. Nur bei den meisten bekommt man das halt nicht so leicht mit wie etwa bei einem Joschka Fischer, der das Scheitern seiner jojoanfälligen Abnahme im politischen Rampenlicht halt nicht verbergen konnte.

Auch in der Low-Carb-Community scheinen im Lauf der Zeit die Erfolge bei einem Teil der zunächst Erfolgreicehn zu bröckeln. Dr. Eenfeldt von der Website "Diet Doctor", einer der langjährigen Low-Carb-Seiten, bastelte deshalb einen neu entwickelten Ansatz, um die Ernährung zu optimieren, den er "Satiety per calorie" nennt, also Sättigkeitsgrad pro Kalorie, und schüttet mir meine Timeline mit ziemlich ungewohnten Mengen von Posts zu. Näher betrachtet führt auch dieser Ansatz zu einer jedenfalls Low-Carb-ähnlichen Ernährungsweise minus einige der meistgeliebten Low-Carb-Snacks, etwa Nüssen. Dafür sehen manche Fast-Food-Produkte, etwa Hamburger, nicht mehr ganz so vermeidenswert aus, obwohl sie neben dem Fleisch auch ein Brötchen enthalten.

Eigentlich ist die Idee ja ganz interessant, aber der Grundgedanke zielt meiner Meinung nach in die falsche Richtung, nämlich dafür zu sorgen, daß man möglichst wenig ißt, nur eben auf einem weniger unangenehmen Weg als bei normalen Diäten, indem man dafür sorgt, daß man möglichst nur stark sättigende Nahrung ißt und solche mit niedrigem Sättigungseffekt vermeidet. Und daß man sich satt essen soll, ist natürlich richtig. 

Es ist ein gedanklicher Grundfehler des üblichen Diät-Ansatzes, den Hunger als eine Art von gerechter Strafe für die Sünde der Völlerei akzeptieren zu müssen. Damit ist man gezwungen, gegen seinen Körper zu kämpfen, und der gewinnt meistens im Lauf der Zeit eben doch. Dieser Fehler wenigstens wird auch nach diesen Satiety-Ansatz weiterhin vermieden. Aber es ist auch ein Fehler, eine Lösung finden zu wollen, die bei jedem für immer klappt, denn eine solche Lösung existiert einfach nicht. Und diesen Fehler macht Dr. Eenfeldt wieder. Hinzu kommt außerdem, daß die Sache viel zu kompliziert und meines Erachtens weniger alltagstauglich ist als Low Carb, das aber wiederum - so hat da Dr. Fung in seinem Buch eindrucksvoll beschrieben - für seine Patienten häufig auch schon im Alltag mit vielen Mißverständnissen behaftet gewesen ist. Das war einer der Gründe, warum er auf das Intervallfasten gekommen ist, bei dem man kaum etwas versehentlich falsch machen kann. 

Außerdem ist natürlich jede Einschränkung der Lebensmittelpalette, die man in einem Supermarkt bekommen kann, etwas, was Willenskraft erfordert, falls unter den verbotenen - oder von mir aus "nicht empfohlenen" - Lebensmitteln welche sein sollten, die man eigentlich immer besonders gerne gegessen hat. Ich halte den in Eensfelds Konzept eigentlich zu vermeidenden "hedonic factor", also den Lustfaktor, für einen Konstruktionsfehler des Konzepts, der die Sache am Ende sehr viel deutlicher als Low Carb scheitern lassen wird. Der Lustfaktor - auch darin bestehend, daß ich immer so viel esse, wie ich wirklich will - ist etwas, das ich mir beim Essen niemals wegnehmen lassen würde. Wer weniger reflektiert ist, wird die Sache zwar umzusetzen versuchen und - wie viele Diäthaltende - ständig laut verkünden, wie sehr er das Essen liebt, das er dabei zu sich nehmen darf, sich aber unbewußt dabei doch immer wieder selbst sabotieren.

Neben der relativen Kompliziertheit und unbewußter Sabotage wird ein Teil der Anwender vermutlich auch daran scheitern, daß der subjektiv empfundene Sättigungseffekt wahrscheinlich bei verschiedenen Anwendern ganz unterschiedlich ausfallen wird und mit der Vorgabe bestimmt häufig nicht kompatibel ist. An sich könnte man das dann ja einfach nur anpassen, aber das erhöht natürlich die Kompliziertheit noch weiter, die meiner Meinung nach ein eigener Stolperfallen-Faktor ist. Und dann gibt es außerdem noch das Problem der Stoffwechselanpassung mit einer mehrmonatigen zeitlichen Verzögerung, gegen das ein bloßes Auswechseln der empfohlenen Lebensmittel im Vergleich zu Low Carb natürlich kein Gegenmittel bietet.

Besonders interessant finde ich an dem Konzept das indirekte Eingeständnis, daß sich Low Carb bei den Patienten von Diet Doctor offenbar nicht nur in vereinzelten Ausnahmenfällen als "nicht optimal" erwiesen zu haben scheint - das habe ich ja schon länger vermutet, und daß Dr. Eenfeldt nicht einfach bei Low Carb geblieben ist, nehme ich als unausgesprochene Bestätigung, obwohl diese Sache leider weiterhin eisern beschwiegen wird. Das ist enorm schade, auch wenn es natürlich im Vergleich zu anderen schon ein Fortschritt ist, daß intern erkannt wurde, daß Low Carb noch nicht ganz die richtige Antwort gewesen ist und nach den zuvor übersehenen Faktoren gesucht zu werden scheint, wenn auch meiner Meinung nach noch nicht an der richtigen Stelle.

Dabei dürfte das Hauptproblem die Langzeitentwicklung sein, in der die Gewichtsziele sich bei einem vermutlich relativ großen Teil der Anwender als mit Low Carb alleine einfach nicht erreichbar erweisen. Dieses Problem wird sich erst dann lösen lassen, wenn der Groschen gefallen ist, daß man es mit nicht vermeidbaren Anpassungsprozessen des Stoffwechsels zu tun hat, denen man mit einer stur gleichbleibenden Herangehensweise niemals beikommen wird, egal, was für eine Methode man wählt. Aber daneben gibt es bestimmt auch Patienten, bei denen es von Anfang an gar nicht oder viel schlechter als bei anderen mit Low Carb (und vermutlich auch mit Fasten, mindestens bei Varianten bis zu 24 Stunden) klappt. 

Es wäre fatal, dies dann, weil das so schön bequem ist, auf mangelnde "Compliance" (also Einhalten der Vorgaben durch den Patienten) zu schieben, obwohl das sicherlich manchmal wirklich die Erklärung ist. Aber ebenso können zum Beispiel genetische Faktoren und daraus resultierende Unterschiede im Stoffwechsel eine Rolle spielen. Und außerdem ist eine bröckelnde Compliance sehr wohl auch ein Indiz dafür, daß es den einzuhaltenden Vorgaben an Alltagtauglichkeit fehlt. Vorgaben funktionieren nämlich nie, wenn sie dauerhaft von der Willenskraft bei der Einhaltung abhängig sind. Es muß, davon bin ich felsenfest überzeugt, nach einer Eingewöhnungsphase bis zu einem gewissen Grad von alleine klappen, was auch immer man macht.

Es ist so schade, daß die Low-Carb-Medizinergemeinde immer so viel Aufhebens um ihre Erfolge macht - die sie ja auch unbestreitbar hat -, aber das Wissen um die Mißerfolge nicht mit uns zu teilen gewillt ist, obwohl genau dies zu wissen wichtig wäre, wenn man auch in diesen Fällen zu einem Erfolg kommen möchte. Deshalb kam mir aber die Idee, einmal nachzusehen, wie das eigentlich bei Virta gewesen ist, und ich fand bei den Zwischenergebnissen nach dem ersten Jahr diese Grafik:

Abgebildet sind im unteren Teil der Abbildung die Gewichtsveränderung jedes einzelnen Patienten nach Ablauf des ersten Jahres, sortiert links nach rechts vom schlechtesten Ergebnis bis zum besten. Der Bildunterschrift in der Quelle entnehme ich, daß man so eine Darstellung ein "Histogramm" nennt, ich hoffe, das kann ich mir merken. Diejenigen, bei denen die Sache gar nicht oder fast gar nicht wirkte (unterer Teil der Abbildung), definieren wir das mal als "weniger als 5 % Veränderung beim Körpergewicht", waren dort tatsächlich nur ein ziemlich kleiner Teil aller Teilnehmer. Leider ist die Abbildung unten abgeschnitten, deswegen muß ich schätzen, aber das könnten so um die 10 Prozent aller Teilnehmer gewesen sein. Es ist dann  keine allzu verwegene Annahme, daß der Anteil der Patienten, die von Beginn an mit Low Carb ganz erfolglos sind oder Grund haben, vom geringen Erfolg enttäuscht zu sein, bei Diet Doctor recht ähnlich sein wird. 

Das ist also der Anteil, bei dem Low Carb von vornherein der falsche Weg ist, und ich bezweifle sehr, daß die Modifikation mit dem Sättigungsfaktor daran allzu viel ändern wird. 

Aber das viel größere Problem ist ja die zeitliche Grenze des Abnahmeerfolgs. Es mag sein, daß bei einem Teil der Patienten diese Grenze nicht besteht, aber falls das so sein sollte, kann ich darüber leider nichts sagen, denn für das erste Jahr ist schon unbekannt, wie hoch der Anteil derer gewesen ist, bei denen der Abnahmetrend schon vor Ablauf des Jahres gekippt war. Allzu viele waren es aber bestimmt nicht, da nach einem Jahr (oberer Teil der Grafik) ja im Durchschnitt immer noch eine Abnahme verzeichnet wurde. Virta hat dummerweise darauf verzichtet, auch in der Publikation der Zweijahresergebnisse ein Histogramm einzufügen, aber im Durchschnitt setzte direkt nach Ablauf des ersten Jahres eine moderate Wiederzunahme ein. Im Histogramm könnte das aber ganz unterschiedliche Anteile von Wiederzunahmebetroffenen bedeuten: Wenige mit dafür sehr hoher Zunahme oder viele mit geringer Zunahme. Das würde natürlich auch ganz andere Schlußfolgerungen nach sich ziehen, was die Langzeit-Erfolgreichen betrifft. Es ist ja möglich, daß es einen relativ kleinen Teil gegeben hat, bei dem Low Carb dauerhaften Erfolg bedeutete, und dann läge es nahe, herausfinden zu wollen, wie man vorab schon ermitteln kann, welche Merkmale dieser Teil aufweist, denn natürlich wäre für sie Low Carb dann auch dauerhaft empfehlenswert.

Richtig ärgerlich fand ich übrigens, daß bei Virta zu den Fünf-Jahres-Ergebnissen immer noch keine exakten Daten bekannt gemacht wurden. Es gibt nach wie vor nur die Pressemitteilung vom Juni 2022, der man freilich entnehmen kann, daß sich die durchschnittliche Gewichtsabnahme nach einem Jahr (obere Grafik, oberer Teil) von durchschnittlich um die 14 % des Körpergewichts auf 6 % mehr als halbiert hatte. Auch wenn Virta damit weiterhin erfolgreicher als konventionelle Diabetesbehandler ist und die Patienten sich immer noch zu diesem Behandler gratulieren können: Das ist definitiv kein Grund mehr zur Euphorie, die bei den Ein-Jahres-Ergebnissen bestimmt noch geherrscht hatte. Es zeugt meiner Meinung nach nicht von Problemlösungswillen, die enttäuschenden Ergebnisse dann vorsichtshalber in einer als Erfolgsmeldung aufgehübschten Pressemitteilung zu verstecken und etwaige Analysen des tatsächlichen Mißerfolgs für vermutlich den größeren Teil der zunächst erfolgreichen Patienten, falls sie erfolgen sollten, strikt intern zu halten.  

Daß Dr. Eenfeldt dieses neue Modell entwickelt hat, zeigt meiner Meinung nach, daß bei Diet Doctor ein ähnliches Problem bestehen muß, und es ist beruhigend, zu erfahren, daß man es immerhin zu lösen versucht. Wie oben beschrieben fürchte ich allerdings, man sucht an der falschen Stelle nach einer Lösung, und das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, daß auch bei Diet Doctor die Problemanalyse intern erfolgt zu sein scheint, also der Blick von außen von vornherein nicht gesucht wurde. Derselbe Fehler, meiner Meinung nach, der in der konventionellen Ernährungswissenschaft schon immer gemacht wurde und dazu führte, daß deren Brett vorm Kopf zum Schaden der Patienten jahrezehntelang wie festbetoniert an Ort und Stelle geblieben ist.