Freitag, 9. April 2021

Der Fehdehandschuh

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des zweiten Fastentags der Woche: 98,9 Kilogramm. Vor zwei Wochen habe ich meinen zweiten Fastentag der Woche schon am Donnerstag statt am Freitag gehabt und ihn mit 98,3 Kilogramm begonnen. Weil ich meinen gestrigen ausgiebigen Bummel über den Wochenmarkt auch genießen wollte, habe ich den zweiten Fastentag diese Woche auf den Freitag verschoben. Durch die zwei Eßtage zwischen den Fastentagen sollte aber auch sichergestellt sein, daß meine Abnahme des zweiten Fastentags nicht wieder bloß frustrierende 500 Gramm beträgt wie vor zwei Wochen, als mir das meine gesamten hoffnungsvollen Spekulationen verdarb. 

Ich habe wieder mit den Gewichtsverläufen der letzten Monate verglichen, und ich bin immer noch auf Kurs, was ein Erreichen oder Unterschreiten meiner Niedrigstwerte von September (niedrigster "Nachher-Wert" nach einem viertägigen Fastentintervall am 18.9.20: 94,3 Kilogramm) bzw. Oktober (niedrigster "Vorher-Wert vor einem viertägigen Fastenintervall: 100,1 Kilogramm am 5.10.20) betrifft. Vielleicht klappt es also nächste Woche endlich damit - hoffentlich bei beiden Werten. Allerdings kann ich im Moment die Gewichtsschwankungen durch Wasserverlust schlecht voraussagen. Sie fallen zwar deutlich geringer aus, aber eben doch immer noch mal etwas höher, mal etwas niedriger.

Die deutlich geringeren Gewichtsschwankungen, seit wir früher zu Abend essen, sind schon auffällig. Geringer sind sie sowohl nach oben wie auch nach unten - aber bei gleichzeitiger Abwärtstendenz insgesamt gesehen: 


Die Grafik setzt ein mit dem 1. Februar; seitdem hatte ich vier lange Fastenintervalle, deren tiefe Ausschläge deutlich erkennbar sind. Das frühere Abendessen gibt es bei uns jetzt seit drei Wochen, und die Abwärtsbewegung insgesamt seit dieser Änderung ist ebenso deutlich erkennbar wie die geringeren Gewichtsschwankungen in den Wochen, in denen ich nur zwei Fastentage habe, im Vergleich zum Zeitraum vorher. 

Das sieht gerade richtig gut aus. Was für ein erstaunlich starker Effekt für eine solche Kleinigkeit wie ein um zwei Stunden vorgezogenes Abendessen - falls dies der Auslöser gewesen sein sollte.

Mit welchem Gewicht werde ich dann wohl das lange Fastenintervall am Montag starten? - Nein, diesmal verzichte ich auf alle Spekulationen, sondern lasse es einfach auf mich zukommen. 😎

Der Twitter-Account der Deutschen Gesellschaft für Ernährung reizt mich wieder einmal zum Widerspruch. Gestern verlinkten sie einen Bericht im "Medical Tribune", der von den angeblich nur vorübergehenden Erfolgen von Low Carb bei der Diabetes-Remission handelte, als Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit, einer sogenannten Metaanalyse, in der verschiedene Arbeiten zu einem Thema zusammen ausgewertet werden. 

Metaanalysen gehören meiner Meinung nach eigentlich sowieso verboten, denn sie sind sowohl fehler- als auch manipulationsanfällig, und ich traue Ergebnissen, die auf diese Weise ermittelt werden, deshalb nicht weiter, als ich spucken kann. Das eigentliche Problem in diesem Fall war aber die Definition von Low Carb als "bis zu 130 Gramm Kohlenhydrate pro Tag". Damit läßt sich klarerweise nicht herausfinden, welche Wirkung eine Low-Carb-Ernährung, wie sie nach den eigentlich gebräuchlichen Definitionen in unterschiedlichen Varianten praktiziert wird, haben könnte. 

Trotzdem wird in diesem Bericht aber so getan, als wäre genau dies, nämlich die Wirkung eines Low-Carb-Konzepts, wie es typisch ist, durch die Studie ermittelt worden. Manchmal frage ich mich ja schon, wenigstens für einen kurzen Moment, ob das wirklich nur Wurschtigkeit ist, mit der von der Wissenschaft solche Themen bearbeitet werden. Zum Glück bin ich nicht verschwörungstheoretisch veranlagt, deshalb ist mir klar, daß da kaum irgendwelche finsteren Strippenzieher dahinterstecken. Statt dessen vermute ich eher einen Mangel an Leidenschaft für das Thema selbst - daß es einem also im Grunde egal ist, ob in der Praxis irgendwas mit dem Ergebnis angefangen werden kann - in Tateinheit mit dem karrierefördernden Drang, Ergebnisse zu publizieren.

Diese Studie liefert jedenfalls keine Erkenntnisse zu einer Low-Carb-Ernährung, wie sie aktuell als solche bezeichnet wird, also ist es irreführend, solche Berichte zu schreiben sowie sie in der von der DGE gewählten Form zu verbreiten. Falls sie also mit ihrem Twitter-Account die Leute nicht absichtlich irreführen will, stimmt da entweder etwas mit dem Fachwissen der Verantwortlichen für diese Tweets nicht oder es wird dort nicht sorgfältig gearbeitet. 

Die Mahnung "Vertraut doch gefälligst den Experten, denn die haben doch die Ahnung und du kannst das doch gar nicht beurteilen" finde ich in so einem Fall unangebracht. Ich mag kein epidemiologisches Fachwissen haben, aber einen groben Logikfehler erkenne ich schon, wenn ich ihn direkt vor der Nase habe.

Immerhin konnte ich dieser Publikation doch noch etwas Interessantes entnehmen, nämlich daß die untersuchte Form von "Beinahe-aber-doch-nicht-ganz-Low-Carb" nach jener Darstellung - sofern sie keine weiteren Fehler enthält, die ich als Laie nicht schon auf den ersten flüchtigen Blick erkennen konnte - genauso wie die in den letzten Jahren immer inflationärer vorgenommenen Magenverkleinerungen häufig nur vorübergehend gegen Diabetes wirkt. Es würde mich echt interessieren, ob das bei Intervallfasten mit kürzeren Fastenintervallen (sagen wir, unter 24 Stunden) vielleicht ebenso ist. Diese Frage liegt nahe, weil ja auch die Abnehmwirkung von kürzeren Fastenintervallen häufig nur zeitlich begrenzt ist und vielleicht zwischen beidem ein Zusammenhang besteht.

Ebenfalls gestern kam die DGE dann auch noch mit einem Link zu einem Bericht über nichtalkoholische Fettleber daher, über den ich mich noch viel mehr geärgert habe. Ich zitiere:

Eine ungesunde Ernährung ... spielt neben dem Alter eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD). Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass man über die Ernährung aktiv gegensteuern kann, erklärte Prof. Stefan.

Entscheidender Punkt ist die Gewichtsreduktion: Wem es gelingt, 10 % des Körpergewichts abzunehmen, der hat ... eine Chance von 90 % zur Verbesserung einer nicht-alkoholischen Fettleberhepatitis (NASH) und sogar gute Aussichten auf einen Rückgang der Leberfibrose (81 %).

Der Casus knacksus ist "Wem es gelingt ..." (zum sofortigen Finden im Zitat von mir unterstrichen). Bekanntlich scheitern ja 95 Prozent aller Diäten, also müßte der Herr Professor eigentlich wissen, daß sein Lösungsvorschlag für immerhin 95 Prozent der angesprochenen Patienten in Wirklichkeit gar keiner ist. Genausogut könnte er einem Rollstuhlfahrer versprechen, wieder gesund zu werden, wenn er nur jeden Tag zwei Kilometer weit läuft. 

Was mich so fuchtig macht, ist die hinter kulleräugiger Treudoofheit versteckte Prämisse, daß der vor dem Herrn Professor stehende Patient, bei dem er gerade - zweifellos zu dessen Entsetzen - eine nichtalkoholische Fettleber diagnostiziert hat, wie das gerade Mode geworden ist, es bis dahin vielleicht ja  überhaupt nicht so richtig mitgekriegt hat, daß er Übergewicht hat, und die damit verbundene haltlose Unterstellung, daß er noch nie versucht habe, dieses Übergewicht loszuwerden. Wie in einer Matrjoschka versteckt sich in der ersten auch noch eine weitere Unterstellung: "Ich kann es dir doch ansehen, daß du nicht versuchst, dein Gewicht zu kontrollieren, sonst wärst du ja nicht so fett, wie du bist."

Das ist genau die Sorte Beleidigung, die in einem typischen Karl-May-Roman "nur mit Blut abgewaschen" werden könnte und auf die ich reflexartig mit Blogbeiträgen reagiere, weil ich den Herrn Professor ja schlecht zum Duell fordern kann.

Daß Prof. Stefan aus Tübingen mit diesen ominösen 10 Prozent Gewichtsabnahme daherkommt, erinnert an diese dubiose Definition von "erfolgreichem Abnehmen", die eine gewisse Rena R. Wing von der National Weight Control Registry in den USA erfunden hat: Als erfolgreiche Gewichtsabnahme gilt es aus dieser Sicht, wenn zehn Prozent des Körpergewichts abgenommen werden und diese Abnahme ein Jahr lang gehalten wird. Dabei werden konsequent nicht nur die Frage, welches Ziel der Abnehmer hatte und ob er es erreichen konnte, sondern auch alle Zwischenschritte der Ab- und eventuellen Wiederzunahme ignoriert. Mit ca. 30 Prozent Abnahme gälte ich aus dieser Sicht natürlich als erfolgreich im Sinne der Definition. Dasselbe würde aber immer noch gelten, falls ich dieses Jahr wieder zunehmen würde, und zwar auch dann, wenn ich zum Jahresende bis zu 132 Kilogramm wiegen würde, also zehn Prozent unter meinem Ausgangsgewicht von 2017. 

Ich vermute doch mal stark, daß auch Prof. Stefan nicht behaupten will, daß ich mit einer Gewichtszunahme von über 30 Kilogramm meiner Leber einen Gefallen getan hätte, aber dasselbe dürfte auch bei weitaus geringeren Jojo-Wiederzunahmen gelten, denn ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, daß das eigentliche gesundheitsrelevante Problem nicht das "Ist-Gewicht" ist, sondern der Prozeß des Zunehmens, und zwar egal, ob "von alleine" oder als Jojo-Reaktion nach einer Gewichtsabnahme mit den falschen Mitteln.

Das Wiederzunehmen ist aber nun einmal die Norm, nicht etwa das Gewichthalten, das der Herr Professor mit solcher Selbstverständlichkeit für ein typisches Ergebnis einer Gewichtsreduktion zu halten vorgibt, was er in Wirklichkeit doch kaum selbst glauben kann, denn so richtig gertenschlank ist er ja selbst ausweislich der Fotos, die es im Web von ihm gibt, auch nicht. Sogar nach der absurden Rena-Wing-Erfolgsdefinition scheitern ja 80 Prozent aller Diäthaltenden schon an der vermeintlichen Mini-Hürde, 10 % innerhalb eines Jahres abzunehmen, und von den erfolgreichen 20 % scheitern drei Viertel bis zum Ablauf des zweiten oder dritten Jahres durch eine Wiederzunahme, die dann natürlich auch bedeutet, daß sämtlich gesundheitlichen Vorteile der Abnahme perdü sind, und wenn man Pech hat, vielleicht sogar die gesundheitlichen Probleme verschlimmert, da ja Jojo-Wiederzunahmen im Ruf stehen, den Anteil des Körperfetts im Vergleich zur Situation vor der Abnahme auf Kosten der Muskelmasse zu erhöhen.

Warum, in drei Teufels Namen, werden solche sinnlosen Empfehlungen dann aber überhaupt gemacht, an denen fast alle der Adressaten zwangsläufig nur scheitern können? Steckt dahinter Ahnungslosigkeit oder vielleicht doch so etwas wie Sadismus? Es ist ja schließlich nicht so, daß dieses Scheitern den Scheiternden egal wäre. Sie leiden unter ihrem Übergewicht, sie leiden unter dem Scheitern, und natürlich leiden sie auch unter den Vorwürfen, sie wären selbst daran schuld, sowie zusätzlich auch an ihren Selbstvorwürfen, wenn es gelungen ist, ihnen weiszumachen, sie seien tatsächlich selbst schuld. 

Ich glaube, ich muß den Herrn Professor Dr. Norbert Stefan doch zum Duell fordern - und zwar einem Abnehmduell, denn schaden würde ihm eine Gewichtsabnahme bestimmt auch nicht. Er darf dies gerne als Fehdehandschuh auffassen. 👿 



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