Sonntag, 19. November 2023

Selbst denken: Wie man im Gestrüpp der Meinungen zu einem Urteil kommen kann

Mein Gewicht heute früh: 75,2 Kilogramm. Gestern, also nach den üblichen vier Fastentagen, waren es 75,4 Kilogramm - neues Tiefstgewicht also beides, aber trotzdem wieder ein bißchen enttäuschend. Ich hatte mit noch weniger gerechnet, irgendwas mit 74. Aber andererseits: 75,x ist nun tatsächlich weniger, als meine Schwester wiegt - aktuell 76,4 -, und als ich zuletzt ein niedrigeres Gewicht als sie gehabt habe, kann ich nicht älter als zehn gewesen sein. Sie hat mir übrigens dazu gratuliert, aber ich habe auch den Eindruck, daß sie sich dadurch auch herausgefordert fühlt. Seit dem Frühjahr, als sie selbst mit 84 Kilo ihr All-time-Höchstgewicht erreicht hatte, während ich mit 84,5 auf einem neuen Tiefstgewicht war, rivalisieren wir ja ein bißchen um unsere Abnahme. Mal hatte sie die Nase vorne, mal ich. Also mal sehen, wann sie nachziehen wird. Falls sie ihr Gewicht auf unter 73,5 Kilogramm runterdrücken kann, wäre sie vor weiteren Unterbietungen durch mich jedenfalls sicher. Ich bin gespannt, ob ihr das Anreiz genug ist, den alten Zustand wiederherzustellen, in dem es normal war, daß ich mehr wiege als sie.

Dieses lange Fastenintervall war teils normal, teils kurios. Das Fasten als solches war total normal, auch der fünfte Tag machte mir keinerlei Probleme, ich fühlte mich prima und hatte null Bedürfnis nach Essen. Das war jetzt aber schon mein sechstes langes Fastenintervall in Folge, in dem der "flotte Otto" stur bis zum Freitag ausgeblieben ist, obwohl es diesmal ab Donnerstag in meinem Gedärm merklich grummelte, aber dabei blieb es dann halt. In der Nacht auf heute bin ich dann kurz nach Mitternacht aufgewacht und hatte einen Wadenkrampf aus der Hölle, und dummerweise hatte ich auch noch verpeilt, mir eine Flasche Sprudel griffbereit zu stellen. Das war diesmal ein richtig fieser Krampf, er ging manchmal kurz weg, kam aber nach ein paar Sekunden dann in gleicher Stärke wieder - eines der Anzeichen dafür, daß er von Wassermangel herrührt -, und die Krampfphasen waren erheblich länger als die Pausen. Der Schmerz war so intensiv, daß mir trotz der Kälte der Schweiß ausgebrochen ist, und ich mußte minutenlang stehenbleiben und mich am Pfosten unseres Himmelbetts festhalten, weil ich so unsicher auf den Beinen war und Angst hatte, einfach zusammenzuklappen. Irgendwie schleppte ich mich dann doch noch in die Küche und verbrachte die nächste Viertelstunde am Spülbecken, wo ich mir panisch ein Glas Wasser nach dem anderen einschenkte und herunterkippte, bis einfach nichts mehr in mich hineinging, und nach ein paar Minuten - die mir freilich endlos vorkamen - löste sich der Krampf dann doch noch endgültig und ich sank schweißgebadet auf den Küchenstuhl. Aber dann grummelte es stattdessen auf einmal ohne Vorwarnung sehr heftig im Gedärm und ich mußte nun doch noch notfallmäßig "für kleine Bloggerinnen". Da wußte ich, was der Grund für den Krampf gewesen war, bei mir hatte der Darmtrakt zusätzlichen Bedarf an Wasser angemeldet, und das fehlte dann halt in den peripheren Körperteilen, und dann reichte eine unvorsichtige Bewegung, um einen Krampf auszulösen.

So ein bißchen machte ich mir Sorgen, daß mir das im Lauf der Nacht noch einmal passieren könnte, aber es passierte dann glücklicherweise nichts mehr, und heute war eigentlich alles ganz normal. Ich war vormittags ausgiebig einkaufen, vom Discounter bis zum Wochenmarkt, was ich sonst eigentlich nie samstags mache, aber mein Mann arbeitet heute und da habe ich nicht den üblichen Tagesrhythmus, und am Donnerstag paßte es mir einfach schlecht in meinen Tagesablauf. Auch unterwegs hatte ich keine Probleme, vermutlich, weil ich vorsichtshalber erst nach dem Heimkommen meine erste Mahlzeit zu mir genommen habe. Das verringert nämlich das Risiko, daß ich auf einmal ganz schnell unterwegs eine Toilette finden muß.

In jedem Fall bin ich weiterhin einigermaßen "on track", obwohl ich mich von meinem Zwischenziel, noch dieses Jahr erstmals die 73,5 als Nachher-Wert zu sehen, möglicherweise doch mal verabschieden sollte, denn ich glaube nicht mehr daran, daß das zum Ende des nächsten langen Fastenintervalls etwas wird. Ein Rest Hoffnung besteht deshalb noch, weil wir heute beschlossen haben, Low Carb, anders als zunächst geplant, noch um eine Woche zu verlängern. Wir werden also in der ersten Dezemberwoche noch weiter Low Carb essen und mal sehen, das direkt daran anschließende letzte lange Fastenintervall des Jahres bringt vielleicht ja doch noch am Freitag die heißersehnte Zahl 73,5 auf der Waage.

Eigentlich war es mein Mann, dem die Sache mit sechs Wochen überraschend doch ein bißchen zu kurz gewesen ist. Im Moment kann ich mir diese Zusatzwoche selbst aber auch gut vorstellen, ich habe nämlich - anders als letzten Herbst - noch überhaupt keinen Schmacht auf eine meiner bevorzugten Kohlehydrat-Bomben und außerdem noch etliche Low-Carb-Rezepte in petto, die ich vor dem Ende der LC-Zeit noch machen wollte, und die Zeit wird langsam ein bißchen knapp dafür. Daß ich meine Essenspläne für heute umgeworfen habe, macht dieses Zeitfenster noch kleiner. Mein kulinarisches Kopfkino hat mir gestern abend so lecker aussehende Visionen von Linsenwaffeln vorgespielt, die ich mit Schinken und Käse gefüllt noch einmal in den Backofen schiebe, und dazu einen Geflügelsalat und einen Eiersalat, schön auf Salatblättern angerichtet, daß mir kaum etwas anderes übrigblieb, als meine Pläne entsprechend zu ändern, und das war auch gut so, denn wir waren beide vom heutigen Abendessen sehr angetan.

Beim Weihnachtsgebäck bleibe ich aber auch über die Feiertage bei Low Carb, das hat sich nach zwei Jahren schon zu einer von der ganzen Familie geliebten Tradition entwickelt, und neulich erst hat mir meine zöliakiekranke Schwägerin am Telefon wieder davon vorgeschwärmt. Sie hat mich auf diesen Gedanken überhaupt gebracht, ich fand es nämlich immer ein bißchen traurig, daß sie sich immer ein eigenes kleines Tellerchen mit Weihnachtgebäck richten mußte, das sie verträgt, während die anderen über die normalen Gutsle aus einem gemeinsam Teller mitten auf dem Tisch herfallen, und so kam mir der Gedanke, daß Low Carb ja immer glutenfrei ist. Also warum nicht alles Low Carb machen, und dann kann sie auch unbesorgt über den Teller mitherfallen? Mein Keto-Lebkuchen war ja schon vor zwei Jahren so gut angekommen, und die anderen Sachen, die ich letztes Jahr gebacken habe, dann ebenfalls - und meine Mutter ist ganz froh, wenn sie sich nicht mehr selbst um die Weihnachtsbäckerei kümmern muß, während meine Schwester ihr so viel anderes abnehmen muß, daß sie gar keine Zeit dafür finden kann. Also mache ich das jetzt, und ich mache es in Low Carb. Meine Schwägerin hat letzte Weihnachten mindestens fünfmal ganz ungläubig gefragt, ob sie das alles wirklich auch essen könne, aber nachdem ich ihr von jeder einzelnen Sorte die Zutaten aufgezählt hatte, hat sie reingehauen, als lägen vierzehn Tage Fasten vor ihr. Ich habe mich gefragt, wo dieses zierliche Persönchen solche Mengen hingesteckt hat, denn ich habe höchstens die Hälfte geschafft.

Also mache ich das mit dem Weihnachtsgebäck jetzt immer so. Wenn man bedenkt, daß ich, bevor ich 2019 meinen Gasherd durch ein Modell mit E-Backofen ersetzt habe, zu Weihnachten nie gebacken habe, habe ich es ganz schön weit gebracht. :-)

Meine erste Ladung Keto-Lebkuchen für dieses Jahr habe ich heute morgen, noch bevor ich aus dem Haus ging, gebacken, und obwohl ich mit dem Ergebnis nur zu 90 Prozent zufrieden bin (gerade nasche ich die leicht angebrannten Randstreifen), schmecken sie doch wieder unheimlich gut. Was mich wundert, ist, daß sie diesmal flacher als letztes Jahr geworden sind, obwohl ich doch dasselbe Rezept mit denselben Mengen und auch dasselbe Blech verwendet habe. Die doppelte Menge wäre wohl zu viel, aber ich glaube, ich werde die Mengen auf das Anderthalbfache umrechnen müssen.

Ich habe schon ewig nichts mehr hier geschrieben. Ich bin zur Zeit nämlich weiterhin ein bißchen verpeilt, im Moment, weil ich an einer größeren Aufgabe sitze, die zu unterbrechen mir immer richtig schwer fällt, und wenn ich es mache, weil halt doch dies oder das sofort eingeschoben werden muß, das absolut nicht vermieden werden kann, bringe ich die nötige Konzentration nur mit viel Mühe und Überwindung auf. So ist auch mein montägliches Fastenbeginn-Posting durch den Rost gefallen. Das lag aber auch daran, daß ich gedanklich viel mit einem Thema beschäftigt war, das sich beim besten Willen nicht auf die Länge eines Blogbeitrags eindampfen ließ. Versucht hatte ich das, und zwar schon letzte Woche, aber das habe ich dann aufgegeben, weil das eher eine 300-Seiten-Abhandlung geworden wäre. Mir fehlte die Konzentation, mir stattdessen was anderes zu überlegen.

Heute habe ich aber etwas, worüber ich unbedingt etwas schreiben wollte, nur muß ich dafür erst mal einen langen erklärenden Anlauf nehmen. Das sprengt den Rahmen eines Blogbeitrags, also habe ich entschieden, die Sache auf mehrere Beiträge zu verteilen. Ich hoffe, zwei reichen aus, aber als dritter Streich kommt dann irgendwann auch noch eine Buchrezension, wobei ich das zugehörige Buch im Moment noch gar nicht habe, es ist erst bestellt. Und heute muß ich mich außerdem auf den einleitenden Anlauf beschränken.

Ich will nämlich zunächst erklären, wie ich eigentlich vorgehe, wenn ich versuche, mir ein Urteil über irgendwas zu bilden, und das gilt im Prinzip von der kleinen Einzelentscheidung im Privatleben bis zur großen Weltpolitik (und natürlich auch im Bereich Ernährung oder Krebs). So ein bißchen spielt dabei mit rein, daß ich vor Jahren einmal ein Buch gekauft habe mit dem Titel "Selbst denken". Autor war Harald Welzer. Es stellte sich beim Lesen allerdings heraus, daß der Autor keinesfalls will, daß seine Leser lernen, von ihrem Denkapparat einen besseren Gebrauch zu machen. Vielmehr hatte er selbst allerlei gedacht, und das sollten sie nun einfach übernehmen und in die Praxis umsetzen. Das hat mich damals geärgert, obwohl das Buch eigentlich noch nicht mal uninteressant war, weil der Titel ein solcher Etikettenschwindel war.

Hier kommt sie also, die Anleitung zum Selbstdenken, vielleicht erweist sie sich ja für den einen oder anderen als nützlich. Dazu braucht man ja nicht unbedingt einen Harald Welzer, eine Perditax reicht vielleicht ja schon aus.

Vieles von dem, was jetzt folgt, habe ich schon in früheren Blogbeiträgen erwähnt, aber meistens nur so nebenbei. Dies ist mein erster Versuch, mein intuitiv entwickeltes Verfahren - das ich erst in den letzten Monaten überhaupt als ein immer nach demselben Muster angewandtes Verfahren erkannt habe - strukturiert wiederzugeben und in einen Zusammenhang zu bringen. Entstanden ist es aus früheren eigenen Fehlurteilen. Ich kann es nämlich gar nicht leiden, mich zu irren, und so will ich dann immer unbedingt wissen, an welcher Stelle ich den entscheidenden Denkfehler gemacht habe, um ihn künftig besser vermeiden zu können. 

Der Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Einsicht, daß ich immer nur unvollständig informiert bin und daran auch nichts Grundsätzliches ändern kann. Auch nicht durch Auskunft von erfahrenen Experten, denn auch wenn sie über Fachkenntnisse verfügen, die mir fehlen, und sogar dann, wenn sie besten Willens sind, richtig zu informieren, wissen sie über die Ursachen und Wirkungen meistens längst nicht so gut Bescheid, wie uns das gerne weisgemacht wird, sondern stochern nur auf einem höheren Level im selben Nebel wie unsereins. Tatsächlich hat man es in vielen Bereichen, in denen man zu einem Urteil kommen möchte, mit so vielen Unbekannten zu tun, daß man es akzeptieren muß, daß man eine Blackbox vor sich hat. Mein Ansatz in solchen Fällen besteht darin, nicht so viele Details wie möglich wissen zu wollen, sondern herauszufinden, welcher Teil dessen, was ich bereits weiß (oder noch nicht weiß, aber herausfinden kann), gewissermaßen "systemrelevant" ist, also das gesamte Gedankengebäude nicht funktionieren würde, wenn die Sache anders wäre. 

Ich glaube, bei Nassim Nicholas Taleb habe ich erstmals den Begriff "Heuristik" für das gelesen, was ich mir - noch ohne Kenntnis dieses Begriffs - da im Lauf der Zeit angewöhnt habe. Eine Heuristik ist eine Art Daumenregel, ähnlich, wie man mit einer vereinfachten Überschlagsrechnung feststellen kann, ob eine Rechnung von vornherein gar nicht stimmen kann oder grundsätzlich im Rahmen des Erwartbaren ist. Eine ausführlichere Definition des Begriffs "Heuristik" kann man hier nachlesen.

Meine Heuristik funktioniert ungefähr so: 

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen beurteilen? Als Beispiel fällt mir diese Semaglutid-Studie ein, über die ich kürzlich schrieb, in der die Kontrollgruppe einen ganz anderen Verlauf nahm als in anderen Studien bei einem vergleichbar hohen Kaloriendefizit von 500 Kalorien. Ich brauche kein Hochschulstudium, um zu erkennen, daß hier die Kurve nicht so verläuft wie in anderen Studien mit vergleichbarem Kaloriendefizit, und da niemand sich bemüßigt hat, diesen merkwürdigen Verlauf zu begründen, traue ich dieser Studie jetzt nicht mehr.
  • Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann? Idealerweise müßte es ein Faktor sein, dessen Vorhandensein oder Nichtvorhandensein entscheidend dafür ist, wie das Urteil ausfällt. Dazu fallen mir die beiden gleich konzipierten Ernährungsstudien von Kevin Hall ein, einmal hochverarbeitet vs. unverarbeitet und die andere Low Carb vs. Low Fat. Die Hochverarbeitet-Gruppe und die Low-Carb-Gruppe haben ähnlich viele Kalorien zu sich genommen, aber die erste Gruppe nahm zu und die zweite ab, und das stellt die Kalorienlogik in Frage, auch wenn der Autor das entweder nicht bemerkt hat oder es nicht für opportun hält, es anzusprechen. 
  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre? Im Fall der Kevin-Hall-Studien ja, denn wenn die Kalorienlogik fehlerhaft ist, sind kalorienbasierte Gewichtsreduktionsmethoden falsch.

Das unterstützt mich dabei, mich von der üblichen medialen Kakophonie einander widersprechender reißerischer Meldungen nicht verunsichern zu lassen. Die einzigen Fragen, die ich mir zu einem Medienbericht stellen muß, der die Sache anders darstellt und ein anderes Vorgehen empfiehlt, als ich das erwartet hätte, lauten: 

  • Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn ich ein anderes Ziel für richtig halte, kann mir eigentlich auch egal sein, ob der Weg, den er für richtig halten würde, wirklich zu dem von ihm befürworteten Ziel führt.
  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag.

Es kommt nur recht selten vor, daß ich alle drei Schritte vornehmen muß, und noch seltener muß ich mein Urteil im Anschluß überdenken und eventuell ganz oder teilweise revidiere. Aber vorkommen kann das natürlich schon, und da ich gesteigerten Wert darauf lege, mich nicht durch Wunschdenken zu Fehlannahmen verführen zu lassen, ringe ich mich dann, wenn auch manchmal zähneknirschend, dazu durch, meine eigene Position zu korrigieren.

Zwei Beispiele dafür, wie ich auf dieser Basis zu Urteilen komme: 

Gazastreifen

Greta Thunberg ist nicht die einzige ihrer Generation in unseren westlichen Gesellschaften, die gerade für Palästina demonstriert, und ich habe relativ beiläufig meinem Erstaunen (und ebenso meinem Ekel) darüber Ausdruck verliehen. Dabei lag meine Heuristik zugrunde. 

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen (bzw. in diesem Fall als Außenstehende aus der Ferne) beurteilen?

Wer den Krieg im Gazastreifen ausgelöst hat: Es war die palästinensische Terrorgruppe Hamas, die im Gazastreifen ein autokratisches Regime führt, mit ihrem terroristischen Überfall vom 7. Oktober. Es ist irritierend, ständig Demos mit Transparenten zu sehen, auf denen der Eindruck erweckt wird, Israels Angriff auf den Gazastreifen sei mehr oder weniger unprovoziert oder der Angriff sei berechtigt oder wenigstens verständlich und verzeihlich gewesen. Egal, ob Palästinenser Gründe haben, Israel zu bekämpfen, oder ob dies nicht der Fall ist: Was am 7. Oktober geschah, war eindeutig nicht berechtigt. Angriffe auf ahnungs- und wehrlose Zivilisten, sie zu töten oder als Geiseln zu verschleppen, ist nach allen ethischen Maßstäben der Welt und unter allen denkbaren Voraussetzungen verwerflich.

  • Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann? 

Greta Thunberg und andere haben als zentrale Forderung "Free Palestine", was im Kontext nicht viel Sinn ergibt; begreiflicher wäre es, wenn die Transparente und Sprechchöre den Schutz der Zivilisten im Gazastreifen fordern würden; das klingt zwar immer auch mit an, ist aber nur ein Nebenthema. Stattdessen wird vorrangig für die Palästinenser ein eigener Staat gefordert.

Ist das aber wirklich ein wünschenswertes Ziel?

Angenommen, dieser Staat käme zustande, gäbe es die Hamas immer noch, und da sie aktuell zwar im Gazastreifen regiert, aber nicht im Westjordanland, dem zweiten Teil der palästinensischen Autonomiegebiete, sehe ich zunächst mal einen ausgewachsenen Bürgerkrieg auf den frischgebackenen Palästinenserstaat zukommen. Die Hamas sind eine Terrororganisation und die Regierung Abbas im Westjordanland ist korrupt und auch sonst auch nicht so viel besser. Welche Freiheit dabei für Normalpalästinenser herauskommen soll, erschließt sich mir nicht so recht.

Dann handelt es sich bei "Free Palestine" um eine unpräzise Forderung, denn damit kann ein Palästina neben Israel, aber auch eines anstelle von Israel gemeint sein. Es fällt auf, daß die Unterstützer dieser Forderung nicht verdeutlichen, welche Version davon gemeint ist, und die zweite ist von vornherein inakzeptabel, während die erste nur unter den aktuellen Voraussetzungen schlecht wäre. Für Israel sowieso, aber so richtig prickelnd wäre es auch für die Palästinenser selbst nicht. 

Daneben wird außerdem ein sofortiges Ende des Krieges im Gazastreifen verlangt.

Erklärtes Ziel des Krieges im Gazastreifen ist es laut israelischer Regierung, die Hamas auszuschalten, eine islamistische Terror-Organisation, die im autonomen Gazastreifen einmal demokratisch gewählt worden war aber seitdem ein autokratisches Regime führt und alle politischen Gegner ausgeschaltet hat. Ein spezielles Interesse daran, die Zivilbevölkerung zu schädigen, besteht für die israelischen Streitkräfte im Prinzip nicht, aber dies ganz zu verhindern, ist natürlich von vornherein nicht möglich, und in jedem Krieg kommen immer auch nicht akzeptable Übergriffe gegen Zivilisten vor. Das läßt sich nicht vollständig verhindern, man kann es aber minimieren, indem die militärische Führung streng darauf achtet, Übergriffe auf Zivilisten zu unterbinden und ggf. zu bestrafen. Ob dies wirklich geschieht, darf und sollte man auch von außen kritisch beobachten und im Zweifelsfall anmahnen.

Die Wahl ist hier aber keine zwischen Krieg und Frieden, sondern, welche der beiden Zivilbevölkerungen, Israels und des Gazastreifens, den höheren Anspruch auf den bestmöglichen und welche nur auf den gerade beschriebenen zweitbestmöglichen Schutz hat. Denn klar ist, eine von beiden Bevölkerungen muß in jedem Fall zusätzliches Leiden hinnehmen, das nur verhindert werden kann, indem sie halt der anderen aufgebürdet werden. Führt Israel Krieg, leidet die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Verzichtet es darauf, können die Terroristen den Gazastreifen weiter als Basis für Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung nutzen, und es gibt nicht den geringsten Zweifel daran, daß sie dies dann auch tun werden. Wer ein Ende der Kriegshandlungen fordert, verhindert damit nicht tote Zivilisten, er verschiebt sie lediglich auf die andere Seite der Grenze.

Letztlich hat die israelische Regierung ihrer eigenen Bevölkerung gegenüber, die zu schützen zu ihren zentralen Aufgaben gehört, aber erkennbar die vorrangige Pflicht. Das ist so eindeutig, daß ich es, glaube ich, nicht weiter begründen muß, es wäre bei jeder Regierung der Welt gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung so.

Die weltpolitischen Aspekte klammere ich hier einmal aus, weil das uferlos wäre. ;-)

  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre?

Ja, aus all dem ergibt sich, daß der Fortbestand bzw. die weitere Einsatzfähigkeit der Hamas der Schlüsselfaktor ist, auf dem es ankommt: Bleibt sie intakt, wird sie Israel weiter bedrohen. Damit ist ein freier palästinensischer Staat für den Moment halt leider vom Tisch. So etwas würde nur ohne einen maßgeblichen Einfluß der Hamas einen Sinn ergeben. Das Ziel, die Hamas als Organisation zu beseitigen oder wenigstens so zu schwächen, daß sie künftig nicht mehr diese Schlüsselrolle spielen kann, ist also richtig. Ob die gewählten Mittel dazu tauglich sind, kann zwar nur die Zukunft zeigen, aber andere Optionen werden im Moment nirgends diskutiert, da die Vorkämpfer der Palästinenser sich mit der Rolle der Hamas gar nicht auseinandersetzen und deshalb auch keine Vorschläge dafür machen. Falls es bessere Mittel geben sollte, müßte sie aber vorschlagen. Mir freilich fallen keine ein. Begeisterung für einen Krieg bringe ich nicht auf, aber mir fehlen im vorliegenden erkennbare bessere oder wenigstens ungefähr gleich wirksame Alternativen.

  • Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn nicht, kann mir eigentlich auch egal sein, ob sein Weg wirklich zu diesem Ziel führt. 

Ich habe keine Ahnung, welches der beiden möglichen Ziele von "Free Palestine" Frau Thunberg meint, allerdings machen viele palästinensische Demonstranten sowie andere aus muslimischen Ländern (diese Gruppen stellen die Mehrheit der Demonstranten) kein großes Geheimnis daraus, daß sie ein Palästina "von der Maas bis an die Memel" meinen. Dieses letztere Ziel setzt eine Beseitigung des Staats Israel nebst seiner Bürger voraus und ist aus ethischen wie völkerrechtlichen Gründen per se nicht unterstützenswert. Warum ich die andere Variante für den Moment auch nicht unterstütze, hatte ich weiter oben begründet. 

Die beiden letzten Punkte

  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag. 

 waren nach dieser Feststellung nicht mehr zu prüfen, da sie bei falscher Zielstellung gegenstandslos sind. 

Corona: 

Schon in der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 traten mit wenigen Wochen Verzögerung Kritiker auf, die behaupteten, Corona gäbe es gar nicht, es sei nicht schlimmer als eine Grippe und würde sowieso nur alte und schwerkranke Menschen töten - drei Punkte, die einander nicht nur widersprechen, sondern auch auf unterschiedliche Weise falsch sind, auf die ich hier aber nicht eingehen werde.

  • Welche Bereiche eines Fachgebiets kann ich auch ohne Fachwissen beurteilen? 
 Die Exponentialfunktion.

Immer wieder wundere ich mich darüber, daß andere Leute die Sache mit dem exponentiellen Wachstum so häufig übergehen und sie nicht einmal zu verstehen scheinen. Das wundert mich auch deshalb, weil ich das exponentielle Wachstum schon in meiner Kindheit kennenlernte. Das erste Mal las ich davon in einer Comiczeitschrift während meiner Grundschulzeit, ich kann nicht mehr sicher sagen, ob das Disneyland, Fix und Foxi, Primo oder vielleicht doch irgendetwas ganz anderes war. Darin jedenfalls kam die Geschichte von dem Schachbrett vor, und die hat mich so fasziniert, daß ich aus unserer Spielesammlung das Schachbrett herausgeholt, ausgeklappt und die Sache mal selbst ausprobiert habe. Ich habe nicht einmal die erste Reihe der Felder vollgekriegt, weil die Reiskörner schon da am Ende nicht mehr auf ein Feld gepaßt haben, und nach den acht Feldern der ersten Reihe kamen ja noch 56 weitere ... Ich mußte aber nicht weitermachen, um damit einen sehr anschaulichen Begriff von exponentiellem Wachstum bekommen zu haben. Daß die gesamte Reisernte nicht ausgereicht hätte, um das letzte Feld zu füllen (angenommen, es enthielte ein Faß ohne Boden, in das besagte Reisernte gepaßt hätte), leuchtete mir schon nach der Entwicklung auf acht der 64 Felder völlig ein, ohne daß es exakter Zahlen dafür bedurft hätte. 

Bei einer Infektionskrankheit ist der Verlauf natürlich ein bißchen anders als in dieser Schachbrettgeschichte. Es ist von Zufällen abhängig, wieviele andere Personen ein Infizierter ansteckt, also kann die Ausbreitung schneller oder langsamer als in diesem Schach-Modell sein. Und ab einem gewissen Punkt sinkt das Ansteckungsrisiko wieder, weil Folgeinfektionen für bereits einmal Erkrankte zwar möglich, aber doch seltener als bei noch nie Infizierten sind. Aber es funktioniert grundsätzlich nach demselben Prinzip.

Das Problem speziell bei exponentiellem Wachstum besteht darin, daß der größte Teil der Infektionsfälle, der Erkrankungs- und der Todesfälle innerhalb einer ziemlich kurzen Zeitspanne zu erwarten ist.

Noch einmal zurück zum Schachbrett: Auf Feld 16 von 64 am Ende der zweiten Reihe lagen 32.768 Reiskörner; für ein Schachbrett sehr viel, aber für eine Infektionswelle in ganz Deutschland noch überschaubar. Auf Feld 24 am Ende der dritten Reihe, also acht Felder weiter, waren es aber 17 Millionen Reiskörner. Wenn wir jedes Feld als eine Woche betrachten (als Überschlagsrechnung, damit die Sache möglichst einfach bleibt), wäre also bei einem Durchlaufenlassen der Epidemie nach dem "Patienten 0" und einer angenommenen Verdopplung der Erkrankungszahlen die ersten 16 Wochen lang die Sache noch halbwegs überschaubar, aber danach wird mit jeder weiteren Woche die Lage kritischer, und in Woche 24 ist damit zu rechnen, daß im ganzen Land schlicht nichts mehr funktioniert, weil ein zu großer Teil der Bevölkerung gerade mit Corona flachliegt. Das entspricht natürlich nicht allen 17 Millionen Infizierten, aber es sind doch zu viele, um nicht die grundlegenden Alltagseinrichtungen von der Wasser- und Energieversorgung bis zu ausbleibenden Lebensmittellieferungen zu beeinträchtigen oder ganz lahmzulegen. Denn natürlich muß man zu den jeweiligen Neuinifizierten einer Woche noch die "immer noch Kranken" der Vorwochen hinzuaddieren.

Erschwerend kommt hinzu, daß unser auf die falschen Ziele optimiertes und kaputtgespartes Gesundheitssystem schon einige Wochen vorher nicht mehr funktionsfähig sein würde. Zu den Coronatoten kämen deshalb noch Todesfälle durch eigentlich behandelbare Krankheiten, aber auch Unfälle, für die zu wenig Behandler zur Verfügung stehen. Schlimmstenfalls kämen ab einem bestimmten Punkt auch noch weitere Todesfälle durch ausgefallene Infrastruktur hinzu, bis hin zu Mangel an Nahrung und Wasser, falls die Versorgung in manchen Regionen besonders schlecht klappt.

Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen wäre bei einer Verdoppelung wie auf dem Schachbrett ungefähr in Woche 25 der Höhepunkt der Infektionswelle erreicht und danach nähmen Infektionen wie Erkrankungsfälle wieder ab, die Todesfälle folgen mit etwas Zeitverzögerung. Für einen Zeitraum von einigen Wochen vor und nach diesem Höhepunkt muß man allerdings mit etwas ähnlichem wie postapokalyptischen Zuständen rechnen, und auch wenn sich eine Gesellschaft von so einer vorübergehenden Situation auch wieder erholen können sollte, läge es doch näher, es zu vermeiden versuchen.

Das alles sind realistische Annahmen für den Fall, eine Regierung entscheidet sich, gar keine Gegenmaßnahmen gegen eine Corona-Welle innerhalb einer Bevölkerung ohne Grundimmunisierung vorzunehmen, und mir kommt es auch nicht darauf an, ob es in der Praxis - je nach der tatsächlichen Geschwindigkeit der Ausbreitung, denn die Verdoppelung ist ja nur eine vereinfachende Berechnungsgrundlage - doch ein bißchen anderes verlaufen würde, denn die Abweichungen würden nichts daran ändern, daß wir auf einen Höhepunkt mit astronomischen Erkrankungszahlen und dann für geraume Zeit ziemlichj katastrophale Zustände hätten. Das ist keine "Regierungspropaganda", sondern praktisch angewandte Mathematik. (Meine Fresse, wenn das meine einstige Mathelehrerin erleben könnte, die mich immer für einen hoffnungslosen Fall hielt ...)

Maßnahmen sind also grundsätzlich zu befürworten, mindestens um das Infektionsgeschehen so zu verlangsamen, daß es nicht zu diesen Höhepunkt-Wochen samt ihrer Folgen kommt. Wenn keine bessere Möglichkeit besteht, ist es sogar besser, dieselbe Zahl von Todesfällen hinzunehmen, wenn sie sich nur zeitlich so verteilen, daß alles halbwegs funktionsfähig bleibt. Die Maßnahmen können auf unterschiedliche Weise geschehen, die verschiedene Vor- und Nachteile haben: Je mehr infektionsverhinderndende Maßnahmen getrofffen werden, desto unbequemer wird das Leben, je weniger, desto mehr Menschen erkranken und desto mehr Erkrankte sterben. Wie man das entscheidet, ist eine Frage der Prioritäten. In einer Gesellschaft, in der gerne so getan wird, als wäre der Tod als solcher vermeidbar, liegt es dann nahe, den Leuten das Leben zunächst lieber sehr viel unbequemer zu machen, wie das in der ersten Coronawelle dann auch geschah. Aber wir sind auch keine Gesellschaft, die einen besonders langem Atem hat, und so glaubte man in der Politik, als der Sommer eine Besserung bei den Infektionszahlen brachte, so etwas den Leuten nicht noch einmal zumuten zu können, und spekulierte darauf, das Schlimmste sei überstanden. Als Folge war die zweite Coronawelle schlimmer als die erste, weil der richtige Zeitpunkt für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen verpaßt worden war. 

Das exponentielle Wachstum und dessen Wirkung war auch der Grund, warum die Wachstumsraten in der Coronazeit vor allem im ersten Jahr so sorgfältig beobachtet wurden. Auf dem Schachbrett geht es um einen Faktor 2, also eine Verdoppelung innerhalb einer vorgegebenen Zeit. Bei Corona wurde immer noch einmal weiter gegengesteuert, wenn der Faktor 1 deutlich überschritten wurde - also eine deutliche Zunahme der Zahl der Infizierten zu erwarten war. Das diente dem Ziel, das ich gerade beschrieben habe, und es fand deshalb meinen Beifall.

  •  Enthalten diese Bereiche Faktoren, ohne die die gesamte Annahme nicht mehr richtig sein kann?

Mit "Annahme" ist hier ein Sammelsurium ganz unterschiedlicher Behauptungen und vermeintlicher Belege gemeint, warum Corona nicht oder nicht auf die tatsächlich erfolgte Weise bekämpft werden müßte. Ein Teil wirkt auf den ersten Blick plausibel. Das kommt meistens daher, daß die Zahlen, mit denen sie untermauert wurden, nicht mehr aktuell waren. Das Infektionsgeschehen ließ sich nur mit einer gewissen Zeitverzögerung abbilden, weil zwischen Ansteckung und nachgewiesener Infektion oder Krankheitsausbruch einige Tage vergingen. Das heißt, die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen bildete das Ansteckungsgeschehen von einigen Tagen vorher ab, und in den Tagen dazwischen konnte sich die Zahl der Neuansteckungen erheblich verändert haben. Wer mit Zahlen daherkam, die älter waren als maximal eine Woche, arbeitete mit Daten, die längst von der Realität überholt waren, und das war der Regelfall bei den Kritikern der Coronamaßnahmen. Damit waren ihre Behauptungen häufig von vornherein gegenstandslos.

  • Hat die Antwort auf die betreffende Frage einen Einfluß darauf, was in diesem Fall zu tun richtig wäre? 
Das hängt davon ab, wie wichtig man die mit zunehmender Infektionszahl einhergehenden Erkrankungsfälle sowie den Teil der schweren Erkrankungen und Todesfälle nimmt, und das kann man schon unterschiedlich sehen. Daß in der Politik der Eindruck vermittelt wurde, man müsse unbedingt jeden einzelnen irgendwie vermeidbaren Todesfall verhindern, hat mehr mit einer Art von Machbarkeitswahn in jener Frage zu tun als mit realistisch erreichbaren Zielen. Es war allerdings eine logische Folge der Grundgedanken der gesamten Präventionspolitik der vorausgegangenen ca. zwei Jahrzehnte, auch wenn dabei zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein Abgrund klaffte und man sich gerne auf symbolpolitischen Theaterdonner beschränkte. Freilich, auch Schweden hat seinen liberaleren Kurs nicht mehr durchgehalten, als die erste Coronawelle dort für besonders hohe Todesfallzahlen sorgte. In späteren Wellen fuhr Schweden dann hingegen besser als viele andere Länder, aber später war Schwedens Herangehensweise auch nicht mehr so viel anders als die anderer Länder, auch wenn das nicht an die große Glocke gehängt wurde.
 
Richtig war es zweifellos, ein exponentielles Wachstum verhindern zu wollen, solange in der Bevölkerung keine Grundimmunität bestanden hat. Ich bin ja ein scharfer Kritiker der Auswüchse in den staatlichen Steuerungsbemühungen im Gesundheitsbereich, wenn sie in den privaten Bereich der Bürger eingreifen wollen. Aber die zu rasche Ausbreitung einer neuen Infektionskrankheit, von der man weder weiß, wie man sie behandeln kann, noch einen Impfstoff gegen sie hat, die also fast die gesamte Bevölkerung treffen wird und außerdem einen nennenswerten Teil der Infizierten töten oder dauerhaft invalide machen wird, zu bekämpfen, ist klar eine der echten Aufgaben staatlicher Gesundheitspolitik. Genau für so was haben wir ein Gesundheitsministerium. Dafür muß auch nicht jede der getroffenen Maßnahmen wirklich brillant gewesen sein, vor allem zu Anfang nicht, als noch so vieles über die Verbreitungsarten unklar war und man tatsächlich mit einem Teil der Maßnahmen über das Ziel hinausgeschossen ist. Damit meine ich vor allem Regelungen, die das Verhalten im Freien betrafen. Es gab schon damals Hinweise darauf, daß Infektionen im Freien in keinem Verhältnis zu denen in geschlossenen Räumen stehen, aber andererseits herrschte noch so viel Unsicherheit, daß ich es akzeptieren kann, daß man im Zweifelsfall lieber zu viel als zu wenig tun wollte.

Die Situation hat sich geändert, seit der Großteil der Bevölkerung entweder über einen Impfschutz verfügt oder durch eine überstandene Erkrankung eine gewisse Grundimmunität erworben hat. Seitdem ist es meines Erachtens wieder im Bereich der Eigenverantwortung, sich dem Ansteckungsrisiko stärker oder weniger auszusetzen.
  •  Stellt sich der Autor in etwa dasselbe Ziel vor, das ich mir zu dieser Frage vorstelle? Wenn nicht, kann mir eigentlich auch egal sein, ob sein Weg wirklich zu diesem Ziel führt. 
Die Ziele der Coronakritiker waren immer ein bißchen nebulös, für mich hörte sich das jedenfalls immer ein bißchen an wie "Ich will wieder normal weiterleben", was aber in auch ohne Coronamaßnahmen unnormalen Zeiten so oder so kaum erreichbar ist, also hielt ich es für vertane Zeit, mich mit diesen Fragen überhaupt zu befassen. Mein Ziel bestand darin, das beschriebene exponentielle Wachstum so lange möglichst umfassend zu vermeiden, bis mit Folgen wie oben beschrieben nicht mehr zu rechnen war. Da sich selten Coronamaßnahmen-Kritiker überhaupt zu diesem Punkt geäußert haben, weiß ich nicht so recht, wie sie zu ihm standen. Ich habe aber den Verdacht, sie haben überhaupt nicht begriffen, wie zentral dieser Punkt war.
  • Ändern seine Argumente etwas an dem von mir herausisolierten Faktor, der "systemrelevant" für den gesamten Gedankengang ist und zu dem ich mir ein Urteil selbst erlauben kann? Wenn nicht, habe ich keinen Grund, mein Urteil zu ändern.
  • Falls seine Argumente etwas an diesem Faktor ändern würden, will ich Belege dafür, daß meine Einschätzung des maßgeblichen Faktors falsch lag.

Da schon bei der Frage der Ziele keine Übereinstimmung hergestellt wurde, waren die beiden Folgefragen auch in diesem Fall gegenstandslos.

***

So, das war eine leider überlange Einleitung, aber ich fand sie notwendig, weil die Sache, um die es mir eigentlich geht und die ich nun in den nächsten Blogbeitrag verschieben muß, auch für mich ein bißchen verzwickt ist. Ich bin nämlich in einer Art Zwickmühle: Es gibt da einen Autor, sogar mit Expertenstatus, der im Bereich Fasten und Low Carb fast aufs Haar genau das vertritt, was ich auch für richtig halte. Die Sache hat aber den Haken, daß ich trotz besagtem Expertenstatus Zweifel an seiner Seriosität bekommen habe. Eigentlich möchte ich wahnsinnig gerne, daß er in den einschlägigen Punkten recht hat, aber ihm nun einfach nur deshalb zu glauben, weil es halt so schön wäre, ihm einfach glauben zu können, widerspräche allem, was ich für richtig halte.

Verdammt, ich hasse solche Situationen wie die Pest. Unseriöse Leute sehe ich viel lieber auf der "Feind-Seite".

Apropos Pest. Den Grund für die beiden Beispiele weiter oben kann ich wenigstens noch kurz erklären. Gaza, Ursachen und Folgen sind das Thema, das mich gerade gedanklich so beschäftigt. Und Corona ... nun ja, falls Dr. Rainer Klement sich jemals in mein bescheidenes Blog verirren sollte, weil er neugierig darauf ist, was in diesem obskuren Blog irgendeiner alten Schachtel über ihn geschrieben habe, wird jedenfalls er bestimmt sofort wissen, warum ich ausgerechnet dieses Beispiel gewählt habe. 

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