Mittwoch, 12. April 2023

Filmkritik: Dick, dicker, fettes Geld

Mein Gewicht heute früh nach dem diesmal einzigen Fastentag der Woche: 82,7 Kilogramm; im Anschluß an meine eins plus zwei Fastentage letzte Woche kam ich am Freitag auf 81,1. Damit bin ich sehr zufrieden, zumal ich davon ausgehen kann, daß dies knapp zwei Wochen nach dem Ende von Low Carb nun in etwa mein realistisches Nach-Fasten-Gewicht sein müßte und mein Vor-Fasten-Gewicht, wie erhofft, zwischen 84 und 85 Kilo liegt. Normalerweise hätte ich morgen noch einen zweiten Fastentag eingeschoben, aber das ist der Tag, an dem ich vor meiner Operation in die Klinik muß, also lasse ich den ausfallen. 

Heute hatte ich meine letzte Mammographie vor der OP, und das Ergebnis entsprach fast exakt meinen Wünschen: Der Tumor in der Brust ist, nun ja: weg, er hat sich rückstandslos aufgelöst. Von 2,6 Zentimeter auf null. Alles, was auf dem Röntgenbild noch zu sehen ist, ist eine Zyste, in der sich der Clip befindet und sonst nichts mehr. Drumherum findet sich noch ein bißchen Mikrokalk. Allerdings gilt das leider nicht auch für die Lymphknoten, dort ist immer noch etwas zu sehen, allerdings ist von dem anfänglich auf Tennisballgröße angeschwollenen Knoten nun auf dem Röntgenbild nur noch ein bläßlicher Knopf von höchstens einem Zentimeter Durchmesser zu sehen. Ob das, was man auf dem Röntgenbild noch sieht, immer noch kriminelle Energie aufweist, wird sich erst herausstellen, wenn es herausoperiert worden ist. Das wird, sagte die nette Ärztin, die mich diesmal beim Radiologen untersuchte, schon ein paar Tage dauern, bis das Ergebnis vorliegt. Ich nehme an, eine Antwort auf diese wichtige Frage - die auch für die Details der Weiterbehandlung eine Rolle spielt - bekomme ich bei meinem nächsten Termin beim Doc, der genau eine Woche nach der OP vereinbart ist.

Lieber wäre es mir natürlich gewesen, wenn auch meine Lymphknoten im Röntgenbild schon total unauffällig gewesen wären, aber andererseits habe ich schon vermutet, daß es nicht der Fall sein wird, auch wenn ich nichts mehr ertasten konnte, weil ich an dieser Stelle manchmal einen leichten ziehenden Schmerz spüre und angenommen habe, daß das bedeutet, daß gerade dort mein Immunsystem am Werk ist. Da ich ja gestern die nächste Ladung Trastuzumab/Pertuzumab bekommen habe, hat es nun noch anderhalb Tage Zeit, sein Werk noch vor der OP zu beenden. Es ist aber durchaus auch möglich, daß da in der Achsel zwar noch etwas zu sehen ist, das aber längst den Löffel abgegeben hat und gar keinen Schaden mehr anrichten könnte. Vielleicht habe ich also Glück und es sind in mir trotzdem keine lebendigen Krebszellen mehr aufzufinden.

Noch einmal zurück zu meinem Körpergewicht: Wenn ich annehme, daß mein realistisches Gewicht jetzt bei zwischen 84 und 85 Kilogramm liegt, würde das bedeuten, daß ich seit dem 15. Januar, also innerhalb von drei Monaten, zwischen 6 und 7 Kilogramm abgenommen habe, mehr als ich erwartet hätte. Hier mal der Gewichtsverlauf:

Sicherlich hat das etwas damit zu tun, daß die unerwartet hohe Gewichtszunahme im Dezember auch teilweise keine "echte" Zunahme war, sondern irgendwie mit dem Cortison oder sonstwas, das in der Chemo steckte, zu tun hatte. Was ich interessant finde, ist, daß ich - jedenfalls bis jetzt - trotz meiner Wiederaufnahme des Verzehrs von Kohlenhydraten immer noch so deutlich unter meinem alten "Vor-Fasten-Gewicht" geblieben bin. Ob dabei dieser Durchfall vielleicht mit eine Rolle gespielt hat, den ich ja in jedem Zyklus vorübergehend gehabt hatte? Ich war ja ohnehin immer ein paar Tage lang schneller als gewohnt satt, und wenn dann noch die Nährstoffe einfach in die Kanalisation durchgerutscht sind, ohne genutzt zu werden, hatte ich ausnahmsweise wohl doch ein Energiedefizit zu verzeichnen, wenn auch nur alle drei Wochen lang für wenige Tage.

Ich bin ja wirklich gespannt darauf, ob sich dieses "Magen-Darm-Gesamtkunstwerk" von Aufstoßen bis Durchfall jetzt, da ich nur noch Antikörper, aber keine Chemo mehr bekomme, weiter in der gewohnten Intensität fortsetzen, sich abschwächen oder vielleicht doch ganz aufhören wird. Nehmen muß ich es ja sowieso, wie es kommt, aber falls es mir erhalten bleiben sollte, hoffe ich nach dem Prinzip "Nichts ist so schlecht, daß es nicht für irgendetwas gut wäre" wenigstens darauf, daß es die Abnahme seither beschleunigt hat und dies künftig dann auch weiter tun wird.

Mir fiel auf, daß ich auch im letzten Chemo-Zyklus mehr als zunächst gedacht an Substanz verloren haben muß - in den Nächten machten sich letzte Woche meine vorstehenden Rippen ein bißchen unangenehm bemerkbar, wenn ich mich im Bett herumgedreht habe. Das kenne ich ja schon von früheren Gelegenheiten, wenn mein Oberkörper weniger wurde. Es dauert dann immer ein wenig, bis die Rippen "nachrutschen" und sich alles wieder normal anfühlt. Ich glaube, mittlerweile hat das eingesetzt, jedenfalls fühlte sich letzte Nacht meine gewohnte Liegeposition irgendwie anders an als sonst. Die Rippen spüre ich allerdings auch immer noch.

Vorletzte Woche habe ich diese Gewichtsabnahme zwar schon am Körpergefühl bemerkt, aber vor allem an den Oberschenkeln. Meine gewohnte Jeans in Größe 40 habe ich deshalb mittlerweile ausrangieren müssen, sie schlottert um die Oberschenkel herum nun so sehr, daß ich in ihr ziemlich verboten aussehe. Zu meiner Überraschung saß die lange zurückgelegte 38er-Jeans derselben Marke, die ich nun in Dienst genommen habe, aber auch schon relativ locker, ihr Schnitt kommt mir auch ein bißchen anders vor. Bei dieser Hosenmarke, John Baner, kann ich immer eine Nummer kleiner kaufen als bei anderen Marken, also nehme ich an, daß ich bei "normalen" Jeans jetzt bei 40 wäre. Ich kaufe die John-Baner-Jeans vor allem aus alter Anhänglichkeit immer noch - das Versandhaus Bonprix war in meiner Kleidergröße-52-und-mehr-Zeit eine der wenigen Bezugsquellen für Kleidung, in der ich mir wenigstens ein bißchen gefallen habe. Kurioserweise finde ich jetzt viel weniger dort, was ich wirklich haben möchte. Aber das hat natürlich auch etwas damit zu tun, daß ich jetzt so viel mehr Auswahl habe. Die Konstante dabei ist, daß die Sachen, die mir am besten gefallen, häufig in allen möglichen Größen angeboten werden, nur nicht in derjenigen, die ich gerade trage. Das hat mich die sechs bis sieben Größen runter begleitet. 

Eine weitere Hürde beim Kauf in Versandhäusern, die für mich Neuland ist, besteht darin, daß mein Augenmaß für einen Kauf ohne Anprobe gerade extrem unzuverlässig ist - und zwar in die falsche Richtung. Neulich habe ich beim Sale von einem Ständer im Freien bei meinem pakistanischen Billigklamottenladen zwei superbillige Teile, die mir richtig gut gefielen, spontan mitgenommen, und beide haben sich dann als viel zu groß erwiesen, obwohl mein Augenmaß sie für in etwa passend gehalten hatte. Das ist blöder, als wenn ich etwas kaufen würde, das mir noch zu klein ist, denn das kann ich ja immerhin noch zurücklegen und darauf warten, bis ich reingeschrumpft bin - es sind ja noch ca. zehn Kilo bis zum Zielgewicht, da ist noch eine Menge Spielraum für kleinere Kleidergrößen vorhanden. Wenn ich die Sommersachen raushole, werde ich einige solche Teile mit dabeihaben, die letzten Sommer noch zu klein waren - mal sehen, bestimmt paßt mir davon mittlerweile das eine oder andere.

Klamotten direkt im Laden kaufen, daran muß ich mich aber erst wieder gewöhnen. Begeistern konnte ich mich für Kleidungs-Shoppingtouren ja noch nie, aber im Moment finde ich Umkleidekabinen und so noch viel unangenehmer wegen des Gefummels mit der Perücke und habe es deshalb bislang weitgehend vermieden. Auch deshalb wird es echt Zeit, daß meine Haare wiederkommen. Leider hat sich ja die Hoffnung nicht erfüllt, daß sie schon ab Januar wieder zu wachsen beginnen. Aber nun müßte es demnächst wirklich losgehen.

***

Ernährung ist ein Thema, das auch so schon ideologisch überfrachtet genug ist, daß wir damit neuerdings auch noch den "Planeten retten" sollen, halte ich generell für eine bemerkenswert schlechte Idee, aber ich fange auch an, mich über solche Artikel wie den verlinkten ernsthaft zu ärgern. Eigentlich haben die ganzen Probleme mit dem Übergewicht ja erst so richtig eingesetzt, als sich Experten dazu berufen fühlten, Ernährungsempfehlungen zu geben und über alle Medien zu promoten. Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Vorstellungen davon, welche Ernährung nötig sei, um den Planeten zu retten, genau wie die Vorstellungen, auf welche Weise man sich ernähren sollte, um kein Übergewicht zu entwickeln, ein paar unerkannte Denkfehler enthält, die dazu führen werden, daß die Umsetzung der zugehörigen Empfehlungen auch alles eher schlimmer als besser machen wird. In diesem Zusammenhang erinnere ich außerdem daran, daß schon die Idee mit dem Biosprit sich in der praktischen Umsetzung ziemlich schnell als keine so richtig gelungene Maßnahme herausstellte. 

Speziell die pflanzenbasierte Ernährung ist zwar nicht zwingend mit einem hohen Kohlehydratkonsum verbunden, aber in der Regel passiert eben doch genau dies, daß ein reduzierter Fleischkonsum oder der komplette Verzeicht darauf mehr oder weniger automatisch dazu führt, es sei denn, man steuert dem bewußt entgegen. Da Essen etwas ist, daß nie bei einer Mehrheit über längere Zeit hinweg anders als intuititv klappen wird, darf man dann darauf warten, daß die Lebensmittelindustrie die passenden Convenience-Produkte entwickelt und sich mit der Werbung an die "Planet Health Diet" andockt und auf diese Weise Käuferschichten für minderwertige Produkte erschließt, die wenigstens gut für das schlechte Gewissen sind, das sich diese Leute haben einreden lassen. Etwas ganz ähnliches passiert ja auch mit Low Carb, obwohl dieser Trend längst nicht so prominent in den Supermärkten vertreten ist wie der "Veggie"-Trend. Von den "Schlechtes Gewissen"-Käufer leben die Nahrungsmittelkonzerne vermutlich überwiegend besonders gut, deshalb stellen sie sich immer so schnell auf das neueste schlechte Gewissen ein, das man den Leuten gerade einzureden versucht.

So überzeugend ich die Abnahmewirkung einer Low-Carb-Ernährung in der praktischen Umsetzung auch fand und ihre Wirkung auf Diabetes ebenfalls nicht anzweifle, mit der Verteufelung von Weißmehl und Zucker kann ich mich trotzdem ebenfalls nicht anfreunden. Die Wirkung von Intervallfasten ist ja auch ohne Einschränkungen bei der Lebensmittelauswahl nicht weniger überzeugend als die von Low Carb - die Einschränkungen, die sich durch den Zeitfaktor und die Anpassung des Stoffwechsels ergeben, gelten für beides ja in gleiche Weise und lassen sich meiner Erfahrung nach ganz gut in den Griff bekommen, wenn man erst einmal begriffen hat, daß dieser Anpassungsmechanismus existiert und man ihn berücksichtigen muß, wenn man seine Abnahme über einen längeren Zeitraum ausdehnen muß oder will. Es ist ein Jammer, daß die Low-Carb- und Fasten-Communities diesen Faktor bislang nicht verstehen und gar nicht verstehen wollen, sondern lieber glauben, sie müßten die Leute davon abhalten, Dinge zu essen, die einen "hedonistischen Faktor" enthalten, der sie "zu viel" davon essen läßt. Vermutlich führt es sie einfach zu weit weg von ihren theoretischen Grundannahmen, einen weiteren Faktor berücksichtigen zu müssen, der ein solcher Spielverderber ist, daß er zu ihnen spontan nicht zu passen scheint. 

Man sollte eine Sache freilich zwar immer so einfach wie möglich machen - aber eben nicht einfacher, als sie es tatsächlich ist. Genau das stört mich auch an Bücher wie "Weizen-Wampe" oder Filmen wie dieser TV-Dokumentation, "Dick, dicker, fettes Geld", sie basieren auf zu stark vereinfachten Ursache-Wirkungs-Modellen, auch wenn man in ihnen schon ein paar Körnchen Wahrheit finden kann. Den verlinkten Film fand ich übrigens sehr schlecht, obwohl in ihm sogar Dr. Fung und Dr. Ludwig zu Wort kamen. Ich habe ihn mir in voller Länge angesehen, aber meine Laune wurde dabei ständig schlechter und mein Bedürfnis, ihm zu widersprechen, immer höher - deshalb sitze ich gerade da und schreibe diesen Blogartikel, statt endlich meine Tasche für die Klinik zu packen. Vielleicht ist es ja zuviel verlangt, in einem solchen Filmkonzept eine ehrliche Abwägung zu verlangen. Mir mißfiel an dem Film aber ganz besonders, daß er eine Art überlanger Werbespot für die darin vertretene These ist, was mir im Widerspruch dazu zu stehen scheint, daß zu den wichtigsten Inhalten auch das Anprangern von verführerischen Werbespots für adipositasverdächtige Lebensmittel zählt. Ich habe ganz genau gemerkt, daß dieser Film mich ebenfalls zu etwas verführen will, und zwar, indem er mich sauer zu machen versucht - auf die pösen Nahrungsmittelkonzerne und ganz besonders auf die Getränkeproduzenten von Coca-Cola aufwärts. Ich soll den Filmemacher, wenn auch nur im übertragenen Sinne, auch etwas abkaufen, nämlich ihre Thesen.

Nur, das tue ich nicht.

Erstens, weil ich die Absicht bemerkte und darob verstimmt war, und zweitens, weil ich erhebliche Zweifel daran habe, daß das Bild, das mir der Film vermittelt, so stimmt, wie es mir präsentiert wurde, auch wenn manches daran bestimmt seine Richtigkeit hat. Gerade die in dem Film so überbetonte Rolle der Süßgetränke kann ich aber beim besten Willen nicht glauben, wenn ich mir vor Augen halte, daß ich in meiner ganzen Kindheit praktisch ausschließlich Limonaden getrunken habe. Cola wurde mir freilich von meinen Eltern lange nicht erlaubt, aber genau deshalb habe ich später, als ich selbst entscheiden konnte, was ich trinken wollte, weil ich es auch selbst bezahlte, Cola gesoffen wie nicht gescheit. Ja, ich habe dann auch tatsächlich zugenommen, aber nur schleichend, die üblichen ein bis zwei Pfund pro Jahr, mit den man mit einem sich von alleine verstellenden Thermostat rechnen muß, jedenfalls war das so, nachdem ich aufgehört habe, es mit Diäten zu versuchen. Und ich war mit meinen Trinkgewohnheiten für meine Altersgruppe außerdem ziemlich normal. Mit den stark übergewichtigen Kindern, die in dieser Dokumentation gezeigt wurden, passierte aber etwas ganz anderes, als bei mir damals geschah. Warum sollte ich dann aber glauben, die Softdrinks, vergleichbare Rezepturen mit in etwa gleich hohem Zuckeranteil vorausgesetzt, seien bei ihnen der entscheidende Faktor gewesen? 

Technisch gesehen hat der Typ von Coca-Cola, der im Film präsentiert wurde, schon recht gehabt, als er sich auf den Satz zurückzog, Adipositas sei multifaktoriell bedingt. Ich fand es nicht ganz fair, als der Film dies mit den seinerzeitigen Rückzugsgefechten der Tabakindustrie verglichen hat, was ungefähr so vernichtend auf die Glaubwürdigkeit wirkt wie in der Politik ein Vergleich einer Partei mit den Nazis. Ich will dabei noch nicht einmal behaupten, daß er irgend etwas anderes im Sinn hatte als die Vertreter der Tabakkonzerne, nämlich das Geschäftsmodell seines Brötchengebers bestmöglich vor Kritik und daraus resultierenden politischen Regulierungen zu schützen. Unternehmen haben nämlich sonderbarerweise selten Lust, ihren Laden einfach dicht zu machen, falls ihr Geschäftsmodell als Ganzes plötzlich in Frage gestellt wird. Damit sollte man rechnen, und es ist kein Grund zur Häme. Wir machen das schließlich alle ebenfalls, wenn wir in so grundlegender Weise in Frage gestellt werden. 

Ich fand es auch nicht gerecht, daß in dem Film suggeriert wurde, die Kampagnen gegen Bewegungsmangel seien reine Spiegelfechterei gewesen und eigentlich hätte jeder gewußt, daß das nicht wirken würde. Erstens wissen das bis heute viele nicht, und zweitens, die Softdrinks gab es in meiner Kindheit schon, aber nicht die Adipositas. Was gibt es heute im Leben von Kindern, das es zu meiner Zeit noch nicht gab? Eine Möglichkeit wäre tatsächlich Bewegungsmangel, denn wir waren damals ja andauernd zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf Achse, uns blieb vor der Erfindung des allzeit bereiten Elterntaxis ja überhaupt nichts anders übrig. 

Heutige Kinder sind viel weniger als wir damals unterwegs, unter anderem auch deshalb, weil es sozial unerwünscht geworden ist, Kinder unbeaufsichtigt herumstrolchen zu lassen, und man dafür gesteinigt werden kann, falls dem Kind dabei etwas passieren sollte. Vor ein paar Wochen beispielsweise wurde eine Zwölfjährige auf dem Heimweg von einer Freundin ermordet, und nachdem die Leiche entdeckt worden war, fanden sich in den sozialen Medien sofort eine Menge Besserwisser, die sich darüber erregten, daß die Eltern ihr Kind alleine "durch den Wald" hatten laufen lassen, anstatt sie abzuholen, wie das verantwortungsbewußte Eltern getan hätten. Später stellte sich heraus, daß es nicht der erwartete böse fremde Mann gewesen war, sondern das Mädchen durch zwei gleichaltige Freundinnen umgebracht worden war, die diesen Mord offenbar im voraus geplant hatten. Das Mädchen war also gar nicht alleine unterwegs gewesen. Manche derjenigen, die den Eltern Vorwürfe gemacht hatten, hörten aber immer noch nicht auf damit. Da fragt man sich wirklich, wie lange es noch dauern kann, bis Mädchen das Haus nur unter Aufsicht verlassen dürfen, womöglich unter einer Burka versteckt ...

Da hat sich also in den letzten fünfzig Jahren wirklich etwas verändert, das theoretisch etwas mit der Sache zu tun haben könnte, und auf diese Möglichkeit fokussierten sich dann die Softdrink-Konzerne begreiflicherweise, weil sie damit natürlich ihr eigenes Produkt aus der Schußlinie zu bekommen hofften. Daran ist meiner Meinung nach auch gar nichts verwerflich - es hätte klappen können, falls Bewegungsmangel tatsächlich eine größere Rolle spielen würde, nur ist das nicht der Fall. Spätestens seit Herman Pontzer kann man das, glaube ich, auch als wissenschaftlich belegt betrachten. Aber dieser Beleg existierte zu der Zeit noch nicht, um die es dabei ging, denn das muß noch zu Obamas Zeiten gewesen sein, da die First Lady Michelle Obama - wofür sie zu Beginn des Films auch (allerdings vergleichsweise milde) kritisiert wurde -, die anfänglich in die Ernährungs-Richtung aktiv werden wollte, auf diesen Zug mit aufsprang. 

Ich sehe an diesem Vorstoß eigentlich wenig Grund zu so harscher Kritik an Coca-Cola und Co., sieht man einmal davon ab, daß die Sache eben keine positive Wirkung mit sich brachte. Allenfalls könnte man der Getränkeindustrie vorwerfen, daß sie damit natürlich von vornherein keine altruistischen, sonderen egoistische Ziele verfolgten. Ich sehe es aber nicht so richtig ein, einem gewinnorientiert arbeitenden Unternehmen ausgerechnet seine Gewinnerzielungsabsicht zum Vorwurf zu machen, solange die damit verbundene Logik legal ist und in den meisten anderen Fällen auch von jedem für legitim gehalten wird. Man kann die Industrie berechtigterweise kritisieren, aber das, was für die eine Branche nicht als kritikwürdig betrachtet wird, dafür kann man meiner Meinung nach nicht eine andere in Grund und Boden verdammen. Deshalb gefällt mir dieser moralisierende Anklägerton des Films nicht.

Und noch weniger gefällt es mir, daß ich die Aktivisten, die gegen diese Unternehmen kämpfen, mir auch nicht die volle Wahrheit erzählen.

Daß ich kein Freund von Reguliererungen dieser Art bin, von Nutriscore über Zuckersteuer bis hin zu Werbeverboten für Lebensmittel, daraus habe ich ja nie ein Geheimnis gemacht. Speziell zur Zuckersteuer habe ich unter dem Eindruck der Doku, deren Macher solche Dinge ja leider für wahre Wundermittel zu halten scheinen, jetzt aber nochmal ein bißchen recherchiert, um meine Annahme, daß die geforderten Maßnehmen die erhoffte Wirkung eines Rückgangs der Adipositas genausowenig wie die Bewegungskampagnen von Coca-Cola bewirken werden, besser begründen zu können.

In der Doku wurde über Mexiko berichtet, das 2016 eine Zuckersteuer eingeführt hat, und immer mal wieder konnte man in der Zeitung lesen, daß dies ein toller Erfolg gewesen sei, weil es - und das bezweife ich auch nicht - nachweislich dazu geführt habe, daß aufgrund dieser Steuer wirklich in Mexiko weniger Zucker in Süßgetränken konsumiert wurde. Auf die Entwicklung der Adipositas in Mexiko hatte es allerdings bis zum Jahr 2021 keinen ersichtlichen positiven Einfluß, weder bei Erwachsenen noch bei Kindern. Auch das im Film als Vorzeigeland dargestellte Chile hat es keineswegs geschafft, den Adipositas-Trend wieder umzukehren, obwohl die dortigen Maßnahmen für so exzellent gehalten wurden. 

Gestern konnte man außerdem bei Tagesschau.de lesen, die Zuckersteuer in Großbritannien sei ein toller Erfolg gewesen, wie eine Studie gezeigt habe. Der angebliche Erfolg bezog sich aber, näher betrachtet, nur auf Mädchen einer bestimmten Altersgruppe, nämlich den Zehn- und Elfjährigen. Weder auf die andere untersuchte Gruppe jüngerer Kinder (Altersgruppe 4 bis 5 Jahre) noch auf Jungen im Alter von zehn und elf Jahren hatte es irgendeinen Einfluß gehabt. Noch näher betrachtet, als ich nämlich die Studie selbst suchte und mich vergewisserte, was tatsächlich in ihr steht, stellte ich fest, daß die 2023 publizierte Studie den Zeitraum zwischen 2013 und 2019 verglich, obwohl die NHS-Daten, auf die die Autoren zugriffen, seit letzten Herbst bereits bis zum Schuljahr 2021/2022 vorliegen und dann für die betreffende Altersgruppe der Zehn- bis Elfjährigen (beide Geschlechter) so aussehen: 

Hat es den Autoren etwa nicht gefallen, daß Corona jegliche Erfolgsmeldung für die aktuelleren Daten unmöglich gemacht hat, und sie habe sich deshalb entschieden, sich auf den Vor-Corona-Zeitraum zu beschränken? Ich habe die Studie überflogen, um herauszufinden, ob die Autoren es irgendwie begründen, warum sie die Datenanalyse mit dem Schuljahr 2018/2019 beendet haben. Sie haben es nicht begründet. 

Wie auch immer, die Autoren haben allerhand Pirouetten gedreht, um aus ihren Daten wenigstens einen Teilerfolg für die Zuckersteuer herauslesen zu können, der ihrer Kalkulation nach über 5000 zehn- bis elfährige Mädchen vor Adipositas bewahrt haben soll. So soll dieser Effekt bei den Mädchen in sozial schwächeren Gebieten besonders stark gewesen sein - die Daten waren nach Postleitzahlen in fünf verschieden wohlhabendere und ärmlichere Gruppen eingeteilt. Tatsächlich finde ich aber in den NHS-Daten wenn überhaupt dann nur einen geringen Rückgang bei den Mädchen in jener Gruppe des sozial schwächsten Fünftels vor Corona und während Corona einen zwar geringeren Anstieg als bei Jungen, aber dafür nach dem Schuljahr 2020/2021 auch einen wesentlich geringeren Rückgang. Beide Gruppen hatten außerdem weiterhin einen wesentlich höheren Adipositasanteil als vor Corona.

Es ist wirklich schade, daß die Autoren diese drei Jahre nicht ebenfalls mituntersucht haben, denn daß die Corona-Pfunde gerade bei denen mit dem stärksten Gewichtsanstieg nach dem Ende der heftigsten Lockdowns eine besonders starke Wiederabnahme bewirkt haben, finde ich interessant. 

Ob die gefundenen Rückgänge in den Vor-Corona-Jahren wirklich etwas mit der Zuckersteuer zu tun hatten, daran habe ich meine Zweifel. Denn warum sie sich auf Mädchen einer bestimmten Altersgruppe beschränkt haben sollen, finde ich nicht sonderlich einleuchtend, gerade weil die Rückgänge in der Gruppe der in den sozial am schlechtesten gewerteten Gegenden (unter fünf Gruppen) stärker ausfielen. Warum hat die Steuer nicht gerade bei den jüngeren Kindern in diesen Gegenden eine höhere Wirkung gehabt, die doch in viel höherem Maße in ihrem Getränkekonsum von den Einkäufen ihrer Eltern abhängig sind? Es ist ja kaum anzunehmen, daß die Zuckerreduktion in der Rezeptur der von den Eltern gekauften Getränke sie davon abgehalten hat, sie weiterhin zu kaufen. Also kann man doch auch annehmen, daß die Menge an Süßgetränken, die in solchen Familien konsumiert wird, gleichgeblieben ist, aber eine Menge Zucker weniger enthalten hat. 

Die Zuckersteuer hatte nach dieser Quelle dazu geführt, daß die Getränkekonzerne den Zuckeranteil in ihren Soft Drinks reduziert haben. Die Rede ist dabei von einer Zuckerreduktion von immerhin mehr als 40 %. Es kommt mir ziemlich unlogisch vor, daß sich das nicht gerade bei den kleineren Kindern besonders stark bemerkbar gemacht hat.

Auf echte Erfolge der Zuckersteuer werden wir also einstweilen weiter warten müssen, und ich glaube auch nicht, daß sie noch kommen werden. Was mich dabei aber ein bißchen mutlos macht, sind Aktivisten, die sich so in ihren Kampf gegen den Zucker verbiestert haben, daß sie das keine Sekunde in ihren Bemühungen irre zu machen scheint. Dabei kann ich mir gar nicht vorstellen, daß sie davon nichts mitbekommen. Die Zuckersteuer ist aber nur ein Mittel, das zu einem ganz bestimmten Ziel führen soll, und falls sich eines Tages herausstellen sollte, daß es tatsächlich mit diesem Mittel überhaupt nicht erreichbar ist, dann ist eine Menge Kampfgeist, Engagement, Zeit und Geld in eine Sache investiert worden, die einer besseren, weil erfolgversprechenderen Sache gefehlt hat. Auf diese Weise kommt man bei einem so realen Problem wie der Adipositas leider nicht weiter.

***

Das 49-Euro-Ticket habe ich jetzt bestellt, nachdem mir auf der Website der Bahn zunächst weisgemacht worden war, es wäre nur als Handyticket erhältlich - womit ich von vornherein nicht zur Zielgruppe gehört hätte, da ich bis heute kein Handy besitze und auch nicht die Absicht habe, kurzfristig etwas daran zu ändern. Aber mein regionaler Nahverkehr bot eine so bequeme Online-Bestellmöglichkeit für Leute wie mich, die bislang noch keine Zeitkarten genutzt haben - inklusive Foto-Upload -, daß ich das lieber gleich erledigen wollte, als ich feststellte: dort geht es sehr wohl. Ich schiebe ja eine ziemliche Bugwelle an noch zu erledigendem Kleinkram vor mir her, der schon längere Zeit liegengeblieben ist, und davon habe ich jetzt eine ganze Reihe auf die Zeit nach der OP verschoben, weil ich bis dahin ohnehin nicht gerade unterbeschäftigt sein werde und mir in dieser Zeit nicht mehr zusätzlichen Streß als nötig aufhalsen möchte. Wegen der Fahrkarte dachte ich deshalb, entweder ich mache das hier jetzt auf der Stelle oder ich stehe im Mai ohne diese Fahrkarte da, und ausgerechnet im Mai bietet sie mir im Vergleich zu Tagestickets wegen der täglichen Bestrahlungstermine tatsächlich einen finanziellen Vorteil. Ob ich dann dauerhaft dabei bleiben werde oder das Abo irgendwann doch wieder kündige, wird sich danach sicherlich innerhalb weniger Wochen herauskristallisieren. Billiger ist es für mich in normalen Monaten auf diese Weise definitiv nicht, aber mal sehen, vielleicht ändern sich ja meine Gewohnheiten und ich fahre künftig mehr, weil sich mein Aktionsradius verändert.


1 Kommentar:

  1. Alles Gute für die OP! Und danke für deine unterhaltsamen und informativen Analysen von Studien, Büchern, Artikeln, Filmen…

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