Donnerstag, 26. Januar 2023

Himbeeren in der Hühnersuppe

Mein Gewicht heute früh nach dem gestrigen Fastentag: 86,1 Kilogramm. Sehr erfreulich, ich bin gespannt, wie dieser Teil meiner Angelegenheiten sich in den nächsten paar Wochen weiterentwickeln wird. Eigentlich war ich ja noch vor einer Woche sicher gewesen, daß es seine zwei, drei Monate dauern wird, die Gewichtszunahme vom Dezember wieder loszuwerden, aber das fühlt sich auch um den Bauch herum in den letzten Tagen wieder ganz anders an.

Da ich vorgestern zwar mit Genuß, aber für meine Verhältnisse schon wieder vergleichsweise wenig gegessen habe (gnadenlos bis zur Sättigung, da kenne ich ja nix), frage ich mich, ob dieses geringere Eßbedürfnis etwas zu bedeuten hat, und wenn ja, was. Daß ich gestern gefastet habe, ist aber zweifellos dennoch eine glückliche Fügung, denn mir war wegen eines den ganzen Tag über anhaltenden komischen Geschmacks im Mund gar nicht so recht nach essen zumute. Im Lauf des Nachmittags kam ein leichtes Übelkeitsgefühl dazu, das in Verbindung mit verdächtigem Grummeln im Darm verbunden war. Ansonsten war ich aber fit, zu Durchfall kam es erst wieder, nachdem ich heute morgen eine Kleinigkeit gegessen habe (worauf die leichte Übelkeit wieder verschwand), das Temperaturempfinden ist halbwegs normal, der Kopf funktioniert auch, nicht einmal der Schwindel hat sich gemeldet. Ich bin also wieder auf dem Weg back to normal.

Gestern durfte ich meine geistige Wiederauferstehung nachmittags sogar noch einem Härtetest aussetzen und habe ihn erfreulicherweise bestanden. Eine Miteigentümerin aus dem Haus rief mich nämlich ganz verzweifelt an, weil sie mit der Grundsteuererklärung nicht zurechtkam. Meine eigene ist jetzt schon so lange her, daß ich aber auch nicht mehr so genau wußte, wie ich über die diversen Hürden gekommen bin, die das betreffende Elster-Formular enthält. (Softwarenentwickler alleine sind ja schon schlimm genug, aber in Kombination mit Steuerbeamten sind sie in diesem Formular echt zur Höchstform aufgelaufen.) Ich wußte bloß noch, daß ich es auch nicht im ersten Anlauf geschafft hatte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen fand ich dann den Fehler, es war eine Sache, die aus Steuerbeamtenperspektive vermutlich logisch, aber für jeden anderen schlecht nachvollziehbar und nicht erklärt war. Die Miteigentümerin konnte ihr Glück kaum fassen, als die vorherige Fehlermeldung nach der Änderung im betreffenden Feld nicht mehr kam, und ich fühlte mich, als hätte ich im berühmten "Haus, das Verrückte macht", einen Passierschein A38 ausgehändigt bekommen. 

***

Nein, ich habe das Buch "Krebszellen mögen keine Himbeeren" nicht gelesen und werde es auch nicht tun, sorry also, falls irgendwer hinter der Artikelüberschrift eine Rezension dieses Buches erwartet haben sollte. Aber irgendwie fühle ich mich von diesem Buch seit meiner Krebsdiagnose ein bißchen gestalkt - ähnlich ging es mir seinerzeit übrigens mit Nadja Hermanns "Fettlogik überwinden", allerdings sind es im vorliegenden Fall nicht die Fans, sondern die Feinde des Buches, die mir lästig zu werden beginnen.

Ich kann nicht einmal mehr sagen, wo das gewesen ist und wonach ich damals eigentlich gesucht hatte, als ich zum ersten Mal auf das Himbeerbuch stieß. Es war Ende September in der Phase zwischen Biopsie und Laborbefund, als die meisten Recherchen zum Thema Brustkrebs eigentlich noch gar nicht viel Sinn hatten. Das galt aber nicht für die Frage, ob und wenn ja in welcher Weise Fasten sinnvoll bei so etwas eingesetzt werden könne. Dazu habe ich also schon in diesem Stadium recherchiert. So stieß ich auf ein Blog, meiner Erinnerung nach eines, in dem (auch?) Fachleute zugange waren, und sie gingen auch auf Blogkommentare ein. Das Himbeerbuch wurde von einem Kommentator erwähnt, der sinngemäß schrieb, er hätte dieses Buch gelesen und wisse jetzt besser als die Blogautoren, wie er seine eigene Krebserkrankung behandeln müsse. Also, ich bin ja nicht gerade berüchtigt dafür, auf die Autorität der Ärzte, Wissenschaftler und schon gar nicht von Wissenschaftsjournalisten zu pochen, aber daß dieser Mensch den Wert seiner aus dieser Lektüre gezogenen Kenntnisse maßlos überschätzte, war ebensowenig zu übersehen, wie ich den Verdacht nicht abschütteln konnte, daß er vermutlich in sein eigenes Unglück rennen werde, falls niemand ihn wieder zur Vernunft brächte.

Danach ging mir dieser blöde Buchtitel nicht mehr aus dem Kopf. Mein Mann grinste nur, wenn ich wieder mal nebenbei erwähnte, daß ich diese oder jene Erkenntnis ja nicht aus Büchern wie diesem Himbeerbuch gewonnen hätte oder daß ich solche Bücher ja niemals lesen würde. Er kennt mich lange genug, um zu wissen, was meistens passiert, wenn eine Sache so an mir nagt, daß ich nicht aufhören kann, über sie zu sprechen. Und richtig, irgendwann dachte ich, ach zum Teufel, was soll's. Vielleicht sollte ich dieses blöde Buch eben doch lesen, und sei es nur, um es endlich auch geistig wieder ad acta legen zu können. Bei Nadja Hermann hat das schließlich auch geklappt.

Um etwas für inhaltlichen Mist zu halten, genügt es außerdem noch lange nicht, wenn die Leute, die am meisten für das Buch schwärmen, ein bißchen unterbelichtet wirken. Genausowenig reicht es aus, daß es trotz der eindrucksvollen Titel, mit denen sich die Autoren schmücken können, kein Fach-, sondern ein populärwissenschaftliches Sachbuch ist, das außerdem auch nicht in einem medizinisch-naturwissenschaftlichen Fachverlag wie Springer oder Thieme erschienen ist, deren allgemeinverständlichen Reihen man zumindest einen gewissen fachlichen Grundanspruch unterstellen kann, sondern im Kösel-Verlag, einem typischen anspruchslosen Quer-durch-den-Gemüsegarten-Publikumsverlag aus dem Hause Penguin-Random House, will heißen, dem Bertelsmann-Konzern, in dessen Ratgeber-Sparte auch Gesundheitsratgeber erscheinen. Und zwar vorurteilslos alles und dessen Gegenteil, sofern es dem Verlag nur Geld zu bringen verspricht. (Nun gut, das letztere gilt für Thieme und Springer natürlich auch. Buchverlage haben keine Ideale - jedenfalls sobald sie eine gewisse kritische Größe überschritten haben -, sie sind gewinnorientierte Unternehmen wie andere auch.)

Über den Riva-Verlag, in dem Jason Fungs Bücher erschienen sind, war ich aber auch nicht so richtig glücklich, weil für ihn ganz ähnliches gilt, und von Fung halte ich trotz der einen oder anderen Kritik im Detail immer noch eine ganze Menge. Also, sagte ich mir, beurteile das Buch lieber nicht zu ausschließlich nach dem Verlag, der es publiziert hat. Um inhaltlichen Mist berechtigterweise inhaltlichen Mist nennen zu können, sollte man ihn schon erst mal gelesen haben. 

Das ungefähr waren also meine Überlegungen.

Ich also zu Amazon, schau mir das Ding an, lese die Kurzbeschreibung und falle fast vom Stuhl: In dem Buch geht es ja noch nicht einmal um Krebsbehandlung. Es geht nur darum, welche Lebensmittel die Autoren für krebspräventionsgeeignet halten. Das ist auch der Grund, warum ich das Buch dann doch nicht gekauft habe. Ich habe ja schon Krebs, was soll ich dann also jetzt noch mit einem Buch über Krebsprävention? Aber erstaunlich finde ich es doch, daß auch unter den Amazon-Rezensenten dieses Buches eine ganze Reihe fest zu glauben schien, daß sie Empfehlungen für ihre bestmögliche Ernährung während einer Krebserkrankung gelesen hätten - die sie natürlich auch so umzusetzen gedachten. 

Irgendetwas läuft auf der allgemeineren Kommunikationsebene grundlegend falsch, wenn so etwas das Ergebnis von Bemühungen um Vermittlung wissenschaftlich begründeter Ratschläge darstellt, was hoffentlich trotz meiner kritischen Bemerkungen auch bei diesem Buch wenigstens bis zu einem gewissen Punkt der Fall ist. Andererseits begreife ich jetzt endlich, warum sich für die Discounter die überteuerten und meiner Erfahrung nach fad schmeckenden Himbeeren im Kühlregal als ganzjähriges Angebot zu rechnen scheinen. Zuvor habe ich mich darüber immer gewundert, weil man ja zu jeder Jahreszeit saisonales Obst auch im Discounter gerade dann günstiger bekommt, wenn es am schmackhaftesten ist. (Für die von Low Carb ähnlich gehypten Heidelbeeren gilt übrigens in etwa dasselbe. Ich kaufe momentan viel lieber Kiwis, bei denen schmecken gerade auch die billigen für einsfuffzig das Kilo sehr gut.)

Wie es scheint, können Onkologen aber ebenfalls ganze Opern über Begegnungen mit Patienten grölen, die genau dieses Buch gelesen und auf dieselbe Weise mißverstanden haben. Und wer weiß, wie viele andere Bücher dieser Art unterhalb meines Radars geblieben sind, aber auf ihrer Hotlist der blutdrucksteigernden Patientenfragen gleich unter dem Himbeerbuch stehen. 

Das Problem dabei ist aber, daß es auf die Himbeerfrage keine Antwort gibt, die man in einem twittertauglichen Satz zusammenfassen könnte wie: "Es gibt keine Krebsdiät" oder "Krebs läßt sich nicht aushungern und Himbeeren sind ihm scheißegal". Ich nehme das dem Autor der beiden Zitate langsam echt ein bißchen übel. Eigentlich habe ich ihn ja schon lange entfolgt, aber erst heute bin ich meine "Folge ich"-Liste mal durchgegangen, um die Person rauszukicken, die ihn mir trotzdem immer wieder in meine Timeline gespült hat, denn ich habe Krebs und soll mir keinen Streß antun, und der Typ streßt mich wirklich, weil ich von seinen Tweets zu oft Kopfschmerzen und üble Laune bekomme.

Ich meine den freundlichen @DocOnco, Dr. Michael Schmitz, nach eigener Aussage Internist und Hämato-Onkologe, Palliativmediziner in Hamburg.

Was mich auch immer wieder an solchen Aussagen eines eigentlich nett und seinen Patienten zugewandt wirkenden Onkologen so verstört, ist, was für eine eklige Art von dümmlich-selbstgefälligen Kommentaren das innerhalb des Kometenschweifs seiner Follower bei einem Teil von ihnen auslöst, und daß die Tatsache, daß er bei seiner Entourage mit solchen plakativen, aber unterkomplexen Behauptungen nicht nur inhaltliche Mißverständnisse auslöst, sondern auch das Schlechteste aus ihnen herauskitzelt, was sie charakterlich zu bieten haben, den netten Dr. Schmitz überhaupt nicht zu stören scheint. 

Ja, ich gestehe: Ich habe es mal wieder nicht lasssen können, auf Dr. Schmitz zu reagieren, und prompt hat einer seiner geifernden Wauwaus das Bein an mir gehoben. Aber ich will mich nicht beschweren, denn immerhin scheine ich dem sonst nahezu unvermeidlichen Wichtigtuer entgangen zu sein, der nicht davor zurückgeschreckt wäre, mein Blog nach wissenschaftlich fragwürdigen Ernährungsgläubigkeiten zu durchsuchen, um sie bei Twitter verwursten zu können. Wer weiß, was da sonst herausgekommen wäre - in meinem letzten Blogpost beispielsweise habe ich ja leichtsinnigerweise erwähnt, Hühnersuppe helfe gegen alles und vielleicht auch Chemo-Nebenwirkungen. (@Blogger: In Ihrer Emoticon-Sammlung fehlt ganz entschieden ein Hühnersmiley. 🐔)

Solche Tweets halte ich in ihrer Gesamtwirkung für in mehr als einer Hinsicht problematisch und manchmal regelrecht gefährlich, vor allem, weil das so nicht stimmt, wie der @DocOnco das schreibt. 

Das folgende - wie immer - unter dem Vorbehalt, daß ich Laie bin und mir vielleicht doch manches, das ich mir in den letzten Monaten angelesen habe, falsch zusammenreime. Und natürlich weiß ich in vielen Punkten gar nichts im eigentlichen Sinne von "Wissen", ich stochere da im selben Nebel wie die Fachleute, die bloß nicht zugeben, daß sie - auf höherem fachlichen Niveau - insgeheim in vielen Punkten genauso unwissend wie ich sind und sich aufs Ausprobieren und Rätselraten verlegen müssen. ;-)

Ein Tumor läßt sich nämlich (vermutlich) wirklich nicht aushungern, obwohl das auch die Frau Professorin Jutta Hübner behauptet, deren Stellungnahme zum Fasten ja das Papier nicht wert war, auf dem sie gedruckt wurde. Es wird zwar auch in dieser Richtung geforscht und dabei gab es auch schon Laborergebnisse, die sich so deuten lassen, aber was in einer Petrischale oder einem Reagenzglas (oder was auch immer da verwendet wird) passiert, ist halt doch nicht dasselbe wie das, was der Tumor in meinem Körper macht, wenn er mit denselben Nährstoffen (oder deren Ausbleiben) konfrontiert wird. Ich muß übrigens zugeben, die Stellungnahme der Frau Professorin zur ketogenen Diät habe ich heute zum ersten Mal gesehen - ob ich mich mit ihr inhaltlich näher befassen sollte, darüber muß ich mit mir erst noch zu Rate gehen. Wofür der Link zu ihrer Stellungnahme aber bestimmt nützlich ist: Ihren Quellen lassen sich die Studien entnehmen, die der folgenden Aussage zugrundelagen: 

Zu kohlenhydratarmen bzw. ketogenen Diäten liegen eine Reihe von Zell- und Tierexperimenten vor. Die Ergebnisse dieser Experimente sind nicht eindeutig und teilweise konträr. In einigen Experimenten konnte das Tumorwachstum verlangsamt werden. In anderen kam es jedoch nach einiger Zeit unter einer ketogenen bzw. kohlenhydratarmen Diät zu stammzellartigen Veränderung von Tumorzellen [8–15]. In Tierexperimenten kam es teilweise nach initialer Verlangsamung zu einem beschleunigten Wachstum der Tumorzellen. Darüber hinaus zeigen einige Experimente, dass nur bei denjenigen Tieren eine initiale Wachstumsverlangsamung des Tumors zu sehen war, bei denen es auch zu einer Gewichtsabnahme kam. Darüber hinaus konnten Tierexperimente zeigen, dass das Entscheidende für eine Verlangsamung des Tumorwachstums die Gewichtsabnahme ist und zwar unabhängig von der Diät (kohlenhydratarm oder fettarm) [10, 16–18]

Unter dem Vorbehalt, daß ich die Details, in denen der Teufel auch in dieser Stellungnahme der vermutlich wieder mal "völlig unvoreingenommenen" Frau Professorin vielleicht ja liegen könnte, im Moment noch nicht kenne, klingt das erst mal nicht total abgedreht und steht zu meinem Vorwissen nicht im Widerspruch.

Ein Tumor kann offenbar mindestens in manchen Fällen (unter anderem vermutlich abhängig von seinem eigenen Entwicklungsstadium, aber sicherlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle) sich Glukose auch dann verschaffen, wenn sie nicht über die Nahrung zugeführt wird. Möglich ist das in Form einer Umwandlung von Eiweiß in Glukose. Das Eiweiß stammt entweder aus der Nahrung. Oder, falls auch auf Nahrungseiweiß kein Zugriff möglich ist, aus der Muskulatur. Wenn ein Tumor diesen Trick beherrscht, ist es selbstverständlich sinnlos, auf Kohlenhydrate oder Protein in der Nahrung zu verzichten, um ihn auszuhungern. Daß einem der Krebs die Muskulatur verspeist, will man ja noch viel weniger, als daß er sich von der Speise ernährt, die ich meiner eignen Energiezufuhr zugedacht hatte. 

Das Gemeine ist, daß niemand einem so genau sagen zu können scheint, woran - außer, nehme ich an, ungewollter Gewichtsabnahme - man halbwegs sicher erkennen kann, daß man besser beraten ist, seinen Tumor nicht auf diese Weise austricksen zu wollen, weil das Risiko zu groß ist, daß das nach hinten losgeht. Es ist auch nicht klar, ob bzw. unter welchen Rahmenbedingungen man durch einen Verzicht auf den Treibstoff, den der Tumor gerne haben möchte, vielleicht sogar selbst versehentlich diesen Lernfortschritt bei ihm selbst auslösen kann. Krebs ist nämlich nicht nur gierig wie ein Finanzhai und heimtückisch wie ein Mafiaboß, sondern auch so lerneifrig wie ein Klassenstreber.

Nach aktuellem Wissensstand kann ich echt nicht empfehlen, sich mit einem Mafiaboß auf ein Duell in russischem Roulette einzulassen, sofern nicht in einem individuellen Fall besondere Umstände die Vermutung nahelegen, daß man es gewinnen würde. Das gilt jedenfalls so lange, wie noch andere Behandlungsoptionen bestehen. (Wer sowieso nichts mehr zu verlieren hat, warum sollte der nicht das eine, das nach Meinung der Ärzte alles nur noch schlimmer machen würde, noch ausprobieren, auf die Gefahr hin, daß die Ärzte recht behalten?) (Ergänzung auf Hinweis meines Mannes, der damit natürlich vollkommen recht hat. 29.01.23)

Immerhin, einen kleinen Lichtblick in dieser Frage finde ich erwähnenswert: Ich sehe überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, daß im Anschluß an eine Krebserkrankung, wenn man sich also gerade als krebsfrei betrachten kann und es nun um die Frage geht, diesen Zustand möglichst dauerhaft erhalten zu können, dieses Risiko weiterbesteht, und wüßte auch keinen Grund, warum das so sein sollte. Denn daß ein Tumor wirksame Mittel hat, sich gegen das Aushungern zu wehren, heißt nicht zwangsläufig, daß  Krebszellen alleine oder in kleinen bis kleinsten Zusammenballungen das ebenfalls können. Wie schon in früheren Blogartikeln erwähnt: In frühen Krebsstadien ist ja auch die Autophagie ein Feind der Krebszellen, während fortgeschrittene Tumore Mittel und Wege entwickeln können, sie sich sogar noch zunutze zu machen. 

Aber natürlich tappt die Wissenschaft über die Details, nach denen Krebszellen auf bestimmte Arten von Ernährung reagieren, auf eine Weise nach wie vor im Dunkeln, daß es mir fahrlässig vorkommt, die Leute über die Publikumsmedien und populärwissenschaftliche Ratgeberliteratur mit - einander auch noch häufig widersprechenden - Anweisungen zu überhäufen, welche Lebensmittel sie essen und welche vermeiden sollten, um keinen Krebs zu bekommen. Das gilt noch mehr, weil sich unter denen, die solche Anweisungen wirklich ernst nehmen und befolgen wollen, immer auch ein Teil befindet, der es besonders gut und richtig und deshalb hundertfünfzigprozentig umsetzen will, in der Annahme, das biete einen besonders hohen Schutz, und dabei unter Umständen zum Steve-Jobs-Fall wird, der ja auch ganz sicher zu wissen glaubte, was er essen müsse und was er nicht essen dürfe, um gesund alt zu werden. Fanatismus im Detail ist höchstwahrscheinlich bei allen Ernährungsweisen eher ein zusätzliches Risiko als ein zusätzlicher Schutz, ob jemand nun vegan oder Low Carb oder eine Krebsvermeidungsdiät essen möchte. 

Die Sache ist also kompliziert, aber das erwähnte ich eingangs ja schon. 

Eine völlig andere Baustelle ist außerdem die Frage, ob eine bestimmte Ernährung oder Fasten während einer Chemotherapie sinnvoll ist oder nicht, denn das setzt nicht zwangsläufig eine direkte Wirkung auf den Tumor als Erfolgskriterium voraus. 

Es hat ja seinen guten Grund, daß für die Erfolgskontrolle von Therapien das "ereignisfreie Überleben" gewählt wurde, daß also weder der Krebs wiedergekommen noch man aus irgendeinem beliebigen Grund verstorben ist. Die Verfälschung durch Todesfälle, die in gar keinem Zusammenhang mit dem Krebs stehen, ist natürlich mitzudenken, aber bis zu einem gewissen Alter sowieso nur marginal. Aber neben dem "Tod durch Krebs" steht auch der "Tod durch Behandlungsfolgen", und das muß natürlich unbedingt statistisch einfließen, denn was hätte man davon, wenn man zwar den Krebs dank der Behandlung besiegen konnte, aber dafür innerhalb desselben Zeitraums wegen der Behandlung an Nierenversagen stirbt?

Chemotherapie-Nebenwirkungen bedeuten immer potentielle spätere Gesundheitsschäden, die auch tödliche Folgen haben können. Deshalb ist es nicht trivial, diese Nebenwirkungen verringern zu wollen, sondern ein wichtiger Bestandteil, um dem Patienten seine Gesundheit weiter zu bewahren, und die Indizienlage eines Einflusses der Ernährung darauf sieht um einiges besser aus, auch wenn ich es akzeptieren kann, daß die Forschung noch viel zu spärlich und deshalb noch nicht an einem Punkt angelangt ist, an dem man von einem Beweis im eigentlichen Sinne sprechen könnte.

Ungeachtet dessen spricht aber, wenn man die Sache logisch durchdenkt, überhaupt nichts dagegen, mindestens die Chemotherapie einer Krebserkrankung ohne Fernmetastasen mit einer Ernährung zu begleiten, von der ein Patient zu Recht oder Unrecht annimmt, sie werde sich günstig auf Art und Intensität der Nebenwirkungen auswirken - oder, so wie ich, zu fasten. Das gilt ganz besonders für neoadjuvante Chemotherapie, also Chemo vor einer operativen Entfernung des Tumors. Denn auch dann, wenn die positive Wirkung ausbliebe, riskiert man dabei so gut wie nichts.

Auch nicht, was etwaige ungewollte Wirkungen auf die Aggressivität des Tumors betrifft. Denn die können ja kaum gefährlicher sein als dieselben ungewollten Wirkungen durch die Chemo, die ebenfalls existieren, und gegen letztere ist das ja auch kein Argument. Außerdem bedeutet der Start einer neoadjuvanten Chemotherapie, daß die Tage dieses speziellen Tumors so oder so gezählt sind, egal, wieviele neue Tricks er zuvor noch lernen mag. Die darf er dann gerne in der Giftmüllverbrennung ausprobieren, oder wo immer ein herausoperierter Tumor auch sonst nach der OP landen mag.

Nachtrag 27.1.: Erwähnen sollen hätte ich wohl an dieser Stelle doch noch, daß es unter den außerhalb des herausoperierten Tumors überlebenden Krebszellen allerdings solche geben dürfte, die diese Tricks ebenfalls gelernt haben und deshalb natürlich gefährlicher sind, als sie es andernfalls wären, weil man ihnen wahrscheinlich mit denselben Mitteln, die man beim ersten Mal angewandt hat, nicht mehr beikommen würde, sollten sie sich wieder organisieren und erneut einen Anlauf zur feindlichen Übernahme starten. Die Frage, ob und inwieweit die Art der Ernährung dazu beitragen kann, sie dabei zu sabotieren, ist also eine, die nicht ganz unwichtig ist, wenn es darum geht, die Rückkehr der Krebserkrankung zu verhindern. 

Ich halte es für verantwortungslos, wenn ein Arzt wie Dr. Schmitz den Leuten weismacht, er wisse angeblich ganz genau, daß ein solcher Beitrag nicht existiere. Denn das ist glatt gelogen, auch wenn der umgekehrte Beweis ebenfalls nicht erbracht werden kann. Abhelfen ließe sich dem nur, indem Studien mit entsprechend langem Zeithorizont sich dieser Frage in geeigneter Form annehmen würden, also überprüfen, ob Patienten, die nach der üblichen konventionellen Krebstherapie eine bestimmte Ernährungsweise einhalten (vegan/Low Carb/Fasten/Himbeeren ...) sich früher oder später, seltener oder häufiger wieder beim Onkologen in Behandlung begeben müssen als diejenigen, die das nicht tun.

Solange da keine Erkenntnisse vorliegen, bleibt einem als Patient kaum etwas anderes übrig, als das zu tun, von dem man sich diese Wirkung am ehesten verspricht, und das Beste zu hoffen. Ein bißchen Optimismus schadet dabei bestimmt nicht. Daß es zur Überlebenswahrscheinlichkeit von Krebspatienten beitrüge, dafür zu sorgen, daß sie meinen, alles, was sie selbst tun könnten, sei eh sinnlos, wäre mir nämlich das Allerneueste.

Aus meiner Sicht gibt es angesichts dessen nur wenige wirklich überzeugend Gründe für einen Arzt, seinem Patienten seine Ernährungsideen in so einem Fall unbedingt ausreden zu wollen:

Wenn sich im Lauf der Chemo herausstellt, daß der Tumor nicht geschrumpft, sondern gewachsen ist, sollten wohl alle Faktoren, die das ausgelöst haben könnten, eliminiert werden, wenn man das kann, und die Ernährung wieder zu verändern, ist dabei ja besonders einfach. 

Untergewicht könnte ein weiterer Faktor  sein. Aber speziell bei Brustkrebs - und sicherlich auch bei etlichen anderen Krebsarten, sofern sie in einem relativ frühen Stadium behandelt werden -  ist während einer Chemotherapie ja eher mit einer Gewichtszunahme zu rechnen. Falls dann aber das Gegenteil passiert, hat das ja fast immer gerade mit den Nebenwirkungen zu tun, also wäre es gerade dann bei bereits Untergewichtigen ja völlig bekloppt, nicht alles zu tun, um sie zu verringern. 

Ich glaube, irgendeinen dritten Fall, der mir neulich zusätzlich noch in den Sinn kam, habe ich vergessen. Und selbstverständlich gelten in fortgeschrittenen Krankheitsstadien dann wieder ganz andere Gesetze, aber wenn ich das richtig mitbekommen habe, geht es dann ja im Grunde immer um Einzelfallentscheidungen, also dann natürlich auch in diesem Punkt.

Aber wie auch immer: Ich finde es einfach unmöglich, daß für die Ernährungsdiät-Phobie vieler Ärzte so selten nachvollziehbare Begründungen erbracht werden, sondern nur genauso billige Allgemeinplätze, wie sie auch in dem Satz "Krebszellen mögen keine Himbeeren" zum Ausdruck kommen. Ein Arzt hat aber nicht die Aufgabe, seinen Patienten irgendwelche vermeintlichen Wahrheiten in den Schädel zu donnern, wenn es offensichtlich ist, daß auch sein Irrtum - falls er sich wirklich irren sollte - ihm  keinen Schaden zufügen kann. Er sollte im Gegenteil dankbar für jeden Krebspatienten sein, der ein Ernährungsvorhaben, egal wie ballaballa es ihm vorkommt, nicht heimlich umsetzen zu müssen glaubt. Das ist nämlich ein Zeichen, daß der Patient ihm vertraut, und dieses Vertrauen sollte er sich erhalten.

Was Ärzte sich selten so richtig klarmachen: 

Aus Patientensicht ist es längst nicht so logisch, wenn man die Meinung eines Arztes gegen die eines Wunderheiler-Gurus abzuwägen hat, sich unbedingt für den Arzt zu entscheiden, und das gilt ganz besonders bei einer Erkrankung, bei der einem der Sensenmann ins Gesicht grinst. Ein zusätzlicher Überlebensvorteil von dreikommafünf Monaten durch ein neu entwickeltes Medikament mag in einer Studie ja wirklich ein Grund zur Freude sein, als Aufschub für den Patienten ist an einem solchen Zeitraum halt so wenig dran, daß es viel zu weit von dem entfernt ist, was er eigentlich erreichen möchte, nämlich mit der Zeitperspektive weiterleben, die er vorher gehabt hatte, um zwangsläufig als Argument für den Arzt und gegen den Guru gelten zu können. Aus seiner Perspektive verliert er weniger, als der Arzt glaubt, wenn diese dreikommafünf Monate ihm durch eine unwirksame Wunderheilerbehandlung flöten gehen, die er für eine Chance gehalten hatte, anstelle der dreikommafünf Monate dreißig Jahre erreichen zu können. Gerade dann, wenn ein Arzt täglich die Erfahrung macht, daß seine bestmögliche Behandlung eben viele Patienten doch nicht vor einem zu frühen Tod bewahrt, ist es doch auch unredlich, so zu tun, als stünde der tragische frühe Tod nach einer unwirksamen Behandlung durch den Wunderheiler im Kontrast zur ansonsten erfolgten Heilung durch den wissenschaftlich untadelig vorgehenden Onkologen. In Wirklichkeit geht es meistens um einen frühen oder einen noch früheren Tod. Was die Differenz für den Patienten bedeutet, das ist es, worauf es ankommt, nicht wie das in wissenschaftlichen Studien bewertet wird.

Daneben hat ein Patient viel weniger Grund, dem Fachwissen und der Behandlungserfahrung seines Arztes zu trauen, als die meisten Ärzte annehmen. Denn jeder Arzt hat sich bei seinen Patienten schon häufig geirrt. Umgekehrt hat aber auch jeder Patient schon die Erfahrung gemacht, daß sein Arzt sich bei seiner Behandlung geirrt hat, wenn auch meistens in relativ harmlosen Fällen. Er weiß deshalb, daß auch in diesem aktuellen Fall, der dummerweise nicht harmlos ist, ein Irrtum des Arztes möglich ist. Mit welchem Recht wird dann aber von ihm ein gläubig-vertrauensvolles Fallenlassen in die Hände des Arztes als großem Zampano verlangt, anstatt ihn als Partner auf Augenhöhe bei der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels zu verstehen, bei dem natürlich beide Partner sich sowohl über die eigene wie auch die Fehlbarkeit des jeweils anderen im klaren sind.

Ein solches Verständnis würde dem Arzt genausoviel nützen wie dem Patienten. Jedes Patientengespräch wäre dann gleichzeitig eine Fortbildung, denn wer seinen Patienten wirklich zuhört und dessen Perspektive nachvollzieht, der lernt dabei auch einiges, wovon seine anderen Patienten dauerhaft profitieren werden. Und hat es außerdem nicht auch etwas ganz besonders Befriedigendes, wenn man als Arzt das Vertrauen seines Patienten auf diese Weise auch mit Vertrauen erwidern kann?





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