Freitag, 21. Januar 2022

Gegen den Trend essen

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten langen Fastenintervall des Jahres: 88,7 Kilogramm, das sind 3,8 Kilogramm weniger als Montag früh. Typisch wäre ein Gewichtsverlust von zwischen 5 und 6 Kilogramm gewesen. Somit habe ich durch die Fleischbrühe am Abend tatsächlich sehr viel weniger Wasser verloren als sonst. Daran ist aber nichts auszusetzen, falls die Wiederzunahme dann auch entsprechend geringer ist - was sich übers Wochenende wohl bereits zeigen wird.

Unabhängig davon muß ich aber noch einmal ernsthaft darüber nachdenken, ob ich das wirklich das nächste Mal wieder machen will. Es gefiel mir nämlich nicht sonderlich. Zum einen löste es bei mir Hungergefühle aus, die zwar in einem erträglichen Rahmen blieben, die ich sonst aber nicht habe, zum zweiten scheint sich mein Verdauungsapparat irgendwie veräppelt vorgekommen zu sein, denn an Tag 2 und 3 löste die Sache bei mir mit einem zeitlichen Abstand von ca. zwei Stunden fluchtartige Besuche auf dem stillen Örtchen aus. Am vierten Tag passierte das dann zwar nicht, aber es grummelte vernehmlich im Gedärm und ich wartete die ganze Zeit darauf, wieder losrennen zu müssen. Und heute vormittag hatte ich die ganze Zeit einen irrsinnigen Durst, allerdings weiß ich nicht, ob dabei ein Zusammenhang mit der Fleischbrühe bestanden hat, weil das eigentlich ja gar keinen Sinn ergeben würde. Trotzdem hat es meine Begeisterung für die Fleischbrühe-Variante langer Fastenintervalle nicht verbessern können.

Der Hauptgrund, warum es mir nicht so gut gefiel, ist vermutlich, daß es einfach anders als meine gewohnte Routine während langer Fastenintervalle war, und das ist eigentlich ein bißchen kindisch, weil man sich ja auch an das Neue gewöhnen könnte. Aber zu denken gibt mir, daß ich bei früheren Modifkationen bei meinen Fastenintervallen nie irgendein Problem mit der Veränderung als solcher hatte. Mir fehlen diesmal sowohl ein gutes Bauchgefühl als auch irgendwie vernünftige Argumente, um damit weiterzumachen, denn in irgendeiner Hinsicht besser gefühlt habe ich mich nicht, im Gegenteil. Auch wenn es rein theoretisch für den Elektrolythaushalt eigentlich eine Verbesserung sein müßte, nach reinen theoretischen Luftblasen habe ich mich ja bei solchen Erwägungen noch nie gerichtet, sondern immer nach der praktischen Wirkung.

Meine Twitter-Blase stieß mich jüngst mit der Nase auf den "Trendreport Ernährung 2022", selbstredend nicht, ohne daß dabei Phrasen wie "Expert Listening statt Social Listening" fielen, auf die ich immer ein bißchen allergisch reagiere. Damit war mein Bauchgefühls-Urteil über das Werk samt seiner Urheber eigentlich schon gefallen. Aber überflogen habe ich es natürlich trotzdem.

Der wichtigste Trend im des laufenden Jahres besteht in "klimafreundlicher und nachhaltiger Ernährung", was auch immer die betreffenden Experten darunter im Einzelnen auch verstehen mögen. Nicht wenige von ihnen bringen wohl auch den Trend Nr. 2 mit Trend Nr. 1 in Zusammenhang, nämlich die "vegane und pflanzenbasierte Ernährung", die ja in dem Ruf steht, besonders klimafreundlich zu sein. Kombinieren ließe sich das natürlich auch mit Trend Nr. 3, der digitalen Ernährungsberatung, und dabei ließe sich Trend Nr. 4, die Achtsamkeit und das Bewußtsein für gutes Essen (nach Vorstellung des jeweiligen Ernährungsberaters von gutem Essen natürlich), gleich mit indoktrinieren. Empfohlen werden könnte dabei auch, Trend Nr. 5, eine personalisierte Ernährung, ein Wachstumsmarkt an der Schnittstelle der Marktakteure aus Lebensmittelproduktion und Gesundheitswesen, und das kann dann dazu führen, daß, Trend Nr. 6, (angeblich) gesundes Convenience Food entwickelt wird. Trend Nr. 8 umfaßt in den Augen von Experten möglicherweise auch mich als Verbreiterin von "Ernährungsmythen und falschen Ernährungsinformationen", da das, was ich selbst mache und über das ich blogge, in vielen Punkten im direkten Widerspruch sowohl zu den meisten Trends wie auch zu "zeitloseren" Weisheiten der Ernährungswissenschaft steht. 

Nimmt man den Titel wörtlich, müßte man eigentlich davon ausgehen, daß diese befragten Experten schlicht wiedergeben, was sie an gesteigertem Interesse an bestimmten Ernährungsfragen in ihrem Berufsalltag mitbekommen haben. Aber ich kann den Argwohn mal wieder nicht abschütteln, daß dieser Report auch selbst Einfluß auf Trends nehmen möchte. Auch deshalb, weil ich schon seit Jahren in meiner direkten Umgebung und auch einem weiteren Radius (Freunde von Freunden etc.) den Trend zum Intervallfasten deutlich wahrnehmen kann, ohne daß der aber von den Experten anscheinend für einen echten Trend gehalten wird. Das wirft die Frage auf, warum das ihnen so unsichtbar geblieben ist. Könnte es gar sein, daß sich zur Förderung dieses Trends einfach keine kommerziellen Geldgeber finden? Denn eines steht fest: Geld mit Intervallfasten zu verdienen, ist zwar nicht völlig unmöglich, aber doch schwieriger und es ist viel weniger als bei den tatsächlich genannten Ernährungstrends.

Wer sich bei der Ernährung an Trends orientiert statt am persönlichen Wohlbefinden, riskiert meines Erachtens damit das letztere. Edle Motive bei der Ernährung werden den Planeten außerdem kaum retten können. Das liegt zum einen daran, daß mit jeder Art von Ernährung Geld verdient werden kann - schwieriger wird das lediglich beim Intervallfasten, und sogar dazu werden absurderweise zahlreiche Kochbücher veröffentlicht - und die Anbieter von Nahrungsmitteln unweigerlich zu kreativen Leistungen bei der Erzeugung und der Vermarktung von zweifelhaften auf den Trend zugeschnittenen Produkten unter dem Label "gesund" oder "klimafreundlich" inspiriert. In Wirklichkeit sind sie natürlich weder das eine noch das andere, aber sie verkaufen sich vor allem deshalb - wenigstens vorübergehend - nicht selten vorübergehend gut, weil der Griff zu solchen Produkten das schlechte Gewissen ein wenig beruhigt, mit dem sich so viele unnötigerweise abschleppen. Dieses Hase-und-Igel-Spiel kann etwas so Kurzatmiges wie ein Ernährungstrend, der ja meistens nur wenige Jahre lang Bestand hat (siehe etwa die Entwicklung des Aktienkurses des durch die Medien seit der Gründung 2019 so gehypten "Beyond Meat"), kaum gewinnen, auch dann nicht, falls er ein paar vernünftige und erhaltenswerte Bestandteile haben sollte. 

Ich meine, nicht nur auf Basis des Beyond-Meat-Desasters, der Vegan-Trend ist bereits auf dem absteigenden Ast, und ich finde es auch nicht schade um ihn. Die Experten haben davon allerdings noch gar nichts mitbekommen. An einer Stelle im PDF heißt es:

„Kochbuch- und Zeitschriftenverlage wünschen sich einen größeren Anteil vegetarischer und veganer Rezepte in den Publikationen, da die Leserinnen und Leser hier mehr Input erwarten“, erläutert die Ernährungsexpertin und Journalistin Inga
Pfannebecker.

Ich frage mich ernsthaft, wer um alles in der Welt denn unbedingt NOCH mehr vegetarische oder vegane Rezepte haben möchte, und aus welchem Grund überhaupt. Schmecken die anderen, mit denen man längst überall zugeschüttet wird, denn so schlecht?

Erst am Dienstag habe ich - gegen meine Gewohnheit - im REWE eingekauft, weil ich beim eigentlichen Einkauf einen Artikel vergessen hatte (Thunfisch in Olivenöl, den gibt es nämlich nicht überall) und dort noch im Vorbeilaufen mitnehmen konnte. Dabei nahm ich an der Kasse auch das immerhin sechzigseitige Gratis-Magazin "Deine Küche" mit, aus Neugier, weil ich das noch nie gelesen hatte, und die deutliche Mehrheit der Rezepte war entweder vegetarisch oder vegan. Etwas, das mich inspiriert hätte, war aber weder unter diesen Rezepten noch in der Rubrik für fleischfressende Bösmenschen wie mich enthalten, und so liegt das Magazin mittlerweile im Papiermüll. Ich bin wohl schon zu routiniert im Kochen, um in Zeitschriften dieser Art noch allzuviel Inspiration zu finden. 

Was mich an solchen Trendbejubelungen vor allem abschreckt, ist, daß hinter jedem Trend irgendwelche Absahner lauern, die vor allem die Absicht haben, an diesem Trend unheimlich viel Geld zu verdienen. Das floß in den Report wie eine Selbstverständlichkeit auch mit ein. An einer Stelle heißt es etwa:

Der Markt für personalisierte Ernährung erreichte im Jahr 2020 ein Volumen von 8,1 Milliarden US-Dollar. Analysten gehen von einem schnellen Wachstum aus und schätzen, dass bereits 2027 ein Marktvolumen von 19,7 Milliarden US-Dollar erreicht werden wird.

Im Laufe der nächsten sechs Jahre wird also damit gerechnet, über 11 Milliarden Euro aus trendbewußten Essern alleine für personalisierte Ernährungskonzepte herausquetschen zu können! Ich frage mich, wo sie dieses Geld hernehmen werden. Mein Tip: Sie werden irgendeinen älteren Trend samt deren Anbietern schmählich im Stich lassen. Für die Anbieter bedeutet das überwiegend keinen Schaden (außer für die kleinen, idealistischen), da die Lebensmittelkonzerne immer auf allen Ernährungstrend-Hochzeiten tanzen, also ist das für sie ein Linke-Tasche-Rechte-Tasche-Spiel. Ganz billig kann es nicht sein, die Entwicklung von neuen eßbaren Produkten kostet ja eine Menge Geld, ebenso deren Markteinführung, und die meisten neuen Produkte überleben viel zu kurz, als daß mit ihnen wirklich Geld verdient werden konnte. Aber es ist natürlich immer noch billiger, als neuartige Produkte den kleineren Wettbewerbern zu überlassen, die sie zunächst erfunden haben. 

Im Grunde sollte man solche neuen Produkte gar nicht erst kaufen. Daß sie einem nicht schmecken könnten, ist dabei noch die weniger unangenehme Folge, denn sollte man mal eines davon wirklich gut finden, muß man damit rechnen, daß sie nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. Mit meinem abgepackten Rettichsalat scheint mir genau das wieder einmal passiert zu sein. 

Solche Erlebnisse machen mich fast so unleidlich wie die Auseinandersetzung mit dem Gedruckten, das von Experten so verbreitet wird.

Den Ehrenpreis für die absurdeste Ernährungsaussage im Ernährungstrend-Report bekommt von mir Frau Professorin Jutta Dierkes, die solche monetären Vereinnahmungen aktiv zu unterstützen scheint:

„Immer mehr Menschen können nicht kochen oder haben keine Zeit dafür, wollen aber gleichzeitig gesund essen. Sie sind daher auf Convenience Food angewiesen“, sagt Jutta Dierkes, Professorin für Clinical Nutrition an der Universität Bergen.

Diesen Schuh, in der Ernährungsfrage hilflos den Anbietern von Fertigprodukten ausgeliefert zu sein, weil man auf sie angewiesen sei, sollte niemand sich anziehen, und es ist ein Armutszeugnis für den gesamten Wissenschaftszweig der Frau Professorin, daß ausgerechnet eine Ernährungswissenschaftlerin etwas so offensichtlich Falsches behauptet.Vielleicht sollte man ja einen Negativpreis erfinden für die bekloppteste Falschaussage aus Ernährungswissenschaftler-Kreisen. Wie wäre es beispielsweise mit einem "Schwester-Ratched-Preis für fehlgeleitete Fürsorge"? 👿

Niemand - ich wiederhole: niemand - ist auf Convenience Food angewiesen, sofern man nicht gerade pflegebedürftig ist. Nicht kochen zu können ist kein unausweichliches Schicksal. Wer nicht kochen kann, der kann es lernen und ist dann auf der Stelle nicht mehr auf die Produzenten von Abgepacktem angewiesen. Dazu braucht man heutzutage nicht mal mehr einen Kochkurs, YouTube bietet tonnenweise leicht verständliche Anleitungen für alle erdenklichen Arten von Rezepten, vom einfachen Alltagsgericht bis zu luxuriösen Torten, bei denen auch Ahnungslose, die so unterbelichtet sind, daß sie an gedruckten Rezepten scheitern würden, dem Koch bzw. der Köchin einfach über die Schulter schauen und es ihnen einfach nachmachen können. 

Wer wenig Zeit hat, kann sich außerdem auf einfache und schnell gemachte Gerichte beschränken, wie ich das bei neunzig Prozent meiner Mahlzeiten ja auch mache, obwohl ich auch aufwendigeres Essen machen kann. Ich habe meine Zeit aber schließlich ebenfalls nicht gestohlen. Kann es gar sein, daß die Frau Professorin selbst glaubt, was sie da schreibt, weil sie selbst ungeachtet ihrer Profession auch nicht richtig kochen kann? 

Gemeint ist mit "richtig Kochen" hier: "Kochen als Alltagsverrichtung", wie das unsere Mütter und Großmütter in der Regel noch mit links konnten, nicht "Kochen als kostspieliges und zeitaufwendiges Gesamtkunstwerk", wie das in Frauenzeitschriften so gerne zelebriert wird. Ich erinnere mich noch daran, daß ich in der Zeit, bevor ich Mutter wurde, die Rezepte in der Brigitte immer eher abschreckend als anregend fand, und zwar genau deshalb, weil es sich fast immer um Rezepte der zweiten Sorte handelte, die eher was für "Köchinnen mit guten Vorkenntnissen und viel Freizeit" waren. Nur, auf solche Rezepte ist ja niemand angewiesen. Als ich einen guten Grund bekam, richtig kochen zu lernen - nämlich nach der Geburt meines Kindes, als ich mit einem winzigen Buget wirtschaften mußte und dahinterkam, daß das mit Selberkochen einfacher ist -, gelang es mir - damals natürlich noch ohne Hilfsmittel wie YouTube - im Trial-and-Error-Verfahren, eine ganz passable Köchin von schlichten, aber schmackhaften Alltagsgerichten zu werden. 

Convenience Food ist also eine Wahlmöglichkeit, kein Erfordernis. Ich bin bekanntlich ein großer Freund von Wahlmöglichkeiten - die in meinen Augen Bestandteil der Menschenwürde sind -, und wenn einer solche Sachen unbedingt essen möchte, dann soll er es eben tun. Nur sollten gerade Ernährungsfachleute ihn doch nicht in der irrigen Annahme bestärken, sein chronisch schlechtes Gewissen (weil er doch eigentlich genau weiß, daß er "gesünder essen" sollte) wäre schlagartig nicht mehr nötig, wenn er seine Fertiggerichte nicht mehr bei Lidl, sondern bei Alnatura kauft, weil das wenigstens gesünder klingt. Eine vergleichbare positive gesundheitliche Wirkung zu der dieses Beispielfalls ließe sich nämlich auch erzielen, indem man bei Vollmond nackt um ein Feuer tanzt. 

Convenience Food ist in einer weiteren Hinsicht immer schlechter als Selbstgekochtes: Man liefert sich in Sachen Ernährung interessierten Dritten aus, deren Hauptinteresse nicht das Wohlergehen ihrer Kunden ist, sondern ihre klingelnde Kasse. Aus dem Report dazu:

Ein Bericht der Unternehmensberatung Deloitte bestätigt, dass der Markt für Convenience-Produkte in Deutschland im Vergleich zu China oder den USA noch relativ wenig entwickelt ist. Es wird von einem Marktwachstum von 13 Prozent in den kommenden drei Jahren ausgegangen, so dass der Markt 5,3 Milliarden Euro umfassen wird.

Man muß weder Ernährungswissenschaftler noch Prophet sein, um mit dem Wachstum dieses Markts in Deutschland auch eine zu erwartende weitere Angleichung unserer Stoffwechselgesundheit an die USA zu prognostizieren. Wünschen sollten wir uns das nicht, denn die Amerikaner scheinen gerade bezogen auf den Stoffwechsel zu den kranksten Völkern auf dem Erdball zu zählen. Das Problem sind nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einzelne Inhaltsstoffe im Convencience Food, die man mit Hilfe des NutriScore vielleicht verringern oder irgendwann auch ganz wegregulieren könnte, wie das in Politik und Verbraucherschutz geglaubt zu werden scheint. Es ist das Convenience Food an und für sich, oder präziser gesagt: der hohe Umfang, in dem es mittlerweile konsumiert wird. Falls dieser Trend wirklich besteht, läge es für einen Ernährungswissenschaftler eigentlich nahe, darüber nachzusinnen, wie er zu stoppen ist.

Das Ganze ist nun einmal mehr als die Summe seiner Teile. Schon die Verwandlung in Apfelsaft nimmt dem gesunden Apfel ja etwas weg, das Fruchtfleisch, das vermutlich einen realen Einfluß darauf hat, wie gesund oder ungesund der Verzehr ist. Man kann das Essen eines Apfels nicht durch das Trinken eines Glases Apfelsaft imitieren und sich einbilden, in beiden Fällen genau dasselbe für seine Gesundheit getan zu haben. Von den apfelartigen Bestandteilen in vorgefertigten Apfeltaschen und dergleichen gar nicht anzufangen.

Daß Ernährungsbildung in Kita und Schule (Trend Nr. 10) immer wichtiger werde, bewirkte bei mir  hochgezogene Augenbrauen. Wieso eigentlich, wenn wir doch alle auf Convenience-Food-Anbieter angewiesen sind? Würde es dann nicht ausreichen, einfach die Anbieter nach aktueller Ernährungswissenschaftler-Weisheit durchzuregulieren und sich anschließend darauf zu verlassen, daß sie nun ohnehin gar nichts Ungesundes mehr anbieten können?

Außerdem finde ich es nicht sonderlich sinnvoll, das Prinzip "Mehr vom Gleichen" anzuwenden, und die Aufklärung von vor dreißig Jahren sah ja schon in etwa genauso aus wie heute, von wenigen Details abgesehen. Ich war aber schon in den frühen Neunzigern, während der Grundschulzeit meines Sohnes, so angenervt von dem Eifer, mit dem ich von allen Seiten her mit den damals gerade aktuellen Ernährungs-Weisheiten traktiert wurde, daß ich an Elternabenden am liebsten mit einer Chipstüte in der linken und einer Coladose in der rechten Hand eingelaufen wäre, als wäre ich eine bockige Vierzehnjährige. Dabei hat mein dreißig Jahre jüngeres Selbst zu jener Zeit seine Mutterpflichten - auch in Sachen Ernährung - so ernst genommen, daß ich es rückblickend fast ein bißchen belächle. Heute wäre ich wohl in vielen Fragen relaxter. Aber schon damals war ich nicht gewillt, mir die eigenverantwortliche Entscheidung von Experten ohne weiteres aus der Hand nehmen zu lassen.

Das eigentliche Problem bestand für mich darin, daß die Ernährungsermahnungen immer dieselben waren, Wiederholungen des "Anfängerprogramms" in einer zermürbenden Endlosschleife, so als ob man unterstellen würde, wir doofen Eltern hätten sie die ersten hunderfünfzig Male, die wir sie uns zuvor schon angehört hatten, wohl noch nicht verstanden. Auf mich wirkte das nicht nur wie eine (wie ich fand, unverdiente) Beleidigung, sondern ab einem gewissen Punkt wie chinesische Wasserfolter. Unverdient fand ich die Beleidigung deshalb, weil ich sowieso schon seit dem ersten Mal - das ich mir auch wirklich noch mit Interesse angehört hatte - alles aus dem "Anfängervortrag" umsetzte, was mir sinnvoll und praktikabel erschien - was mich überzeugte -, während ich aber alles, was ich nach Ernährungswissenschaftler-Maßstab falsch machte, mit Absicht "falsch" machte und gar nicht daran dachte, etwas daran zu ändern, egal, wie oft es mir gepredigt wurde.

Vielleicht sollte man also lieber einmal darüber nachdenken, ob bei der Ernährungsbildung nicht im Gegenteil weniger ein bißchen mehr wäre. 

Was ich anstelle von Trend 10 tatsächlich befürworten würde, ist eine Sache, die in dem Trendreport betrüblicherweise mit keiner Silbe erwähnt wird (womit ich aber auch kaum gerechnet hätte): die flächendeckende Einführung von Kochunterricht in Schulen - alleine schon deshalb, damit kein Erwachsener sich mehr einbilden müßte, auf Convenience Food "angewiesen" zu sein, sondern es als Wahlmöglichkeit neben der Möglichkeit des Selberkochens nutzen würde.

Mich frustriert die Dünkelhaftigkeit der Experten, an denen ich keine Spur eines Bewußtseins dafür wahrnehmen kann, daß ihr aktueller Wissensstand, was zu empfehlen sei und wovon abgeraten werden müsse, immer auch zeitgeistgetrieben ist und durchaus in einem oder mehreren Punkten falsch sein könnte - so wie frühere Trends ja auch, man denke nur an die Verteufelung von Butter und deren Ersetzen durch Margarine, was nach heutiger Ansicht gar nicht so gesund gewesen ist, wie uns das in meiner Kindheit weisgemacht wurde. 

Der Vegan-Trend beispielsweise ist nämlich nicht unbedingt klimaunschädlicher, je nachdem, wo und auf welche Weise die Bestandteile der dazu angebotenen Produkte produziert und verarbeitet wurden, von denen ja, sollte der Trend sich weiter fortsetzen, immer mehr produziert werden müßten. Ist es dann aber wirklich wünschenswert, immer mehr (angebliche) Bioware aus den entlegensten Gegenden der Welt zu uns zu importieren? Was ist da eigentlich mit der Klimawirkung des Transports? Und welchen lokal möglicherweise wichtigen Anbauprodukten werden dadurch die Produktionskapazitäten entzogen? (Denn entweder wird zuvor anders genutztes Ackerland verwendet oder es wurde eigens für diesen Anbau Land gerodet - was klimatechnisch eigentlich spitze Entsetzensschreie der üblichen Verdächtigen auslösen sollte.) Und müssen im Erzeugerland dann vielleicht sogar mehr Menschen hungern, damit bei uns diese Bioware angeboten werden kann?

Meines Erachtens kann man mit eigentlich gut gemeinten Bemühungen so viel Kontraproduktives bewirken, daß es mir viel vernünftiger scheint, sich beim Essen auf das zu konzentrieren, wofür Essen ja eigentlich gut ist: Es soll satt machen, und außerhalb von Hungersnot-Zeiten, wo sich die meisten damit zufriedenzugeben bereit sind, soll es außerdem gut schmecken. Macht man den Genuß beim Essen zum Dreh- und Angelpunkt der Ernährung statt irgendwelcher Weltrettungsphantasien oder abstrakter Bewertung von vermeintlich guten oder bösen Inhaltsstoffen, landet man früher oder später sowieso beim Einkauf hochwertigerer Produkte, darunter viele saisonale Produkte auf dem Wochenmarkt aus regionaler Produktion. Bei mir jedenfalls war das so, daß ich, um wohlschmeckendere Produkte zu bekommen (zunächst ging es mir dabei vor allem um Äpfel, die im Discounter meistens fade schmecken), mit dem Wochenmarktbesuch angefangen habe, nicht etwa, um mich moralisch untadeliger zu ernähren. 

Die Ernährungsvorschriften, an die viele Leute sich halten zu müssen glauben (etwa fettarme Produkte), bewirken ja immer, daß sie damit zu etwas greifen, das sie spontan eigentlich nicht gekauft hätten, etwas, das zwar ähnlich, aber nicht identisch mit dem eigentlich gewollten und dadurch ersetzten Lebensmittel ist, aber nur selten genausogut schmeckt. Wer das jahrzehntelang macht, dem ist mit ziemlicher Sicherheit im Lauf der Zeit das Geschmackserlebnis wirklich guten Essens verloren gegangen. Ich bezweifle, daß das eine gute Grundlage dafür ist, jemandem gute Ernährung zu vermitteln, und ich bin außerdem überzeugt davon, daß ein guter Teil der in Privathaushalten verdorbenen Lebensmittel ein Kollateralschaden in den Ernährungsfeldzügen sind, ein Nebenprodukt nämlich von Käufen, mit denen vor allem das Gewissen beruhigt werden sollte, denn mit dem Kauf von Gemüse oder Obst, auf das man eigentlich gar keine Lust hat, ist der eigentlich vorhandene gute Wille zur gesunden Ernährung ja erst mal bewiesen. Nur blöd, wenn man sich dann nicht auch dazu überwindet, es tatsächlich zu essen, weil das ja unbequemer ist, als auf Convenience-Produkte zurückzugreifen. 

So wurde dann aus Klimasicht ein neuer Feldzug erforderlich, nämlich der gegen Lebensmittelverschwendung, der dann wieder seine eigenen grotesken Blüten getrieben hat und mich regelmäßig, wenn das Thema mal wieder in den Medien durchgenudelt wird, auf die Palme bringt. Aber diese Baustelle mache ich hier und heute lieber nicht mehr auf, vielleicht ein anderes Mal.

Nur eines, weil ich es gerade heute gelesen habe: Das Umweltbundesamt kritisiert die Gewohnheit der Handelsketten, den Erzeugern nur Obst und Gemüse in bestimmten vorgegebenen Größen und ansprechender Optik abzunehmen. Deshalb blieben zwischen 10 und 30 Prozent des Gemüses auf den Feldern liegen. Ich habe keine Ahnung, wie nahe diese Beschreibung an den tatsächlichen Verhältnissen ist. Aber falls es wirklich so sein sollte, fände ich es nicht besonders naheliegend, die Handelsketten dazu zu verdonnern, auch diese Produkte zu verkaufen, wie das Umweltbundesamt das gerne hätte. Statt dessen sollte dieses Gemüse den Bauern durch Weiterverkäufer (etwa auf Wochenmärkten) oder Weiterverarbeiter in sozialer Trägerschaft, die ihre Preise nicht gewinnorientiert kalkulieren müssen, entweder gegen Entgelt oder gegen Einsammeln in Eigenleistung direkt auf dem Feld abgenommen werden. Kunden mit wenig Geld würden für diese Ware sicherlich genauso wie in den Tafeln Schlange stehen. Aus meiner Sicht gibt es überhaupt keinen Grund, gute Lebensmittel nur wegen ihrer nicht discountertauglichen Optik einfach verderben zu lassen, und ich bin der Meinung, daß sich eine Lösung ziemlich einfach entwickeln lassen müßte, und außerdem, daß sie an den Discountern vorbei entwickelt werden sollte.

Eigentlich läge dieser Gedanke angesichts der steigenden Lebensmittelpreise nahe genug. Wieso kommen eigentlich die Experten auf so etwas nicht selbst?


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