Mein Gewicht heute früh: 85,0 Kilogramm.
Tumor- und Nebenwirkungs-Watching (Chemo-Zyklus 2, Tag 10):
Die kleine Glasmurmel in der Achsel ist immer noch eine kleine Glasmurmel.Vorgestern habe ich sie beim ersten Ertasten aus einem anderen Winkel erwischt, und mir sträubten sich die nachwachsenden Borsten auf dem Kopf, weil ich erst dachte, sie wäre sogar wieder größer geworden. Im zweiten Versuch erkannte ich dann aber, daß das wohl alles eine Frage der Perspektive gewesen ist, kein Grund zur Aufregung also, sie ist weder gewachsen noch geschrumpft. Und seitdem hat sich ihre Größe auch nicht verändert. Schade trotzdem. Eine Erbse oder ein Garnichts wäre mir natürlich lieber gewesen.
Der Tumor wiederum kam mir vorgestern ebenfalls nicht wirklich kleiner vor, nachdem ich ihn wiedergefunden hatte - aber ich mußte wahrhaftig zum ersten Mal seit der Biopsie am 5. Oktober kurz nach ihm suchen, anstatt ihn beim Drüberfahren mit der Hand auf Anhieb zu ertasten. Also, entweder ist er dann doch kleiner geworden oder er ist mir irgendwie ... tiefer gerutscht??? 👀
Hm. Wahrscheinlich dann doch eher ersteres. Daß er diesmal aber auch wieder weicher geworden wäre - so wie beim letzten Zyklus um ungefähr diese Zeit herum - kann ich bis auf weiteres aber nicht feststellen. Auch der Tumor ist gerade eine harte kleine Glasmurmel, aber je öfter ich morgens erst mal suchend über meine rechte Brust fahre, bevor ich sie lokalisiert habe, desto überzeugter bin ich davon, daß sie tatsächlich kleiner als vor Beginn des zweiten Chemo-Zyklus ist. Da ich nicht weiß, was von beidem zu bevorzugen wäre, nehme ich das erst mal ohne weiteren Kommentar zu den Akten.
Am Dienstag werde ich mal mit der Chemo-Schwester reden, denn mir gefällt es nicht, daß der dritte Zyklus nicht nach drei, sondern erst nach fast vier Wochen (präziser: drei Wochen und sechs Tage) starten soll. Ich möchte nicht, daß das glücklicherweise jetzt schrumpfende Ding gar so viel Zeit dafür bekommt, sich nach dem chemischen Angriff wieder zu berappeln.
Ich habe den Eindruck, die Tage, an denen bei der Chemo beobachtbare Dinge an diesen beiden Stellen passieren, sind auch die Tage, an denen ich die stärksten spürbaren Nebenwirkungen im Zyklus habe. Falls zwei Zyklen schon eine halbwegs konkrete Aussage zulassen sollten, wären das dann ungefähr die Tage 4 bis 10 ... wobei ich dafür "Nebenwirkungen" aber schon ein bißchen großzügig definieren muß, denn außer diesem leichten Schwindelgefühl, das mich ab Tag 3 über mehrere Tage hinweg begleitet (fast immer nur über den Vormittag hinweg, nachmittags löst es sich dann von alleine auf, aber manchmal poppt es auch am frühen Nachmittag unerwartet auf, wenn ich morgens nichts oder fast nicht bemerkt habe), hatte ich letztes Mal (und werde ich vermutlich auch diesmal) nur zwei bis drei Tage noch ein paar andere Beschwerden haben, die ich aber alle auch nicht weltbewegend finde.
Neben einem leichten Wundheitsgefühl in der Nase und am Gaumen (Nasenspülungen mit Kochsalzlösung helfen, wie schon im Sommer, als ich das ja fast die ganze Zeit hatte) bekam ich in der Nacht auf vorgestern auch noch Muskelschmerzen im Rücken, die ich immer noch spüre, wenn ich bestimmte Bewegungen mache, und dabei fiel mir ein, daß ich das im letzten Zyklus ungefähr zur selben Zeit ja auch hatte, allerdings im linken Arm und relativ zentral an einer bestimmten Stelle, die ich tatsächlich ungebührlich beansprucht hatte. Deswegen war ich mir auch nicht sicher gewesen, ob das überhaupt etwas mit der Chemo zu tun hat. Aber offenbar ist das schon der Fall und ohne Überbeanspruchungen sucht der kleine gemeine Muskelkater sich wohl einfach eine andere Sollbruchstelle, um es sich dort gemütlich zu machen und mir ein bißchen aufs Schwein zu gehen.
Gestern und heute merkte ich schon eine deutliche Verringerung der Symptome, was sich vermutlich nun rasch in Richtung Normalgefühl weiterentwickeln wird, und das ist auch gut so, denn ich habe Mitte nächster Woche etwas, was ich sonst eigentlich gerne vermeide: Ich muß vor einer Gruppe anderer Leute sprechen. Daß das ohne eigene Haare geschehen wird, macht die Sache für mich letztlich nur unwesentlich unangenehmer, aber diesmal gab es für mich nun einmal gute Gründe, mich darauf einzulassen. Also muß ich da eben durch, ob mit oder ohne Haare.
Im Moment fühle ich mich leider mit nahezu allem, was ich als Haar-Ersatz oder zum Kaschieren ihres Fehlens verwenden kann, mindestens ein bißchen unwohl. Die Perücke habe ich schon mehrmals unterwegs getragen und optisch gefalle ich mir mit ihr auch, aber sie fühlt sich weiterhin ziemlich fremd an. Ich habe dauernd das Bedürfnis, daran herumzunesteln, weil ich das Gefühl habe, sie sei irgendwie verrutscht, und dann bekomme ich zusätzlich das Gefühl, jedem um mich herum fällt auf, daß ich gerade versuche, meine Frisur daran zu hindern, plötzlich neben mir auf dem Boden zu liegen. So richtig für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl sorgt das natürlich nicht.
Das sollte ich in den nächsten Tagen echt noch ein bißchen trainieren, die Finger von der Perücke wegzulassen.
Eines der Probleme ist das nachwachsende Stoppelfeld auf meinem Kopf, bei dem sich die einzelnen Stoppeln ständig in allen Tüchern, Kappen und so weiter verhaken und ein unangenehmes Gefühl auslösen. Mützen, die fest genug sitzen, um mich nicht ständig vor ihrem Verrutschen schützen zu wollen, lösen außerdem ein unangenehmes Druckgefühl am Kopf aus, und weil ich ja außerdem in Innenräumen Maske (vorzugsweise FFP2-Maske) tragen sollte (mein Termin wird aber eine Ausnahme sein), was für mich als Brillenträgerin ohnehin unangenehm ist, weil mir die Brille ständig beschlägt, habe ich in Kombination mit Mütze außerdem ständig ein Gefühl, als würden mir die Haare in die Augen hängen. Tatsächlich verschiebt diese Kombination meine Brille aber einfach ein bißchen näher in Richtung Augen, und was ich da spüre, sind die Augenbrauen und die Wimpern. (Ja, ich habe beides noch.)
Daheim weiche ich jetzt manchmal auf einen selbstgebundenen Turban aus einem meiner Halstücher und Schals aus. So ein Ding sitzt locker genug, um mir viel weniger unangenehm zu sein, allerdings habe ich meinen Tücher- und Schal-Bestand natürlich nicht für diesen Zweck erworben, und nicht alle gefallen mir. Da werde ich vielleicht doch noch einmal shoppen gehen müssen und mir ein paar turbantauglichere Exemplare beschaffen. Und dann heißt es natürlich auch wieder üben, bis die Bewegungen beim Wickeln richtig sitzen und das Ergebnis auch etwas gleichsieht, damit ich mich damit auch unter die Leute trauen kann. Denn so richtig gegeben sind mir solche feinmotorischen Aufgabenstellungen leider nicht.
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Das bislang nur provisorisch eingerichtete Telefon hat uns gestern einen weiteren kompletten Tag und dazu noch reichlich Nerven gekostet. Aber jetzt funktioniert endlich alles, sogar das Fax, das ich selten, aber leider alle ein bis zwei Jahre eben doch brauche, und dann meistens auch sehr dringend - etwa wenn Fristen gewahrt werden müssen. Neulich erst war es meiner Krankenversicherung nur noch das Durchfaxen des Formulars von mir möglich, meinen Krankentransport zur Chemo noch rechtzeitig vor dem ersten Termin zu bewilligen. Aber daß ich dieses einwöchige Chaos meinem Telefonanbieter jemals verzeihen werde, glaube ich nicht.
"Eines Tages werde ich die Chance bekommen, diesen §$"§%$ so richtig an den Karren zu fahren", sagte ich gestern zu meinem Mann. "Und das werde ich dann in jedem Fall tun - und mit ordentlichem Anlauf. Und falls sie mich auf Knien anflehen sollten, sie zu schonen, bekommen sie zusätzlich noch einen Tritt in die Weichteile." Ich habe Telefonanbieter so satt. Seit zwanzig Jahren kommt es jedes Mal, wenn bei mir etwas am Telefon verändert wird, zum Supergau. Daß die Hotlines nicht mehr ganz so grottenschlecht sind wie damals, als ich das zum ersten Mal erlebt habe, macht die Sache nur marginal besser. Wenn ich nur könnte, würde ich auf Brieftauben umsteigen.
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Es ist schon ein Weilchen her, daß mir dieser Tweet auffiel, aber ich wollte ihn trotzdem noch posten:
Wir sollten es echt auch einmal mit einem gewesenen Comedian an der Spitze versuchen. Man vergleiche nur den Subtext mit den Bemühungen unseres Oberpanikmachers an der Spitze der Bundesnetzagentur, in uns die maximal möglichsten Ängste zu wecken in der irrigen Meinung, mit genau dieser Methode sei es am besten möglich, auch noch die letzte mögliche eingesparte Kilowattstunde extra aus uns herauszuquetschen. Wir haben echt ein gravierendes Kommunikationsproblem bei uns im Land. In allen Bereichen und auf allen Ebenen.
Vielleicht ist der Vorteil der Ukraine in diesem speziellen Bereich ja der, daß man dort (immer noch) so mit dem Rücken zur Wand steht, daß man sich solchen Firlefanz nicht leisten kann und nicht leisten will, sondern sich darauf konzentriert, Dinge zu tun, die funktionieren, bzw. alles zum Funktionieren zu bringen, was so aussieht, als könne es mit vertretbarem Aufwand funktionsfähig gemacht werden.
Aber auch dafür braucht man an den entscheidenden Stellen Leute, die einen Blick fürs Wesentliche haben. Ich wünschte, wir hätten auch welche.
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Apropos Blick fürs Wesentliche. Eigentlich hatte ich ja angenommen, ich müsse nur bis nach dem Geburtstag meiner Mutter durchhalten, und dann würde der Streß von alleine so weit nachlassen, daß ich damit trotz der Zusatzbelastung mit der Chemo gut zurechtkomme. Das Telefondesaster hat mir jetzt aber gezeigt, daß ich vielleicht doch mehr Spielräume für diese Art von "unknown unknowns" benötige, von denen ich weder weiß, was sie mit sich bringen noch wann sie mich mit welcher Härte treffen werden. Deshalb habe ich mir erstens vorgenommen, vor Weihnachten in etwas stärkerem Maße auf meine geschäftlichen Vertreterinnen zurückzugreifen, als ich das bislang vorhatte. Und zweitens will ich die gewonnene Zeit - soweit sie nicht durch Notfälle obiger Art blockiert wird - dazu nutzen, eine Reihe un- bzw. halb erledigter Dinge endlich fertigzustellen, die sich im Laufe des Jahres bei mir angestaut haben, und mich außerdem von einem Teil dieser Projekte nach dem Prinzip "Fort mit Schaden" ganz zu trennen, weil ich sie nicht unbedingt beenden muß und ich mir von ihnen den Kopf nicht mehr blockieren lassen möchte.
Da mein Leben nun einmal, aktueller Stand, eine Art verstaubte Rumpelkammer voller Zeugs ist, von dem ich irgendwann einmal glaubte, es mal brauchen zu können, sollte ich den Raum wenigstens mal in einen begehbaren Zustand bringen.
Was ich außerdem gestern begonnen habe - mehr aus Verlegenheit, weil ich meinem Mann, als der mit meinem Telefon rang, nicht unnötig im Weg herumstehen wollte -, ist das ebenfalls längst wieder mal fällig gewordene Aussortieren meiner Bücher, denn mittlerweile habe ich schon wieder stapelweise Bücher, die ich in den Regalen gar nicht mehr unterbringen kann. Ich muß aber echt nicht jeden Roman, der mir mal gefallen hat, für den Rest meines Lebens aufheben. Also sichtete ich kritisch nach dem Kriterium "Wie wahrscheinlich ist es, daß ich speziell dieses Buch noch einmal lesen möchte?", und siehe da, eine ganze Menge Bücher, sogar unter den Sachbüchern, fallen auf diese Weise sofort durch den Rost - auch wenn ich alle Zweifelsfälle doch erst einmal weiter aufheben werde. In den nächsten Wochen werden die Nachbarn häufiger Kisten mit zu verschenkenden Büchern bei mir vor dem Haus vorfinden.
Daneben habe ich mir vorgenommen, die ersten beiden Wochen der zweiten Chemotherapiephase ganz freizunehmen. Dadurch sollte ich für die Wochen 3 bis 12 dann gut einschätzen können, ob und wenn ja wieviel geschäftlichen Zeitaufwand ich mir vom Hals halten sollte, um nicht über Gebühr gestreßt zu werden.
Und außerdem habe ich mich heute dazu entschlossen, den Arztwechsel, den ich eigentlich am Dienstag in die Wege leiten wollte, um ein paar Tage auf den Tag nach meinem Vortrag zu verschieben. Zu diesem wichtigen Termin kann ich echt keine Kopfblockaden gebrauchen. Wer weiß aber, was sich aus meinem Ansinnen ärztlicherseits dann wieder für unerwartete neue Komplikationen entwickeln und ob ich dann wieder im Viereck herumspringen werde vor lauter Wut. Bei meiner Art von Glück sehe ich es freilich kommen, daß trotz dieser klugen Überlegungen wahrscheinlich just am Dienstag mein Doc selbst mit mir sprechen wollen wird. Zeit wäre es ja eigentlich langsam mal wieder. Ich habe ihn echt nicht die Bohne vermißt, aber irgendwie finde ich es doch irritierend, daß ausgerechnet bei einer Krebserkrankung der behandelnde Arzt einen nach den ersten beiden Gesprächen volle fünf Wochen lang überhaupt nicht sehen wollte.
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