Mittwoch, 9. März 2022

Dusel, Können und den richtigen Großvater: Was man alles braucht, um erfolgreich abzunehmen

Mein Gewicht heute früh nach dem Fastentag: 88,4 Kilogramm. Raumtemperatur aktuell: 16,5 Grad Celsius. Aber morgen um 7 Uhr 30 wird es wahr. Dann kommt der Installateur endlich mit meiner neuen Anti-Putin-Spar-Therme. Leider, fürchte ich, zu spät, um die gerade heraufziehende Erkältung noch verhindern zu können. Ich wünschte mir, ich wäre überzeugter davon, daß sie dann wenigstens den Putin stoppt.

An der Erkältung ist meine Wohnungstür auch nicht ganz unschuldig. Gestern nachmittag ist mir nämlich wahrhaftig das Türschloß an meiner Wohnungstür kaputtgegangen. Mein Mann bastelte so lange vergeblich daran herum - während es eisig das Treppenhaus herauf- und unter dem Türspalt durch (Altbaufreuden, Altbauleiden ...) in mein Arbeitszimmer wehte, mir das Kreuz hinaufkroch und den Temperaturanzeiger, der es dank der Sonneneinstrahlung immerhin auf fast schon frühlingshafte 19,6 Grad geschafft hatte, Zehntelgrad um Zehntelgrad wieder herunterdrückte -, bis mir der Geduldsfaden riß und ich mich auf den Weg zum Baumarkt machte, um ein neues Schloß zu kaufen, und da ich schon einmal dort war, auch noch ein Paket Blumenerde mitzunehmen. 

Den Rückweg hätte ich gerne im Bus angetreten, weil letzteres Paket so schwer war. Dummerweise war gestern aber justament auf der Straße, wo mein Bus mich hätte mitnehmen sollen, eine Frauentags-Demonstration, die sich schier endlos hinzog, und das zwang mich, den Rückweg zu Fuß zu gehen. Die ganzen zwanzig Minuten lang verfluchte ich - meistens innerlich, aber ein paarmal auch lautstark - den Feminismus an und für sich, diese idiotische Einrichtung des Frauentags und die schier unübersehbare Menge Demonstrantinnen. Vor allem dann, wenn dieses weibliche Wesen mit dem Megaphon und der quietschigen Girlie-Stimme ihre Parolen schrie. Ich bin auch eine Frau, und ich arbeite hart, verdammt nochmal, haderte ich mit meinem Schicksal. Und dauernd muß ich mit der Tücke irgendwelcher Objekte kämpfen, von der Therme bis zum Türschloß. Womit zum Teufel habe ich es verdient, wegen dieser Tussen mit ihren Luxusproblemen schwer bepackt einen so weiten Weg latschen zu müssen?

Aber andererseits weiß ich natürlich, daß das a) ungerecht und b) mein Problem ja auch ein Luxusproblem ist. Ich kann es halt nicht ändern, daß mich die Rumsfeldschen "unknown unknowns", wenn sie mir zustoßen, fast immer fürchterlich aus der Fassung bringen. Als ich daheim war, hatte ich mich wieder abgeregt. Vielleicht hatte ja die Bewegung an der frischen Luft dazu beigetragen.

Mittlerweile ist nicht nur meine Wohnungstür mit dem neuen Schloß versehen und funktioniert wieder, sondern ich habe die Lektüre des Buchs von Bertram Eisenhauer (Titel: Weil ich ein Dicker bin) abgeschlossen und bin wegen der versprochenen Rezension etwas in Verlegenheit, weil dieser Mann eigentlich einen viel zu netten Eindruck macht, um die wenig schmeichelhaften Dinge zu schreiben, die sich mir spontan aufgedrängt hatten. Mir war das nämlich viel zu viel öffentliche Selbstgeißelung für etwas, das ich ganz anders deute als der Autor selbst. Er sieht sich selbst - und bekommt das auch von seiner Umgebung als gut und lobenswert zurückgespiegelt - als reflektiert, seiner Eigenverantwortung bewußt, aber eben "auch nur ein Mensch", der der Aufgabe, die er sich mit guten Gründen gestellt hat, nicht wirklich gewachsen fühlt: Sein Startgewicht von 185 Kilogramm innerhalb eines Jahres mit professioneller Hilfe eines Adipositas-Zentrums so weit wie möglich zu reduzieren. 

Es steht außer Frage, daß Eisenhauer gut daran tut, abnehmen zu wollen. Mit seinem Ausgangsgewicht von 185 Kilogramm und einem BMI von deutlich über 50 geht es nicht mehr um kosmetische Maßnahmen, sondern um die spätestens mit Erreichen von BMI 50 zunehmende Unmöglichkeit, einen normalen Alltag zu führen. Davon kann ich ja selbst ganze Opern grölen.

Mir kam im Laufe der Lektüre, wenn sie den Verlauf der Therapiemaßnahme in einem Adipositaszentrum betraf, immer wieder der "Cargo Cult" in den Sinn. Irgendwo in diesem Blog, das bilde ich mir jedenfalls ein, habe ich den Cargo Cult beiläufig schon erwähnt. Das erste Mal gehört davon habe ich von meinem Mann, und der wiederum hatte bei Richard Feynman davon gelesen. Ich wollte es diesmal ordentlich machen und habe mal nach einer Quelle speziell der Variante Feynman gesucht und sie auch gefunden.

Auf den Samoainseln haben die Einheimischen nicht begriffen, was es mit den Flugzeugen auf sich hat, die während des Krieges landeten und ihnen alle möglichen herrlichen Dinge brachten. Und jetzt huldigen sie einem Flugzeugkult. Sie legen künstliche Landebahnen an, neben denen sie Feuer entzünden, um die Signallichter nachzuahmen. Und in einer Holzhütte hockt so ein armer Eingeborener mit hölzernen Kopfhörern, aus denen Bambusstäbe ragen, die Antennen darstellen sollen, und dreht den Kopf hin und her. Auch Radartürme aus Holz haben sie und alles mögliche andere und hoffen, so die Flugzeuge anzulocken, die ihnen die schönen Dinge bringen. Sie machen alles richtig. Der Form nach einwandfrei. Alles sieht genau so aus wie damals. Aber es haut nicht hin. Nicht ein Flugzeug landet.“
– Richard Feynman: Cargo Cult Science. Eröffnungsrede des California Institute of Technology zum Semesterbeginn 1974.

Eigentlich haben die Eingeborenen alles nach bestem Wissen richtig gemacht, sie haben genau beobachtet, was geschehen war, und versuchten es nun zu replizieren, ohne dabei die Gründe dafür, warum die Flugzeuge landeten, durchschaut zu haben. Und wer weiß, manchmal passiert ja vielleicht wirklich etwas während dieser Zeremonien, das Teilen des Erhofften zumindest ein wenig ähnelt. Vielleicht fällt ja ab und zu eine Kokosnuß auf die Landebahn oder so. Ähnlich genug, um nicht einsehen zu wollen, wie sinnlos das ist, was man macht.

So etwas ähnliches ist es, was Bertram Eisenhauer zusammen mit einer ganzen Gruppe von Abnehmwilligen in dem Adipositaszentrum ihres Vertrauens ein Jahr lang geboten wurde: Die Suche nach der psychischen Ursache für ihren ständigen Drang zu essen und damit auch für ihr Übergewicht. 

Ich glaube aber nicht daran, daß sich in der Psyche das zu lösende Problem verbirgt. Die angeknackste Psyche - die viele Übergewichtige natürlich haben - ist ein sekundäres Symptom: eine Folge des Übergewichts und des gesellschaftlichen Drucks, schlank zu sein. Der nahezu unvermeidlichen Versagenserlebnisse bei den Bemühungen, die Norm zu erfüllen, von der man glaubt, sie wäre, wenn man nur "normal" funktionieren würde, ganz leicht erfüllbar. Und des Gefühls, nicht steuerbaren Kräften hilflos ausgeliefert zu sein, etwa einem Hungergefühl, das von den körperlichen Bedürfnissen losgelöst zu sein scheint.

Der ständige Hunger und das daraus folgende ständige Essen sind aber ebenfalls nicht die Ursache des Übergewichts, wie das fast jeder meint, sondern eine Folge zu häufiger Diäten. Ich bin mit Diäten sparsamer als die meisten umgegangen, deshalb blieb mir dieses Phänomen erspart. Ich hatte beides nicht, weder einen Psychoknacks (jedenfalls keinen, der speziell mit meiner Figur zu tun hatte), noch Heißhungeranfälle. Ich glaube, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie nachts zum Kühlschrank geschlichen, zumindest erinnere ich mich nicht daran, daß das jemals in unbekifftem Zustand der Fall gewesen wäre, und meinen letzten Zug an einem Joint habe ich vor mehr als dreißig Jahren getan, also kann das als verjährt gelten. 

Dennoch wurde ich immer fetter. Genau wie Eisenhauer und seine Mitpatienten, ohne anscheinend irgendetwas Wirksames dagegen tun zu können. 

Freßattacken sind also keine Voraussetzung dafür, um extremes Übergewicht zu entwickeln. Sie sind aber auch nicht einmal eine notwendige Folge davon. In gewisser Weise sind sie unabhängig von der Gewichtsentwicklung. Ob sie auch von der Psyche unabhängig sind, kann ich nicht beweisen. Aber dafür spricht jedenfalls, daß in der Low-Carb-Twitter-Blase eine ganze Menge ehemalige extrem Übergewichtige sind, die von diesen Freßattacken geplagt wurden und seit ihrer Ernährungsumstellung davon frei sind. Ganz ohne psychologische Unterstützung, nur durch eine Ernährungsweise, die es ihnen gestattet, während den Mahlzeiten so lange zu essen, bis sie satt sind. 

Wie gut Low Carb speziell dafür geeignet ist, satt zu werden, beweist mir in den letzten zwei Wochen jede einzelne Mahlzeit. Es ist ein schieres Ding der Unmöglichkeit, mit Low Carb mehr als zwei Bissen über das erste Sättigungsgefühl hinaus weiterzuessen.

Zum Abschluß seiner Therapie interviewte Eisenhauer auch die Psychologin, die seine Gruppe ein Jahr lang betreut hatte, die Frau, die ihnen dabei helfen sollte, ihre eigene Eß-Vorgeschichte zu reflektieren und die Faktoren herauszufinden, warum sie beim Essen falsch funktionierten. Eine Menge dieser Geschichten erinnerten mich an mich selbst oder Freunde von mir, und das ist natürlich kein Wunder, denn Eisenhauer ist Jahrgang 1964 und gehört damit meiner Generation an. Würde man Normalgewichtige unserer Generation nach solchen Dingen befragen, kämen genau dieselben Erfahrungen und Erlebnisse dabei heraus. Nur, die Normalgewichtigen fragt man nicht. Eine Macke, die mit ihren Kindheitserlebnissen am Eßtisch zu tun hat, wird ihnen nicht unterstellt. Normalgewichtige, deren Eßverhalten unnormal ist - die gibt es ja auch - haben nur das Glück, daß man es ihnen nicht ansieht, falls sie beispielsweise nur deshalb normalgewichtig sind, weil sie sich ernähren wie Otto Normalverbraucher anno 1946 nach den damals vorgesehenen Lebensmittelzuteilungen. Solche Leute gibt es ja auch. 

Normalgewichtige verhalten sich beim Essen zum großen Teil nicht anders als Dicke, sie sehen nur unauffälliger aus. Umgekehrt bin ich bis heute der Meinung, daß ich auch in meinen dicksten Zeiten nicht ungesund gegessen habe. Nur half mir das nichts. Weil ich aussah, als täte ich das Gegenteil, habe ich damals auch kein Wort darüber verloren, denn mir war ja klar, daß mir das kein Mensch geglaubt hätte. Geholfen hat mir dabei, daß ich nie Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen versucht habe, was ich rückblickend auch in jeder anderen Hinsicht für einen echten Glücksfall halte.

Ich kann mir alleine deshalb nicht vorstellen, daß ich mich jemals auf die Suche nach psychischen Faktoren eingelassen hätte, weil das, was mir passierte, sich als so unabhängig von meinem Eßverhalten gezeigt hatte, daß es mir irrational vorgekommen wäre, nach einer psychologischen Erklärung dafür zu suchen. Mit solchen Therapien wird der Gaul von hinten aufgezäumt: Man hat eine Wirkung und sucht nach der Ursache, und weil die Wirkung ja unbestreitbar besteht, findet sich dann auch immer irgendetwas, das daran schuld sein könnte, sofern eine andere, physische Ursache nicht erkennbar ist. Entweder die Eltern haben einen zum Essen gezwungen oder zu Diäten genötigt. Entweder sie waren zu restriktiv oder zu großzügig mit Süßigkeiten. Irgendwas findet sich da natürlich immer. Auch bei mir könnte man solche Dinge finden. Aber keine davon hat meines Erachtens dieselbe Bedeutung wie die ganz simple Feststellung: Ich bin meinem Vater und - wie er - meiner Großmutter väterlicherseits wie aus dem Gesicht geschnitten. Daß ich außerdem auch noch ihre Figur habe, kann man mit einigen gewagten argumentativen Pirouetten zwar notfalls auch noch psychologisch erklären. Logischer erscheint es mir aber, von einer genetischen Ähnlichkeit auszugehen. 

(Jenseits der Äußerlichkeiten habe ich aber viel mehr von meinem (schlanken) Großvater als von meiner übergewichtigen Großmutter, von der starken Kurzsichtigkeit bis zu den Wutanfällen. Die Art, wie ich denke, wie ich Probleme analysiere und die daraus abgeleiteten Erfordernisse priorisiere, hat ebenfalls eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit mit seiner Herangehensweise an Alltagserfordernisse, auch wenn die jeweils zugrundeliegende Wissens- und Erfahrungsbasis natürlich sehr unterschiedlich ausfallen.)

Gegen die Gene hilft Psychotherapie natürlich gar nichts. Umgekehrt gilt: Wäre die Psyche ein bedeutenderer Faktor als die Gene, sollte eine Behandlung, die darauf fokussiert ist, Erfolge nachweisen können. Eisenhauer fragte seine Therapeutin, wieviele ihrer Patienten sie in ihren zehn Jahren in ihrer Tätigkeit aus der Adipositas hatte herausführen können. Ihre Antwort: "Es ist schlimm, ich wage es kaum zu sagen: Ich brauche keine zwei Hände, um die Fälle abzuzählen." Mit anderen Worten: Ihre Erfolgsquote entspricht den üblichen fünf Prozent, die bei allen Studien, die längere Zeiträume umfassen, hartnäckig bei jeder Herangehensweise herauskommen. Ich nehme an, die der Eingeborenen, die dem Cargo Cult anhängen, fällt so ähnlich aus. 

Warum weder die Therapeutin noch Eisenhauer oder irgendeiner seiner Mitpatienten - allesamt ja der Darstellung nach intelligente, gebildete Leute - ernsthafte Zweifel daran entwickelt haben, daß Adipositias ein Problem ist, das mit psychotherapeutischen Mitteln gelöst werden kann, ist mir noch viel unbegreiflicher als die Beharrlichkeit, mit der die Südseeinsulaner die Flugzeuge wieder herbeizubeschwören versuchen. Das kommt mir vor wie bei Stubenfliegen, die immer wieder an derselben Fensterscheibe abprallen, durch die sie schon so oft vergeblich durchzufliegen versucht haben.

Mich wundert das auch deshalb, weil ich mit genau derselben Selbstverständlichkeit Dinge, die nicht funktionierten, auch beim Abnehmen nur ganz selten noch ein zweites Mal versucht, sondern dann nach anderen, besser funktionierenden Lösungen gesucht habe (mein immerwährender Dank sei meinem Großvater gewiß, der in meinen Genen weiterhin sein Unwesen treibt und mein Mindset mitgeformt zu haben scheint). So mache ich das ja schließlich auch in anderen Fragen. Wie ich im einzelnen dabei vorgegangen bin, breite ich jetzt nicht noch einmal lang und breit aus, in diesem Blog habe ich es ja schon ein paarmal recht ausführlich beschrieben. 

Ich kann es dabei nicht wegdiskutieren: Mit allen nach diesem Prinzip ausgeknobelten Herangehensweisen bin ich ebenso gescheitert wie mit den klassischen Diäten. Aber nur von der ersten bis zur vorletzten. Die letzte, und zugegeben: Da war ich wirklich schon am Verzweifeln und mein BMI war mittlerweile bei 51,5 angelangt, war dann Intervallfasten, und der Rest ist sozusagen Geschichte. 

Deshalb bin ich der Meinung, weder die Gene noch der Charakter oder die Psyche sind es, worauf es ankommt. Was man herausfinden muß, ist die richtige Methode. Erkennbar daran, daß man mit ihr a) abnimmt und b) nach der Abnahme sein Gewicht hält. Alle Methoden, mit denen diese Bedingungen im jeweiligen Einzelfall nicht erfüllt werden, sind (mindestens in dem betreffenden Einzelfall) falsch.

Eisenhauers Buch über seine Erfahrung - zuvor als FAS-Kolumnen publiziert - erschien Anfang 2016 und schaffte es immerhin mindestens auf zwei Auflagen, denn mein Exemplar entstammt der zweiten Auflage. Zu jener Zeit hatte ich das Intervallfasten noch nicht entdeckt. Wieviel ich damals wog, weiß ich nicht, denn zur Anschaffung einer Waage überwand ich mich erst Anfang Januar 2017. Aber im August 2015 hatte ich bei einem Arztbesuch 125 Kilogramm gewogen. Im Januar 2017 waren es 137. Im März 2017 147. Meine regelmäßige Zunahme zuvor war vor 2007 bei durchschnittlich einem Kilogramm pro Jahr gelegen und seit ich mich bemühte, abzunehmen, auf zwei Kilogramm angestiegen. Wer die Grundrechenarten beherrscht, kann leicht erkennen, daß die Entwicklung nach August 2015 ab einem bestimmten Punkt aus einer linearen zu einer exponentiellen Zunahme wurde. Wann das eingesetzt hat, weiß ich nicht, aber ich tippe auf Oktober 2016. (Wer hier regelmäßig mitliest, kann sich denken, wie ich darauf komme.)

Was mich gerettet hat, war eine Mischung aus Sturheit, Dusel und Können. Dusel war es, daß ich das Intervallfasten überhaupt entdeckt habe, noch dazu im richtigen Moment, als ich noch einmal ratlos das Internet nach möglichen Methoden durchforstete, Dusel war es außerdem, daß ich mich so dafür geschämt habe, schon wieder einen wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten Abnahmeversuch zu starten, daß ich mich für eine geradezu lächerliche Schmalspurmethode entschieden habe, die sich außerhalb des Blickfelds Dritter umsetzen ließ, nur um niemandem Fragen beantworten zu müssen, die ich nicht beantworten wollte. Können war es aber, als ich nach einem halben Jahr stutzig wurde und mich fragte, wie das eigentlich sein konnte, mit so wenig Einsatz in sechs Monaten 20 Kilo Gewicht zu verlieren, und nach Anwendung der Grundrechenarten feststellte: Das KANN rein rechnerisch gar nicht passiert sein, was ist da eigentlich los? 

Bertram Eisenhauer, fürchte ich, hätte gar keine Chance auf eine solche Entdeckung gehabt. Er ist viel zu vernünftig, um einer solchen Unmasse an Gewicht, wie er und ich es loswerden wollten, mit einem Instrument zu Leibe rücken zu wollen, bei dem man meinen könnte, man wolle mit einem Fingerhut das Meer ausschöpfen. Und er ist viel zu reflektiert, um einem Drang, sich zu verstecken, nachzugeben. Sein Buch macht auf mich den Eindruck, als glaube er, er hätte auf Verschämtheit gar kein Recht, und außerdem sei es Ausdruck der falschen Geisteshaltung, von der er glaubt, sie hätte ihn erst in sein ganzes Schlamassel hineingebracht. 

Also hätte er, falls er auch mal mit dem Intervallfasten begonnen hätte, es gleich "richtig" gemacht, auf eine Weise, die möglichst schnelle Ergebnisse bringen soll. Hätte ich die Sache so angefangen, wäre aber auch ich nie im Leben auf die Idee gekommen, daß meine Abnahme auf etwas anderes als ein Kaloriendefizit zurückzuführen war. Nur so, wie ich es gemacht habe, war überhaupt erkennbar, daß da etwas total anders lief, als man es eigentlich hätte erwarten sollen.

Sogar noch mehr Dusel hatte ich, als die Abnahme nach einem halben Jahr ins Stocken kam, weil ich da schon damit angefangen hatte, zu recherchieren und dabei auf Jason Fung gestoßen war. So alt war seine Theorie damals nämlich noch nicht. "The Obesity Code" ist im März 2016 erschienen. Ich fand es bei meiner Recherche im November 2017. Eisenhauer hätte es zum Zeitpunkt seines Abnahmeversuchs also noch nicht finden können. 

Kein Dusel, sondern Können war es aber wieder, daß ich diese Theorie (im Gegensatz zu allen anderen, die ich gesichtet hatte) als diejenige erkannte, die zu meiner Abnahmeerfahrung paßte.

Daß ich entschied, meine bisher angewandte Methode nach dieser Theorie zu optimieren, war dann wieder unwahrscheinlicher Dusel. Hätte ich das nicht gemacht, dann hätte ich wohl nach einiger Zeit mit dem Fasten enttäuscht aufgehört und mir gedacht "Ist halt auch nur so ein Jojo-Vehikel" - so, wie ich das schon bei vielen anderen mitbekommen habe, die mit dem Intervallfasten anfingen. Denn das ist das häßliche kleine Geheimnis aller Abnahmemethoden: Keine von ihnen wirkt ewig. Der Trick, den man kennen muß und der einem von allen Abnehmgurus aller Sparten nie verraten wird: Man muß die Methode variieren, wenn es um mehr als zehn, zwanzig Kilo geht. Anders kommt man auf keinen grünen Zweig.

So habe ich dank viel Dusel eigentlich viel zu klein angefangen, damit mehr erreicht als viele mit brachialen Methoden, aber seitdem auch immer wieder methodisch variieren und aufstocken können. Ich habe außerdem bis zum Beginn meiner Low-Carb-Experimente nie etwas gemacht, von dem ich mir nicht völlig sicher war, es so lange durchzuhalten, wie es erforderlich sein würde, auch wenn ich darüber achtzig Jahre alt werde, und nun ist mein Gewichtsziel in erreichbarer Nähe. Nächsten Sommer hole ich sie mir, die 73,5 Kilogramm. Vor dem Jojo fürchte ich mich knapp fünf Jahre nach Beginn meines Experiments auch nicht mehr. Müßte ich das, wäre er mir schon längst passiert. 

Es würde mich interessieren, wie Bertram Eisenhauers Geschichte weitergegangen ist, denn sein Buch hatte kein Happy End, sonderen endete mit dem Beginn einer nächsten Schleife desselben Programms, das er gerade fertig durchlaufen hatte, nur wenige Kilo weniger schwer, als er vor der ersten Schleife gewesen war. Die Fotos, die ich im Web von ihm fand, stammen alle aus der Zeit, in der sein Buch erschienen ist, und das ist immerhin schon sechs Jahre her. Ob er sich mittlerweile wie Reiner Calmund zu einer operativen Lösung breitschlagen lassen hat? Der Druck auf Patienten mit BMI >40 muß mittlerweile immens geworden sein, gut also, daß ich gerade von oben auf BMI 30 zusteuere und ihn wahrscheinlich in wenigen Wochen hinter mir lassen werde. Ich wünsche ihm aber, daß er mittlerweile eine bessere Lösung gefunden hat. Oder wenn nicht, daß er sie noch finden wird.

***

Zum Kaffee habe ich heute nussige Rübli-Muffins gebacken, statt Mehl enthielten sie gemahlene Mandeln, aber dazu auch noch gehackte Haselnüsse und die Walnußhälften obendrauf. Ich hab schon getestet: Gut sind sie geworden. 

Und das hier gab es bei mir zum Frühstück: 

Brötchen aus Leinmehl, Flohsamenschalen, Quark, Eiern, einer Körnermischung und geriebenem Emmentaler. Anstelle von Trockenhefe habe ich für den Geschmack diesmal Marmite genommen, und das funktioniert auch. Fürs Aufgehen ist ja sowieso das Backpulver zuständig. Das Marmite hat mein Mann gekauft und ich suchte nach Verwendungsmöglichkeiten, weil mir das Zeug als Brotaufstrich nicht schmeckt. Ich glaube, jetzt habe ich sie gefunden.



 





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