Freitag, 26. November 2021

Was Adipositas mit dem Neoliberalismus zu tun hat

Mein Gewicht heute früh nach vier Fastentagen: 86,5 Kilogramm. Damit kann ich nach dem letzten langen Fastenintervall während der Low-Carb-Phase zufrieden sein. Es war ja auch ein bißchen vermessen, darauf zu spekulieren, daß der dramatische Gewichtssturz bis zum 1.12. ungebremst weitergehen würde, also bin ich mit diesem neuen Tiefstgewicht von minus 400 Gramm zufrieden und schon jetzt gespannt, ob sich das Auslaufen des Low-Carb-Experiments beim nächsten langen Fastenintervall schon irgendwie bemerkbar machen wird. Gut möglich ist es nämlich, daß es nach vier Fastentagen dann kein neues Tiefstgewicht mehr geben wird. Aber da ich nächstes Mal fünf Tage lang fasten werde, sollte am Ende eigentlich trotzdem noch ein neuer Tiefstwert für mich herausspringen. 

Danach kommen erst einmal fünf lange Wochen, in denen ich keine langen Fastenintervalle haben werde - aber: Am vierten Januar (ein Dienstag) starte ich mit dem EMS-Training, das ich von da an acht Wochen lang jeweils einmal die Woche machen werde, und ich bin schon sehr gespannt, ob dieses Experiment dann auch zu einer nicht jahreszeitgemäßen Abnahme führen wird.

Bei dem aktuellen Fastenintervall fiel mir auf, daß ich drei Fastentage lang relativ wenige körperliche Veränderungen gespürt habe. Aber dafür hatte ich nach dem vierten, also heute morgen, als ich aufwachte, das Gefühl, als hätte mein Bauch sich nahezu halbiert. Meine Rippen standen, wenn ich auf dem Rücken lag und sie ertastete, so weit heraus, daß man sich an ihnen blaue Flecken hätte holen können. Bei einem spontanen Vermessen später vor dem Anziehen war folgerichtigerweise die Unterbrustweite mehr oder weniger unverändert, das ändert sich wahrscheinlich aber, wenn die Rippen wieder auf meinen Innereien ordentlich aufliegen, was sie nämlich nicht tun, wenn sie sich so deutlich und dermaßen spitz ertasten lassen. Das fühlt sich dann ein oder zwei Tage lang merkwürdig an, bis es sich wieder an den Inhalt angepaßt hat. Brustumfang und Hüfte sind mit 105 bzw. 106 cm im Vergleich zum letzten Mal ein wenig geringer geworden. Enorm geschrumpft ist im Vergleich zu meiner letzten Vermessung Mitte September aber mein Bauch: von 100 auf 95. Wow. Beim nächsten langen Fastenintervall dürfen es sehr gerne noch einmal ein oder zwei Zentimeter weniger werden.

Nächsten Mittwoch ist der 1. Dezember und der erste Tag, an dem ich wieder "normal" essen werde. Ich werde mich bemühen, dann auch relativ zeitnahe eine Bilanz meines Experiments zu publizieren. Aber vielleicht warte ich dafür auch noch das "Vorher"-Gewicht meines nächsten langen Fastenintervalls ab, also den Montag, 6.12., denn das ist letztlich ja auch noch ein Ergebnis des gerade abgeschlossenen Fastenintervalls. Und natürlich vermesse ich mich dann auch noch ein weiteres Mal, denn direkt nach dem langen Fastenintervall ist es eigentlich noch viel zu früh für einen realistischen neuen Wert, speziell was die Unterbrustweite und die Brustweite betrifft.

Neulich habe ich mich dazu hinreißen lassen, bei eBay ein figurbetontes Gerry-Weber-Kleid zu kaufen, und zwar in Größe 46, weil Gerry Weber immer deutlich kleiner ausfällt und die angegebenen Maße passend waren. Anlaß war dieses Firmenjubliäum, zu dem ich eingeladen war. Die Feier wurde dann leider coronabedingt auf das nächste Frühjahr verschoben. Mittlerweile ist das Kleid mir aber schon ein wenig zu groß, also habe ich es jetzt eine Nummer kleiner noch einmal erworben, denn daß ich die 46 nächstes Frühjahr nicht mehr tragen kann, ist jetzt schon sicher. 

Neues aus der Wissenschaft: Kevin Hall

Bei Twitter fand ich auch wieder einmal Neuigkeiten: Der Autor der "Biggest Loser"-Studie, Kevin Hall, hat eine Teilrevision seiner damaligen Schlußfolgerungen aus den Ergebnissen seiner Studie vorgenommen und darüber nicht nur in derselben Fachzeitschrift publiziert, sondern dankenswerterweise - da seine Publikation sich hinter einer Paywall befindet - eine ganze Serie von erklärenden Tweets publiziert, nachdem er seine damaligen Ergebnisse unter dem Licht der Erkenntnisse von Herman Pontzer noch einmal betrachtet hat. Dabei stellte er nämlich nicht nur fest, daß die Teilnehmer mit dem niedrigsten Energie-Grundumsatz diejenigen waren, die auch sechs Jahre nach der Reality-TV-Show den meisten Sport trieben, sondern ebenso, daß sie dennoch weniger stark zugenommen hatten als ihre weniger aktiven Mitstreiter.

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Das liest sich erst einmal sehr wissenschaftlich wertneutral, enthält aber einen Subtext, den ich bedenklich finde: Hall suggeriert damit, wer viel Gewicht verlieren und möglichst wenig wieder zunehmen möchte, der tue gut daran, im Anschluß an seine Abnahme möglichst viel Sport zu treiben. Das wäre eine gewagte Interpretation. Was Hall nämlich nicht erwähnt, ist, daß auch diese besonders aktiven Sportler fast alle verdammt viel zugenommen haben. Siehe Grafik oben - mit nur zwei Ausnahmen dürften das durchweg mindestens 25 Kilogramm sein, und ungefähr die Hälfte hat sogar mehr als 50 Kilogramm zugenommen -, sowie außerdem noch einmal hier: 

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Tatsächlich gab es nur eine einzige Teilnehmerin, die freilich in einigen Punkten aus dem Rahmen fiel (Näheres zu ihr hier und hier), bei der nach sechs Jahren keine Zunahme zustande gekommen war. Sie fällt noch mehr aus dem Rahmen, weil sie sogar weiter abgenommen hat. Zunächst hatte sie (siehe Grafik oben, linkes Bild, der einzige Pfeil, bei dem es nach unten statt nach oben geht), aber offenbar am wenigsten von allen abgenommen. - Da könnte man fast vermuten, daß sie es schlauer als die anderen angefangen hatte, indem sie langsamer abgenommen hat. 

Es gibt ja auch tatsächlich Leute, wenn sie auch eine winzige Minderheit unter den Abnehmenden darstellen, die mit einer gemächlichen kalorienbasierten Herangehensweise tatsächlich erfolgreich beim Abnehmen und Gewichthalten sind. Dummerweise läßt sich das aber nicht verallgemeinern. Bei mir sind jedenfalls alle auf demselben Prinzip beruhenden Versuche kläglich gescheitert, und damit scheine ich auch keine Ausnahme zu sein. Und außerdem erfordert das Gewichthalten in diesem Fall mit ganz wenigen Ausnahmen, sich für den Rest seines Lebens ständig mit seinem Gewicht zu befassen, und bei nicht ganz wenigen unter den auf diese Weise Erfolgreichen funktioniert das zwar wirklich über Jahre hinweg, aber dennoch nicht dauerhaft, falls die Konzentrationsleistung und die Disziplinierung sich in bestimmten Lebenssituationen nicht durchhalten lassen.

Alle anderen Teilnehmer, wie gesagt, hatten mit Zunahmen im mindestens kleinen, überwiegend aber großen zweistelligen Kilobereich hohe, überwiegend sogar sehr hohe Wiederzunahmen zu verzeichnen. Das ist ein deprimierendes Ergebnis. Noch deprimierender finde ich das Wissen, daß sich nach wie vor Leute finden, die sich vor laufender Kamera für "Biggest Loser" entwürdigen zu lassen bereit sind in der Hoffnung, danach schlank zu bleiben - eine Hoffnung, die sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen wird. Vollends an der Menschheit verzweifeln könnte man darüber, daß diese abstoßende Art von Fernsehunterhaltung ein so großes Publikum hat, daß sich ihre Produktion nach wie vor rechnet. Wie weit sind wir damit eigentlich noch von der "Unterhaltungsindustrie" der alten Römer entfernt? Christen und Löwen und so ...

Halls Neubewertung seiner zehn Jahre alten Studie ist tatsächlich wichtig, zumal als eines von neuerdings immer mehr aufpoppenden Indizien dafür, daß Herman Pontzer tatsächlich goldrichtig liegt, was die metabolische Wirkung von Sport betrifft. Sie gehört aber meiner Meinung nach unbedingt in den richtigen Kontext gestellt, denn auch wenn man annimmt, daß seine Bewertung korrekt ist, erklärt sie ja offenbar nur einen Teil der Wirkung, und zwar sowohl auf den Grundumsatz als auch auf die Wiederzunahmen. Was mir insbesondere auch ein dringendes persönliches Anliegen wäre: Daß jetzt nicht die relativ am wenigsten schlimm vom Jojo Gebeutelten wieder einmal zum Maßstab für einen angeblichen Erfolg erklärt werden, wie das ja schon bei der unsäglichen National Weight Control Registry gemacht wurde und wird. Denn auch die Sporttreibenden waren ja in Wirklichkeit nicht erfolgreich, wenn man die nicht ganz unrealistische Annahme zugrunde legt, daß sie ihr nach der TV-Show erreichtes Gewicht eigentlich dauerhaft halten wollten.

Erfolgreich war also eine von 16 - und nach eigenem Bekunden ist es für sie ein täglicher Kampf, ihr in den Jahren nach der Show aus eigener Kraft erreichtes Gewicht zu halten. Mit diesen Zahlen sind wir  schon ziemlich nahe dran an dem sprichwörtlichen "95 % aller Diäten scheitern", das so viele Abnehmende - vor allem, wenn sie Nadja Hermann gelesen haben - nicht wahrhaben wollen. 

Handlungsempfehlungen, die man aus Halls neuen Erkenntnissen für Abnehmende ableitet - was ganz bestimmt geschehen wird -, sollten diesen Faktor also keinesfalls verschweigen. Das gilt nicht nur deshalb, weil diese ja doch eher klägliche Notlösung denen, die sie anwenden, ja eine lebenslange Disziplinierung im Sport abverlangt, und weil sich das umgehend durch Gewichtszunahme rächen wird, sobald sie in ihrem Eifer für mehr als wenige Tage nachlassen, egal ob nun aus "Faulheit" oder nach einem Beinbruch. Es gilt aber auch deshalb, weil es bislang noch keine ausreichende Antwort auf die Frage gibt, welche Funktionen des Grundumsatzes in solchen Fällen eigentlich heruntergefahren werden und welche gesundheitlichen Nebenwirkungen dadurch zu erwarten sind.

Der Grundumsatz lag außerdem aber auch bei den Nichtsportlern nach sechs Jahren immer noch deutlich unter dem zu Beginn der TV-Show, das heißt Pontzers Erkenntnisse erklären sowieso nur einen Teil des von Hall entdeckten Phänomens.

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Aus diesen Daten läßt sich außerdem als Vermutung ableiten, daß die Sportler sich wahrscheinlich auch beim Essen stärker als ihre weniger sportlichen Mitstreiter diszipliniert haben, da sie ja trotz ihres stärker gesunkenen Grundumsatzes weniger stark zugenommen hatten. Interessant an der Grafik oben finde ich auch, daß der Grundumsatz bei einem Teil der Teilnehmer weiter gesunken, bei anderen aber wieder gestiegen ist. Wie erklärt sich das wohl? Wüßte man Näheres dazu, könnte das sicherlich wichtige Aufschlüsse geben, aber natürlich ist es unmöglich, es im Nachhinein noch herauszufinden. Schade.

Hall schreibt in einem seiner Tweets, die Teilnehmer seien im Durchschnitt auch nach sechs Jahren immer noch um ca. 80 Prozent aktiver gewesen als vor Beginn der TV-Show. Dazu fand ich in der Originalstudie leider nichts, aber es wird sich wohl aus seinem Datenmaterial so ergeben haben - und es wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf den üblichen Vorwurf, wenn jemand nach einer Abnahme wieder zugenommen hat: Diese Leute waren offenbar mehrheitlich erheblich disziplinierter jedenfalls im Bereich Bewegung, als es das übliche Vorurteil so gerne annimmt. (Und warum sollte man ihnen dann eigentlich ungeprüft unterstellen dürfen, sie hätten aus reiner Verfressenheit wieder so stark zugenommen?)

Es bleibt festzuhalten: Auch den Disziplinierten hat der Sport nicht dabei geholfen, ihr Gewicht dauerhaft zu halten, das sie direkt nach dem Ende der TV-Show hatten. Daß die Entwicklung bei ihnen tatsächlich weniger ungünstig ausgefallen ist als bei den weniger Disziplinierten, ist auch deshalb nur ein schwacher Trost, weil sie, um wenigstens dieses enttäuschende Ergebnis halten zu können, anstatt wieder bei Ihrem Ausgangsgewicht - oder Schlimmerem - zu landen, lebenslänglich einen ständigen Kampf gegen ihren eigenen Körper ausfechten müssen, bei dem sie für jeden Moment der Schwäche umgehend bestraft werden. 

Neoliberale Dogmatik: Das Leben als immerwährendes Hamsterrad

Lebenslänglich jeden Tag kämpfen müssen? Das erinnert mich an das neoliberale Weltbild, in dem genau dies implizit für jeden von uns vorgesehen ist. Adipositas und sowohl deren Prävention als auch Therapieansätze (ganz zu schweigen von Reality-Shows im Fernsehen) lassen sich, näher betrachtet, in gewisser Weise als Sinnbild für all das lesen, was mit der neoliberalen Ideologie auch in sämtlichen anderen Bereichen, auf die sie angewandt wird, nicht in Ordnung ist. 

Kämpfen können, wenn man einmal kämpfen muß, ist natürlich gut. Und um das gelernt zu haben, ist es zweifellos ein schützender Faktor, wenn man in seinem Leben auch schon in die eine oder andere Zwickmühle geraten war und sich aus ihr wieder herausgekämpft hat. Ich muß in diesem Zusammenhang gestehen, daß ich mit dem Anspruch, diese oder jene Minderheit möglichst dick in Watte einzupacken, um sie nicht nur vor echten Gefahren für Leib und Seele, sondern möglichst auch noch vor jedem versehentlichen Rippenstoß zu bewahren, ziemlich fremdle. Aber nicht, weil ich etwas gegen diese Minderheiten habe, sondern weil ich glaube, daß dies ein Danaergeschenk ist, eines, das sie zu anderen Zeiten und an anderen Orten schutzloser macht, und das wünsche ich niemandem, weil ich es mir selbst auch nicht wünschen würde.

Aber in eine Lage gebracht zu werden, in der man ständig kämpfen muß - etwa gegen sein Gewicht -, ist zweifellos schlecht. Es ist demoralisierend und persönlichkeitsdeformierend, sogar dann, wenn man zu der Minderheit gehört, die die Belastung auch langfristig bewältigt. Es ist, nebenbei bemerkt, auch ganz bestimmt nicht körperlich gesund. Genau dieses tägliche Strampeln in einem kafkaesken Hamsterrad wird aber in allen möglichen Lebensbereichen von uns erwartet, im Beruf sowieso, aber ein fast schon wahnwitziges Streben nach Perfektion durchseucht ja mittlerweile unsere gesamte Gesellschaft. Die Forderung, sich ständig selbst zu kasteien, seine Freizeit auch noch nach dem Leistungsprinzip durchzutakten und sich alles, das im Leben Spaß macht, nur in homöopathischer Dosierung zu gönnen, weil mehr als dies ungesund (lies: unmoralisch) sei, ist durch und durch neoliberal. Diese verbotenen Vergnügungen dann durch den Erwerb der neuesten angesagten Konsumgüter zu ersetzen, von denen die meisten ja vor allem deshalb gekauft werden, um mit anderen mithalten zu können, ist umso perverser, als der Spaß an diesen Erwerben viel geringer ist, als man es uns einzureden versucht. 

Daß ein Teil derjenigen, die all diese Vorgaben besonders akribisch befolgen, sich ständig selbst einzureden versuchen, so zu leben mache ihnen wirklich Spaß, macht diese Sache eher noch gruseliger. 

Das sind aber auch die Momente, in denen ich mich besonders privilegiert fühle, weil ich mich dem in viel mehr Lebensbereichen entziehen kann als andere Leute. Im Beruf, weil ich mich als Freiberuflerin bewußt für Aufträge entscheiden oder sie ablehnen kann und die Regeln und Rahmenbedingungen meiner Selbständigkeit alleine bestimmen kann. In der Freizeit, weil ich die überbordende "Zeittotschlag"-Freizeitmaschinerie glücklicherweise nicht benötige, um eine innere Leere zu übertönen, und beim Einkaufen schlage ich auch größtenteils auch andere Wege ein als üblich, Stichwort nicht nur Wochenmarkt, sondern auch Flohmärkte. Dabei zügle ich mich beim Shoppen dann überhaupt nicht und schleppe den unglaublichsten Kram nach Hause, manchmal einfach nur, weil er mich neugierig macht und ich herausfinden will, wozu er gut ist. Und womit ich dann doch nichts anfangen kann, das verkaufe ich entweder im Folgejahr selbst auf dem Flohmarkt oder ich stelle es einfach in einem Karton vors Haus mit einem Schild "Zu verschenken". Das machen mittlerweile so viele Laute, daß unser Wohnviertel eine einzige große Tauschbörse ist, und das gefällt mir. Es steht ja so viel ungenutztes Zeug in unseren Wohnungen herum, warum sollte man es nicht ein bißchen in anderen Wohnungen zirkulieren lassen?

Mein Zielgewicht werde ich natürlich ebenfalls sowohl erreichen als es anschließend auch ohne größere Anstrengung dauerhaft halten können, ohne mich dafür regelmäßig auf Kosten angenehmerer Freizeitnutzungen mit öden Leibesübungen abschinden zu müssen, wie das die neoliberale Dogmatik vorsieht (und leider auch Kevin Hall, den ich ansonsten durchaus schätze, zu glauben scheint). Und dieses Privileg ist meiner Meinung nach sogar das größte von allen, weil ich es einer Verkettung unwahrscheinlicher Glücksfälle verdanke. Mein unabhängiges Denken alleine hätte mir ohne einen Glückstreffer mit dem Intervallfasten nämlich gar nichts geholfen, weil es nach wie vor eine Außenseitermethode ist und die Gründe, warum es oft so gut funktioniert, weder unter den Anwendern noch unter ihren Propagandisten überhaupt nicht verstanden werden. Deshalb war es auch nicht selbstverständlich, daß ich nach dem ersten halben Jahr die Klippe überwinden konnte, an der eine Menge Fastende aufgeben, und der zweite Glücksfall bestand darin, daß ich auf Jason Fung stieß, der aber zu jener Zeit ja erst wenige Jahre in diesem Bereich öffentlich präsent war! Es hilft mir aber natürlich, seit das mit dem Abnehmen nicht mehr von alleine weitergeht. Den Treffer mit dem Low Carb habe ich, glaube ich, dann aber durchaus mir selbst zu verdanken, weil ich nicht aufgehört habe, darüber nachzudenken, auf welche Weise ich meinen Stoffwechsel nun dazu bringen kann, das zu tun, was ich will, anstatt entweder ganz aufzugeben oder eben zähneknirschend doch zum Kalorienzählen überzugehen ... wie das meinem Eindruck nach viele machen, sobald sie an diesem Punkt sind. 

*Echtes* Querdenken für Anfänger

Unabhängiges Denken ist mein nächstes Stichwort. Jetzt begebe ich mich nämlich mal auf eine Metaebene, zu der Frage, was mich eigentlich dazu legitimiert, als - wenn auch gebildeter - Laie mir anzumaßen, über wissenschaftliche Ergebnisse zu urteilen. Mir geht dazu nämlich seit zwei Tagen eine neue Studie der Uni Basel durch den Kopf, die sich mit den "Querdenkern" befaßt hat und dieses Phänomen gedanklich irgendwie zu fassen zu bekommen versucht. Ich las diese Studie aus echtem Interesse, aber mich begann ziemlich schnell die - nirgends ausdrücklich ausgesprochene, aber dennoch wahrnehmbare - Prämisse zu stören, daß es wegen ihres Laienstatus eine Anmaßung dieser Leute sei, über Dinge urteilen zu wollen, von denen sie doch (im Gegensatz zu den Autoren der Studie, die ja auch wissenschaftlich arbeiteten) gar nichts verstünden. 

Das ist natürlich blühender Blödsinn. Wissenschaftler schon aus angrenzenden Bereichen sind in einem Spezialgebiet immer in etwa die gleichen Laien wir wir armen nichtakademischen Sterblichen, also sind es die Autoren der Studie, bei denen es sich um Soziologen, also ein völlig anderes Fachgebiet, handelt, ebenfalls. Bezogen auf das Coronavirus sehe ich mich selbst durchaus auf Augenhöhe mit den Autoren dieser Studie. Letztlich finde ich mich sogar ein wenig besser informiert, weil ich immer bereit bin, Dinge zu hinterfragen, was in dieser Studie eindeutig nicht geschieht. Denn da wird immer ein "Wissenschaft richtig - "Querdenker" falsch" vorausgesetzt. Herausfinden wollten die Autoren nur, was Menschen dazu bringt, so falsch zu urteilen. Die Richtigkeit der Verlautbarungen ihrer Standesgenossen ziehen sie von vornherein gar nicht in Zweifel.

Hätten sie nicht über die "Querdenker" geschrieben, sondern über - sagen wir - "Modediäten", wäre nach dieser Prämisse natürlich ich diejenige, die sich aus ihrer Sicht anmaßend verhält. Es hat mich überhaupt unangenehm berührt, an wie vielen Stellen Argumente und Begründungen, die man in meinem Blog vielfach ebenfalls und manchmal sogar nahezu wortgleich finden kann, als Beweis für den Realitätsverlust der "Querdenker" angeführt werden. Sie hätten mich also wohl auch als eine bekloppte Verschwörungstheoretikerin betrachtet. Was sie aus den Stand heute immerhin 60,5 Kilogramm Gewichtsabnahme mit einer "Modediät"-Methode gemacht hätten, die - noch dazu in meiner persönlichen Modifikation der weitestmöglichen Vermeidung eines Kaloriendefizits - eigentlich gar nicht funktionieren können dürfte, kann ich nur raten. Die wahrscheinlichste Antwort lautet wohl, sie hätten mir vermutlich einfach nicht geglaubt, weil es halt auf Basis der wissenschaftlichen Grundannahmen zum Abnehmen einfach nicht sein kann. 

Zum Glück muß ich der Wissenschaft gar nichts beweisen. Alles, was ich vorhabe, ist, öffentlich zu dokumentieren, was mit mir passiert, während ich auf dem Weg zu meinem Zielgewicht bin. Dieses Blog entspricht in gewisser Weise einer Kiste mit der Aufschrift "Zu verschenken" vor meinem Haus. Jeder, der sich traut, ist herzlich eingeladen, auszuprobieren, was bei ihm selbst passiert, wenn er es ebenfalls auf diese oder eine daran angelehnte, an die persönlichen Präferenzen angepaßte Weise ausprobiert. Und vielleicht erspart mein Blog dem einen oder anderen ein paar frustrierende Irrwege, wenn er nachgelesen hat, wie es mir so ergangen ist. Ich bin kein Weltverbesserer, aber wenn meine Abenteuer auf dem Weg, 73,5 Kilogramm Gewicht zu verlieren, auch nur einem einzigen Menschen dabei helfen sollten, sein eigenes Gewichtsproblem zu lösen, habe ich vermutlich schon mehr für die Menschheit getan als die meisten professionellen Ernährungsberater. Und wer glaubt, daß ich bloß Wahnvorstellungen oder Lügen verbreite, der braucht gar nichts weiter zu tun, als mein Blog wieder zu verlassen.

Ich bin bekanntlich kein sonderlicher Freund der "Querdenker". Trotzdem finde ich die Grundannahmen dieser Studie ein starkes Stück. Das gesamte Gedankengebäude dieser Publikation - das ansonsten weitestgehend in sich stimmig ist - bricht nämlich zusammen, sobald man diese Prämisse in Frage stellt, und ich wurde während des Lesens immer mißgelaunter wegen des Hochmuts und der Selbstgefälligkeit innerhalb der wissenschaftlichen Echokammern. Gleichzeitig ist mir klar, daß ich in den behandelten Fragen zwischen allen Stühlen sitze, weil ich in einer Kürzestfassung ja doch nur sagen könnte, daß beide Seiten, die Sozialwissenschaftler wie die "Querdenker", ungefähr gleich falsch liegen, nur auf unterschiedliche Art.

Die Wissenschaft - ihr System und ihre systembedingten Schwächen und Mängel - ist allerdings meiner Überzeugung nach außerdem Teil des Problems, auch was das Aufkommen der "Querdenker" betrifft. Und ich fürchte, solange sie das nicht begreift, wird sie kein wirklicher Teil der Lösung werden können. Wie ich der Studie entnehme, ist sie leider nach wie vor von diesem Punkt ziemlich weit entfernt.

 

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