Montag, 2. August 2021

Wieviele Kalorien hat ein Liter Benzin?

Mein Gewicht heute früh: 97,3 Kilogramm. Nur noch 300 Gramm beim Vorher-Wert von einer Abnahme von 50 Kilogramm entfernt! So ähnlich hatte ich mir das erhofft - obwohl ich zugeben muß, so ein kleines bißchen habe ich auch von einem Gewicht unter 97 geträumt.

Na, träumen wird man ja auch mal dürfen. ;-) 

Vor meinem letzten langen Fastenintervall habe ich im Juni immer mit einem Wert zwischen 98 und 99 Kilo begonnen (in der Regel näher an der 99), und ich nehme an, zehn Tage nach dem Ende des langen Fastenintervalls zeigt mir die Waage ein halbwegs realistisches Gewicht an, also nehme ich diese 97,3 Kilogramm jetzt mal für bare Münze und freue mich, daß ich mich damit endlich in halbwegs sicherer Entfernung von der 100 befinde. Daß ich in den nächsten Wochen das Risiko eingehe, zuzunehmen, kommt mir doch unwahrscheinlich vor, wenn ich auch andererseits genausowenig mit einer größeren Abnahme rechne. Aber vielleicht reicht es ja doch dafür, um diese 400 Gramm hin oder her nach unten den 97er-Pegel zu unterbieten und das nächste lange Fastenintervall mit einer 96 vorne zu beginnen?

Bekanntlich befinden wir uns ja nicht in "Wünsch dir was!", sondern in "So isses!", also werde ich die Sache eben so nehmen, wie sie sein wird. 

Die Frage der Kalorien beschäftigt mich mal wieder. Auslöser war ein Supplement der Fachzeitschrift "Obesity" über die Physiologie nach einer Gewichtsreduktion anläßlich eines Workshops zu diesem Thema. Einige der Aufsätze habe ich kurz überflogen. Dabei kam mir eine Zeile aus einem Lied der achtziger Jahre in den Sinn: "Der Wissenschaftler rätselt noch und rätselt noch und rätselt noch und bittet um Geduld." Was ich nämlich eigenartig finde, ist, daß bei diesem Workshop niemand auch nur auf die Idee gekommen ist, einmal, und sei es nur als Gedankenspielerei, die Rolle der Kalorien zu hinterfragen, obwohl sie einer Lösung ihres Rätsels auf die herkömmliche Art ja weiß Gott nicht so richtig näher gekommen zu sein scheinen. 

Der Lösungsvorschlag "Weniger essen, mehr bewegen" immerhin ist nunmehr wohl endlich auch in der Fachwelt als untauglich erkannt worden, das entnehme ich dem zusammenfassenden Abstract des erwähnten Supplements von Obesity:

Individuals with overweight or obesity can often alter dietary intake and physical activity to lose a significant fraction of their excess weight but they will usually experience weight regain despite their best efforts. Although weight maintenance interventions can improve success, a recent systematic review of behavior-based interventional weight loss studies indicated that typically about half of people who successfully lost weight were able to keep off 5% or more of their initial weight after 1 year, whereas only about one-third of people maintained at least a 5% weight loss after 2 years ((1)). There is considerable evidence that homeostatic physiological pathways counter lifestyle attempts to maintain a reduced (or elevated) weight. These include appetitive adaptation, which is experienced as changes in hunger, whereas metabolic adaptation describes how the efficiency of resting and nonresting energy utilization appears to adapt to defend against weight change.

Ich kann mich nicht erinnern, das schon einmal vergleichbar deutlich in einer Studie gelesen zu haben, daß Abnehmen durch Schrauben an der eigenen Energiebilanz schlicht und einfach nicht sonderlich erfolgversprechend ist.

Aber was dann? So richtig sind die Experten damit nicht vorwärtsgekommen. Daß andererseits in diesem Kongreß niemand auch nur die Frage aufgeworfen zu haben scheint, ob die Nahrungsenergie dann vielleicht sogar der völlig falsche Ansatz sein könnten (so wie sich ja mittlerweile auch herausgestellt hat, daß die Rolle des Nahrungscholesterins falsch eingeschätzt wurde), wundert mich da schon. Auch deshalb, weil die Kalorien in der Nahrung wirklich ein eigenartiger Meßwert sind, wenn man mal genauer darüber nachdenkt. 

Ich berufe mich ja nur in Ausnahmefällen auf so umstrittene Persönlichkeiten wie Udo Pollmer (es ist nämlich ermüdend, daß das unweigerlich in eine Debatte über die Person, nicht über den Inhalt mündet). Als Lebensmittelchemiker ist er aber gerade in diesem Bereich "vom Fach", und so bitte ich um Verständnis dafür, daß ich auf etwaige Einwände gegen seine Person in diesem Fall keine Rücksicht nehmen kann. Sehr anschaulich und, unterstelle ich, sachlich korrekt beschreibt Pollmer, wie bei derErmittlung des Kaloriengehalts von Lebensmitteln konkret vorgegangen wird:

Überall werden Kalorien gezählt, wo aber bitte kommen die Zahlen her? Natürlich: aus den Nährwert-Tabellen. Doch wie wurden die gemessen?
Dazu benutzt man zunächst ein Bombenkalorimeter (auch Berthelotsche Bombe genannt). Dabei wird das zu analysierende Produkt, egal ob Wurst, Holz oder Stroh in einer Schale unter Sauerstoffüberdruck mittels eines Glühdrahtes verbrannt. Die Brennkammer ist von einem Stahlmantel umgeben, der wiederum vollständig von Wasser umgeben ist. Die sich entwickelnde Energie erwärmt das Wasser. So lässt sich die Energiemenge ausrechnen. Früher wurde das Ergebnis in Kalorien ausgedrückt, heute in Joule.

Mit anderen Worten: Der gemessene Brennwert in Kalorien sagt noch überhaupt nichts darüber aus, ob überhaupt und wenn ja wieviel von der Energie eines Stoffes, falls man ihn verzehrt, vom menschlichen Körper verarbeitet wird, sondern nur, welche Energie er abgibt, wenn man ihn im Kalorimeter verbrennt. Das von Pollmer erwähnte Holz zum Beispiel dürfte dort einen ganz ordentlichen Brennwert haben, nur können wir ihn nicht für unsere physischen Bedürfnisse nutzen. Dasselbe gilt für Benzin. Obwohl ein Kilogramm Superbenzin stolze 10.400 Kalorien enthalten soll: Es heizt unsere Zellen nicht, wenn wir es trinken, sondern verschafft uns, wenn wir Glück haben, einen Anfall spontanen Erbrechens, und wenn wir Pech haben, werden wir ernsthaft krank davon oder sterben sogar. 

Wieviel von der Nahrungsenergie, die bei uns im Magen-Darm-Trakt landet, gelangt wohl überhaupt nicht ins Blut? Kann das wirklich bei jedem gleich viel sein? Ist es außerdem bei einer Person immer gleich viel? Oder hängt das auch von Uhrzeit, zu der man ißt, vom Ort, Lebensalter und allen möglichen weiteren Faktoren ab? 

Es ist ja auch nicht so, daß die Energie in der Nahrung komplett verstoffwechselt wird. Würde Scheiße keine Energie mehr enthalten, würden sich Fliegen ja wohl kaum dafür interessieren. Wenn ich mir überlege, wie unterschiedlich der Stuhlgang nach Farbe, Konsistenz, Geruch und allem möglichen sonst noch ausfällt, kann ich mir kaum vorstellen, daß er nicht auch unterschiedliche Mengen an nicht verstoffwechselter Restenergie enthalten können soll. Zu bedenken ist außerdem noch, daß zwei Äpfel oder zwei Karotten oder zwei Kartoffeln unter Garantie nicht jeweils zwei exakt identische Energiewerte aufweisen. Bei Industrienahrung finden wir wiederum zwar auf der Verpackung die Nährwerte aufgedruckt, aber liegt es eigentlich nahe, ausgerechnet bei diesem Zeug Zuverlässigkeit in den Angaben zu vermuten? 

Worüber ich besonders herzlich in dem Text von Pollmer gelacht habe: 

"Auch heißes Wasser enthält Kalorien, einfach deshalb weil es wärmt. Diese Wärme muss dann der Körper nicht mehr selbst produzieren. Für Eisgekühltes muss der Körper Wärmeenergie investieren, bevor er es verdauen kann."

Das ist eine interessante Sache. Natürlich enthält Wasser, egal ob heiß oder kalt, keine Nährstoffe, also sollte man sich vor diesen Kalorien nicht erschrecken. Sie machen definitiv nicht dick. :-)

Die Sache mit den Kalorien läuft meines Erachtens auf ein ziemlich sinnloses Ratespiel hinaus, vor allem dann, wenn man so kleinteilig und akribisch zählt, wie das gerne empfohlen wird, und sich nicht von vornherein auf gröbere Schätzwerte verläßt - denn daß ein Pfund Äpfel weniger Energie enthält als ein Pfund Butter, ist natürlich trotz allem anzunehmen. Die Fehlerquote wegen Schwankungen im Energiegehalt wie auch der individuellen Energieaufnahmekapazität nach Person und Tagesform stelle ich mir jedenfalls durchaus erheblich vor für jemanden, der sich darum bemüht, die berühmten 5 M&Ms hin oder her nicht über den Bedarf hinaus zu sich zu nehmen.

Wer aufgrund einer Kalorienreduktion abnimmt, hat immerhin ungefähr richtig geschätzt: Wie das jeder schon bei jeder x-beliebigen Diät erleben konnte, nimmt man dann ab, wenn die Nahrungsenergie für den körperlichen Bedarf nicht ausreicht. Blöd dabei ist nur, daß der Körper ein Energiedefizit nur für begrenzte Zeit zu akzeptieren bereit ist. Und gegen einige der Gegenmaßnahmen des Stoffwechsels ist man ziemlich wehrlos, zum Beispiel dagegen, daß der Körper, wenn er nicht so viel Energie bekommt, wie er haben will, dann eben seinen Verbrauch drosselt. 

In dem Obesity-Supplement wird das in einem Artikel folgendermaßen beschrieben:

We have studied the responses of people with and without obesity to experimental weight loss by examining their physiology in three weight-stable states: usual (customary) body weight, following a 10% weight loss ((12, 13)), and at that 10% reduced body weight while receiving doses of leptin sufficient to restore circulating concentrations to those present when stable at their usual body weight ((14)). The coordinate changes in drive to eat (increased) and energy expenditure (decreased) as a result of weight loss create a “perfect physiological storm” for weight regain. An unexpected observation is that most of the reduction in energy expenditure occurs as a result of increased chemo-mechanical contraction efficiency of skeletal muscle ((15, 16)). That is, in an analogy to automobile performance, the weight-reduced individual gets more mileage per calorie of energy expended to a degree beyond that predicted solely by weight loss.

sowie: 

Specifically, it has been estimated that, for each kilogram of lost weight, calorie expenditure decreases by about 25 kcal/d whereas appetite increases by about 95 kcal/d above baseline levels prior to weight loss ((26)).

Eine etwas bessere Nachricht wäre eigentlich ...

The greater strength of the negative feedback circuit controlling appetite might explain why high levels of physical activity are often associated with successful maintenance of lost weight ((27)). Specifically, increased physical activity may allow for increased energy intake at the same level of weight loss ((28)), thereby mitigating the persistent effort required to counter increased appetite.

... wenn wir nicht schon von Herman Pontzer wüßten, daß erhöhte physische Aktivität ebenfalls zu einem rationelleren Energieverbrauch führt und somit der Stoffwechsel auch in diesem Fall als Abnahme-Saboteur in Aktion tritt.

Die Studien, auf die im letzten Zitat verwiesen wird, habe ich mir jetzt aber nicht einmal mehr angeschaut, denn ich möchte wetten: Wie in den meisten Studien wird es etwa in den letztgenannten beiden um zwei, drei Pfund hin oder her gehen, die die "Sportler" - jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum - im Vergleich zu den "Nichtsportlern" die Nase vorn hatten. Wen interessieren aber eigentlich diese zwei, drei Pfund hin oder her aus irgendwelchen Studien, wo doch das gesellschaftliche Problem darin besteht, daß zu viele Leute fünfzig, sechzig oder hundert Pfund zu viel wiegen und wir eigentlich herausfinden wollen, womit die davon Betroffenen diese hundert Pfund loswerden können? Wo sind eigentlich die Studien, die sich mit den Leuten befassen, die hundert Pfund abzunehmen versuchen?

Was wir brauchen würden, sind solche Studien mit einem langen Zeitverlauf. Und aus diesen müßte man sich die berühmten fünf Prozent näher anschauen, denen das scheinbar Unmögliche gelungen ist, nämlich diese hundert Pfund nicht nur abzunehmen, sondern das Gewicht dann auch zu halten - und zwar nicht ein Jahr lang, sondern mindestens fünf, besser zehn Jahre lang. 

Ich gehöre da nicht dazu. Noch nicht. :-)

Auf Basis des Kalorienmodells ist es nach aktuellem Stand der Wissenschaft - und dazu scheint es ausweislich dieser Fachzeitschrift mittlerweile doch endlich recht große Übereinstimmung zu geben - schwierig bis nahezu unmöglich, eine dauerhaft erfolgreiche Abnehmstrategie bei Adipositas zu entwickeln. Im Vergleich dazu sind magenverkleinernde Operationen weitaus erfolgreicher, allerdings vernahm ich vor kurzem, daß der Anteil der Magen-OP-Patienten, die nach einiger Zeit wieder erheblich an Gewicht zunehmen, immerhin dreißig bis vierzig Prozent betragen soll. Dr. Plamen Staikov, Leiter des Adipositas-Zentrums Frankfurt-Sachsenhausen, spezifizierte ärgerlicherweise an keiner Stelle in seinen beiden Videos, wie hoch man sich diese Wiederzunahmen, von denen er spricht, vorstellen muß. Gelangen die Patienten dabei annähernd wieder in die Richtung ihres Ausgangsgewichts bei der OP? Schon öfter gelesen habe ich, daß die Remission von Diabetes Typ 2 nach Magenverkleinerung bei vielen Patienten leider nicht dauerhaft sei, und als ich gerade recherchierte, wie hoch der Anteil dieser Fälle eigentlich ist, las ich, innerhalb von fünf Jahren seien 33 (Bypass) bzw. 41 Prozent (Schlauchmagen) betroffen. 

Diese Zahlen ähneln, finde ich, auffallend den 30 bis 40 Prozent Wiederzunahmen. Es ist wohl keine allzu gewagte Vermutung, anzunehmen, daß beides vermutlich überwiegend dieselben Patienten betrifft. Es irritiert mich, daß ich von diesen Wiederzunahmen erst durch so ein wenig informatives Video gehört habe. Wo bleiben die Studien darüber?

Trotzdem, Magenverkleinerungen wirken über die Kalorienreduktion hinaus anders und besser als "normale" Diäten. Über die Ursachen der Stoffwechselveränderungen, die dahinter wahrscheinlich stecken werden, scheint aber immer noch nicht allzuviel bekannt zu sein. Ich frage mich, ob es wohl ganz oder in Teilen dieselben Stoffwechselveränderungen sind, die bei Low Carb und Intervallfasten vergleichbar spektakuläre Erfolge mit sich bringen können. Hauptunterschied: Man wird nicht für den Rest seines Lebens zum Patienten, benötigt keine Folge-OPs zur Hautstraffung, muß nicht dauerhaft Supplemente einnehmen, und speziell meine Abnahme dürfte den durchschnittlichen OP-Patienten bereits neidisch machen können. Meine Empfehlung wäre immer Intervallfasten anstelle der OP, falls mich jemand fragen würde. 

In einem Video hörte ich gerade aus berufenem Munde etwas, das mich ein bißchen erschreckt hat. Mein bisheriger Wissensstand war, daß die Götter - oder vielmehr die Krankenkassen - vor die bariatrische Chirurgie eine sechsmonatige Ernährungsberatung gesetzt haben. Das wurde bei Patienten mit BMI ab 50 aber anscheinend bereits geändert. Leute wie ich möchten sie am liebsten ohne viel Zeitverzug unters Messer bringen. Wäre ich damals zum Arzt gegangen, hätte er mich vermutlich sofort davon zu überzeugen versucht, daß ich mir den Magen zerschnippeln lasse.

***

Ich habe jetzt zwei, drei Anläufe hinter mir, eine simple Methode zu entwickeln, um die Nährstoffe in meinem Essen zu notieren, aber bislang bin ich nicht überzeugt von dem, was ich entworfen habe. Irgendwie finde ich diese Tätigkeit - Kalorien und Makronährstoffe zählen - aber auch so geistlos, das verdirbt mir womöglich noch die ganze Lust am Kochen und Essen. 

Am ehesten sollte es noch klappen, wenn ich Formulare zum handschriftlichen Ausfüllen in der Küche am Kühlschrank aufhänge, also erstelle ich mir solche selbstgestrickten Formulare und probiere es auf diese Weise mal aus. Was ich angesichts der Ungenauigkeit der Maßeinheit Kilokalorie - siehe oben - aber bestimmt nicht machen werde, sind exakte Berechnungen, das wird eher in Form einer Überschlagsrechnung sein und ich werde nach gesundem Menschenverstand nach oben oder unten abrunden. Ich möchte spätestens Anfang September damit anfangen könne, idealerweise schon ein bißchen früher, und es dann bis zum Ende meines Low-Carb-Experiments beibehalten, eventuell auch noch zwei, drei Wochen länger. (Je nachdem, wie nervtötend ich die Sache in der praktischen Anwendung finde.)

Mir geht es vor allem darum, Unterschiede bei Kohlenhydraten und Proteinen in meiner normalen Ernährung und während der Experiment-Phase festzuhalten. Aber wenn schon, dann will ich auch mal wissen, wie weit diejenigen daneben liegen, die daran glauben, meine Abnahme könne nur daran liegen, daß ich quasi versehentlich ein ungewolltes Kaloriendefizit in meiner Ernährung erzeuge.




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