Samstag, 7. August 2021

Überlegungen eines überzeugten Sportverächters

Mein Gewicht heute früh: 95,5 Kilogramm. Schade. Eigentlich hatte ich darauf gehofft, daß ich heute knapp unter 95 liegen würde. Aber da mein Gewicht diese Woche so stur nach jedem Eßtag wieder über 97 gebounct ist, war da wohl nichts zu machen. Jetzt hoffe ich nur, daß ich auch nächste Woche in diesem Bereich zwischen 97,x vor dem Fasten und 95,x nach dem Fasten bleiben werde - es wäre ja doch ziemlich ärgerlich, wenn ich in drei Wochen doch wieder mit mehr als 98 Kilo in das lange Fastenintervall starten müßte, denn ich möchte vor dem Oktober schon noch mindestens einmal ein neues Tiefstgewicht erreichen.

Mein Thema heute: ein paar Überlegungen zum Thema Sport, eine Sache in der die Kalorienzähler und die Low-Carb-Fraktion sich, was sonst selten vorkommt, vollkommen einig sind. Sport treiben ist ein Muß zum Abnehmen, finden die meisten, und diejenigen, die seit Herman Pontzer mitbekommen haben, daß das vielleicht doch nicht ganz so funktioniert, sind jedenfalls der Meinung, in diesem Fall müsse man dennoch Sport treiben, weil das insgesamt wichtig für die Gesundheit sei und das Leben verlängere.

Ich selbst treibe deshalb bekanntlich auch keinen Sport und habe auch nicht die Absicht, daran etwas Wesentliches zu ändern. Einschränkung: Im Januar und Februar werde ich vorübergehend wieder einmal in der Woche EMS-Training machen, aber dies werde ich bewußt zeitlich beschränken, und zwar auf zwei Monate. Ebenso wie mein Low-Carb-Vorhaben im Oktober und November, das ebenfalls zwei Monate dauern soll, ist das ein Test, denn mich interessiert, ob ich bezüglich der Abnahme oder vielleicht auch in anderer Hinsicht eine Wirkung bemerken werde. 

Die Monate von Oktober bis Februar kann und konnte ich ja - und zwar vom ersten Fastenjahr an -  nicht mit einer Gewichtsabnahme rechnen. Im Herbst, also zwischen ca. Mitte Oktober und Mitte November, nehme ich im Gegenteil jedes Jahr ein bis zwei Kilogramm zu. Zwischen Dezember und Februar setzt sich die Zunahme zwar nicht weiter fort, aber vier verdammte Winter lang ist es mir noch niemals gelungen, in diesem Zeitraum Gewicht zu verlieren, obwohl ich ab dem zweiten Winter bewußt dagegen ankämpfte. Ich muß also damit rechnen, daß dies auch im fünften Herbst/Winter wieder passieren wird. Aber das heißt nicht, daß ich bereit bin, mich in dieses Schicksal kampflos zu ergeben - jedenfalls jetzt noch nicht. 

Deshalb diesen Winter die beiden Experiment-Phasen mit Low Carb und mit dem EMS-Training, nach dem Prinzip: "Hope for the best but expect the worst". Ich will also herausfinden, ob eines von beidem - oder vielleicht sogar beides - der zu erwartenden Entwicklung entgegenwirken kann. Also: Verhindert Low Carb - wohlgemerkt: zusätzlich zum Intervallfasten - die im betreffenden Zeitraum zu erwartenden Zunahme oder löst vielleicht sogar eine weitere Abnahme aus? Und: Führt EMS-Training dazu, daß meine Abnahme endlich mal bereits vor dem Monat März einsetzt; dem Monat, in dem ich bislang mit Ausnahme von 2020 in jedem Jahr nach einem zermürbenden Winter wieder angefangen habe abzunehmen?

Ich bin durchaus darauf gefaßt, daß mir dennoch zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 exakt dasselbe passieren kann wie in den vier Wintern davor, und nehme eine etwaige Abnahmewirkung, falls sie eintreten sollte, als erfreuliche Überraschung. Damit ich eine etwaige Wirkung sicher der richtigen Ursache zuordnen kann, muß ich das aber zu getrennten Zeitpunkten machen.

Beides, Low Carb und EMS-Training, werde ich - nach derzeitigem Wissensstand - kaum dauerhaft machen, und damit steht das Experiment eigentlich im Widerspruch zu meiner generellen Herangehensweise, die ja darauf basiert, daß ich nichts anfangen will, von dem ich nicht überzeugt bin, es für den Rest meines Lebens so weitermachen zu können. Aber gleichzeitig nehme ich an, daß ich von einem etwaigen Nutzen durch diese vorübergehenden Experimente dauerhaft profitieren kann, solange ich das Intervallfasten dauerhaft aufrechterhalte. Und ob diese Annahme korrekt ist, will ich ebenso herausfinden wie die Direktwirkung. 

Angenommen nämlich, ich habe mit Low Carb Glück und nehme, anders als in früheren Jahren, auch im Oktober und November jeweils ein Kilo ab, aber dafür dann eben ab Dezember alles Abgenommene plus die üblichen ein bis zwei Kilo wieder zu, dann hat es sich mit Low Carb natürlich trotzdem für immer bei mir erledigt. Im Vergleich zu den früheren Wintern sollte schon ein Netto-Verlust für mich herausspringen. Low Carb kann ich mir dauerhaft aber beim besten Willen nicht vorstellen, egal, wie gut es funktionieren sollte, weil ich einfach gar zu gerne all die Dinge esse, auf die ich dabei verzichten muß - von Brot über Pasta bis zum Kuchen -, und Low-Carb-Twitter zu verfolgen belehrt jeden, daß allen Lippenbekenntnissen zum Trotz das auch den fanatischsten Low-Carblern insgeheim genauso geht wie mir, weshalb es immer mal wieder tränenreiche Bekenntnisse über das eigene Schwachwerden gibt, kombiniert mit feierlichen Schwüren, künftig alles wieder richtig zu machen. 

Etwas, wofür ich mich für den Rest meines Lebens zu etwas zwingen muß, das ich andernfalls nicht tun würde, fange ich gar nicht erst an. Die Beweggründe der Betroffenen, sich trotz gelegentlicher Ausrutscher in die "Kohlenhydrat-Sünde" weiter an Low Carb zu halten, kann ich dabei durchaus nachvollziehen. Die Wirkung von Low Carb war für sie ja ein ganz ähnliches Wunder wie für mich die Wirkung des Intervallfastens im ersten halben Jahr, und ich erinnere mich noch sehr genau daran, was das mit mir gemacht hat. Letztlich hat ja Intervallfasten bei mir und Low Carb bei ihnen alles auf den Kopf gestellt, was sie bis dahin für richtig gehalten hatten. Das hat etwas von einem Erweckungserlebnis, und seine erwiesenen Wundertäter wechselt man nicht so einfach, wie man sein Hemd wechselt. 

Etwas anderes wäre es aber, falls sich vorübergehende Low-Carb-Phasen als wirksame Unterstützung meines Gesamtkonzepts erweisen sollten und ich außerdem - was ich doch hoffen will - kein ernsthaftes Problem damit habe, diese Ernährung während es eines überschaubaren Zeitraums von zwei Monaten aufrechtzuerhalten. In diesem Fall könnte ich so etwas durchaus nächstes Jahr noch einmal wiederholen.

Beim EMS-Training, das ich ja bis März 2020 acht Jahre lang regelmäßig einmal die Woche gemacht hatte, bevor ich Anfang 2020 den Vertrag gekündigt habe, möchte ich eine Anpassung des Stoffwechsels verhindern, wie sie bei dauerhaften Training leider zu erwarten ist, was ich auch schon zu spüren bekommen habe. Letztes Frühjahr war nämlich höchstwahrscheinlich dies der Faktor, der dazu geführt hat, daß meine übliche Abnahme ab März erstmals ausgeblieben ist und eine zehntägige Fastenpause im April zu einer sofortigen Zunahme führte. Später nahm ich zwar über den Sommer hinweg doch wieder ab, aber da ich ab Oktober, so wie immer, wieder zunahm, war das zu wenig, um per saldo übers Jahr eine vernünftige Gewichtsabnahme zu erzielen.

Wäre mir dasselbe dieses Jahr wieder passiert, hätte ich eine andere Erklärung suchen müssen. Da es nicht geschehen ist, nehme ich an, ich habe tatsächlich eine körperliche Reaktion auf weniger Bewegung erlebt, wie sie Pontzer beschrieben hat. So etwas will ich nicht noch einmal erleben, und also kommt für mich EMS-Training als Dauerprogramm nicht mehr in Betracht. 

Als vorübergehendes Vor-Frühlings-Programm sieht die Sache aber anders aus. Acht Wochen Training sollten nach der fast zweijährigen Pause lang genug sein, um körperlich ein paar positive Wirkungen hervorzurufen (neben den Bauchmuskeln bin ich vor allem gespannt, ob sich meine im letzten Jahr doch etwas schwabbeliger gewordenen Oberarme verändern), aber kurz genug, daß sich mein Stoffwechsel noch nicht auf das Training als regelmäßig wiederkehrende Sache eingestellt hat und mich bestraft, wenn ich wieder damit aufhöre. Wie lange so eine Stoffwechselanpassung dauert, kann ich aus der Entwicklung in meinem ersten Jahr EMS-Training ab Februar 2012 rekonstruieren: Als ich mit dem EMS-Training angefangen habe, verlor ich schon in den ersten vier Wochen eine Hosengröße an Bauchumfang; insgesamt waren es zwei, was mich auf Größe 46 brachte. Ca. ein halbes Jahr dauerte es, bis ich keine weiteren physischen Veränderungen mehr an mir bemerkte, also das Plateau erreicht war, und ca. 15  Monate nachdem ich begonnen hatte, wurden mir meine 2012 gekauften Hosen Größe 46 wieder zu eng, also ein halbes bis Dreivierteljahr nach Erreichen des Plateaus.

Vor einiger Zeit gab mir eine Frage im Abnehmen-com-Forum zu denken, als jemand, dessen Gewicht noch ein gutes Stück unter meinem einstigen Maximalgewicht lag, über Schwächegefühl klagte, etwas, was ich selbst in dieser Form nie erlebt habe, nicht einmal in meinen allerfettesten Zeiten. Unbeweglichkeit ja, zunehmende Kurzatmigkeit beim Treppensteigen oder wenn es sonst bergauf ging ja, aber im Prinzip hatte ich offenbar mehr Ausdauer, als man in meiner damaligen Gewichtsklasse erwarten würde. Es ist also nicht auszuschließen, daß ich dies einer gewissen Grundfitness durch das EMS-Training zu verdanken hatte, und wenn das so sein sollte, wäre es vielleicht doch besser, mich nicht komplett davon zu trennen. Vier Wochen fände mein Bauchgefühl etwas zu wenig. Drei Monate kommt mir aber schon wieder zu lang vor. Spontan dachte ich eigentlich an sechs Wochen, aber da ich den Vertrag monatsweise kündigen muß, werden es eben acht Wochen werden, vielleicht kommt auch noch eine neunte dazu, das müßte ich nochmal nachsehen. Das ist auch okay, aber mehr als das sollte es nicht werden.

Das alles sind meiner Meinung nach gute Gründe, um diese acht Wochen EMS-Training jetzt einfach mal auszuprobieren und zu schauen, was dabei passiert. Vielleicht behalte ich das ja als regelmäßige Veranstaltung speziell im Januar/Februar bei. Schade ist es freilich, daß das ausgerechnet bei meinem Anbieter so kompliziert ist mit dem Vertraglichen. Am liebsten wäre es mir, einfach eine Zehnerkarte kaufen und dann vielleicht pro Jahr zweimal fünf Wochen lang trainieren zu können, im Herbst und im ausgehenden Winter. 

Grundsätzlich bleibe ich natürlich dabei, daß Alltagsbewegung für mich im Großen und Ganzen ausreichen muß. Mit dieser Vergötzung von Anstrengung nur um der Anstrengung willen, die mir überall entgegenschlägt, kann ich nicht sonderlich viel anfangen. Wenn ich mich anstrenge, dann soll das schon auch für irgendetwas gut sein oder mit einem Spaßfaktor in Verbindung stehen, der die Anstrengung lohnenswert macht, wie etwa ein Flohmarktbesuch oder eine Wanderung mit einem verlockenden Ziel. Bereits in einem früheren Blogartikel habe ich geschrieben, daß es mir nicht einleuchtet, warum ausgerechnet so viel Bewegung wie möglich am allergesündesten sein soll, nur weil der Mensch physisch darauf eingerichtet ist, sie auszuhalten, sie auszuhalten, wenn er sie nicht vermeiden kann. Ich halte es für unnatürlich, Anstrengungen nicht vermeiden zu wollen. Keine Säugetierart bewegt sich meiner Kenntnis nach, jedenfalls in freier Wildbahn, nur um der Bewegung willen. Raubkatzen etwa liegen tagelang faul herum, nachdem sie größere Beute gemacht und sich sattgefressen haben. 

Wie auch immer, sogar dann, wenn es wirklich so wäre, daß ich mein Leben verlängern könnte, indem ich täglich eine Stunde Sport treibe, würde ich das nicht machen wollen. Denn die 15 Lebenstage pro Jahr, die ich dafür kalkulieren müßte, entsprechen, auf angenommene 70 sportlich aktive Jahre umgerechnet, drei Jahren meines Lebens, die ich mit einer Sache zubringe, die mich langweilt und die ich unangenehm finde. Und wofür? Um mit Glück dann ebenfalls drei Jahre länger zu leben, als ich es andernfalls täte. Die Wahrscheinlichkeit, daß ich auf diese Weise per saldo mehr angenehm, produktiv und befriedigt verbrachte Lebenszeit gewinnen werde, als ich sie in der Zeit vorher an den Sport verloren habe, erscheint mir definitiv zu gering. Das Risiko, daß man auf diese Weise vor allem unangenehm verbrachte Zeit hingewonnen hat, steigt mit höherem Lebensalter, das man hinzugewinnt, ja an. 

Dieses Thema ist natürlich ein Minenfeld, und ich bewege mich darin mit gebotener Vorsicht. Meine Mutter wird im Oktober 85 Jahre alt, wäre uns im Frühjahr beinahe an einer Lungenentzündung hoppsgegangen und ist mittlerweile wieder fidel und freut sich ihres Lebens, bei nur kleineren Zipperlein, mit denen sie sich arrangieren kann, etwa ihrer Schwerhörigkeit. Nie im Leben würde ich behaupten, daß die letzten drei Jahre ihres Lebens eigentlich genausogut hätten unterbleiben können, und im Gegenteil hoffe ich, daß ich ihr in drei Jahren immer noch eine Geburtstagstorte backen werde, und gerne auch noch etliche Jahre darüber hinaus. 

Aber gleichzeitig läßt sich dennoch auch nicht übersehen, daß die Verheißung, länger zu leben, wenn ich x tue oder y unterlasse, eine ziemliche Mogelpackung ist. Denn wenn man sich anschaut, wie wenig alte Menschen in unserer Gesellschaft - außerhalb von wohlfeilen Sonntagsreden - in Wirklichkeit noch gelten, bin ich mir nicht sicher, ob ich in dieser Gesellschaft wirklich alt sein möchte; "alt" hier verstanden als "alt und gebrechlich". Solange ich mir in allen Alltagsbelangen selbst zu helfen weiß, kann mich die Gesellschaft ja gegebenenfalls kreuzweise, aber ich stelle es mir grauenhaft vor, in einer Gesellschaft wie unserer mit ihrem gräßlichen Nützlichkeitsdenken als nicht offen ausgesprochenem, aber dennoch unzweifelhaften ideologischem Unterbau als "nicht mehr Nützlicher" von anderen abhängig zu sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das bedeutet, daß meine Helfer mir ihre Vorstellung vom richtigen Leben aufzwingen können ... und ich sehe halt auch, daß solche Dinge mit alten Menschen ja tatsächlich geschehen. Bei Corona ist das geschehen, was auch immer man von der monatelangen Isolation der Bewohner von Altenheimen hält: Sie wurden schlicht nicht gefragt, sondern mußten es halt hinnehmen, weil sie gar keine Möglichkeit hatten, es zu verhindern. 

Ein harmloseres Beispiel - das heißt, harmlos ist es nur in der Wirkung, aber nicht in den angewandten Grundgedanken: Neulich las ich, wie ein Sozialunternehmen, das auch Betreiber von Altenheimen ist, ganz stolz schrieb, man habe nun die Ernährung in diesem Altenheimen klimafreundlicher gemacht, will heißen: fleischärmer. Klammern wir an dieser Stelle mal alles aus, was das Für und Wider einer solchen Ernährungsweise betrifft, und ebenso, wie man sich das in der Praxis vorstellen muß, also ob einfach die Stücke Fleisch ein bißchen kleiner ausfallen, die man den Bewohnern - beinahe hätte ich gesagt "Insassen" - zum Mittagessen serviert: Ich wage sehr zu bezweifeln, daß er vorher die Bewohner der Anlagen gefragt hat, ob sie das überhaupt wollen. Da stand wohl mal wieder der Nudging-Denkansatz Pate, und die vermutlich richtige Annahme lautete, daß wohl kaum jemand unter den Altenheimbewohnern sich über das plötzlich so kleine Schnitzel beschweren wird, während man sich gegenüber der jungen Generation (die die Oma bekanntlich sowieso für eine Umweltsau halten), weil das bei denen ja gerade in Mode ist, als superklimabewußte Institution anbiedern kann.

Alt werden ist definitiv nichts für Weicheier, und mir ist klar, daß der Tag irgendwann noch kommen kann, an dem ich nicht mehr imstande bin, für mich selbst zu sorgen, und dann auf Gedeih und Verderb auf die Vertrauenswürdigkeit und den guten Willen Dritter angewiesen sein werde. Wie das ausgehen wird, weiß ich nicht, und auch wenn ich mir deswegen jetzt, mit 56, noch keine schlaflosen Nächte mache: Auch deshalb möchte ich nicht um jeden Preis jeden zusätzlichen Lebenstag ergattern, der mir heute versprochen wird, wenn ich x tue oder y unterlasse, sofern x zu tun oder y zu lassen meine jetzige Lebensqualität beeinträchtigen würde. Der Moment gerade jetzt unerscheidet sich nämlich von dem künftigen dadurch, daß ich beurteilen kann, wie er sich anfühlt, wenn ich x bzw. y tue oder unterlasse, während ich das von dem künftigen nicht sicher sagen kann. Warum ich trotzdem dem künftigen Moment eine höhere Priorität geben sollte, leuchtet mir nicht ein.

Wenn jemand Sport treibt, weil ihm das Spaß macht und zu seinem Wohlgefühl im jetzigen Moment beiträgt, ist das ja eine tolle Sache. Was ich aber nicht akzeptiere, ist, wenn jemand sich mit dem regelmäßigen Sporttreiben selbst quält und schindet und seine eigene Moral nur aufrechterhalten kann, indem er permanent andere Leute abwertet, die sich für das Heil, für das er selbst sich pausenlos selbst überwinden muß, nicht auch vergleichbar anstrengen. Solche Leute sind eigentlich selbst am meisten zu bedauern, aber halt auch für alle anderen unangenehme Zeitgenossen. 

Wer Sport treibt, der entspricht ja nicht nur oft nicht dem Idealbild eines gesunden und glücklichen Menschen, sondern entfernt sich gar nicht so selten sogar weiter von dieser Zielvorstellung. Was ich immer ein bißchen pervers finde, sind zum Beispiel diese Freaks im Optimierungswahn, die den Zustand jedes Muskels unter Dauerbeobachtung halten, sich permanent in bewundernden Reaktionen von Dritten bespiegeln wollen und einen Koller kriegen, wenn irgendeiner ihrer Wert vom Idealzustand abweicht oder wenn die Bewunderung zu sparsam ausfällt, und die sämtliche Körperfunktionen überwachen, quasi als Gegenstück zum Kontrollfreak bei der Ernährung, dem noch zum besten Essen, das gerade vor ihm steht, nichts weiter als eine Kalorienzahl einfällt. Oder die "Sportsüchtigen". Gemeint ist damit, daß Sport auch dann zwanghaft getrieben wird, wenn und obwohl es aus irgendeinem Grund gesundheitlich bedenklich ist, dies zu tun. Ich denke dabei an Leute wie diesen Semi-Prominenten, dessen Namen mir gerade nicht einfällt, von dem ich vor ein paar Jahren mal las, er sei beim Joggen tot umgefallen, nachdem er trotz ärztlicher Warnungen wegen einer Erkrankung es buchstäblich ums Verrecken nicht lassen konnte, wie immer loszujoggen.

So merkwürdig sich das nach all dem, was ich über Sport geschrieben habe, vielleicht anhört, ich genieße es trotzdem, mich zu bewegen - wenn ich das aus den oben genannten aus meiner Sicht vernünftigen Gründen tue. Und das betrifft gerade Bewegungsabläufe, die ich jahrelang nicht mehr oder nur mit so viel Mühe hingekriegt habe, daß ich sie möglichst vermieden habe. Beim Putzen oder wenn ich an meinem Rechner etwas aus- oder einstecken muß unter den Schreibtisch zu kriechen zum Beispiel. Und, hört sich für mich selbst komisch an: bergauf gehen.

Ich erinnere mich noch an zwei andere Gelegenheiten, bei denen ich an den Kleidern gemerkt habe, daß ich zugenommen hatte, weil ich mich weniger bewegt habe. Die eine war ein Bänderriß. Damals bedeutete dies eine OP, vor der man das Bein ruhig halten mußte, und anschließend sechs Wochen Gips. Die zweite war mein Berufswechsel, gleichzeitig auch ein Wechsel ins Home-Office, wodurch mir nichts Weltbewegenderes als der tägliche Weg zur Arbeit an Bewegung fehlte, was bei mir seinerzeit den Wechsel von Kleidergröße 44 in 46 auslöste.

Es ist wohl wirklich so, daß man zunimmt, wenn man sich weniger als gewohnt bewegt. Aber gerade das ist dann ja erst recht kein Grund, sich von vornherein unbedingt so viel zu bewegen, wie man es in seinem Alltag gerade noch unterbringen kann, wenn man abnehmen will. Denn um so höher ist ja die Wahrscheinlichkeit, daß irgendetwas einen dazu bringt oder zwingt, das zu reduzieren, und das rächt sich dann natürlich sofort. Meine Schwester und ihr Mann, beide Briefträger, haben dieses Problem gerade auch, seit sie ihre Arbeitszeit reduziert hat und er in Rente gegangen ist: Beide klagen über eine spürbare Gewichtszunahme, die Klamotten werden zu eng, und ich bin schon jetzt gespannt, ob und wann und wenn ja bei welchem Körpergewicht meine vier Jahre ältere Schwester und ich uns vielleicht einmal treffen werden. Das wäre schon ein Ereignis für mich, denn ich habe mehr als sie gewogen, seit ich zehn war. Ob wir auf unsere alten Tage womöglich noch anfangen, wie die Teenager Kleider zu tauschen? ;-)

Mit der Bewegung ist es, finde ich, wie mit der Ernährung: Man sollte das regelmäßige Bewegungsverhalten nicht auf möglichst hohe Sofortwirkung optimieren, sondern auf genau das Level, das voraussichtlich ohne Probleme und nicht zuletzt auch ohne Widerwillen dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Klar, ein Beinbruch bringt den an dieses Bewegungsverhalten angepaßten Stoffwechsel dann trotzdem aus dem Konzept, aber doch weniger heftig. Darüber hinausgehende größere Anstrengungen haben punktuell und nach Laune eingesetzt, nicht etwa als regelmäßige "Arbeit an der Gesundheit", wahrscheinlich die bessere Wirkung auf das Körpergewicht. 

Ja, aber die Gesundheit? 

Keine Ahnung. Aber diese Ahnung haben die anderen ja auch nicht, und schon gar nicht die Experten. Einstweilen halte ich, was die Gesundheit betrifft, mit den Altersgenossen, die ich so kenne, noch jeden Vergleich aus und wundere mich sogar bei zehn Jahre Jüngern nicht gerade selten darüber, was die alles schon an Medikamenten nehmen müssen. Falls es sich eines Tages herausstellen sollte, daß ich es auf meine Weise dennoch falsch mache, werde ich jedenfalls keinem anderen die Schuld daran geben, falls ich vorzeitig den Löffel abgeben muß. 








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