Freitag, 2. Oktober 2020

Intervallfasten ist wirkungslos! Wirklich?

Mein Gewicht heute früh: 97,3 Kilogramm. Am Dienstag konnte ich mit 96,9 zum ersten Mal nach einem einzelnen Fastentag die 97 unterbieten, also erlebte ich diese Woche schon einen kleinen Meilenstein. Da die Zahl 97 auf der Waage gleichzeitig 50 Kilo Abnahme bedeutet, freute mich das ganz besonders. Im Anschluß an mein bevorstehendes nächstes langes Fastenintervall (nächste Woche von Montag bis Donnerstag) wird das Überschreiten der 50-Kilo-Grenze vermutlich keine Besonderheit mehr darstellen; ich rechne damit, daß ich nächste Woche am Freitag ein Körpergewicht von zwischen 93 und 94 Kilo auf der Waage sehen werde. 

Meine Twitter-Timeline beschäftigt sich gerade intensiv mit einer brandneuen Studie über Intervallfasten nach dem Modell 16:8. Ihr Autor ist Ethan Weiss, ein bis dato überzeugter Verfechter des Intervallfastens nach jenem Modell. Er war von dem Ergebnis aber so enttäuscht, daß er selbst umgehend damit aufhörte, nach dem 16:8-Modell zu fasten, wie er das zuvor sieben Jahre lang getan hatte. Es ergab sich nämlich aus dieser Studie, daß Intervallfasten nach dem 16:8-Modell sich als nur ganz geringfügig erfolgreicher bei der Gewichtsentwicklung erwies als die Kontrollgruppe (die sich weiter so ernähren sollte, wie sie es schon zuvor getan hatte) - abgenommen haben beide, aber beide nicht besonders viel. 

Bis hierhin hält sich meine Bestürzung sehr in Grenzen. 

Die Studie ist nämlich eine von der Sorte, die ich ohnehin für belanglos halte, denn welchen Gewichtsverlust man mit welcher Methode in einem Zeitraum von zwölf Wochen - wie in dieser Studie gewählt - erzielen kann, hat meiner Meinung nach eine Aussagekraft von ziemlich genau null. Innerhalb von zwölf Wochen kann man mit nahezu jeder Methode abnehmen (sofern man sie durchhält). Die eigentlich spannende Frage lautet: Wie gelingt es einem, das erreichte niedriger Gewicht dauerhaft zu halten? Diese Frage läßt sich mit 12-Wochen-Studien von vornherein nicht beantworten.

Daß eine Langzeitstudie mit einer Dauer von mehr als zwei Jahren ergeben würde, daß auch der durch 16:8 erzielte Gewichtsverlust nicht bzw. jedenfalls nicht bei einer Mehrzahl der Teilnehmer dauerhaft gehalten werden konnte, halte ich außerdem für recht wahrscheinlich, denn das passiert nicht nur bewußt das 16:8-Modell Praktizierenden, sondern ebenso Menschen, die aus rein alltagspraktischen Gründen nur zwei Mahlzeiten pro Tag zu sich nehmen, ohne deshalb aber abzunehmen bzw. eine Zunahme verhindern zu können. 

Ich kann mich nicht erinnern, dazu jemals eine Studie gesehen zu haben, also kann ich mich hierbei nur auf das stützen, was Wissenschaftler - nicht selten in verächtlichem Ton - als "anekdotisch" abtun, nämlich eine ganze Reihe von Leuten, die genau das erlebt haben ... beginnend mit meinem Mann, der im Grunde schon, seit ich denken, kann höchstens zwei Mahlzeiten pro Tag einnimmt, die erste davon immer erst nach Feierabend, was auch im Falle von Frühschicht erst um 15 Uhr ist; unser Abendessen ist relativ spät, nämlich gegen 21 Uhr, also praktiziert er seit mindestens 15 Jahren ohne jede Abnehmabsicht eine Art 18:6-Modell. Und er hat dabei nie abgenommen, sondern im Lauf der letzten ca. zwei bis drei Jahre eindeutig sogar zugenommen.

Was mich aber wirklich bekümmert, ist, daß diese Studie nun dazu führt, daß die üblichen Besserwisser, die es ja schon immer "gewußt" haben, daß "Intervallfasten nicht funktioniert", das nun genau in dieser Form herumtrompeten. Es wäre tragisch, wenn das Studienergebnis nun zu dem vermutlich von vielen Kalorienlogikern heiß ersehnten Begräbnis erster Klasse für das Intervallfasten als Abnehmmethode in allen Fasten-Varianten führen würde.

Denn natürlich ist Intervallfasten nicht wirkungslos.

Ich halte es aber für eine Art schlechten Witz, wie in dieser Studie geschehen, dem Übergewicht von jemandem, der um die 100 Kilogramm wiegt und damit mindestens zwanzig bis dreißig Kilogramm verlieren sollte mit 16:8 zu Leibe rücken zu wollen. Wer als Übergewichtiger Erfahrung mit dem Fasten gesammelt hat, weiß, daß man bei größeren Gewichtsabnahmezielen gar nicht umhin kommt, die Fastenintervalle im Laufe der Zeit zu verändern, denn sie lassen allesamt nach einigen Monaten in ihrer Wirkung nach. Es wäre sonderbar, wenn das ausgerechnet bei 16:8 anders wäre, dessen Wirkung natürlich kaum so stark ausfallen kann wie Modelle mit längeren Fastenintervallen. 

Größere Gewichtsabnahmeziele können deshalb mit 16:8 von vornherein gar nicht erreicht werden. Warum also wird in dieser Studie eine Methode angewandt, die ihren Teilnehmern für eine ernstgemeinte Gewichtsreduktion bis zum Normalgewichtsbereich kaum empfohlen werden kann?

Dazu kommt aber auch noch, daß laut Studiendesign gerade die Personen, die vermutlich den stärksten Effekt auch einer solchen Schmalspur-Variante des Fastens erlebt hätten, nämlich Diabetiker vom Typ 2, von vornherein ausgeschlossen worden waren. Genau diese Zielgruppe wäre eine Untersuchung auch in einem eigentlich viel zu kurzen Zeitraum wie zwölf Wochen besonders interessant. Denn meine Annahme ist, daß die Abnahme bei Teilnehmern mit einer mehr oder weniger weit fortgeschrittenen Störung des Glukosestoffwechsels auffallend überdurchschnittlich ausgefallen  sein müßte. (Ich habe mal nachgesehen, weil ich vermute, daß auch hinter meiner anfänglichen starken Abnahme ein gestörter Glukosestoffwechsel stand: Meine eigene Abnahme nach meinen allerersten Fastenmodell (3 x pro Woche 18:6/21:3 im wöchentlichen Wechsel) lag 2017 nach zwölf Wochen bei immerhin zwölf Kilogramm.)

Ich kann außerdem überhaupt nicht verstehen, warum der Autor behauptet, es habe bei den Blutwerten ebenfalls keine Unterschiede gegeben, denn ich mußte zwar im Anhang danach graben, fand aber bei den zwei meines Erachtens ganz entscheidenden Blutwerten, nämlich Insulin und Triglyzeride (Fettsäuren), einen ganz erheblichen Unterschied zwischen der Entwicklung der Werte in der 16:8-Gruppe und der Kontrollgruppe im Verlauf dieser zwölf Wochen.

Diese Entwicklung zeigt mir, daß 16:8 in dieser Studie eine eindeutig positive hormonelle Wirkung hatte. Aber warum dann das enttäuschende Ergebnis? - Nun, je normaler die Insulinwerte von vornherein gewesen sind, desto geringer natürlich auch die Wirkung von 16:8 als insulinsenkende Maßnahme, und beide Gruppen hatten von vornherein Glukose- und HbA1C-Werte im Normalbereich. 

Leider hat das, was ich gerne gesehen hätte, die Autoren nicht interessiert, nämlich ein Vergleich zwischen dem Gewichtsrückgang und der Entwicklung des Insulinwerts der Teilnehmer. Sollte meine Theorie stimmen, müßte der Gewichtsrückgang umso stärker ausfallen, je stärker auch der Insulinwert gesunken war.

Übrigens finde ich das Ergebnis eigentlich trotzdem nicht so enttäuschend, wie der Autor sie hinstellt.

Die Autoren der Studie haben sich die Mühe gemacht, den Gewichtsverlauf aller Teilnehmer über den gesamten Zwölf-Wochen-Zeitraum aufzuzeichnen und dies der Studie als Grafik beizufügen. "TRE" (rechts) sind die 57 Teilnehmer, die fasteten, "CMT" (links) ist die aus 59 Teilnehmern bestehende Kontrollgruppe.

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Auf den ersten Blick verblüfft es, daß die Kontrollgruppe erfolgreicher gewesen zu sein schien, jedenfalls gehörte der Teilnehmer mit der höchsten Gesamtabnahme ihr an, und sie wies auch mehrere Teilnehmer auf, die mehr als 5 Prozent ihres Körpergewichts verloren hatten, also - sofern die Betreffenden in etwa das Durchschnittsgewicht aller Teilnehmer aufwiesen - um die fünf Kilogramm.  In Studien zum Abnehmen ist es zwar ziemlich normal, daß auch in der Kontrollgruppe ein gewisser Erfolg zu verzeichnen ist, aber wenn sie gleich gut oder besser abschneidet, heißt das, daß auch die untersuchte Abnehmmethode nicht mehr als einen Placeboeffekt gehabt haben kann.

Ganz so war es in diesem Fall allerdings nicht: Die Abnahme der 16:8-Gruppe lag im Durchschnitt aller Teilnehmer nämlich in Wirklichkeit sehr wohl höher als die der Kontrollgruppe: 1,7 Kilogramm vs. 0,57 Kilogramm (in zwölf Wochen). 

Wie das, da ja im Gegenteil die Kontrollgruppe die stärksten Abnahmen zu verzeichnen hatte?

Tja, die Grafik weiter oben genauer betrachtet, ist zu erkennen, daß die Kontrollgruppe nicht nur die höheren Abnahmen, sondern ebenso deutlich mehr und höhere Zunahmen zu verzeichnen hatte. Mit anderen Worten: von der 16:8-Gruppe hatte ein deutlich höherer Anteil an Teilnehmern abgenommen oder wenigstens nicht zugenommen als von der Kontrollgruppe.

Weitere interessante Aufschlüsse bieten die Daten im Anhang 3 der Studie. Interessant fand ich beispielsweise die Entwicklung der Kalorienaufnahme: 

Die 16:8-Gruppe begann mit einer deutlich reduzierten Kalorienaufnahme, die sich dann im Lauf der Zeit immer weiter steigerte, während die Kontrollgruppe erst in den letzten ca. drei Wochen ihre Energiezufuhr deutlich einschränkte.

Eine parallele Entwicklung gab es interessanterweise aber auch für den Energieverbrauch.

Ist es nicht interessant, daß die 16:8-Gruppe der Kontrollgruppe trotz dieser gegenläufigen Entwicklung der Energiezufuhr im Durchschnitt am Ende um mehr als ein Kilo Gewichtsabnahme voraus war? Schade, daß Weiss das nicht einmal eine Erwähnung wert gewesen ist.

Ethan Weiss hat uns - die wir im Prinzip nur eines wollen, nämlich unser Gewicht reduzieren - mit seiner Studie leider einen ziemlichen Bärendienst erwiesen, und zwar, indem er offenbar in seiner Studie die falschen Fragen gestellt und deshalb auch Antworten nach dem "Garbage in/Garbage out"-Prinzip erhalten. Nun hält er seine ganze Herangehensweise für falsch und posaunt das auch vor allen Kalorienfetischisten lauthals heraus, obwohl er in Wirklichkeit lediglich seine Fragen kritisch unter die Lupe nehmen und realitätsgerechter umformulieren müßte. 

Niemand interessiert sich nämlich in Wirklichkeit für die Durchschnittswerte. Interessant sind die Teilnehmer, die auffallend erfolgreich, und diejenigen, die auffallend erfolglos waren. Genau die müßte man viel eingehender unter die Lupe nehmen und herausfinden, was sie verbindet bzw. voneinander unterscheidet.

Jedenfalls dann, wenn man ein Ziel verfolgt, wie es in der Praxis tatsächlich benötigt wird, nämlich Antworten auf die Frage zu finden, auf welche Weise man mit, sagen wir, BMI 40 wieder auf BMI 25 gelangen und dieses Gewicht dauerhaft halten kann. Dieser ganze Firlefanz mit fünf Kilo hin oder her ist doch bei Weiss' Studienteilnehmern in Wirklichkeit uninteressant, egal ob "statistisch signifikant" oder nicht - worauf Wissenschaftler ja immer so viel Wert legen. Damit beweisen sie nur, daß sie sich nur für ihr statistisches Paralleluniversum und dessen innere Logik interessieren, nicht für real existierende Menschen und deren real existierende Bedürfnisse. Mit demselben Erfolg könnte man als ein solcher Hilfe suchender Patient wohl auch, begleitet von den Zaubersprüchen eines Schamanen, um ein Lagerfeuer tanzen.

Wieder einmal bin ich heilfroh, daß ich niemandes Rat mehr benötige, sondern mir meinen Weg alleine bahnen kann. Wie beim realen Wandern auch (wo ich berüchtigt dafür bin, mich grundsätzlich immer zu verlaufen) muß ich dabei den einen oder anderen Irrweg in Kauf nehmen, aber das ist mir immer noch lieber, als mich auf solche Führer verlassen zu müssen.


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