Mein Gewicht heute früh: 96,7 Kilogramm nach dem Frühstück ... wie das eben so ist, wenn mein Mann Nachtschicht hat und wir gleich um 7 Uhr zusammen frühstücken. Mein "echtes" Gewicht dürfte zwischen 96,2 und 96,5 gewesen sein. Mit "echt" meine ich: Das Gewicht zu denselben Voraussetzungen, unter denen ich mich sonst immer wiege. Meine zwei üblichen großen Tassen Kaffee, auch wenn ich ihn schwarz trinke, machen dabei aber auch schon zwischen 200 und 300 Gramm zusätzlich aus im Vergleich zu Leuten, die ihr morgendliches Gewicht nach dem ersten Klogang, aber vor dem ersten Kaffee erfassen. Daß ich das so angefangen hatte, hat gewissermaßen historische Gründe: Als ich anfing mit dem Intervallfasten, wollte ich, daß niemand davon weiß, also durfte die Waage auch nicht an gar zu auffälliger Stelle stehen. Und beibehalten habe ich es, weil ich zu bequem war, um es zu ändern und dann die alten Werte außerdem nicht mehr richtig mit den neuen vergleichen zu können.
Das "realistische" Gewicht vor dem morgendlichen Kaffee wird bei mir erst der Maßstab, nachdem ich mein Zielgewicht erreicht habe. Dann schleppe ich meine Arztwaage einen Stock höher ins Schlafzimmer hinauf und wiege mich nur noch einmal im Monat, um zu überprüfen, ob ich mich innerhalb des gewünschten Gewichtskorridors befinde.
Mit meinem heutigen Gewicht bin ich einigermaßen zufrieden (weniger dürfte es natürlich immer sein!), und ich hoffe, am Freitag, nach meinem morgigen zweiten Fastentag, werde ich unter 96 Kilo liegen, jedenfalls entspräche das dem zu erwartenden Verlauf, wenn ich zwischen den beiden Fastentagen, wie diese Woche, nur einen Tag esse. Komisch, wie schnell ich mich an die zwei Tage zwischen den Fastentagen gewöhnt habe, so daß mir mein alter Rhythmus mit seinen typischen Gewichtsausschlägen nach oben und unten ganz merkwürdig vorkommt.
Aber auch daran, daß ich nun gewohnheitsmäßig mit zweistelligen Zahlen auf der Waage zu tun habe, gewöhnte ich mich so schnell, daß mein einer Ausrutscher nach oben letzten Montag auf 100,1 Kilo sich fast schon wie eine Majestätsbeleidigung anfühlte. Es war aber immerhin der einzige Ausrutscher über 100 in den letzten 30 Tagen.
Corona wird langsam wieder zu einem Thema, das aus einer eher theoretischen Betrachtung ein Fall für das Alltagsleben wird: Nachdem es wochenlang schien, als ginge es trotz einer schleichenden Zunahme der Infektionen seit Mitte Juli mittlerweile fast nur noch um harmlose Fälle, ist der Anstieg an stationären Fällen wieder beträchtlich, auch was Intensivpatienten betrifft. Als ich das letzte Mal den DIVI-Tagesbericht gecheckt habe - das muß ca. einen Monat her sein - waren es nur halb so viele.
Da mittlerweile auch wieder Infektionswellen in Pflegeheimen bekannt werden, dürften auch die Todesfälle wieder höhere Werte erreichen - aber immerhin: Im Vergleich zu den meisten benachbarten Ländern scheinen wir die Lage bislang - jedenfalls noch - besser im Griff zu haben. Noch ist der Anstieg der Fallzahlen nicht exponentiell, also werden offenbar die meisten Infektionsketten wieder eingefangen. Ob die Zahlen bei uns ebenfalls noch abheben werden, bleibt allerdings abzuwarten. In Italien war der Anstieg ebenfalls wochenlang nur schleichend und schien beherrschbar, aber letzte Woche gingen die Zahlen plötzlich durch die Decke.
Bitte also anschnallen, wir stecken längst mitten drin in der zweiten Welle.
Es wäre unfair, das den Protesten gegen so ziemlich jede Corona-Maßnahme während des Sommers in die Schuhe zu schieben, denn wenn in sämtlichen Nachbarländern ein Anstieg der Infektionen stattfindet, ist es illusorisch, zu erwarten, daß dies bei uns nicht passiert. Aber ganz unbeteiligt daran sind die selbsterklärten Querdenker - Querulanten wäre die bessere Bezeichnung - auch wieder nicht. Je mehr dieser Proteste, desto größer der Anteil der Bevölkerung, der sich persönlich völlig sicher fühlte und sich leichtsinniger als nötig verhielt.
Was uns erwartet hätte, wenn die Querfront früher aufgetreten wäre und größeren Einfluß gewonnen hätte, sieht man an Ländern, in denen gar keine oder widersprüchliche Strategien gefahren werden, wie den USA, Brasilien, Peru oder Mexiko, aber auch Rußland. Dort war zwar ebenfalls diese Wellenbewegung erkennbar - also ein Rückgang der Infektionszahlen und zeitverzögert auch der Todesfälle einige Wochen nach einem dramatischen Anstieg im Frühjahr in USA und Rußland, nur war dieser Rückgang viel langsamer als in allen betroffenen europäischen Ländern, auch denen, in denen wie in Italien, Spanien, Frankreich und UK die Lage zeitweise dramatisch war.
Die relativ spät von der ersten Welle getroffenen mittel- und südamerikanischen Länder dagegen befinden sich jetzt gerade in der Abklingphase der ersten Welle, aber wie in den USA und Rußland bedeutet das höchstwahrscheinlich nicht, daß die Infektionszahlen dort nun dauerhaft weiter sinken, bis sie bei oder nahe null sind, wie das im Sommer in Europa gewesen ist. Vielmehr wird wohl über kurz oder lang die zweite Welle von einem immer noch recht hohen Infektionsniveau aus wieder Fahrt aufnehmen und die Infektionszahlen der ersten Welle noch übersteigen, wie das in Rußland und den Vereinigten Staaten geschehen ist. In den USA könnte man sogar den Eindruck gewinnen, daß sie bereits die zweite Welle hinter sich haben und gerade mit Karacho in die dritte steuern, aber das hat vermutlich vor allem etwas mit der enormen Größe dieses Lands zu tun, in der bei jeder der drei Wellen unterschiedliche Bundesstaaten hauptbetroffen waren ... weshalb das möglicherweise, wenn man es auf Bundesstaatenebene betrachtet, doch überall erst die erste Welle sein könnte.
In dieser dritten Welle sind einige bei der anstehenden Präsidentschaftswahl mit ausschlaggebende Swing States hauptbetroffen, weshalb ich persönlich eine zweite Amtszeit für Donald Trump bereits abgehakt habe, was letztlich nur gut sein kann für die Amerikaner wie für die ganze Welt. Sorgen macht mir dabei allerdings etwas anderes: Eigentlich hatte ich damit gerechnet, daß die Wahl Trumps 2016 dazu führen würde, daß ein Ruck durch die politische Landschaft gehen würde. Denn wenn ein offensichtlich gemeingefährlicher Irrer in einer Demokratie gegen jede Erwartung mehrheitsfähig wird, stimmt etwas Grundsätzliches mit der "normalen" Politik nicht. Nur, der politische Mainstream sitzt bis heute auf einem viel zu hohen Roß, um den Gedanken auch nur in Betracht ziehen zu können, daß man selbst irgendetwas falsch gemacht haben könnte, solange man sich genausogut über die Dummheit der Wähler entsetzen kann - ebenfalls ein Symptom dafür, daß etwas nicht stimmt.
Die Gründe, die dazu führten, daß ein gemeingefährlicher Irrer wie der überhaupt gewählt werden konnte, bestehen somit weiterhin, und das Gefährliche daran ist, daß sich nach wie vor kein Mensch auch nur dafür interessiert, was für Gründe das sind, geschweige denn, daß man ihnen zu Leibe rücken wollte.
Ungefähr dieselben Gründe sind meiner Meinung nach auch maßgeblich dafür verantwortlich, daß auch im Fall von Corona unserer Regierung so viel Mißtrauen entgegenschlägt, und obwohl es hier noch um eine erheblich kleinere Minderheit als die Trump-Wähler geht, würde ich doch empfehlen, die Sache jetzt ernst zu nehmen, nicht erst, wenn diese Einstellung mehrheitsfähig geworden ist. Wenn es eine Sache gibt, die ich an der Corona-Protest-Bewegung nämlich sehr wohl verstehen kann, dann ist es ihr Mangel an Vertrauen in die Entscheidungsträger, und ihre Sorge, daß hinter den Maßnahmen klammheimlich irgendwelche anderen Süppchen gekocht werden, ist durchaus berechtigt. Gelegenheit macht bekanntlich Diebe, und eine Seuche kann auch für manche Leute eine gute Gelegenheit sein, beginnend mit Betrügern, die Soforthilfe abkassierten, über Händler, die nicht nur an Masken, sondern auch bei Hefe, Klopapier und Mehl versuchten, die Leute abzuzocken, bis hin zur Automobilindustrie und ihren Zulieferern, die Corona bestimmt für eine Art Gottesgeschenk gehalten haben. Was für eine Gelegenheit, um Umstrukturierungen (einschließlich Entlassungen und Werkschließungen) durchzukriegen, die sie nicht wegen Corona, sondern wegen der Branchenkrise, die schon letztes Jahr spürbar gewesen ist, haben wollten, aber unter normaleren Voraussetzungen kaum durchgesetzt hätten! Wir können von Glück sagen, daß wir aus demographischen Gründen nicht mehr im selben Maße wie früher auf den Erhalt von Industriearbeitsplätzen im klassischen Sinne angewiesen sind, um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Ich bin überzeugt davon, daß sich die Automobilindustrie gerade strukturell auf Kosten des Steuerzahlers saniert und Corona nur als willkommenen Vorwand nutzt.
In der Politik haben wir keine Heiligen, sondern einen Spiegel unserer gesamten Gesellschaft, also wäre es merkwürdig, wenn da nicht die ebenfalls eine oder andere Interessengruppe auf der Krise ihr jeweils eigenes Süppchen zu kochen versuchen würde.
Worin die Verschwörungstheoretiker allerdings völlig falsch liegen, ist der Umkehrschluß, daß Corona dann wohl harmlos oder gar nur erfunden oder wenigstens maßlos aufgebauscht worden sein müsse. Das ist viel zu kompliziert gedacht. Manipulation erfolgt in der Regel opportunistisch und nutzt die Gegebenheiten, die eben gerade vorhanden sind. Solche Gegebenheiten erst selbst mittels einer Verschwörung herzustellen, erfordert viel zu viel Vorarbeit und zeigte in der Geschichte selten auch nur ansatzweise die erhofften Wirkungen. Ich bin ziemlich überzeugt davon, daß groß angelegte Verschwörungen der Größenordnung, in der es um die Weltherrschaft oder ähnliches geht, die mehr als ein halbes Dutzend Mitwisser haben und länger als ein halbes Jahr Vorarbeit erfordern, unweigerlich zum Scheitern verurteilt sind.
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn jetzt die Infiziertenzahlen wieder steigen, denn nichts ist eindrucksvoller als die Konfrontation mit der Realität. Je mehr Menschen Corona-Infizierte in ihrem eigenen Bekanntenkreis haben, desto weniger Verbreitung finden Verschwörungstheorien. Der Fall, in dem jemand tatsächlich nur einen einzigen Infizierten im Bekanntenkreis kennt, ist wohl eine Seltenheit: Entweder man kennt gar keinen oder gleich mindestens ein Dutzend, das liegt ja in der Natur der Sache, wenn es um hochansteckende Viren geht. Je mehr Infizierte man aber kennt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß sich darunter auch einer befindet, der davon berichten kann, daß seine Krankheit mit einer "harmlosen Grippe" überhaupt nicht zu vergleichen gewesen ist.
Das Problem dabei besteht darin, daß steigende Infiziertenzahlen natürlich auch wieder zu mehr schweren Krankheitsverläufen und mehr Todesfällen führen, auch wenn ich davon ausgehe, daß wir nicht noch einmal einen so dramatischen Anstieg bei den Todesfällen erleben werden wie im Frühjahr - mittlerweile wurden so viele wichtige Erfahrungen bei der Behandlung gesammelt, daß Fälle, die im Frühjahr noch ein tödliches Ende genommen hätten, jetzt oft gut behandelt werden können. Eine Unbekannte ist im Moment aber noch, ob es im Winter nicht nur mehr Infektionen, sondern auch wieder schwerere Krankheitsverläufe geben wird, die unsere Erfahrungswerte der letzten Monate doch wieder auf den Kopf stellen werden.
Die Bundesregierung befindet sich in einer Zwickmühle: Das von Frau Merkel verkündete Ziel, das Leben jedes einzelnen Bürgers um fast jeden Preis vor Corona zu bewahren und dies mit dem Wert des einzelnen Menschenlebens zu begründen, war zwar ethisch untadelig, ist in der Realität aber gar nicht durchzuhalten, und das haben auch genügend Leute intuitiv begriffen, weshalb es zum meist gar nicht direkt ausgesprochenen Bestandteil der Anti-Coronamaßnahmen-Polemiken wurde, etwa bei dem Argument, die Therapiemaßnahmen schädigten das Leben von mehr Menschen als die Krankheit selbst. Dabei berufen sie sich auf die immer noch recht geringe Zahl an Todesfällen, wobei es mir auffiel, daß die Definition von "gering" sich im Lauf der Monate immer an die jeweils gerade aktuelle tatsächliche Zahl an Todesfällen angepaßt hat. Als ich im März mit einem Kollegen über Corona diskutierte, hätte er die heutige Zahl von nunmehr fast 10.000 Corona-Todesfällen für eine groteske Übertreibung gehalten, an deren Eintreffen er nicht geglaubt hätte. Aber von den einschlägigen Experten wird auch diese Zahl längst als Grundrauschen deklariert, also als Todesfälle, die ohnehin bald und durch Corona allenfalls ein paar Wochen früher erfolgt sind.
Was dabei stillschweigend unter den Tisch fällt, ist, daß es, hätten diese Leute sich im Frühjahr durchgesetzt, natürlich nicht um 10.000, sondern um mindestens 60.000 Tote innerhalb von sieben Monaten gegangen wäre (hochgerechnet am Beispiel des vielgelobten Schwedens). Zuzüglich natürlich auch noch der Todesfälle, die im Lauf von Herbst und Winter noch zu erwarten sind - einschließlich der Todesfälle, die ohne Maskenpflicht und andere Maßnahmen noch hinzugerechnet werden müssen. Dafür dürfte bei einer "Schlußabrechnung" auch wieder das Beispiel Schweden einen ganz guten Vergleich bieten.
50.000 Todesfälle hin oder her, das ist auch bei 950.000 unter normalen Umständen zu erwartenden Todesfällen eine ganz schöne Menge; knapp über fünf Prozent.
IIn letzter Zeit dachte ich manchmal an den Schweizer Professor der Immunologie im Ruhestand Beda M. Stadler, der im Juni folgendes prophezeit hatte:
Das Virus ist erst mal weg. Wahrscheinlich wird es im Winter zurückkommen, das wird aber keine zweite Welle sein, sondern eben eine Erkältung. Wer als gesunder junger Mensch derzeit mit einer Maske herumläuft, sollte deshalb gescheiter einen Helm tragen, da das Risiko, dass einem etwas auf den Kopf fallen könnte, größer ist als eine schwere Erkrankung mit Covid-19.
Das ist pointiert formuliert und war mutig aus dem Fenster gelehnt, da man Stadlers Prophezeiung ja spätestens nächstes Frühjahr an dem messen kann, was tatsächlich geschehen wird. Und von Juli bis September schien es tatsächlich, als sollte er recht behalten, denn die Infektionszahlen stiegen zwar an, aber die Zahl der Intensivpatienten wie der Todesfälle blieb niedrig. Das ändert sich gerade, und wie sehr diese Zahlen ansteigen werden, bleibt einstweilen noch abzuwarten.
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Update 19.10.:
Der aktuelle Lagebericht für die Schweiz dürfte Professor Stadler einige Kopfschmerzen bereiten, denn was darin zu lesen ist, sieht gar nicht nach einer harmlosen Erkältung aus, zu der Corona in der zweiten Welle angeblich mutieren werde. Die Anzahl der neuen Krankenhausbehandlungen hat sich in der Schweiz zwischen KW 40 und KW 41 fast verdoppelt, und nur ca. ein Viertel der Behandelten gehört der Altersgruppe ab 80 Jahren an.
Obwohl in KW 41 sowohl die Zahl der positiven Tests als auch der Anteil der positiven Tests an allen Tests (trotz einer Zunahme der Anzahl der Tests) mehr oder weniger durch die Decke gegangen ist, war das doch noch, bevor die Sieben-Tages-Inzidenz sich in KW 42 gegenüber der Vorwoche auf das Drei- bis Vierfache nach oben schoss, das heißt, im nächsten Wochenbericht ist mit einem hohen Anstieg der Krankenhausbehandlungen und allmählich auch wieder der Todesfälle zu rechnen.
Die Schweiz hat schon jetzt gemessen an der Einwohnerzahl eine doppelt so hohe Corona-Sterblichkeit wie Deutschland zu verzeichnen.
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An einer Stelle enthält das Zitat aber eine in einer Polemik versteckte grobe Fehlinformation, mit der Stadler - den ich eigentlich schätze - mich als Sympathisantin mit gutem Willen, seine Argumente nachzuvollziehen, verloren hat: Die Maske soll nicht den Träger vor der Ansteckung durch andere schützen, sondern umgekehrt alle anderen vor etwaigen Viren des Maskenträgers. Auf sein Vergleichsbeispiel mit dem Helm bezogen: Niemand wird durch das Tragen eines Helms daran gehindert, jemand anderen mit einem Stein zu bewerfen, es macht somit einen Radaubruder keineswegs für andere ungefährlicher, wenn man ihn dazu bringt, aus Selbstschutzgründen einen Helm aufzusetzen.
In Zusammenhang damit machte mir außerdem ein Satz aus dem nächsten Absatz gewaltige Kopfschmerzen.
Um der Pandemie Herr zu werden, reiche eine Strategie aus, die sich auf den Schutz der über 65-jährigen Risikopersonen beschränke.
Stadler schweigt sich darüber aus, wie er sich das in der Praxis vorstellt, und das mit gutem Grund, denn welche Ideen er auch immer dazu vorbringen würde, damit würde er vermintes Gelände betreten. Denn sollen vielleicht die Innenstädte anstelle einer Maskenpflicht im Freien auf ein Betretungsverbot durch Senioren umschwenken, damit die gesunden jungen Leute keine Masken tragen müssen, aber trotzdem die Risikopersonen geschützt werden? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Stadler nicht bewußt ist, daß seine angebliche Lösung in Wirklichkeit in die Kategorie "Wohlfeile unerfüllbare Forderungen" gehört, und das nehme ich ihm übel.
Wie sollte es denn nämlich in der Praxis umgesetzt werden, Alte und Kranke und sonstige Risikopersonen zu schützen, ohne daß deren jüngere Angehörige, Pflegekräfte, ihre Putzfrau sowie Freunde und Nachbarn (aller Altersgruppen) und wer sonst mit ihnen zu tun hat sich aktiv an diesem Schutz beteiligen müßten?
Daß freiwillige Lösungen in diesem Fall tatsächlich in der Praxis nicht funktioniert haben, dafür bietet Schweden das beste Beispiel, wo trotz der erklärten Absicht, die Risikogruppen besonders gut zu schützen, die Stockholmer Pflegeheime genauso stark von den Infektionen betroffen waren wie in den Katastrophenregionen in Italien und Spanien, obwohl Schweden gegenüber diesen beiden Ländern den unschätzbaren Vorteil gehabt hatte, auf das Virus und was mit ihm zu erwarten war, vorbereitet zu sein. Hier wurde wahrscheinlich von den falschen Leuten mehr freiwillige Verzichtleistung erwartet, als man ihnen billigerweise hätte zumuten können. Pflegekräfte haben nicht nur Familienangehörige, die eine Infektion vom Arbeitsplatz oder aus der Schule nach Hause mitgebracht haben können. Auch Pflegekräfte haben nach Feierabend aber natürlich genauso wie andere Leute das Bedürfnis nach Kontakten, Gesprächen, einem Gläschen Wein oder Bier in einem Lokal, nach einem Konzert oder Kinobesuch.
Zur Isolation der Risikogruppen gehört somit zwingend auch eine Isolation all derjenigen, die mit ihnen in Kontakt stehen. Egal, wie jung und gesund diese Leute sind.
Warum aber - und das wäre in diesem Fall ebenfalls zwingend - ausgerechnet die Beschäftigten in den kräftezehrenden und schlecht bezahlten Pflegeberufen für ihren auch unter Normalbedingungen physisch und psychisch anstrengenden Einsatz durch ein Ausgehverbot bestraft werden sollen, nur um allen anderen ihr ungehindertes Vergnügen zu verschaffen, sehe ich überhaupt nicht ein. Es gibt nämlich einen Grund dafür, warum in diesen Berufen schon vor Corona ein handfester Fachkräftemangel bestanden hatte: Die Arbeit ist anstrengend, schlecht bezahlt und es fehlt ihr an gesellschaftlichem Ansehen. Nunmehr riskieren genau diese Leute auch noch ihre Gesundheit für ihren Beruf, denn das Ansteckungsrisiko am Arbeitsplatz ist in kaum einem anderen Beruf so hoch wie in der Pflege. Wie kann man also implizit - denn darauf läuft Stadlers Forderung ja, näher betrachtet, zwingend hinaus - gerade dieser Berufsgruppe eine Art "Freizeitvergnügungsverbot" verschreiben wollen?
Ich könnte jede Altenpflegerin und jede Krankenschwester verstehen, für die alleine schon eine ernst gemeinte öffentliche Diskussion solcher Zumutungen Auslöser für eine fristlose Kündigung ihres Jobs und das Umsatteln in einen ganz anderen Beruf wäre. Wer aber pflegt dann eigentlich die Alten und Kranken? Und welchen Einfluß hätte eine Verschlechterung der Pflegesituation nicht nur auf die Corona-, sondern auf alle Krankheitsverläufe?
Kurz zusammengefaßt:
Ich halte es für einen zwingenden Akt gesellschaftlicher Solidarität mit den Pflegekräften, von ihnen keine Verzichtleistungen zu verlangen, die man selbst so unangenehm findet, daß man dagegen sogar Protestmärsche organisiert. Daraus folgt dann aber ebenso zwingend, daß dann eben wir alle diese Verzichtleistungen erbringen müssen, seien sie uns unangenehm oder nicht.
Es hilft alles nichts, dieser Winter wird noch nicht viel normaler werden, als es Frühling und Sommer gewesen sind, und zwar für uns alle - und das ist vielleicht nicht gerade gut so, aber es ist jedenfalls richtig so. Über den Sinn und Nutzen dieser oder jener mit Corona begründeten Maßnahme kann und sollte aber schon diskutiert werden, sofern es in diesem Punkt berechtigte Einwände gibt. Es ist ein zusätzliches Ärgernis, daß die Diskussionen so häufig nur um die Frage kreisen, ob Corona wirklich gefährlich oder doch ganz harmlos ist, so als ob das letztere bewiesen werden müßte, um irgendeine ganz bestimmte Maßnahme für falsch zu halten.
Ich vermute, ab nächstes Frühjahr werden wir eine Normalisierung der Verhältnisse erleben, aber natürlich wird diese sich entwickelnde Normalität nicht in jedem Einzelpunkt haargenau so sein wie vorher. Manchem, das vorher anders war, wird man nachtrauern, anderem aber nicht.
Eine eindeutig nicht zu betrauernde Entwicklung betrifft den Wohnungsmarkt. Die Zahl der angebotenen Mietwohnungen in meiner Stadt bei Immoscout hat sich nämlich von April bis heute mehr als verdreifacht und liegt nun auf einem seit dem Jahr 2000, als ich angefangen habe, mich mit diesem Thema zu befassen, noch nie dagewesenen Allzeit-Hoch; sie steigt außerdem immer noch weiter an. Die Preisvorstellungen sind mehrheitlich zwar immer noch ziemlich absurd, aber es finden sich durchaus auch wieder Angebote darunter, die akzeptabel sind. Noch auffallender finde ich, daß die Nachfrage für das, was heutzutage unter der irreführenden Bezeichnung "WG-Zimmer" angeboten wird (möblierte Zimmer in Wohnungen, die vom Vermieter zimmerweise vermietet werden), ins Bodenlose gesunken ist. Das Verhältnis Gesuche zu Angebote liegt seit mehreren Monaten bei 1:10. Bei dieser Art von Wohnraum geben die Preise mittlerweile auch tatsächlich erkennbar nach.
Das stimmt mich optimistisch, daß auch der Immobilienmarkt sich mit Zeitverzögerung, vielleicht ja auch schon einsetzend im nächsten Frühjahr, wieder entspannen wird. Was nämlich auch fast allen Experten nicht klar ist: "Kapitalanleger" dieser Art waren in den letzten Jahren in besonderem Maße dafür mitverantwortlich, daß sich die Wohnungskaufpreise in immer irrsinnigere Höhen geschraubt haben. Ich habe das selbst nicht gewußt, bis ich letzten Herbst eine meiner Wohnungen verkauft habe. Drei Viertel meiner Kaufinteressenten kamen aus diesem Bereich, und damit hätte ich nie im Leben gerechnet, weil ich diese Vermietungsform trotz der Mietpreisbremse, die sie zur einzigen wirklich lukrativen Kapitalanlagemöglichkeit für Immobilien machte, wegen des hohen Aufwands, der dafür getrieben werden muß, immer noch für einen kleinen Nischenmarkt gehalten hatte.
Meine Wohnung - eine 1,5-Zimmer-Wohnung - war für diese Art von Vermietern noch nicht einmal besonders gut geeignet, und das ergab sich auch schon aus der Beschreibung. Wenn sie aber schon für so ein Objekt Schlange stehen, muß ihre Rolle bei den klassischen Drei-Zimmer-Wohnungen als noch wichtiger eingeschätzt werden. Und gegen die Kaufpreise, die durch diese Art von Renditekalkulation möglich sind, kann natürlich ein normales Ehepaar mit Kind nicht mehr anstinken.
Der Markt wird es nun wohl richten, denn die Zimmerpreise, mit denen letztes Jahr beim Wohnungskauf noch kalkuliert werden konnte, bekommen die Käufer jetzt von ihren Mietern natürlich nicht mehr. Einstweilen, vermute ich, hoffen die meisten noch darauf, daß nach dem Ende des Corona-Spuks wieder alles wie früher werden wird. Aber der große Erfolg dieses Vermietungsmodells in den letzten Jahren beruhte auf einem Mangel an Wohnraum, der so extrem war, daß er viele Mieter, die eigentlich viel lieber in eine abgeschlossene Wohnung gezogen wären, auf solche Zimmer ausweichen ließ. Der Rückstau an Wohnungssuchenden, aus denen sich ein Großteil der Mieter dieses Modells rekrutierte, löst sich aber gerade nach und nach auf.
Die Goldgräber-Phase der WG-Zimmer-Vermietung dürfte damit zu Ende sein; dieses Branchensegment wird künftig kleinere Brötchen backen müssen, und deshalb werden solche Leute zunächst damit aufhören, den Immobilienmarkt zu Phantasiepreisen leerzukaufen, und wahrscheinlich im Lauf der Zeit auch wieder einen Teil ihrer Objekte verkaufen, die sich als nicht rentabel vermietbar erweisen.
Ich kann nicht behaupten, daß mir das leidtäte, obwohl meine Immobilien bei dem dabei zu erwartenden Preisrückgang ebenfalls an Verkaufswert verlieren werden. Aber verkaufen will ich sie ja gar nicht, und als anständiger Vermieter muß man sich für solche Profiteure der Notlage anderer ja in Grund und Boden schämen.
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