Freitag, 24. Januar 2020

Wissenschaftspopulistischer Bullshit

Mein Gewicht heute morgen zu Beginn des letzten Fastentags der Woche: 102,1 Kilogramm, ein bißchen mehr, als ich erwartet hatte. Morgen rechne ich nur mit viel Glück mit einem Unterschreiten der 100-Kilo-Grenze. Bedenkt man aber, daß meine blöde Waage mich, nachdem ich im letzten Post noch großmächtig verkündet hatte, die 104 wolle ich jetzt nie wiedersehen, am Montag mit einem völlig unerwarteten Startgewicht von 104,2 Kilogramm frustriert hatte, lief die Woche so übel auch wieder nicht. Da ich nächste Woche wieder dreimal faste (mein Mann hat nach der notfallmäßig übernommenen nun auch noch seine reguläre Spätschicht) und damit am Wochenende nur zwei Tage lang normal esse, hoffe ich jetzt darauf, daß der Durchbruch nach unten eben dann stattfinden wird. Irgendwann muß er ja kommen, denn ich merke ja, daß sich mein Körper weiter verändert.

Diese Woche fand meine Abnahme an beiden Fastentagen wahrnehmbar um die sich langsam endlich deutlicher abzeichnende Taille herum statt. Das war richtig auffallend. Was mir ebenfalls aufgefallen ist, sind die in allen möglichen Situationen auf einmal ausgeprägteren Schlüsselbeine - bis vor ca. zwei Wochen war ich mir ihrer Existenz noch nicht einmal so richtig bewußt, jetzt machen sie plötzlich bei allem möglichen Gelegenheiten auf ihre Anwesenheit aufmerksam. Meine Oberweite hat sich nicht verändert, aber mir sind im Liegen meine unteren Rippen seit ungefähr vorgestern dauernd im Weg, wenn ich mich bewege. Ich nehme an, unter den Rippen ist weniger "Füllung" vorhanden, aber die Knochen müssen erst noch "nachrutschen", und sobald das geschehen ist, werde ich obenerherum wohl auch wieder weniger geworden sein. Auf dieselbe Weise hat sich das Schrumpfen an dieser Stelle jedenfalls bislang immer vorangekündigt - und ich freue mich darauf, nicht zuletzt deshalb, weil ich mich dazu habe hinreißen lassen, mir eine rote Kunstlederjacke zu kaufen, die mir momentan noch ein bißchen zu eng ist. (Den Reißverschluß krieg ich zwar zu, aber ich sehe darin noch aus wie die Wurst in der Pelle.) Bis spätestens zum Frühjahr will ich die aber tragen können!


Was mich im Moment beschäftigt, ist der Widerspruch, der zwischen "Fakten" und "Realität" auftreten kann und die Frage, warum miteinander in Kombination gebrachte Fakten und was aus ihnen vermeintlich zu schlußfolgern sei, so oft mantraartig nachgebetet werden, obwohl das erkennbar keinen Sinn ergibt. Auslöser war dieses Tweet mit dem Hashtag #EUFAKTENFREITAG:



Das Statistische Bundesamt bestätigt diese Fakten, jedenfalls auf den ersten Blick betrachtet. Aber spiegeln sie auch die Realität wider? Eigentlich müßte nämlich schon folgender Satz dabei zu denken geben:
Von den 344 524 Menschen, die an einer Herz-/Kreislauferkrankung verstarben, waren 156 177 Männer und 188 347 Frauen.
Soll der Tweet dann also bedeuten, daß Ernährung und Lebensstil bei Frauen besonders zu wünschen übrig lassen? Aber warum werden Frauen dann durchschnittlich mehrere Jahre älter als Männer?

Wirft man dann noch einen Blick in die statistischen Daten, der diese Meldung zugrundeliegt, erlebt man den nächsten Aha-Effekt. Von den 474 507 verstorbenen Frauen waren fast die Hälfte, nämlich 232 374, im Alter über 85 Jahren verstorben. Und die weitaus häufigste Todesursache in dieser Altersgruppe, nämlich bei mit 117 947 Personen knapp über der Hälfte, waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Oder jedenfalls war das Ursache, die auf der Todesbescheinigung angegeben wurde und deshalb in die Statistik mit eingeflossen ist. Aber die Qualität der Todesbescheinigungen in diesem Land ist dramatisch schlecht. Bis zu 90 Prozent sollen fehlerhaft sein. Aus persönlicher Erfahrung kann ich das für den einzigen Todesfall, der bislang in meinem Haushalt stattgefunden hat, bestätigen; der Totenschein enthielt als Todesursache absurderweise "Exitus letalis", was man in etwa als "Tod durch Versterben" (wörtlich "tödlicher Ausgang") übersetzen könnte.

Und in diesem Fall ging es um eine Person, die erst 52 Jahre alt und trotz vorhandener Vorerkrankungen völlig unerwartet verstorben war! Wir haben uns damals auf eigene Kosten zu einer Obduktion entschlossen, um Klarheit über die Todesursache zu bekommen. Wenn aber schon in solchen Fällen niemand sich so richtig für Todesursachen interessiert, was ist dann eigentlich bei den Totenscheinen der Altersgruppe über 80 zu erwarten, zumal wenn der Verstorbene schon länger hinfällig gewesen ist und mit seinem Tod in absehbarer Zeit gerechnet werden konnte?

Ich habe mich eine Zeitlang sehr für Familienforschung interessiert und dabei auch die Totenregister in alten Kirchenbüchern ausgewertet, in denen ebenfalls die Todesursachen angegeben waren. Damals behalf man sich auch normalerweise mit einer Handvoll Todesursachen, die für bestimmte Altersgruppen typisch waren. Die Kleinkindersterblichkeit war damals noch sehr hoch, und in solchen Fällen war in sicherlich 90 Prozent der Fälle "Febris bilosa" (Gallenfieber) als Todesursache angegeben. Bei den relativ wenigen Fällen von über 70jährigen Verstorbenen stand meistens "Altersschwäche".

Wenn auf einem Totenschein heute Herz-Kreislauf-Erkrankungen angegeben sind, bedeutet das ziemlich häufig nichts weiter als das damalige "Altersschwäche": Der Arzt sieht (verständlicherweise) keinen so richtigen Sinn darin, der Todesursache näher auf den Grund zu gehen. Es ist eine Verlegenheitsdiagnose, weil man "Altersschwäche" heute nicht mehr als Grund des Todes akzeptiert.

Darüber könnte man nun ins Philosophieren geraten. Wird damit nicht sogar der Tod als unweigerliches Ende des Lebens geleugnet? Ich bin sonst kein Freund solcher Vokabeln wie "Leugner", aber in diesem Fall fände ich sie passend. Denn trotz aller erfolgreichen Bemühungen um Lebensverlängerung ist eine wirkliche Abschaffung des Todes nun einmal nicht zu erwarten, also warum muß unbedingt der Eindruck vermittelt werden, das wäre anders? Auch der gesündeste Lebenswandel bewirkt kein ewiges Leben, und wer einen anderen Eindruck vermittelt, der bestreitet eine hieb- und stichfest beweisbare Tatsache, die sich dadurch beweisen läßt, daß noch niemand auf Dauer dem Friedhof entgangen ist.

Nur Jopie Heesters hat mich eine Zeitlang daran zweifeln lassen, daß dies wirklich jedem passiert. Aber gerade der ist zum einen kein passendes Beispiel für ein besonders langes Leben durch einen besonders gesunden Lebensstil 😉 und zum zweiten sieht man gerade an besonders langlebigen Menschen, daß sie zwar oft geistig jung geblieben sind, aber körperlich eben nicht: Heesters war in seinen letzten Lebensjahren blind. Drittens ist er dann am Ende im Alter von 107 Jahren doch gestorben.

Der Tod als naturgegebenes Ende des Lebens erfolgt, weil die Stoffwechselfunktionen des menschlichen Körpers sich ab einem gewissen Alter verschlechtern, und auch wenn es gelingen sollte, sie durch "richtiges" Verhalten so zu optimieren, daß es länger dauert, bis die Verschlechterung den Punkt erreicht, daß die inneren Organe darunter zu leiden beginnen, so ist doch auch dann irgendwann der Punkt erreicht, an dem ein erstes Organ so in Mitleidenschaft gezogen wird, daß die Folge eine Erkrankung ist, und dann auch oft in einer Art Kettenreaktion auf einmal alle anderen Organe, die ja auch nicht jünger und nicht mehr im Vollbesitz ihrer Leistungsfähigkeit sind, an die Grenzen ihrer noch vorhandenen Fähigkeiten gebracht werden. Welches der Organe am Lebensende - egal ob nun mit 70 oder 80 oder 90 oder 100 Jahren - als Erstes ganz die Arbeit einstellt, ist wohl bis zu einem gewissen Grad Zufall. Der Grund dafür ist aber das, was in früheren Zeiten letztlich von der Sache her korrekter als "Altersschwäche" bezeichnet wurde.

Die vermeintlichen Fakten in obigem Tweet, der Zusammenhang nämlich zwischen einer falschen Lebensweise und dem hohen Anteil an Herz-Kreislauf-Leiden unter den Todesursachen, sind in Wirklichkeit eine Fiktion. Damit es anders wäre, müßte erstens die Statistik korrekte Angaben enthalten, was aber angesichts der Mängel bei den Totenscheinen nachweislich nicht der Fall ist. Zweitens würde der Eindruck, der hier erweckt wird, auch dann ein falsches Bild erzeugen, wenn die Totenscheine zutreffend wären. Die 37 % aller im Jahre 2017 Verstorbenen, die es mit Herz/Kreislauf gehabt hatten, machen ungefähr 345.000 Todesfälle aus. Alleine die Fälle bei über 85jährigen Frauen machen somit schon mehr als ein Drittel ALLER an Herz-Kreislauf-Erkrankungen Verstorbenen aus. Nehme ich nun noch die Altersgruppe zwischen 80 und 85 sowie auch die Männer über 80 hinzu, dann machen diese Hochbetagten ungefähr 230.000 dieser Todesfälle aus, und damit umfassen diese Altersgruppen zwei Drittel aller dieser Todesfälle.

Warum sollte man aber ausgerechnet bei Hochbetagten einen krankmachenden Lebensstil vermuten, nachdem sie ein so hohes Alter erreichen konnten? Implizit wird das in diesem Tweet behauptet, wenn auch nicht mit Absicht, denn eigentlich war es wohl eher dazu gedacht, in den Lesern ein Bild von Mittfünfzigern zu erwecken, die eines gräßlichen und vermeidbaren Herztodes gestorben sind, weil sie ihre Gesundheit mißachtet und ihr vorzeitiges Ableben somit fahrlässig selbst herbeigeführt hatten. In Wirklichkeit bezeichnet ein hoher Anteil an Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen an allen Todesfällen aber gar nichts Alarmierendes, sondern ist in Kombination mit einer weiterhin steigenden Lebenserwartung eine gute Nachricht: Eine Mehrheit der Bevölkerung ist dann nämlich nicht in jungen Jahren an Infektionskrankheiten oder im Zeitraum zwischen den mittleren Jahren und Ende sechzig an Krebs oder Diabetesfolgen verstorben, sondern hat so lange gelebt, bis die "Verschleißteile" im Körperinneren durch überdurchschnittlich langen Gebrauch so verschlissen waren, daß sie ihre Funktion einstellten.

Genau diese Art von Tod wünsche ich mir selbst eines Tages ... eines möglichst fernen Tages, versteht sich. Gerne ohne Vorwarnung in der Version "Einschlafen und einfach nicht wieder aufwachen" oder alternativ von mir aus auch "Plötzlich umfallen und tot sein". Wenn es die Pumpe ist, die nicht mehr mitmacht, habe ich auf diese Art von "Exitus letalis" weitaus größere Chancen als bei einer ganzen Reihe von anderen möglichen zum Tode führenden Krankheiten. Gesund sterben werde ich ja genausowenig wie jeder andere.

Mein Mangel an Ehrfurcht vor a) Experten und b) Medien kommt davon, daß ich nahezu täglich solche groben Fehler in der Logik der behaupteten Zusammenhänge mit bloßem Auge und normalem Laienverstand entdecke, die somit entweder nicht bemerkt oder vielleicht sogar absichtlich verbreitet wurden. Und genau deshalb bekomme ich stechende Kopfschmerzen, wenn in solchen Behauptungen dann auch noch der Begriff "Fakten" suggeriert, hier habe man es mit Angaben zu tun, denen man vertrauen könne. Fakten sollten nur in einer Form verwendet werden, mit der man zumindest ehrlichen Herzens und nach gewissenhafter Prüfung des Sachverhalts versucht hat, die Realität korrekt wiederzugeben. Andernfalls sind sie genau das, wogegen man angeblich mit Fakten am besten ankämpfen kann ... Fakemeldungen. Etwas polemischer ausgedrückt: Wissenschaftspopulistischer Bullshit. Vorgebracht oft von denselben Leuten, die andererseits gar nicht genug über Homöopathie und andere Quacksalbereien zu zetern wissen und in Schnappatmung verfallen, wenn auch nur das kleinste Detail ihrer Begründung für das Zetern angezweifelt wird.

Ich bin kein Homöpathie-Anhänger, aber wenn ein von mir als solcher erkannter Lügner mit dem Finger auf andere zeigt und sie in schrillstmöglichen Tönen der Lüge bezichtigt, muß ich schon meinen gesamten gesunden Menschenverstand zusammennehmen, um nicht automatisch diese anderen - also in solchen Fällen die Homöopathen - für glaubwürdig zu halten. Noch vor zwanzig Jahren hätte dieser Reflex bei mir wohl funktioniert; inzwischen bin ich reicher an Lebenserfahrung geworden und weiß, daß in solchen Kontroversen immer beiden Seiten nicht über den Weg zu trauen ist.

Das alles soll natürlich niemanden daran hindern, einen Lebensstil und eine Ernährung zu pflegen, von der er der Meinung ist, daß sie seiner Gesundheit guttut. Welche das sind, sagen einem zum einen die Reaktion des eigenen Körpers, zum anderen aber auch die Nebenwirkungen, die sie mit sich bringen. Eine vermeintlich gesunde Lebensweise, die einen einsam macht, ist kaum gesünder als eine, in der Geselligkeit auf Kosten der Gesundheit betrieben wird, sie macht bloß viel weniger Spaß. Denn Einsamkeit gilt als vergleichbar gesundheitsgefährdend wie Rauchen. Auch zu viel Angst vor einer ungesunden Ernährung kann aus sich selbst heraus krank machen. Außerdem ist keine Theorie, die hinter einer Lebensstil- bzw. Ernährungsumstellung steckt, wichtig genug, um unbedingt zu 100 Prozent umgesetzt werden zu müssen. Das Pareto-Prinzip ist auch in diesem Bereich eine ganz gute Richtschnur. 80 Prozent vom theoretisch erreichbaren Ideal reichen normalerweise völlig aus und sind sehr viel einfacher zu erreichen als hundert Prozent.

Genau deshalb bin ich auch so glücklich mit dem Intervallfasten: Es ist so schön einfach. Es kostet mich keine Zeit, kein Geld, ich muß mein Hirn nicht mit "erlaubten" und "verbotenen" Lebensmitteln belasten oder mir ständig Dinge selbst verbieten, die ich eigentlich gerne essen würde, habe ausreichend Zeit, mich mit interessanteren Dingen als meiner Ernährung oder langweiligen Leibesübungen zu befassen, und ich kann jederzeit einen Fastentag einfach streichen, wenn er mir den Spaß an irgendwas verderben würde.

Niemand kann mich außerdem sabotieren, weil die eigentliche Sabotage beim Abnehmen ja immer aus einem selbst kommt: Eigentlich würde ich ja gerne, nur darf ich nicht, eigentlich müßte ich, aber ich würde es so viel lieber bleibenlassen ... Ich darf aber alles, ich muß nichts, und kein geheimnisvoller "Ernährungsgott" (wie auch immer er im Einzelfall bezeichnet wird) hat die Absicht, mich mit Gewichtszunahme, Krankheit und Tod zu bestrafen, wenn ich mich nicht pausenlos mit äußerster Selbstdisziplin zu irgendetwas zwinge, das ich nicht tun will ... und das in Wirklichkeit ja auch die meisten anderen Leute nicht tun würden, wenn es ihnen nicht darum ginge, dieser auch in dem von mir widerlegten Tweet der Ernährungs-Umschau angedrohten Bestrafung zu entgehen.

Ist das Leben nicht schön?

Wenn ich jetzt noch weniger dummes Zeug über Ernährung und Gesundheit in den Medien zu sehen bekäme, wäre mein Leben fast perfekt. 😎






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