Freitag, 23. September 2022

Wie lebt es sich mit einem Schlauchmagen oder Magenbypass?

Mein Gewicht heute früh im Anschluß an den zweiten (nicht aufeinanderfolgenden) Fastentag der Woche: 84,7 Kilogramm. Am ersten Fastentag, dem Dienstag, hatte mich irgendwas Seltsames wahrhaftig wieder auf 87,5 Kilogramm hinaufkatapultiert, aber was auch immer das gewesen ist, es hat sich seitdem in Luft aufgelöst, denn mein heutiges Gewicht entspricht in etwa meinen Erwartungen für diesen Freitag. Ich gehe im Moment auch wieder davon aus, daß ich am Montag mit unter 87 Kilo in mein nächstes langes Fastenintervall starten werde. (Und falls doch nicht, dürfte es jedenfalls nun wirklich das allerletzte Mal sein.)

Ich bin am Überlegen, ob ich den nimmermüden Mike Albert auf Twitter entfolgen soll. Dass er praktisch Tag und Nacht Tweets ausstößt, hat mich schon eine Weile verwundert, und langsam frage ich mich, ob er damit nur PR für sein Unternehmen "Accomplish Health" macht, also Kundengewinnung für ein trotz aller Lippenbekenntnisse weniger patienten- als gewinnorientiertes Unternehmen betreibt. Sicherlich beeinflußt mich dabei, daß ich mich von meiner - ähnlich strukturierten - Zahnarztpraxis vor ein paar Monaten aus Unzufriedenheit getrennt habe. 

Hätte mein angestammter Zahnarzt seine Praxis nicht aufgegeben, um bei diesem Filialunternehmen Oberarzt zu werden, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dort Patientin zu werden. So was ist mir nämlich eigentlich zu "amerikanisch". Mittlerweile hat mein früherer Zahnarzt längst als Oberarzt gekündigt und - leider in einer anderen Stadt - wieder eine Einzelpraxis aufgemacht, auch der mich behandelnde angestellte Zahnarzt hat den Bettel hingeschmissen (und, wie ich hörte, seinen Beruf komplett aufgegeben, was auch immer das bedeuten mag). Das alles hätte mich vielleicht noch nicht ebenfalls vertrieben, aber der Service, anfangs eindeutig der große Pluspunkt - die Praxis war wirklich patientenfreundlich organisiert -, ist stetig immer schlechter geworden, was möglicherweise etwas mit Personalengpässen zu tun hat, aber außerdem damit, daß man aus schierer Geschäftstüchtigkeit den Teil des Services, der kostenpflichtige Zusatzleistungen wie Zahnreinigungen für Patienten besonders bequem gemacht hat, nun auf möglichst häufige Nutzung zu optimieren versucht, was für mich Unbequemlichkeiten und unnötigen Ärger bedeutet, weil ich es gar nicht einsehe, warum die mir neuerdings sechsmal im Jahr die Zähne reinigen möchten. Das alles spricht dafür, daß meine Skepsis über diese "amerikanische" Herangehensweise an ärztliche Dienstleistungen nicht ganz unberechtigt ist. Jetzt brauche ich also einen neuen Zahnarzt, und das schiebe ich nun schon seit drei Monaten vor mir her.

Vielleicht bin ich Dr. Albert gegenüber aber doch ungerecht, das US-Gesundheitswesen unterscheidet sich ja sehr von unserem, und vermutlich verhält er sich für dortige Verhältnisse ziemlich normal. Auch Dr. Fung oder Dr. Tro haben ja vergleichbare Kliniken/Praxen. Trotzdem hatte ich mich schon früher zeitweise gefragt, wann zum Teufel dieser Mann, also Dr. Albert, überhaupt Patienten behandelt, so hyperaktiv, wie er auf Twitter ist, und das könnte ja bedeuten, daß er seine ärztliche Tätigkeit im Vergleich zu seiner PR-Rolle von vornherein als nachrangig auffaßt. Das hat vor allem deshalb ein Geschmäckle, weil er auf Twitter ständig für Maßnahmen trommelt, die für seine Praxis besonders lukrativ sein müßten - nämlich auf Dauer angelegte medikamentöse Behandlung von Adipositas und bariatrische Chirurgie, die ebenfalls Dauerpatienten erzeugt. Dr. Tro, der Low-Carb-Verfechter, der ebenfalls einen verblüffend und manchmal nervtötend hohen Tweet-Ausstoß hat, erzielt bei der Patientengewinnung, auch wenn sie ihm in Scharen auf Twitter zulaufen sollten, mit Sicherheit keine solchen Gewinne wie Dr. Albert.

Andererseits verlinkt Dr. Albert manchmal eben doch interessante Studien, auf die ich ohne ihn vielleicht nicht gestoßen wäre. Das überlege ich mir also noch, ob mein Interesse an diesen Links groß genug ist, um mir ständig die Timeline mit immer wieder neuen Wiederholungen des Immergleichen zumüllen zu lassen. 

Es hat mich immerhin auf den Gedanken gebracht, mal bei YouTube, wo es eine ganze Reihe von Kanälen von Leuten gibt, die sich zu einer Magenverkleinerung entschlossen hatten, mal nach Videos zu suchen, in denen berichtet wird, wie es jemandem mehrere Jahre nach der OP geht. Ich kann nur jedem empfehlen, der selbst über eine solche OP nachdenkt oder von seinem Arzt/Ernährungsberater oder anderen unter Druck gesetzt wird, sie vornehmen zu lassen, das ebenfalls zu tun, um ein realistisches Bild von dem zu bekommen, was ein solcher Eingriff in der Praxis bedeutet, anstatt sich nur an die Hochglanzbroschüren zu halten, die solchen Leuten zweifellos in die Hand gedrückt werden. Ich setze jetzt mal keine Links, aber wer bei YouTube nach Magenverkleinerung und ähnlichen Begriffen sucht und die Ergebnisse zusätzlich nach Resümees nach zwei oder drei Jahren oder länger sichtet, findet mittlerweile das eine oder andere Video zu diesem Thema. Was gesagt wird, ist natürlich alles sehr subjektiv - aber gerade das ist besser als Hurra-Propagandavideos der einschlägigen Propagandisten geeignet, ein realistisches Bild vom zu erwartenden eigenen Leben nach einer solchen OP zu vermitteln. Auch dieses Leben wird später ja subjektiv bewertet, wenn man es selbst lebt.

Mich beschäftigt das schon, wie sehr diese OPs gerade als der Weisheit letzter Schluß gehandelt werden. Wahrscheinlich ahnen - trotz aller Aufklärungsgespräche - die wenigsten, die sich darauf einlassen, daß dies in jedem Fall eindeutig nicht dazu führen wird, daß sie endlich so sein werden wie Normalgewichtige. Das gilt nicht einmal dann, wenn sie selbst Normalgewicht erreichen und dauerhaft halten können - was meinem Eindruck nach aber sowieso nur einer Minderheit gelingt.

Man verliert nämlich durch so eine Operation wirklich meistens viel Gewicht, aber man bekommt definitiv keine attraktive Bikinifigur, sondern unschöne hängende Hautlappen, die durch Shapewear kaschiert und lange Ärmel/lange Hosen und Röcke versteckt werden müssen und die letztlich das Liebesleben stärker beeinträchtigen können als das vorherige Übergewicht. In einem der Videos erzählte eine Frau davon, wie ihr neuer Flirt, als er sie zum ersten Mal sah, wie sie eben mit 70 Kilo Abnahme durch Magenbypass nun aussah, schlagartig die Lust auf Sex verging. So etwas stelle ich mir ziemlich demoralisierend vor, aber kann man jemandem eine Reaktion, die ja physisch ist und etwas mit dem Unterschied dessen, was man aufgrund des optischen Eindrucks von der angekleideten Person zu sehen erwartet hatte, und dem, was man dann zu sehen bekam, zum Vorwurf machen?

In einem Video war eine Frau so mutig, zu zeigen, wie ihr Bauch, ihre Oberschenkel und ihre Oberarme nach einer Abnahme von 70 Kilogramm ausgesehen haben. Sie machte auch kein Geheimnis daraus, daß es ihr nicht sonderlich gefiel. Kein Wunder, daß sie sich heftig und am Ende erfolgreich darum bemühte, dies operativ gestrafft zu bekommen. Problem dabei: Diese OPs müssen echt unangenehm sein, deutlich unangenehmer als die Magenverkleinerung - jedenfalls habe ich das schon von Leuten gehört, die so eine OP hatten. Wer sich so was antut, muß schon echten Leidensdruck verspüren, und so ist es auch kein Wunder, daß eine ganze Reihe von YouTubern mit solchen Videos sich das von vornherein gespart haben - natürlich höchstwahrscheinlich eher diejenigen, bei denen das Problem etwas moderater auftrat. Die Frage ist außerdem, wieviel "normaler" man sich nach überstandener OP dann wirklich fühlt. Auch nach ihr hat man ja Narben, die halt auch nicht so schön sind, daß man sie unbedingt auf der Straße oder am Strand herzeigen möchte. 

Auch mit Normalgewicht bleibt man nach einer Magenverkleinerung "anders als andere", das sollte einem bei der Abwägung von Für und Wider einer solchen Operation von vornherein klarmachen. Sogar diejenigen, bei denen das Problem mit den Fettschürzen gering oder, echte Glückspilze, gar nicht vorhanden ist, haben aber das dauerhafte Problem, daß sie in ihrem Eßverhalten auffällig sind, unter anderem deshalb, weil sie nur kleine Portionen essen können.Vor allem im Restaurant oder bei Einladungen kann das zu peinlichen Situationen führen ("Hat es denn nicht geschmeckt?"), die einen dauernd zu umständlichen Erklärungen nötigen, die dann womöglich sogar noch falsch verstanden werden. 

Für mich wäre alleine das schon nix, das weiß ich, seit ich in meiner Low-Carb-Phase einmal einem konsternierten Wirt erklären mußte, warum ich mein Essen nur mit Salat als Beilagen wollte - ich glaube, es wären Pommes vorhergesehen gewesen. Witzigerweise war das sogar an meinem allerersten Low-Carb-Tag, und so nahm ich die Sache mit Humor, weil sie zu all dem gehörte, was an meinem Vorhaben neu und aufregend war. Aber wenn so etwas dann ständig nötig ist, würde es mir doch ziemlich auf die Nerven gehen, das ist einer der Gründe, warum ich sowohl Fastentage als auch Low-Carb-Phasen so gut wie immer verschiebe bzw. unterbreche, wenn ich irgendwo eingeladen bin.

Schwerwiegender fände ich persönlich es aber, daß viele dieser YouTuber von dauerhaften Verzichtsnotwendigkeiten bei verschiedenen Arten von Lebens- und Genußmitteln berichten, die damit zu tun haben, daß der Magenbypass dazu führt, daß der Verdauungsprozeß störungsanfälliger wird. Alkohol etwa sollte man nach einer solchen OP überhaupt nicht mehr trinken, weil man ohne den Umweg über den Magen seine Leber einer bedenklichen Belastung aussetzt - so wird das jedenfalls behauptet, und spontan klingt es für mich auch ganz plausibel. Auch davon, daß alle Arten von kohlensäurehaltigen Getränken "verboten" seien, war in einem Video die Rede - anderen Videos konnte man allerdings entnehmen, daß das nicht jeder so umsetzt. Vermutlich hängt dies vor allem davon ab, welche physischen Reaktionen der Genuß von Kohlensäure auslöst, und wenn sie bei null liegen, dürfte ja auch kein Grund mehr bestehen, darauf zu verzichten. Generell berichteten aber nahezu alle von der einen oder anderen Beeinträchtigung ihrer Verdauungssysteme, von heftigen und teils auch ziemlich häufigen Bauchschmerzen, wenn zu viel oder etwas gegessen wird, mit dem der Verdauungstrakt in seiner neuen Form nicht einverstanden ist - und es ist wohl nicht vorhersehbar, was das bei einem selbst sein wird. Eine weitere Konstante sind Unterzuckerungen und andere Mangelerscheinungen, obwohl routinemäßig supplementiert wird. 

Ganz ehrlich, ich wäre lieber bei einem BMI >50 geblieben, als mir auch nur die Hälfte von dem anzutun, wovon in diesen Videos berichtet wurde. Interessanterweise geben die Protagonisten aber durch die Bank an, sie seien immer noch froh darüber, die OP gemacht zu haben. Das hat sicherlich zwar auch etwas damit zu tun, daß man eine bereits umgesetzte Entscheidung generell positiver beurteilt, sofern sie sich nicht als glatte Katastrophe herausstellt. Ich könnte mir aber denken, daß das auch daran liegt, daß fast alle von ihnen langjährige Diät-Veteranen waren, die Diäten in Ausprägungen hinter sich gebracht haben, die ich nie gemacht hätte, die chronische Energiedefizite mit allen damit verbundenen Begleiterscheinungen aufgebaut hatten und die es sich schon lange abgewöhnen mußten, Essen und Trinken als etwas zu begreifen, das Genuß bringen soll. Sie hatten sich schon vorher jahrelang ständig irgendwelche Restriktionen auferlegt - und wenn gegen sie verstoßen wurde, war es mit dem Genuß natürlich auch nicht so weit her. So viel anders ist dann das, was sie nach der OP lebenslänglich tun müssen, also auch wieder nicht - und im Gegensatz zu den Diäten haben sie nun wenigstens das Erfolgserlebnis einer hohen Abnahme. Das ist schon ein ganz vernünftiger Grund, warum jemand, der nach einer OP erlebt, daß er diesmal seine Abnahme (weitgehend) halten kann, seine Entscheidung rückblickend gut und vernünftig findet.

Und natürlich ist der Vorteil eines niedrigeren Gewichts auf vielen Ebenen im Alltag spürbar, von den geringeren Gesundheitsrisiken ganz zu schweigen. Das bestätige ich aus eigener Erfahrung ohne Einschränkung. Es ist einfach wunderbar, mitzuerleben, wie der eigene Bewegungsspielraum sich erweitert. Drehen und Bücken, die Beine übereinanderschlagen, auf einmal am Rücken jede Stelle zu erreichen, an der es einen juckt. Das ist ein Stück Lebensqualität, und ich gönne es jedem, der glücklich darüber ist, es sich verschafft zu haben, mit welchem Mittel und zu welchen "Nebenkosten" auch immer, sofern er sie als den Preis dieser Entwicklung zu tragen bereit ist. 

Nicht zuletzt bekommt man von anderen viel positives Feedback. Sogar ich erlebe das immer wieder, obwohl ich niemanden dazu ermutige und es eher peinlich finde, für etwas gelobt zu werden, bei dem die Lobenden völlig falsche Vorstellungen von dem haben, was ich mache. Was mir aber zugegebenermaßen gut gefällt, ist die gelegentlich aufblitzende Erkenntnis, daß ich mich jetzt in der Öffentlichkeit sozusagen unauffällig bewegen kann. Ich bin tatsächlich nicht mehr "anders" - und wäre es übrigens auch dann nicht, wenn das, was sich unter meinen Kleidern befindet, zu sehen wäre: Ich unterscheide mich in dieser Hinsicht nicht nennenswert von anderen Frauen in meinem Alter (klar, daß ich jetzt das Gewicht wieder habe, das ich zuletzt mit Anfang bis Mitte 20 hatte, bedeutet natürlich nicht, daß ich auch den Körper einer Mittzwanzigerin wiederbekommen hätte) -, und das ist gibt mir eine eigenartige Genugtuung. Eigenartig deshalb, weil ich, als ich noch 60 Kilo mehr wog, an diesen Aspekt der Sache keinen Gedanken verschwendet habe. Wozu sich um etwas Gedanken machen, das ohnehin nicht zu ändern ist? Es ist mir auch wirklich sehr, sehr selten passiert, daß ich von irgendwem blöd angesprochen wurde, vermutlich strahlte ich irgendetwas aus, das dazu nicht ermutigte. Aber so, wie es jetzt ist, gefällt es mir tatsächlich besser. 

Dieses "Anderssein" hat mich ja vorher mein gesamtes Leben lang begleitet. Sogar als Jugendliche, als mein Gewicht noch im Normalgewichtsbereich lag, war an mir eben doch mehr dran als an den meisten Gleichaltrigen. Ich wurde als "dick" betrachtet und empfand mich selbst als dick, und, ja, damals litt ich auch darunter. Kurioserweise habe ich aufgehört zu leiden, nachdem mein Kind zur Welt gekommen war und ich die Grundsatzentscheidung traf, mich künftig um mein Gewicht nicht mehr zu kümmern, obwohl ich erst nach meiner Schwangerschaft höheres Übergewicht entwickelt habe. 

Jetzt bin ich also zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr "anders", was mein Gewicht betrifft - denn auch wenn ich mit 85 bis 86 Kilo immer noch Übergewicht habe, falle ich mit BMI 29 in meiner Altersgruppe nicht mehr sonderlich auf. 

Außer natürlich, wenn ich Bekannte treffe, die mich schon länger nicht mehr gesehen haben. Denen fällt meine Veränderung auf, und ich werde darauf angesprochen. Das hat ungefähr vor zwei Jahren angefangen. Nahezu der einzige Grund, warum ich eingestandenermaßen doch drei Kreuze schlagen werde, wenn ich mein Zielgewicht erreicht habe, ist, daß ich dann endlich damit rechnen kann, daß sich nach einiger Zeit dann endlich alle an mein neues Aussehen gewöhnt haben, ich nichts mehr erklären und mir nicht mehr bei Komplimenten, die ich eigentlich gar nicht haben möchte, weil sie fast immer mit irgendetwas verbunden sind, das mir gegen den Strich geht, ein süßsaures Lächeln abringen muß.

Andere Leute mögen wirklich glücklich sein, wenn jemand ihre Abnahme gesehen hat und man auf sie angesprochen wird. Ich reagiere da eher ein bißchen kratzbürstig. Bei mir kann es schon mal passieren, daß ich sage: "Dafür möchte ich ausdrücklich nicht gelobt werden." (Die noch patzigere Fassung: "Dafür möchte ich von Ihnen ausdrücklich nicht gelobt werden", ist mir bislang noch nicht herausgerutscht, obwohl ich sie ab und zu schon gedacht habe.) Aber die Erleichterung, daß endlich ein Mittel gewirkt hat, die teile ich natürlich mit jedem Magenbypass- oder Schlauchmagen-Patienten, der seine Abnahme von 30, 40 oder noch mehr Kilos immer noch kaum fassen kann. Ich begreife, daß so jemand seine Entscheidung für die OP kaum in Frage stellen wird, solange die Nebenwirkungen halbwegs erträglich bleiben, und daß er denen dankbar ist, die ihn zu dieser Entscheidung ermutigt hatten.

Die Frage stelle ich mir allerdings schon, ob eine Mittzwanzigerin, die sich den Magen verkleinern lassen will, sich wirklich bewußt ist, daß die Bilder in ihrem Kopf, wie es sein wird, wenn sie endlich dank OP wieder schlank sein wird, wahrscheinlich enttäuscht werden. Sie wird nie im Freibad mit knappem Bikini so aussehen wie ihre schon immer schlanke Badetuchnachbarin. Sie wird Kleidung sorgfältig nach kaschierenden Effekten aussuchen müssen. Vielleicht wird es schmerzliche Erfahrungen mit Liebespartnern geben. Sie wird erleben, daß sie nun zwar schlank, aber deswegen noch lange nicht schön ist (schön hier als eine von außen vorgegebene Kategorie, zu der halt jeder seine Bilder im Kopf hat). Daran kann man natürlich ebenso charakterlich wachsen wie mit jedem anderen Widerstand im Leben auch - und im Grunde bietet eine Vorgeschichte mit hochgradiger Adipositas, mit der man ja auch irgendwie umzugehen lernen mußte, dafür sogar ganz günstige Voraussetzungen -, aber ich könnte mir vorstellen, daß man daran auch kaputtgehen kann, und das vor allem dann, wenn man sich von der Operation Dinge versprochen hat, die nie realistisch waren. Oder dann jedenfalls mit dem neuen Normal genauso unglücklich ist wie mit dem alten, weil es halt anstrengend ist, das, was man in Wirklichkeit ist, immer hinter einer Fassade verstecken zu müssen. 

Ein Trost dabei ist dann wohl immerhin, daß man sich wenigstens hinter einer Fassade verstecken KANN, was ja mit starkem Übergewicht ein aussichtsloses Unterfangen ist. 

OPs bieten zweifellos eine echte positive Wirkung, wenn die Gesundheit akut durch übergewichtsbedingte Krankheiten bedroht ist. Mit Low Carb oder Intervallfasten lassen sich aber definitiv vergleichbare Erfolge erzielen, und ich möchte wetten, daß die Ähnlichkeiten bei den Erfolgen (und ebenso bei den Grenzen dieser Erfolge!) etwas damit zu tun haben, daß mindestens einige Überschneidungen bei den hormonellen Wirkungen im Spiel sind. 

So weit sind die OP-Anhänger ja immerhin schon mal, daß sie begriffen haben, daß bei dem, was sie tun, Faktoren wirksam werden müssen, die unabhängig von "Weniger essen, mehr bewegen" sind. Aber als Patient muß man sich auch klarmachen, daß sie in Wirklichkeit auch nicht so genau wissen, was da abläuft, wenn sie von den hormonellen Faktoren sprechen. Diese Entdeckung, daß die Abnahme oft weit über das kalorienmäßig zu Erwartende hinausgeht, wurde ja erst nachträglich gemacht und war eher eine Zufallsentdeckung. Ursprünglich hatte man sich bei Magenverkleinerungen lediglich überlegt, daß Patienten doch abnehmen müßten, wenn sie dauerhaft nur noch wenig essen könnten. Auch Semaglutid und die anderen der neuerdings unter anderem von Dr. Albert gehypten Abnehmmedikamente waren Zufallsentdeckungen. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden diese Wirkstoffe zunächst eigentlich gegen Diabetes zugelassen.

Außerdem, und auch das gilt sowohl für Magenverkleinerung wie auch für Low Carb und Intervallfasten: Auch wenn das Körpergewicht mehrheitlich weit unter dem Ausgangsgewicht bleibt, deuten sowohl die häufige Rückkehr eines zunächst scheinbar besiegten Diabetes als auch Wiederzunahmen auf ein noch nicht gelöstes Grundproblem hin, das aber eigentlich lösbar sein müßte, wenn es nur endlich dechiffriert würde. Nur, niemand scheint ein Interesse daran zu haben. Neben Dr. Albert folge ich einem Arzt namens Neil Floch, von dem ich heute diesen Thread las. Er schrieb von der "effectiveness of both medicines and surgery that alter hormones and other mechanisms". Kurz war ich deshalb in Versuchung, ihn darauf hinzuweisen, daß dieselbe hormonelle Wirkung augenscheinlich auch durch Low Carb und Intervallfasten erzeugt werden kann. Aber warum sollte ich annehmen, daß dieser Arzt sich dafür interessiert? Er ist ja glücklich und zufrieden damit, daß seine Patienten jedenfalls mit der von ihm präferierten hormonellen Methode besser dran sind als die anderer Ärzte, die nach wie vor nur "Weniger essen, mehr Sport" empfehlen und glauben, ihre Patienten werden nur deshalb immer fetter, weil sie sich an diesen guten Rat nicht halten. Auch die "progressiven" Adipositasmediziner (und das gilt leider auch für die meiner eigenen Fraktion) haben einen fatalen Hang, sich gerne auf ihren Lorbeeren auszuruhen.

In jedem Fall bin ich sehr froh, daß wenigstens ich in nunmehr fünfeinhalb Jahren von Wiederzunahmen - mit Ausnahme der allherbstlichen 1-2 Kilo bis 2020 - vollständig verschont geblieben bin, sondern auch in meinem schlechtesten Jahr, 2020, trotz allem per Saldo immer eine Abnahme verzeichnen konnte. Das zeigt doch recht deutlich, daß ich dieses zugrundeliegende Problem, das noch mit keiner der wirksameren Methoden gelöst werden konnte, im Griff habe und höchstwahrscheinlich auch in Zukunft vermeiden kann. Auch wenn ich wirklich gerne wüßte, warum das funktioniert, was bei mir funktioniert, anstatt darüber immer nur ins Blaue hineinzuspekulieren und allerhand Mutmaßungen anzustellen, ist es doch am allerwichtigsten, daß es das wirklich tut. 

Es gibt Momente, in denen hoffe ich sogar, daß das, was bei mir funktioniert, nur bei mir und sonst niemandem funktioniert. Denn ist die Vorstellung nicht fürchterlich, ich könnte den entscheidenden Hinweis besitzen, mit dessen Hilfe eine der schwerwiegendsten weltweiten Gesundheitskrisen gelöst werden könnte, aber gleichzeitig als Nobody, dessen Erfahrungen unweigerlich als Einzelfall abgebürstet werden, keine Chance haben, das Interesse der Fachwelt dafür zu wecken?

"Unter den Blinden ist der Einäugige nicht König, sondern er wird von ihnen in den Wahnsinn getrieben." - Keine Ahnung, von wem dieser Satz stammt, aber ich fürchte, er hat den Nagel auf den Kopf getroffen.

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