Mein Gewicht am Dienstagfrüh zu Beginn des nächsten viertägigen Fastenintervalls: 90,6 Kilogramm.
Ich wünschte, ich könnte eine andere Zahl schreiben. Aber genau das zeigte die Waage mir nach Pfingsten an. Warum mein Gewicht übers Pfingstwochenende so stark angestiegen ist - keine Ahnung. Ich bin nicht krank oder so. Heute früh lag mein Gewicht bei 86,5 Kilogramm. Am Samstag werde ich also wohl wieder in etwa bei dem Gewicht landen, das ich vor zwei Wochen nach dem viertägigen Fastenintervall hatte.Noch vor einer Woche hatte ich mich über 88,4 Kilogramm vor dem Fasten gefreut und war mir völlig sicher, daß ich nach Pfingsten mit einem Gewicht deutlich unter 90 Kilo ins Fasten starten und mit einem neuen Tiefstgewicht zum Wochenende rechnen können würde.
Doch, das hatte ich mir anders vorgestellt. Sollte das ein neues Plateau sein oder kann ich damit rechnen, daß es beim nächsten langen Fastenintervall endlich zu einem neuen Tiefstgewicht kommt? Aber nun ja, so ist es halt, ändern kann ich es nicht, und ich habe auch bis auf weiteres keine Möglichkeit, irgendwie gegenzusteuern. Und letztlich kann ich mich wohl trotz dieses Verdrusses glücklich schätzen. Andere Leute haben fünf Jahre nach Beginn ihrer Gewichtsreduktion ja überwiegend mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.
Von Virta Health, das einen Keto-Ansatz bei der Diabetes-Behandlung verfolgt, wurden nämlich gerade eben erst 5-Jahres-Zwischenergebnisse (eine Studie mit etwas präziseren Angaben steht bislang aus, kommt aber vermutlich noch) publiziert, aus denen sich ergab, daß 20 Prozent ihrer Patienten nach fünf Jahren weiterhin diabetesfrei geblieben seien. Das wird als Erfolg verkauft - und ist es, verglichen mit anderen Diäten letztlich auch. Zwei Jahre nach Beginn der Behandlung waren es aber noch über 50 Prozent Diabetes-Remissionen gewesen.
Ein Zusammenhang mit der Wiederzunahme der Patienten ist sehr wahrscheinlich. Denn anstelle der durchschnittlichen 10 Prozent Gewichtsabnahme nach zwei Jahren waren es nach fünf Jahren offenbar nur noch 6 Prozent. Besonders auffällig fand ich, daß nach einem Jahr die Abnahme noch 12 Prozent betragen hatte. Auch bei Virta zeigte sich also, daß im Durchschnitt aller Teilnehmer spätestens im zweiten Jahr (möglicherweise aber auch schon etwas früher) eine Wiederzunahme eingesetzt hat. Auf Twitter zeigte sich die Hardcore-Ketofraktion ob dieses für sie unangenehmen und für manchen sicher auch überraschenden Ergebnisses ungewohnt leise, die "moderaten" Sympathisanten von Low-Carb-Ernährung spekulierten über einen Zusammenhang mit einem Einschleichen falscher Ernährungsbestandteile bei den Patienten im Lauf der Jahre.
Ich halte es in der Tat für gut möglich, daß das letztere einen Teil zu dem enttäuschenden Ergebnis beigetragen hat. Keto (also eine besonders restriktive Low-Carb-Ernährung) im Alltag dauerhaft umzusetzen stelle ich mir ähnlich schwierig vor, wie dauerhaft seine Energieaufnahme unter einem festgelegten Wert x zu halten. Alles, wofür man sich bewußt disziplinieren muß, funktioniert umso schneller nicht mehr, je schwerer einem diese Disziplinierung fällt. Genau deswegen mache ich ja auch nur Dinge, die mir leichtfallen. Ich werde auch Gedankenspielereien nicht umsetzen, wegen der Gewichtsstagnation der letzten Wochen außerplanmäßig wieder auf Low Carb umzusteigen (obwohl ich am Samstag tatsächlich Low Carb kochen und backen werde, aber das mache ich immer im Anschluß an ein langes Fastenintervall für einen Übergangstag).
Kann ich mich aber nicht trotz allem glücklich schätzen, daß es bei mir auch nach fünf Jahren immer noch "nur" um eine Stagnation, ein Plateau, geht, da es bei anderen Leuten im Durchschnitt schon nach einem Jahr nicht mehr um Stagnationen, sondern um Wiederzunahme geht?
Aber ich glaube auch nicht daran, daß diese Wiederzunahme nur an "Ernährungssünden" liegen kann. Das Muster ist ja offensichtlich vergleichbar mit sämtlichen Langzeiterfahrungen auch bei anderen Diäten, auch wenn Virta seine Methode dafür rühmen kann, nach fünf Jahren immer noch ein bißchen besser dazustehen. Ich finde es aber recht ärgerlich, daß Virta die Sache mit den üblichen PR-Methoden als tollen Erfolg zu verkaufen versucht. Man hätte dort ja eigentlich allen Grund, über das Ergebnis enttäuscht zu sein. Das, finde ich, hätte zum Ausdruck gebracht werden müssen, und ebenso daß man auf die Suche nach den Ursachen dafür geht.
Low Carb führt ebenso wie Intervallfasten definitiv in die richtige Richtung. Das kann ich nach immerhin fünf Jahren und weder 6 noch 10 noch 12, sondern sage und schreibe 40 Prozent weniger Körpergewicht als zum Beginn ganz sicher sagen. Aber ebenso ist mir klar - auch wegen der schleppenderen Abnahmephasen, von denen ich, wenn ich Pech habe, vielleicht gerade doch wieder in einer mittendrinstecke -, daß uns noch ein paar zentrale Bausteine fehlen, um zu durchschauen, was nötig ist, um den Erfolg dauerhaft zu machen. Es reicht erkennbar einfach nicht aus, entweder für den Rest seines Leben kohlehydratarm zu essen oder dauerhaft nach einem gleichbleibenden Schema regelmäßig zu fasten, um bis zu einem Zielgewicht von, sagen wir, mehr als 20 oder 30 Kilogramm minus zu kommen und dieses Ergebnis dann auch dauerhaft zu halten.
Das ist die Schlußfolgerung, die ich aus der Entwicklung bei mir gezogen habe und der diese Virta-Ergebnisse, wenn sie sie auch nicht direkt bestätigen, doch wenigstens nicht widersprechen. Meine Arbeitshypothese, daß man bei Stagnation irgendetwas verändern müsse, ist ein "Work in Progress", denn die ausbleibende Wirkung des EMS-Trainings spricht nicht dafür, daß es egal ist, was man wann macht. Vielleicht ist mein wichtigster Trick ja sogar gewesen, daß ich mit einem solch harmlosen Schmalspur-Fasten angefangen habe, was es mir nicht nur ermöglicht hat, bei Plateaus immer noch die eine oder andere Schippe draufzulegen, sondern auch Erkenntnisse gebracht hat, die sich jemanden gar nicht erschließen können, der vor lauter Ehrgeiz gleich mit einem Maximalprogramm beginnt.
An dem Versuch, den doch etwas ernüchternden 5-Jahres-Verlauf bei den Virta-Patienten als Erfolg zu verkaufen, zeigt sich die Schattenseite eines gesundheitspolitischen
Populismus, der stärker die öffentliche Meinung zu beeinflussen als
gesundheitliche Probleme zu lösen versucht. Das macht mir echte Sorgen, weil ich in den letzten Jahren zunehmend den Eindruck hatte, daß sowohl die Intervallfasten- als auch die Low-Carb-Gurus auch außerhalb der Öffentlichkeit die Auseinandersetzung mit Mißerfolgen mit ihrer Methode scheuen. Genau das wäre aber nötig, um die Ursachen für sie zu finden. Es kann doch nicht sein, daß es für ausreichend gehalten wird, daß ein Teil ihrer Patienten dauerhaft erfolgreich ist und dann - wie beim Kalorienmodell - den nicht Erfolgreichen die Schuld selbst in die Schuhe geschoben wird, weil sie sich beispielsweise nicht diszipliniert genug an die Ernährungsvorgaben gehalten hätten. Auch wenn die Erfolgreichen mit Low Carb und Fasten - "Erfolg" hier definiert als "selbst gewähltes Gewichtsziel erreicht und dauerhaft gehalten" - mehr sein sollten als bei Weight Watchers, sie stellen offenbar deutlich die Minderheit.
Ich will aber nicht übertreiben: Bezogen auf Diabetes sind 20 Prozent Remissionen, die über fünf Jahre erhalten geblieben sind, eine Quote, die sich durchaus sehen lassen kann - allerdings ist sie nur halb so hoch wie die bei bariatrischer Chirurgie nach fünf Jahren, bei der in der verlinkten Studie fast die Hälfte der Patienten ein solches Ergebnis vorzuweisen hatte. In einer anderen Studie sank der Anteil der Remissionen innerhalb von zehn Jahren auf 30 Prozent. Auch als erklärter Kritiker der Mode, Dicken den Magen rauszuschnipseln, sehe ich, daß das ein besserer Wert ist.
Es ist aber dennoch auch keine allzu verwegene Annahme, daß die Virta-Patienten, auch diejenigen, bei denen die Remission nicht dauerhaft war, höchstwahrscheinlich seltener als andere Diabetespatienten auf der Organspenden-Warteliste landen.
Dieser Zusammenhang zwischen Diabetes und Organspenden wird wiederum, wenn Organspenden diskutiert werden, so gut wie nie erwähnt, obwohl er sich logisch daraus ergibt, daß (wie bereits in einem früheren Blogartikel erwähnt)
- drei von vier Patienten auf der Warteliste für Organspenden eine Niere benötigen (nach den aktuellen Zahlen (siehe Tabelle) ist der Anteil der benötigten Nieren in den letzten zwei Jahren sogar auf mehr als 80 % angewachsen) und
- etwa 40 % aller Fälle von Nierenversagen
eine Diabeteserkrankung als Ursache haben.
In meinem Blogartikel habe ich geschätzt, daß bei mindestens einem Drittel aller Transplantationspatienten Diabetes die Ursache für das Organversagen ist, das dem Platz auf der Organspende-Warteliste vorausging. Es gäbe also verdammt gute Gründe, in der Organspende-Debatte auch über Diabetes zu sprechen.
Aber irgendwie findet das nicht statt. Dabei nehme ich an, die Diabetes-Remissionen spielen schon eine bedeutende Rolle dabei, daß im Moment bariatrische Chirurgie so sehr als das Nonplusultra bei Adipositas gehandelt wird, daß diese Maßnahme trotz ihrer mit Händen zu greifenden Nachteile so viele Befürworter findet. Erstaunlich bleibt es aber, daß sowohl Intervallfasten als auch Low Carb in denselben Medizinerkreisen so unbeachtet geblieben sind und - siehe etwa meinen speziellen Freund Professor Hauner und den Unsinn, den er zum Intervallfasten verbreitet - sogar geradezu verteufelt werden. Im Erfolgsfall waren beide Methoden unter dem Strich für den Patienten einfacher und weniger unangenehm und für das Gesundheitssystem um Welten billiger, also spräche eigentlich überhaupt nichts dagegen, einen Versuch mit ihnen zu unternehmen, bevor man über brachiale Verstümmelungen nachdenkt.
Daß die Warteliste nicht zwangsläufig so viele Patienten umfassen müßte, wie es jetzt der Fall ist, zeigt sich ebenfalls in obiger Tabelle an der Entwicklung bei dem Teil von ihnen, die eine Spenderleber benötigt. Bei diesem Organ hat die Zahl der Empfänger in spe sich nämlich innerhalb der letzten zehn Jahre mehr als halbiert. Der Mangel an Spenderorganen ist dadurch nahezu vollständig behoben worden, und sollte sich dieser Rückgang weiter fortsetzen, wird der Bedarf in ein paar Jahren wohl sogar überschritten.
Ich kenne den Grund dafür nicht, warum der Transplantationsbedarf bei diesem Organ so stark zurückgegangen ist, aber es ist stark anzunehmen, daß dies für die Patienten, die nun keinen Platz auf der Organspende-Warteliste mehr benöigen, eine erheblich erfreulichere Entwicklung war, als es mehr Organspender von Lebern gewesen wären. Immerhin steht die Organspende meistens am Ende einer langwierigen unangenehmen Krankheitsgeschichte, an einem Punkt, an dem es anfängt, um Leben oder Tod zu gehen, und dies betrifft nun weniger Patienten. Anzunehmen ist außerdem, daß diejenigen, die nicht auf die Warteliste gelangen, eine bessere weitere Lebenserwartung als die Empfänger eines Spenderorgans haben.
Eine wirksamere Bekämpfung von Diabetes könnte, wie gesagt, eine vergleichbare Entwicklung bei den Nieren auslösen und damit die Zahl der benötigten Spenderorgane mit der Zahl der gespendeten Organe auf für die Patienten sehr viel vorteilhaftere Art besser in Einklang bringen, als es sogar eine gesetzliche Organspendepflicht erreichen könnte.
Wenn über Organtransplantationen gesprochen wird, dann geht es aber immer nur darum, wie mehr Organspenden bewirkt werden könnten, nie darum, wie man den Bedarf an Spenderorganen verringern könnte. Gerade ist diese Debatte auch wieder einmal im Gange, ausgelöst offenbar durch einen überraschend hohen Rückgang der Zahl der Transplantationen im ersten Quartal 2022 (2021 war die Zahl
der Organspenden in etwa gleich hoch wie in den Jahren seit 2018). Über
die Gründe dafür wird gerätselt. Der wachsende Personalnotstand an den
Kliniken, eine Wirkung von zwei Jahren Coronapandemie in Tateinheit mit schon zuvor unattraktiven Arbeitsbedingungen sowie einem gravierenden demographisch bedingten Nachwuchsproblem in allen weniger attraktiven Branchen könnte aber einen stärkeren Einfluß darauf haben als die Zahl potentieller Organspender. Es könnte also durchaus sein, daß die Einführung der propagierten Widerspruchslösung das Problem gar nicht beeinflussen könnte.
Daß und warum ich die Widerspruchslösung für im Rahmen eines Rechtsstaats außerdem für absolut inakzeptabel halte, habe ich bereits in einem früheren Blogbeitrag begründet. Daß halb Europa sie bereits nutzt und teils sogar bei Volksentscheiden Mehrheiten sie unterstützt haben, macht die Sache eher schlimmer als besser, denn das bedeutet, daß halb Europa gesundheitspolitischen Populisten auf den Leim gegangen ist (und es ist nicht gesagt, daß die andere Hälfte das nicht auch noch tun wird), deren Problemlösungsstrategie nicht nur mit einer Umdefinierung von "Zustimmung" nach dem Abofallen-Prinzip sich ethisch verwerflicher Mittel bedient, sondern auch das Problem unzureichend analysiert hat und auf eine Weise zu lösen versucht, bei der sich absehbar herausstellen wird, daß das Ergebnis weit hinter den Erwartungen zurückbleiben wird.
Es ärgert mich immer, daß Populismus als solcher immer nur dann erkannt wird, wenn Außenseitermeinungen eine gewisse Schmerzgrenze an Zustimmung überschreiten, aber noch weit von einer Mehrheitsfähigkeit entfernt sind. Die gefährlicheren Populisten sind meiner Meinung nach diejenigen, die Mehrheiten für ihre Ziele erlangen können.
Ich gebe mir Mühe, mich nicht mehr allzu sehr über solche Dinge aufzuregen, da ich sie ja ohnehin nicht ändern kann. Falls die Widerspruchslösung jetzt doch noch einmal abgewendet werden kann, dann warten die einschlägigen Lobbygruppen dann eben auf einen Moment, der günstig ist - wie etwa der unerwartete Rückgang an Spenderorganen im ersten Quartal dieses Jahres - und nehmen dann erneut Anlauf. Und irgendwann wird es ihnen vermutlich gelingen. Es sei denn natürlich, die Welt bekommt irgendwann doch noch so viel größere Probleme, daß diese Leute einfach nicht mehr das nötige öffentliche Gehör finden. Nur, daß dies geschieht, kann man sich ja auch nicht wünschen.
Auf die Gefahr hin, mich ein bißchen wie die berüchtigte Jana aus Kassel anzuhören:
Doch, das fühlt sich schon wie innere Emigration an, etwas
für fundamental falsch zu halten, aber keinen Sinn darin zu sehen,
dagegen anzukämpfen. Noch vor zehn Jahren hätte ich das ganz anders gesehen, also vielleicht bedeutet es nichts weiter, als daß ich langsam alt werde. Jetzt beschränke ich mich darauf, mich persönlich so gut wie möglich vor den Folgen dessen zu schützen, was ich für falsch halte. Im vorliegenden Fall ist das ein Organspendeausweis, auf dem "Nein" angekreuzt ist.
***
Nachtrag einen Tag später:
Ein
Indiz für einen zunehmenden Populismus bei der Entscheidungssteuerung
bzw. -beeinflussung durch Lobbyarbeit, häufig durch "unschuldige" nichtkommerzielle
Pressure Groups (NGOs), ist auch die extreme Häufung von Umfragen in den letzten
Jahren. Die berühmte Sonntagsfrage beispielsweise wird von acht
Meinungsforschungsinstituten mehr als 20 Mal im Monat gestellt.
Ich glaube, ich habe da gerade einen Indikator gefunden, an dem ich eines Tages vielleicht erkennen werde, daß die grundlegende und systematische Unehrlichkeit der offiziellen Kommunikation endlich ein wenig abzunehmen beginnt: Sobald die Zahl der Sonntagsfragen pro Monat einmal länger als drei Monate in Folge unter 20 liegt, dürfte dies Ausdruck eines positiven Trends sein.
***
Apropos Trends: Die Hypothekenzinsen bei meiner Hausbank sind mittlerweile auf mehr als 3 Prozent Effektivzins bei zehnjährigen Darlehen gestiegen, und das noch vor der Ankündigung der EZB, den Leitzins zu erhöhen. Parallel dazu haben sich die ersten Experten mit Prognosen zu einem Ende des Immobilienbooms zu Wort gemeldet ... das ging ja flotter, als ich das erwartet hätte. Es mag daran liegen, daß die Zahl der angebotenen Immobilien schneller ansteigt als gedacht. Mittlerweile liegt ihre Zahl um ca. 70 Prozent höher als vor einem Jahr. Und vielleicht bilde ich es mir ja nur ein, aber es kommt mir tatsächlich schon jetzt so vor, als sähe ich bei Immoscout tendenziell etwas niedrigere Kaufpreisvorstellungen als noch vor ein paar Wochen.
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