Mein Gewicht heute früh nach drei von vier Fastentagen: 94,3 Kilogramm. Das sollte für ein neues Niedrigstgewicht morgen ausreichen, also alles im grünen Bereich.
Trotzdem schiebe ich gerade eine kleine Sinnkrise. Manchmal frage ich mich nämlich ernsthaft, warum ich mir das hier, also das Bloggen, überhaupt antue. Eigentlich hätte ich anfangs, vor etwas über zwei Jahren, ja auch zufrieden damit sein können, daß es bei mir so gut lief. Was gehen mich eigentlich andere Leute an, die ja sowieso überwiegend unwillens oder unfähig sind, aus der Kalorienlogik herauszufinden.
War es vielleicht doch ein zu "gutmenschelnder" Gedanke, meine Erfahrungen mit anderen teilen zu wollen, wenn darauf in Wirklichkeit gar niemand Wert zu legen scheint? Aufdrängen will ich mich eigentlich ja niemandem. Ich fand nur, es wäre unverantwortlich, anderen nicht die Chance zu geben, auf Basis meiner Erfahrungen einen eigenen Versuch zu starten, und dazu müssen sie öffentlich sichtbar sein. Wenn auch nur ein halbes Dutzend Leute meinen unerwarteten Erfolg wiederholen können (und es anderen weitersagen), habe ich vermutlich mehr für die Menschheit getan, als wenn ich zwanzig Prozent meines Einkommens für Brot für die Welt spenden würde.
Mittlerweile geht es mir nicht mehr nur darum, mein Wissen weiterzugeben, denn ich möchte auch von anderen lernen, weil sich die Abnahme bei mir doch sehr verlangsamt hat und ich nach neuen Ideen suche, mit denen ich die alten ergänzen kann. Nur, das kommt mir allmählich fast noch sinnloser vor. Die große Mehrheit der Kaloriengläubigen hat mir ohnehin wenig zu bieten, das ich sinnvollerweise aufgreifen könnte, aber fast genauso schlimm finde ich inzwischen die Low-Carb-Fraktion. Dabei geht es - anders als bei den Kalorienlogikern - seltener um die Inhalte, sondern vor allem um die Form, in der sich vorgebracht werden. Ich stelle immer wieder fest, daß es mich Überwindung kostet, die möglicherweise für mich interessanten Informationsbrocken, die dort eben doch manchmal zu finden sind, wirklich aufzusammeln, weil mich die Kommunikationsgewohnheiten dieser Leute wirklich abstoßen.
So habe ich gestern auf ein Tweet reagiert, das ich absolut unmöglich fand, und daß ich mit meiner Antwort offenbar die komplette Low-Carb-Gemeinde gegen mich aufgebracht habe, ist bezeichnend dafür, daß die auch nicht besser ist als die Nadja-Hermann-Brigade. Heute morgen fand ich eine Rekordzahl von elf Reaktionen auf mich vor, und die meisten davon waren Bockmist, also spare ich mir darauf jegliche Antwort. Aber vielleicht ist es ja nicht sinnlos, einen Blogartikel daraus zu machen, und den werde ich - wie den an die Adresse von Herman Pontzer - in der Google-Übersetzung verlinken. Falls hier jemand kommentiert, antworte ich vielleicht ja doch noch.
English version here.
Um folgenden Tweet geht es:
"Telling somebody they need to lose weight because it’s negatively affecting their health isn’t fat shaming", schrieb ein gewisser Nick G.
Oh doch, das ist es. Er sagt den Leuten damit nämlich etwas, von dem er selbst ganz genau weiß, daß sie das längst auch wissen (weil jeder es weiß, man wird ja tagtäglich via Medien mit entsprechenden Botschaften zugetextet), nämlich a) daß sie fett sind und b) daß fett zu sein ungesund ist. In Kombination ist dies genau das, was er bestreitet, nämlich Fat Shaming: Es impliziert, daß sie absichtlich fett geworden sind oder fett bleiben wollen und daß ihnen das Risiko dabei nicht bewußt sei.
Beides ist so offensichtlich falsch, daß jeder, der auf diese Weise argumentiert, sich eigentlich in Grund und Boden schämen sollte.
Niemand ist fett, weil er fett sein will, Ausnahmen gelten allenfalls für Sumo-Ringer. Die Fat-Acceptance-Bewegung umfaßt Menschen, die ebenfalls lieber schlank wären, es aber aufgegeben haben, dieses Ziel erreichen zu wollen, weil sie es nicht für erreichbar halten. Das neue Ziel, das sie sich gesetzt haben, besteht darin, so, wie sie nun einmal sind, so glücklich und zufrieden wie möglich zu werden, und gleichzeitig ihre Umgebung daran zu hindern, diese Bemühungen zu sabotieren.
Das erfordert natürlich eine gewisse Bereitschaft vielleicht nicht zum Selbstbetrug, aber doch zum "aktiven Wegschauen", und das gilt ganz besonders für Gesundheitsbesorgnisse. Wie bigott muß man eigentlich sein, um gerade bei dem Gesundheitsthema diesen Leuten einen der wenigen wissenschaftlichen Lichtblicke so demonstrativ zu mißgönnen, wie das besagter Nick G. in einem Folgetweet getan hat? Denn die "healthy fat" sind ja eine wissenschaftliche Tatsache. Unklar ist an diesem Phänomen zwar noch fast alles, aber dies gilt auch für den kompletten Rest des Ernährungsbereichs. Auch bei Low Carb gibt es eine Menge offene Fragen, so etwa zur Langzeitwirkung. Erst vor einigen Monaten kam durch den kleinen Hype um "Low Carb + Low Fat" heraus, daß die Abnahme bei Low Carb bei einem großen Teil der Anwender nach einiger Zeit ein Plateau erreicht und nicht mehr weiter heruntergehen will. Dieser Hype führte dazu, daß ein Teil der Low-Carb-Fraktion diese Methode erfolgreich ausprobierte und nun auf einmal eingestand, daß es mit der Abnahme nach klassischem Low Carb nicht bis zu ihrem Gewichtsziel geklappt hatte.
So ist das halt, über Mißerfolge redet niemand gerne. Davon nehme ich mich selbst gar nicht aus, meine Lust zum Bloggen nimmt nämlich immer spürbar ab, wenn ich statt über Erfolge über Rückschläge oder Stagnationen schreiben müßte. Was die "Low Carb + Low Fat"-Variante betrifft, habe ich übrigens die Vorahnung, daß sie sich als Jojo-Auslöser herausstellen wird, also ziehe ich das für mich bis auf weiteres nicht in Betracht.
Die Fat-Acceptance-Bewegung wiederum besteht aus Leuten, die über ihre Mißerfolge einfach nicht mehr nachdenken wollen und keinen Bock haben, von anderen dauernd dabei sabotiert zu werden. Billige Motivationstrainer-Phrasen ändern natürlich gar nichts an ihrer Situationsbewertung. Falls Nick G. also mit seinem Tweet das erreicht, was er erreichen will, nämlich selbst Dicke zum Nachdenken zu bringen und andere dazu zu ermutigen, dies ebenfalls aktiv zu bewirken, ändert es also nichts daran, daß sie es weiterhin für sinnlos halten, abnehmen zu wollen, nur ist dies dann mit einem höheren Angstpegel verbunden.
Nick G.s Botschaft ist also so vergiftet wie der Apfel, den Schneewittchen von der bösen Stiefmutter bekam.
Ob Nick G. sich dessen bewußt ist, wie destruktiv das ist, was er tut, und wie viel Schaden er damit anrichten kann? Wenn ja, ist er obendrein ein Heuchler. Wenn nein, steht er beispielhaft für das, was mit dem vielkritisierten Wort "Gutmensch" gemeint ist: Jemand, der aufrichtig Gutes tun will, aber den Schaden, dem er abhelfen will, nur noch verschlimmert, weil er außerstande ist, die Folgen seiner Handlungen realistisch einzuschätzen.
Bekanntlich ist aber nichts so schlecht, daß es nicht wenigstens für irgendwas gut wäre, und Nick G. taugt für mich immerhin als schlechtes Beispiel: Niemals würde ich so sein wollen wie er. Was aber bedeutet das für meine Aktivitäen im Web, für dieses Blog, für meine Beteiligung im Forum "Abnehmen.com" und bei Twitter?
Darüber sollte ich doch mal nachdenken. Klar, ich möchte anderen Leuten vermitteln - vor allem solchen, die sich selbst für hoffnungslose Fälle halten -, daß sie in Wirklichkeit doch keine hoffnungslosen Fälle sind und daß es sich für sie lohnen könnte, eine unorthodoxe Herangehensweise, zum Beispiel meine, auszuprobieren. Aber mir ist nur allzu bewußt, daß meine Methode vielleicht doch nicht bei jedem funktioniert, und das kann unterschiedliche Gründe haben. Wer sich mit dem Fasten richtig quälen muß, der hält es beispielsweise nicht wie ich mehr als vier Jahre lang durch und fände die Vorstellung außerdem viel zu beängstigend, es dauerhaft machen zu sollen.
(Wobei ich aber jedem, der Intervallfasten noch nie ausprobiert hat, dazu auch ausdrücklich sagen möchte: Erst ausprobieren, und dann entscheiden! Ich habe es mir ja auch viel schwieriger vorstellt, als es dann tatsächlich war. Anfangs konnte ich mir die 36-stündigen Fastenintervalle nicht vorstellen, und als die dann längst Gewohnheit geworden waren, konnte ich mir mehrtägige Fastenintervalle trotzdem noch nicht vorstellen. Bei mir hat sich jede der Intervallfasten-Varianten, die ich ausprobiert habe, in der Praxis als wesentlich leichter erwiesen, als ich es vorher erwartet hatte. Hätte ich mich von meiner Vorstellung abschrecken lassen, wäre mir diese Erfahrung und natürlich auch die zugehörigen Erfolgserlebnisse entgangen.)
Ich halte es mittlerweile auch für möglich, daß der hormonelle Ansatz gar nicht bei jedem wirkt - aus welchen Gründen auch immer. Dazu fehlt es aktuell noch an einschlägiger Forschung, vor allem deshalb, weil die Wissenschaft die Möglichkeit gar nicht in Betracht zieht, daß die Straßenlaterne der Kalorienlogik gar nicht die Stelle ist, wo der Schlüssel verloren gegangen ist, und deshalb dort auch nicht gefunden werden kann. Aber auch, weil Menschen generell der Versuchung selten widerstehen können, sich die Dinge zu einfach zu erklären. Und weil viele von ihnen gerne vergiftete Äpfel verteilen.
Aber es gibt ja zum Glück auch noch andere mögliche Wege außerhalb der ausgetretenen "Eat less, move more"-Pfade, und vielleicht entdecke ich ja selbst auch noch welche. Was ich dabei ganz wichtig finde: Man sollte sich das Leben dabei nicht schwerer als nötig machen. Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen, und eine funktionierende Lösung nutzt fast immer vor allem die vorhandenen Stärken und arrangiert sich irgendwie mit den Schwächen.
Außerdem aber ist es meine felsenfeste Überzeugung, daß es jedermanns selbstverständliches Recht ist, NICHT abzunehmen, wenn er trotz Adipositas mit seinem Gewicht zufrieden - oder jedenfalls weniger unzufrieden als mit den Begleitumständen von Bemühungen um dessen Reduktion - sein sollte. Ich fühle mich absolut nicht dazu berufen, so jemanden mit Gesundheitsermahnungen zu bedrängen, auch dann nicht, wenn ich einen neuen tollen Tipp habe, wie man es mit dem Abnehmen doch noch einmal versuchen könnte. Ein erwachsener Mensch muß einfach das Recht haben, selbst zu entscheiden, welche Gesundheitsrisiken er eingehen will. Er ist dafür außerdem niemandem Rechenschaft schuldig, mir nicht, aber auch nicht den Nick G.s dieser Welt.
Keine Sorge, die momentane Sinnkrise wird mich nicht daran hindern, weiter zu bloggen. Falls ich morgen tatsächlich einen neuen Gewichts-Tiefststand zu melden haben sollte, gleich morgen, aber dann etwas kürzer. :-)
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