Freitag, 9. Juli 2021

Martin Luther und die Abnehm-Gurus

Mein Gewicht heute früh: 93,4 Kilogramm - neues Niedrigstgewicht, wie erhofft. Freilich bin ich näher dran an meinem alten Niedrigstgewicht, als ich erwartet und gehofft hatte (insgeheim spekulierte ich sogar mit einer Zahl unter 93), aber die 400 Gramm minus zum letzten Mal vor zwei Wochen sind durchaus okay, zumal ja ein paar hundert Gramm hin oder her von allen möglichen Unwägbarkeiten abhängen können. 

Freilich sollte ich langsam mal festhalten, daß es gekommen ist wie befürchtet: Die stürmische Talfahrt des Gewichts im März und April konnte sich kaum ungebremst so über den ganzen Sommer hinweg fortsetzen, obwohl es natürlich schön gewesen wäre, wenn sie das getan hätte. Grob über den Daumen gepeilt kann ich mit einer Abnahme von 4-5 Kilogramm in fünf Monaten dennoch zufrieden sein. Der Wermutstropfen dabei: Ich habe noch zwei, mit Glück maximal drei Monate, bis ich wieder in diesen dämlichen Herbstmodus gelange, in dem ich mich auf eine Zunahme von ein bis zwei Kilogramm einstellen sollte, obwohl ich wieder einen Versuch starten werde, dies zu verhindern.

Bis dahin sollte es schon noch ein bißchen weiter runtergehen, denn ich will jetzt wirklich nie wieder dreistellige Zahlen auf der Waage sehen, auch nicht im November.

Zu meinem gestrigen Sinnkrisen-Beitrag noch zwei Nachklapps: 

1) Auf einmal bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob dieser Nick G., über den ich mich so echauffiert habe, wirklich aus dem Low-Carb-Bereich ist. Ich habe das aus der Art seiner Trabanten geschlossen, aber - was sonst gar nicht meine Art ist - mich nicht vergewissert. Womöglich habe ich mich da geirrt? Mir fehlt aber, ehrlich gesagt, die Lust, mich von der Richtigkeit meiner Annahme jetzt noch zu überzeugen, weil ich überhaupt keine Lust mehr habe, mich mit diesen Leuten zu befassen, deren Beschränktheit so offensichtlich ist, daß ich von ihnen kaum allzuviel Interessantes lernen könnte (das immerhin hatte Herman Pontzer ihren voraus). Letztlich spielt es auch keine wirkliche Rolle, denn was ich schrieb, gilt für jeden, der sich bedünket, so voll Weisheit zu sein, daß er andere Leute belehren zu dürfen glaubt. 

Es gilt für diejenigen, die total falsch liegen, aber auch diejenigen, die noch relativ nahe an der Realität sind, wenn sie glauben, den "Stein der Weisen" für die Gewichtsreduktion gefunden zu haben und anderen auf zu aufdringliche Weise dieses Heil nahebringen zu wollen. Denn auch wer die ultimative Lösung kennen würde (was ich bei besagten Herrschaften allerdings bezweifle), hat deshalb noch lange kein Recht auf diesen anmaßenden Ton. 

Außerdem wirkt dieser anmaßende Ton ziemlich abschreckend und verringert letztlich die Bereitschaft, sich mit der Sache, um die es geht, einmal zu befassen.

***

Über den letzten Satz mußte ich jetzt doch noch einmal nachdenken, weil ich mir unsicher geworden bin, ob er wirklich stimmt. Denn es ist mir natürlich nicht entgangen, daß Übergewichtige mit Abnehm-Ambitionen oft nach Befehlen, Zwang und barschen Zurechtweisungen durch wirkliche und vermeintliche Experten geradezu zu betteln scheinen. Besonders typisch dafür stehen die Leute, die eine Magenverkleinerungs-OP auf sich nehmen, die ja nichts anderes darstellt als einen physischen Zwang, weniger zu essen. Die Überlegung dahinter ist die Annahme, daß dieser Zwang die einzige Weise ist, um das mit dem Wenigeressen auch durchzuhalten. 

Das Traurige daran ist, daß die meisten fest davon überzeugt sind, daß das Wenigeressen das ist, was sie eigentlich tun müßten, und daß es irgendwie an ihnen selbst liegt, daß sie das nicht können. Ich wiederum halte dies für falsch, aber damit stehe ich nach wie vor noch ziemlich alleine da, und im Moment sehe ich auch noch keine Anzeichen dafür, daß sich das allzubald ändern könnte. 

Womöglich finden sich also doch genügend dankbare Objekte für die "tough care"-Fürsorge, der die Heilsbringer huldigen. Allerdings ist schon das ein bedenkliches Zeichen für den demokratiefernen Zustand unserer Gesellschaft. Die Leute, die "Danke, Massa!" sagen, wenn man sie zu etwas zwingt, das angeblich zu ihrem eigenen Besten ist, sind ja auch dieselben Leute, bei denen sich so viele darüber wundern, warum sie zunehmend immer merkwürdigere Gestalten in hohe politische Ämter wählen. Beides hängt aber miteinander zusammen. Die Leute verlernen es immer mehr, eigene Entscheidungen zu treffen und im Guten wie im Bösen dann auch für sie geradezustehen, und niemand scheint zu begreifen, daß das auf einem höheren Level, nämlich dem gesellschaftlichen, gefährlich ist. Ob jemand nun einem Karl Lauterbach vertraut und seinen Anweisungen folgt oder einem Donald Trump, die Beweggründe sind in etwa dieselben, auch wenn der Herr Lauterbach sicherlich glaubt, seine Jünger seien halt besonders gut informiert und die vom Trump schlecht. In Wirklichkeit können die Leute das, was Experten ihnen sagen, so gut wie nie aus eigener Einschätzung beurteilen. Worüber sie urteilen, ist die Vertrauenswürdigkeit ihres Gurus, oder manchmal auch Sympathie oder - wie im Fall Trump - möglicherweise auch nur, daß der Trump die gleichen Leute haßt wie man selbst, und man die Genugtuung erleben kann, daß er es denen so richtig zeigen wird.

Auf diese Art und Weise werden die schlechtestmöglichen Entscheidungen getroffen. Und leider ist es so viel bequemer, den Leuten solche Entscheidungsanreize vorzuwerfen, daß das längst fester Bestandteil der Public-Health-Marketingstrategien ist (ich erinnere nur an das unsägliche Nudging). Gleichzeitig läßt sich mit dem bloßen Augen erkennen, wie immer mehr Leute verlernen, wie man Entscheidungen auf einer eigenverantwortlichen Basis trifft.

Mir ging zu den Gurus und Heilsbringern und ihren Umgang mit den Objekten ihrer Fürsorge auch noch Martin Luther durch den Kopf, dessen anfangs tolerante und verständnisvolle Haltung zu den Juden sich im Laufe seines Lebens dramatisch veränderte. Daß die Juden den christlichen Glauben nicht annehmen wollten, wie er sich ihnen im Katholizismus angeboten hätte, leuchtete ihm nämlich anfangs sehr wohl ein, weil er selbst ja grundlegende Dinge am Katholizismus zu kritisieren hatte und nachvollziehen konnte, was dagegen sprach, so einen Glauben anzunehmen. Aber als sie den von Luther reformierten Glauben später ebenfalls nicht annehmen wollten, nahm er ihnen das zutiefst übel. So ähnlich kommt mir die Denklogik hinter dem Satz vor, den ich gestern kritisiert habe. Denn es ist kein rational-sachlicher Satz, obwohl er auf den ersten Blick schon wie einer aussieht:

"Telling somebody they need to lose weight because it’s negatively affecting their health isn’t fat shaming."

Problematisch an ihm ist das, was unausgesprochen mitgesagt wird. Das habe ich in meinem gestrigen Post aber bereits ausführlich erklärt, also lasse ich es damit mal gut sein. 

***

2) Was mich ein bißchen ratlos macht, ist, warum die allergrundlegendsten Dinge, die ich in diesem Blog schreibe, immer wieder von so vielen Leuten mißverstanden werden. 

Am wichtigsten dabei: Intervallfasten ist nicht "die" Lösung, von der ich überzeugen will. Obwohl ich überzeugt davon bin, daß sie bei vielen funktionieren würde. Was mir eigentlich wichtig ist, weiterzuverbreiten, ist, daß es gute Gründe gibt, an der Rolle der Nahrungskalorien beim Prozeß des Zu- und Abnehmens zu zweifeln. Die alternative Theorie, auf der meine Gewichtsabnahme basiert, geht von einem hormonell gesteuerten Geschehen aus, bei dem die wichtigste Rolle das Insulin einnimmt. Die aktive und bewußte Steuerung dieses Geschehens, mit dem Ziel, abzunehmen, kann auf unterscheidliche Weise erfolgen, und eine davon ist Intervallfasten. Aber es gibt sehr wohl noch einige weitere, darunter ist Low Carb, was die Wirksamkeit betrifft, ziemlich eindeutige auf Augenhöhe mit Intervallfasten.

Diese These von der Rolle des Insulins beim Zu- und Abnehmen hat in den letzten Jahren im angelsächsischen Raum eine gewisse Verbreitung gefunden, ist dabei aber noch längst nicht im medizinischen Mainstream angekommen. Allerdings: Schon jetzt kann ich sagen, daß diese Theorie unvollständig sein muß und in der praktischen Umsetzung nur eine Teillösung bietet. 

Das ist immerhin mehr als das, was die Kalorienmethode zu bieten hat, und spricht gar nicht dagegen, sie zu testen - nur sollte man sich, wenn man sie anwendet, der Grenzen dieser Methode bewußt sein und ebenso, daß die dabei ablaufenden biologischen Mechanismen noch längst nicht ausreichend durchschaut sind und deshalb die Frage offen bleiben muß, warum die Wirkung bei manchen Leuten deutlich schlechter ist oder sogar ganz ausbleibt. Nur sehe ich leider kommen, daß die Lücken und Mängel in der Theorie - unter anderem auch hervorgerufen durch die Überbetonung der Erfolge und das Herunterspielen oder Verschweigen von Mißerfolgen - dazu führen könnten, daß es bei einem kurzlebigen Hype bleibt und diese immens wichtige Spur nicht mehr weiterverfolgt wird, weil es eben auch bei Intervallfasten und Low Carb zu Plateaubildung kommt und die Abnahme dann nicht mehr weitergeht, sofern man sein Gewichtsziel nicht innerhalb eines gewissen Zeitrahmens erreicht hat.

Immerhin, der Jojo-Effekt tritt in der Regel nicht auf, aber das gilt nicht für alle Varianten des Intervallfastens, und neulich hörte ich zum ersten Mal, daß es auch bei Low Carb nicht immer gilt. Bei kürzeren Fastenintervallen habe ich schon von Jojo-Effekten gelesen, das betraf zwar immer Intervallfasten in Kombination mit Diät und/oder Sport, aber da Intervallfasten - im Gegensatz zu Low Carb - sich problemlos auch in die Kalorienlogik einpassen läßt, dürfte diese Kombination ja eher der Regel- als der Ausnahmefall von Intervallfasten sein. Also kann es sehr wohl sein, daß das Intervallfasten seinen guten Ruf verliert, weil zu viele Anwender die Jojo-Erfahrung machen. 

Das ist eine trostlose Vorstellung, denn verdient hat die Methode es nicht, wie so viele Diäten wieder in Vergessenheit zu sinken.

Mittlerweile hoffe ich sogar (und ich fühle mich sehr seltsam dabei, weil mir das eigentlich total gegen den Strich geht), daß es die Pharmaindustrie sein wird, die die Insulintheorie retten wird. Denn natürlich ist es möglich, Medikamente zu entwickeln, die nach diesem Prinzip wirken, und ist das einmal geschehen, ist die Theorie von kommerziellem Interesse, da selbstverständlich die Abnahmewirkung von der dauerhaften Einnahme dieser Medikamente abhängig wäre. 

Es sei denn natürlich, man würde sie durch andere hormonell steuernde Methoden wie Intervallfasten ersetzen, aber eine Pille schlucken, wäre natürlich sehr viel bequemer, und so sehe ich da schon ein enormes Potential für die Anbieter solcher Medikamente. Nee, gefallen tut mir das nicht so richtig, aber besser als der Reibach durch eigentlich vermeidbare Diabetesmedikation wäre es dann doch noch.

Was mich außerdem noch beschäftigt hat, ist, daß so viele Leute sich so leicht von der Vorstellung einer strikt linearen Abnahme zu falschen Schlußfolgerungen verleiten lassen. Mein heutiges Niedrigstgewicht von 93,4 Kilogramm ist selbstverständlich kein realistisches Gewicht. Es handelt sich um mein realistisches Gewicht plus mindestens vier bis 4,5 Kilogramm Wasser sowie Magen-/Darm-Inhalt. Da sich Magen und Darm natürlich wieder füllen werden, wenn ich wieder esse, und auch mein Wasserhaushalt sich dann normalisieren wird, liegt die Wahrscheinlichkeit, daß ich das heutige Gewicht "halten" kann, ziemlich exakt bei null. Es ist geradezu grenzdebil, diese Entwicklung dann wie eine normale Zunahme (also ein Auffüllen der Fettdepots) zu bewerten. 

Meine Gewichtsentwicklung realistisch zu beurteilen, ist deshalb fast genauso komplex wie die Bewertung der Corona-Zahlen, und es hat schon seinen Sinn, daß ich zusätzlich auch das Maßband zu Hilfe nehme, weil die Waage einem eben doch nicht immer die ganze Wahrheit sagt.

Das Gewicht, das ich am ersten Fastentag einer "langen" Fastenwoche habe, betrachte ich jedenfalls als das maßgeblichste. Diese Woche am Montag lag es bei 98,7 Kilogramm - das war mein realistisches Gewicht vor dem nunmehr beendeten Fastenintervall. Wie mein aktuell realistisches Gewicht aussieht, erfahre ich dann am Montag in einer Woche - denn das Gewicht am Dienstag, dem ersten Fastentag in der nächsten Woche, ist noch nicht sicher genug als realistisch anzusehen. Manchmal hatte ich an diesem Dienstag ja noch nicht einmal den ersten Stuhlgang seit dem langen Fastenintervall gehabt, und auch der Wasserhaushalt ist nicht immer bereits ausgeglichen, das merke ich daran, daß ich richtige Durstanfälle kriege. 

***

So, jetzt genug geschrieben. Ich habe heute auch noch nicht gegessen und will jetzt endlich meine Quarkpfannkuchen machen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen