Mittwoch, 25. März 2020

Der Corona-Tsunami.

Mein Gewicht heute morgen nach dem ersten Fastentag dieser Woche: 99,5 Kilogramm. Meine zwei Fasten-Zweierserien scheinen also doch nicht ganz wirkungslos geblieben zu sein; daß ich im Anschluß an das Wochenende nach einem einzigen Fastentag schon Uhu-Besuch bekommen habe, ist bislang erst ein einziges Mal vorgekommen. Was das Fasten betrifft, läuft bei mir gerade alles weitgehend normal. Unnormal wird es mittlerweile aber beim Einkaufen. Am Montagfrüh bin ich um Viertel nach acht mit einer am Sonntag erstellten Liste losgegangen in der Hoffnung, alle notierten Artikel in maximal zwei Ladengeschäften zu bekommen, um daraufhin die nächsten mindestens eine Woche, lieber noch etwas länger, gar nicht mehr einkaufen zu müssen und somit die Verbreitung des Virus nicht unnötig zu begünstigen. Am Ende waren es sage und schreibe sechs Läden geworden, die ich abklappern mußte.

Von den Mangelwaren Mehl, Trocken- oder Frischhefe und Klopapier (die ich glücklicherweise nicht akut benötige, aber mitgenommen hätte, falls sie da gewesen wären) war in keinem der sechs Läden auch nur das kleinste Fitzelchen zu sehen. Neben Laden Nr. 2 befand sich ein DM Drogeriemarkt, vor dem gegen 8.45 schon eine lange Schlange auf die Öffnung um 9 Uhr wartete; dort hätte ich wohl welches bekommen können, aber so wichtig war es mir auch wieder nicht. Relativ kurz nach neun Uhr bin ich dort noch einmal vorbeigekommen und hätte wohl nachgesehen, ob sie noch Klopapier haben, wäre nicht dieser Hinweiszettel an der Tür geklebt mit dem Hinweis, daß sie während der Corona-Ausgangsbeschränkung erst um 10 Uhr öffnen. So lange wollte ich dann doch nicht warten. Die Schlange hatte sich auch in alle Winde zerstreut.

Was mir angenehm auffiel, war ein weiterer schriftlicher Hinweis des Drogeriemarkts, daß pro Person nur eine Packung Klopapier abgegeben werde. Das behalte ich mal im Hinterkopf, sollte sich das Problem bis zum nächsten erforderlichen Einkauf nicht von alleine gelöst haben, also die Regale dann schon wieder voll sein. Erforderlichenfalls stehe ich das nächste Mal bei denen um exakt 10.05 Uhr auf der Matte und hoffe zuversichtlich, das Objekt, nach dem gerade alle Käufer zu lechzen scheinen, heimtragen und dort der üblichen profanen Verwendung zuführen zu können, ohne vorher Schlange stehen zu müssen.

Aber natürlich arbeite ich mittlerweile auch schon an einem Plan B für den Fall, daß die Versorgungsengpässe mit manchen Artikeln auch noch bestehen werden, wenn ich das nächste Mal einkaufen gehe, denn spätestens, wenn es auf Ostern zugeht, werde ich mindestens Mehl und Hefe wirklich benötigen. Bei eBay wird Trockenhefe mittlerweile gewissermaßen mit Gold aufgewogen, und das gibt mir jetzt doch ein wenig zu denken. Wobei Frischhefe mir eigentlich sowieso lieber wäre, aber die fand ich am Montag auch nirgends mehr vor. Trockenhefe habe ich eigentlich nur für Notfälle im Haus. Ein Paket des ganz normalen Weizenmehls von Aldi, das sonst 39 Cent kostet, steht in einer anderen Auktion auch schon bei 1,50 Euro, und wer weiß, wo das noch endet.

Nur für den Fall, daß irgendwer sich fragt, was die Hamsterer mit all dem Mehl angefangen haben, das sie ergatterten. Nach wie vor glaube ich aber nicht daran, daß diese "Konjunktur" allzu lange Bestand haben wird, aber trotzdem bin ich froh, daß ich frühestens in zwei Wochen ernsthafte Probleme mit dem Mehlnachschub bekommen werde.

Um hier Engpässe zu vermeiden, habe ich heute beim Backen ein bißchen experimentiert. Fürs Frühstück habe ich Bauernpogatschen gemacht. Das zugehörige Rezept fand ich im Internet nirgends (die Rezepte dort sind alle mit Hefe, aber meine Oma hat das immer ohne gemacht), aber es ist ganz einfach: 200 Gramm Mehl, 1 Becher saure Sahne, ca. 100 Gramm Butter, ein halber Teelöffel Salz.  Heute habe ich die Hälfte des Mehls durch teils Grieß, teils Kartoffelstärke ersetzt, und den Teig etwas länger ruhen lassen, damit der Grieß ein bißchen quellen kann. Das Ergebnis schmeckte genauso gut wie immer. Ebenso bin ich mit dem Bananenkuchen verfahren, in dem ich drei überreif gewordene Bananen verarbeitet habe, und auch der hat völlig normal geschmeckt. Mit Kuchen sind wir jetzt bis zum Sonntag versorgt, und die übriggebliebenen Pogatschen sichern mir am Freitag mein Frühstück. Da werde ich am Samstag dann bloß noch die Briegel zu backen haben, und auch bei denen werde ich mal ausprobieren, wie sich ein Anteil Grieß, Kartoffelstärke oder Buchweizenmehl  auf das Ergebnis auswirkt.

Auf diese Weise komme ich mit dem vorhandenen Mehl besser aus, und falls ich nächste Woche immer noch nirgends normales Weizenmehl kriegen sollte, weiß ich auch schon, was alles als Beimischung oder Alternative außerdem noch in Frage kommen würde.


Weder auf den Straßen noch in den sechs Läden, in denen ich war, waren gestern allzu viele Leute unterwegs; mit dem ersten hatte ich gerechnet, aber mit dem zweiten nicht. Immerhin wurden gestern abend die Regelungen noch einmal verschärft, also war ich auf hohen Andrang am frühen Morgen gefaßt. Den gab es aber nicht, mit Ausnahme der Menschenansammlung vor dem Drogeriemarkt. Man merkte auch, daß die Leute auf Abstand bedacht waren. Einige trugen Masken oder hatten sich eine andere Art von Mund-Nasen-Schutz umgebunden, und einmal wurde ich von einer älteren Dame gerügt, die das Gefühl hatte, ich wäre ihr zu nahe gekommen. Ich hatte mir selbst ein Halstuch umgebunden, das ich mir eigentlich auch über die Nase ziehen wollte, aber dafür erwies es sich doch als zu rutschig. Immerhin bedeckte es den Mund. Für meine nächste Expedition ins feindliche Coronaland werde ich mir wohl irgendwas anderes ausdenken müssen.

Rückblickend kann ich nicht sicher sagen, ob es wirklich eine schlaue Idee gewesen, ist meinen Einkauf am Montagmorgen zu machen. Gut daran war, daß tatsächlich wenig Leute unterwegs waren und ich zu den meisten die meiste Zeit den nötigen Abstand halten konnte. Aber da ich in so vielen Geschäften war, hatte ich doch zu mehr Leuten, vor allem Kassierern und Kassiererinnen relativ nahen Kontakt, was sicherlich nicht optimal war. Vielleicht hätte ich meinen ursprünglichen Plan mit den zwei Läden umsetzen können, wenn ich noch ein oder zwei Tage gewartet hätte.

Aber hinterher ist man natürlich immer schlauer.

Ansonsten wird die Corona-Krise für mich zunehmend eine Übung in Differenzierungsvermögen. Eine Menge Leute, von deren Urteil zu Ernährungsfragen ich gewohnt bin, viel zu halten, zeigen sich bei diesem Thema nämlich auf eine Art und Weise skeptisch, die mich unangenehm berührt, und ich merke daran, wie schwierig es ist, den Reflex, entweder alles oder gar nichts am Urteil eines anderen gutzuheißen, zu unterdrücken. Das zwingt mich ein bißchen in einen emotionalen Spagat. Aber da muß ich jetzt wohl durch.

Gleichzeitig begreife ich auch, daß diese Leute in Teilbereichen genau denselben Reflexen folgen, und es enttäuscht mich, daß ihr Urteilsvermögen nicht ausreicht, um dies zu erkennen:
  • Reflex Nr. 1 ist die Erkenntnis, daß die Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten falsche Empfehlungen propagiert. So jemandem traut man dann natürlich auch in anderen Fragen nicht mehr.
  • Reflex Nr. 2 ist der sogenannte "confirmation bias", die Erwartung eines bestimmten Ergebnisses, die einen dem zuwiderlaufende Ergebnisse nicht mehr erkennen läßt.
  • Reflex Nr. 3 ist das übermäßige Vertrauen in die papierne Parallelwelt der Studien, deren Aussagekraft sich eigentlich immer erst aus der Kombination mit der Realität ergibt. 
Vor Reflex Nr. 3 bin ich als Nichtwissenschaftler glücklicherweise sicher, weil mein gesundes Mißtrauen gegenüber dem Public-Health-Establishment (Reflex Nr. 1) auch die Aussagekraft von Studien mit einschließt. Darauf, daß ich sofort erkannt habe, daß ein bestimmter, von einer Unzahl von Low-Carb-Verfechtern mit wissenschaftlichem Anspruch und medizinischem Background verlinkter Medienbericht, laut dem 70 Prozent der schweren Corona-Fälle übergewichtig oder adipös gewesen seien, nicht das bedeutet, was man spontan meinen sollte, bin ich aber ein bißchen stolz. Denn eigentlich hätte auch ich es naheliegend gefunden, wenn solche Patienten überrepräsentiert wären.

Nur, das war nicht der Fall. Vielmehr spiegelte es - die betroffenen Altersgruppen mitberücksichtigt - ziemlich exakt die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in der britischen Gesellschaft wider, die darin ja ebenfalls überrepräsentiert sind. Mit anderen Worten: Schlanke und Dicke waren bei den bisherigen stationär behandelten Corona-Patienten in Großbritannien einfach nur entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Falls das Risiko für Dicke wirklich höher sein sollte, bietet die Übersicht, auf die sich die Daily Mail bezog, dafür keinen Anhaltspunkt.

Auf Twitter versuche ich schon seit einer Weile, mit meinen bisherigen Helden der Ernährungswissenschaft über solche Dinge ins Gespräch zu kommen, aber entweder bin ich ihnen zu popelig oder mein Englisch ist zu schlecht oder die mögen es genausowenig wie das Establishment, sich mit eigenen Fehlern befassen zu müssen.

Um auf Reflex Nr. 3 zurückzukommen: Die Studien mit kritischen Einwänden gegen die "Corona panic" kommen teils von Leuten, von denen ich eigentlich eine hohe Meinung habe, etwa  John Johannidis (der mit der These bekannt wurde, 90 Prozent aller Studienergebnisse seien falsch). Ich habe sein bei Twitter schon unzählige Male verlinkten Papier überflogen und bin ein bißchen erschüttert darüber, wie wenig überzeugend es ist. Vermutlich ist noch nicht einmal irgendetwas daran wirklich falsch, es geht nur am Kern des Problems vorbei. 

Geradezu zum Fremdschämen finde ich die Einlassung von Peter Goetzsche. An einer Stelle schreibt er: 
We don’t know how reliable this estimate is, or how reliable estimates of Coronavirus deaths are, but so far, 4 months into the pandemic, the estimate is around 17,000 deaths. Why then the extreme panic, with non-evidence-based draconian measures in many countries restricting seriously people’s lives?
In diesen beiden Sätzen verbergen sich gleich mehrere grobe Fehler. Die zwei wichtigsten:
  1. Wir reden hier nicht von den üblichen relativen Risiken, die auf irgendwelche Gesamtzahlen hochgerechnet werden, die stimmen können oder vielleicht auch nicht und mit denen man deshalb alle möglichen Kunststücke bei der Interpretation anstellen kann. Es handelt sich nicht um Schätzungen, sondern um gezählte Todesfälle von Patienten, die am Corona-Virus erkrankt waren. Wir reden von Leuten, von denen Namen, Adressen, Geburtstag und Todestag bekannt sind.
  2. Daß man ihm die Antwort auf seine Frage geben muß und er sie also nicht selbst weiß, ist eigentlich schon schlimm genug, denn sie ist selbsterklärend, sobald man die Zahlen laufend verfolgt, also tut er das offenbar nicht. Die Antwort lautet: Weil die Zahl der Todesfälle in der Provinz Hubei (wo sich die Stadt Wuhan befindet, in der die ersten Infektionen auftraten) zum Zeitpunkt des dortigen Lockdowns 25 betrug und zwei Monate später 3000, also das Hundertzwanzigfache. Wenn jetzt 17.000 Tote weltweit gezählt werden und jetzt drakonische Maßnahmen erfolgen, dann ist trotz der drakonischen Maßnahmen bei ungefähr gleichem Verlauf also in zwei Monaten weltweit höchstwahrscheinlich ebenfalls in etwa mit 17.000 x 120 Toten zu rechnen, also mit ungefähr 2 Millionen Toten. 
Sollte es nicht so weit kommen, bin ich wirklich der letzte, der sich darüber beschweren wird. Aber einen plausiblen zu erwartenden "Game-Changer" sehe ich aktuell nicht; die Zeit von zwei Monaten ist dafür einfach zu knapp.

Nur damit das Wichtigste nicht untergeht: Wir reden hier nicht von 2 Millionen Toten in dem üblichen Zeitraum, mit dem in Studien gerne gerechnet wird und den uns auch Goetzsche vorrechnet, nämlich einem Jahr,  sondern innerhalb der nächsten zwei Monate, und das nicht im Falle des Verzichts auf "drakonische Maßnahmen" , sondern obwohl diese getroffen wurden. Daß es dabei tatsächlich auf jeden Tag hin oder her ankommt, sieht man am besten an den Ländern, die zu lange versucht haben, auf solche Maßnahmen zu verzichten, etwa Italien und Spanien.

Kollabierende Gesundheitssysteme verschlechtern die Behandlungsmöglichkeiten, also erhöht das die Mortalität unabhängig von der höheren Zahl an Infizierten. Und dabei sind die Todesfälle durch alle diejenigen, die das Pech haben, ausgerechnet in diesem Zeitraum an etwas anderem zu erkranken und ebenfalls nicht angemessen behandelt werden können, noch gar nicht mit inbegriffen.

Erinnert sich hier noch jemand an den Tsunami 2004? An diese gruseligen Videos von lachenden Menschen am Strand, die die Welle vom Weitem kommen sahen und einfach nicht begriffen, daß sie sterben würden, wenn sie nicht auf der Stelle um ihr Leben liefen, weshalb Tausende dann auch tatsächlich starben? Genau dasselbe passiert gerade bei COVID-19. Es verstört mich, Leute wie Johannidis und Goetzsche unter ihnen zu sehen.


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