Sonntag, 22. September 2019

Wieviel Vertrauen haben Wissenschaft und Technik verdient?

Heute morgen wog ich zu meiner freudigen Überraschung 102,8 Kilogramm, also 300 Gramm weniger als gestern. So was kann vorkommen, wenn ich am Wochenende viel unterwegs war oder wenig gegessen habe (was beides gestern der Fall war), aber es ist doch auch dann eher die Ausnahme. Damit habe ich eine gewisse Chance, morgen früh unter 104 Kilogramm in die Fastenwoche zu starten, was ich ziemlich spektakulär fände. Das würde meine Chancen, schon am Samstag die 100 zu knacken, erheblich steigen lassen.

Aber nicht deswegen schiebe ich heute meinem gestrigen Beitrag einen weiteren nach, sondern deshalb, weil ich das Gefühl hatte, daß in jenem Blogartikel etwas Wichtiges fehlte, nämlich der Blick vom besonderen Einzelfall auf eine verallgemeinerbare Problematik. Mir wird nämlich viel zu vieles einfach geglaubt, "weil es geschrieben steht", oft sogar dann, wenn es in eklatantem Widerspruch zur persönlichen Erfahrung steht.

Die Reaktion des Trainers auf meine Einwände gegen die Meßergebnisse ist dabei ganz typisch für die Reaktion von "Experten" auf Einwände, die von einem Laien seines Fachgebiets kommen. Ein Techniker ist der Trainer dabei aber auch nicht, er weiß zwar, wie er die Körperanalysewaage bedienen muß, nicht aber, wie sie funktioniert. (Mein Mann ist da von den Fachkenntnissen her schon eher qualifiziert, also habe ich ihm die Bedienungsanleiterung des Geräts, die ich im Web gefunden habe, mal weitergemailt und bin schon gespannt, was er dazu meinen wird.) Was der Trainer weiß und guten Gewissens nach außen vertreten kann, ist, daß im Studio bei solchen Gerätschaften nicht am falschen Ende gespart wird und man dem Gerät, das gute Beurteilungen von Fachleuten aufzuweisen hat, deshalb an sich vertrauen können sollte. Aus seiner Sicht grenzt es an Majestätsbeleidigung, wenn nicht gar Blasphemie, wenn ein Trainierender, dem sogar diese Anwenderkenntnisse fehlen, die Richtigkeit der Ergebnisse in Zweifel zieht.

In der Rolle des Gotteslästerers (oder neudeutsch: des Leugners) finde ich mich in solchen Situationen für meinen Geschmack viel zu oft wieder, wenn es um Wissenschaft und Technik geht, obwohl ich, finde ich, immer gut begründete Einwände habe. In der Regel sind sie Folge einer groben Plausibilitätsprüfung, bei der ein nicht plausibles Ergebnis herausgekommen ist. Ich muß weder Techniker noch Mediziner sein und deren Fachgebiete beherrschen, um grobe Logikfehler zu erkennen. Wie diese Fehler im Falle meiner Körperanalyse ausgesehen haben, ist im vorherigen Beitrag beschrieben.

Was ich sehr irritierend finde, ist, daß ich außer mir kaum jemanden kenne, der sich von aufgeblasener Expertenwichtigmacherei nicht einschüchtern ließe, und zwar sogar dann, wenn unter Umständen sein Leben und seine Gesundheit davon abhängen. Dazu habe ich sogar ein ziemlich aktuelles Beispiel.

Als ich im Krankenhaus war, kam ich unmittelbar vor der Operation in eine solche Situation. Ich war ja am Tag vor der Aufnahme untersucht worden, und am Aufnahmetag fand ebenfalls noch eine Untersuchung statt. Bei der erfuhr ich, daß ein Blutwert Fragen aufwarf und ich vor der OP noch einmal einer ganz bestimmten Untersuchung (ich bring's nicht mehr zusammen, was für eine) unterzogen werden solle. Zuvor sollte ich aber erst in mein Zimmer eingewiesen werden.
Das Bett in diesem Zimmer war aber gerade erst frei geworden, und so geschah es, daß ich, noch bevor mir überhaupt ein Bett fertiggemacht worden war, schon im OP verlangt wurde. Alles mußte auf einmal bei mir und den Stationsschwestern ganz schnell gehen, innerhalb weniger Minuten wurde ich dann im Krankenhaushemdchen und ohne Brille Richtung OP gerollt.

Was aber war mit dieser Untersuchung? Ich sprach die Schwester darauf an, während wir auf den Aufzug warteten. Sie wußte von nichts, versprach aber, sich zu kümmern. Dann lag ich auf der OP-Liege im Vorraum des Operationssaals und wartete. Der Anästhesist kam vorbei, ich sprach auch ihn an, dann eine OP-Schwester. Niemand wußte aber etwas von dieser Sache. Alle waren sehr nett und wollten sich kümmern. Nur, dann geschah lange Zeit nichts.

Zum Glück dauerte es etwa eine halbe Stunde, bis der OP frei wurde und ich drankam, denn ich hätte mich rundheraus geweigert, mich operieren zu lassen, bevor mir jemand zweifelsfei bestätigen konnte, daß diese Untersuchung nicht etwa auf dem Dienstweg verlorengegangen war, sondern bewußt verworfen worden war. Immerhin ging es ja um mein Leben und meine Gesundheit, und ich hatte nicht die Absicht, sie unnötig zu gefährden. Dafür hätte ich auch den Krankenhausbetrieb aufgehalten. Wenige Minuten, bevor es dann ernst wurde, kreuzte dann aber doch noch die Stationsärztin auf und teilte mir mit, die heutige Blutprobe habe die gestrige Abweichung bei den Blutwerten nicht mehr enthalten, somit sei die Untersuchung gegenstandslos.

Nachdem ich mich nun vergewissert hatte, daß der Informationsstand aller Beteiligter up to date war, konnte ich den Anästhesisten beruhigt ans Werk gehen lassen. Aber ich spürte durchaus einen Sog, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Immerhin, ich war ja Patientin und die waren Ärzte, sollten also eigentlich wissen, was sie taten. Ich weiß, wie eng die Abläufe in Krankenhäusern getaktet sind und daß man da eigentlich keinen Sand im Getriebe brauchen kann. Aber aus reiner Höflichkeit und Respekt vor dem Fachwissen Dritter die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen? Dafür nahm ich notfalls auch in Kauf, mich wie ein quengelnder Querulant zu fühlen.

Mich würde mal interessieren, wie viele Patienten in derselben Situation es - aus unterschiedlichen Gründen - nicht mehr gewagt hätten, sich um ihre ureigensten Belange zu kümmern oder dies vielleicht auch nicht für erforderlich gehalten hätten. Aus einem Gefühl der Peinlichkeit heraus. Weil man nicht mehr das Gefühl hat, irgendetwas tun zu können, wenn man im Flügelhemdchen auf dem OP-Liege festgebunden ist. Weil die da doch die Experten sind und wissen müssen, was richtig ist. Und so weiter. Dabei wird die Zahl der Behandlungsfehler in Krankenhäusern, auch solcher mit tödlichem Ausgang, ziemlich hoch eingeschätzt. Niemand wird einem seine Zurückhaltung danken, wenn man sie dann vielleicht ebenfalls mit einem gesundheitlichen Schaden bezahlen muß. Da benehme ich mich im Zweifelsfall doch lieber peinlich.

"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Daß das von Kant stammt, ist weitgehend bekannt, und ebenso, daß es der Leitspruch der Aufklärung ist. Aber wo man das als Einzelner im eigenen Alltag in die Praxis umsetzen könnte, traut man es sich dann oft doch nicht. Vor allem dann, wenn man aktiv dabei behindert wird, wo einem vermittelt wird, man habe doch keine Ahnung, man solle doch den Fachleuten vertrauen, die wüßten, was sie tun, oder der Technik, die so raffiniert sei, daß man als Laie doch eh keine Ahnung habe. Eine ziemlich perfide Variante, die ich zwischen den Zeilen auch im EMS-Studio wahrzunehmen glaubte (aber vielleicht tue ich damit dem Trainer auch Unrecht), besteht darin, einem zu unterstellen, daß man die Wahrheit (der angezweifelten Ergebnisse) einfach nicht vertragen könne, weil man sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte.

Natürlich ist es wirklich wahr, daß ich als Laie mit meiner Einschätzung auch einmal völlig danebenliegen kann. Wenn mir das plausibel gemacht wird, bin ich dankbar für die Korrektur. Aber das habe ich bislang leider eher selten erlebt, meistens reagieren Experten darauf, indem sie ausschließlich auf ihre Experten-Autorität pochen, sogar dann, wenn sie die Möglichkeit hätten, mich sachlich zu korrigieren.

Das Risiko, das damit verbunden ist, in so einem Fall den Schaden selbst davonzutragen, weil ich nicht auf den Experten gehört habe, gehe ich bewußt sein. Denn im Zweifelsfall ist es mir immer noch lieber, meinen eigenen Fehler gemacht zu haben, als den, zu dem mich andere Leute überredet haben.


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