Dienstag, 10. September 2019

Gescheiterte Helden des Abnehmkampfs, Teil 1: Joschka Fischer

Heute morgen wog ich 102,5 Kilogramm nach meinem gestrigen Fastentag, das ist ein erfreulicher Start in die Woche. Weniger erfreulich war die lange Wartezeit im Krankenhaus, wo ich heute vormittag noch einen Kontrolltermin zu absolvieren hatte. Zweieinhalb Stunden mußte ich warten, um dann in zwei Minuten abserviert zu werden. Es wäre gescheiter gewesen, ich hätte auf diesen Termin ganz verzichtet. Die Ärztin kannte den Fall außerdem gar nicht, und einen kritischen Blick hätte ja auch mein Hausarzt auf meinen Bauch und in die Unterlagen werfen können. 

Aber wenn man sich anschaut, in welcher Verfassung andere Wartende gewesen sind, ist man am Ende ja doch vor allem heilfroh, selbst schon wieder voll auf der Höhe zu sein. Außerdem hatte ich ja in weiser Voraussicht etwas zu lesen mitgenommen, ein Buch, das ich auf dem Flohmarkt gekauft habe: Joschka Fischers Bestseller „Mein langer Lauf zu mir selbst“, erschienen 1999, drei Jahre, nachdem Fischer mit einem Kampfgewicht von 112 Kilogramm (bei 181 cm Körpergröße) die Notbremse gezogen und mit einer Radikaldiät kombiniert mit Joggen innerhalb eines Jahres 37 Kilogramm abgenommen hatte. 

Fischer war sich damals so sicher, daß er nun für immer schlank bleiben würde, daß er in seinem Buch damit renommierte: „Ich hatte meinen neuen Lebensrhythmus gewonnen. Genau so und nicht mehr anders wollte ich meinen Alltag gestalten, jetzt und für die weitere Zukunft. Ein Zurück, ein Rückfall gar in die alten Verhältnisse von „König Dickbauch“ war ergo fortan ausgeschlossen, denn so weit kannte ich mich aus langjähriger Erfahrung gut genug.“ 

Geklappt hat das bekanntlich nicht, und der Joschka ist vermutlich längst nicht mehr glücklich darüber, dieses Buch geschrieben zu haben, obwohl er daran gar nicht schlecht verdient haben soll. Denn in dem Buch schreibt er ausdrücklich davon, wie unangenehm ihm seine Gewichtszunahme ab Mitte der achtziger Jahre gewesen sei, auch wenn er es nach außen zu überspielen versucht habe.Über seine Wiederzunahme ist er dann wohl auch kaum glücklich gewesen.

Als er 1999 das Buch schrieb, hielt er sein Gewicht bereits seit ca. zwei Jahren. Sein Lauftrainer Herbert Steffny behauptete 2004, die Wiederzunahme sei einerseits dem erhöhten Arbeits- und Reisepensum nach 9/11 sowie einer neuen Liebe und der Wiederentdeckung kulinarischer Freuden in diesem Zusammenhang geschuldet. Das glaube ich aber nicht so recht. Ich habe bei Getty Image Fotos von Fischer gesichtet und bin der Meinung, die Wiederzunahme muß 2001 schon vor 9/11 eingesetzt haben; sein Gesicht hat sich im Vergleich zum Jahr 2000 schon merklich verändert. 

2011 vermeldeten die Medien dann, Fischer habe vor einiger Zeit wieder mit dem Laufen begonnen. Das scheint aber nie Ausmaße angenommen zu haben, die in seiner Statur sichtbar geworden wären, und auf den neuesten Fotos scheint er eher die 112 Kilo von 1996 plus x des Königs Dickbauch zu haben, von denen er in seinem Buch behauptete, sie seien künftig ausgeschlossen.  

Was hat Fischer falsch gemacht? Die zu erwartende Antwort der meisten würde lauten: Er war nicht konsequent genug. Er hätte weiter laufen müssen und bei seiner vegetarischen Diätkost bleiben. Da der Autor in seinem Buch von beidem geradezu schwärmte und sogar behauptete, sich ein Leben ohne Obst-und-Müsli-Frühstück und mindestens 10 Kilometer Jogging überhaupt nicht mehr vorstellen zu können, verwundert es mich außerdem ein bißchen, daß er beidem dann nach ein paar Jahren doch wieder entsagen zu müssen glaubte. Man muß im Buch schon ein bißchen zwischen den Zeilen lesen, um erahnen zu können, wo der Rettich im Pfeffer lag. 

An einer Stelle schreibt Fischer etwa folgendes: 
Freilich nagte der Hunger ganz gewaltig in mir, denn satt essen war nicht mehr, und so überkam mich immer wieder die Sehnsucht nach den Futterorgien der Vergangenheit, und es lockte durchaus auc hein wunderbares Glas Rotwein, aber mit jeder weiteren Woche verlor ich zunehmend die Lust auf solche Rückfälle, denn die Folgen am nächsten Morgen waren eben sehr hart. 
Ob dies nur für die Phase in den Jahren 1996 und 1997 galt, in der Fischer abzunehmen versuchte, wird nicht erwähnt. Er blieb offenbar mindestens bis 1999, als er das Buch schrieb, bei einer vegetarischen Ernährung mit besonderem Schwerpunkt auf Obst und Gemüse, aber ob er sich daran dann wenigstens sattzuessen gestattete, darüber kann nur spekuliert werden.

Noch ein aufschlußreiches Zitat:
Ein so starker Gewichtsverlust, wie ich ihn mir damals zumutete, bedeutete aber sowohl körperlich als auch mental eine sehr große Anstrengung, die nun keineswegs überwiegend Glücksgefühle hervorrief, sondern die meiste Zeit vielmehr zum genauen Gengeteil führte. Meine Laune wurde zunehmend und anhaltend mies, aggresiv, unduldsam, mein Aussehen war alles andere als von Optimismus geprägt, sondern ich sah eher grau, eingefallen und krank aus. Kein Wunder auch, denn da war immer dieses anhaltende, nagende Hungergfühl, an das ich mich zu gewöhnen hatte und das ganz erheblich zu meiner schlechten und aggressiven Laune beitrug. 
Später im Buch heißt es dann außerdem noch:
Nun kann man nicht 35 Kilogramm Körperfett innerhalb eines Jahres abbauen und dabei noch - mit knapp fünfzig Jahren - wie das rosigste Leben aussehen. Selbstverständlich wirkte ich grau, faltig, abgehärmt.
Halten wir an dieser Stelle lediglich fest, daß ich im Alter von 51 Jahren zwar keine 35, aber doch immerhin 22 Kilogramm innerhalb eines Jahres abnehmen konnte, und zwar ohne mich dadurch angestrengt zu fühlen, ohne miese Laune an anderen auslassen zu müssen und ohne grau, eingefallen und krank auszusehen. Und natürlich auch, ohne anhaltende Hungergefühle zu entwickeln.

Der eigentliche Casus Knacksus verbirgt sich aber vermutlich hier:
Die absehbare Entwicklung hin zum Kotzbrocken im persönlichen Umgang beantwortete ich mit einem weiteren Rückzug auf mich selbst. Dieser Rückzug verstärkte wiederum die asketische Lebensgestaltung, denn ich konzentrierte mich in meinem ganzen Tagesablauf immer stärker darauf [...].
An dieser Stelle ein Geständnis von mir, das ich nicht machen würde, wenn mein Mann nicht längst darüber im Bilde wäre und es mir verziehen hätte. Als ich in der Phase war, in der ich hilflos verfolgen mußte, wie mein Körpergewicht von 142 Kilogramm fast im Tagesrhythmus beim Weitersteigen verfolgt werden konnte, dachte ich kurzzeitig ernsthaft darüber nach, mich von meinem Mann zu trennen. Warum? Weil ich annehmen mußte, daß meine einzige Chance, diesen wahnwitzigen Anstieg zu stoppen, darin bestünde, mindestens vorübergehend mein Körpergewicht zum Dreh- und Angelpunkt meines Lebens zu machen, und das mit allen Konsequenzen. Ich sah keine Möglichkeit, das, worauf so etwas hinausgelaufen wäre, mit einem Familienleben zu verbinden, ohne darüber den Verstand zu verlieren.

Mein Mann ist ein lieber Kerl und unterstützt mich, wie er kann, aber andererseits ist er auch derjenige, der am ersten Tag meiner ersten Diät vor zwölf Jahren nachmittags fröhlich mit zwei Stück Kuchen (pro Person) nach Hause kam, obwohl ich ihm lang und breit darüber erzählt hatte, daß ich abnehmen wollte. Er dachte sich nichts Böses dabei, aber diese Geschichte und ein paar andere hatte ich im Kopf, als ich darüber nachgrübelte, was zum Teufel ich nur tun konnte, um aus dem Schlamassel des galoppierenden Gewichtsanstiegs wieder herauszukommen.

Ich verwarf den Gedanken einer Trennung sehr schnell wieder, aber genau deshalb kann ich mir gut vorstellen, daß Joschka Fischers Bemühungen innerhalb einer glücklichen Beziehung nicht so geklappt hätten, wie es der Fall war, als er die Möglichkeit und auch den Wunsch hatte, sich ganz auf sich selbst zurückzuziehen. Sowie sein Bedürfnis wieder mehr nach außen, auf andere Menschen und eine neue Partnerin abzielte, funktionierte die Sache nicht mehr.

Das ist es, was ich meine, wenn ich schreibe, daß man das, was man für die Gewichtsreduktion tut, an sein Leben anpassen müsse, nicht etwa umgekehrt sein Leben an die Diät. Nichts funktioniert auf Dauer, wenn man dazu sein Leben umkrempeln muß. Es hätte auch bei mir nur vorübergehend funktioniert, wenn ich mich damals zu einer Trennung und voller Konzentration aufs Abnehmen entschlossen hätte.

Joschka Fischer war nach drei Jahren radikaler Lebensstiländerung - begreiflicherweise - der Meinung, er hätte sich und seine Gewohnheiten dauerhaft "umprogrammiert". Die Realität belehrte ihn eines Besseren. Ob und wenn ja wie viele vergebliche Versuche, sein Gewicht wieder in den Griff zu bekommen, er nach 2001 mit welchen Methoden unternommen hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Ein Problem dabei war sicherlich auch, daß Joggen alleine ihm nicht geholfen haben wird, denn der Leistungsumsatz an Kalorien bleibt bei ständigen starken Anstrengungen nicht etwa dauerhaft gleich, sondern sinkt nach einiger Zeit.  Mit anderen Worten: Wer täglich zehn Kilometer joggt, verbraucht dabei im Laufe der Zeit weniger Kalorien als zu Beginn.

Mit 71 Jahren wird der Joschka wohl jetzt nicht noch einmal von vorne anfangen mit dem Joggen, und, wer weiß, vielleicht hat er inzwischen ja sogar seinen Frieden mit seinem Körpergewicht gemacht.

Während meiner Joschka-Fischer-Recherche stolperte ich nebenbei auch noch über dies hier:
Null-Diät
„Gar nichts essen, nur Wasser trinken – das macht heutzutage kein Mensch mehr“, sagt Prof. Schusdziarra und urteilt: „Gut so, denn Null-Diäten sind ungesund.“ Dem Körper fehlen elementare Nährstoffe, Vitamine und Mineralien. Der Eiweißabbau kann sogar den Herzmuskel angreifen! Außerdem gewöhnt sich der Organismus ans Fasten und senkt seinen Grundumsatz, verbraucht also weniger Kalorien. Das begünstigt den Jo-Jo-Effekt. Urteil: Nicht zu empfehlen.
Der Text stammte aus dem Jahre 2009, und natürlich wollte ich nun gleich wieder wissen, wer dieser Professor Schudsziarra überhaupt ist. Also befragte ich Tante Google und es stellte sich heraus, daß der Ernährungsmediziner Volker Schusdziarra, * 1950, schon vor fünf Jahren nach schwerer Krankheit verstorben ist. Was für eine Krankheit das war, stand nicht dabei, aber die Formulierung "schwere Krankheit" bedeutet meistens Krebs. Irgendwie ist es schon seltsam, wenn ein Experte für die richtige Ernährung noch vor dem Renteneintrittsalter an einer der Krankheiten stirbt, die man angeblich durch richtige Ernährung besser vermeiden kann. Und außerdem nahm mir das jetzt den Wind aus den Segeln; ich kann mich beim besten Willen nicht mehr dazu durchringen, meine Meinung zu dem zitierten Text in so deftigen Worten zu schreiben, wie ich es andernfalls spotan täte.

Sollte jemals dem Jojo-Effekt ein Denkmal gesetzt werden, plädiere ich jedenfalls dafür, daß es die Züge unseres ehemaligen Außenministers Joschka Fischer bekommen soll. Der hat nicht gefastet, obwohl er in seinem Buch diesen Begriff ein paarmal verwendet. Aus dem Kontext ergibt sich allerdings, daß er "Fasten" mit "Diät halten" gleichsetzt. Das ist ein ziemlich typischer Fehler, zu glauben, Fasten bedeute, so wenig zu essen, daß man darunter leidet. Fasten bedeutet, überhaupt nichts zu essen. Und zumindest ich leide darunter nicht, denn ich kann ja alles, was ich essen will, einfach am Tag nach dem Fastentag essen.




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