Montag, 30. September 2019

Intervallfasten in einer aktuellen Studie vom September 2019

Am Samstag schloß ich meine Fastenwoche mit - etwas enttäuschenden - 101,3 Kilogramm ab, und prompt bin ich auch von meinem heutigen Gewicht von 104,1 Kilogramm ziemlich enttäuscht. Ich glaube aber nicht, daß ich morgen, zu Beginn der neuen Fastenwoche, mehr als allerhöchstens 104,5 Kilogramm wiegen werde. Ich habe nämlich gestern frisch geerntete Weintrauben gegessen, die mir meine Nachbarin geschenkt hatte. Sie schmeckten grandios, und ich bereue keine einzige davon, aber nun brodelt und blubbert es in meinem Gedärm, als wäre ich ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Im Vergleich zu gestern früh wog ich heute fast zwei Kilogramm mehr, und ich nehme an, davon ist einiges gasförmig... denn wenn man es im Bauch hat, hat Gas natürlich auch ein Gewicht.

Aber, wie gesagt, ich bereue es nicht und würde es im Gegenteil jederzeit wieder tun. Weintrauben esse ich sonst das ganze Jahr nicht, weil die Discounterware im Vergleich zu denen, die frisch vom Weinberg kommen, ziemlich langweilig schmeckt. Die Zeitspanne ist ziemlich kurz, in der ich solche wirklich besonders guten Weintrauben bekomme. In dieser Hinsicht feiere ich die Feste, wie sie fallen, und zum Teufel mit dem, was mein Verdauungsapparat dazu meint.

Ich lege überhaupt in den letzten Jahren immer mehr Wert darauf, Obst und Gemüse zu kaufen, das gerade Saison hat, und das am liebsten auf dem Wochenmarkt. Erdbeeren oder Zwetschgen gibt es dann, wenn mein Wochenmarkthändler die aus eigenem Anbau hat, Kirschen krieg ich sowieso von meiner Mutter, und die sind so gut, daß ich von gekauften Kirschen, auch wenn sie Saison haben, jedes Mal enttäuscht bin. Bei den Äpfeln schaue ich zur Zeit gerade immer, welche Händler ein paar von den seltener angebotenen Sorten anbieten. Boskop habe ich letzte Woche gekauft, Berlepsch und Gewürzluiken esse ich auch gerne. Einmal hatte mein Händler eine Kiste Äpfel dabei, die lediglich mit "Äpfel aus dem Nachbarsgarten" beschrieben waren, weil er selbst die Sorte nicht sicher sagen konnte. Schade, daß der Nachbar ihm seither keine Äpfel mehr gespendet hat, denn die waren auch gut. Aber die "besonderen Apfelsorten" bekommt man nur bis ca. November, über den Winter muß ich mich dann halt an die massentauglichen Sorten halten. Mandarinen und Orangen kaufe ich nicht mehr so viele wie früher, weil es reine Glückssache ist, da wirklich gute zu erwischen. Massenware schmeckt irgendwie immer ein bißchen langweilig.

Natürlich kann man auch beim Discounter gutes Obst finden, aber gerade bei Äpfeln bin ich doch oft enttäuscht. Die werden wohl mehr nach Aussehen als nach Geschmack angeboten. Am ehesten Glück hat man meiner Erfahrung nach, wenn Äpfel zweiter Wahl angeboten werden.

Aber genug der Abschweifungen, jetzt endlich zu der Sache, über die ich eigentlich schreiben wollte. 

Vor kurzem bin ich im Abnehmen.com-Forum auf eine Studie zum Intervallfasten aufmerksam geworden, über die ich dort ein paar Anmerkungen gemacht hatte. Weil das doch den einen oder anderen interessiert hat, interessiert ja vielleicht auch, was ich zu einer anderen Studie herausgefunden habe: Differential Effects of Alternate-Day Fasting Versus Daily Calorie Restriction on Insulin Resistance. 


Von dieser Studie, in der Intervallfasten bei insulinresistenten Übergewichtigen mit einer herkömmlichen Diät verglichen wurde, las ich schon vor ein paar Wochen den Abstract, aber der Volltext befand sich hinter einer Bezahlschranke. Gestern bemerkte ich aber, daß ich mit meiner Bibliotheksleihkarte den Volltext auch abrufen kann, also habe ich das getan und mir die Studie einmal zu Gemüte geführt. Das brachte mir ein paar interessante Aha-Effekte.

Aus dem Abstract ging nämlich sinngemäß hervor, daß alternate-day fasting, also Intervallfasten (abgekürzt als ADF), im Vergleich mit einer kalorienreduzierten Diät (abgekürzt CR für calorie restriction) in einem zwölfmonatigen Studienzeitraum bei der Gewichtsreduktion gleich erfolgreich gewesen sei. Auffallend besser seien bei ADF aber die Insulinwerte gewesen, also der Punkt, um den es bei der Studie letztlich vor allem ging. 

Nachdem ich den Volltext gelesen habe, bin ich mit den Schlußfolgerungen der Autoren bezüglich der Gewichtsabnahme nicht einverstanden. 

Was aus dem Abstract nicht hervorgegangen war:
  • Es ging nicht um einen Diät-/Fastenzeitraum von zwölf Monaten, sondern von sechs Monaten, sowie eine anschließende sechsmonatige Phase, in der das Ziel darin bestand, das Gewicht zu halten.
  • Es handelte sich um eine vergleichsweise kleine Gruppe von 53 Teilnehmern (17 ADF, 21 CR, 15 Kontrollgruppe), von denen zehn vorzeitig ausgestiegen waren. In die Studie eingeflossen sind also nur die Ergebnisse von 11 ADF- und 17 CR-Teilnehmern sowie der 15köpfigen Kontrollgruppe, und mehrheitlich handelte es sich um Frauen (ADF: 9 Frauen, 2 Männer; CR: 13 Frauen, 4 Männer, Kontrollgruppe: 11 Frauen, 4 Männer).
  • ADF sah nach diesem Studiendesign so aus, daß an Fastentagen eine Mahlzeit gegessen wurde, und zwar um die Mittagszeit (12 bis 14 Uhr). An anderen Tagen wurde normal gegessen. Es handelt sich damit um eine ziemlich ineffiziente Variante des Intervallfastens; näher gelegen hätte es, die eine Mahlzeit entweder auf den Morgen oder auf den Abend zu legen, um eine 24stündige Fastenphase zu erreichen.
Außerdem ist es nicht korrekt, wenn die Autoren behaupten, daß CR und ADF gleich erfolgreich gewesen seien, wenn ich nach den Daten im Volltext der Studie gehe. In Wirklichkeit war ADF deutlich erfolgreicher als CR.

Die elf ADF-Teilnehmer hatten ein durchschnittliches Anfangsgewicht von 95 kg bei durchschnittlicher Körpergröße von 1,66 m. Die 17 CR-Teilnehmer starteten mit einem Anfangsgewicht von durchschnittlich 101 kg bei einer Größe von 1,67. Nach 6 Monaten hatten die ADF-Teilnehmer durchschnittlich etwa 10 Prozent ihres Körpergewichts abgenommen und wogen nun im Durchschnitt ca. 86 Kilogramm. Die CR-Teilnehmer hatten durchschnittlich etwa 8 Prozent ihres Ausgangsgewichts verloren und wogen nun durchschnittlich 93 Kilogramm. In der anschließenden sechsmonatigen Gewichtshaltephase nahm die ADF-Gruppe lediglich 1 kg auf 87 kg zu, während die CR-Gruppe 3 kg auf 96 kg zulegte.  

Schade, daß ich die Grafik mit dem Gewichtsverlauf, der monatlich gemessen wurde, hier nicht einfügen kann. In ihr sieht man sehr schön, in welchen Phasen der Studie es bei CR plötzlich viel schlechter lief als bei ADF. Anfangs hatte CR die Nase ein wenig vorn, und bis nach dem dritten Monat waren beide Gruppen ungefähr gleichauf. Die Monate 4 bis 6 sind es gewesen, in denen die Abnahmekurve bei CR deutlich flacher wurde, während sie bei ADF bis zum Monat 7, also sogar bis in die Gewichthaltephase hinein, jeden Monat ungefähr gleich stark nach unten zeigte. Die anschließende Wiederzunahme hatte in den Monaten 8 bis 12 einen ganz ähnlichen Verlauf wie bei CR, aber wegen der längeren Abnahmedauer von einem sehr viel niedrigeren Gewichtsstand aus.

Anfangs lag der Gewichtsunterschied der beiden Gruppen bei 6 Kilogramm Körpergewicht, nach sechs Monaten war der Gewichtsunterschied auf 7 Kilogramm angewachsen und er erhöhte sich nach zwölf Monaten auf 9 kg. Wir reden hier von 3 Kilogramm, die ADF der CR-Gruppe nach zwölf Monaten beim Abnahmeerfolg voraus war. Wenn das nicht ausreichen soll, um zwischen zwei Gewichtsreduktionsmodellen ein erfolgreicheres zu benennen, dann weiß ich nicht, wie ein Erfolg nach Meinung der Studienautoren aussehen müßte. 

Mein Eindruck, daß die Studienautoren nicht ganz unvoreingenommen an die Sache herangegangen sind, entstand auch aus einer weiteren Merkwürdigkeit in ihrer Argumentation.

Unter einer Reihe von Einschränkungen der Aussagekraft ihrer Studie merkten die Autoren an, daß die Teilnehmer der ADF-Gruppe erhebliche Schwierigkeiten damit gehabt hatten, an Fastentagen die vorgegebene Kalorienmenge einzuhalten, und durchschnittlich etwa die doppelte Menge der vorgesehenen Energie konsumierten. Aus Sicht der Autoren stellt dies den Nutzen des Fastens über längere Zeiträume von vornherein in Frage, und sie schlagen stattdessen vor, lieber an einigen Tagen der Woche die Energieaufnahme um 1000 Kalorien zu reduzieren. 

Diese Schlußfolgerung ist offensichtlich unsinnig. Es läge weitaus näher, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Kaloriengrenze sinnlos ist, da die ADF-Gruppe ja trotz Nichteinhaltens dieser Grenze deutlich erfolgreicher als die CR-Gruppe gewesen war. Besteht also vielleicht ein Zusammenhang zwischen der Weigerung, den Erfolg der ADF-Gruppe ausdrücklich anzuerkennen, und dieser seltsamen Schlußfolgerung, sowie eventuell auch noch - wenn ich mich schon an die Grenze zu einer Verschwörungstheorie wage, dann doch gleich richtig - dem so ineffizient wie möglich ausgestalteten Fastenrhythmus? 

Beim Insulinwert immerhin half auch kein argumentativer Salto mortale mehr, da schnitt die CR-Gruppe so offensichtlich am schlechtesten ab (sogar schlechter als die Kontrollgruppe, die ihre Ernährung nicht verändert hatte), daß es sinnlos gewesen wäre, dies abzustreiten: Angefangen hatten ADF- und CR-Gruppe mit ungefähr gleich hohen Werten, aber nach sechs Monaten war der Wert bei der ADF-Gruppe deutlich stärker gesunken als bei der CR-Gruppe. Nach zwölf Monaten ergab sich bei der CR-Gruppe ein Wiederanstieg, der sie nur noch geringfügig unter den Ausgangswert hinaufbrachte. In der ADF-Gruppe war er dagegen nicht etwa gleich geblieben, sondern sogar noch weiter (!) gesunken und hatte sich im Vergleich zum Ausgangswert in etwa halbiert.

Müßte ich aus diesem Ergebnis Schlußfolgerungen ziehen, würden sie ganz anders aussehen als bei den Autoren der Studie:
  1. ADF hat sich sowohl beim Insulinwert als auch bei der Gewichtsabnahme im Vergleich zu CR jedenfalls bei bedenklichen Insulinwerten als deutlich überlegene Methode erwiesen.
  2. Die Gewichtsverlaufskurve zeigt allerdings, daß in der Gewichthaltephase zwischen Monat 7 und 12 eine vergleichbare Wiederzunahme wie bei CR erfolgt, wenn sie auch später und nach einem höheren Abnahmeerfolg einsetzt. Daraus wäre zu schlußfolgern, daß nach Fasten als einmaliger Gewichtsreduktionsmaßnahme im Anschluß ebensowenig ein dauerhafter Erfolg zu erwarten ist wie bei CR. 
  3. Die aufgenommene Kalorienmenge hat sich als kein entscheidender Faktor für den Erfolg des Fastens erwiesen. 
  4. Folgestudien sollten a) längere Zeiträume (> 2 Jahre), b) verschiedene Fastenmodelle (16, 24, 36 Stunden pro Fastenintervall) sowie c) diese Fastenmodelle mit und ohne Kalorienrestriktion untersuchen und ihren Erfolg mit dem von CR vergleichen. 
  5. Es wäre sinnvoll, Männer und Frauen dabei getrennt zu untersuchen, da die Abnehmkurven bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich verlaufen und die Aussagekraft solcher Studien durch einen kleinen Anteil eines Geschlechts und einen großen des anderen unnötig verzerrt wird. 






Sonntag, 22. September 2019

Wieviel Vertrauen haben Wissenschaft und Technik verdient?

Heute morgen wog ich zu meiner freudigen Überraschung 102,8 Kilogramm, also 300 Gramm weniger als gestern. So was kann vorkommen, wenn ich am Wochenende viel unterwegs war oder wenig gegessen habe (was beides gestern der Fall war), aber es ist doch auch dann eher die Ausnahme. Damit habe ich eine gewisse Chance, morgen früh unter 104 Kilogramm in die Fastenwoche zu starten, was ich ziemlich spektakulär fände. Das würde meine Chancen, schon am Samstag die 100 zu knacken, erheblich steigen lassen.

Aber nicht deswegen schiebe ich heute meinem gestrigen Beitrag einen weiteren nach, sondern deshalb, weil ich das Gefühl hatte, daß in jenem Blogartikel etwas Wichtiges fehlte, nämlich der Blick vom besonderen Einzelfall auf eine verallgemeinerbare Problematik. Mir wird nämlich viel zu vieles einfach geglaubt, "weil es geschrieben steht", oft sogar dann, wenn es in eklatantem Widerspruch zur persönlichen Erfahrung steht.

Die Reaktion des Trainers auf meine Einwände gegen die Meßergebnisse ist dabei ganz typisch für die Reaktion von "Experten" auf Einwände, die von einem Laien seines Fachgebiets kommen. Ein Techniker ist der Trainer dabei aber auch nicht, er weiß zwar, wie er die Körperanalysewaage bedienen muß, nicht aber, wie sie funktioniert. (Mein Mann ist da von den Fachkenntnissen her schon eher qualifiziert, also habe ich ihm die Bedienungsanleiterung des Geräts, die ich im Web gefunden habe, mal weitergemailt und bin schon gespannt, was er dazu meinen wird.) Was der Trainer weiß und guten Gewissens nach außen vertreten kann, ist, daß im Studio bei solchen Gerätschaften nicht am falschen Ende gespart wird und man dem Gerät, das gute Beurteilungen von Fachleuten aufzuweisen hat, deshalb an sich vertrauen können sollte. Aus seiner Sicht grenzt es an Majestätsbeleidigung, wenn nicht gar Blasphemie, wenn ein Trainierender, dem sogar diese Anwenderkenntnisse fehlen, die Richtigkeit der Ergebnisse in Zweifel zieht.

In der Rolle des Gotteslästerers (oder neudeutsch: des Leugners) finde ich mich in solchen Situationen für meinen Geschmack viel zu oft wieder, wenn es um Wissenschaft und Technik geht, obwohl ich, finde ich, immer gut begründete Einwände habe. In der Regel sind sie Folge einer groben Plausibilitätsprüfung, bei der ein nicht plausibles Ergebnis herausgekommen ist. Ich muß weder Techniker noch Mediziner sein und deren Fachgebiete beherrschen, um grobe Logikfehler zu erkennen. Wie diese Fehler im Falle meiner Körperanalyse ausgesehen haben, ist im vorherigen Beitrag beschrieben.

Was ich sehr irritierend finde, ist, daß ich außer mir kaum jemanden kenne, der sich von aufgeblasener Expertenwichtigmacherei nicht einschüchtern ließe, und zwar sogar dann, wenn unter Umständen sein Leben und seine Gesundheit davon abhängen. Dazu habe ich sogar ein ziemlich aktuelles Beispiel.

Als ich im Krankenhaus war, kam ich unmittelbar vor der Operation in eine solche Situation. Ich war ja am Tag vor der Aufnahme untersucht worden, und am Aufnahmetag fand ebenfalls noch eine Untersuchung statt. Bei der erfuhr ich, daß ein Blutwert Fragen aufwarf und ich vor der OP noch einmal einer ganz bestimmten Untersuchung (ich bring's nicht mehr zusammen, was für eine) unterzogen werden solle. Zuvor sollte ich aber erst in mein Zimmer eingewiesen werden.
Das Bett in diesem Zimmer war aber gerade erst frei geworden, und so geschah es, daß ich, noch bevor mir überhaupt ein Bett fertiggemacht worden war, schon im OP verlangt wurde. Alles mußte auf einmal bei mir und den Stationsschwestern ganz schnell gehen, innerhalb weniger Minuten wurde ich dann im Krankenhaushemdchen und ohne Brille Richtung OP gerollt.

Was aber war mit dieser Untersuchung? Ich sprach die Schwester darauf an, während wir auf den Aufzug warteten. Sie wußte von nichts, versprach aber, sich zu kümmern. Dann lag ich auf der OP-Liege im Vorraum des Operationssaals und wartete. Der Anästhesist kam vorbei, ich sprach auch ihn an, dann eine OP-Schwester. Niemand wußte aber etwas von dieser Sache. Alle waren sehr nett und wollten sich kümmern. Nur, dann geschah lange Zeit nichts.

Zum Glück dauerte es etwa eine halbe Stunde, bis der OP frei wurde und ich drankam, denn ich hätte mich rundheraus geweigert, mich operieren zu lassen, bevor mir jemand zweifelsfei bestätigen konnte, daß diese Untersuchung nicht etwa auf dem Dienstweg verlorengegangen war, sondern bewußt verworfen worden war. Immerhin ging es ja um mein Leben und meine Gesundheit, und ich hatte nicht die Absicht, sie unnötig zu gefährden. Dafür hätte ich auch den Krankenhausbetrieb aufgehalten. Wenige Minuten, bevor es dann ernst wurde, kreuzte dann aber doch noch die Stationsärztin auf und teilte mir mit, die heutige Blutprobe habe die gestrige Abweichung bei den Blutwerten nicht mehr enthalten, somit sei die Untersuchung gegenstandslos.

Nachdem ich mich nun vergewissert hatte, daß der Informationsstand aller Beteiligter up to date war, konnte ich den Anästhesisten beruhigt ans Werk gehen lassen. Aber ich spürte durchaus einen Sog, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Immerhin, ich war ja Patientin und die waren Ärzte, sollten also eigentlich wissen, was sie taten. Ich weiß, wie eng die Abläufe in Krankenhäusern getaktet sind und daß man da eigentlich keinen Sand im Getriebe brauchen kann. Aber aus reiner Höflichkeit und Respekt vor dem Fachwissen Dritter die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen? Dafür nahm ich notfalls auch in Kauf, mich wie ein quengelnder Querulant zu fühlen.

Mich würde mal interessieren, wie viele Patienten in derselben Situation es - aus unterschiedlichen Gründen - nicht mehr gewagt hätten, sich um ihre ureigensten Belange zu kümmern oder dies vielleicht auch nicht für erforderlich gehalten hätten. Aus einem Gefühl der Peinlichkeit heraus. Weil man nicht mehr das Gefühl hat, irgendetwas tun zu können, wenn man im Flügelhemdchen auf dem OP-Liege festgebunden ist. Weil die da doch die Experten sind und wissen müssen, was richtig ist. Und so weiter. Dabei wird die Zahl der Behandlungsfehler in Krankenhäusern, auch solcher mit tödlichem Ausgang, ziemlich hoch eingeschätzt. Niemand wird einem seine Zurückhaltung danken, wenn man sie dann vielleicht ebenfalls mit einem gesundheitlichen Schaden bezahlen muß. Da benehme ich mich im Zweifelsfall doch lieber peinlich.

"Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Daß das von Kant stammt, ist weitgehend bekannt, und ebenso, daß es der Leitspruch der Aufklärung ist. Aber wo man das als Einzelner im eigenen Alltag in die Praxis umsetzen könnte, traut man es sich dann oft doch nicht. Vor allem dann, wenn man aktiv dabei behindert wird, wo einem vermittelt wird, man habe doch keine Ahnung, man solle doch den Fachleuten vertrauen, die wüßten, was sie tun, oder der Technik, die so raffiniert sei, daß man als Laie doch eh keine Ahnung habe. Eine ziemlich perfide Variante, die ich zwischen den Zeilen auch im EMS-Studio wahrzunehmen glaubte (aber vielleicht tue ich damit dem Trainer auch Unrecht), besteht darin, einem zu unterstellen, daß man die Wahrheit (der angezweifelten Ergebnisse) einfach nicht vertragen könne, weil man sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte.

Natürlich ist es wirklich wahr, daß ich als Laie mit meiner Einschätzung auch einmal völlig danebenliegen kann. Wenn mir das plausibel gemacht wird, bin ich dankbar für die Korrektur. Aber das habe ich bislang leider eher selten erlebt, meistens reagieren Experten darauf, indem sie ausschließlich auf ihre Experten-Autorität pochen, sogar dann, wenn sie die Möglichkeit hätten, mich sachlich zu korrigieren.

Das Risiko, das damit verbunden ist, in so einem Fall den Schaden selbst davonzutragen, weil ich nicht auf den Experten gehört habe, gehe ich bewußt sein. Denn im Zweifelsfall ist es mir immer noch lieber, meinen eigenen Fehler gemacht zu haben, als den, zu dem mich andere Leute überredet haben.


Samstag, 21. September 2019

Warum ich das EMS-Training (wahrscheinlich) aufgeben werde

Gestern, nach meinem zweiten Fastentag der Woche, hatte ich morgens 101,8 Kilogramm; heute früh waren es 103,1. Alles im erwartbaren Bereich also. Am Montag werde ich wohl wieder mit 104,xy in die neue Fastenwoche gehen, und ich hoffe, mich an deren Ende endlich mal der magischen 99,9 zu nähern.

Nach dem ersten Fastentag dieser Woche, also am Mittwochvormittag, lag mein Gewicht bei 102,4 Kilogramm. Das freute mich, denn am Mittwoch war "Vermessung" beim EMS-Training: Wiegen einschließlich Körperanalyse, diverse Körperumfänge und Blutdruck messen. Bei der letzten Körperanalyse, im Mai, war ich vom Ergebnis ein bißchen enttäuscht gewesen, weil mein Gewicht aus irgendwelchen Gründen ausgerechnet in den Tagen davor nach oben gegangen war. Ich hatte mit einem Gewicht von 108,9 Kilogramm zwar im Vergleich zur letzten davorliegenden Vermessung im Januar abgenommen, aber doch weniger, als es noch in der Woche davor gewesen wäre.

Ich bin also bestens gelaunt ins Studio gelaufen. Daß ich mich ausgerechnet über diese Vermessung so ärgern würde, hätte ich nicht erwartet.

Es lag im Prinzip nicht an den Meßwerten, sondern am Trainer. Eigentlich ist er ein netter junger Mann, und er macht ja nur das, was man ihm beigebracht hat und was alle dort machen. Ich hatte insgesamt vier Vermessungen bei, wenn ich das noch richtig weiß, vier verschiedenen Trainern, und bei allen ging mir dieses übermotivierte Motivationstrainer-Gehabe auf die Nerven, und das Schlimmste ist: Es ist unmöglich, sie dazu zu bringen, diesen Teil der Übung bei mir einfach auszulassen. Ich will von ihnen aber weder wissen, was ich essen noch was ich trinken und schon gar nicht, was für Sport ich treiben soll. Ich will mir auch keine Ziele setzen und diese aktiv anstreben. Ich mache bereits das, was ich für richtig halte.

Wassergymnastik solle ich machen, meinte der Trainer diesmal. Na, ich danke. Das ist ja fast schon beleidigend.

Aber die Meßwerte waren auch so eine Sache. Das fängt schon bei der Waage an. Wenn ich daheim 102,4 Kilogramm wiege, weiß ich schon im Voraus, daß ich auf der Waage im Studio 102,9 Kilogramm wiegen werde. Die Differenz beträgt immer exakt ein halbes Kilo im Vergleich zu meiner Waage daheim, ich habe das - neben den Vermessungsterminen - schon einige Male auch zwischendurch ausprobiert. Im Studio schwören sie, daß ihre Waage das Gewicht korrekt anzeigt, oder vielmehr: daß sie sogar zu wenig anzeigt, weil 500 Gramm als Gewicht der Trainingsbekleidung abgezogen werden. Daheim wiege ich mich immer in Unterwäsche, die dürfte in etwa gleich wiegen wie die Trainingskleidung, also erklärt das die Differenz nicht.

Bei der Waage handelt es sich um kein Billigteil, sondern um eine Tanita BC 418 MA, die über 4000 Euro kostet und allgemein gelobt wird. Trotzdem sehe ich keinen Grund, ihr mehr zu vertrauen als meiner guten alten ungeeichten, aber eichfähigen mechanischen Arztwaage. Solange niemand an den Gewichten herumfeilt, müßte die eigentlich nach wie vor absolut korrekte Ergebnisse anzeigen. Und daß die Gewichtsanzeige von Digitalwaagen mit Vorsicht zu genießen ist, weiß ich spätestens, seit ich mich mit einer herumschlagen mußte, die unterschiedliche Ergebnisse anzeigte, wenn ich zweimal hintereinander auf ihr draufstand.

Über diese 500 Gramm hin oder her streite ich mich schon lange mit niemandem mehr. Dann ergab aber auch die Blutdruckmessung einen Wert, der mich zusammenfahren ließ (155 zu 106 - keine zwei Stunden vorher hatte ich daheim selbst meinen Blutdruck gemessen, und er lag wie fast immer bei ca. 140 zu 90), und als es dann an die Auswertung der Körperanalyse und die Veränderung zur letzten Vermessung ging, konnte ich zu einer ganzen Reihe von Ergebnissen nur sagen: "Das ist absurd."

Absurd fand ich es etwa, daß nach Aussagen des Trainers von den exakt 6 Kilogramm, die ich im Vergleich zur Messung vier Monate vorher verloren hatte, 4,8 Kilogramm Muskelmasse gewesen sein sollten.

So ergab sich das tatsächlich aus der Auswertung, und die teure Profi-Waage muß ja wohl recht haben, oder? Tatsächlich habe ich, als ich daheim alle vier Vermessungsergebnisse durchgesehen habe, festgestellt, daß der Wert diesmal durchaus korrekt sein kann, aber dafür der Vergleichswert der Muskelmasse bei der letzten Vermessung im Mai falsch gewesen sein mußte, denn die Entwicklung meiner Muskelmasse innerhalb von 13 Monaten sah so aus:

August 2018: 57,5
Januar 2019: 55,3
Mai 2019: 59,1
September 2019: 54,3

Im Vergleich dazu die Entwicklung bei der Fettmasse:

August 2018: 54,7
Januar 2019: 54,4
Mai 2019: 46,4
September 2019: 45,7

Auch hier fällt ein Sprung zwischen Januar und Mai auf, der eigentlich nicht korrekt sein kann. Ich werde in diesen vier Monaten kaum wirklich 8 Kilogramm Fettmasse verloren haben, da ich in diesem Zeitraum ja insgesamt nur 3,9 Kilogramm Gewicht verloren hatte.




Daneben KANN es einfach beim besten Willen nicht sein, daß die gesamte fettfreie Masse bei mir 57,2 Kilogramm ausmachen soll und davon 54,3 Kilogramm Muskeln sein sollen, also für die Haut (die 20 % des Körpergewichts ausmacht und mit dem Übergewicht natürlich entsprechend mehr wird) und das Skelett (wiegt bei jemandem meiner Größe mindestens acht Kilogramm) gerade mal 2,9 Kilogramm vorgesehen sind. Bei jemandem mit meinem Gewicht darf man davon ausgehen, daß die fettfreie Masse aus ca. 30 Kilogramm Knochen und Haut und ca. 27 Kilogramm Muskeln besteht ... falls der Meßwert für die fettfreie Masse zutreffend sein sollte.

Wenn ich die Entwicklung zwischen August 2018 und September 2019 betrachte, anstatt Mai und September 2019 zu vergleichen, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, daß ich in diesem Zeítraum 9 Kilogramm Fettmasse und 3,2 Kilogramm Proteine verloren haben. Aber diese Proteine waren kaum in nennenswertem Ausmaß Muskeln. Was ich nämlich eindeutig und mit bloßem Auge wahrnehmbar neben dem Fett verloren habe, ist überschüssige Haut und Bindegewebe.

Im Gegensatz zu so vielen Diäthaltenden, die das Problem mit schlaff herunterhängender Haut, sogenannten Fettschürzen, haben, wenn sie in meiner Größenordnung Gewicht abgenommen haben, und es für mehr oder weniger unvermeidlich halten, profitiere ich beim Fasten davon, daß mein Körper alles, was als überschüssig erkannt wird, verstoffwechselt, weshalb meine Haut ganz brav mitgeschrumpft ist. Bei mir hängt nirgends etwas lose herunter; meine Haut sitzt so fest wie eh und je.

Die Meßwerte am Mittwoch wurden aber nur mit denen vom Mai verglichen, und die Betrachtung der einzelnen Teilergebnisse ergab ein so widersprüchliches Gesamtergebnis, daß ich mit dem Trainer darüber in Streit geraten bin.

Ein weiteres Meßergebnis, vorgenommen manuell mit dem Maßband durch den Trainer, hatte nämlich ergeben, daß ich in den letzten vier Monaten besonders um Brust (6 cm) und Taille (8,5 cm) geschrumpft bin. Mit anderen Worten, der Trainer behauptete allen Ernstes, daß ich innerhalb von vier Monaten 4,8 Kilogramm Muskeln vor allem in dieser Körperregion verloren haben soll. Da dürfte ich jetzt wohl keine Bauchmuskeln mehr haben, und es müßte alles schwabbeliger geworden sein. Das ist es aber nicht. Ich habe noch einen Rest Bauchspeck, aber er ist wahrnehmbar geschrumpft und ich freue mich darauf, mich in den nächsten Monaten Fastentag für Fastentag deutlicher ganz von ihm verabschieden zu können. Ich gehe davon aus, daß mein Schwabbelbäuchlein bis spätestens nächsten Sommer Geschichte sein wird.

Auch das Ergebnis für Viszeralfett, also das Fett, das sich um die inneren Organe abgelagert hat, ist nicht plausibel, und zwar über die gesamte Zeitdauer gesehen nicht. Der Anteil dieses Fetts wird in "Level" angegeben, was genau das heißen soll, hat sich mir auch nach Lektüre der online gefundenen Bedienungsanleitung des Geräts nicht erschlossen. Einer anderen Website des Herstellers war lediglich zu entnehmen, daß Level 1 bis 12 ein niedriges und Level 13 bis 59 ein hohes Gesundheitsrisiko bedeuten sollen, nicht aber, was man sich konkret unter diesen Leveln an Fettmengen vorstellen muß und wie diese durch die Körperanalysewaage ermittelt werden.

12 Kilogramm Viszeralfett, wie der Trainer es mir gegenüber bezeichnete, sind dabei aber offensichtlich nicht gemeint. Merkwürdig ist, daß schon bei der letzten Messung Level 12 angegeben war und bei den beiden Messungen davor Level 14. Da mein Brustumfang und Taillenumfang kontinuierlich geschrumpft sind, bedeutet das aber, daß genau in dem Bereich, in dem sich meine inneren Organe befinden, jedes Mal weniger Substanz um sie herum gewesen sein muß. Muskeln, die an dieser Stelle gleich kiloweise hätten verloren gegangen sein können, wären in diesem Bereich eine anatomische Besonderheit, für die ich mich auf dem Jahrmarkt hätte präsentieren lassen können. Oder vielleicht wenigstens auf einem Anatomen-Kongreß.

Es erwies sich als unmöglich, dem Trainer zu vermitteln, daß die Einzelergebnisse beim besten Willen nicht zueinander paßten und folglich irgendetwas an diesem Gesamtergebnis nicht stimmen konnte, und am Ende gab ich es auf. Was die Sache aber noch schlimmer und mich am Ende richtig sauer machte, war, daß der Chef des Studios glaubte, seinem Mitarbeiter zu Hilfe kommen zu müssen und dann nicht mehr damit aufhören wollte, mich davon überzeugen zu wollen, daß das Ergebnis richtig sei. Das ging auch während des Trainings so weiter, bis ihm dann auf einmal der Gedanke gekommen zu sein scheint, daß es vielleicht doch keine so gute Idee ist, seine Kunden zu verärgern, denn dann fing er auf einmal an, mir merkwürdige Komplimente zu machen, die ich eher ein bißchen peinlich als irgendwas anderes fand, weil ihm der dahinterstehende Gedankengang doch deutlich genug anzusehen war. Aber hätte er es nur damit endlich gut sein lassen! Nachdem ich mein Training beendet hatte, fing er aber auf einmal wieder damit an, auf mich einzureden, warum die Ergebnisse in jedem Fall richtig sein müßten.

Das ärgert mich auch Tage später immer noch so sehr, daß ich darüber nachdenke, mit dem EMS-Training ganz aufzuhören.

Eigentlich komme ich mir ein bißchen albern dabei vor, das ausgerechnet in so einem läppischen Zusammenhang zu machen, es hat was von beleidigter Leberwurst. Aber andererseits ist mir schon länger klar, daß das EMS-Training, das ich einst begonnen habe, weil es angeblich beim Abnehmen helfen sollte (was es aber nicht tat), für mich nicht mehr als ein ziemlich kostspieliges Hobby ohne wirklichen Nutzen ist. Ungefähr 1000 Euro Trainingskosten im Jahr sind schon ein stolzer Preis, wenn man eigentlich gar nicht so genau sagen kann, wozu das alles gut sein soll. Ich gehe nämlich jede Wette ein, daß ich an meiner künftigen Gewichtsabnahme das Wegfallen dieses Trainings nicht merken würde, denn genau dasselbe habe ich schon einmal erlebt, als ich mit der Gymnastik aufgehört habe, die ich zusätzlich zum EMS-Training fast zwei Jahre lang täglich gemacht habe.

Warum ich dann nicht schon längst aufgehört habe? Tja, das habe ich mich schon öfter selbst gefragt. Was sachlich fürs Weitermachen sprach, war eigentlich nur, daß ich das Gefühl hatte, meine vorwiegend sitzende Tätigkeit ein wenig ausgleichen zu müssen, damit mir meine Muskulatur nicht völlig verkümmert. Aber das könnte ich auch auf andere Weise bewirken. Ich habe daheim auch noch eine Vibrationsplatte, die genau denselben Zweck erfüllen würde. Die Wahrheit ist banal: Das eine Training pro Woche habe ich gut in meinen Wochenplan eingefügt und verbinde es mit anderen Erledigungen, zum Beispiel dem Einkauf auf dem Markt. Hinzu kommt, daß ich meine jahrelange Trainingspartnerin und eigentlich auch die Studiomitarbeiter sympathisch finde ... auch wenn ich mich jetzt einmal über sie geärgert habe. Ich bin halt ein Gewohnheitstier, das ist wohl der Hauptgrund, warum ich das schon sieben Jahre lang mache.

Jetzt habe ich mich mal mit meinem Vertrag befaßt und die Frage, ob ich kündigen will oder nicht, auf das Jahresende verschoben, denn vor Anfang März kann ich den Vertrag ohnehin nicht beenden. Falls ich bis dahin den Spaßfaktor wieder wichtig genug finden sollte, um trotz allem, was dagegenspricht, weitermachen zu wollen, mache ich halt doch weiter.

In jedem Fall werde ich aber die Vermessungen künftig bleibenlassen. Ich habe das ohnehin nur deshalb wieder angefangen, weil es mir praktisch schien, daß mir auf diese Weise alle vier Monate ein Dokument erstellt wird, dem die Entwicklung meines Körpergewichts und -umfang entnommen werden kann. Aber was ich von Anfang an daran unangenehm fand, war dieses Motivationstrainer-Getue, das damit verbunden ist. Deshalb habe ich, als ich 2012 mit dem EMS-Training begonnen hatte, die Vermessungen ziemlich schnell abgeschafft, weil mir dieser Teil einfach zu sehr auf die Nerven gegangen ist.

Wieder begonnen habe ich mit den Vermessungen letztes Jahr im August beim Stand von 115,2  Kilogramm (laut deren Waage; eigentlich: 114,7 Kilogramm), weil ich dachte, es sei doch ganz praktisch, die Entwicklung meiner Gewichtsabnahme mit schriftlichen Belegen versehen zu können. Aber dafür sollten sich wohl auch andere Möglichkeiten finden. Vielleicht frage ich meinen Hausarzt, den ich ohnehin noch in Sachen Gallen-OP-Nachklapp aufsuchen muß, ob er das ein oder zwei Mal im Jahr machen könnte, vielleicht in Kombination mit den Blutwerten. Ich würde von ihm auch gerne wissen, wo ich meinen Grundumsatz mittels Atemanalyse ermitteln lassen könnte, denn das würde mich echt mal interessieren, wie weit das von den üblichen auf dem Rechenweg ermittelten Werten abweicht.

Auch mein vermeintlicher Grundumsatz wurde von der Körperanalysewaage ermittelt, und gerade diesem Wert traue ich überhaupt nicht über den Weg:

August 2018:       1885 kcal
Januar 2019:        1819 kcal
Mai 2019:            1908 kcal
September 2019: 1758 kcal

Auch hier wieder dieser merkwürdige Sprung nach oben im Mai, aber das ist natürlich ein Folgefehler, ausgehend von dem eigentlichen falschen Meßwert, wie auch immer der zustande gekommen sein mag.

Ach ja, wegen der Galle: Ich vermisse meine Gallenblase tatsächlich nicht. In der ersten Woche nach der OP merkte ich nach dem Essen noch, daß ich dauernd aufstoßen mußte, aber inzwischen hat sich das gelegt. Ich scheine auch tatsächlich wieder alles zu vertragen.











Montag, 16. September 2019

Wie ich es nicht machen würde: die Methode, mit der Angelika Schaller 50 Kilo abgenommen hat

Mein Mann hat Frühschicht und ich trinke morgens meinen Kaffee alleine. Also hatte ich Zeit, das Buch von Angelika Schaller ("Maßlos. 50 Kilo leichter und glücklicher") zu Ende zu lesen, und jetzt möchte ich doch rasch noch mein Fazit zu dieser Lektüre schreiben.

Aber zuerst mal mein aktuelles Gewicht: Heute morgen brachte ich 103,6 Kilo auf die Waage. Das entspricht in etwa meinen gestrigen Erwartungen, und es läßt hoffen, daß mein morgiger erster Fastentag der Woche tatsächlich unter 105 Kilogramm beginnen wird, wie ich das gehofft hatte. Die 99,9 bleibt also im Fokus, wenn ich auch frühestens nächste Woche damit rechnen kann, diesen Wert erstmals zu knacken.

Ich muß vorsichtiger werden mit meinen Prognosen. Wenn ich zu optimistisch vorauskalkuliere, klappt es nur selten. Also: Vielleicht Ende nächster Woche. Vielleicht aber auch erst später. *seufz*

Frau Schaller war, wie erwähnt, mit ihrer Methode beim Abnehmen erfolgreich und konnte diesen Erfolg auch bis heute durchhalten, und das immerhin fast schon zwei Jahrzehnte lang. Wer könnte bestreiten, daß sie auf diesen Erfolg stolz sein kann? Problematisch finde ich allerdings, daß Frau Schaller glaubt, mit ihrem Erfolg ein gutes Vorbild für andere Abnehmwillige zu sein, denn das ist sie nicht. Sie selbst gibt auf Seite 191 zu, daß das Progamm, das ihr geholfen hat, hohe Mißerfolgsquoten aufweist, was auch für alle anderen auf dem Markt befindlichen Progamme gelte. Dies deckt sich auch mit der Ansicht der Wissenschaft. Eine inzwischen allgemein akzeptiere und häufig in Studien zitierte Auffassung zu diesem Thema lautet folgendermaßen:
„However, research has shown that 20% of overweight individuals are successful at long-term weight loss when defined as losing at least 10% of initial body weight and maintaining the loss for at least 1 y.” (Wing und Phelan, 2005)
Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn 20 Prozent, also ein Fünftel, aller Übergewichtigen, die sich um Gewichtsreduktion bemühen, mindestens 10 Prozent ihres Körpergewichts verlieren und imstande sind, die Reduktion mindestens ein Jahr lang zu halten, gelten sie als erfolgreich.

Nach dieser Definition hätte Frau Schaller schon zu den Erfolgreichen gehört, wenn sie 13 Kilogramm abgenommen hätte. Aber auch dann, wenn sie zunächst 50 Kilogramm abgenommen hätte und sie anschließend innerhalb eines Jahres 37 Kilogramm wieder zugenommen hätte. Ebenso hätte sie als erfolgreich gegolten, wenn sie nach zwei Jahren ihr altes Gewicht wieder gehabt oder sogar überschritten hätte.

Aber sogar diese Art von zweifelhaftem Erfolg gelingt nach den Erfahrungen der Wissenschaft nur jedem Fünften, der abzunehmen versucht. Es darf angesichts solcher Dimensionen des Versagens bezweifelt werden, daß dieses Problem nichts weiter als vernünftig für die Psyche von Übergewichtigen sensibilisierten Motivationstrainern bedarf, sondern hier wird dem Augenschein nach das Physiologische bei der Behandlung nicht ausreichend verstanden. Mit anderen Worten: Nicht die Abnehmwilligen sind die Versager, sondern ihre Behandler.

Frau Schallers Erfolg, der jene Definition in geradezu spektakulärer Weise übertrifft, hat daneben auch ein paar Schattenseiten, die meiner Erfahrung nach beim Fasten nicht auftreten, etwa die Probleme mit schlaffer Haut und störenden sowie unästhetischen Fettschürzen. Beim Fasten scheint das nämlich erfreulicherweise Seltenheitswert zu haben. Auch an mir selbst habe ich nichts dergleichen feststellen können. Meine Haut schrumpft beim Abnehmen mit. Die möglichen Gründe dafür finden sich im verlinkten Dokument.

Von Fasten hält die Autorin übrigens gar nichts, wobei ihre eigenen Erfahrungen damit sich wohl auf Heilfasten beschränken, und dies betreffend dürfte sie recht haben; Helmut Kohl, der einmal im Jahr zum Heilfasten ging und damit jedes Jahr unförmiger wurde, ist ihr stummer Zeuge. Frau Schaller glaubt, daß "Nulldiät und andere extreme Fastenformen" (mit letzterem scheint sie aber gar kein echtes Fasten, sondern sehr restriktive Diäten zu meinen) kaum eine anhaltende Fettreduktion bewirken, und schwadroniert genauso wie jener verstorbene Prof. Dr. Ernährungswissenschaftler, über dessen Meinung ich neulich im Web gestolpert war, vom verlangsamten Stoffwechsel, dem Abbau von Muskeln usw. als vermeintliche Wirkung dieser Vorgehensweise.

Die Beweislage aus der Wissenschaft steht, mindestens für restriktive Diäten, allerdings im klaren Widerspruch zu solchen Märchen aus der Ernährungswissenschaftler-Mottenkiste. Restriktive Diäten bewirken nämlich, aus welchen Gründen auch immer, zwar nicht (im Durchschnitt aller Teilnehmer) ein dauerhaftes Halten des erreichten Gewichts, aber sehr wohl ein etwas längeres Halten und anschließend eine prozentual geringere Zunahme im Verlauf der fünf bis zehn einer Diät folgenden Jahre.

Wie gesagt, ich spreche hier vom Durchschnitt aller Teilnehmer. Bei allen Arten von Diäten, egal ob harmlos oder restriktiv und egal, welche Methode angewandt wird, drückt ein Durchschnittswert aber eine Minderheit von Erfolgreichen (im Sinne von: dauerhaft erfolgreich, also mindestens fünf Jahre oder länger ohne oder nur mit geringfügiger Wiederzunahme), denen eine große Mehrheit von ganz oder teilweise Erfolglosen gegenübersteht. Die Unterschiede zwischen den Erfolgreichen und den anderen bestehen wahrscheinlich in irgendeinem auslösenden Faktor, der die Motivation und Leidensbereitschaft bei dem davon Betroffenen so stark erhöht hatte, daß er bereit war, Dinge zu tun, die man eigentlich unter "an der Grenze des Menschenmöglichen und nicht wirklich erstrebenswert, sofern es irgendwelche Alternativen gibt" zusammenfassen könnte. Bei Frau Schaller war dieser auslösende Faktor ihr medizinischer Notfall.

Zu den Dingen, die die wenigen erfolgreichen Diäthalter verbinden (manchmal glaube ich, nahezu jeder einzelne von ihnen hat darüber ein Buch geschrieben ...), gehört in der Regel, daß sie bereit sind, sich dauerhaft und bis an ihr Lebensende jederzeit selbst zu kontrollieren. Um das tun zu wollen, wenn nichts einen dazu zwingt, muß man nämlich schon ein bißchen eine Macke haben. Ob Nadja Hermann oder Angelika Schaller, beide hatten in dieser Hinsicht keine Macke, sondern glaubten, dies tun zu müssen. Wie die Sache bei Nadja Hermann weitergegangen ist, nachdem sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, kann niemand wissen, aber Frau Schaller zählt zweifelsfrei zu den dauerhaft Erfolgreichen. Ihr Stolz darauf sei ihr gerne gegönnt.

Daß restriktive Diäten dabei in Wirklichkeit sogar relativ erfolgreicher sind als harmlose, fällt alleine deshalb schon kaum auf, weil solche Diäten wissenschaftlich praktisch ausschließlich mit sehr stark Übergewichtigen untersucht wurden. Dabei ging es immer um Abnahmen in der Größenordnung von zig Kilogramm, und auch wenn als Durchschnittswert nur 50 % Wiederzunahme zu verzeichnen waren (was viel besser ist als alles, was die Wissenschaft bei der von Experten so gerne empfohlenen Ernährungsumstellung zu verzeichnen hat), handelte es sich natürlich dennoch um eine Wiederzunahme, die für die einzelnen Betroffenen deprimierend hoch ausfällt und ebenfalls eine zweistellige Zahl von Kilos umfaßt.

Einer dieser Betroffenen ist Michael Klotzbier, dessen Abnehmprojekt mit dem Ziel, einen Marathon zu laufen, bei Spiegel Online verheizt wurde, bis klar geworden war, daß von ihm keine guten Nachrichten mehr kommen würden. Klotzbier hatte zwischen 2015 und 2016 deutlich über 50 Kilogramm abgenommen ... und im Anschluß daran bis Anfang 2019 30 Kilogramm zu. Ein erneuter Anlauf im Frühjahr dieses Jahres scheint ihm in die Binsen gegangen zu sein, jedenfalls hat er sein neues Blog rasch nicht mehr weiterverfolgt. Schade drum.

Fasten hingegen wurde von der Wissenschaft bislang leider ignoriert, was Langzeitstudien über fünf Jahre und länger betrifft; es ist zu hoffen, daß sich das in den nächsten Jahren ändert. Immerhin ist Fasten ja gerade in Mode, da gibt es eine reelle Chance, daß die Wissenschaft das endlich mal etwas systematischer untersucht. Vergleiche zwischen Diäten und Fasten, die weniger als zwei Jahre dauern, halte ich von vornherein für sinnlos, denn der durchschnittlich zu verzeichnende Mißerfolg der Diäten wird erst nach diesem Zeitraum korrekt einschätzbar, da fast alle Diäten im ersten halben Jahr super funktionieren, wenn die Teilnehmer diszipliniert mitmachen, und danach meist erst eine mehrmonatige Stagnationsphase folgt, bevor die Wiederzunahme einsetzt.

Das Interessante an so einer Studie fände ich nicht nur ihren in Kilogramm meßbaren Erfolg, bei dem ich überzeugt davon bin, daß er beim Fasten nach fünf Jahren deutlich höher ausfallen würde als bei Diäten, sondern auch, ob beim Fasten mehr oder weniger Teilnehmer vorzeitig abspringen als bei Diäten ... denn bei Diäten sind es in Studien meistens verflixt viele, die nicht bis zum Ende mitmachen - was im übrigen bedeutet, die Ergebnisse sind sogar noch positiv überzeichnet, weil es sich nur um die Ergebnisse derjenigen handelt, die bis zum Schluß durchgehalten haben.

Das Programm, für das Angelika Schaller sich entschieden hatte, war die Optifast-Formuladiät, in einem über 52 Wochen begleiteten Format. Das paßte zu ihr, denn aus ihrem Buch ging hervor, daß sie sich schon vorher immer gerne an den eher kostspieligeren Varianten der angebotenen Abnehmprogramme versucht hatte. Im Jahre 2008, also vor elf Jahren, lagen die Kosten für das Optifast-Programm bei ca. 250 Euro monatlich, also bei rund 3000 Euro für das komplette Jahr. Und seit damals wird es kaum billiger geworden sein.

Bei diesem Programm ernährt man sich über mehrere Monate hinweg nur von Eiweißshakes. Enthalten sind außerdem auch Sitzungen mit anderen Programmteilnehmern einmal die Woche mit Untersuchungen, Wiegen, Ausgabe der Shakes und Sport sowie natürlich "psychologischer Gruppenarbeit". Spaß macht das ganz bestimmt keinen. Der Faktor, der vermutlich am meisten bringt, ist die Gruppendynamik - wobei die auch, je nach Gruppenzusammensetzung, ein negativer Faktor werden kann. Im Falle von Frau Schaller wirkte sie positiv. Aber diesen gruppendynamischen Faktor kann man eigentlich genauso gut nutzen, ohne eine teure Formuladiät zu nutzen, etwa durch Online-Diskussionsforen wie abnehmen.com, wo ich mich ebenfalls gelegentlich beteilige und, auch wenn ich selbst eigentlich kein Gruppenkuscheln brauche, um bei der Stange zu bleiben (nichts kann mich so gut motivieren wie die Tatsache, daß das, was ich mache, wirklich funktioniert), doch festgestellt habe, daß solche Foren für viele Teilnehmer eine echte Unterstützung bedeuten.

Ich fand bei Angelika Schaller  weitaus mehr, womit ich nicht einverstanden war, auch wenn es auch Faktoren gab, die ich aus meiner persönlichen Erfahrung heraus bestätigen kann. Einen Teil davon habe ich im letzten Beitrag schon angesprochen. Aber unter dem Strich ist ihr Buch für mich doch ein eher abschreckendes Beispiel für etwas, was ich keinesfalls machen wollen würde, es sei denn, ich würde fest daran glauben, meinen akut drohenden Tod zu verhindern. Was mich am meisten irritierte, ist, daß Frau Schaller zu glauben scheint, ihr Fall, in dem viel psychisches Ungemach und ein niedriges Selbstwertgefühl eine Rolle spielten, sei typisch für alle (oder jedenfalls die meisten) Übergewichtigen. Damit definiert sie Übergewicht implizit als eine Art psychosomatisches Leiden, das geheilt oder gelindert werden muß, indem man als Übergewichtiger seine Psyche in Ordnung bringt, worauf dann der Rest mehr oder weniger nur noch eine Frage von etwas Selbstdisziplin sei. 

Mit meiner Psyche stimmte aber die ganze Zeit alles. Es ärgert mich, wenn die Autorin mir auf jeder zweiten Seite einen seelischen Schaden oder einen Selbstbetrug unterzujubeln versucht, zumal das meistens ein bißchen durch die Hintertür passiert, etwa, wenn von "wir" (also "wir Dicken") die Rede ist, die übergewichtige Leserin also ungefragt miteinbezogen wird, wenn die Autorin ihre eigene seelische Situation beschreibt. Ich habe mich aber nicht selbst betrogen, sondern ich bin von anderen betrogen worden, nämlich von all den Experten und ihren Nachbetern, die mir weiszumachen versuchten, daß mein ständig ansteigendes Gewicht als Beweis dafür gelten könne und sogar müsse, daß ich zu viel esse und mich zu wenig bewege, und daß ich daran etwas ändern könne - und müsse, falls ich abnehmen will -, wenn ich nur mein Eß- und Bewegungsverhalten in die richtige Relation zueinander bringe.

Daß an diesen Behauptungen irgendetwas nicht stimmen kann, ist mir schon länger klar. Einer jährlichen Gewichtszunahme von einem Kilogramm, wie ich sie zwanzig Jahre lang im Durchschnitt zu verzeichnen hatte, hätte ich, wäre das zutreffend, mit einer vergleichsweise geringfügigen Lebensstiländerung gegensteuern können müssen. Alle Lebensstiländerungen, die ich vornahm - und von denen ich jede einzelne über Jahre hinweg beibehielt -, führten aber nicht dazu, daß ich abnahm oder wenigstens mein Gewicht halten konnte, obwohl sie die ca. 20 Kalorien täglich, die ich ausweislich meiner Gewichtszunahme zu viel konsumiert hatte, um ein Vielfaches überstiegen haben müssen. Es bewirkte noch nicht einmal, daß ich im selben Tempo weiter zunahm. Vielmehr beschleunigte sich meine Gewichtszunahme, je mehr ich ihr gegenzusteuern versuchte, in immer höherem Tempo.

Falls ich in Bezug auf meinen Lebensstil einem Selbstbetrug unterlegen sein sollte, tue ich das immer noch, aber seit ich mit dem Intervallfasten angefangen habe, hat es mich nicht daran gehindert, 43 Kilogramm abzunehmen, und das ohne mich wie Frau Schaller während ihrer Roßkur monatelang gräßlich zu fühlen, ohne mich mit Sportprogrammen abzuschinden oder auch nur an den Tagen, an denen ich esse, auf mein Bier zum Abendessen zu verzichten.

Bücher wie dieses hinterlassen bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Natürlich gönne ich es Frau Schaller, daß sie dauerhaft erfolgreich geblieben ist, aber irgendwie habe ich nicht den Eindruck, daß es sie wirklich zufrieden gemacht hat. Ihrem Facebook-Account läßt sich entnehmen, daß sie nach wie vor mit ihrem Gewicht ringt, zwar erfolgreich, was das Halten ihres Gewichts von 70 Kilogramm plus ein paar Kilos betrifft, auch wenn dabei regelmäßiges Nachsteuern nötig ist. Aber das Gewicht, das sie jetzt hat, ist schon länger nicht mehr ihr eigentliches Wunschgewicht, sondern nun sollte die Waage, wenn es nach ihr ginge, lieber einen Wert anzeigen, der mit einer 6 beginnt. Daran, dieses neue Ziel zu erreichen, arbeitet sie nun auch schon seit ein paar Jahren, und das bislang erfolglos.

Ich gehe gerade ernsthaft in mich und frage mich, ob mir das vielleicht auch passieren wird, daß ich mein Zielgewicht erreiche und dann nach einiger Zeit nicht mehr damit zufrieden sein werde. Aber ich wüßte eigentlich gar keinen Grund, warum. Mein Zielgewicht wurde nach symbolischen Kriterien ausgewählt, nämlich die Hälfte des Gewichts, mit dem ich das Intervallfasten begonnen hatte. Daß ich mit diesem Gewicht einen BMI von 25,xy aufweisen werde, hatte dabei noch etwas zusätzlich Befriedigendes: Damit liege ich einen kleinen Schritt oberhalb von dem, was mir die freundliche Ernährungsberaterin in der nächstgelegenen Praxis (und in jeder x-beliebigen anderen auch) als anzustrebendes Ziel empfohlen hätte. Ein solches Zielgewicht fühlt sich für mich genauso richtig an, wie am Bahnsteig einen Schritt neben dem gelben Quadrat, in dem nach dem Willen der DB auch unter freiem Himmel ausschließlich geraucht werden darf, eine Zigarette anzuzünden.

Also bleibe ich dabei, daß mein Zielgewicht bei 73,5 Kilogramm liegt. Aber im Grunde kommt es mir noch nicht einmal so sehr darauf an, ob ich 70 oder 80 oder vielleicht auch 90 Kilo wiege. Die 100 ist mir nicht mehr egal, sie gefällt mir aber vor allem wegen ihrer Symbolwirkung nicht, und ein bißchen auch, weil ich im Moment doch noch etwas "bauchiger" bin, als ich sein möchte, und annehme, daß sich das erst ändern wird, wenn ich im Vergleich zu jetzt noch weitere ca. 10 Kilogramm runter habe. Meine Beweglichkeit ist aber bereits wieder so weit zurückgekehrt, daß ich mich in meiner Haut nicht mehr unwohl fühle. Idealgewicht hat für mich dagegen gar keine symbolische Bedeutung, es sei denn als Symbol für die pubertären Ängste davor, irgendwie von der Norm abzuweichen, mit denen ich mich als Pubertierende natürlich auch herumgeschlagen habe. So was brauche ich in meinem Alter nicht mehr, weder aus praktischen Gründen noch fürs Selbstbewußtsein, denn ich verfüge über ein ziemlich raumgreifendes Ego. Und daß ein BMI von unter 25 aus Gesundheitsgründen notwendig sei, halte ich für ein statistisches Märchen. 

Eigentlich habe ich nur einen einzigen Grund, warum ich ausgerechnet ein Zielgewicht von 73,5 Kilogramm anstrebe: Weil ich überzeugt davon bin, daß ich es erreichen werde.

Sonntag, 15. September 2019

Eßstörungen. Nicht DER Grund für Adipositas, aber einer der möglichen Gründe.

Nach meinem Fastentag am Freitag erreichte ich gestern früh ein neues All-time-Low mit 101,4 Kilogramm. Heute hatte ich morgens 102,6 Kilogramm, und sollte ich am Dienstag mit einem Gewicht unter 105 Kilogramm in die neue Fastenwoche starten können, bin ich's zufrieden. Schneller gehen dürfte es natürlich immer, zumal, wenn die 99,9 schon so nahe liegt und man sie natürlich lieber heute als morgen erreichen wollen würde, aber im Moment muß ich mich damit zufriedengeben, daß ich die Gewichtsabnahme nach jedem Fastentag physisch wahrnehme, was aber auch motivierend genug ist.

Die entscheidenden Stadien des Fastentags, in denen mein innerer Banker anscheinend den Schlüssel zum Tresor herausholt, sich dort hineinschleicht und Nachschub an Barmitteln beschafft, scheinen über Nacht stattzufinden. Ich merke es morgens, daß meine Bewegungen ein bißchen anders sind als am Abend davor, daß der Bauch weniger geworden ist. Beim Kaffeetrinken schlage ich längst gewohnheitsmäßig die Beine übereinander - jahrelang ging das einfach nicht -, und auch da bemerke ich immer nach Fastentagen kleine neue Bewegungsspielräume.

Eigentlich merke ich es sogar immer schon dann, wenn ich nachts "für kleine Mädchen" muß, daß an den Bewegungen etwas ein bißchen anders ist. Nach Eßtagen passiert mir so etwas kaum noch. Früher war es normal, daß ich nachts mindestens ein oder zweimal raus mußte, aber je weniger Bauch vorhanden ist, desto geringer der mechanische Druck auf der Blase, der mich früher nachts aus dem Bett getrieben hat. Aber nach Fastentagen ist es weiterhin nahezu unvermeidlich, weil man beim Fasten auch Salz verliert, das wiederum Wasser gebunden hatte, also will das Wasser dann natürlich auch raus. Also muß ich in solchen Nächten nachts raus, und Granufink würde dagegen höchstwahrscheinlich nicht helfen.

Zum Glück verfüge ich von Haus aus über einen gesunden Schlaf, auch nach solchen Unterbrechungen schlafe ich meistens sofort wieder ein. Ich habe auch geschlafen wie ein Baby (allerdings viel lautstärker), als ich noch meine 147 Kilogramm hatte. Wenn ich doch einmal Schlaf versäume - so zum Beispiel in der ersten Nacht im Krankenhaus: ungewohnte Geräuschkulisse, Unterbrechungen durch die Nachtschwester, Bewegungsfreiheit eingeschränkt usw. -, verlangt die Natur in der Nacht darauf so gebieterisch ihr Recht, daß ich zu schnarchen beginne, kaum daß ich das Licht ausgemacht habe. Aber ich vermute, daß mein Schlaf jetzt mit sinkendem Gewicht erholsamer ist als in meinen "schwersten" Zeiten, denn ich hatte in den letzten ungefähr vier bis fünf Jahren doch ein bißchen mit Anfällen von Sekundenschlaf zu kämpfen, meistens, wenn ich längere Zeit am Rechner arbeiten mußte. Das kommt jetzt erfreulicherweise nur noch in Ausnahmefällen vor, und somit kann ich auf der Liste der Zipperlein, die vergleichsweise geringfügig waren, mit denen ich deshalb nie bei einem Arzt war und die sich nunmehr von alleine erledigt haben, ein weiteres ergänzen.

Ich weiß genau, was passiert wäre, wenn ich damit zu einem Arzt gegangen wäre: Er hätte eine Schlafapnoe diagnostiziert und mir eine Atemmaske verschrieben. Die Dinger sind seit ein paar Jahren in Mode. Ich kenne aber genügend Leute, die sich so schlecht an sie gewöhnen konnten, daß sie sie nach anfänglichen Versuchen (und nicht selten waren sie danach voller Begeisterung!) nicht mehr verwendet haben. Wahrscheinlich wäre mir das genauso gegangen. Dasselbe ist mir ja auch mit der Knirschschiene passiert, die ich mir vor zwei Jahrzehnten aufschwatzen ließ.

Als leidenschaftlicher Flohmarkt-Fan stolpere ich in letzter Zeit bei solchen Gelegenheiten dauernd über Bücher zum Abnehmen. Neulich war es der Joschka Fischer, gestern stieß ich auf ein Buch, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte, nämlich "Maßlos. 50 Kilo leichter und glücklicher" von Angelika Schaller, erschienen 2008. Ich bin erst zur Hälfte durch und weiß deshalb noch nicht, welche Methode die Autorin angewandt hat, aber sie hat ihre Gewichtsabnahme offenbar, anders als Joschka Fischer, seit damals gehalten - eine ausgesprochene Seltenheit. Was ich aber inzwischen erfahren habe, reicht, um mir darüber klarzuwerden, daß ihr Fall mit meinem nicht vergleichbar ist. Denn Angelika Schaller hatte eine ausgesprägte Eßstörung mit unkontrollierbaren Freßanfällen - "Der Wolf kommt", wie sie diese Attacken bezeichnet -, und so etwas hatte ich nie. Ich habe auch zwanzig Jahre lang nie einen Versuch gemacht, abzunehmen, während die Autorin mehr oder weniger alles, was für Geld zu haben war, durchprobiert und sich dabei in nur ca. 15 Jahren im Alter zwischen 25 und 40 von 75 auf knapp 130 Kilo hochgejojot hat. Ihr Durchbruch zur erfolgeichen und dauerhaften Abnahme kam erst, als sie eines Tages notfallmäßig ins Krankenhaus mußte, was ihr begreiflicherweise eine Heidenangst eingejagt hatte.

Als ich 40 war, wog ich schon über 100 Kilo, aber ich fühlte mich, anders als die ungefähr gleich große Autorin, die kein Geheimnis daraus macht, daß sie seelisch ziemlich stark angeknackst war, physisch und psychisch wohl. Mit 40 und jenem Gewicht habe ich auch meinen jetzigen Mann kennengelernt, während sie ständige Zwangsvorstellungen von ihrer eigenen Unattraktivität hatte und wahrscheinlich gerade deshalb frustrierter Single war. Mein Gewicht mit Nichtachtung zu strafen, hatte über zwanzig Jahre hinweg gerade mal ca. 1 Kilogramm Zunahme pro Jahr zur Folge ... das entspricht gerade mal zwanzig Kalorien am Tag nach herkömmlicher Berechnungsweise, die ich über den Bedarf zu mir genommen haben dürfte, falls die Kalorienlogik stimmen würde. Diese zwanzig Kalorien pro Tag sind einer der Gründe, warum ich an die Kalorienlogik nicht mehr glaube, denn wenn ich zwischen 2007 und 2017 zu viel gegessen haben soll, als ich eine ganze Latte von Lebensmitteln aus meinem Leben gestrichen hatte, dann habe ich das vorher natürlich in noch weit höherem Ausmaß. Trotzdem nahm ich zu jener Zeit viel langsamer zu als später.

Erst als ich mein Gewicht zu reduzieren versuchte, begann auch bei mir der sich ständig beschleunigende Jojo-Kreislauf.

Ich frage mich, ob es der Autorin bewußt ist, daß sie keineswegs generell durchschaut hat, wie es zu Übergewicht kommt, sondern nur den Teilbereich, in dem gestörtes Eßverhalten eine Rolle spielt. Der ist allerdings ziemlich groß einzuschätzen, denn so etwas züchtet unsere sogenannte Prävention ja regelrecht heran.

Ich erinnere mich noch, als mein Sohn in die zweite Klasse ging, da kam er einmal nach Hause und sagte: "Mama ich habe gerade noch Normalgewicht." Es klang wie: "Mama, ich habe gerade noch eine vier minus bekommen." Und es klang sehr bedrückt. Meinem Kind war vermittelt worden, daß mit ihm beinahe etwas nicht in Ordnung sei. Das machte ihm Sorgen. Ich nahm meinen Kleinen in den Arm und versicherte ihm, mit ihm sei alles in bester Ordnung. Und dann griff ich zum Telefon.

Eigentlich bin ich für die Lehrer meines Kindes fast immer ein unkomplizierter Fall gewesen, aber das war eine von drei Gelegenheiten während seiner Schulzeit, in der ich auf der Stelle einen Termin mit der Klassenlehrerin ausmachte, um sie zu fragen, ob es denn wirklich nottue, den Kindern schon mit sieben, acht Jahren ein negatives Körperbild zu vermitteln und damit den typischen Diätenkreislauf schon vor der Pubertät einsetzen zu lassen. Die Dame zeigte sich betroffen und ein wenig zerknirscht, aber da solche Dinge nun einmal im Lehrplan stehen, wird sie kaum davon abgelassen haben. Ich hatte auch nicht wirklich den Eindruck, daß sie verstanden hatte, was sie meiner Meinung nach falsch gemacht hatte.

Aber schon in meiner eigenen Pubertät haben zumindest Mädchen dauernd Diät gehalten, und ich bin da keine Ausnahme. Zur Ausnahme wurde ich, indem ich nach einigen durchaus erfolgreichen Diäten, aber mit unweigerlicher anschließender Wiederzunahme, die Konsequenzen daraus zu ziehen bereit war, also auf mein Gewicht einfach zu pfeifen. Ich sah einfach keinen Sinn darin, Diäten als eine Art sinnlose Bußübung zu absolvieren, wenn es keinen Weg gab, der an der Wiederzunahme vorbeiführte. Und unter dem Strich bin ich in jedem Fall besser damit gefahren als Frau Schaller, wenn man unseren 40-Jahre-Zwischenstand vergleicht. Vor allem war ich mit Sicherheit viel glücklicher.

In ihrer Beschreibung der Alltagsprobleme bei starkem Übergewicht erkenne ich dann aber vieles wieder, was mich später, als ich mal die 120-Kilo-Marke überschritten hatte, ebenfalls geplagt hat. Auch wenn vieles bei mir weit weniger extrem war als bei ihr, als ich dasselbe Gewicht hatte, das ihr Höchstgewicht war: So etwas macht dann wirklich keinen Spaß mehr. Deshalb wundert es mich, wie viel Wert Angelika Schaller darauf legt, immer wieder zu betonen, daß es keine Schande sei, sich dafür zu entscheiden, sein Übergewicht lieber zu behalten als abzunehmen. Ich glaube nicht, daß irgendwer ernsthaft Übergewicht behalten will, wenn es einmal solche Ausmaße angenommen hat, daß es einen im Alltag behindert. Wer sagt, er will nicht abnehmen, meint damit normalerweise, daß er nicht daran glaubt, es zu können. In der Regel stehen dahinter entsprechende Erfahrungen, und ich halte es für eine psychisch gesündere Reaktion als ständige neue Abnehmversuche, die immer wieder in Mißerfolgen enden.

Das Interessante ist, daß bei hohem Übergewicht (hier meine ich ein Übergewicht von mehr als 35 bis 40 Kilo) eine entsprechend starke Gewichtsabnahme vielen schon gelungen ist ... und typisch für solche Fälle ist auch, daß das dann meistens in verblüffend kurzer Zeit, in der Regel ca. ein Jahr, erfolgte. Solche Fälle werden gerne in den Medien als unglaubliche Leistung bejubelt. Wie es weitergeht, interessiert dann keinen mehr, daß der Erfolg von Dauer sein werde, wird immer automatisch vorausgesetzt.

Das Problem ist aber immer, die Abnahme dauerhaft zu halten. Siehe Joschka Fischer. Siehe Angela Merkel (zu ihr schreibe ich irgendwann mal einen eigenen Blogbeitrag). Siegmar Gabriel hat sich den Magen verkleinern lassen, um abzunehmen, und sogar er scheint wieder zugenommen zu haben, wenn auch nicht so viel, daß er bislang auch nur in die Nähe seines Vorher-Gewichts gekommen wäre. Das ist übrigens ziemlich typisch für Magenverkleinerungen, irgendwann werde ich mich mit den Studien über den Gewichtsverlauf nach Magenverkleinerungen auch einmal in einem Blogbeitrag befassen müssen.

Möglicherweise ist es in mancher Hinsicht sogar einfacher, eine Gewichtsabnahme dauerhaft zu halten, wenn man unter einer Eßstörung leidet, denn die lebenslängliche Dauerdisziplinierung, die die herkömmliche Vorgehensweise bedeutet, ist nichts, was sich ein psychisch gesunder Mensch antun würde, solange seine Situation nicht gerade lebensbedrohlich geworden ist. Eine Energiezufuhr, die im Bereich dessen liegt, was in den frühen Nachkriegsjahren den Leuten zugeteilt wurde (und damals durchaus als unzureichend erkannt wurde, nur gab es halt nicht mehr als diese Menge zu verteilen), kann eigentlich auch nicht so richtig gesund sein. Wenn der Körper den Grundumsatz herunterfährt, um mit den Kalorien auszukommen, die man ihm gibt, heißt das ja, daß er weniger wichtige Funktionen reduziert. Aber diese Funktionen haben physiologisch trotzdem einen Sinn, also kann ihr Fehlen wohl im Lauf der Zeit gesundheitliche Probleme hervorrufen.

Zum Glück nehme ich auch nach 2,5 Jahren immer noch weiter ab, ohne mich in dieser Weise kasteien zu müssen, auch wenn sich die Abnahme dieses Jahr doch verlangsamt hat. Wenn ich esse, dann esse ich ohne Wenn und Aber alles, was mir schmeckt. Und sollte es mir tatsächlich gelingen, auf dieselbe Weise, mit der ich nunmehr bei real (Vorher-Wert zu Beginn der Fastenwoche) ca. 43 Kilogramm minus angelangt bin, auch noch die restlichen ca. 30 Kilogramm bis zu meinem Zielgewicht abzunehmen, ist es mir nicht so wichtig, ob das noch weitere zwei oder drei oder vielleicht auch vier Jahre dauert.




Dienstag, 10. September 2019

Gescheiterte Helden des Abnehmkampfs, Teil 1: Joschka Fischer

Heute morgen wog ich 102,5 Kilogramm nach meinem gestrigen Fastentag, das ist ein erfreulicher Start in die Woche. Weniger erfreulich war die lange Wartezeit im Krankenhaus, wo ich heute vormittag noch einen Kontrolltermin zu absolvieren hatte. Zweieinhalb Stunden mußte ich warten, um dann in zwei Minuten abserviert zu werden. Es wäre gescheiter gewesen, ich hätte auf diesen Termin ganz verzichtet. Die Ärztin kannte den Fall außerdem gar nicht, und einen kritischen Blick hätte ja auch mein Hausarzt auf meinen Bauch und in die Unterlagen werfen können. 

Aber wenn man sich anschaut, in welcher Verfassung andere Wartende gewesen sind, ist man am Ende ja doch vor allem heilfroh, selbst schon wieder voll auf der Höhe zu sein. Außerdem hatte ich ja in weiser Voraussicht etwas zu lesen mitgenommen, ein Buch, das ich auf dem Flohmarkt gekauft habe: Joschka Fischers Bestseller „Mein langer Lauf zu mir selbst“, erschienen 1999, drei Jahre, nachdem Fischer mit einem Kampfgewicht von 112 Kilogramm (bei 181 cm Körpergröße) die Notbremse gezogen und mit einer Radikaldiät kombiniert mit Joggen innerhalb eines Jahres 37 Kilogramm abgenommen hatte. 

Fischer war sich damals so sicher, daß er nun für immer schlank bleiben würde, daß er in seinem Buch damit renommierte: „Ich hatte meinen neuen Lebensrhythmus gewonnen. Genau so und nicht mehr anders wollte ich meinen Alltag gestalten, jetzt und für die weitere Zukunft. Ein Zurück, ein Rückfall gar in die alten Verhältnisse von „König Dickbauch“ war ergo fortan ausgeschlossen, denn so weit kannte ich mich aus langjähriger Erfahrung gut genug.“ 

Geklappt hat das bekanntlich nicht, und der Joschka ist vermutlich längst nicht mehr glücklich darüber, dieses Buch geschrieben zu haben, obwohl er daran gar nicht schlecht verdient haben soll. Denn in dem Buch schreibt er ausdrücklich davon, wie unangenehm ihm seine Gewichtszunahme ab Mitte der achtziger Jahre gewesen sei, auch wenn er es nach außen zu überspielen versucht habe.Über seine Wiederzunahme ist er dann wohl auch kaum glücklich gewesen.

Als er 1999 das Buch schrieb, hielt er sein Gewicht bereits seit ca. zwei Jahren. Sein Lauftrainer Herbert Steffny behauptete 2004, die Wiederzunahme sei einerseits dem erhöhten Arbeits- und Reisepensum nach 9/11 sowie einer neuen Liebe und der Wiederentdeckung kulinarischer Freuden in diesem Zusammenhang geschuldet. Das glaube ich aber nicht so recht. Ich habe bei Getty Image Fotos von Fischer gesichtet und bin der Meinung, die Wiederzunahme muß 2001 schon vor 9/11 eingesetzt haben; sein Gesicht hat sich im Vergleich zum Jahr 2000 schon merklich verändert. 

2011 vermeldeten die Medien dann, Fischer habe vor einiger Zeit wieder mit dem Laufen begonnen. Das scheint aber nie Ausmaße angenommen zu haben, die in seiner Statur sichtbar geworden wären, und auf den neuesten Fotos scheint er eher die 112 Kilo von 1996 plus x des Königs Dickbauch zu haben, von denen er in seinem Buch behauptete, sie seien künftig ausgeschlossen.  

Was hat Fischer falsch gemacht? Die zu erwartende Antwort der meisten würde lauten: Er war nicht konsequent genug. Er hätte weiter laufen müssen und bei seiner vegetarischen Diätkost bleiben. Da der Autor in seinem Buch von beidem geradezu schwärmte und sogar behauptete, sich ein Leben ohne Obst-und-Müsli-Frühstück und mindestens 10 Kilometer Jogging überhaupt nicht mehr vorstellen zu können, verwundert es mich außerdem ein bißchen, daß er beidem dann nach ein paar Jahren doch wieder entsagen zu müssen glaubte. Man muß im Buch schon ein bißchen zwischen den Zeilen lesen, um erahnen zu können, wo der Rettich im Pfeffer lag. 

An einer Stelle schreibt Fischer etwa folgendes: 
Freilich nagte der Hunger ganz gewaltig in mir, denn satt essen war nicht mehr, und so überkam mich immer wieder die Sehnsucht nach den Futterorgien der Vergangenheit, und es lockte durchaus auc hein wunderbares Glas Rotwein, aber mit jeder weiteren Woche verlor ich zunehmend die Lust auf solche Rückfälle, denn die Folgen am nächsten Morgen waren eben sehr hart. 
Ob dies nur für die Phase in den Jahren 1996 und 1997 galt, in der Fischer abzunehmen versuchte, wird nicht erwähnt. Er blieb offenbar mindestens bis 1999, als er das Buch schrieb, bei einer vegetarischen Ernährung mit besonderem Schwerpunkt auf Obst und Gemüse, aber ob er sich daran dann wenigstens sattzuessen gestattete, darüber kann nur spekuliert werden.

Noch ein aufschlußreiches Zitat:
Ein so starker Gewichtsverlust, wie ich ihn mir damals zumutete, bedeutete aber sowohl körperlich als auch mental eine sehr große Anstrengung, die nun keineswegs überwiegend Glücksgefühle hervorrief, sondern die meiste Zeit vielmehr zum genauen Gengeteil führte. Meine Laune wurde zunehmend und anhaltend mies, aggresiv, unduldsam, mein Aussehen war alles andere als von Optimismus geprägt, sondern ich sah eher grau, eingefallen und krank aus. Kein Wunder auch, denn da war immer dieses anhaltende, nagende Hungergfühl, an das ich mich zu gewöhnen hatte und das ganz erheblich zu meiner schlechten und aggressiven Laune beitrug. 
Später im Buch heißt es dann außerdem noch:
Nun kann man nicht 35 Kilogramm Körperfett innerhalb eines Jahres abbauen und dabei noch - mit knapp fünfzig Jahren - wie das rosigste Leben aussehen. Selbstverständlich wirkte ich grau, faltig, abgehärmt.
Halten wir an dieser Stelle lediglich fest, daß ich im Alter von 51 Jahren zwar keine 35, aber doch immerhin 22 Kilogramm innerhalb eines Jahres abnehmen konnte, und zwar ohne mich dadurch angestrengt zu fühlen, ohne miese Laune an anderen auslassen zu müssen und ohne grau, eingefallen und krank auszusehen. Und natürlich auch, ohne anhaltende Hungergefühle zu entwickeln.

Der eigentliche Casus Knacksus verbirgt sich aber vermutlich hier:
Die absehbare Entwicklung hin zum Kotzbrocken im persönlichen Umgang beantwortete ich mit einem weiteren Rückzug auf mich selbst. Dieser Rückzug verstärkte wiederum die asketische Lebensgestaltung, denn ich konzentrierte mich in meinem ganzen Tagesablauf immer stärker darauf [...].
An dieser Stelle ein Geständnis von mir, das ich nicht machen würde, wenn mein Mann nicht längst darüber im Bilde wäre und es mir verziehen hätte. Als ich in der Phase war, in der ich hilflos verfolgen mußte, wie mein Körpergewicht von 142 Kilogramm fast im Tagesrhythmus beim Weitersteigen verfolgt werden konnte, dachte ich kurzzeitig ernsthaft darüber nach, mich von meinem Mann zu trennen. Warum? Weil ich annehmen mußte, daß meine einzige Chance, diesen wahnwitzigen Anstieg zu stoppen, darin bestünde, mindestens vorübergehend mein Körpergewicht zum Dreh- und Angelpunkt meines Lebens zu machen, und das mit allen Konsequenzen. Ich sah keine Möglichkeit, das, worauf so etwas hinausgelaufen wäre, mit einem Familienleben zu verbinden, ohne darüber den Verstand zu verlieren.

Mein Mann ist ein lieber Kerl und unterstützt mich, wie er kann, aber andererseits ist er auch derjenige, der am ersten Tag meiner ersten Diät vor zwölf Jahren nachmittags fröhlich mit zwei Stück Kuchen (pro Person) nach Hause kam, obwohl ich ihm lang und breit darüber erzählt hatte, daß ich abnehmen wollte. Er dachte sich nichts Böses dabei, aber diese Geschichte und ein paar andere hatte ich im Kopf, als ich darüber nachgrübelte, was zum Teufel ich nur tun konnte, um aus dem Schlamassel des galoppierenden Gewichtsanstiegs wieder herauszukommen.

Ich verwarf den Gedanken einer Trennung sehr schnell wieder, aber genau deshalb kann ich mir gut vorstellen, daß Joschka Fischers Bemühungen innerhalb einer glücklichen Beziehung nicht so geklappt hätten, wie es der Fall war, als er die Möglichkeit und auch den Wunsch hatte, sich ganz auf sich selbst zurückzuziehen. Sowie sein Bedürfnis wieder mehr nach außen, auf andere Menschen und eine neue Partnerin abzielte, funktionierte die Sache nicht mehr.

Das ist es, was ich meine, wenn ich schreibe, daß man das, was man für die Gewichtsreduktion tut, an sein Leben anpassen müsse, nicht etwa umgekehrt sein Leben an die Diät. Nichts funktioniert auf Dauer, wenn man dazu sein Leben umkrempeln muß. Es hätte auch bei mir nur vorübergehend funktioniert, wenn ich mich damals zu einer Trennung und voller Konzentration aufs Abnehmen entschlossen hätte.

Joschka Fischer war nach drei Jahren radikaler Lebensstiländerung - begreiflicherweise - der Meinung, er hätte sich und seine Gewohnheiten dauerhaft "umprogrammiert". Die Realität belehrte ihn eines Besseren. Ob und wenn ja wie viele vergebliche Versuche, sein Gewicht wieder in den Griff zu bekommen, er nach 2001 mit welchen Methoden unternommen hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Ein Problem dabei war sicherlich auch, daß Joggen alleine ihm nicht geholfen haben wird, denn der Leistungsumsatz an Kalorien bleibt bei ständigen starken Anstrengungen nicht etwa dauerhaft gleich, sondern sinkt nach einiger Zeit.  Mit anderen Worten: Wer täglich zehn Kilometer joggt, verbraucht dabei im Laufe der Zeit weniger Kalorien als zu Beginn.

Mit 71 Jahren wird der Joschka wohl jetzt nicht noch einmal von vorne anfangen mit dem Joggen, und, wer weiß, vielleicht hat er inzwischen ja sogar seinen Frieden mit seinem Körpergewicht gemacht.

Während meiner Joschka-Fischer-Recherche stolperte ich nebenbei auch noch über dies hier:
Null-Diät
„Gar nichts essen, nur Wasser trinken – das macht heutzutage kein Mensch mehr“, sagt Prof. Schusdziarra und urteilt: „Gut so, denn Null-Diäten sind ungesund.“ Dem Körper fehlen elementare Nährstoffe, Vitamine und Mineralien. Der Eiweißabbau kann sogar den Herzmuskel angreifen! Außerdem gewöhnt sich der Organismus ans Fasten und senkt seinen Grundumsatz, verbraucht also weniger Kalorien. Das begünstigt den Jo-Jo-Effekt. Urteil: Nicht zu empfehlen.
Der Text stammte aus dem Jahre 2009, und natürlich wollte ich nun gleich wieder wissen, wer dieser Professor Schudsziarra überhaupt ist. Also befragte ich Tante Google und es stellte sich heraus, daß der Ernährungsmediziner Volker Schusdziarra, * 1950, schon vor fünf Jahren nach schwerer Krankheit verstorben ist. Was für eine Krankheit das war, stand nicht dabei, aber die Formulierung "schwere Krankheit" bedeutet meistens Krebs. Irgendwie ist es schon seltsam, wenn ein Experte für die richtige Ernährung noch vor dem Renteneintrittsalter an einer der Krankheiten stirbt, die man angeblich durch richtige Ernährung besser vermeiden kann. Und außerdem nahm mir das jetzt den Wind aus den Segeln; ich kann mich beim besten Willen nicht mehr dazu durchringen, meine Meinung zu dem zitierten Text in so deftigen Worten zu schreiben, wie ich es andernfalls spotan täte.

Sollte jemals dem Jojo-Effekt ein Denkmal gesetzt werden, plädiere ich jedenfalls dafür, daß es die Züge unseres ehemaligen Außenministers Joschka Fischer bekommen soll. Der hat nicht gefastet, obwohl er in seinem Buch diesen Begriff ein paarmal verwendet. Aus dem Kontext ergibt sich allerdings, daß er "Fasten" mit "Diät halten" gleichsetzt. Das ist ein ziemlich typischer Fehler, zu glauben, Fasten bedeute, so wenig zu essen, daß man darunter leidet. Fasten bedeutet, überhaupt nichts zu essen. Und zumindest ich leide darunter nicht, denn ich kann ja alles, was ich essen will, einfach am Tag nach dem Fastentag essen.