Montag, 15. April 2024

Der montägliche Vor-Fasten-Countdown: Noch 2 kg bis zum Zielgewicht. Und: Ein Blick in den Spiegel und den SPIEGEL

Mein Gewicht heute früh: 75,5 Kilogramm. 300 Gramm weniger als heute vor einer Woche. 

Tja. Damit werde ich ein mindestens mittelgroßes Wunder benötigen, um in zwei Wochen den ersehnten Zielwert von 73,5 Kilogramm doch noch zu erreichen, und da ich bekanntlich nicht an Wunder glaube, stelle ich mich mental darauf ein, daß ich doch mit einem etwas höheren Gewicht als gehofft in die Haltephase gehen werde. Das kompliziert die Sache insofern, als dann mein Spielraum für gegensteuernde Maßnahmen entsprechend geringer ausfällt, denn ich werde definitiv gegensteuern, sollte mein Gewicht über den Sommer irgendwann in die Nähe der 78 gelangen. Mal sehen, wie ich das dann in der Praxis ausgestalte. Die 73,5 kriege ich schon noch, spätestens in der Low-Carb-Phase im Herbst ist sie dann endgültig fällig, mit der ich ja sowieso mentale Schwierigkeiten befürchte, wenn ich nicht häufigere Fastentage dazwischenschalte. Im Anschluß an mehrere Monate mit meinem Halte-Fastenrhythmus müßte das in Kombination eigentlich dann schnell gehen. Über den Sommer ist es mir doch wichtiger, erst mal herauszufinden, mit wievielen Fastentagen ich mein Gewicht am besten halbwegs konstant halte. 

Das Keto-Mojo bot mir übers Wochenende keine großen Überraschungen, sieht man einmal davon ab, daß mein Ketonwert heute mit 0,2 etwas höher als gestern lag, womit ich eigentlich nicht gerechnet hatte, da unser Wochenende Carb-lastig gewesen ist.

Am Samstag sind wir bei dem schönen Wetter außerdem endlich mal wieder über den Flohmarkt gezogen, wo ich vor allem eine neue Jeansjacke gesucht habe, weil ich meine derzeitige schon letztes Jahr im Herbst zu groß fand, und inzwischen habe ich ja noch ein paar Kilos weniger. Heimgekommen bin ich mit zweien, eine in einem ziemlich intensiv leuchtenden Rot und eine in einem angenehmen rötlichen Braun, die ich beide toll fand. Eine blaue Jeansjacke werde ich aber weiter suchen müssen, denn wie soll ein Mensch ohne eine blaue Jeansjacke auskommen können? Über die in Rot freue ich mich aber ganz besonders, weil ich so eine schon einmal gehabt und damals sehr geliebt habe. Sie war eines dieser Kleidungsstücke, die ich trug, bis sie in Fetzen an mir herunterhing. Allerdings war das damals, ungefähr vor zwanzig Jahren, Größe XXL. Diesmal paßte mir Größe M.

Mein eigentliches Aha-Erlebnis hatte ich aber vor dem Aufbruch, als ich verschiedene Kleidungsstücke durchprobierte, weil man in dieser Jahreszeit ja mehrere Schichten einplanen sollte, die man dann, je mehr man sich der Mittagszeit nähert, möglichst leicht von sich werfen können sollte. Als unterste Schicht hatte ich ein Levis-T-Shirt mit Snoopy-Aufdruck anprobiert, das mir letzten Herbst, als ich es kaufte, an mir noch nicht wirklich gefiel. Um den Bauch herum mißfielen mir die dabei sehr deutlich sichtbaren "Speckröllchen". Jetzt sieht es aber klasse an mir aus. Ich stand minutenlang vor dem Spiegel und machte die absurdesten Verrenkungen, um zu sehen, wie sich der Eindruck dann verändert, aber man konnte meinen Rest-Bauch tatsächlich nur noch in manchen besonders waghalsigen Stellungen andeutungsweise wahrnehmen. Das ist alles erst in den letzten sechs Wochen passiert! Meine Abnahme im Endspurt war bislang definitiv bauchlastig, und so hoffe ich natürlich, daß sich das in den letzten beiden Wochen weiter fortsetzt und ich danach vor dem Spiegel gar nichts mehr erahne. Das versöhnt mich schon ein bißchen mit einem Gewicht, das voraussichtlich ein wenig über der Zielmarke liegen wird. Zahlen sind sowieso nur Schall und Rauch. Was der Spiegel einem zeigt, ist real.

Einen Spiegel habe ich übrigens auch auf dem Flohmarkt gekauft, und zwar einen, den ich so besonders fand, daß ich ihn haben mußte: Einen etwa 30 Zentimeter hohen, versteckt hinter Klapptüren mit einem dekorativen orientalischen Muster. Die Verkäuferin sagte, sie hätte ihn auf einem Künstlermarkt für afrikanische Kunst gekauft, ein sehr ähnliches Modell, das ich im Web fand, stammt aus Marokko. Mir gefiel daran auch das Hintersinnige - im Islam sind ja Menschendarstellungen verboten, aber wer kann es einem Künstler verbieten, die menschliche Darstellung in Spiegelform hinter den dekorativen Ornamenten zu verstecken? Ich bin noch auf der Suche nach dem richtigen Platz in meiner Wohnung für dieses hübsche Objekt.

***

Weniger freundliche Gedanken habe ich gegenüber dem Magazin "Der Spiegel", an dessen Existenz, die ich sonst ganz gerne ignoriere, ich aus bestimmtem Anlaß erinnert wurde. Es hat nämlich einen weiteren einstigen Helden des Abnehmkampfs mit dem Jojo-Supergau erwischt. Und um den tut es mir - ganz ehrlich - ziemlich leid, und ich bin außerdem der Meinung, daß der Spiegel sich ihm gegenüber nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat: Micha Klotzbier, der vor neun Jahren als "Der Ex-160-Kilo-Mann" mit seinem sportdominierten Abnehmprogramm und seinem damit verbundenen  Ziel, einen Marathon zu laufen, vom Spiegel auf eine, fand ich schon damals, ziemlich beschissene Weise verheizt wurde. Ich weiß von diesem Mann nicht mehr als das, was er bei diesen Gelegenheiten selbst über sich schrieb, aber es las sich, als wäre er ein ganz netter Kerl, der in diese Geschichte ziemlich unbedarft hineingetappt ist und sich vermutlich dazu gratuliert hat, plötzlich so wichtig geworden zu sein, daß das nach eigenem Bekunden wichtigste Nachrichtenmagazin Deutschlands ihn zu einer Fortsetzung-Story machte, und daß ihm dadurch bei seinem Vorhaben natürlich auch ein paar Experten beratend zur Seite standen. Das "Was danach geschah" ist für mich aber eine gute Erinnerung daran, daß man als ahnungsloser Normalbürger eher reserviert darauf reagieren sollte, falls man versehentlich die Aufmerksamkeit des Spiegels oder, noch schlimmer, von irgendwelchen Experten auf sich gezogen hat, denn da kommt kaum etwas Gutes für einen selbst dabei heraus.

Der "Ex-160-Kilo-Mann" wurde vom Spiegel als klassisches Heldenepos im Bereich Abnehmen aufgezogen - die Geschichte eines Mannes, der sich nach einer recht sportlichen Zeit als junger Mann im Alltag zu sehr hatte gehen lassen, zur Strafe dafür als Enddreißiger das besagte Maximalgewicht erreichte, aber nun wieder in den Normalgewichtsbereich gelangen wollte, ohne sich dabei mit Diäten mehr als nötig zu quälen, also zwar: weniger und bewußter essen, aber ohne Kalorienzählen und dafür mit viel Sport und dem Ziel, seinen Triumph über das Übergewicht mit der Teilnahme an einem Marathon zu krönen. 

An sich war die Herangehensweise gar nicht so doof gedacht. Klotzbier plante es auf eine Weise, wie sie aus seiner Sicht einfach durchzuhalten sein würde, und wie sich zeigte, hielt er auch mindestens bis zum Marathon, also immerhin etwa anderthalb Jahre lang, tatsächlich durch. Die Sache hatte bloß den Schönheitsfehler, daß eigentlich im Jahre 2015 bereits bekannt war, daß es jemandem mit Sport als zentrales Abnahmeinstrument vermutlich nicht gelingen würde, nicht nur Gewicht zu verlieren, wie das natürlich wirklich möglich ist, sondern die Abnahme zeitlich lange genug fortsetzen zu können und im Anschluß außerdem dauerhaft zu halten. 

Ja, auch bis zum Spiegel war dieses Wissen eigentlich schon vorgedrungen. Wie kam es dann aber, daß dort niemand auf den Gedanken kam, an den Erfolgschancen dieser Herangehensweise zu zweifeln oder sich wenigstens einen Plan B für der Fall, daß man ihn brauchen würde, zu überlegen? 

Mir fehlen die Einblicke in die Spiegel-Redaktion, also kann ich darüber nur spekulieren. Möglich ist es, daß beim Spiegel die einzelnen Redaktionen sich nicht für das interessieren, was die anderen tun. Tatsächlich habe ich sogar schon oft geargwöhnt, daß dies der Fall sein müsse. Der 160-Kilo-Mann kam aus der Mache eines gewissen Achim Achilles, der Künstlername, unter dem der Journalist Hajo Schumacher zum Thema Sport bei Spiegel Online schrieb. Was Schumacher über das Zu- und Abnehmen weiß beziehungsweise zu wissen glaubt, wird er für so selbstverständlich richtig halten, daß er vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen wäre, sich mit der Spiegel-Wissenschaftsredaktion darüber auseinanderzusetzen, die über Herman Pontzers Erkenntnisse über die Wirkung von dauerhaft mehr Bewegung auf den Grundumsatz des Stoffwechsels natürlich im Bilde war. 

Wobei, so sicher bin ich mir auch wieder nicht, was die Spiegel-Wissenschaftsredaktion im Jahre 2015 dazu tatsächlich "gewußt" hätte, also: was sie für korrekt und in diesem Fall für wichtig zu wissen gehalten hätte. Zu den diversen Einflüssen auf das Körpergewicht im positiven wie im negativen Sinne bekommen sie ja täglich vieles auf den Tisch, von dem vieles auch in der Auswahl, die dann in Print oder Online publiziert wird, zueinander in Widerspruch steht. Daß über Pontzers Studie berichtet wurde, sagt dazu erst mal noch gar nichts aus, denn es ist ja grauer Spiegel-Leser-Alltag, daß das, was heute als vermeintlich wahre wissenschaftliche Erkenntnis durchgehechelt wird, nicht selten erheblich im Widerspruch zu dem steht, was vorletzte Woche als vermeintliche wissenschaftliche Wahrheit zum selben Thema kam. Was man nun glauben und was nicht glauben soll, bleibt einem da als Leser ja immer selbst überlassen.

Kann man es einem Wissenschaftsjournalisten aber ernsthaft zum Vorwurf machen, wenn er von vornherein gar nicht mehr versucht, diese inneren Widersprüche im Gesamtbild, um das es geht, bestmöglich aufzulösen, bevor man die Leser mit den aktuellsten Meldungen aus diesem Bereich konfrontiert? Ich meine schon, daß ich dazu berechtigt bin, dies zu kritisieren. Als Leser, der auf dieser Basis nach der Lösung eines konkreten Problems sucht, wird mir das ja auf diese Weise nicht erleichtert, sondern erschwert. Gerade in einem Bereich, in dem offen und unterschwellig dem Scheiternden dann so viel Moral gepredigt wird, finde ich das nicht akzeptabel. Wissenschaftsjournalismus sollte doch eigentlich Studienergebnisse in den Rahmen des vorherigen Wissens einordnen. Wenn heute das eine und morgen das Gegenteil behauptet wird, wem sollte das aber etwas helfen?

Hier fände ich eine generelle Auseinandersetzung mit der Aufgabe und dem Sinn der wissenschaftsjournalistischen Arbeit einmal angebracht. Mir fehlen in diesem Bereich nämlich leider ziemlich häufig die kritischen Rückfragen an die Adresse der Wissenschaft, mit deren Hilfe sich der Wissenschaftsjournalist Klarheit über die Bedeutung von auf den ersten Blick widersprüchlichen Ergebnissen zu verschaffen versucht. Ich fühle mich kaum berechtigt, jemandem beim Spiegel Vorwürfe zu machen, wenn es nicht gelingt, diese Klarheit ad hoc zu schaffen, aber was mich sehr stört, ist, daß aus dem Journalismus überhaupt kein Druck an die Adresse der Wissenschaft erzeugt wird, in der weiteren Forschung wenigstens das Ziel anzustreben, solche Widersprüchlichkeiten auszuräumen, weil sie von vornherein wissen, daß es dazu anderenfalls bohrende Fragen in leicht vorwurfsvollem Unterton geben wird. 

Wenn es eine journalistische Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit geben sollte, wie das ja immer mit einer gewissen Theatralik vorgebracht wird, wenn jemandem etwas an journalistischen Enthüllungen nicht paßt, dann muß man dem Wissenschaftsjournalismus attestieren, daß er ihr nicht nur nicht nachkommt, sondern ihr nicht einmal nachzukommen versucht. Statt dessen wird vor dem Leser, der bestimmte Dinge herauszufinden versucht, weil er sie ganz konkret gerade braucht, um möglichst wenig Fehler bei dem zu machen, was er tun will, ein Kipplaster voll überhaupt nicht zusammenpassendem Wissenschaftsschutt ausgekippt, aus dem er nun gefälligst imstande sein soll, sich ohne weitere Hilfe selbst sein Gartenhäuschen zu bauen.

Zurück zum  "Ex-160-Kilo-Mann" Micha Klotzbier und seinem Mentor Schumacher alias Achim Achilles. Zunächst verlief seine Gewichtsabnahme geradezu spektakulär, was aber auch kein Wunder ist, da er ja zuvor nie ernsthaft versucht hatte, sein Gewicht zu reduzieren und seine nunmehrigen Bemühungen sehr ernsthaft ausfielen. Innerhalb eines Dreivierteljahres nahm er bemerkenswerte 50 Kilogramm ab. Das ist freilich dennoch viel weniger unglaublich, als es beim Spiegel dargestellt wurde. Tatsächlich sind so hohe Gewichtsabnahmen bei einem so hohen Ausgangsgewicht vermutlich bei den meisten jedenfalls beim ersten Versuch - oder dem ersten Versuch nach längerer Zeit - möglich, wenn sie es ernsthaft versuchen und entsprechend diszipliniert dranbleiben, und weil das auf doch recht viele von ihnen zutrifft, sind solche Abnahmen um einiges häufiger, als es bei Berichten über solche Fälle gerne getan wird. Wie hoch so eine Abnahme ausfällt, bevor es nicht mehr weitergeht, hängt vom Ausgangsgewicht ab. Mit 160 Kilo Ausgangsgewicht sind 50 Kilo minus natürlich etwas völlig anderes als mit 110. Das ergibt sich auch schon daraus, daß Micha Klotzbier nach dieser Abnahme immer noch ein gutes Stück vorm Normalgewicht entfernt war.

Dann passierte ihm aber das, was nahezu allen Abnehmenden passiert: Die Sache wurde immer zäher. Über den Winter 2015/16 ging es mit dem Gewicht, wie es nach einem Dreivierteljahr Abnahme und in einer sportunfreundlicheren Jahreszeit nicht sonderlich überraschend war, wieder etwas nach oben, also wurden im Anschluß die Anstrengungen noch einmal verdoppelt, was in der Fastenzeit 2016 sogar in einer mehrwöchigen veganen Ernährungsphase gipfelte. Es gelang Klotzbier auf diese Weise, doch noch ein paar Kilos loszuwerden, aber es war mühsam und im Vergleich zu seinem rasanten Abnahme im Jahr davor ein wenig glanzlos, obwohl er sich nicht weniger anstrengte als im Vorjahr. Im Juni 2016 war es dann mit der Abnahme endgültig aus. Von nun an ging es mit dem Gewicht nur noch nach oben, wenn auch zunächst langsam. Bis zum Marathon, den Micha erfolgreich durchzog, war die Heldengeschichte noch eine Heldengeschichte, aber danach wandelte sie sich schleichend in eine Chronik des Scheiterns, und damit ließ wohl das Leserinteresse im Spiegel zu stark nach. Im August 2017 erklärte Micha Klotzbier im Spiegel sein Projekt für beendet und verschwand aus dem Magazin.

War es am Ende - und das fände ich wirklich niederträchtig - vielleicht sogar so, daß man beim Spiegel sehr wohl von Anfang an damit rechnete, daß die Geschichte schlecht ausgehen würde, und ließ das Versuchsobjekt trotzdem oder gerade deshalb ins offene Messer rennen, weil Leser halt in der Zeit vor dem Scheitern die Heldengeschichte vermutlich lieben würden und das Scheitern einem anderen Teil der Leserschaft eine gewisse hämische Genugtuung verschaffen würde, was dem Epos noch ein Weilchen weitere Aufmerksamkeit verschaffen konnte? 

Im Februar 2019, inzwischen wog Micha bereits wieder 135 Kilo, machte der Spiegel aber immerhin noch einen Versuch, seine Leser für den gescheiterten Helden auf der Suche nach einer neuen Orientierung zu interessieren, aber die Reaktion desselben Publikums, das Micha, solange er ein erfolgreicher Abnehmheld war, enthusiastisch angefeuert hatte, fiel so unterkühlt aus, daß man es nach zwei Beiträgen wieder aufgab. Micha selbst war lange Zeit nur noch auf Facebook zu finden, auch auf seiner Website kam nach 2019 nichts mehr. Sein aktuelles Gewicht erwähnte er dort auch nicht mehr. Immer mal wieder schrieb er allerdings von einem neuen Anlauf, noch einmal abzunehmen, aber herausgekommen ist dabei offenbar nicht mehr viel, denn er kam dann immer rasch nicht mehr darauf zu sprechen.

Diesen Februar scheint er aber optimistischer gewesen zu sein, denn im Februar 2024 schrieb er nicht auf Facebook - wo er seit ca. einem Jahr kein einziges Post mehr abgesetzt hatte -, sondern nun doch wieder auf seiner Website davon, er habe das Gewicht, mit dem er damals angefangen hatte, also die 160 Kilo, Ende 2023 wieder erreicht, aber davon nunmehr, hurra, bereits acht Kilo abgenommen. Die schlechte Nachricht lautet, daß Micha seit Ende Februar nicht mehr über sein neues Abnehmprojekt geschrieben hat. Meine Erfahrungswerte mit seiner bisherigen Geschichte legen nahe: Das ist auch im Jahre 2024 ein weiteres Mal in die Binsen gegangen.

Ich hoffe, das klang nicht irgendwie hämisch, so ist es nämlich nicht gemeint. Mit Micha Klotzbier verbindet mich tatsächlich mehr, als er selbst weiß: Er hatte die (eher zweifelhafte) Ehre, von mir in den ersten Jahren meiner Abnahme zu meinem heimlichen Sparringspartner auserkoren zu werden. Ich muß in meiner Excel-Tabelle, die ich nun seit geschlagenen sieben Jahren führe, freilich mittlerweile sehr weit nach oben scrollen, um das wieder nachlesen zu können, daran sehe ich erst so recht, wie lange ich diese Tabelle jetzt schon führe. Michas Tiefstgewicht lag bei 104,5 Kilogramm und erreicht hatte er es am 20. Juni 2016 - ein Zeitpunkt, von dem ich mein eigenes Gewicht gar nicht so genau weiß. Es muß  irgendwo zwischen 125 und 135 Kilo gewesen sein. Da war ich selbst noch in der Zunahmephase, aber was beim Abnehmen alles nicht funktioniert, das wußte ich schon sehr genau. Deshalb war ich mir auch von Anfang an sicher, daß die Sache auch bei ihm in einer längerfristigen Perspektive nur schiefgehen konnte. 

Im März 2017 hatte ich dann mein eigenes Intervallfasten-Projekt begonnen und irgendwie kam ich, wenn ich mich noch richtig erinnere, im Herbst 2017, nachdem die Sache über alle Erwartungen gut funktioniert hatte, auf die Idee, als nunmehrige "Ex-147-Kilo-Frau" mit dem "Ex-160-Kilo-Mann" beim Abnehmen die Klingen zu kreuzen. Ich habe sogar erwogen, ihn deswegen anzumailen, bin davon aber wieder abgekommen. Stattdessen habe ich lediglich notiert, welches Gewicht er für sich selbst bei Facebook, seiner Website, beim Spiegel oder sonstwo nannte, und dieses Ziel als mein eigenes nächstes Zwischenziel fokussiert. Das ergab zum damaligen Zeitpunkt auch einen Sinn, denn ich wog, als ich auf diese Idee kam, um die 127 und er um die 115 Kilo - einerseits eine Menge, die ich aufzuholen hatte, andererseits aber nicht unerreichbar weit weg. Außerdem habe ich schon damals vermutet, daß er sich mir in der Gegenrichtung annähern würde.

Nach Michas 118 Kilo vom Februar 2018 (ich lag mittlerweile nur noch ein bißchen über 120) wurde er bezüglich seines Körpergewichts sehr einsilbig. Im Februar 2019 ließ der Spiegel Klotzbier noch einmal zu Wort kommen ließ, und zwar mit einem Gewicht von nun wieder 135 Kilo. Zu diesem Zeitpunkt wog ich selbst nur noch 112. Damit war ich ihm schon so weit enteilt, daß ein Vergleich keinen Sinn mehr hatte, solange er sich meinem Gewicht nicht doch noch wieder näherte, und so hörte ich damit auch wieder auf.

Schon in der Zeit, bevor ich selbst anfing abzunehmen, hat es mich geärgert, daß ein Blatt wie der Spiegel null Interesse daran zeigte, wie es bei Micha überhaupt zu der Wiederzunahme gekommen war, die ja bereits im Sommer 2016 einsetzte, als er noch hochmotiviert und noch dazu von Experten geradezu umzingelt war, die ihn auf den Marathon vorbereiteten. Eigentlich hätte deshalb schon in dieser Zeit klar sein können, daß irgendetwas an der Sache seltsam war, und diese Seltsamkeiten hätte man genau genug unter die Lupe nehmen können, um zu erkennen, daß sie nicht dem entsprachen, was man hätte erwarten sollen. Genau DAS hätte dann eine Story werden können, wie sie einem Magazin wie dem Spiegel mit seiner großen investigativen Vergangenheit gut zu Gesicht gestanden wäre: ein Investigativreport über funktionierende und nicht funktionierende Strategien, Mythen und Märchen zum Abnehmen, verbunden mit dem sehr praktischen Problem ihres Abnehmhelden auf dem Weg zum Marathon, wie er es nun eigentlich anstellen könnte, nicht nur eine Wiederzunahme zu vermeiden, sondern auch noch weiter bis zu seinem Ziel, wenigstens unter hundert Kilogramm zu kommen, zu gelangen. Alleine schon deshalb ging es mir über den Horizont, wieso Michas zunehmende Probleme, sein Gewicht weiter zu halten, nach dem ganzen vorherigen Bohei um ihn kein Auslöser für einschlägige und bestimmt sehr spannende Recherche des Spiegels gewesen sind. Sogar aus einer Interessenperspektive, in der es nur auf steigende Klickzahlen ankommt, wäre das doch eine erfolgversprechende Sache gewesen. Dieselbe Geschichte haben schon so viele Leser am eigenen Leibe erlebt, warum sollten sie sich für so eine Story also nicht interessieren?

Das Problem ist, der Spiegel hat schon seit vielen Jahren insgeheim keinerlei investigativen Biß mehr, weil es dem Blatt an der Grundeigenschaft einer unstillbaren Neugier fehlt, die nötig ist, um sich das Unerklärliche eben doch erklären können zu wollen. Er ist längst bloß noch ein Boulevardblatt mit einem Hang zu selbstverliebter sprachlicher Pointenhascherei. Skandalisiert wird inhaltlich aber immer auch nur all das, was alle anderen skandalisieren, meinungstechnisch schwimmt man - abgesehen von dem zu jedem Thema zusätzlich gelieferten Feigenblatt einer einzelnen konträren Meinungsäußerung, mit der man wohl die eigene Neutralität beweisen möchte - kreuzbrav mit dem Strom und begnügt sich bereitwillig mit "low hangig fruits". Investigativ ist an diesem Laden deshalb gar nichts mehr.

Ich erinnere mich noch an mein Befremden, als der Spiegel sich um die Jahrtausendwende herum innerhalb ziemlich kurzer Zeit immer mehr boulevardisierte, etwa in epischer Breite über das damals noch ganz neue, aber für jemanden, der die üblichen Spiegel-Themen interessant findet, entsetzlich belanglose "Big Brother" berichtete. Nachdem der Spiegel angefangen hatte, mich Woche für Woche mit immer ausführlicher werdenden Berichten über dieses Thema zu langweilen, hat es nicht mehr lange gedauert, bis ich aufhörte, ihn weiter zu kaufen, weil ich nicht mehr das Gefühl hatte, mit Spiegel besser informiert als ohne ihn zu sein. Davor war für mich zwanzig Jahre lang ein Montag ohne Spiegel ganz unvorstellbar gewesen, auch in Zeiten, als ich so knapp bei Kasse war, daß ich manchmal Zehn-Pfennig-Stücke aus dem Kleingeld-Sparschwein dafür herausangeln mußte.

Die kostenlose Online-Ausgabe des Spiegels habe ich aber noch ziemlich lange trotz ihrer noch viel gravierenderen qualitativen Mängel weiter gelesen, unter anderem deshalb, weil sie die Möglichkeit bot, sich in einem Diskussionsforum mit anderen Lesern auszutauschen. Aber dann wurde erst das Forum zugunsten artikelbezogener Kommentarbereiche abgeschafft und dann wurden neunzig Prozent der Inhalte hinter Bezahlschranken versteckt, während gleichzeitig Twitter sich aber auf einmal als viel besser erwies, um schnellstmöglich über aktuelle Entwicklungen informiert zu sein. Daß gleichzeitig die Online-Nachrichtenmedien auch immer stärker auf möglichst viel Geschwindigkeit bei der Unterrichtung ihrer Leser setzten, fand ich geradezu bizarr. Haben die wirklich nicht gesehen, daß sie bei diesem Hase-und-Igel-Spiel nur verlieren können? Wenn die Spiegel-Eilmeldung zu Themen, die ich aktiv verfolgte, auch langsam mal kam, war sie für mich längst nicht mehr interessant. 

Was die Meinungsbildung betrifft, fehlten mir bei den angebotenen Meinungen im Spiegel außerdem immer häufiger zu offensichtlich die nötigen Faktengrundlagen. Wenn ein Spiegel-Redakteur, wie ich das wiederholt erlebt und mich darüber geärgert habe, sich eine Meinung auf Basis ungeprüfter Fakten aus inhaltlich unveränderten Pressmitteilungen Dritter (die dabei in der Regel irgendein Eigeninteresse mit haben einfließen lassen) gebildet zu haben scheint, was habe ich dann davon, diese Meinung zu kennen? Ich bin schon in den nuller Jahren dazu übergegangen, mir eine eigene Meinung so lange vorzubehalten, bis ich einen Blick auf die Originalquelle werfen konnte, was ja in Zeiten des Internet meistens ziemlich einfach möglich ist. Eigentlich wäre es Aufgabe der Medien, daß sie mir diese Vorarbeit abnehmen, aber darauf, daß sie ihr nachkommen, verlasse ich mich schon lange nicht mehr. Damit kann ich aber auch mit ihren Meinungen nicht mehr viel anfangen.

Ich werfe mittlerweile höchstens noch zwei, dreimal im Jahr einen Blick auf die Spiegel-Website, in der Regel aus irgendeinem konkreten Anlaß - so wie jetzt wegen Micha Klotzbier, als ich zufällig darauf stieß, was sich bei ihm gerade tut, und die Vorgeschichte in meinem Blogartikel darüber verlinken wollte. Wenn ich im Anschluß dann auf die Hauptseite gehe und mich durch die Überschriften scrolle, finde ich aber selten etwas, das mich auch nur ansatzweise interessieren würde. Und mit Kosten für Zeitschrift oder Online-Inhalte hat das auch nicht allzu viel zu tun. Ich lese den Spiegel ja nicht einmal mehr dann, wenn ich beim Arzt im Wartezimmer sitze, falls es mir dort wirklich einmal richtig langweilig werden sollte, ist sogar das Neue Blatt noch weniger unspannende Lektüre. Mit diesem Blatt einschließlich seiner Website geht es mir ungefähr so wie auch mit der SPD: Ich weiß nicht mehr so recht, wofür es eigentlich gut sein soll.

Daß mehr als 90 Prozent aller Abnehmenden scheitern, aber jeder sich damit zufrieden gibt, ihnen daran selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben, während gleichzeitig die Folgekrankheiten von Adipositas nicht nur für die Betroffenden zu einem Gesundheits-, sondern auch für die Gesellschaft zu einem zunehmenden Finanzierungsproblem werden, IST meines Erachtens ein Skandal. Für mich selbst ist das ja glücklicherweise kein Problem mehr, aber all die Micha Klotzbiers dieser Welt bloß deshalb bis zum jüngsten Tag Sisyphus spielen zu lassen, weil niemand diesen Skandal als solchen zu erkennen scheint, geschweige denn, ihn aufzudecken versucht, ist sicherlich eine Sache, die diese Welt nicht gerade besser macht.



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