Dienstag, 9. Januar 2024

Die Wissenschaft und die Bierflasche

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 79,4 Kilogramm - nachdem meine Waage mich gestern früh wahrhaftig mit einem Gewicht von 82,4 Kilogramm entsetzt hatte. Gut, ich hatte nach dem Abendessen die ganze Nacht fiese Blähungen gehabt und fühlte mich, als wäre mein Bauch voller Wackersteine, aber trotzdem ... Wie auch immer, 3 Kilo minus nach einem einzelnen Fastentag, das kommt bei mir höchstens ein- oder zweimal pro Jahr vor und so weiß ich jetzt immerhin, daß ich gestern, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, ungefähr ein Kilo weniger gehabt hätte. Wirklich zufrieden wäre ich damit natürlich auch nicht gewesen, ich hatte ja darauf gehofft, bis heute unter 80 Kilo bleiben zu können, aber das konnte ich mir ja schon am zweiten Weihnachtstag in die Haare schmieren. 

Jetzt bin ich vor allem gespannt, wie weit ich am Freitag über meinem letzten Tiefstgewicht von 73,2 Kilogramm liegen werde. Illusionen mache ich mir freilich keine, ich tippe auf um die 76 Kilogramm.

Am Wochenende legen wir nochmal eine zünftige Carb-Orgie ein und Montag nächste Woche geht es dann in die nächste Low-Carb-Phase, die bis Anfang März dauern wird, und anschließend gehe ich dann in den Endspurt mit 4 Tagen Fasten, 4 Tagen Essen im Wechsel, bis ich vor dem Fasten erstmals weniger als 73,5 Kilogramm wiege. 

Eigentlich hatte ich vor, das nur dann zu machen, falls ich Anfang März vor dem Fasten weniger als 76,5 Kilo wiegen sollte, damit ich nicht länger als maximal vier Wochen dafür brauchen werde, aber nachdem mein Gewicht über den Jahreswechsel sich oberhalb der 80 Kilo wieder gar zu wohl fühlte und ich mir deshalb auf einmal nicht mehr sicher sein konnte, ob es dazu kommen wird, habe ich gemerkt, daß mir einfach die Geduld fehlt, in so einem  Fall womöglich noch bis zum Sommer herumzumachen. Ich will jetzt endlich mal ans Ziel kommen. Also wird der Endspurt in drei Teufels Namen so lange dauern, wie er eben dauert.

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Ein Nachklapp zu Thomas Seyfried: Mir wird erst jetzt bewußt, daß ich zwischen Januar und März 2023, während der zweiten Chemo-Hälfte, womöglich - und zwar ganz aus Versehen - zusätzlich zu Low Carb und Fasten außerdem das von Seyfried empfohlene Energiedefizit hatte, das ihm gemäß erforderlich sein soll, um einen Tumor zum Schrumpfen zu bringen. 

Wenn ich faste, um abzunehmen, versuche ich ja, ein Energiedefizit als Unter-dem-Strich-Ergebnis aus der Kombination von Fasten- und Eßtagen eigentlich eher zu vermeiden, obwohl mir das nicht so wichtig ist, daß ich dafür Kalorien zählen würde. Ich gehe auch davon aus, daß ich es an unerwünschten Wirkungen selbst merken würde, wenn ich wirklich für längere Zeit in einem Energiedefizit bin. 

Während der Chemo mit Trastuzumab, Pertuzumab, Taxane und Carboplatin stellte ich allerdings fest, daß bei mir, obwohl ich zu den Essenszeiten wirklich Lust auf Essen hatte und es mir auch schmeckte, viel schneller das Sättigungsgefühl einsetzte. Nennt man so was eigentlich auch "Appetitlosigkeit"? Ich bin immer davon ausgegangen, mit diesem Begriff sei gemeint, daß man keinen so richtigen Antrieb zur Nahrungsaufnahme hat, und so hätte ich jeden Eid darauf geleistet, daß ich unter Appetitlosigkeit während der Chemo nicht gelitten hätte. Aber weil meine Mahlzeiten wegen der rascheren Sättigung kleiner als gewohnt ausfielen, bekam ich im Lauf der Zeit doch das Gefühl, daß die aufgenommene Nahrung kaum noch meinem physischen Bedarf entsprechen könne, und tatsächlich hatte ich ungefähr zum OP-Zeitpunkt auch das Gefühl, daß ich zum überhaupt ersten Mal Ansätze für die Bildung einer Fettschürze am Bauch entdecken könne (inzwischen hat sich das glücklicherweise längst wieder normalisiert) und dies auf das mutmaßlich Energiedefizit zurückgeführt, denn sonst hatte ich dieses Problem 60 Kilogramm Abnahme lang nie.

Also, bewußt hätte ich ein Kaloriendefizit mit meinem damaligen Wissen während der Chemo nicht angestrebt und vielleicht sogar weniger gefastet, um es zu vermeiden, hätte ich mit so etwas vorher schon gerechnet. Aber mit dem Wissen von jetzt aus dem Seyfried-Buch betrachtet war es unter Umständen doch eine glückliche Fügung. 

Was lernen wir daraus? Man braucht zwar Wissen und Können, aber zusätzlich immer auch ein bißchen Dusel. Gerade dann, wenn man es mit einer Blackbox wie der Frage zu tun hat, worauf der eigene Tumor wohl wie reagieren wird.

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Oh, Science-Twitter. Die Witze , die ihr lustig findet, sind irgendwie, nun ja, sagen wir: entlarvend.

Bild

Was fehlt in diesem Beispiel? 

Antwort: Irgendwer, der die Bierflasche öffnet und den Inhalt in ein Glas füllt, um dem Augenschein nach zu beurteilen, ob die Flüssigkeit wirklich wie Bier aussieht und riecht. Falls sie das tut, müßte er außerdem noch kosten, ob sie zusätzlich wie Bier schmeckt. Anschließend müßte er das Glas austrinken und seinen Promillepegel messen. Perfekt wäre die Sache, wenn er das Experiment mehrmals repliziert (oder jemanden - zum Beispiel mich - darum bittet, es zu tun) und jedes Mal bei Augenschein-, Geschmacks- und Wirkungsprüfung dasselbe Ergebnis herauskommt. (Beim Promillepegel natürlich nicht, der müßte von Bier zu Bier ansteigen.) 

Das nämlich wäre dann keine "Vorform der Wissenschaft", sondern "Wissenschaft".

Es wundert mich aber überhaupt nicht, daß Leute, die glauben, Wissenschaft zu "können", das Öffnen des Kühlschranks und dem Anblick einer Flasche, die theoretisch eigentlich Bier enthalten müßte, ausreichend zu finden scheinen. Genauso machen sie es in anderen Fragen ja auch, nennen das dann "Wissenschaft" und wundern sich, warum sie auf diese Weise nicht imstande sind "Real-World-Probleme" zu lösen. 

Beispiel gefällig?

Schock- und Ekelbilder wie für Tabakprodukte auch für "ungesunde" Lebensmittel einzuführen, würde sich lohnen. Das jedenfalls behaupten irgendwelche Wissenschaftler, und die Fachpresse gibt es getreulich so wieder, ohne irgendwas daran für hinterfragungswürdig zu halten. In Wirklichkeit haben sie sich aber schon für Tabakprodukte keineswegs gelohnt, obwohl es dazu im Vorfeld ganz ähnliche Forschungsergebnisse wie jetzt für Süßigkeiten gegeben hatte. 

Öffnen wir mal die zugehörige Flasche und kosten ihren Inhalt (nur einen kleinen Schluck, weil das Zeug nicht sonderlich schmeckt).

Erstens schocken die Schockbilder nur für ziemlich kurze Zeit, können also die Kaufentscheidungen nicht für längere Zeit beeinflussen. Das liegt eigentlich auf der Hand. Beweisbar ist es durch die tatsächliche Entwicklung des Rauchverhaltens in Deutschland seit Mai 2016, dem Einführungszeitpunkt der Schockbilder. Die Debra-Study verfolgt ziemlich genau seit diesem Zeitpunkt die Entwicklung des Rauchens bei uns im Land. Einen Rückgang beim Rauchen gab es aber weder kurz- noch längerfristig. 

Beweis:

Die Schockbilder schreckten aktive Raucher nicht ab, aber das, könnte man annehmen, sei längst nicht so wichtig wie ihre Wirkung auf jugendliche (Noch-)Nichtraucher. Nur, bei denen gab es auch keine solche Wirkung. Im Gegenteil rauft man sich neuerdings die Haare darüber, daß der Trend gerade bei den jungen Leuten genau in die falsche Richtung geht. 

Beweis:


Zweitens sind Schockbilder aber potentiell selbst gesundheitsschädlich (Nocebo-Effekt). Zwar wäre es schwierig, solche Schäden speziell auf die Schockbilder als Ursache zurückzuführen, aber an der Existenz des Phänomens Nocebo-Effekt gibt es ebenso wie an der des Placebo-Effekts samt der zugehörigen gesundheitlichen Wirkungen keinen begründbaren Zweifel. Da die Maßnahme im Falle des Rauchens nachweislich keinen Nutzen hatte, kann diesem Schaden in unklarer Größenordnung also noch nicht einmal ein meßbarer Nutzen auf der anderen Waagschale gegengerechnet werden. 

Genau dasselbe ist also auch zu erwarten, falls übereifrige Gesundheitsstrategen sich mit dem Argument "Bei den Rauchern hat es doch auch etwas gebracht" überzeugen lassen sollten und entsprechende Schockbilder auch für Lebensmittel kämen, die für gesundheitsschädlich gehalten werden.

Bei Lebensmitteln, also den jetzt zur Debatte stehenden Süßigkeiten, kommt erschwerend aber noch hinzu, daß es gute Gründe gibt, an dem Wissen der Experten darüber, was ein "gesundes" und was ein "ungesundes" Lebensmittel ist, zu zweifeln. Mein Blog ist voll mit Beispielen dafür. Ich bin beispielsweise überzeugt davon, daß sich die Vegan-Manie über kurz oder lang als gesundheitsschädlich herausstellen wird, erstens weil sie längst von Big Food gekapert und mit entsprechendem Fertigfraß vergleichbar zweifelhafter Qualität wie bei anderen Fertigprodukten versehen wurde, und zweitens, weil ohne tierisches Protein halt doch etwas in der Ernährung fehlt, das jedenfalls nicht bei jedem dauerhaft durch anderes ersetzbar ist.

Um auf das Kühlschrank-Vergleichsbeispiel zurückzukommen: Womöglich erweist sich der Inhalt der Flasche, den die Autoren jener Studie qua Augenschein für Bier gehalten haben, als Abflußreiniger, wenn man sie im Vertrauen auf ihr Wissen und ihr Urteilsvermögen aus dem Kühlschrank nimmt, öffnet und daraus trinkt. Als Zeitgenosse, der gerne möglichst wenig Menschen gesundheitlichen Schaden erleiden mitansehen möchte, fände ich es allemal weniger bedenklich, falls die Person, die gerade durstig ist, der Homöopathie huldigt und deshalb zur danebenstehenden Milch greift. 

Darauf ein Bierchen. Natürlich erst, wenn ich fertiggefastet habe. Prost! ;-)



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