Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 79,7 Kilogramm; damit bin ich auf dem fast sicheren Weg zu einem neuen Tiefstgewicht, denn bei einem viertägigen Fastenintervall hatte ich noch nie nach dem ersten Tag weniger als 80,1 Kilogramm. Gesterm früh mußte ich mich noch über 82,5 Kilogramm entsetzen - wobei ich aber eigentlich sogar noch Schlimmeres befürchtet hatte: Nicht nur hatte ich morgens ein ziemlich unangenehmes Völlegefühl, sondern die Schwellung an der rechten Brust war wiedergekommen und hatte sich über Nacht sogar noch verstärkt. Gestern früh sah ich brusttechnisch, nun ja, höchst asymmetrisch aus: rechts prall wie eine Sechzehnjährige, links die gewohnten 58 Jahre. Inzwischen ist die Sache wieder teilweise, aber noch nicht vollständig abgeschwollen - ich würde sagen: rechts liege ich jetzt bei ca. 45 Jahren, aber es fühlt sich eigentlich wieder normal an.
So häufig, wie ich heute aufs Klo rennen muß, wird bei mir außerdem immer noch untypisch viel Wasser abgelassen, also werde ich vielleicht heute ebenfalls mehr Gewicht verlieren, als ich dachte (typisch sind am zweiten Fastentag so zwischen 1,2 und 1,5 Kilogramm).
Gestern dachte ich auch zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, ob ich nicht vielleicht doch einen Ad-hoc-Arzttermin ausmachen sollte, um das abklären zu lassen, weil es sich auch unangenehm anfühlte; nicht schmerzhaft (auch keine Schmerzen in der Achselhöhle), aber ein gewisses Druckgefühl. Bleiben gelassen habe ich es zum einen, weil mir das einen ziemlich engen Zeitplan gesprengt hätte, und zum anderen, weil ich mir unsicher war, welchen meiner Doctores ich damit überfallen sollte: Hausarzt, Gynäkologe oder Onkologe? Also entschied ich mich für Option D, die mir in solchen Fällen sowieso immer am liebsten ist: abwarten, wie es sich bis morgen entwickelt, dann neu entscheiden. So, wie es jetzt ist, sehe ich keinen so richtigen Grund mehr, einen meiner Ärzte zu belästigen. Beim nächsten Infusionstermin werde ich das aber in jedem Fall mal ansprechen, auch dann, falls es bis dahin endlich ganz weg sein sollte.
Was auch immer das gewesen sein soll, es hatte interessanterweise auch auch die Neuropathie einen Einfluß: am linken Fuß merkte ich heute früh rein gar nichts mehr (aktuell ein winziges bißchen, das mir nur deshalb auffällt, weil ich so mißtrauisch nach Auffälligem suche), rechts war es noch etwas stärker, ist dort aber ebenfalls zurückgegangen. Was mag sich da in meinem Inneren abspielen, das an zwei so verschiedenen Stellen so unterschiedliche Dinge bewirkt?
Wie auch immer, es hat außerdem mitbewirkt, daß ich von gestern auf heute ungewöhnlich viel Wasser verloren habe. 2,8 Kilogramm Minus - es ist lange her, daß ich einen vergleichbar hohen Gewichtsrutsch an einem einzigen Fastentag zum letzten Mal hatte. Sogar nach dem Ende der Bestrahlung waren es "nur" 2,6, was mir Ende Juli aber auch schon ungewöhnlich hoch vorkam. Anfang 2018 waren solche Ein-Tages-Gewichtsverluste nicht ungewöhnlich, damals waren es vereinzelt sogar noch mehr als 3 Kilogramm am Tag gewesen, aber das hängt natürlich auch mit meinem damaligen Gewicht zusammen, das seinerzeit noch höher als 120 Kilogramm lag. Die 40 Kilogramm, die ich heute weniger als vor fünf Jahren wiege, müssen ja anteilig auch Wasser enthalten haben.
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In meinem letzten Beitag habe ich ja den "Ernährungskompaß" von Bas Kast rezensiert und dessen Inhalt als "halbgar" bezeichnet. Wenn ich mir die Sache recht überlege, hätte ein großer Teil der Ratgeberliteratur dieselbe Bezeichnung verdient - und ein nicht weniger großer Teil des Wissenschaftjournalismus in ratgebertächtigen Bereichen ebenfalls. Die fleischgewordene Halbgarheit zu jedem erdenklichen Thema ist allerdings Richard David Precht, der mir schon mit seinen Äußerungen zum Ukrainekrieg in dieser Richtung aufgefallen ist. Aktuell hat er mit seinem Podcastpartner Markus Lanz einen Aufschrei der Empörung ausgelöst - einen viel stärkeren, als es im Ukrainefall zu beobachten war -, weil er auf dieselbe halbgare Weise den Nahostkonflikt abzuhandeln versucht hat und dabei nach Meinung von Leuten mit Ahnung ziemlich heftig in antisemitische Klischees abgerutscht ist.
Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte war darüber so aufgebracht, daß er ausführlich öffentlich erklärt hat, was genau nicht in Ordnung gewesen ist bei dem, was Precht gesagt hatte. Daran läßt sich leider aber auch erkennen, daß ihm genau klargewesen ist, daß die meisten der Podcast-Hörer wohl nicht spontan erkennen würden, was daran nicht in Ordnung war. Das halbgare Halbwissen von Precht ist eben viel näher dran am durchschnittlichen Halbwissen der meisten Leute zu den meisten Themen. Also fügt es sich in ihren Wissensstand problemlos ein.
Texte wie den von Blume lesen hingegen fast durchweg nur Leute, die von vornherein entweder sehen, daß an den Prechtschen Sprechblasen etwas nicht stimmt, oder die es vielleicht selbst nicht einmal sehen, aber aus anderen Bereichen ihre Erfahrungen mit den Prechtschen Sprechblasen haben und ihm deshalb von vornherein mißtraut haben, sowie als dritte Gruppe diejenigen, die in der betreffenden Frage keinesfalls etwas Verkehrtes denken möchten und deshalb besonders begierig sind, zu lernen, was man dabei nicht denken sollte, auch wenn sie außerstande wären, in eigenen Worten dies zu erklären und zu begründen. Auf die meisten anderen dürfte die Wirkung von Erklärungen, für die man so extrem weit ausholen muß, wie Blume das tut, aber nahe null liegen, und das noch nicht einmal, weil diese meisten Antisemiten wären, sondern weil sie sich für diese Thematik nicht sonderlich interessieren (was ihr gutes Recht ist) und sie vermutlich, weil sie immer wieder mit vergleichbaren Schlagworten garniert in die öffentliche Debatte gelangt, sowieso für überdramatisiert halten.
Jeder hat solche Themen, in denen die Frequenz und Lautstärke der Berichterstattung einen nicht etwa zu Einsicht und Umkehr bringt, sondern höchstens auch noch bockig macht. Ich habe sie auch, obwohl es bei mir nicht das Thema Antisemitismus ist. Dagegen hilft es meines Erachtens nichts, Lautstärke und Frequenz sogar noch weiter zu erhöhen.
Mich beschäftigt an der Sache aber weniger die Antisemitismusfrage als solche (dafür gibt es auch genügend kompetentere Leute), sondern die übergreifende Problematik, daß praktisch alle Themen so gut wie immer nur mit Schlagworten abgehandelt werden, und bei kontroversen Themen geschieht das in der Regel von beiden Seiten. Dahinter stecken aber unweigerlich bestimmte teilweise oder komplett falsche Klischeevorstellungen, die dann Grundlage für die Meinungsbildung werden. Den ebenfalls unweigerlichen Stille-Post-Effekt dabei einmal ausgeklammert, der im Kopf der Leser die sonderbarsten Dinge mit den erhaltenen Informationen anstellen kann, reicht alleine das schon dafür, daß ich mich im Gespräch mit normalen Leuten richtig schwer tue, wenn solche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Eigentlich sollte ich es mir angewöhnen, auf so etwas gar nicht zu antworten und stattdessen das Gespräch auf das Thema Wetter zu lenken.
Wie schwierig es ist, fehlerhafte Klischeevorstellungen zurechtzurücken, erkenne ich besonders leicht an den nicht weniger dümmlichen Klischees zu Adipositas, die auch durch die meisten Fachleute vertreten werden. Aber warum sollte ich es dann naheliegend finden, daß andere Themen korrekter abgehandelt werden? Die Klischees, das ist das Problem, lassen sich kurz und knackig auf einen griffigen Nenner bringen, ob es nun die Juden sind, denen (so Precht) ihre Religion angeblich alles außer Diamantenhandel und Finanzgeschäften an Arbeit verbiete, oder ob es die vielen Schnitzel gewesen sein sollen, mit denen eine bettlägerige Magenverkleinerungspatientin, die sich gar nicht mehr selbst mit Lebensmitteln versorgt haben konnte, sich angeblich ein Körpergewicht von 200 Kilo angefuttert haben soll.
Da die Realität meistens viel komplizierter als eine schöne plakative Formel, wie sie im Journalismus so gerne verwendet wird, läßt sie sich aber auch nicht in solchen unterkomplexen Bildern wirklichkeitsgetreu zusammenfassen, auf die man die reale Geschichte eindampfen muß, um eine sendetaugliche Story zu bekommen. Aber wenn man erst mal einen ellenlangen Anlauf nehmen muß, um eine Sache richtigzustellen, die beim Versuch, sie in eine Formel zu zwängen, ernsthaften Schaden genommen hat, hat man im Grunde von vornherein schon gegen das Klischee verloren. Es heißt ja, eine Lüge sei bereits dreimal um die Welt gelaufen, bevor sich die Wahrheit auch nur die Schuhe angezogen hat. Auf Klischees trifft etwas ähnliches zu. Vor allem deshalb ist die Welt voller Menschen, deren Hirn bis zum Platzen mit Klischeebildern aller Art gefüllt ist. Darunter, leider, auch antisemitische Klischees, obwohl die wenigsten von denen, die sie verbreiten, Antisemitismus wirklich gutheißen, sondern bloß halbgares Zeug aufgreifen, weil ihnen auf den ersten Blick nichts Falsches daran zu sein schien.
Das menschliche Wissen hängt in hohem Maße von meist stark simplifizierten Annahmen, sogenannten Heuristiken
ab. Eigentlich sollte man ja meinen, daß im Laufe der Zeit - Stichwort
"Lebenserfahrung" - die meisten Fehler in diesen Heuristiken korrigiert
werden können. Aber unser Wissen umfaßt heutzutage so viel mehr, als man
jemals in Form persönlicher Erfahrungen kennenlernen wird, also hilft
es wohl nur (wenigstens ein bißchen), sich des Umstands immer bewußt zu
sein, daß man über etwas, womit man keine oder nur wenig eigene
Erfahrung gemacht hat, in Wirklichkeit nur halbgares Zeug weiß, egal wie
viele Fernseh-Dokus man darüber gesehen hat und egal, was die Zeitung
darüber schreibt.
Ich wünschte, ich könnte wenigstens von mir selbst behaupten, frei von Klischeevorstellungen zu sein. Aber jedes Mal, wenn ich in der Realität mit neuen Erfahrungen zu tun habe, werde ich mit der Nase auf die Klischeevorstellungen gestoßen, die ich vor diesen Erfahrungen gehabt hatte, etwa auch von Krebserkrankungen. Das einzige, was von all diesen Halbgarheiten befreien kann, scheint die persönliche Erfahrung zu sein. - Nicht, daß ich das ausgerechnet bei Krebs irgendjemandem wünschen würde.
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Als faktenbasierte Aufklärung ist bestimmt auch dies hier gemeint:
Wie die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) heute mitteilte, stieg die Zahl der Patienten, bei denen im Alter von 60 bis 69 Jahren eine depressive Episode oder eine wiederkehrende Depression diagnostiziert wurde, von 2011 auf 2021 um 27 Prozent auf 21,8 Prozent.
Bei den 70- bis 79-Jährigen zeigt sich in dem Zeitraum ein Plus von rund 14 Prozent auf jetzt 19,8 Prozent, wie eine Auswertung von Versichertendaten ergab. Die sogenannte Altersdepression ist nach der Demenz die zweithäufigste psychische Erkrankung im Alter.
Die Frage ist, was das bedeutet. Blieb das früher bloß zu unbeachtet oder gab es einen wirklichen Anstieg? Falls es aber einen Anstieg gab, läßt sich das auch an irgendetwas festmachen, beispielsweise an schwerwiegenden und/oder lebensbedrohlichen Erkrankungen, von Diabetes bis zu Krebs, die ja beide typische Altersleiden sind. Auch Rückenleiden oder eine kaputtes Hüftgelenk können vor allem zuvor gerne und viel Aktive zusätzlich psychisch stark belasten. Aber wäre Trauer um die verlorene Gesundheit als Depression überhaupt richtig diagnostiziert? Es müßte doch eigentlich unterschieden werden zwischen einer schmerzlichen Verarbeitung von belastenden von außen kommenden Ereignissen, von Todesfällen in der Familie bis zum Verlust als eigentlich unverzichtbar empfundenen Teilen der eigenen Gesundheit, und der sogenannten endogenen Depression, die nicht von so etwas ausgelöst wurde, sondern einfach wie die Asche und das Magma aus einem ausbrechenden Vulkan aus dem eigenen Inneren kommt und alles zuschüttet.
Ist das außerdem nicht paradox, daß das möglichst lange Leben das unhinterfragte Ziel aller epidemiologischen Forschung wie auch der Präventionsbemühungen der Gesundheitspolitik und selbstverständlich auch der ärztlichen Kunst ist (und jeder dieses Ziel ja auch für erstrebenswert hält), aber jeder Fünfte unter den Älteren dann am Sinn seines Lebens zu verzweifeln scheint?
Diese Art von faktenbasierter Aufklärung erklärt in Wirklichkeit von den eigentlich wichtigen damit verbundenen Fragen überhaupt nichts. Aber schon auf die Fragen als solche muß man selbst kommen, weil sie in der "Aufklärung" von vornherein nicht vorkommen.
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Durch einen Zufall entdeckte ich heute, daß die ehemalige
Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle am DKFZ
Heidelberg, Martina Pötschke-Langer, letztes Jahr im Sommer im Alter von
71 Jahren verstorben ist. Das ist mir damals völlig entgangen, obwohl es noch vor meiner Krebsdiagnose war, die sicherlich dafür gesorgt hat, daß mir manches, das ich normalerweise hätte mitkriegen müssen, doch entgangen ist. Ein Minimalziel, nämlich sie zu überleben, habe ich also erreicht. Jetzt habe ich mir vorgenommen, als Raucherin und neuerdings zusätzlich Krebspatientin mindestens zehn Jahre älter als die berufsmäßige Nichtraucherin (bzw. meines Wissens: Ex-Raucherin) Frau Dr. med. Pötschke-Langer zu werden. Es gab mal eine Zeit, da lautete mein Plan eigentlich, eines Tages auf ihrem Grab zu tanzen. Aber damals war ich auch noch jünger und hitzköpfiger. So, wie ich das jetzt vorhabe, hat die Sache viel mehr Stil. Warum so viele Leute Schwierigkeiten damit haben, einen Sinn in ihrem Leben zu finden, darin kann ich mich gerade noch schlechter als sonst hineindenken. Ich habe zu den unzähligen Gründen, weiterleben zu wollen, gerade einen mehr hinzubekommen.
Wie ich ausgerechnet jetzt darauf gekommen bin? Hierdurch. Mich hatte zunächst eigentlich nur interessiert, ob diese "Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen" eigentlich von meinen Steuergeldern finanziert wird (die Antwort lautet: ja, und von meinen Krankenkassenbeiträgen offenbar auch), und als ich außerdem die Namen des Personals lesen wollte, um zu sehen ob ich auf mir bekannte Namen aus der deutschen Präventionsszene stoßen würde, stolperte ich über Frau Pötschke-Langers Namen, dem zu meiner Überraschung ein Kreuz folgte. Aktuell hat diese Hauptstelle aber nicht das Rauchen, sondern den Alkohol im Visier, und das auf eine Weise, die mich schwer an das mediale Propagandafeurwerk in den Monaten vor dem Rauchverbot erinnert. Schon der erste Tropfen Alkohol sei einer zu viel! Die Leute sollte ihn gar nicht erst zu sich nehmen! Und auch diesmal kann man sich dabei auf die WHO berufen.
Viel mehr Sorgen macht mir freilich die Meinung der WHO über "gesunde Ernährung". Das Rauchen und das Saufen wird diese Organisation sowieso nicht ausrotten können. Aber ihre Ernährungsempfehlungen unterstützen natürlich die Beharrungskräfte der Ernährungswissenschaft, bei ihren wirkungslosen bis schädlichen Herangehensweisen zu bleiben, die wahrscheinlich längst viel mehr Menschen vorzeitig ins Grab bringen als der Alkohol, was komischerweise niemanden zu interessieren scheint.
Alles, was die WHO, die Süchtlerstelle und Frau Dr. med. Pötschke-Langer vertreten bzw. vertreten haben, war selbstverständlich auch strikt faktenbasierte Aufklärung. Und diesen Satz lasse ich jetzt einfach mal so im Raum stehen. 😇
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