Freitag, 4. August 2023

Der Hammer und der Akkuschrauber

Mein Gewicht heute früh nach dem zweiten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 79,6 Kilogramm. Jetzt scheine ich mich also mal wieder in der Phase zu befinden, in der ich vor und nach dem Fasten ständig die nach Zehn-Kilo-Schritten einzustellende alte Arztwaage hin- und herstellen muß - und weil ich erst in fünf Wochen das nächste lange Fastenintervall haben werde, geht das jetzt wohl auch noch bis weit in den Herbst hinein so weiter. Die 80 ganz hinter mir lassen werde ich wohl frühestens im Oktober. Aber ich will echt nicht meckern, denn Anfang Januar mußte ich dasselbe wegen der unerwartet hohen chemobedingten Zunahme im Dezember ja auch machen, allerdings ging es da noch um den 90er- und den 80er-Bereich. 

Verloren gegangen aus Abnahmeperspektive sind mir lediglich die Monate zwischen Oktober und Februar, denn Ende Februar hatte ich nach den fünf Dezemberkilos wieder dasselbe Gewicht wie Anfang Oktober letzten Jahres, zwischen 86 und 87 Kilogramm. Anfang Oktober dieses Jahres werde ich wohl sieben Kilo (plusminus ein bißchen was) weniger haben als ein Jahr davor. Weniger als die zehn, die ich normalerweise hätte erwarten können, aber ich hatte ja ohnehin erwogen, über den Sommer einen Probelauf der Haltephase zu machen, weil ich lieber im Frühjahr als im Winter die Haltephase erreichen wollte. Im Oktober 2024 möchte ich bereits einige Monate Erfahrungen damit gesammelt haben und wissen, ob die geplanten sechs Fastentage im Monat im Sommerhalbjahr ausreichen, und dann darf der erste Halte-Winter kommen, in dem sie es vermutlich nicht tun werden. So ein bißchen spekuliere ich freilich darauf, daß die Low-Carb-Phase die Sache doch wieder rausreißen wird.

Nach dem langen Fastenintervall letzte Woche habe ich die Abnahme übrigens deutlich gespürt, einmal am Unterbauch (gerne hier das nächste Mal noch mehr!) und dann erneut  an den Oberschenkeln, wo mir meine Hose Größe 38 auf einmal zu schlottern begonnen hat, während sie um den Bauch herum ärgerlicherweise genauso sitzt wie vorher. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben denke ich darüber nach, mir testhalber eine Jeans in der Paßform "Slim" zu kaufen, die möglicherweise besser sitzen würde, und komme mir dabei SEHR merkwürdig vor. Nie im Leben wäre ich auf den Gedanken gekommen, daß ich mit dieser Paßform jemals etwas anfangen können würde.

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Auf den Namen des Ernährungspsychologen Christoph Klotter bin ich bedauerlicherweise erst durch die Meldung von seinem Tod gestoßen, eine, in der er als Ernährungswissenschaftler bezeichnet wurde, also hatte ich ein anderes Berufsprofil erwartet, als ich beim Googeln dann vorfand.

Ich gestehe, mich hatte zunächst vor allem interessiert, woran ein Ernährungswissenschaftler im Alter von nur 67 Jahren wohl gestorben sein mag. Dazu fand ich nirgends etwas, aber dafür fand ich etwas noch viel Interessanteres heraus, nämlich daß er - wiewohl er keinerlei Zweifel am Kaloriendogma zu hegen schien - um einiges weiter war als viele andere, die im Bereich Public Health Schrägstrich Ernährung ihre Brötchen, ihr Müsli oder ihr geraspeltes Gemüse verdienen. Er konnte aus dem Stand eine ganze Menge Dinge aufzählen, die beim Abnehmen NICHT funktionieren, obwohl sie bis heute typische Bestandteile von Diäten mit dem Ziel der Gewichtsreduktion sind und als solche auch von ausgewiesenen Ernährungsfachleuten promotet werden (mit Ausnahme natürlich derjenigen, die Magenverkleinerungen, Medikamente oder lebenslängliche Betreuung als Süchtige in ihrem persönlichen Bauchladen anbieten). Er hatte sich auch einen Reim darauf gemacht, warum sie trotzdem bis heute im Schwange sind. Ganz besonders befriedigt hat mich sein Urteil über meine spezielle Freundin, die DGE, und sogar noch mehr das über die WHO. Ich habe mich mit meiner schlechten Meinung von der sonst bei jedem so hoch angesehenen Weltgesundheitsorganisation ja immer ein bißchen einsam gefühlt. ;-)

Wo ich ihm nicht folgen konnte, sind die psychologischen Erklärungen, warum diese und jene Abnehmstrategie nicht funktioniert und was man stattdessen tun könne. Schade, daß ich niemals mehr die Gelegenheit bekommen kann, mich mit diesem Mann einmal über die psychologischen Folgen zu unterhalten, die es hat, wenn von Menschen verlangt wird, eine Aufgabe zu lösen, die mit den bereitgestellten Instrumenten von vornherein unlösbar ist. Nach Kalorienlogik abnehmen zu wollen, funktioniert ungefähr so gut oder so schlecht, als würde man eine Schraube mit dem Hammer befestigen wollen: Es geht irgendwie schon, jedenfalls wenn man sich ein bißchen anstrengt, aber das Ergebnis fällt nicht so aus, wie es ausfallen würde, wenn man einen Akkuschrauber verwendet hätte, wie es eigentlich richtig wäre. 

Das Problem ist, daß unsere Ernährungswissenschaft keinen blassen Dunst davon hat, warum Schrauben anders aussehen als Nägel, und ihr gar nichts anderes einfällt, als sie wieder und wieder ins gleiche Loch einhämmern zu wollen, und sich dann wundert, warum sie nicht halten.

Psychologie ist dagegen keine Lösung. Sie hilft beim Abnehmen ungefähr genausoviel wie gegen Krebs; sie ist ein Tool, das einem vor allem gegen das in beiden Fällen typische begleitende Gefühl der Hilflosigkeit hilft. Mit Psychologie wird man die Adipositas-Krise definitiv nicht bewältigen können, dafür braucht es erst mal die Entwicklung funktionierender Methoden. Diesen letzten gedanklichen Schritt ist Klotter nicht mehr gegangen, weil er gar nicht auf die Idee gekommen wäre, etwas anderes als die Kalorienbilanz für den Auslöser von Übergewicht zu halten, aber auch, weil sein Fachgebiet nun einmal die Ernährungspsychologie ist. Wenn man einen Hammer hat, sieht eben jedes Problem auch wie ein Nagel aus.

Was mich außerdem störte, war, daß er mehrmals von Essen als Sünde sprach, denn das ist ein gedanklicher Ansatz, den ich auch dann mißbillige, wenn ausdrücklich betont wird, man solle sich diese Sünde verzeihen. Essen aus reiner Lust am Geschmack als Sünde zu betrachten, ist nichts anderes als eine Übertragung des Konzepts der alten christlichen Sexualmoral, nach der Geschlechtsverkehr nur gestattet war, um damit Kinder zu zeugen. Niemand, der Essen in egal welchem Zusammenhang für Sünde hält, hat meiner Meinung nach irgendein Recht, sich über die klerikalen Fachleute für das Seelenheil von einst erhaben zu dünken, die die christlichen Sexualvorstellungen mit demselben Ernst und genauso überzeugt verbreitet haben. Diese spezielle Sündenvorstellung wird wohl erst verschwinden, nachdem die Stoffwechselwirkungen, die Zu- und Abnahme steuern, gut genug verstanden werden, um beides in der Regel durch den Einzelnen selbst kontrollierbar zu machen. Man darf gespannt sein, was dann wohl zur neuen Sünde erhoben wird, denn offenbar kommt die Menschheit ohne Sündenvorstellungen nicht aus.

Es lohnt sich aber trotzdem, die SWR-Sendung mit Klotter mal anzuhören.



 


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