Donnerstag, 13. Juli 2023

Die Angst des Onkologen vor der Abnahme des Patienten

Mein Gewicht heute früh nach dem dritten von vier Fastentagen: enttäuschende 80,1 Kilogramm. Das sollte mich allerdings nicht weiter aufregen, denn das liegt eindeutig an der Hitze. Drei Abende lang hatte ich nun geschwollene Knöchel (wenn auch jeden Abend weniger stark), und das Wasser, das da drinsteckt, wiegt ja auch was. Es hatte außerdem einen positiven Nebeneffekt, nämlich daß ich bislang nicht einmal die leisesten Vorboten von Wadenkrämpfen wegen Wassermangel bemerkt habe. Damit habe ich zwar deutlich weniger zu kämpfen, seit ich das Pertuzumab nicht mehr bekomme und seltener und kürzer Durchfall habe, aber es kommt mir immer noch so vor, als wäre es häufiger als vor Beginn der Antikörpertherapie. Klar, bei Durchfall verliert man halt Wasser, und da fehlt dann eben häufiger etwas davon an anderer Stelle. Bis zu einem gewissen Grad werde ich damit wohl noch für das nächste halbe Jahr leben müssen, bis auch das Trastumab wegfällt.

Außerdem ist bei mir mittlerweile der Groschen gefallen, daß ich morgen trotz des vielversprechenden Fasten-Startgewichts vom 83,1 Kilogramm am Montag sowieso nicht mit einem neuen Tiefstgewicht rechnen könnte, weil ich ja heute noch Antikörpertherapie bekommen habe. Das bedeutete bisher immer ungefähr ein halbes Kilo mehr, als ich andernfalls hätte erwarten können, ebenfalls flüssigkeitsbedingt. Also schreibe ich das im letzten Beitrag für morgen erhoffte Gewicht von weniger als 78 Kilo jetzt in den Kamin. Ich werde froh sein müssen, wenn ich es auf unter 79 schaffe, denn ob das passieren wird, ist auch noch keineswegs gesagt.

Da fokussiere ich meine Erwartungen doch lieber auf das nächste lange Fastenintervall ab dem 24.7., denn da möchte ich mit weniger als 83,1 Kilo starten (auf die reale Abnahme sollten die Wasserschwankungen ja hoffentlich keinen Einfluß haben) und nach vier Tagen dann wirklich ein anständiges neues Tiefstgewicht sehen.

Neben der Hitze schlaucht mich auch die tägliche Tour zum "Karussellfahren" allmählich doch ganz gewaltig, obwohl ich außer dem erwähnten gelegentlichen Zwicken an den bestrahlten Stellen und einer leichten Hautrötung an den bestrahlten Stellen immer noch keine Nebenwirkungen bemerke. Ich hatte mir den Vormittag um 9 Uhr selbst für die Termine ausgesucht und kann mich also echt nicht darüber beschweren, aber ich bemerke an mir doch mittlerweile eine gewisse Zermürbung, weil es echt ein Kraftakt ist, die geschäftlichen Erfordernisse und alle möglichen, die im privaten Bereich noch unerwartet aufpoppen, damit in Einklang zu bringen - so mußte ich heute noch schnellstmöglich jemanden auftreiben, der morgen früh dem Schornsteinfeger die Dachluke aufsperrt. Den Schlüssel hätte er eigentlich bei mir bekommen sollen, aber morgen zwischen 8 Uhr und 10 Uhr, die Zeit, für die er sein Kommen angekündigt hat, geht das beim besten Willen nicht. 

Zum Glück habe ich heute den Termin Nr. 21 von insgesamt 28 hinter mich gebracht, das Ende rückt also langsam in Sichtweite. Den Rest krieg ich auch noch rum.

*

Was mich ja regelmäßig auf die Palme treibt, sind Ernährungsratschläge speziell für Krebspatienten, zum Beispiel durch diese Plattform zur Ernährung bei Krebs, die zwar nicht total neu ist, auf die ich aber erst jetzt gestoßen bin. Ich wußte schon, daß ich mich über sie ärgern würde, als ich durch einen Tweet mit folgender Message auf sie aufmerksam gemacht wurde:

Ist Abnehmen immer gesund und Gewichtsverlust währen einer #Krebserkrankung total normal?

Über die Plattform selbst wäre ebenfalls manches zu sagen, aber im Grunde ist das überflüssig, denn was mich an ihr gestört hat, ist das, was mich auch an der Frau Professorin Hübner gestört hat und an den meisten Ernährungsberatern stört. Ich halte die Ratschläge auf dieser Website, kurz gesagt, unter dem Strich nicht für hilfreich und sogar für potentiell schädlich. Aber damit ist sie natürlich keine Ausnahme. Überall, wo der Eindruck vermittelt wird, es sei für jeden, der es ernsthaft versucht, ganz einfach, sein Körpergewicht auf Basis irgendeiner Variante der Kalorienlogik selbst zu steuern, besteht dasselbe Problem, nämlich daß das ganz einfach nicht wahr ist – was jeder Ernährungsberater aufgrund der Erfahrung mit seinen Patienten eigentlich auch ganz genau wissen müßte. Aber jeder Patient, der einen Ernährungsberater um Rat fragt, letztlich auch. Daß beide trotzdem unweigerlich so tun, als wäre es anders, ist eines der Mysterien aus dem ja nicht gerade kleinen Repertoire irrationaler Verhaltensweisen des Menschen.

Daß die Empfehlung, während einer Krebserkrankung weder zu- noch abzunehmen, sondern sein Gewicht zu halten, mit den dafür auf der Website empfohlenen Methoden kaum umsetzbar ist, darüber habe ich bei anderen Gelegenheiten eigentlich schon genug geschrieben. Bleiben wir lieber bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und dem, was ich an deren Tweet so ärgerlich fand. Die Frage ist nämlich eine Frechheit, und das aus mehreren Gründen, die ich mal aufdröseln möchte. Der erste Grund ist, daß vermutlich nicht besonders viele Krebspatienten diese Dinge glauben. Ich nehme außerdem an, daß die DGEM das selber auch ganz genau weiß und bloß einen Pappkameraden aufbaut, um ihn viel Theatralik bekämpfen und ohne viel Anstrengung besiegen zu können.

Wieviele Menschen wohl tatsächlich glauben, Abnehmen sei immer gesund, ist aber trotzdem eine interessante Frage, allerdings kann man darüber nur spekulieren. In einer Gesellschaft, in der gleichzeitig immer ein ziemlich hoher Prozentsatz gerade am Abnehmen ist und immer neue Diätbücher auf den Markt geschmissen werden, weil sich so was verkauft wie geschnitten Brot, braucht man sich über einen gewissen Anteil, der solche Dinge glaubt, natürlich nicht zu wundern. Das gilt aber ganz besonders für eine Organisation wie die DGEM aus dem Public-Health-Bereich, der ich hier mal ungeprüft unterstelle, daß sie genauso wie andere Public-Health-Organisation aus dem Ernährungsbereich dafür wahrscheinlich mitverantwortlich gemacht werden kann. Falsche Vorstellungen wie die, Abnehmen müsse immer gut sein, entstehen ja nicht von alleine.

Meinungsbildung funktioniert ja bei jedem Thema zu einem guten Teil nach dem Orwellschen Prinzip "Vier Beine gut, zwei Beine schlecht". Auf diesem Prinzip basiert jede PR, und wer immer eine Presseabteilung hat (und wer ist das wohl bei der DGEM, der solche Tweets absetzt, wenn nicht deren Öffentlichkeitskommunikation?), braucht gar nicht erst behaupten, er nutze sie nicht. So viele Tatarenmeldungen, wie sie über das Körpergewicht und Abnehmen und die Adipositaswelle tagtäglich abgesetzt werden, da braucht sich doch niemand darüber zu wundern, wenn manche Leute tatsächlich glauben, Abnehmen sei immer gut. Nicht zuletzt gilt das im Falle von Krebspatienten bestimmt auch deshalb, weil man unter besagten Tatarenmeldungen immer auch solche findet, nach denen diese oder jene Studie herausgefunden hätte, daß Übergewicht das Krebsrisiko erhöht. Genau wie die Sache mit den Himbeeren ist ein solches Mißverständnis einer der zugehörigen Kollateralschäden.

Daß man bei Krebs abmagert, zählt wiederum zu den typischen Versatzstücken, die jemand, der sich nie näher mit diesem Thema befaßt hat, spontan aus Erinnerungen an einschlägiges irgendwann mal Gehörtes und Gelesenes abrufen kann. Während einer Krebserkrankung abnehmen zu wollen, entspricht letztlich derselben Logik, wie das Rauchen im Anschluß an eine Krebsdiagnose aufzugeben. Im letzteren Fall versucht bloß niemand, einen davon abzuhalten.

Die meisten Krebspatienten sind aber trotzdem nicht so dämlich, wie die DGEM sie darstellt, und zwar auch dann nicht, wenn sie andere Vorstellungen über die richtige Ernährung bei Krebs haben als ich selbst oder die DGEM. Dabei handelt es sich um zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen, versteht sich. (Und natürlich ist meine richtig und die der DGEM falsch. 😛) Was beide trotzdem gemeinsam haben: Sie folgen einer rationalen Logik, die sich an Ursachen und Wirkungen orientiert; die Differenzen kommen daher, daß die DGEM andere Ursachen für die Wirkung Übergewicht für richtig hält als ich. 

Mir ist aber schon aufgefallen, daß eine solche Herangehensweise unter Krebspatienten keine Selbstverständlichkeit ist. Die meisten suchen sich einfach jemanden, der behauptet, Ahnung zu haben, und vertrauen ihm. Und das kann dann zwar auch der Vertreter einer Außenseitermeinung sein, aber in der Regel ist es einfach ihr Arzt.

Neben den Patienten, die sich eine auf Fakten beruhende Meinung bilden, und denen, die Personen vertrauen, gibt es als dritte Gruppe noch die Patienten, die im Laufe der Therapie anfangen, ärztliche Maßnahmen in Frage zu stellen, meistens aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit der Behandlung. Abbruch der Chemotherapie, wenn sie schlecht vertragen wird, ist zum Beispiel keine Seltenheit, aber manche Frauen mit Brustkrebs wehren sich auch gegen eine brusterhaltende OP, obwohl ihr Arzt sie befürwortet hätte. Das hat oft damit zu tun, daß es die Angst der Patientin vor einer Rückkehr des Tumors verringert, aber manchmal wird es auch damit begründet, daß auf diese Weise nach der OP keine Bestrahlung mehr erforderlich ist. Es gibt ja durchaus vernünftige Gründe, sich nicht bestrahlen lassen zu wollen, obwohl ich mich dafür entschieden habe. 

Unter den beiden Gruppen, die sich „auf Vertrauensbasis“ behandeln lassen, ist der Anteil derer, die ohne Zögern ihrem Arzt vertrauen, aber sehr viel größer als der derjenigen, die so wenig Vertrauen in die Onkologie haben, daß sie ihr Leben lieber einer Außenseitermethode anvertrauen. Das macht es aber extrem unwahrscheinlich, daß allzu viele Leute besonders lange daran glauben, es sei gut, wenn sie während einer Krebsbehandlung abnehmen. Immerhin wird man nach einer Krebsdiagnose ständig von Ärzten nach (ungewollten) Gewichtsabnahmen gefragt, da kommt auch der vernageltste Patient irgendwann dahinter, daß jedenfalls vom Arzt eine Abnahme für kein besonders gutes Zeichen gehalten wird. 

Freilich ist es auch dann nicht auszuschließen, daß jemand sich entweder insgeheim über eine Gewichtsabnahme freut oder sie sogar aktiv herbeiführt. Ich zum Beispiel habe das ab Januar getan, nachdem mir der Dezember mit der Unterbrechung von Low Carb eine unerwartet hohe Gewichtszunahme beschert hatte. Die Logik dahinter war, daß ich speziell eine solche Abnahme für unriskant gehalten habe und mir außerdem von Low Carb plus Fasten Vorteile bei den Nebenwirkungen versprochen habe. Ich werde zwar nie einen Vergleich vornehmen können, wie das Carboplatin und Taxol ohne das bei mir gewirkt hätte, aber warum ich annehme, daß es in der  Tat vorteilhaft war, kann man in den Blogartikeln zwischen Januar und März nachlesen. 

Aber zurück zu den widerborstigen Patienten, die trotz aller Aufklärung einfach nicht aufhören wollen, an irgendwelche Wundermittel (oder was Fachleute dafür halten) zu glauben.

Der Casus knackus besteht darin, daß Krebsbehandlungen bei Patienten im Ruf stehen, häufig nicht erfolgreich zu sein und mit einem frühen Tod des Patienten zu enden. Und das natürlich, leider, völlig zu Recht. Das ist der Hauptgrund dafür, warum sie entweder ganz nach anderen oder ergänzenden Lösungen suchen, und das kann wieder durchaus rational sein. Wer beispielsweise miterlebt hat, daß Freunde oder Verwandte trotz guter ärztlicher Betreuung an ihrem Krebsleiden gestorben sind, der hat ja gute Gründe, wenn er daran zweifelt, daß dieselben Ärzte seine eigene Krebserkrankung erfolgreicher behandeln können. Irrational ist also allenfalls die Auswahl dessen, was stattdessen die Heilung bringen soll, nicht aber dieser Zweifel, denn der läßt sich rational begründen.

Das ist etwas, was die "Follow the Science"-Gemeinde ums Verrecken nicht kapieren will: Je höher die Wahrscheinlichkeit, daß die durch die Wissenschaft empfohlene Methode sowieso nicht helfen wird, desto geringer das Risiko, das man mit einer wissenschaftlich unbelegten zusätzlich eingeht. Das gilt sogar dann, wenn man sie "stattdessen" wählte, aber noch mehr, wenn man sich für "zusätzlich" entscheidet. Daran ist also, näher betrachtet, im Grunde auch nichts irrational. An dieser Stelle kommt außerdem die Ernährung mit ins Spiel, weil sie natürlich eine der besonders naheliegenden Baustellen ist, auf denen man selbst aktiv werden kann, und weil so manche der bekannten wie auch der exotischeren Krebstheorien um Ernährungsfragen kreist. Was diesen Bereich außerdem attraktiv für Patienten macht, ist, daß man irgendwelche Ernährungstheorien auch problemlos mit einer konventionellen Krebsbehandlung kombinieren kann.

Im Zweifelsfall erfährt der behandelnde Arzt von vornherein nichts davon, wenn der Patient weiß oder vermutet, daß der ihn ja sowieso davon abzuhalten versuchen würde. Aus genau demselben Grund wäre diese zweifellos gut gemeinte Website bezogen auf diese Klientel (diejenigen, die ihrem Arzt glauben und nur allgemeinverständlich Zusatzinfos suchen, werden sie wohl für nützlich halten) auch dann ein Rohrkrepierer, wenn die Empfehlungen auf ihr wirklich empfehlenswert wären, was aber, siehe oben, meiner Meinung nach nicht der Fall ist.

Wenn das Bestmögliche, was die Medizin zu bieten hat - je nach Krebsart und Erkrankungsstadium -, zwischen günstigstenfalls zehn und schlimmstenfalls beinahe hundert Prozent der Patienten deren vorzeitigen Tod nicht verhindern kann und ein vorzeitiger Tod oder eine dauerhafte starke gesundheitliche Beeinträchtigung noch nicht einmal selten auch eine direkte oder indirekte Therapiefolge sein kann, dann frage ich mich schon, warum von so geringfügigen möglichen zusätzlichen Risiken (die außerdem mit ein bißchen gutem Willen des behandelnden Arztes leicht noch weiter minimierbar sind) immer mit solcher Theatralik gewarnt wird. Realistisch betrachtet ist eine Krebstherapie für den Patienten immer auch ein Glücksspiel, ob er sich nun Eigenmächtigkeiten erlaubt oder alles so macht, wie der gute Onkel Doktor das haben will. Im Ernährungsbereich kommt aber außerdem noch erschwerend hinzu, daß die Losbox für die Behandlung von ernährungsbedingten Erkrankungen sogar noch einen noch höheren Anteil an Nieten aufweist als die einer Krebsbehandlung. Es ist deshalb sogar höchst rational, den üblichen Empfehlungen nicht zu vertrauen, und irrational, wieder und wieder auf dieselbe Weise damit zu scheitern und schließlich solchen Methoden sogar sein Leben mitanzuvertrauen, wie das beispielsweise jemand tut, der mit starkem Übergewicht vor einer Krebstherapie steht.

Eigentlich wollte ich mir ja eine genauere Analyse der Ernährungs-Website ganz sparen, aber zur Frage der Gewichtsabnahme bei Krebs kann ich folgendes Zitat echt nicht unkommentiert lassen:

Etwa 25% der 220 000 Krebstoten im Jahr sterben nicht am Tumor sondern an den Folgen einer Mangelernährung. Mangelernährung bei Krebs beginnt bereits bei einem ungewollten Gewichtsverlust von 5% in 3 Monaten, egal bei welchem Ausgangsgewicht oder BMI! Das sind bei 80 Kilogramm gerade mal 4 Kilo. Oft haben Patienten schon bei der Diagnose so viel Gewicht verloren und drohen in die Mangelernährung zu rutschen.

Der erste Satz mag stimmen, der letzte ebenfalls, aber das in der Mitte ist Schwachfug. 90 Prozent aller Krebstoten sterben nicht an einem Primärtumor, sondern an metastasiertem Krebs. Wieviele dieser 25 Prozent an Mangelernährung Verstorbenen sind dann wohl an nicht metastasiertem Krebs gestorben? Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte: annähernd null Prozent. Prove me wrong, wer glaubt, es zu können! Ich habe nicht versucht, dafür einen Beleg zu finden, aber es ergibt sich zum einen aus den 90 Prozent und zum anderen aus der Tatsache, daß sich auch für einen Laien mit bloßem Auge mühelos mindestens zwei unterschiedliche Auslöser für Gewichtsabnahmen bei Krebs erkennen lassen, die auch eine unterschiedliche Gefährdung des Patienten bedeuten. Es ist und bleibt mir ein komplettes Rätsel, warum hingegen die Experten ständig so tun, als wäre die Zahl auf der Waage das, was die Gefahr für Krebspatienten ausmacht.

Eine unfreiwillige Abnahme - oft schon im Vorfeld der Diagnose - kommt nämlich umso häufiger vor, je weiter der Krebs fortgeschritten ist. Bei fortgeschrittenen Fällen handelt es sich zwar nicht immer, aber zu einem hohen Anteil um die sogenannte Tumorkachexie. Es ist keine allzu gewagte Behauptung, daß ein beträchtlicher Teil der 25 Prozent Krebstode wegen Mangelernährung auf dies zurückzuführen ist - obwohl natürlich bei fortgeschrittenem Krebs auch Abnahme als Folge von Therapienebenwirkungen um einiges bedenklicher ist als in frühen Stadien. Sie ist um Potenzen gefährlicher und schwieriger zu behandeln als die typischen Auslöser von unfreiwilligen Gewichtsabnahmen bei Krebs in früheren Stadien, bei denen es sich in der Regel um Therapienebenwirkungen handelt: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. 

Die Tumorkachexie ist keine Nebenwirkung, sondern Bestandteil der Krebserkrankung, wie es scheint, auch wenn sie bislang noch nicht so richtig verstanden wird. Daß Tumorkachexie lebensgefährlich ist, hängt auch damit zusammen, daß der zugehörige Muskelschwund kaum beeinflußbar ist. Eine Gewichtszunahme läßt sich durch hochkalorische Ernährung bewirken, aber sie besteht dann aus Fettgewebe und hilft nicht gegen die Folgen des Muskelschwunds. Nach heutigem Wissensstand ist die einzig wirksame Methode, Tumorkachexie zu bekämpfen, die Beseitigung der zugrundeliegenden Krebserkrankung. Eine Abnahme, die von Chemo-Nebenwirkungen ausgelöst wird, ist dagegen mindestens in frühen Stadien keineswegs lebensgefährlich, und falls Mangelerscheinungen auftreten sollten, lassen sie sich dann auch einfach behandeln.

Und wie sieht es nun mit aktiv herbeigeführten Gewichtsabnahmen aus, sei es nun mit dem Ziel einer Abnahme oder als Nebenwirkung von chemobegleitendem Fasten und/oder Low-Carb-Ernährung? Für sie gilt im Prinzip dasselbe wie für die "ungefährlichere" Sorte der unfreiwilligen Abnahmen. Als ich meinen Doc.neu auf das chemobegleitende Fasten ansprach, weil ich fand, mein Arzt müsse wissen, was ich mache, egal, was er davon hält, denn abhalten können hätte er mich davon nicht, zeigte er sich weder begeistert noch entsetzt, sondern nickte nur und zählte mir exakt zwei Punkte auf, die ich beachten sollte: 1) Viel trinken. 2) Abbrechen, falls ich Schwächezustände bemerken sollte. Beide Einschränkungen halte ich für vernünftig und würde als dritte noch ergänzen: Wenn man sich damit auf irgendeine Weise physisch oder psychisch schlechter fühlt als durch die Chemotherapie alleine, sollte man es auch wieder bleibenlassen. Wenn man schon Krebs hat, dann - und das ist der einzige Punkt, in denen ich dieser Website beipflichte - ist es überhaupt nicht einzusehen, sich mit etwas herumzuquälen, das einem schwerfällt, aber auf der anderen Waagschale keine erkennbaren Vorteile mit sich bringt. (Allerdings erinnere ich zum Stichwort "Herumquälen" daran, daß ich mich vor langen Fastenintervallen selbst gefürchtet hatte und dann total überrascht war, als sie mir kinderleicht fielen - wie es bei einem selbst ist, weiß man erst, wenn man es mal ausprobiert hat.)

Wer bei einer Krebsbehandlung neu mit Fasten, aber auch mit einer Low-Carb-Ernährung (von der die Website natürlich ebenfalls abrät) anfängt, der nimmt fast zwangsläufig ab, und zwar in der Regel, ohne daß dabei eine Mangelernährung auftritt; dazu gibt es übrigens auch Studien (siehe hier und hier), in denen diesem Faktor hohe Beachtung geschenkt wurde - und speziell bei ketogener Ernährung betrafen diese Studien sogar fast komplett Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien, bei denen dies ebenfalls keine Mangelernährung auslöste. Was zum Teufel soll außerdem so schwierig daran sein, sich als Arzt oder Ernährungsberater einen Eindruck davon zu verschaffen, ob die Abnahme deren persönliches Befinden wirklich beeinträchtigt hat? Sind wir als reale Patienten, um deren Leben und Gesundheit es angeblich geht, denn wirklich nichts Besseres wert als Warnungen, die erkennbar auf Halbwissen beruhen, auch wenn sie von Experten kommen? Und wer braucht überhaupt Experten, wenn sie dann doch nur Halbwissen verbreiten?

 ***

Bei so viel Verdruß mit medizinischen Experten lobe ich mir den speziellen ärztlichen Pappkameraden, den ich mir am Wochenende auf dem Flohmarkt gekauft habe, noch mehr. Wäre ich mit meinem Hausarzt nicht so zufrieden, würde ich den als neuen Hausarzt wählen. ;-) 






 

 

 

 


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