Montag, 4. Juli 2022

Meine fehlende wissenschaftliche Satisfaktionsfähigkeit

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des nächsten viertägigen Fastenintervalls: 88,9 Kilogramm. 600 Gramm mehr als vor zwei Wochen, aber ich bin zufrieden damit, denn ich bin zuversichtlich, daß ich bis zum Freitag *deutlich* mehr als die 4,5 Kilogramm vom letzten Mal loswerde, die weit unterdurchschnittlich waren. Normal sind es ja immer um die 5,5 Kilogramm plusminus ein bißchen was, und das sollte eigentlich allemal mehr als diese 600 Gramm plus ausmachen, also solle es zum Freitag wieder ein neues Tiefstgewicht geben.

Mit 88,9 Kilogramm, das ist mir vorhin aufgegangen, habe ich in den fünf Monaten seit Anfang Februar immerhin fast genau 4 Kilogramm losgekriegt. So übel ist das auch wieder nicht, auch wenn ich mit einem bis zwei Kilo mehr kalkuliert hatte. - Aber das ist halt der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. So ein bißchen hoffe ich ja noch darauf, daß ich ab September dafür mehr Gewicht als erwartet loswerden kann, aber falls das nicht passiert oder es wieder weniger als erwartet wird (hoffentlich nicht), ist meine Deadline für das Erreichen des Zielgewichts von 73,5 Kilogramm für nächsten Sommer wahrscheinlich leider nicht zu halten. Dann wird es entweder auf einen "Endspurt" im Oktober/November 2023 oder im Vorfrühling (Februar/März 2024) während unserer Low-Carb-Wochen hinauslaufen. Ich bin mir nämlich noch unschlüssig, ob ich ausgerechnet im Dezember und Januar in den Haltemodus gehen sollte.

Aber bis dahin ist ja noch genügend Zeit, und wer weiß, wie oft ich ohnehin noch umplanen muß.

***

Bariatrische Chirurgie, also Magenverkleinerungs-Operationen, wird - bei allen Einwänden, die ich gegen sie habe - nicht völlig grundlos so heftig gehypt, denn solche OPs haben tatsächlich bei der Gewichtsabnahme eine Wirkung, die über die zu erwartende durch die zwangsläufig damit verbundene Kalorienreduktion hinausgeht, und nebenbei kommt es mehrheitlich auch zu einer Diabetes-Remission, wenn sie auch bei einer Mehrheit der betroffenen Patienten nicht dauerhaft ist. Das bedeutet schon, daß ein Arzt, der ernsthaft darum bemüht ist, seinen Patienten zu einer Gewichtsabnahme aus Gesundheitsgründen zu verhelfen und mitbekommen hat, daß die üblichen Ratschläge nicht sonderlich erfolgversprechend sind, Gründe hat, solche Operationen jedenfalls mal nicht von vornherein auszuschließen.

Was viel seltener erwähnt wird, ist, daß es auch bei diesen OPs in der Regel zu einem Prozeß der Wiederzunahme kommt. Wie sich in einer Studie von 2018 zeigte, ist dieser Prozeß offenbar auch nach fünf Jahren noch nicht beendet, das Gewicht scheint also im Durchschnitt aller Patienten kontinuierlich weiter nach oben zu schleichen. Wie sich das unter den Patienten verteilt, ist leider nicht ersichtlich, denn bestimmt gibt es auch hier welche, die ihr Gewicht halten können, während andere wieder am Ausgangspunkt landen. Ich nehme aber an, die große Mehrheit bewegt sich irgendwo dazwischen - sie nimmt also wieder zu, bleibt aber, jedenfalls nach fünf Jahren, dabei immer noch ein gutes Stück unter ihrem Ausgangsgewicht.

Wie auch immer: Diese Entwicklung weicht von den Studienergebnissen ab, die mir bislang zu Gesicht gekommen sind, denn in denen gab es zwar typischerweise nach einer rapiden Abnahme ebenfalls eine langsame Wiederzunahme, aber die war nach ca. zwei bis drei Jahren beendet und im weiteren Verlauf konnten die Patienten durchschnittlich dieses Gewicht halten. 

Wenn ich mich nicht schwer täusche, ist diese Studie hier aber die mit der deutlich höchsten Patientenzahl, mehrere zehntausend, die nach drei verschiedenen Verfahren operiert wurden: Magenband, Schlauchmagen und Magenbypass. Das verleiht ihren Ergebnissen doch ziemlich viel Gewicht. 

Das (Zwischen-)Ergebnis nach fünf Jahren sieht so aus:

Begriffserklärungen: AGB = adjustable gastric banding (Magenband); RYGB = Roux-en-Y gastric bypass (Magenbypass); SG = sleeve gastrectomy (Schlauchmagen); TWL = total weight loss (Gewichtsverlust gesamt)

Nun könnte man natürlich sagen: Wenn dennoch - wie beim besonders erfolgreichen Magenbypass - auch über Jahre hinweg ein Gewicht so weit unter dem Ausgangsgewicht gehalten werden kann, ist doch eigentlich alles okay. Aber was, wenn der Prozeß der Wiederzunahme als Symptom für das wiederkehrend gesundheitliche Problem ist, das man eigentlich zu beseitigen gehofft hatte? Der ebenfalls schleichend wiederkehrende Diabetes spricht leider dafür, daß dies der Fall ist. 

Diese Vermutung, daß der Prozeß des Zunehmens im Gegensatz zum Gewichthalten (oder dem Abnehmen) ein Alarmsignal ist, ein Symptom dafür, daß mit dem Stoffwechsel etwas nicht stimmt, habe ich ja schon lange. Deshalb ärgert es mich immer, wenn eine Studie - wie neulich die von Virta, bei der ein Low-Carb-Ansatz verfolgt wurde -, im verzweifelten Bemühen, keinen Mißerfolg, sondern einen Erfolg melden zu können, nur Anfangs- und Endgewicht miteinander vergleicht, aber unter den Tisch fallen läßt, daß im Anschluß an eine zunächst noch höhere Abnahme im Laufe der Zeit eine Wiederzunahme erfolgt ist. Damit wird einfach unter den Tisch gekehrt, daß der Patient sein Gesundheitsproblem nicht gelöst hat, auch wenn sein Gewicht immer noch niedriger ist als vor Beginn der Behandlung und die Gesundheitsgefahr wohl auch wirklich geringer ist als vor der Operation.

Hinzu kommt aber außerdem noch das ziemlich übliche Problem, daß je weiter die OP zurückliegt, desto weniger der damaligen Patienten sich an einem Follow-up beteiligten. Im Falle der besonders erfolgreichen Magenbypass-OP waren es 67 Prozent der ursprünglichen Teilnehmer und beim Magenband sogar nur 55 Prozent, während diejenigen, die einen Schlauchmagen bekommen hatten, immerhin noch zu 86 Prozent noch einmal untersucht werden konnten. Das bedeutet, die SG-Werte geben am zuverlässigsten den Durchschnitt aller Patienten einschließlich der Drop-outs wieder. Sowohl beim Magenbypass als auch beim Magenband ist dagegen anzunehmen, daß, würde man die Drop-outs ebenfalls mit einbeziehen können, ein schlechteres Ergebnis zustandegekommen wäre, als es die Grafik hier abbildet. Denn die Motivation, dabeizubleiben, ist natürlich umso höher, je erfolgreicher man gewesen ist.

Speziell beim Magenband läuft die Sache deshalb sogar auf ein "Außer Spesen nicht gewesen" hinaus, denn sogar das Ergebnis der 55 Prozent, die nach fünf Jahren noch mitmachten, liegt ja schon wieder verdammt nahe am Ausgangswert. Nimmt man an, daß die 45 Prozent Drop-outs im Durchschnitt weniger Erfolg hatten als die 55 Prozent, deren Daten hie eingeflossen sind, liegen sie im Durchschnitt aller Teilnehmer wohl längst wieder beim Ausgangsgewicht. 

Aber auch die 25 Prozent durchschnittliche Abnahme, die beim besonders erfolgreichen Magenbypass nach fünf Jahren noch übriggeblieben ist, finde ich nicht beeindruckend, gemessen daran, daß der Magenbypass die OP mit den meisten zu erwartenden Komplikationen, also riskanter als die anderen beiden ist, und mehr als 90 Prozent der Patienten von einem BMI über 40 und einem durchschnittlichen Ausgangsgewicht von 126 kg herkamen. Im Durchschnitt lagen sie nach fünf Jahren nun bei 95 Kilogramm. Das ist, so sehr sich die Patienten bestimmt über mehr als 30 Kilogramm Abnahme freuen werden, natürlich weiterhin verflixt weit vom Normalgewichtsbereich entfernt, und es bedeutet eine Wiederzunahme von ca. zehn Kilogramm im Laufe von fünf Jahren, die sich höchstwahrscheinlich auch noch weiter fortsetzen wird. Der Trend geht bei ihnen eher wieder in Richtung 100, nicht dorthin, wo ich jetzt glücklicherweise bin, nämlich stabil unter 90 Kilo mit Tendenz weiter abwärts.

Erstaunlich finde ich es ja weiterhin, daß die Frage, warum Magenverkleinerungen über den physischen Zwang, weniger zu essen, hinaus einen Gewichtsverlust bewirken, bei Fachleuten meines Wissens nie zu der Folgefrage führt, ob und wenn ja wie man dieselbe Wirkung auch ohne physische Verstümmelung erzielen kann. 

Ich dachte, als ich über diese neue Initative stolperte, erst ja, vielleicht werde sie auch in dieser Richtung ein paar neue Anstöße geben:

The International Weight Control Registry (IWCR) has been launched to facilitate a deeper and broader understanding of the spectrum of factors contributing to success and challenges in weight loss and weight loss maintenance in individuals and across population groups. The IWCR registry aims to recruit, enroll and follow a diverse cohort of adults with varying rates of success in weight management. Data collection methods include questionnaires of demographic variables, weight history, and behavioral, cultural, economic, psychological, and environmental domains. A subset of participants will provide objective measures of physical activity, weight, and body composition along with detailed reports of dietary intake. Lastly, participants will be able to provide qualitative information in an unstructured format on additional topics they feel are relevant, and environmental data will be obtained from public sources based on participant zip code.

Beim genaueren Durchlesen sah ich dann, daß es auf eine völlig normale Studie hinauslaufen wird, in der Erfolg und Mißerfolg der Teilnehmer beim Abnehmen bzw. Gewichthalten mit verschiedenen Faktoren abgeglichen wird. Der Rest ist das übliche billige Wortgeklingel. Die Kalorienlogik scheint  mit schöner Selbstverständlichkeit als Prämisse zugrunde zu liegen. Das, fürchte ich, wird dann wohl doch wieder genauso ausgehen wie bei der National Weight Control Registry, daß nur ausgiebig Sandkastenspiele ohne echten Erkenntniswert betrieben werden. 

Mir ist allerdings auch noch eine kuriose Sache beim Durchlesen klargeworden: An so etwas könnte ich gar nicht teilnehmen. Ich kann es ja gar nicht beweisen, daß ich einmal 147 Kilogramm gewogen habe, und einer Studie, in die ich dennoch als Erfolgsbeispiel aufgenommen würde, würde ich ja selbst nicht trauen. Das erinnert mich an diesen Satz von Groucho Marx, er würde keinem Club beitreten, der bereit wäre, ihn aufzunehmen. 😁 Das ändert aber nichts daran, daß ich mit aktuell knappen 60 Kilo Abnahme nach fünf Jahren und ohne echte Wiederzunahmephasen (die jahreszeitliche Schwankung ausgeklammert, aber die machte nie mehr als maximal 2 kg aus) viel erfolgreicher als der durchschnittliche Magenverkleinerungspatient gewesen bin, und mehr als dies muß ich glücklicherweise sogar mir selbst nicht beweisen.

Die wichtigste Erkenntnis, die ich weitergeben möchte, obwohl meiner Abnahme die wissenschaftliche Satisfaktionsfähigkeit fehlt: Wenn das, was ich mache, nicht so funktioniert wie erwartet, war irgendwas an meinen Grundannahmen falsch. Vielleicht finde ich nie heraus, was genau daran falsch war, aber wichtig ist es dann ja nur, etwas zu finden, das besser funktioniert, und das ist mir auch mit der Trial-and-Error-Methode geglückt. 

Dazu sah ich auf Twitter eine grafische Darstellung, die den Nagel auf den Kopf trifft: 

Bild


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Im Sommer schaue ich gerne ab und zu den Bären von Brooks Falls beim Lachsfangen zu. Die Live-Kameras werden immer Anfang Juli angeschaltet, also ist in den nächsten Wochen wieder Bärenzeit für mich. :-)







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