Samstag, 30. April 2022

Lumpen-Pazifisten

Mein Gewicht heute früh nach vier Fastentagen: 84,6 Kilogramm. Wie erwartet, geringfügig (400 Gramm) über dem Tiefstgewicht vor zwei Wochen. Ganz ähnlich war das Anfang Dezember auch beim ersten langen Fastenintervall nach dem Ende der Low-Carb-Phase. 

Was mich letzte Nacht ein bißchen erschreckt hat, waren ungewöhnlich fiese Wadenkrämpfe, die in mehreren Wellen kamen und wieder gingen und zusammengenommen etwa zehn Minuten lang anhielten. Magnesium erwies sich in ihrem Fall als wirkungslos. Ich nehme an, daß ein Zusammenhang mit dem Abschied meiner Darmflora besteht, denn parallel dazu mußte ich auch dringend auf das gewisse Örtchen. Der flotte Otto irgendwann zwischen Tag 2 und Tag 4, manchmal auch erst nach der ersten Mahlzeit nach Tag 4, benötigt immer auch extrem viel Wasser. Das mußte wohl irgendwo hergenommen werden und wurde in der Muskulatur offenbar vermißt wurde. 

Dieser Besuch im "heimlich Gemach" mit blubberndem Gedärm und Wadenkrämpfen gleichzeitig war echt nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Ich versuchte erst, wieder zu schlafen, als der Spuk vorbei war, merkte dann aber daran, wie sich mein linkes Bein anfühlte, daß irgendetwas immer noch nicht in Ordnung war und das Problem vielleicht wiederkommen würde. Mein Mann brachte mich auf die Idee mit dem Wasser, und so saß ich dann ein Viertelstündchen lesend am Küchentisch und trank nebenbei etwa einen Liter Sprudel. Danach ging ich wieder ins Bett. Später, die Amsel war schon zu hören und die Dämmerung zu erahnen, passierte dasselbe dann noch einmal - parallel diese Wadenkrämpfe und der Drang aufs Klo -, aber glücklicherweise in erheblich abgeschwächter Form. Also setzte ich mich nochmal ein Weilchen an den Küchentisch und trank nochmal viel Sprudel. Danach war es endlich wirklich weg. 

Diese Krämpfe waren nicht die allerschlimmsten, die ich je gehabt habe, aber in die Top 5 schaffen sie es bestimmt. Unheimlich war vor allem, daß das, womit ich sonst Wadenkrämpfe bekämpfen kann, diesmal keine Wirkung zeigte. Darauf, so etwas noch einmal zu erleben, bin ich nicht sonderlich scharf, aber ich wüßte jetzt nicht, was ich gestern falsch gemacht hätte und nächstes Mal anders machen könnte. Ich trinke tagsüber immer meine drei bis vier Liter Sprudel und schwarzen Kaffee, nehme abends zwei bis drei Magnesiumtabletten und ein Tütchen Basenpulver. Keine Ahnung, ob und wie ich das hätte verhindern können. Aber der Verlauf der beiden Krampfwellen deutet schon darauf hin, daß es etwas mit zu wenig Wasser in der betreffenden Muskulatur zu tun hat, also stelle ich mir vielleicht künftig am Fastentag Nr. 4 eine Wasserflasche ans Bett, die ich noch leer mache, bevor ich das Licht ausschalte.

Ich verabschiede mich damit für die nächsten zwei Wochen, denn ich gehe jetzt erst mal mehrere Tage wandern und verbringe anschließend noch ein paar Tage bei meiner Mutter. Daß ich mich irgendwann während der Obstbaumblüte im Frühjahr zu Fuß zu ihr aufmache (ca. 50 km wohnt sie von mir entfernt), hat bei uns Tradition, aber die letzten drei Jahre spielte teils das Wetter nicht mit und teils kam irgendetwas anderes dazwischen. Aber diesmal will ich es wissen, denn mit einem so niedrigen Gewicht war ich seit dreißig Jahren nicht mehr auf Wanderschaft, und natürlich bin ich neugierig, wie sich das anfühlt. Der Wetterbericht ist im Moment positiv, allerdings hat sich das im Laufe der Woche praktisch täglich geändert, also mal sehen. Das heutige Regenwetter, das uns leider dazu nötigte, die erste Runde der Hofflohmärkte auszulassen, soll aber angeblich schon morgen enden.

Spannend ist bei meinen Besuchen bei Mama immer die Frage, was ich wiegen werde, wenn ich wieder daheim bin, denn dort faste ich ja gar nicht. Im Gegenteil hat es sich im letzten Jahr eingependelt, daß meine Mutter es richtig genießt, sich jeden Tag von mir bekochen und bebacken zu lassen, und dabei laufe ich natürlich immer zu großer Form auf und gebe mir Mühe, sie richtig zu verwöhnen. Leider habe ich den Eindruck, daß bei meiner Mutter nun auch bei den gewohnten Rezepten das Gedächtnis nachzulassen beginnt, und das könnte dazu beitragen, daß sie mich das so bereitwillig machen läßt; früher legte sie eigentlich Wert darauf, solche Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wie auch immer, im Frühjahr sollte ich eigentlich damit rechnen können, nach meiner Rückkehr keine nennenswerte Gewichtszunahme zu verzeichnen, aber eine Garantie darauf gibt es natürlich nicht. Erst jetzt habe ich außerdem bemerkt, daß mein nächstes langes Fastenintervall in vier Wochen einen Feiertag am Donnerstag mitenthalten würde. Deshalb bin ich am Überlegen, ob ich es auf drei Tage beschränken soll, denn an Feiertagen legen wir Wert auf gemeinsame Mahlzeiten. Wahrscheinlich mache ich das von meinem "Vorher-Gewicht" in dieser Fastenwoche abhängig. Falls mein Gewicht doch einen Satz nach oben gemacht hat, gebietet es wohl die Eitelkeit, das Fasten keinesfalls abzukürzen.

Wie auch immer, im Mai kann ich vermutlich so mit keinem neuen Niedrigstgewicht rechnen, aber dafür bin ich fest entschlossen, im Juni wieder eines zu erreichen.

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Für Semaglutid, das gehypte Wundermedikament, mit dem viele Patienten besser abnehmen als mit jeder Diät (was allerdings auf Intervallfasten und Low Carb ebenfalls zutrifft) und von dem gehofft wurde, daß es Magenverkleinerungs-OPs in Bälde ablösen werde, sah ich erstmals einen Hinweis darauf, daß die Abnahmewirkung ebenfalls nicht dauerhaft ist - womit ich von vornherein gerechnet hatte. Alles deutet darauf hin, daß es einfach kein Mittel gibt, das jemanden über lange Zeit zuverlässig abnehmen läßt, sondern daß man nach einer gewissen Zeit, nach ca. einem Jahr plusminus ein bißchen was, irgendetwas an seiner Methode verändern muß, um weiter abnehmen zu können.

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Der Kolumnist Sascha Lobo hat kürzlich den bösen, aber treffenden Begriff "Lumpen-Pazifismus" geprägt. Gemeint sind damit Pazifisten, deren Pazifismus in Wirklichkeit insgeheim nur eigenen kleinen Egoismen dient und die Friedensliebe nur vorgeschoben ist. 

Ich hätte nie gedacht, daß ich Wirtschaftsminister Robert Habeck einmal loben würde (immerhin gehört er zu den Grünen, die ich nicht ausstehen kann), aber genau in diesem Punkt hat er heute sehr präzise definiert, was Pazifismus ist und was nicht. Pazifismus ist, wenn man im extremsten Fall sein eigenes Leben dem Frieden opfert. Pazifismus ist nicht, wenn man andere Menschen dem Frieden opfert. Das zweite ist es, was die Wortneuschöpfung "Lumpen-Pazifismus" ausdrücken soll. Solange die Ukraine sich selbst gegen die Invasion verteidigen möchte, anstatt sich aus pazifistischen Gründen aus eigenem Antrieb einer russischen Besatzung unterwirft, ist der angebliche eigene Pazifismus kein Argument, ihr die Hilfe zu verweigern. Es gibt durchaus andere stichhaltige Argumente, die dagegen sprechen können, aber bislang ist mir unter denen, die sie verwenden, noch niemand untergekommen, der so klar wie ebenfalls Robert Habeck (meine Güte, ich muß ihn schon wieder loben) auf den Punkt gebracht hat, daß es in dieser Frage keine Entscheidung gibt, mit der man seine weiße Weste behalten kann. Durch Handeln wie Nichthandeln macht man sich in diesem Fall zwangsläufig in irgendeiner Form schuldig. Man wählt nicht zwischen richtig und falsch, sondern zwischen der mutmaßlich folgenschwereren und wenger folgenschweren Möglichkeit.

Bei den "Lumpen-Pazifisten" vermisse ich jegliche ernsthafte Abwägung der Art, wie sie Habeck für seine eigene Entscheidung vorgenommen hat. Sie tun immer so, als wäre das - und nur das - was sie fordern, hundert pro richtig und alles andere hundert pro falsch.

Den Habeck sollte ich mal im Auge behalten. Falls seine Art der Kommunikation so bleibt, ist das ein wohltuender Kontrast zum üblichen PR-Sprech, bei dem Zwischentöne und das Einerseits-Andererseits von vornherein nicht vorkommen, sondern vorgetäuscht wird, alles, was man vorhat, sei in sich stimmig.



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