Dienstag, 12. April 2022

Die harmlose mittelalte dicke Tante

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von vier Fastentagen: 87 Kilogramm exakt. Damit sollte ich  am Karfreitag ein Gewicht von um die 84 Kilogramm verzeichnen können, da durchschnittlich um die 1 Kilogramm minus für jeden der drei weiteren Fastentagen eine realistische Annahme ist. Noch schöner wäre es natürlich, bei 83,x zu landen, aber daran glaube ich erst, wenn die Waage mir das anzeigt.

Am Karfreitag gibt es dann außerdem noch einen allerletzten Low-Carb-Tag, um ein Refeeding-Syndrom zu vermeiden, und ab dem Samstag essen wir wieder normal. Ich freue mich schon auf die knusprigen Briegel am Samstag und auf den Kaninchenbraten mit Spätzle am Ostersonntag. Aber das Essen der letzten sechs Wochen habe ich durchaus auch fast immer als sehr erfreulich empfunden; das Unerfreuliche war harmlos und meistens meine eigene Schuld. Die Low-Carb-Nudeln letzte Woche sind mir beispielsweise etwas mißraten, weil der Teig zu lange im Backofen und deshalb zu ausgetrocknet war, aber die Sahnesoße mit Lachs, die es dazu gab, machte sie wieder weich, nur sahen die Nudeln nicht so richtig wie Nudeln aus, weil der trockene Teig beim Schneiden natürlich zersplitterte. So was kann aber der besten Hausfrau mal passieren.

Es ist in jedem Fall nicht so, daß wir in den letzten sechs Wochen beim Essen an irgendetwas Mangel gelitten hätten, nur weil ich mit nur zwei Ausnahmen an allen Eßtagen weniger als 70 Gramm Kohlenhydrate zu verzeichnen hatte - übrigens zu meinem eigenen Erstaunen, denn aktiv angestrebt hatte ich nur einen Wert unter 100 Gramm. Zu den Highlights zählten aus meiner Sicht neben der immer wieder ausgezeichneten Big-Mac-Rolle auch die Blumenkohlkroketten, die ich letztes Wochenende erstmals gemacht habe, ebenso das Schweinefilet im Baconmantel mit Champignons.

Hätte ich nicht konsequent jeden Tag entweder einen Kuchen oder eine Süßspeise auf den Tisch gestellt, könnte ich mir leicht vorstellen, daß ich im Durchschnitt sogar unter 50 Gramm KH geblieben wäre - nur, wäre es das wirklich wert gewesen? Die geringere Menge KH hat im Vergleich zum letzten Herbst, als ich durchschnittlich pro Tag um mehr als 30 Gramm höher lag, keinen Abnahmevorteil gebracht. Das ist es aber, worauf es mir aber ankommt, nicht irgendwelche theoretische Klügeleien aus der Wissenschaft, in denen aus irgendwelchen meßbaren Veränderungen der Blutwerte oder sonst irgendetwas die Schlußfolgerung gezogen wird, deshalb müsse es eigentlich auch beim Abnehmen besser wirken. Meine Erfahrung nach zwei Low-Carb-Phasen widerspricht dem: Intervallfasten plus Low Carb bringt im Vergleich zu Intervallfasten pur in der Tat eine auffällig höhere Abnahme. Aber es scheint keinen großen Unterschied zu machen, ob man sich auf "bequemes" Low Carb beschränkt oder so wenige Kohlenhydrate wie möglich anstrebt. Wozu also sollte ich dann unbedingt ein Maximalprogramm fahren müssen? Wie ich das mache, ist es ja suffizient. 

Im letzten oder vorletzten Beitrag hatte ich ein Exemplar meines Low-Carb-Eises aus Skyr, Sahne und zuckerfreier Heidelbeermarmelade gepostet. Ehrlich gesagt, von dem Eis in den Mini-Gugel-Formen war ich ein bißchen enttäuscht; es war nicht so richtig cremig. Genau dasselbe Eis war aber ganz köstlich und an seiner Cremigkeit war auch nichts auszusetzen, wenn man es in Stieleis-Förmchen füllte. Komisch, daß das so einen großen Unterschied macht. Für den Kaffee habe ich letzte Woche außerdem einmal Schokopralinen mit Erdnußbutterfüllung gemacht, aus der guten Moser-Roth-Schokolade mit 70 % Kakaoanteil. Die waren ebenfalls eine Entdeckung. Die Low-Carb-Biskuitrolle mit überaus dekadenter, aber wahnsinnig gut schmeckender Mascarpone-Sahne-Füllung, habe ich kombiniert mit Heidelbeeren, jetzt auch noch einmal gemacht, diesmal mit Betonung auf der Füllung. Nichts davon mußte ich pro gegessener Portion mit mehr als 17 Gramm KH verbuchen; das meiste lag sogar deutlich darunter.

Suffizient daran ist auch, daß ich jetzt für die nächsten Monate wieder damit aufhöre, bevor es aus einem kulinarischen Abenteuer, das Spaß macht, in eine mühsame Pflichtübung mutiert. Und natürlich auch, bevor die Wirkung nachläßt, was mit Sicherheit irgendwann passieren würde. Wenn ich das Abenteuer wieder aufnehme, ist ein Teil des Spaßes auch die rasche Belohnung, und das will ich mir unbedingt erhalten.

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Seit Tagen ringe ich um die richtigen Worte, was die Greueltaten der russischen Besatzungsarmee in den mittlerweile befreiten Gebieten rings um Kiew betrifft, und ich habe schon ein halbes Dutzend Mal zu einem Blogartikel darüber angesetzt, aber das Geschriebene dann wieder verworfen. 

Twitter spülte mir eine Menge Fotos und Videos in meine Timeline, die man in den Medien nicht gezeigt hat, weil sie zu schlimm waren (und was dort gezeigt wurde, war ja weiß Gott schon schlimm genug). Dafür gibt es ganz vernünftige Gründe, denn ich merke an mir selbst, daß ich kein besserer Mensch werde, wenn ich in solche Abgründe der Bestialität blicke, sondern dies den Wunsch nach geradezu archaischen Strafen für die Täter weckt, in denen merkwürdigerweise - und absolut spontan - immer auch deren Kinder und Kindeskinder mit eingeschlossen sind. 

Ich mußte mich deswegen schon Dutzende Male streng zur Ordnung rufen. Ich bin kein Monster, ich glaube nicht an Sippenhaftung, so etwas ist einfach indiskutabel. Das, was der Hammurabi-Kodex oder das Alte Testament in solchen Fällen für den Umgang mit den Tätern vorschlagen würde, poppt dennoch wie ein Schachtelteufelchen aus irgendwelchen mir unzugänglichen Regionen, womöglich meines Stammhirns, unweigerlich wieder hoch, wenn ich neue Berichte lese oder Fotos sehe, und ich muß es mit der Keule wieder in seine Höhle zurückjagen. Erstaunlich, daß ich als Mensch, der sich etwas auf seine Rationalität und Reflektiertheit zugute hält, dies offenbar so tief in mir drin habe, daß ich solchen Gedanken immer wieder aktiv gegensteuern muß. Fast könnte man meinen, der Drang, das Geschlecht eines Feindes mit Stumpf und Stiel komplett ausrotten zu wollen, sitze irgendwo in den Genen.

Vielleicht sollten diese Bilder trotz der Abgründe, mit denen sie einen konfrontieren - auch denen in einem selbst -, allgemein bekannt werden, so wie die Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern. Neben anderem sollten diese Bilder auch verdeutlichen, wie naiv es ist, im Namen einer sogenannten "Realpolitik" ernsthaft daran zu glauben, daß Tote durch eine rasche Kapitulation der Ukraine verhindert worden wären. Wir hätten von diesen Toten bloß nichts zu sehen bekommen und allenfalls Einzelfälle in Form von Gerüchten und Spekulationen wären bekannt geworden.

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Nachtrag 13.4.: In Afghanistan hat die Regierung letztes Jahr übrigens genau das gemacht, was hier empfohlen wird. Mit schwerwiegenden Folgen für die Teile der Bevölkerung, die ihr und dem Westen vertraut hatten.

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Mit welcher Selbstverständlichkeit Leute auch meiner Altersgruppe postuliert haben, eine Kapitulation der Ukraine wäre aus humanitären Gründen geboten, fand ich aber auch unabhängig davon unerträglich. Nach einigem Nachdenken fiel mir auf, daß es aber in den Zeitgeist der letzten ungefähr zwanzig Jahre ziemlich perfekt hineinpaßt, in dem ja auch, beispielsweise in der Gesundheitspolitik, das regelmäßig noch weitergehende Minimieren auch geringfügiger Risiken und implizit, manchmal aber auch ausdrücklich ein Überleben um welchen Preis und für so lange wie möglich dabei die Begründung ist, die ständig über alles andere gestellt wurde. Ein Konzept, das durch Corona erstmals seit langem wirklich in Frage gestellt wird, denn im aktuellen Stadium wird es ja nach zweijährigem Kampf doch ohne allgemeine Impfpflicht hingenommen, daß weiterhin Menschen an dieser Krankheit sterben werden - sogar täglich mehr als während der ersten Coronawelle, als der Lockdown besonders drastisch ausfiel, man denke etwa an die Besuchsverbote in Pflegeheimen.

In anderen Bereichen gilt dieselbe Prämisse aber einstweilen nach wie vor als unantastbar. Was hinter diesen Kapitulationsforderungen durch Leute wie Harald Welzer, Richard David Precht oder Johannes Varwick für die Ukraine steckt, ist eine Wahl zwischen Leben und Würde. Die Herren gehen davon aus, daß die höhere Chance auf ein wenn auch würdeloses Leben immer den Vorzug haben müsse vor dem Kampf um den Erhalt der Würde bei dabei deutlich höherem Risiko, zu sterben. Sie sind der Auffassung, daß  auch das würdelose Weiterleben der einer Regierung anvertrauten Bürger bei einer solchen Wahl grundsätzlich oberste Priorität haben müsse. Sie sind außerdem der Meinung, unsere Bundesregierung bzw. die EU hätten die Pflicht, bei anderen Regierungen ggf. auf eine solche Priorisierung einzuwirken. Im vorliegenden Fall, indem sie der ukrainischen Regierung die Mittel für eine andere Priorisierung einfach vorenthält. - Eine Abart des Nudging, wenn man so will.

Das steckt hinter dem gedanklichen Konzept politischer Forderungen, bloß keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Der ukrainischen Regierung soll die Wahlmöglichkeit entzogen werden, Würde über Leben zu stellen, weil geglaubt wird, in dieser Frage gäbe es von vornherein keine andere legitime Wahl als diejenige, die möglichst viel Leben, und müsse es auch noch so würdelos geführt werden, möglichst lange vor dem Tod bewahrt. Dieses Gedankenkonzept ist schon als solches entwürdigend. Es hat auch in den zahlreichen - viel harmloseren - anderen Belangen, in denen derselbe Grundgedanke unausgesprochen vorausgesetzt wird, die Würde der jeweils davon Betroffenen verletzt. Im vorliegenden Fall verweigert es außerdem dem erklärten Willen einer überwältigenden Mehrheit der Ukrainer den Respekt, die eine Unterwerfung durch die Russen ja erkennbar für ein Schicksal halten, das schlimmer ist als der Tod.

Aber Risikovermeidung ist immer aus sich selbst heraus auch ein zusätzliches Risiko. Eine schnelle und entschiedene Reaktion des Westens schon Ende Februar hätte in der Ukraine vermutlich mehr Menschenleben retten können als alles andere.

Ich bin von Haus aus kein "Risikovermeider". Hätte ich am 24.2.2022 für die Bundesregierung (oder, noch besser, die EU) entscheiden müssen, was nun zu tun ist, und mich dabei so verhalten, wie ich das auch in allen meinen persönlichen Belangen zu tun gewohnt bin, wäre meine Spontanreaktion als Erstes dies gewesen: Ob Gas, Öl, Kohle oder was auch immer, die Bezahlung wird weiter geleistet, fließt aber auf ein Sperrkonto, das Rußland erst zugänglich gemacht wird, nachdem es seine Truppen vollständig aus der Ukraine wieder abgezogen hat und Inventur über die - vom Angreifer zu bezahlenden - Kriegsschäden erfolgt ist, damit dieser Betrag abgezogen und an die Ukraine überwiesen werden kann.

Rußland hätte das keine einzige befriedigende Option gelassen. Entweder man hätte uns den Gashahn abgedreht sowie auch alle sonstigen Belieferungen und die Bezahlung in den Kamin geschrieben, was man sich nicht leisten konnte, oder man hätte das Gas weiterfließen lassen in der Hoffnung, uns durch Druck, Drohungen oder Scheinzugeständnisse weichzubekommen, ohne aber dadurch gleich Zugriff auf das Geld zu bekommen, was man sich ebenfalls nicht leisten konnte, oder man hätte sofort klein beigegeben, weil es das einzige gewesen wäre, was man sich wirklich hätte leisten können - zugegebenermaßen als sofortige Reaktion aber eher unwahrscheinlich. Gleichzeitig wäre aber jeden Tag die Finanzdecke löcheriger und damit das Geld auf dem Sperrkonto verlockender geworden. Es hätte außerdem auch bei Weiterführung des Krieges ein handfester Anreiz dafür bestanden, die Schäden möglichst gering zu halten, was der Ukraine bestimmt  Tote und Verletzte erspart hätte.

Wie lange hätte Rußland das wohl durchgestanden? Ich bin der Meinung: nicht so lange, wie wir es durchhalten können. 

Ja, und was, wenn Putin uns dann den Gashahn abdreht? Gerade dann trifft uns das jedenfalls nicht unvorbereitet. Was mir nämlich viel zu selten erwähnt wird: Sobald Putin dieses Druckmittel aus eigenem Entschluß einsetzt, müssen wir damit doch auch irgendwie fertigwerden! Er wird außerdem schon Sorge dafür tragen, daß das im für uns ungünstigstmöglichen Moment passiert. 

Ich fände es besser, den Zeitpunkt des Lieferstopps selbst zu bestimmen. Mit ein bißchen Glück erwischt ihn das so kalt, daß er doch schneller in die Knie geht als erwartet und das Worst-Case-Szenario gar nicht eintritt, auf das wir natürlich erst mal gefaßt sein müssen. So, wie das im Moment aussieht, müssen wir uns aber ebenfalls bereits auf ein Worst-Case-Szenario einstellen, um nicht unvorbereitet damit konfrontiert zu werden. Mir gefällt diese passive Rolle nicht, daß wir uns von Putin vor sich hertreiben lassen. Eigene Initiative wäre mir gerade in der Energiefrage viel lieber.

So handhabe ich das nämlich auch in meinen persönlichen Angelegenheiten am liebsten. Wenn ich die Wahl habe, abzuwarten oder selbst die Initiative zu ergreifen, wähle ich immer die Initiative, wenn dabei ein Kontrahent im Spiel ist, dem nicht zu trauen ist oder der mir offen übel will. Ich gehe dabei auch Risiken ein. Interessanterweise sind dann  jedes Mal gerade diejenigen, die zuvor besonders großmäulig aufgetreten waren, auf der Stelle in die Knie gegangen. Daß ich überhaupt keine Angst vor einem möglichen eigenen Schaden habe, wenn ich mit dessen Hilfe einen sehr viel größeren, womöglich sogar irreparablen Schaden bei meinem Kontrahenten bewirken kann, traut einer harmlosen mittelalten dicken Tante, wie ich sie bei diesen Gelegenheiten überwiegend noch gewesen bin, offenbar keiner zu. - Mal sehen, ob ich mir diesen Vorteil erhalten kann, wenn ich dem Normalgewicht näher komme.

Der beste Zeitpunkt für ein kompromißloses Embargo gegen Rußland war der 24.2.2022. Der zweitbeste Zeitpunkt wäre jetzt. Obwohl die Wirkung jetzt nicht ganz vergleichbar wäre, haben wir doch immer noch den Vorteil, daß Rußland vollkommen davon überzeugt ist, uns harmlose mittelalte dicke Tante genau einschätzen zu können. Ein radikales Embargo traut man uns jetzt sogar noch weniger zu als vor sechs Wochen. Diesen Vorteil würden wir jedenfalls miteinsetzen können. Was für ein Jammer: Das wird natürlich nicht passieren, denn dafür bräuchten wir eine Bundesregierung mit dem richtigen Mindset und mit weniger Angst vor der Reaktion der wohlstandsverwahrlosteren unter den Bürgern, denen natürlich ihre wohlgeheizte Wohnung und die Lebensmittelpreise allemal wichtiger sind als das Leben, die Würde und die Freiheit der Menschen in der Ukraine, von denen sie irrtümlich glauben, sie gingen uns doch gar nichts an. 

Ich bin mir zwar ziemlich sicher, die Bundesregierung überschätzt deren Bevölkerungsanteil, aber ich kann es nicht ändern, daß das so ist. Wir bleiben also wohl, leider, weiterhin harmlos, leicht zu durchschauen, leicht unter Druck zu setzen und leicht über den Tisch zu ziehen.

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Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es vernünftig ist, über solche Themen wie den Ukrainekrieg Blogartikel zu schreiben, aber diese Version stelle ich jetzt mal online, weil ich mehrere indirekte Bezüge zu meinem eigentlichen Thema sehe. Neben dem "Leben vs. Würde", das mit eine Rolle spielt, sehe ich auch einen Gemeinsamkeit in der übergeordneten Problematik, daß unsere Politik gerne nur so tut, "als ob", daß es also um Rhetorik und Anschein geht, nicht darum, wirklich etwas zu bewirken. 

Zu Beginn des Ukrainekriegs sagte die Außenministerin mit ihrer harmlosen Kleinmädchenstimme etwas, das mir imponierte, nachdem sie die Sanktionen aufgezählt hatte, die beschlossen worden waren, sinngemäß sagte sie: "Das wird Rußland ruinieren." Wow, dachte ich angenehm überrascht. Das ist mal eine Ansage, an der so gar nichts Halbherziges ist, wie man das sonst immer gewöhnt war. Schade, daß es sich mittlerweile doch nur als Rhetorik erwiesen hat. An der Sprache hatte ich nichts auszusetzen, aber was getan wurde, war eben doch nur das übliche "So tun, als ob". 




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