Dienstag, 26. April 2022

Angriff des Killerweizens?

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des letzten viertägigen Fastenintervalls, bevor ich mich zum Wandern und einem Besuch bei meiner Mutter verabschiede: 90,4 Kilogramm. Ein bissel bin ich enttäuscht, das sind "nur" knapp zweieinhalb Kilo weniger als vor der Low-Carb-Phase, und ich hatte mit einem Wert zwischen 3 und 4 Kilo gerechnet. Andererseits sind zweieinhalb Kilo zweieinhalb Kilo, und Anfang Dezember schoß mein Gewicht nach dem Ende der Low-Carb-Zeit auch erst einmal stärker nach oben als erwartet, bevor es sich auf dem Level einpendelte, das dann bis Ende Februar hielt. Jetzt hoffe ich halt, daß sich die Sache bis zum Samstag auch diesmal relativiert. Auf ein neues Niedrigstgewicht kann ich wegen meines Urlaubs freilich vor Ende Mai nicht rechnen. Wenn ich Pech habe, dauert es sogar bis zum Juni. Aber da muß ich jetzt halt durch. 

Ich habe mal wieder eines der bekannteren einschlägigen Bücher zu "alternativen" Ernährungstheorien gelesen, nämlich "Weizenwampe. Warum Weizen dick und krank macht" von Dr. William Davis. Wieder einmal finde ich es gar nicht so einfach, diesem Buch gerecht zu werden, obwohl es mich ziemlich schnell zu nerven begonnen hat. Der Autor hat triftige Gründe dafür angeführt, warum er den Weizen böser Dinge verdächtigt, da er in seiner ärztlichen Praxis offenbar bei den unterschiedlichsten Krankheiten erfolgreich damit gewesen ist, seine Patienten von einem Verzicht auf Weizen zu überzeugen und damit eine Besserung oder Heilung zu erreichen. Einer der gemeinsamen Nenner dabei war, daß sie außerdem häufig ziemlich viel Gewicht verloren haben. Die Theorie, die er daraus entwickelt hat, erscheint mir allerdings trotzdem unter dem Strich unausgegoren. 

Beispielsweise scheint er sich insgeheim selbst gar nicht so sicher zu sein, wie er sein Problemnahrungsmittel nun eigentlich definieren will. Geht es aus seiner Sicht um den Hochleistungsweizen, der sich in den letzten Jahrzehnten als Ergebnis von Züchtungen weltweit durchgesetzt hat – so anfangs –, oder um Weizen generell seit Beginn seiner Kultivierung – so später – oder gar um alle Getreideprodukte seit Beginn des Ackerbaus – so noch später? An einer bestimmten Stelle des Buches schwenkt er gar, allerdings nur vorübergehend, zur Low-Carb-Theorie über und fokussiert sich auf Kohlenhydrate überhaupt.

Hinzu kommt, daß der Autor versucht, locker und humorvoll zu schreiben, wie das in den USA bei Sachbüchern ja auch erwartet wird. Aber bei ihm läuft das auf immer wiederkehrende, weniger komische als eher gehässig-giftige Seitenhiebe gegen das „ach so gesunde“ Vollkorn hinaus, die sachlich vielleicht ja nicht ganz unberechtigt, aber doch nur begrenzt witzig sind und die ich spätestens nach dem dritten Mal schon nicht mehr hören konnte.

Interessanterweise gleichen die Vorwürfe, die Davis dem Weizen macht, in vielen Punkten denen, die von anderen gegen Zucker erhoben werden; nach seiner Darstellung löst Weizen sogar stärkere Blutzuckeranstiege als Zucker aus. Das bedeutet unter anderem, daß man beide Theorien eigentlich durch Low-Carb-Ernährung gleichzeitig erschlagen kann, allerdings kann man dann natürlich nicht beurteilen, ob die Wirkung nun auf den Weizen- oder den Zuckerverzicht zurückzuführen ist. 

Ein interessanter Unterschied zwischen Weizen und Zucker ist aber das Gluten und deshalb auch mögliche Unverträglichkeiten, die darauf beruhen, samt etwaiger Wirkungen nicht nur auf die Gesundheit, sondern unter Umständen auch auf das Körpergewicht. Damit kommen wir zum meiner Meinung nach überzeugendsten Teil dieses Buches. Zöliakie ist mittlerweile ziemlich bekannt, aber welche und wie viele Krankheitsbilder entweder mit Zöliakie in Verbindung stehen - so kommt Diabetes Typ 1 zum Beispiel bei Zöliakie doppelt so häufig vor - oder unabhängig davon und trotz negativem Ergebnis bei Überprüfung von Zöliakie in Verbindung mit Weizen stehen können, und zwar häufig, ohne daß diese Verbindung erkannt wird, war mir tatsächlich noch neu. 

Daß der Autor den Eindruck erweckt, als wären wir alle durch die Bank insgeheim sterbenskrank, nur weil wir Brötchen - ob nun normale oder Vollkorn - essen, halte ich zwar für eine maßlose Übertreibung, dafür erreichen einfach zu viele Menschen ohne schwerwiegendere Beschwerden ein hohes Alter trotz lebenslänglich Frühstücksbrötchen, Nudeln und Sonntagskuchen. Aber auch dann, wenn Weizen längst nicht so häufig eine Krankheit auslösen sollte, wie der Autor suggeriert, ist es bei Leiden unklarer Ursache, von Reizdarmerkrankungen über Hautkrankheiten bis zu auffälligen Blutwerten jedenfalls eine sehr simple und ohne Schwierigkeiten umsetzbare Maßnahme, für die man nicht einmal einen Arzt benötigt, einfach mal vier Wochen lang Weizenprodukte aus dem Speiseplan zu streichen, und sich mal anzuschauen, was während dieser Zeit mit diesen Beschwerden passiert. Im günstigsten Fall hat man den Übeltäter tatsächlich gefunden und sein Problem gelöst oder jedenfalls verbessert. Und falls nicht, hat man keinesfalls einen zusätzlichen Schaden angerichtet. Das ist also die positive Botschaft, die ich aus diesem Buch mitnehmen würde, auch wenn sie in meinem Fall nicht relevant ist, weil ich keine solchen Beschwerden habe.

Es kann durchaus auch sein, daß Low-Carb-Ernährung bei einem Teil ihrer Anwender gar nicht wegen der Kohlenhydrate eine gute Wirkung zeigt, sondern wegen des Glutens im Weizen, das ja automatisch bei Low Carb mit wegfällt. Und wer weiß, ob nicht vielleicht doch noch andere, möglicherweise bislang noch nicht erkannte Faktoren eine Rolle spielen - vielleicht ja tatsächlich solche, die bei traditionellen Getreiden keine oder nur eine geringere Rolle spielen als bei dem auf hohe Erträge hochgezüchteten Hochleistungsweizen der heutigen Zeit? 

Was Davis - wie alle Ernährungstheoretiker - komplett ignoriert, ist die meines Erachtens wichtige Frage des Lebensalters bei einer Gewichtszunahme. Nahezu sämtliche Statistiken, die zeigen, daß der Anteil der stark Übergewichtigen in den letzten Jahrzehnten sich stetig erhöht hat, berücksichtigen diesen Faktor nicht, obwohl er eine Rolle spielen müßte, da ja auch das Durchschnittsalter der Bevölkerung ständig steigt. Gewichtszunahmen ab den mittleren Jahren sind aber kein neues Phänomen, sondern begleiten die Menschheit schon seit Jahrtausenden, ganz ohne Hochleistungsweizen.

Neu ist aber, daß immer mehr junge Menschen nicht nur ein wenig pummelig, wie ich in meinen Teenagerjahren, sondern sehr dick werden, und die Ursache dafür ist nach wie vor unbekannt - alle, die behaupten, sie zu wissen, spekulieren letzten Endes auch nur ins Blaue hinein. Zucker kann diese Ursache nämlich nicht sein, und zwar weder Zucker generell noch speziell Fructose, denn seit der Jahrtausendwende, also mittlerweile ca. zwanzig Jahren, sinkt deren Verbrauch wieder, ohne daß sich dies aber in einer Abschwächung der Adipositaswelle niedergeschlagen hätte. Könnte es aber vielleicht tatsächlich irgendwie mit Weizen zusammenhängen, und wenn ja, wie ließe sich das herausfinden? 

Mir kam dazu in den Sinn, daß im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine Hungerkrisen in armen Ländern befürchtet werden, da Weizen aus der Ukraine in viele dieser Länder geliefert wird. Das brachte mich auf den Gedanken, daß in diesen Ländern vielleicht der Weizenkonsum nicht gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt sein könnte, jedenfalls dann, wenn dort ohne diese Hilfslieferungen gar kein oder nur sehr wenig Weizen auf den Markt käme. Vielleicht könnte man ja in solchen Ländern anfangen, zu forschen, in denen der Weizenkonsum sich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen beschränkt? 

Ich bin mir nicht sicher, ob ukrainischer Weizen typischerweise auf normalem Handelswege dorthin gelangt oder der in Form von Hilfsgütern, die etwa von einschlägigen Organisationen vertrieben werden, da ja in Ländern, die selbst keinen Weizen anbauen, wohl eigentlich andere Getreidearten oder Stärkelieferanten ernährungstypisch sein müßten. Das wiederum würde bedeuten, daß Weizen, falls er häufig negative Wirkungen haben sollte, eher noch negativer als bei uns wirkt, weil evolutionär der Stoffwechsel an andere Kohlehydratquellen angepaßt sein sollte. Etwaige negative Wirkungen des Weizens durch eine Häufung der bei Davis beschriebenen Krankheitsbilder, die er mit Weizenverzicht bei seinen Patienten bessern konnte, würde man also, je nachdem, welche Teile der Bevölkerung ihn essen, entweder bei der Mittelschicht feststellen können, die sich Importgetreide leisten kann, oder im Gegenteil bei den Ärmsten im Land, die auf Lebensmittellieferungen angewiesen sind, um keinen Hunger leiden zu müssen. 

Angenommen, die Bemühungen, dem Hunger auf der Welt speziell mit Weizen entgegenzuwirken, enthielten für einen nennenswerten Prozentsatz der Empfänger von Nahrungsmittelhilfen ein unnötig hohes Krankheitspotential, würde dies natürlich neue Lösungen erfordern. Mir ist aber eingestandenermaßen noch nie so ganz wohl bei dem Gedanken gewesen, daß Spenden aus dem Westen - welcher Art auch immer, von Lebensmitteln über Kleidung bis zu Geld - in den Empfängerländern immer auch eine zerstörerische Wirkung auf die einheimische Wirtschaft hat. Wer sein Essen umsonst bekommt, kauft es nicht bei den einheimischen Bauern, und das muß sich auf sie ungünstig auswirken. Andererseits, verhungern lassen kann man die Leute ja auch nicht. Ich möchte nicht so tun, als hätte ich für diese Verknotungen eine überzeugende Lösung zu bieten. Am ehesten könnte ich mir noch vorstellen, daß Nahrungsmittelhilfen nur in akuten Bedrohungslagen vorgenommen werden sollten, also beispielsweise Mißernten durch Dürre oder ähnliches, die eine Versorgung aus Anbauprodukten des eigenen Lands unmöglich machen, aber ansonsten der Fokus eher auf eine Verbesserung der örtlichen Landwirtschaft liegen sollte, und das möglichst mit Schwerpunkt auf Nahrungsmittel, die dort ohnehin traditionell schon lange erzeugt wurden.

Generell bin ich aber überzeugt davon, daß es ein Fehler ist, für Adipositas und Diabetes nach einer einzigen auslösenden Ursache zu suchen, die für jeden gleich ist. Ob das nun Zucker, Fett (oder speziell Pflanzenöle, die ja ebenfalls von manchen für Adipositas verantwortlich gemacht werden) oder Kohlenhydrate oder eben speziell der Weizen ist. Versuch macht aber auch in diesem Fall kluch: Falls Weizenverzicht bei jemandem die Wirkung zeigt, die der Autor verspricht, hat es durchaus einen Sinn, eine solche Ernährung beizubehalten. Ich glaube aber nicht daran, daß diese Wirkung bei jedem zu erwarten ist – genausowenig, wie ich daran glaube, daß ein Zuckerverzicht oder eine generelle Reduktion der Kohlenhydrate bei jedem genau dieselbe Wirkung mit sich bringen würde.

Das ist also mein wichtigster Kritikpunkt: Davis sucht – wie leider nahezu alle – nach der einen Lösung, die bei jedem funktioniert. Ich bin mir aber mittlerweile sicher, eine solche Lösung gibt es ganz einfach nicht. Das zugehörige Problem wird sich meiner Meinung nach erst lösen lassen, wenn die Wissenschaft einsieht, daß sie statt Durchschnittswerten aus einer untersuchten Gruppen von Patienten den einzelnen Patienten und das, was speziell bei ihm wirkt oder nicht wirkt, in den Mittelpunkt stellen sollte.

Davis' Buch kurzerhand als reinen Bockmist abzutun, hieße aber das Kind mit dem Bade auszuschütten, auch wenn der Autor mich in vielen Punkten nicht überzeugt hat. Was ich übrigens ebenfalls ein bißchen nervig fand, waren die Fallbeschreibungen aus seiner ärztlichen Praxis. Nicht deshalb, weil ich ihm die beschriebenen Erfolge nicht glauben würde, sondern weil jede dieser Erfolgsgeschichten für mich erst einmal die Frage nach dem Anteil der nicht erfolgreichen Patienten dieses Arztes aufwarf. Ich würde nämlich Haus und Hof darauf verwetten, daß er auch Patienten hat, bei denen sein Ansatz NICHT erfolgreich gewesen ist. Ich wüßte gerne, wie hoch der Anteil der Erfolglosen ist. Denn ich halte es schon für bedeutsam, ob Weizenverzicht bei Diagnose x oder y nun in Dr. Davis' Praxis in 10, 20, 50 oder 90 Prozent der Anwendungsfälle geholfen hat und ob es Faktoren gibt, die eher einen Erfolg oder eher einen Mißerfolg erwarten lassen. 

Nach dieser Lektüre blieben für mich also mal wieder viele Fragen offen, die ich wichtig gefunden hätte. Das stört mich freilich längst nicht so sehr wie die Annahme des Autors, er habe alles samt und sonders befriedigend erklären können.


 

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