Freitag, 25. Februar 2022

"... anläßlich deines bevorstehenden Martyriums ..."

Mein Gewicht gestern früh nach dem ersten Low-Carb-Tag und zu Beginn des zweiten Fastentags der Woche: 92,2 Kilogramm. Heute morgen nach dem Fastentag: 89,8 Kilogramm. Das fühlt sich doch gleich ganz anders an. Es ist das erste Mal im laufenden Jahr, daß ich nach einem einzelnen Fastentag wieder unter 90 Kilogramm bin. 

Spoiler: das liegt natürlich nur daran, daß sich der Wasserhaushalt mit Low Carb verändert - aber dennoch interessant, daß schon ein einziger Tag Low Carb das bewirken konnte. Und natürlich ist es gut für die Laune und den Optimismus, nachdem ich drei Monate Stagnation ausgesessen habe.

Ich habe mich gestern spontan entschieden, wieder die Kohlenhydrate meines Essens zu zählen - irgendwie fühle ich mich sonst unsicher, ob es zu viel wird. Die Kalorien und den ganzen anderen Kram ignoriere ich aber, weil es darauf meiner Meinung nach ja nicht ankommt. Für gestern stellte sich dann eine Punktlandung auf 100 Gramm Carbs heraus. 

Morgens hatte ich Brötchen aus Kokosmehl, gemahlenen Mandeln und Frischkäse gemacht, die sehr gut waren. Weil ich ein angebrochenes Tetrapack Johannisbeersaft hatte, gab es nachmittags zum Kaffee Johannisbeer-Joghurt-Gums (ein echter Geheimtip, stellte sich heraus, ich hätte nicht für möglich gehalten, daß die so besonders köstlich werden würden). Irgendwie ist aber immer noch Saft übrig, also werde ich wohl noch ein paar Pralinen aus Moser-Roth 70% mit Johannisbeerjoghurt-Füllung machen. Ich habe mir das mal ausgerechnet: Pro Praline komme ich auf 2 Gramm KH, das finde ich vertretbar. Mehr als zwei oder drei Stück schaffe ich von denen aller Erfahrung nach ohnehin nicht.

Abends habe ich die Big-Mac-Rolle gemacht, auf die ich mich schon seit einer ganzen Weile gefreut hatte, mit dem berühmten Zucchini-Eier-Teig aus dem Backofen.

Merkwürdigerweise bekam ich daraufhin abends leichtes Sodbrennen, das bis gegen Mittag am folgenden Tag anhielt. Im letzten Herbst war es auffällig, daß ich das in der gesamten Low-Carb-Phase überhaupt nie hatte. Vielleicht war das immer noch eine Nachwirkung von meinen letztwöchigen Magen-Darm-Problemen? Jetzt ist es jedenfalls weg.

Interessanterweise hatte ich schon gestern abend Spuren von Ketonen im Urin (normalerweise erst am folgenden Morgen), die Reduktion von Kohlenhydraten an den Eßtagen wirkt also, indem einfach die Stoffwechselprozesse an Fastentagen beschleunigt einsetzen. Ich habe noch ein paar wenige Keto-Sticks gehabt, so kam mir gestern der Gedanke, das mal zu messen. 

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Die gute Laune und der Optimismus zu Beginn meiner zweiten Low-Carb-Phase, was meine weitere Gewichtsentwicklung betrifft, stehen in erheblichem Kontrast zu meiner allgemeinen Simmung. Mein gestriges Erwachen war ein ziemlich böses, wie das wohl den meisten ging, da bestimmt niemand damit gerechnet hatte, morgens zum Kaffee von einem Angriffskrieg, einer Invasion mit dem Ziel, eine frei gewählte Regierung zu stürzen, in ein europäisches Land zu erfahren. 

Die Reaktionen der westlichen Welt erinnerten mich an dies hier oder auch an den typischen Ablauf meiner Auseinandersetzungen mit meinem Sohn, als er im Vorschulalter war. War er sauer auf mich, weil er irgendwas nicht bekommen hatte, drohte er mir gerne: "Dann habe ich dich nicht mehr lieb." Das war in diesem Alter seine Standarddrohung. War er aber wirklich fuchsteufelswild und wollte mir mit etwas noch Schlimmerem drohen, änderte er das in: "Dann habe ich dich NIE WIEDER lieb." Das arme Kind, dachte ich damals immer, und war jedesmal vom hilflosen Zorn meines Kinds angerührt. Er weiß genau, daß ich am längeren Hebel sitze. Wie muß sich das für ihn anfühlen, daß er jetzt - jedenfalls in dieser Sekunde - so grimmig entschlossen ist, die Brücken zu mir abzubrechen?

Meine Rührung gegenüber unserer Politik hält sich sehr in Grenzen, und das liegt auch daran, daß sie ja nicht einmal den Schritt von "... dann hab ich dich nicht mehr lieb" hin zu "... dann hab ich dich NIE WIEDER lieb" geschafft hat, zu dem sich sogar ein fünfjähriges Kind entschließen konnte. Die Sanktionen, die beschlossen wurden, sind hasenfüßig ausgestaltet, weil sie uns selbst möglichst nicht wehtun sollen. Das ist leicht zu erkennen, und es ist ein schwerer strategischer Fehler. Es beweist Putin, daß wir viel zu viel Angst haben, uns selbst wehzutun, um uns zu irgendetwas wirklich Wirksamen gegen seine Machenschaften entschließen zu können - also wird er es als Einladung auf dem Silbertablett auffassen, weiterhin einfach zu tun, was ihm beliebt.

Noch lächerlicher wird die Sache mit den Sanktionen dadurch, daß sich alle Akteure mit Superlativen überbieten, was deren angeblich nie dagewesene Härte und deren gräßliche Folgen für Rußland betrifft, obwohl sie genau wissen, daß sie viel weniger beschlossen haben, als sie es eigentlich könnten. Und wenn ein Angriffskrieg auf ein Nachbarland kein Anlaß für maximale Härte sein sollte, was zum Teufel wäre denn dann einer? Als Nachbarländen der Ukraine grenzen die EU-Staaten Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien an sie an. Ein von Rußland "befreite" Ukraine, also ein russischer Satellitenstaat mit einer Quisling-Regierung wäre somit Nachbar der EU. Man sollte doch meinen, aus schierem Selbsterhaltungstrieb müßte die EU das maximal Mögliche tun, um diese Entwicklung zu verhindern. 

Ach ja, und wie kommt das eigentlich, daß wir, und damit meine ich speziell Deutschland, nie ernsthaft nach einer Möglichkeit gesucht haben, um von russischem Gas unabhängig zu werden? Schon seit 2008 haben die Russen uns immer wieder mit provokativen Drosselungen der Lieferungen klargemacht, daß wir genauso abhängig von ihnen sind wie mein Sohn es damals war. Nur, er ist inzwischen erwachsen, unabhängig und bei Meinungverschiedenheiten verhandeln wir auf Augenhöhe. Wieso fand es in unserer Politik die ganzen verdammten letzten 14 Jahre lang also niemand wichtig, diese Augenhöhe durch eine ausreichende Verringerung der Abhängigkeit auch anzustreben? Ich finde nämlich, nicht nur Nordstream II gehört komplett gecancelt, wir sollten auch Nordstream I nicht mehr nutzen.

Wenigstens kann ich von mir sagen: Ich habe diese Leute zumindest nicht gewählt. Aber ein echter Trost ist das nicht, wenn man sich für sein eigenes Land schämen muß.

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Update: 

Anonymous International hat Rußland den Cyberkrieg erklärt und läßt damit die internationale Staatengemeinschaft noch handzahmer wirken. Auch wenn diese Kriegserklärung wohl wenig praktische Konsequenzen haben wird, die Geste weiß ich zu würdigen. Wenn dies nicht die Realität, sondern eine Filmschmonzette wäre, dann würde Rußland jetzt natürlich unversehens in der digitalen Steinzeit landen und den Krieg verlieren, weil die Kommunikation nicht mehr funktionieren würde. Da wir es aber leider mit der Wirklichkeit zu tun haben, sind bzw. waren lediglich ein paar offizielle Websites down. Schade eigentlich. Wenn ich mir was wünschen könnte, dann stünde der völlige Zusammenbruch der russischen digitalen Infrastruktur (vor allem der militärischen) ziemlich weit vorne auf meiner Wunschliste, und ein paar Plätze weiter hinten käme die Abkopplung der russischen Zahlungssysteme von SWIFT. An einem Crowdfunding solcher Vorhaben würde ich mich beteiligen. 




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