Dienstag, 22. Februar 2022

Abnehmen als Prozeß. Oder: Der Weg ist das Ziel.

Mein Gewicht heute früh vor dem letzten EMS-Training: 92,7 Kilogramm - exakt identisch mit dem Wert vor dem ersten Training am 4. Januar. Die Vermessung hat sich als unterhaltsam erwiesen, allerdings mußte ich mir mehrmals auf die Zunge beißen, um meinem Trainer nicht ungebührliche Widerworte zu geben. Meine Meßwerte hatten den armen Kerl nämlich ohnehin schon in beträchtliche Verwirrung gestürzt: An allen gemessenen Stellen mindestens zwei Zentimeter weniger Umfang, aber selbes Gewicht und, noch viel schlimmer, nach Meinung der Körperanalysewaage eine Zunahme des Fettanteils in Höhe von 1,5 Kilogramm auf Kosten einer entsprechend geschrumpften Muskulatur.

Daß dann beim Blutdruckmessen auch noch ein Wert jenseits von Gut und Böse herauskam (165 zum 102, so was hatte ich überhaupt noch nie), hat der Sache dann das Sahnehäubchen aufgesetzt. Das kann ich mir auch nicht so richtig erklären, aber ich nehme an, es war ein Ausreißer, den ich nicht so ernst nehmen muß. Normal sind bei mir 130 zu 90 plusminus ein bißchen was (ja, ich weiß, unter Medizinmännern gilt das auch schon als zu hoch, aber ich bin so frei, das anders zu sehen). Gerade eben habe ich nochmal nachgemessen und er lag - obwohl ich gerade vom Wochenmarkt komme und so schwer an meinen erworbenen Low-Carb-Vorräten geschleppt hatte - bei 140 zu 99. Die nächsten Tage behalte ich meinen Blutdruck vorsichtshalber mal im Auge, auch wenn ich davon ausgehe, daß mir morgen früh schon wieder mein üblicher Normalwert angezeigt wird.

Nun ist natürlich klar, daß ich in den letzten acht Wochen keine 1,5 Kilogramm Muskeln verloren und 1,5 Kilogramm Fett hinzugewonnen haben kann, also handelt es sich wohl um einen Meßfehler. Vielleicht hängt er ja irgendwie zusammen mit dem Blutdruckwert? Möglich ist es natürlich auch, daß entweder der aktuelle oder der Wert vom Januar auf irgendeine Weise verzerrt war, die wir einfach nicht beurteilen können, weil von außen nicht erkennbar.

Der Trainer führte die Sache  auf einen völlig anderen Faktor zurück, er verdächtigte mich nämlich, zu wenig Protein für einen Muskelaufbau zu mir zu nehmen. Das erklärt meines Erachtens zwar nicht das Ergebnis einer Muskelschrumpfung auf der Körperanalysewaage, aber ich muß zugeben, es wäre prinzipiell denkbar, daß das Training mir mehr gebracht hätte, wenn ich mehr Eiweiß zu mir genommen hätte - vor meinem Low-Carb-Experiment kam ich auf 80 Gramm Protein pro Tag und während des Experiments auf 130 Gramm. Das ist für den Normalbedarf zwar absolut ausreichend (empfohlen werden 0,8 Gramm pro kg Körpergewicht), für den Muskelaufbau wird allerdings noch mehr empfohlen. Der Trainer empfahl 160 Gramm, also um die 1,7 Gramm pro kg Körpergewicht, was allerdings so ziemlich die Obergrenze der Empfehlungen darstellt, die ich im Web fand. Es ist außerdem das Doppelte von dem, was ich mutmaßlich auch jetzt im Durchschnitt an Eiweiß esse.

Ich glaube, damit hat mein Trainer mich jetzt doch für Anfang nächsten Jahres für eine weitere Acht-Wochen-Runde EMS-Training geködert, denn es brachte mich auf eine Idee: Im Januar vier Wochen EMS-Training plus High Protein (ohne Kohlenhydrate zu reduzieren), und im Februar dann wieder Low Carb - das wäre tatsächlich noch eine neue und zusätzliche Möglichkeit, EMS-Training sinnvoll experimentell auf dem Weg in Richtung Abnahme-Endspurt miteinzusetzen und zu schauen, was passiert. Das Training für sich alleine könnte ich eigentlich künftig weglassen, da die Wirkung ja nicht gerade überzeugend ausgefallen ist, aber in dieser Kombination finde ich es wieder interessant.

Schade, ich hätte gerne das zugehörige Dokument der Vermessung hier eingefügt, aber diesmal bekam ich leider keinen schicken Ausdruck mit bunten Grafiken, nur einen handschriftlichen Freßzettel, den ich selbst nur mit Mühe entziffern kann.

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In den letzten Wochen habe ich eine ganze Reihe von Blogartikeln geschrieben, die ich dann doch nicht veröffentlicht habe. Das lag in der Regel daran, daß es "Schlechte-Laune-Texte" in Überlänge waren, von denen ich mich beim Nochmal-Durchlesen nicht einmal mehr selbst runterziehen lassen wollte, also warum hätte ich sie den Lesern meines Blogs zumuten sollen? Aber ein paar Kurzfassungen (minus die schlechte Laune, die ich gerade nicht habe) seien mir an dieser Stelle gestattet.

Grund zur schlechten Laune finde ich ja öfter bei Durchsicht dessen, was in meiner Twitter-Blase speziell von den Accounts mit "Expertenstatus" geschrieben wird, und wenn das "blogrelevant" genug ist, kann es dennoch passieren, daß ich es publiziere. Manchmal ist es mir aber, nachdem ich mich abreagiert habe, doch zu sehr auf der Metaebene, etwa Schwachsinn aus einem nicht ganz so nahe angrenzenden Feld, der mir lediglich bestätigt, daß ich der Wissenschaft und denen, die immer so tun, als hätten sie die Fakten und deren Interpretation gepachtet, niemals ohne eigene Überprüfung trauen sollte. 

Etwas in dieser Art passierte mir beispielsweise am Samstag, als ich auf einen Bericht darüber stieß, daß der Faktencheck der Tagesschau sich in einem bestimmten Fall als ziemlich faktenresistent erwiesen hat, und zwar vordergründig vor allem deshalb, weil die Fakten von einer Nichtfachfrau kamen, die aber im Gegensatz zu dem amtlich beauftragten Faktenchecker die simple Rechentechnik der Subtraktion korrekt anwenden konnte. Eigentlich sollte ja jeder das können, da man es schon in der Grundschule lernt. Näher betrachtet, war es wohl einfach nicht opportun, zuzugeben, daß diese Twitter-Userin recht gehabt haben könnte. Die schleswig-holsteinischen Bildungsministerin hatte auf ihren Tweet reagiert und leider eine so dumme und instinktlose Antwort gegeben, daß sie damit einen (absolut berechtigten) Shitstorm auf sich zog ... der sie wiederum dazu veranlaßte, sich selbst als das Opfer in dieser Sache zu stilisieren, wofür sie auch tatsächlich haufenweise Solidaritätsadressen von Politikerkollegen aller Parteien bekam, und schließlich als Gipfel der Theatralik ihren Twitter-Account löschte.

Die öffentlich-rechtlichen Sender fühlten sich offenbar ebenfalls verpflichtet, ihr zur Seite zu springen. Nur blöd, wenn man bei so was dann etwas behauptet, das jeder Grundschüler widerlegen könnte. Noch blöder, wenn man anschließend auf einem zu hohen Roß sitzt, um seinen Fehler zugeben zu können.

Ohnehin ist es schon eine Irreführung, so zu tun, als wäre es ausreichend, bestimmte Fakten beweisen zu können, denn mehrere eigentlich korrekte Fakten, die falsch kombiniert werden oder bei denen man einen weiteren genauso beweisbaren Fakt wegläßt, weil er das Bild verderben würde, ergeben ja trotzdem wieder ein falsches Gesamtbild. Es ist leicht, mit Fakten zu lügen, genaugenommen sind das sogar die wirksamsten Lügen überhaupt, die einen großen Anteil an Fakten enthalten. Diese ganze Faktencheckerei wird zu einer Mogelpackung, sobald man so gute Gründe bekommt, an der Wahrheitsliebe ihrer Inszenierer zu zweifeln. Diesen Faktenchecks ist also auch nicht zu trauen.

Schon näher an meinem Thema war diese Studie zum Thema Lebensmittelverschwendung, ein Thema, das mich sowieso regelmäßig auf die Palme bringt (irgendwann hole ich sicherlich dazu noch weiter aus). Das besonders Haarsträubende an dieser speziellen Studie besteht darin, daß die Autoren sich dazu verstiegen haben, den Begriff der Lebensmittelverschwendung so weit auszudehnen, daß sie alles, was ein Mensch ißt, das den Minimalbedarf seiner Gesunderhaltung übersteigt, ebenfalls als verschwendete Lebensmittel gewertet haben. 

Den Autoren dieser Studie verleihe ich hiermit feierlich den "Dr.-Seltsam-Preis für gemeingefährliche Irre in der Wissenschaft". Abgesehen von der Anmaßung, die hinter dem in der Studie angewandten Grundgedanken steckt: Man mag sich das gar nicht ausmalen, wie wohl eine Gesetzgebung aussehen würde, die auf dieser Prämisse basiert und eine "gerechte" unverschwenderische Verteilung der Lebensmittelproduktion zu organisieren versuchen würde. Sankt Bürokratius stehe uns in so einem Fall bei! Vermutlich würden drei Viertel der Nahrungserzeugung auf dem Schwarzmarkt landen, was ein paar Leute stinkreich, aber die meisten bettelarm machen würde. Und diejenigen, die aus irgendeinem Grund auf den Schwarzmarkt keinen Zugriff hätten und auf die unterversorgten staatlichen Kalorienverteilbehörden angewiesen wären, würden nach und nach den Hungertod sterben, wie das in früheren Zeiten der Lebensmittelverteilung durch staatliche Stellen auch schon gewesen ist. Ach ja, und genau wie in der Sowjetunion unseligen Angedenkens würden natürlich NOCH mehr Lebensmittel verderben - nur eben nicht mehr in den dann chronisch unterversorgten Privathaushalten.

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Das hier ist jetzt aber wirklich on topic, ein im Abnehmen-Forum verlinktes Video einer Talksendung des NDR mit Dr. Carsten Lekutat, Allgemeinmediziner, "Fernsehdoktor" und Autor eines Buchs mit dem Titel "Schlank für Faule". Lekutat bezeichnet sich selbst als "trockenen Dicken" in Anlehnung an den Begriff "trockener Alkoholiker" - womit er ausdrücken will, daß er auch zehn Jahre nach seiner Gewichtsabnahme (wie viel das in Kilos war, erfuhr man leider nicht) jederzeit gefährdet sei, einen Rückfall zu erleiden. Er glaubt nicht nur, süchtig zu sein, sondern er glaubt außerdem, ein Sünder gewesen zu sein, der nun für den Rest seines Lebens für diese Sünde büßen müsse. (O-Ton in entlarvender Wortwahl: "Ich trage [mit einem heruntergefahrenen Stoffwechsel] immer noch meine Schuld mit mir herum.")

Anders, als das viele andere - vor allem Nadja-Hermann-Jünger - wahrhaben wollen, ist ihm nämlich sehr genau bewußt, daß er zwar sein Gewicht halten konnte, aber ein um 400 Kilokalorien am Tag reduzierter Stoffwechsel ihm dies so erschwert, daß er sein Eßverhalten ständig kontrollieren muß, um eine Wiederzunahme zu vermeiden. Was seine Methode noch ein Stückchen weniger unangenehm macht als die üblichen Vorstellungen, das sind die kleinen Tricks, mit denen er die Kontrolle so ausgestaltet, daß sie so wenig wie möglich im Alltag spürbar ist, also den damit verbundenen psychischen Streß verringert, der am Ende dazu führt, daß das Konzept nicht auf Dauer durchgehalten werden kann.

Auch wenn es wesentlich schlimmere Diätkonzepte als ausgerechnet dieses gibt: Wegen des heruntergefahrenen Stoffwechsels ist seine Methode bei mir auch ungeachtet aller Details als Ganzes durchgefallen. Eine Methode mit dieser Nebenwirkung mag vielleicht weniger ungesund sein als ein dauerhaft beibehaltener BMI über 40, aber sie ist mit Sicherheit ungesünder als eine Gewichtsabnahme und -kontrolle ohne diese Nebenwirkung. Also das, was ich praktiziere.

Ich nahm aus diesem Interview aber, immerhin, zwei Informationsschnipsel als interessant mit: 

Nach Lekutats Darstellung wird Zucker unterschiedlich verstoffwechselt, je nachdem, ob man ihn vor oder nach einer proteinhaltigen Mahlzeit verzehrt - das erinnert daran, daß es ja traditionell auch üblich ist, Süßes als Nachtisch zu verzehren. Nassim Nicholas Taleb würde das wohl als eine "Heuristik" bezeichnen. Offenbar bekommt einem Süßes auf diese Weise einfach besser. Das wäre vielleicht noch eine Sache, zu der ich mich mal eingehender informieren könnte, auch wenn ich bezweifle, daß ich dadurch irgendetwas herausfinde, das in der praktischen Anwendung sinnvoller ist als das, was ich ohnehin schon längst mache.

Aufgehorcht habe ich aber vor allem bei einem Satz: "1 Kilo Abnahme hat eine positive gesundheitliche Wirkung, egal von welchem Gewicht man herkommt." Diesen Satz kann man nämlich auf zwei verschiedene Arten verstehen, entweder also diese Wirkung dem Ergebnis (dem verlorenen Kilogramm Gewicht) zuzuschreiben oder dem Prozeß der Abnahme (was bedeuten würde, daß die Wirkung schon vor der Abnahme als solcher meßbar sein müßte). Ich halte die zweite Version für die richtige, denn die Verbesserung der Blutwerte schon vor Einsetzen der Abnahme ist beispielsweise ja für bariatrische Chirurgie bereits vielfach bestätigt. Ähnliches gilt für kohlenhydrat-/insulinbasierte Abnahmemethoden. Inwieweit man das auch für kalorienreduzierte Diäten mitverallgemeinern kann, bin ich mir weniger sicher, aber zumindest so lange, wie man mit einer solchen Diät tatsächlich abnimmt, kann das natürlich ebenfalls sein. Das Problem bei solchen Diäten ist halt, daß sie in fast allen Fällen nach einiger Zeit in eine Wiederzunahme münden.

Ich kann den Verdacht nicht loswerden, der Herr Dr. Lekutat hält genau die umgekehrte Annahme für richtig, wie das bei jemandem ja anzunehmen ist, der in Sachen Ernährung in diesen "Schuld, Strafe, Buße"-Kategorien denkt, also das Kilo weniger als einen Lohn für die Buße auffaßt. 

Beim Abnehmen ist das erreichte Gewicht - auch wenn es tief im Normalgewichtsbereich sein sollte - meiner Einschätzung nach längst nicht so relevant wie der Prozeß des Abnehmens, wenn es um die gesundheitliche Bewertung geht. Und vermutlich gilt das genauso auch umgekehrt, daß als der Prozeß des Zunehmens eine möglicherweise gesundheitlich problematische Entwicklung signalisiert. Das wiederum macht die Jojo-Wirkung so bedenklich. Ich finde es aber darüber hinausgehend auch fragwürdig, wenn man sich beim Essen Gewalt antun (oder wie Dr. Lekutat, ständig an sich selbst herumnudgen) muß, um seinen Erfolg dauerhaft halten zu können. Deswegen fange ich mit so etwas gar nicht erst an - im Zweifelsfall nehme ich lieber eine längere Dauer bis zum Erreichen des Zielgewichts in Kauf. Wiederzunahmen hatte ich ja nun fast fünf Jahre lang keine mit Ausnahme dieser letztes Jahr endlich geknackten Herbst-Symptomatik, die aber irgendwelche Ursachen haben muß, die jedenfalls nichts mit einem gesunkenen Grundumsatz zu tun haben und durch Disziplinierung bei der Energieaufnahme auch nicht zu ändern wäre.

Mal sehen, mit welchem Gewicht ich nächsten Januar dann wieder im EMS-Studio aufschlagen werde. Wenn die Sache dieses Jahr gut läuft (was ich natürlich hoffe), sollte ich dann trotz der beiden "verlorenen Monate" Januar und Februar, von denen ich mir tatsächlich ein bißchen mehr versprochen hatte, nicht mehr allzu weit von 80 Kilogramm "Vorher-Gewicht" entfernt sein. Idealerweise sollte ich spätestens nächsten Sommer, also Sommer 2023, in die Haltephase gehen, denn der Herbst bringt ja bekanntlich bei mir dieses klitzekleine Bärengene-Problem mit sich, und wie ich in der Haltephase damit umgehen werde, weiß ich jetzt noch nicht so genau. Gegensteuern oder hinnehmen und nach dem Winter im Frühjahrs-Flow wieder eliminieren? Aber ich hätte bis dahin gerne schon Erfahrungswerte, mit welchem Fastenrhythmus es mit dem Halten über den Sommer geklappt hat. Idealerweise, wenn alles wunschgemäß funktioniert, kann ich die Haltephase dann schon nach einem Jahr zum "neuen Normal" erklären, mit dem ich mich gedanklich nicht mehr viel beschäftigen muß.







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