Sonntag, 5. Juli 2020

Was mich an der aktuellen Fleisch-Debatte so stört

Mein Gewicht heute früh: 97,6 Kilogramm. Wie weit es bis morgen nach oben gehen wird, weiß ich nicht, aber damit sollte ich morgen jedenfalls problemlos wieder unter hundert in den ersten Fastentag der Woche starten können. Mit ein bißchen Glück beginne ich sogar mit einem recht komfortablen Abstand. Und dann hoffe ich, daß es nächste Woche ein bißchen weiter nach unten geht als diese Woche, in der sich mein Körper noch von dem 5-Tage-Fasten letzte Woche erholen mußte. Der eigentlich spannende Moment folgt wohl übernächste Woche, in der ich wieder einmal drei Tage lang übers Wochenende essen werde und mir deshalb noch nicht sicher bin, ob ich dann die 100er-Grenze vielleicht doch noch einmal durchbrechen werde.

Was mich heute ein bißchen nebenbei beschäftigt, ist die gerade laufende Debatte um die Fleischerzeugung, und zwar deshalb, weil ich den Eindruck habe, daß bei uns an der Realität vorbeidiskutiert wird, wenn immer wieder der Eindruck erweckt wird, das Problem sei das "Billigfleisch" bei Aldi oder Lidl in der Kühltheke, das sich alle Welt ohne Sinn und Verstand in sich reinstopft. Wir haben bei der Fleischerzeugung in der Tat ein Problem, aber das verbirgt sich meiner Meinung nach an ganz anderen Stellen.

Das kann ich übrigens auch begründen. ;-)

Aber der Reihe nach. Schon länger ist der Fleischkonsum ja in der Diskussion. Wir äßen zu viel Fleisch, heißt es, und das mache uns dick und verderbe das Klima. Außerdem machten wir uns mit unserem exzessiven Fleischkonsum an Tierleid mitschuldig.

Diese durch die Massenmedien massiv gehypten Debatten führten zur "Veggie"-Modewelle, bei der es sich  aber meines Erachtens nicht um einen ernst gemeinten Ernährungswandel handelt, sondern bei der vor allem die Nahrungsmittelkonzerne ein Trendthema aufgreifen und die Welt mit neuen Fertigprodukten beglücken konnten, bei denen sie mindestens vorübergehend mit einem kalkulierbar gewinnträchtigen Absatz rechnen können. Daß irgendwem diese Sorte Fraß wirklich schmeckt, wage ich sehr zu bezweifeln. Gekauft wird es trotzdem, aus schlechtem Gewissen heraus, sozusagen als Symbolhandlung. Daß die wenigsten dieses Zeug wirklich mögen, symbolisierten auf dem Höhepunkt des Corona-Hamsterwahns Fotos aus Supermärkten, die fast restlos leergeräumte Regale zeigten, zwischen denen nur die "Veggie"-Produkte noch übriggeblieben waren.

Wäre unser Problem tatsächlich der tägliche Konsum von Schnitzeln, Koteletts oder Steaks, wie das behauptet oder zwischen den Zeilen suggeriert wird, hätte ich übrigens nicht genau in dieser Zeit mich problemlos mit Fleisch versorgen können (mit der Ausnahme von Hackfleisch, das eine Zeitlang ebenfalls knapp war), während Gemüsekonserven, Nudeln, Reis und Mehl nirgends mehr zu bekommen waren.

Ich sehe zwei verschiedene Problembereiche, die beide etwas mit unserer fehlgesteuerten Fleischwirtschaft zu tun haben und die beide lösbare Probleme sind.

Problem Nr. 1: Wir erzeugen Fleisch über unseren Bedarf hinaus für den Export, und dahinter stecken kaum die kleinen Erzeuger, sondern die Branchenriesen, diejenigen, deren Tiere bei Tönnies & Co. geschlachtet werden. Das, was bei den Schlachtgiganten à la Tönnies verarbeitet wird, landet alos nur zu einem Teil auf unseren Tellern. Schaut man sich die Versorgungsbilanz dieses Landes mit Fleisch einmal näher an, stellen wir nämlich fest: Wir produzieren 114 % des Fleischs, das bei uns verbraucht wird. Noch näher betrachtet, sind es zwei verschiedene Produkte, mit denen wir überversorgt sind: Schweine und Innereien, das letztere sogar ganz gewaltig.

Das ist erstaunlich, weil beides der typische Fall von Billigfleisch ist, der immer angeprangert wird. Gerade Innereien bekäme man eigentlich günstig, wenn sie nur konsumiert würden. Tatsächlich wird aber von 574 erzeugten Tonnen pro Jahr der größte Teil exportiert, während pro Verbraucher nur 0,2 Kilogramm pro Jahr verzehrt werden. Schweinefleisch wiederum macht mit 34,1 Kilogramm den größten Teil des verzehrten Fleischs aus, aber der Anteil des exportierten Schweinefleischs liegt nicht so viel niedriger wie der Teil des Fleischs, der für diesen Verbrauch erzeugt werden muß.

Auffällig daran ist, daß das exportierte Schweinefleisch eher in die EU ausgeführt wird, während die Innereien eher ins Nicht-EU-Ausland gelangen. Da darf man schon vermuten, daß wir Schweinefleisch mit im EU-Vergleich unterdurchschnittlichen Kosten erzeugen, während Innereien einfach nicht sonderlich begehrt auf dem Markt sind und deshalb in Länder verramscht werden, in denen man froh ist, sie preisgünstig zu bekommen.

Was ebenfalls auffällig ist: Von 47 Kilogramm Schweinefleischverbrauch pro Kopf werden nur 34 Kilogramm tatsächlich verzehrt. Unwahrscheinlich, daß das alles Knochen und sonstige nicht zum Verzehr geeignete Bestandteile des einstmals lebendes Schweins sein sollen. Mich irritiert nämlich schon lange die Einförmigkeit des Fleischangebots im Discounter; man hat den Eindruck, ein Schwein setzt sich aus lauter Schnitzeln, Nackensteaks und dem Filet zusammen. Wo bleiben eigentlich die anderen Teile? Ich glaube nicht, daß die Nahrungsmittelindustrie irgendetwas nicht verwertet, das sie schon hat. Einiges wird in der Wursterzeugung landen, anderes für Fertiggerichte, was dann noch übrig ist, wird wohl als Tierfutter verwendet.

Mit Ausnahme des Tierfutters ist das aber natürlich in den 34 Kilogramm immer noch mitenthalten.  Hinzu kommen somit noch 13 Kilogramm Knochen und andere Teile, die als nicht für den menschlichen Verzehr geeignet gehalten werden.

Das führt mich zu Problem Nr. 2: Wie groß ist denn überhaupt der Anteil an den knappen 60 Kilogramm Fleisch, die gar nicht in Form von Schnitzeln, Steaks und Hackfleisch auf unseren Tellern landen, sondern in Form von Wurst und als Bestandteil von Fertigprodukten? Ich tippe nämlich darauf, daß er um einiges größer ist, als sich das in den aktuellen Debatten widerspiegelt. Dabei gehe ich natürlich von mir selbst aus, denn beim Fleisch käme ich nie im Leben auch nur auf die Hälfte des durchschnittlichen Verbrauchs. Ich kaufe relativ wenig Fleisch, weil ich auf Kurzgebratenes nicht sonderlich stehe und weil mir der Aufwand für üppige Braten zu hoch ist, um das öfter als vielleicht alle halbes Jahr einmal zuzubereiten. Was ich ganz gerne mal mache, sind Rahmschnitzel, und dann verwende ich gerne Hackfleisch für alle möglichen Gerichte, ab und zu mache ich auch mal Rinderrouladen .. und das war es im Grunde schon. Wenn es einmal die berüchtigten Nackensteaks gibt, dann hat sie mein Mann eingekauft, dasselbe gilt übrigens auch für Bratwürste. Er ist auch unser Fachmann für Hühnersuppe, die er meistens dann kocht, wenn er sich malade fühlt.

Ich führe keine Statistik, wie viel Fleisch ich so kaufe. Hackfleisch habe ich eigentlich immer im Gefrierschrank. Aber das letzte Mal drei Packungen Hackfleisch gekauft habe ich im April. Daneben habe ich eigentlich immer eine Packung Hähnchenleber im Gefrierschrank, die ich ebenfalls sehr gerne esse, aber vielleicht alle zwei, drei Monate mal mache. Das einzige andere Fleisch, das ich im Moment noch habe, ist eine Packung fertiges Hähnchendönerfleisch für Notfälle, in denen ich schnell was auf dem Tisch haben will, aber das liegt auch schon seit April da, weil nie ein Notfall aufgetreten ist. Das macht zusammen keine drei Kilo in drei Monaten aus.

Wurst vom Discounter essen zu müssen, betrachte ich als eine gerechte Strafe für Leute, die lieber möglichst billig als möglichst gut essen wollen, denn dieses Zeug schmeckt meiner Meinung nach bestenfalls nach einem mit viel Gewürz versehenen Nichts und schlimmstenfalls besch... . Ich kaufe dort schon länger nur noch Salami oder Rohschinken, und zwar am Stück, und schneide es selber auf, dazu kommt noch Dosenwurst von einem regionalen Bio-Erzeuger, und alle paar Wochen - das mache ich aber ziemlich unregelmäßig, vielleicht einmal im Monat oder so - kaufe ich an einer Metzgereitheke frische Wurst ein. Beim Fleisch bin ich aber tatsächlich bislang immer an der Fleischtheke bei Lidl gelandet, aber nicht wegen des Preises, sondern weil es mir unangenehm ist, an der Bedientheke des Metzgers erst auswählen zu müssen, während hinter mir andere Leute warten. Da fehlt bei mir im Moment einfach die Gewohnheit, an der Theke auszuwählen. Das liegt auch daran, daß ich mein Fleisch selten sofort verwenden möchte, sondern es lieber einfriere. Da ist der Discounter, in dem ich ohnehin einkaufe, einfach die bequemste Lösung, und ich nehme an, genauso geht das den meisten Leuten, die im Discounter einkaufen.

Wenn ich das Hackfleisch als Beispiel nehme, das ich am meisten verwende: Dessen Preis hat sich im Disocunter in den letzten zehn bis zwölf Jahren ungefähr verdoppelt, und die Verbraucher haben kein Wort darüber verloren, fast hatte ich den Eindruck, niemandem außer mir ist das überhaupt aufgefallen. Ich meine deshalb, die Debatte um die Sozialverträglichkeit des Fleischpreises geht an der Realität vorbei. Sogar dann, wenn irgendwelche Lenkungssteuern dazu verwendet würden, um Discounterfleisch künstlich so zu verteuern, daß sie mehr kosten würden als beim Metzger, würde eine Mehrheit der jetzigen Kunden wohl weiter dort einkaufen, einfach weil es lästig ist, sich beim Metzger anzustellen (und jetzt in Corona-Zeiten sowieso). Und wenn ich von meinem eigenen Stundenhonorar ausgehe: Eine Stunde Zeit extra einsetzen zu müssen, entspricht ja einem sehr viel höheren Geldwert als ein Euro zusätzliche Kosten pro Kilo Fleisch.

Für mich kann es aber sein, daß sich genau daran demnächst etwas ändert. Mein Mann und ich haben nämlich neulich darüber gesprochen, daß ich eigentlich meinen Wochenmarkt-Einkauf auch regelmäßiger mit einem Schlenker in eine Markthalle verbinden könnte, wo ich mehrere sehr gute Metzger vorfinde, und dort nicht nur Wurst, sondern bei jedem Einkauf irgendeine Fleischsorte kaufen will, die ich im Selbstbedienungs-Kühlregal einfach bekomme. Einer der Metzger hat zum Beispiel auch ganze Kaninchen im Angebot. Das habe ich zu Weihnachten in einem Discounter gekauft, und später habe ich gesehen, daß der Kilopreis des Metzgers in der Markthalle locker mit dem gefrorenen Kaninchen beim Discounter mithalten kann, und ich nehme an, die Qualität, die ich dort bekomme, ist sehr viel besser. Ich würde zum Beispiel auch gerne mal wieder eine Rinderzunge machen. Im Discounter krieg ich die aber nicht.

Das Hackfleisch und die Schnitzel zum Einfrieren nehme ich dann nebenbei auch noch mit. Wenn ich ohnehin dort hingehe, ist das kein Mehraufwand mehr. Und wenn dort das Hackfleisch frisch durchgedreht wird, gibt es bei uns vielleicht auch mal daheim Tatar - das esse ich sonst besonders gerne, wenn wir in Tschechien sind, und aus abgepacktem Hackfleisch mach ich das lieber nicht. ;-)

Daß dieser Metzger Bio-Ware anbietet, ist mir eigentlich längst nicht so wichtig wie die Tatsache, daß er ein regionaler Erzeuger ist, der auch einen regionalen Schlachthof nutzt. Was mich nämlich eigentlich an dem sogenannten Billigfleisch stört, bei dem es mir eher um die Billigwurst geht, ist die Tatsache, daß die Riesen-Schlachthöfe und die Giganto-Fleischerzeugungsbetriebe einander benötigen und auf Kosten kleinerer Erzeuger voneinander maximal profitieren. Daß man einzelne Unternehmen nicht zu groß werden lassen sollte, zeigt sich daran, daß diese Schlachthöfe zwar richtig groß geworden sind, als die EU die Richtlinien so verschärft hat, daß kleinere Schlachthöfe das gar nicht mehr umsetzen konnten, aber daß sich seither das Tierwohl eher verschlechtert als verbessert hat ... vom Umgang mit den Beschäftigten gar nicht erst anzufangen.

Übrigens kann ich das entsetzte Herumgeheule über die ach so schrecklichen Zustände in den Schlachthöfen speziell von SPD und Grünen nicht als aufrichtig gemeint akzeptieren. Unter deren Regierung war es schließlich, daß erstmals von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Schlachthäusern berichtet wurde. Damals gab es zusätzlich noch menschenunwürdige Hungerlöhne, und mittlerweile haben wir ja immerhin den Mindestlohn. Das hat damals aber weder die SPD noch die Grünen interessiert.

Es ist gut, daß Corona uns einmal deutlich vor Augen führt, daß es zu unser aller Schaden ist, wenn dieselben unerträglichen Zustände mit in schlechte Massenunterkünfte gepferchten Werkvertrags-Kräften aus dem Ausland weiterbestehen sollten; der eigene Schaden scheint nun auf einmal endlich doch ein wirksames Argument gegen eine Sache zu sein, die ich schon vor fünfzehn Jahren skandalös fand, ohne daß sich allerdings damals irgendwer dafür interessiert hätte, und schon gar nicht die politischen Heiligenscheinträger von heute, die damals dafür mitverantwortlich gewesen sind.

Wie auch immer: Ich kaufe - neben dem Discountereinkauf, der allerdings immer kleiner wird - bereits regelmäßig vieles regional, vorzugsweise bei kleinen Erzeugern auf dem Wochenmarkt, und am liebsten die Waren, die aus eigener Erzeugung stammen, nicht weil ich ein solcher Tugendbold bin und damit die Welt retten will, sondern weil mir das die beste Gewähr dafür bietet, wohlschmeckende frische Ware zu bekommen. Das habe ich nicht immer gemacht, weil es mir immer schwergefallen ist, eine entsprechende Einkaufsroutine zu entwickeln. Mein Problem war immer der mir nächstgelegene Wochenmarkt, dessen Einkaufzeiten - freitags von 12 bis 18 Uhr - für mich einfach keinen organisatorisch naheliegenden Einkaufszeitpunkt umfaßten. Das hat mich irgendwie blockiert, obwohl es, näher betrachtet, natürlich schon die ganze Zeit möglich gewesen wäre, auf einen Wochenmarkt in einem anderen Stadtteil auszuweichen. Die schleichenden Veränderungen in meinen Einkaufsroutinen haben das erst begünstigen müssen.

Ich glaube nicht daran, daß die selbsternannten Weltretter etwas Sinnvolles tun, wenn sie veganes Convenience-Food kaufen, weder für die Welt, noch für ihre Gesundheit. Aus moralischer oder gesundheitlicher Begründung heraus auf Fleisch zu verzichten, ist meiner Meinung nach nichts weiter als Selbstbetrug zur Erleichterung des eigenen Gewissens, zumal wenn stattdessen hochverarbeiteter Mist erworben wird ... oder das neueste vegane Superfood, das erst mal um die halbe Welt transportiert werden muß, um hier im Biodiscounter gekauft werden zu können, weshalb ihre Ökobilanz ziemlich fragwürdig ist. Gescheiter wäre es, sich an dem zu orientieren, was hierzulande erzeugt wird und gerade Saison hat. Nirgends wird einem dies plastischer vor Augen geführt als auf dem Wochenmarkt. Seit ich das erste Mal auf dem Wochenmarkt frisch geerntete Trauben gekauft habe, habe ich kein einziges Mal mehr welche außerhalb der Saison gekauft. Lieber freue ich mich das ganze Jahr auf die Wochen, in denen ich "richtige" Trauben bekomme. Und während ich darauf warte, gibt es ja mehr als genug anderes, auf das ich mich ebenfalls die längste Zeit des Jahres freuen kann und nur während der Saison kaufe, von Erdbeeren über Zwetschgen bis zu den selteneren Apfelsorten, die ich auf meinem Wochenmarkt nur für kurze Zeit finde.

So gut wie in den letzten paar Jahren habe ich, finde ich, noch nie gegessen, und das ist der wichtigste Grund, warum ich im Discounter viele Dinge mittlerweile stehen lasse, ohne dies als moralischen Akt zu betrachten, sondern als schlichten Eigennutz.


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