Freitag, 5. Juni 2020

Ich bin zu alt für diesen Scheiß

Mein Gewicht heute früh: 98,6 Kilogramm, das ist im Bereich befriedigend bis ausreichend, einerseits kein Grund zum Meckern, andererseits aber auch kein Grund, in Jubel auszubrechen, und eigentlich nur deshalb von Interesse, weil eine Wirkung des EMS-Trainings - immerhin das erste nach ca. zehn Wochen - nicht einmal mit einem Mikroskop erkennbar ist. Zwischendurch fragte ich mich ja schon, ob ich diese Wirkung vielleicht doch unterschätzt haben könnte.

Wenn ich mein heutiges Gewicht mit dem vergleiche, bei dem ich vor ca. einem halben Jahr stand, dann bin ich eigentlich nicht so wahnsinnig unzufrieden. Die letzte Novemberwoche letztes Jahr, die ich zu diesem Vergleich heranziehen muß, weil ich in jener Woche ebenfalls zwei Mal gefastet habe, lag ich am Freitag nach dem zweiten Fastentag der Woche bei 103,2 Kilogramm. Und vor einem ganzen Jahr, am 31.5.2019, ebenfalls ein Freitag nach einer Woche mit zwei Fastentagen, wog ich 107,5 Kilogramm.

Damit wiege ich heute knappe 9 Kilogramm weniger als vor einem Jahr und 4,6 Kilogramm weniger als vor einem halben Jahr. Nach Bauchgefühl hätte ich jetzt noch weniger befürchtet, weil es gerade in den letzten Wochen nur im Schneckentempo vorwärts gegangen ist. Aber auch Schnecken kommen vorwärts, wie man sieht, auch wenn ich meine spezielle Schnecke gerne wieder auf ein Tempo von mehr als 10 Kilo pro Jahr brächte. Aber im Zweifelsfall begnüge ich mich lieber mit dem, was meine Methode hergibt, als mir etwas auszudenken, das ich nicht für den Rest meines Lebens weitermachen würde.

Es zeichnet sich außerdem ab, daß ich mich aus dem Forum Abnehmen.com zurückziehen werde. Ich habe mich dort heute über eine Moderatorenentscheidung geärgert, und zwar weniger über die Entscheidung als solche, sondern darüber, daß jeder etwaige Einwand dagegen mit einer Threadschließung von vornherein abgewürgt wurde. Bin ich zickig, wenn ich keine Lust habe, so mit mir umspringen zu lassen?

Falls es zickig sein sollte, ist es eigentlich aber auch egal. Ich habe definitiv keine Lust darauf, man kann die Sache drehen und wenden, wie man will. Ich bin einfach zu alt für diese Art von Scheiß.

Bei allem Respekt vor Forumsmoderatoren - und ich unterschätze den Aufwand und die Verantwortung nicht, ich habe nämlich selbst schon ein Forum mit kontroversen politischen Themen moderiert -, habe ich doch keine Lust, meine Zeit in Diskussionsplattformen zu verbringen, in denen die Grenze zwischen akzeptierten und nicht akzeptierten Themen erstens nirgends niedergeschrieben, sondern eine Art Geheimwissenschaft einer eingeweihten Elite und zweitens nicht verhandelbar ist. Und ich habe mich nicht in den letzten Jahren nach und nach aus allen politischen Diskussionsplattformen abgemeldet, weil ich es so entwürdigend finde, mich dem unhinterfragbaren Urteil irgendwelcher undurchschaubaren und oft willkürlich wirkenden Zensoren im Hintergrund zu unterwerfen, um mich jetzt dort wieder mit so etwas ähnlichem arrangieren zu müssen. Auch wenn es, zugegebenermaßen, das erste Mal ist, daß mir in diesem Forum eine Moderation überhaupt aufgefallen ist.

Konkret ging es darum, daß ein Thema geschlossen wurde, in dem eine Teilnehmerin ihre einwöchige Nulldiät ankündigte. Nulldiäten fallen offenbar unter die im Forum "verbotenen" Methoden, abzunehmen, und werde auf dieselbe Stufe wie Eßstörungen, Untergewicht und Bulimie gestellt, was ich für ziemlich lächerlich halte.

Die Grundproblematik verstehe ich dabei eigentlich schon, und ebenso, daß es schwierig ist, eine Grenze zu ziehen zwischen dem, was akzeptiert wird und was nicht mehr als akzeptabel gilt. Das zugrundeliegende Problem ist, daß es ja eigentlich schon ein Ausdruck einer Eßstörung ist, wenn man sein Gewicht zum zentralen Dreh- und Angelpunkt seines ganzen Lebens macht. Aber das ist ein kulturelles Dingsbums, das uns schon seit Jahrzehnten begleitet und wahrscheinlich bei jedem unterschwellig präsent ist. Schon in meiner Teenagerzeit war es ja so, daß man aus allen Richtungen mit Propaganda überschüttet wurde, von der unvermeidlichen Brigitte-Diät bis zu AOK-Broschüren und natürlich einer Menge einschlägiger Bücher, von Atkins bis Kohlsuppendiät. Dazu kamen das Trimm-dich-Männchen, Jogging, Aerobic und so weiter. Als ich meine erste Diät hielt, mit 13, war ich, technisch gesehen, noch im Normalgewichtsbereich. De facto war ich aber erkennbar ein bißchen "mehr" als die Mädels um mich herum ... und sogar die fingen damals in dem Alter schon an mit den Diäten, weil eben Normalgewicht nur ein Trostpreis ist, wenn man auch ein Idealgewicht erlangen könnte, bei dem man ja schon am Namen ablesen kann, daß man mit ihm eine Art von strahlender Perfektion erlangen kann, während man andernfalls nur irgendwie langweilig normal ist.

Ich erinnere mich noch, daß ich mir damals mit 13 (und bei einem Lebendgewicht von ca. 70 Kilo) ein Gewicht unter 60 Kilo gewünscht hätte, welche genaue Zahl ich dabei im Kopf hatte, daran erinnere ich mich nicht mehr. Neugiershalber habe ich mal nachgesehen: Laut BMI-Rechner wäre ich zwischen 54 und 70 Kilogramm im Normalgewichtsbereich. Das heißt, auch ich habe mich damals an einem vermeintlichen Optimum von "möglichst nahe an der Untergewichtsgrenze" orientiert, was ich rückblickend ziemlich kritisch sehe. Es ist auch der Grund, warum mein Zielgewicht ein bißchen höher liegt als die Grenze zum "offiziellen" Normalgewichtsbereich. Ich habe überhaupt keinen Grund, den falschen Idealen meiner Teenagerzeit (falsch deshalb, weil sie mir von außen als vermeintliche Norm präsentiert wurden, der ich glaubte, genügen zu müssen, statt sie kritisch zu hinterfragen) immer noch nachzujagen. Auch für diese Art von Scheiß fühle ich mich inzwischen zu alt.

Oder, um es anders zu formulieren: Ich kann heute nachsichtig über mich selbst lächeln. Auch darüber, daß ich, als ich später damit begann, das Idealgewicht kritisch zu hinterfragen, erst recht alles falsch gemacht habe, indem ich annahm, daß mein Gewicht sich an seinem "Set Point" schon einpendeln würde. So stand das in den "Anti-Diät-Ratgebern", denen ich alleine schon deshalb glaubte, weil mir die praktische Anwendung der Diätratschläge ja gezeigt hatte, daß sie nicht einmal bei regelmäßiger Wiederholung das Ergebnis brachten, das sie angeblich bringen sollten. Daß jemand, der den Fehler eines anderen korrekt benennen konnte, deshalb noch lange nicht selbst die richtige Lösung gefunden haben muß, habe ich sozusagen auf die harte Tour gelernt.

Abnehmen ist ein Thema, bei dem der Menschheit und dem Gesundheitswesen vermutlich ein Dienst erwiesen würde, wenn ein Publikationsverbot für Abnehmratschläge verhängt würde, die sich nicht im praktischen Selbstversuch beim Autor sowie mindestens zwanzig Prozent einer zuvor ausgewählten Gruppe von Anwendern als dauerhaft (= mindestens über fünf Jahre hinweg) hilfreich erweisen. Und das hätte sich auch schon in meinen Teenagerjahren gelohnt.

So ein Forum zu diesem Thema ist aber schon eine Gratwanderung. Auch dort schlagen ja öfter mal Mädels auf, bei denen es auch nur um drei oder vier Kilo hin oder her geht, die ihnen zum ersehnten BMI 20 oder 19 fehlen. Weniger als 19 wäre Untergewicht, und solche Zielsetzungen wären für das Forum nicht mehr akzeptabel, und das leuchtet mir auch ein. Aber ist es nicht auch schon ein bedenkliches Zeichen, wenn jemand von BMI 22 oder 23 auf BMI 19 kommen will, wie das auch meine Altersgenossinnen damals wollten? Hindern kann man natürlich niemanden daran, aber ob man es wirklich unterstützen sollte?

Wenn ja, wüßte ich allerdings nicht, warum Fasten, also: eine Nulldiät (über einen begrenzten Zeitraum von, ja, bis zu einer Woche) dafür bei einem gesunden Erwachsenen nicht in Frage käme. Daß man das Fasten abbrechen sollte, falls sich unerwartete Beschwerden einstellen, versteht sich dabei natürlich von selbst. Evolutionsbiologisch gibt es gar nichts Normaleres, als vorübergehend nicht zu essen, auch ohne irgendwelche esoterischen Vorbereitungen (weil es während des längsten Teils der Menschheitsgeschichte öfter mal vorkommen konnte, daß gar nichts zu essen verfügbar war, was auch ohne Vorwarnung passieren konnte). Der menschliche Stoffwechsel ist meinem Eindruck nach darauf eingestellt. Ich jedenfalls habe mich noch nie irgendwie darauf vorbereitet, wenn ich ein dreitägiges Fastenintervall vorhatte, ich habe einfach aufgehört zu essen.

Länger als drei Tage habe ich noch nie gefastet, aber ich wüßte keinen Grund, warum das, was ich schon drei Tage lang gemacht habe, nicht auch sieben Tage lang gemacht werden könnte. Tatsächlich habe ich ja die Erfahrung gemacht, daß der zweite und dritte Fastentag total easy sind, man bekommt anders als am ersten Tag überhaupt keinen Hunger mehr, und irgendwelche Schwächegefühle sind auch nicht damit verbunden. Ich habe normal gearbeitet und auch mein EMS-Training schon im Anschluß an mehrere aufeinanderfolgende Fastentage gemacht, ohne mich irgendwie anders als sonst dabei zu fühlen. Warum das am vierten bis siebten Tag plötzlich in etwas Lebensgefährliches umschlagen sollte, leuchtet mir so wenig ein, daß ich es vielleicht wirklich einmal selbst ausprobieren sollte. Allerdings glaube ich nicht so recht daran, daß es mir beim Abnehmen einen echten Vorteil bringen wird, weil ich vermute, an irgendeinem Punkt stellt der Stoffwechsel auch beim Fasten auf Sparmodus um, und ich argwöhne, das geschieht schon vor dem siebten Fastentag. Vielleicht beschränke ich mich also doch lieber auf fünf Tage, mit denen fühle ich mich sicherer, weil die Ausschüttung des Wachstumshormons am fünften Tag in einer Reihe von Fasten-Experimenten ihren Höhepunkt erreichte und ich mir deshalb nicht vorstellen kann, daß gleichzeitig der Stoffwechsel schon auf Sparflamme schaltet.

Besonders absurd kommt mir diese Einordnung des "Gar nicht essens" in die Rubrik der gefährlichen und mit Eßstörungen verbundenen Methoden vor, wenn ich sehe, daß weder Abnehmtabletten noch die  ambulanten chirurgischen Methoden von Magenballon bis POSE-Verfahren in diesem Forum ein Tabu sind, deren Risiken mir sogar noch höher vorkommen als die einer chirurgischen Magenverkleinerung, der immerhin ausgedehnte ärztliche Beratungen und Genehmigungsverfahren der Krankenkassen vorausgehen und die mit einer dauerhaften ärztlichen Überwachung verbunden ist.

Daß ein solches Forum aufpassen muß, um nicht für die Dummheiten eines Teilnehmers mitverantwortlich gemacht zu werden, wenn sie zu ernsthaften Gesundheitsschäden führen, leuchtet mir natürlich schon ein. Und nach welchen Kriterien Inhalte als unerwünscht gelten, muß ich auch akzeptieren, immerhin liegt das im Ermessen der Eigentümer dieser Plattform, die dort gewissermaßen meine Gastgeber sind und die "Hausordnung" festlegen. Aber wo mir die Hausordnung nicht gefällt, muß ich keine Besuche machen. So halte ich das im "richtigen Leben" ja auch.

Na ja, wie auch immer. Ich werde jetzt noch eine Nacht darüber schlafen, und morgen entscheide ich, ob ich mich ganz aus dem Forum abmelde. Einerseits ist es ja nett, sich dort mit anderen austauschen zu können, andererseits kostet es natürlich aber auch Zeit. Wenn ich diese Zeit künftig übrig habe, schaffe ich es vielleicht ja, hier etwas regelmäßiger zu schreiben. 

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