Sonntag, 30. Juni 2019

Ein paar allgemeinere Ketzereien

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, heute einen Blogartikel zu schreiben, aber dann las ich diesen FAZ-Artikel

Es sind die „Wissenschaftsleugner“, deren Weltbild so festgefahren ist, dass es gegen jeden Widerspruch immun geworden ist, und die sich vorzugsweise daran erfreuen, die vermeintliche Gefährlichkeit von Impfungen, die menschliche Unschuld am Klimawandel oder auch die Falschheit evolutionärer Erklärungen zu verbreiten. In unserer heutigen Zeit allgemeiner Vernetzung gibt es kaum ein Entrinnen – ihre kruden Thesen finden sich überall und immer wieder.
Jetzt muß ich irgendwie mal Dampf ablassen. Ich finde es grundfalsch, so wie in diesem Zitat zu argumentieren, und zwar völlig egal, wie bescheuert die Positionen sein mögen, gegen die sich das richtet. Denn die Wahrheit ist und bleibt nun einmal, daß die hieb- und stichfesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Zeit vor vor hundert, vor fünfzig, manchmal sogar von vor zehn Jahren gar nicht so selten heute für Irrtümer gehalten werden. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Cholesterin. Meine über achtzigjährige Mutter, deren Gedächtnis noch gut genug ist, um die dazugehörigen Empfehlungen, die sie während der letzten vierzig Jahre vom Hausarzt bekommen hat, einzeln aufzählen zu können, reagiert inzwischen auf höfliche Weise verstimmt, wenn ihr mal wieder eine neue Version angeboten wird. Sie hat alles durch, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu einmal in Mode war, vom Verbot, Eier zu essen, und dem empfohlenen Wechsel von Butter auf Margarine bis hin zur Kehrtwende, ab der das alles auf einmal nicht mehr wahr gewesen ist. Dann fand man heraus, daß es ein gutes und ein böses Cholesterin gibt, irgendwann stellte sich heraus, daß das böse Cholesterin in Wirklichkeit gar nicht so böse ist, und der neueste Stand ist die Erkenntnis, daß das Nahrungscholesterin in Wirklichkeit gar keinen Einfluß auf das Blutcholesterin hat.

Jeder der aufgezählten Punkte war vor nicht allzulanger Zeit noch eine wissenschaftliche Wahrheit, an die wir uns gefälligst wie an einem unbezweifelbaren Faktum orientieren sollten. Und heute sind sie bis zum vorletzten Punkt doch nicht mehr wahr.

Wenn jemand, der wissenschaftlichen Erkenntnissen von heute widerspricht, mit solcher Selbstgefälligkeit als Leugner abqualifiziert wird, finde ich das erstens ziemlich anmaßend und zweitens sehr unwissenschaftlich. Ich sehe daneben überhaupt keinen Grund, wissenschaftliche "Wahrheiten" ungeprüft zu glauben, von denen ich weiß, daß ein Teil davon zu den wissenschaftlichen Irrtümern von morgen zählen wird.

"Glauben" ist dabei genau das richtige Stichwort."Leugner" ist nämlich, erstens, eine religiöse, nicht etwa eine wissenschaftliche Vokabel. Nie im Leben würde ich jemandem über den Weg trauen, der im Namen der Wissenschaft mit solchem Vokabular um sich wirft, weil sich diese Person, siehe oben, alleine dadurch schon als von Grund auf unwissenschaftlich denkend geoutet hat. Wer andere der Ketzerei bezichtigt, wie das mit dieser Begrifflichkeit geschieht, der wird diese Ketzer außerdem mit zunehmender gefühlter Dringlichkeit "ihrer gerechten Strafe" zuführen wollen und dann felsenfest davon überzeugt sein, daß es nicht nur sein Recht, sondern sogar seine Pflicht sei, eine möglichst harte Bestrafung vorzunehmen. Das kann ziemlich schnell in eine neue Art von Hexenjagd münden, was für sich alleine genommen ja schon schlimm genug ist. Aber was, wenn sich dann zehn, zwanzig, fünfzig Jahre später auch noch heraussstellen sollte, daß sie im Namen eines wissenschaftlichen Irrtums geschehen ist?

Wissenschaftlichen Fundamentalismus dieser Art könnte man analog zum Islamismus als "Scientismus" bezeichnen, und ich halte ihn für nicht ganz ungefährlich. Immerhin gab es schon die ersten wissenschaftlichen Fundamentalisten, die laut über die Vorzüge autoritärer Regimes nachgedacht haben, weil die all die mühsamen Aushandlungsprozesse in Demokratien nicht benötigen, sondern so ein Regime die Dinge, die es für richtig hält, der Bevölkerung einfach überbraten kann. Solche Allmachtphantasien irregeleiteter Wissenschaftler sind nicht nur aus naheliegenden grundsätzlichen Gründen abzulehnen und würden, in die Praxis umgesetzt, sowieso früher oder später mit einem Scherbenhaufen enden, sondern haben nebenbei auch noch den Haken, daß sie einen etwaigen wissenschaftlichen Irrtum, wie beispielsweise die dem Kommunismus zugrundeliegende wissenschaftliche Theorie, nicht zur Wahrheit macht. Die dabei entstehende Kluft zwischen staatlich verordneter Ideologie und Realität wird im Lauf der Zeit nicht geringer, auch dann nicht, wenn die Bevölkerung die Theorie zum großen Teil nicht grundsätzlich hinterfragt. 

Aber zum zweiten: Was bleibt jemandem, der nicht über Fachwissen verfügt, denn anderes übrig, als das, was die Wissenschaft für gesichertes Wissen hält, entweder zu glauben oder nicht zu glauben, und zwar auf genau dieselbe Weise, wie wir einstmals geglaubt oder (seltener) nicht geglaubt haben, was der Pfarrer über Himmel und Hölle predigte? Die meisten Dinge, von denen wir sagen, wir wissen sie, glauben wir nur, das heißt, wir vertrauen dem Fachwissen und der Integrität der Autoritäten, die sie uns als Wahrheiten präsentiert haben. Denn in den meisten Fällen ist es dem Einzelnen ja schlicht unmöglich, wissenschaftliche Behauptungen selbst zu überprüfen.

Das gilt aber zum Glück nicht für die Sache mit den Kalorien. Ob es möglich ist, abzunehmen, ohne ein Energiedefizit herzustellen (also weniger Kalorien zu sich zu nehmen, als der Körper mutmaßlich verbraucht), was nach der orthodoxen Ernährungslehre nicht möglich sein dürfte, KANN man selbst überprüfen, und ich mache genau das gerade in meinem Selbstversuch. In den Augen der Verfechter der aktuellen Lehrmeinung bin ich dann wohl ein Kalorienleugner, denn schließlich ist es ja wissenschaftlich erwiesen, daß man so gar nicht abnehmen kann, wie ich das mache. Ich habe aber den Vorteil, daß ich niemandem einfach nur glauben muß, daß ich im Gegenteil irgendetwas sehr richtig machen muß mit meiner Methode, denn meine Waage bestätigt es mir, mein Spiegel bestätigt es mir, meine schrumpfenden Kleidergrößen bestätigen es mir. Würde irgendein Fachmann behaupten, daß ich trotzdem falsch liege und unbedingt damit aufhören und stattdessen Kalorien zählen und Sport treiben müsse, würde ich ihn, je nach Tagesform, entweder auslachen oder ihm sagen, seine Ratschläge könne er sich dorthin stecken, wo die Sonne nicht hinscheint.

Da ich bei nahezu allen Experten von Rang und Namen lesen kann, daß ich etwas mache, was nicht funktionieren kann, ist ihr Wissensstand ganz offensichtlich falsch, und zwar ein Wissensstand, den wahrscheinlich 9 von 10 Fachleuten mit dem Begriff "Fakten" garnieren würden. Das bestätigt mir, daß in allen drei aufgezählten Fällen - Impfen, Klimawandel, Evolution - ebenfalls durch die Wissenschaftler und ihre Sprachrohre in der Politik und in den Medien auf Basis nicht korrekter Wissensstände argumentiert werden kann, und es führt dazu, daß ich außerdem eine gewisse Aversion gegen den Begriff "Fakten" entwickelt habe, wenn er in Zusammenhang mit etwas verwendet wird, das nicht a) bereits geschehen und b) eindeutig beweisbar ist. Beides trifft auf wissenschaftliche Annahmen nicht zu, auch dann nicht, wenn vieles dafür spricht, daß sie zutreffen könnten.

Ich habe zu allen drei Themen auch keine abschließende Meinung, weil ich mich mit allen drei Themen nicht in ausreichender Tiefe befassen kann, um mir ein fundiertes Urteil zu bilden. Aber letzten Endes geht es ja bei all den Anstrengungen, uns das Heil der Fakten nahezubringen, meistens vor allem um irgendetwas, das wir tun oder unterlassen sollen. Wir sollen uns impfen lassen. Wir sollen möglichst wenig CO2 produzieren. Wir sollen Organe spenden. Wir sollen keine Rechtspopulisten wählen. Wir sollen einen BMI unter 25 haben und, sofern das nicht der Fall ist, ihn mit bestimmten empfohlenen Maßnahmen erreichen. Und so weiter.  Ich habe kein Problem damit, Impfungen gegen Kinderkrankheiten gut und richtig zu finden, obwohl ich die Art, wie sie mir "verkauft" werden sollen, für ziemlich krank halte und mittlerweile eine sehr negative Meinung über die Leute, die sie mir "verkaufen" wollen, entwickelt habe. Als Kind habe ich nämlich gerne in "Herders großem Gesundheitsbuch" geblättert, eine Auflage aus den sechziger Jahren. Die Abbildungen von Kindern, die an Masern, Mumps und besonders Diphterie erkrankt waren, überzeugten mich ohne weiteres davon, daß ich diese Krankheiten nicht bekommen wollte, und später wollte ich natürlich auch nicht, daß mein Kind sie bekommt. Damals kamen diese Krankheiten in der Realität noch häufiger vor, und ich nehme an, die Angst vor Impfschäden hat viel damit zu tun, daß das heute nicht mehr so ist. Die Krankheit, vor der die Impfung schützt, ist eine zu abstrakte Größe geworden, um sich vor ihr noch zu fürchten. Der Impfstoff in der Spritze ist viel konkreter.

Mir muß auch niemand einen endgültigen Beweis für den menschlichen Einfluß auf den Klimawandel liefern, um das Ziel einer CO2-Reduktion für sinnvoll zu halten. Schließlich habe ich auch meine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, ohne von jemandem einen endgültigen Beweis dafür zu verlangen, daß ich sie garantiert einmal benötigen werde.

Was ich aber aus tiefster Seele verabscheue, ist diese verbiesterte Missionierei mit angeblich eindeutigen Wahrheiten, bei der es immer darauf hinausläuft, die Ungläubigen entweder zu bekehren oder, sofern sie sich als verstockt erweisen, zu bestrafen. Ich halte alle "rationalen" Argumente für diese Bestrafungsphantasien für vorgeschoben, denn näher betrachtet, sind solche Forderungen irrational. In Sachen Impfen zum Beispiel gibt es einen harten Kern von ca. 2 Prozent überzeugten Impfgegnern; die für die Herdenimmunität geforderten 95 Prozent kann man also erreichen, ohne diese winzige Bevölkerungsgruppe einer Ketzerbehandlung zu unterwerfen, die sie kaum bekehren, sondern allenfalls endgültig davon überzeugen wird, daß der Staat ihr Feind ist. Dazu muß man vor allem drei Dinge tun: 1) herausfinden, wie man unabsichtlich verpaßte Impfungen bei Kindern am wirkungsvollsten vermeiden kann, 2) bei Immigranten den Impfstatus feststellen und im Zweifelsfall fehlende Impfungen nachholen und 3) bei gerade volljährig Gewordenen den Impfstatus erfragen und im Falle fehlender Impfungen ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch führen. Ein Teil der Kinder von überzeugten Impfgegnern wird sich bei einer solchen Gelegenheit, wenn sie selbst darüber entscheiden dürfen, nämlich gerne und bereitwillig nachimpfen lassen; mit dem Rest, der die Impfung nicht haben will, kann und muß eine Gesellschaft leben könnten. Als vierte Maßnahme könnte man zusätzlich beim Hausarzt bei Erstbesuchern das Erfragen des Impfstatus verpflichtend machen. Die meisten, bei denen sich herausstellt, daß Impfungen fehlen, müssen wohl kaum dazu gezwungen werden, sie nachzuholen, also sehe ich keinen vernünftigen Grund, sich auf speziell diese Handvoll Leute einzuschießen, bei denen die Sache eine echte Glaubensfrage ist, wenn es um die Frage geht, wie man den Impfschutz in der Bevölkerung verbessern kann.

Aber Zwang, Druck und Drohungen und das hohe moralische Roß, auf das man sich bei solchen Gelegenheiten setzen darf, müssen irgendwie mehr Spaß machen. Wenn nun die Weltgesundheitsorganisation Impfgegner zu einem globalen Sicherheitsrisiko erklärt - in einer Reihe mit Ebola und HIV -, dann frage ich mich, ob diese verknöcherte Organisation, in der vermutlich, wie in allen zu groß gewordenen organisatorischen Einheiten, egal ob Behörde oder Konzern, Pöstchenschiebereien, Intrigen unter Kollegen und dergleichen insgeheim längst die Hauptbeschäftigung der meisten Mitarbeiter sind, überhaupt noch imstande ist, die Prioritäten zu setzen, die nötig wären, um echte Gesundheitskrisen zu verhindern. Gerade im Falle von Ebola konnte man ja vor wenigen Jahren bestaunen, wie unfähig die WHO sich gezeigt hat, als sie es tatsächlich mal mit einer Gesundheitsbedrohung zu tun hatte, die leicht zu einer globalen Epidemie im eigentlichen Sinne hätte werden können. Das, was diese Leute heutzutage fälschlicherweise als Epidemien bezeichnen, hat nämlich gar nichts mit dem zu tun, was dieser Begriff eigentlich meint, nämlich eine Infektionskrankheit, die sich so schnell ausbreitet, daß man sie ab einem gewissen Punkt beim besten Willen nicht mehr in den Griff bekommen kann. Als die WHO gegründet wurde, waren solche Risiken in den Köpfen noch sehr viel präsenter, auch im Westen, man denke etwa an die Spanische Grippe. Aber heute sind sie offenbar für Fachleuchte ähnlich abstrakt geworden wie die Kinderkrankheiten in der Bevölkerung Wir werden den Unterschied zwischen einer weltweit vielleicht zweistelligen Zahl von Todesfällen pro Jahr wegen Impfskepsis und, wenn es richtig dumm kommt, einer zweistelligen Millionenzahl aber garantiert mühelos erkennen, sobald die WHO die nächste Epidemie verschlafen hat, weil sie es viel schicker findet, wenn sie einen außenstehenden Schuldigen hat, gegen den sie medienwirksame Kampagnen führen kann.

Ach ja, mein heutiges Gewicht morgens lag bei 106,7 Kilogramm. Morgen werde ich wohl noch einmal über 107 meinen ersten Fastentag der Woche beginnen, aber es ist nicht auszuschließen, daß ich damit zum letzten Mal die 107 auf der Waage gesehen haben werde. Vielleicht hält sich dieser Wert aber auch noch ein, zwei weitere Wochen jeweils zum Beginn der Woche. Sobald das nicht mehr so ist, habe ich die 40 Kilogramm Gewichtsabnahme endgültig hinter mir gelassen, und darauf freue ich mich schon. Mein nächstes anzupeilendes Teilziel ist dann, die 100 Kilogramm zu unterschreiten, und es ist absehbar, daß das dieses Jahr noch geschehen wird. Wahrscheinlich irgendwann im Herbst. Für eine Ketzerin finde ich mich ganz schön erfolgreich. Und wenn ich nachlese, was die WHO mir empfehlen würde, dann bin ich ganz froh, daß sie mich nicht dazu zwingen kann, es zu tun. 





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