Die schlechte Nachricht: Ja, beim Fasten bekommt man Hunger. Die gute Nachricht lautet: So schlimm, wie sich die meisten das vorstellen, ist
das überhaupt nicht. Durch dramatische Suggestionen aus den
Medien sollte man sich da wirklich nicht erschrecken lassen.
Vor einigen Monaten hörte ich im Radio ein Interview mit Gregor Gysi, der erzählte, wie er, irgendwann nach der Wende muß das gewesen sein, einmal im Hungerstreik gewesen sei und Helmut Kohl ihn anblaffte: Was echter Hunger sei, das wisse er doch in Wirklichkeit gar nicht. Er könne ja jederzeit wieder anfangen zu essen. Wirklicher Hunger sei es, wenn man keine Ahnung habe, wann man das nächste Mal etwas zu essen bekomme.
Da, finde ich, ist was dran. Solange man selbst die Kontrolle darüber hat, wann man das nächste Mal essen wird, ist Hunger harmlos, sogar dann, wenn jemand vielleicht doch ein bißchen empfindlicher ist als ich. Aus meiner Sicht ist Hunger eine Empfindung, die auf der Skala der lästigen
Alltagsunannehmlichkeiten irgendwo zwischen einem schlechten Fernsehprogramm, lustloser
Hausarbeit und leichten Kopfschmerzen unterhalbe der Aspirin-Schwelle anzusiedeln wäre.
Der Hunger meldet sich außerdem nur punktuell, dann vergeht
er wieder. Ganz von alleine. Diese Sache kann man einfach aussitzen, das hat Hunger
den drei anderen aufgezählten Alltagsübeln immerhin voraus.
Vorab sollte ich aber erst einmal das Begriffsdurcheinander
entwirren, das um den Hunger, den man beim Abnehmen hat, entstanden ist. Was nicht selten gemeint ist, wenn vom Hunger die Rede ist, hat mit dem physischen Hungergefühl aber gar nichts zu tun,
sondern mit Appetit, also Eßlust. Diese Verwechslung zieht sich wie ein roter
Faden durch Ratgeberliteratur, Talkshows und sonstige Informationswege. Kein Wunder,
wenn nicht jeder unterscheiden kann, ob ihn gerade der Hunger oder der Appetit
zum Essen zu treiben versucht. Wer darauf achtet, beides voneinander
zu unterscheiden, hat nicht nur den meisten seiner Mitmenschen wichtiges Wissen
voraus, es wird ihm auch dabei helfen, angesichts der unangenehmeren Seiten seines Vorhabens nicht vorschnell mutlos zu werden.
Hunger ist ein körperliches Gefühl, in der Regel verbunden
mit Magenknurren und ausgelöst von einem … na? Richtig: einem Hormon, nämlich
Ghrelin. Wer fastet, wird dieses mit Magenknurren verbundene
Hungergefühl innerhalb der Fastenphase oft genug erleben. Aber, und das weiß nicht jeder: keinesfalls durchgehend mehrere Stunden lang!
Hunger bedeutet nicht, daß mein Magen mir sagt: "Schaff mir was zu
essen, wo nicht, so stirbst du." Er sagt: "Gestern um die Zeit habe ich
was zu essen gekriegt, wo bleibt also jetzt der Nachschub?" Wer seine Ernährungsgewohnheiten umstellt oder eine Diät hält, erlebt dieses
Hungergefühl zu diesen bestimmten Zeiten genauso wie jemand, der fastet, aber nach einigen Tagen verschwindet es. Das liegt
daran, daß der Magen „gelernt“ hat, daß es nun zu anderen Zeiten andere Mengen
Nahrung gibt. Als ich 2007 zum ersten Mal seit ich 17 war Diät hielt, fand ich das sehr auffallend; ich bekam nach zwei oder drei Tagen zu anderen Zeiten als zuvor Hunger, und das waren tatsächlich die Zeiten, zu denen ich mir nun mein Knäckebrot oder meinen Salat zugestand.
Meine Diät ist definitiv nicht am Hunger gescheitert, sondern an ihrer frustrierenden Erfolglosigkeit. Und nein, es war nicht etwa umgekehrt, ich bin nicht in "altes Eßverhalten" reingeschliddert und erst anschließend erfolglos gewesen. Die Erfolglosigkeit nach den ersten paar Wochen unterhöhlte meine Leidensbereitschaft. Ich kann dabei nicht einmal behaupten, daß ich während dieser Diät besonders viel an Essen gedacht hätte, und ebensowenig haben michVersuchungen zermürbt, die von außen kamen.
Wenn man ein bestimmtes Nahrungsmittel nicht essen will,
kommt man ja oft in die Verlegenheit, Nein danke sagen zu müssen, und wenn man es wirklich nicht essen möchte, ist das normalerweise auch kein Problem. Wenn im eigenen
Kopf aber eigentlich ein Ja, bitte gesagt wird, geht das früher oder später jedem
über die Kräfte, wenn einem die Waage oder die Kleider oder der
Spiegel ständig zuflüstern: Es funktioniert doch sowieso nicht, wofür quälst du
dich? Das alles hat aber nichts mit Hunger, sondern mit Appetit zu tun.
Beim Intervallfasten verhält sich die Sache genau umgekehrt: Wer
außerhalb seiner Fastenperioden alles ißt, was er will, muß seinem Appetit nur für den überschaubaren Zeitraum der festgelegten Fastenphase zügeln. Als Belohnung für die durchgehaltene Fastenphase kann er sich sogar im Gegenteil genau
das gönnen, worauf er während des Fastens besonderen Appetit hatte. Heißhungeranfälle, die nichts mit Hunger zu tun haben, sondern mit nackter Eßlust, sind beim Fasten deshalb nicht zu erwarten, jedenfalls dann nicht, wenn man es nicht mit einem Kalorienreduktionsprogramm kombiniert, was, glaube ich, ziemlich viele machen.
Der Hunger, also der knurrende Magen, kommt dagegen an jedem Fastentag wieder, immer dann,
wenn der Magen an den anderen Tagen eigentlich mit Essen rechnen könnte. Dieses Magenknurren muß man dann aber nicht die kompletten acht oder zehn
Stunden bis zur nächsten Mahlzeit aushalten, sondern es verschwindet von
alleine nach einiger Zeit wieder. Nur ab und zu meldet es sich versuchsweise
wieder für ein paar Minuten, und zwar in ähnlicher Intensität wie beim ersten Mal - es wird nicht etwa ständig stärker. Wird es ignoriert, ist es beleidigt und verkrümelt
sich wieder.
Wie oft der Magen knurrt, ist aber ganz unterschiedlich. Es gab vereinzelt Fastentage, an
denen mir der Magen gefühlt ununterbrochen geknurrt hat, zum Beispiel, als der
Sommer in den Herbst überging und die Temperatur zum ersten Mal richtig
absackte. Ich nehme an, so etwas passiert, wenn der Körper aus irgendwelchen
Gründen einen erhöhten Bedarf an „Brennmaterial“ hat und ich auch, wenn ich normal gegessen hätte, dauernd Hunger gehabt hätte. Ich kann mich aber nicht daran
erinnern, daß solche dann natürlich doch unangenehmeren Fastentage jemals zweimal direkt hintereinander
aufgetreten wären, und es kam auch höchstens alle zwei bis drei Monate einmal
vor. Und in ungefähr gleicher Häufigkeit hatte ich umgekehrt auch Fastentage, an denen mein Magen überhaupt nicht knurrte.
Ich habe mir angewöhnt, an jedem Fastentag mindestens zwei
bis drei Liter aufgesprudeltes Leitungswasser griffbereit auf dem Schreibtisch
stehen zu haben. Wenn der Magen sich so nachdrücklich meldet, daß es mir
unangenehm wird, dann trinke ich ein Glas Sprudel auf ex. Fast immer verringert
das den Hunger und nebenbei verhindert es, daß ich zu wenig trinke. Kaffee wirkt sogar noch besser, obwohl ich nicht so genau sagen kann, warum eigentlich. Tee ginge bestimmt auch, nur mag
ich den nicht und habe es deshalb noch nie ausprobiert. Notfalls ginge auch Fleisch- oder Gemüsebrühe, wenn man seinen Magen nur mit "echtem" Essen, das wenigstens symbolische anderthalb Kalorien enthalten sollte, beschummeln kann, aber so wütend hat mein Magen noch nie geknurrt, daß ich dies für nötig befunden hätte, um ihn zu beruhigen.
Was ich jedenfalls ganz ehrlich sagen kann, ist, daß ich in mehr als zwei Jahren noch kein einziges Mal ernsthaft in Versuchung gewesen bin, einen Fastentag abzubrechen. Wozu denn, wenn ich morgen sowieso wieder alles essen darf? Das einzige, was mir an einem Fastentag gefährlich werden kann, ist diese Obstschale in der Küche an strategischer Stelle, aus der reflexartig meinen geliebten Apfel heraus- und mit an den Schreibtisch nehme, wie ich das schon viele Jahre lang mache. Das ist mir tatsächlich schon passiert, daß ich an einem Fastentag, nachdem ich irgendwas in der Küche geholt hatte, am Schreibtisch stand und verwirrt auf den Apfel starrte, den ich außerdem in der Hand hielt, und dann kopfschüttelnd zurück in die Küche ging und ihn in die Obstschale zurücklegte.
Meistens merke ich das aber noch rechtzeitig, bevor ich den Apfel tatsächlich in der Hand habe, so zum Beispiel auch vorhin.
Ach ja: Mein Gewicht heute früh zu Beginn des Fastentags: 107,2 Kilogramm. Morgen früh werde ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter 106 Kilogramm liegen; gestern, nach dem ersten Fastentag der Woche, waren es 106,4 Kilogramm.
Unter 106 Kilogramm hatte ich bislang erst zweimal, und das außerdem als Folge meiner Gallenkolik, nach der ich nicht nur von Durchfall und Brechreiz geplagt war, sondern auch zwei Tage lang nichts essen konnte. Aber irgendwie fühlt sich die 105,xy trotzdem für mich ziemlich bereits normal und ein bißchen langweilig an, und letztlich fiebere ich insgeheim bereits dem ersten Mal entgegen, wenn ich endlich weniger als 105 Kilogramm habe. Ich hoffe, ich muß nicht so lange darauf warten wie auf das "unter 106".
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