Mittwoch, 17. Mai 2023

Saxenda/Liraglutid. Oder: Mehmet-fix für heißes Wasser für Fortgeschrittene

Mein Gewicht heute früh nach zwei von drei aufeinanderfolgenden Fastentagen: 81,1 Kilogramm. Schade, ein bißchen hatte ich darauf spekuliert, daß mein Vergleichsgewicht von vor zwei Wochen unterschritten würde, weil ich es jetzt doch mal nett fände, morgen früh zum ersten Mal eine Sieben auf der Waage zu sehen und weil es vor zwei Wochen ja ebenfalls geklappt hat mit einem niedrigen Gewicht als 14 Tage davor. Aber freilich, letzte Woche hatte ich nur zwei (nicht aufeinanderfolgende) Fastentage, 14 Tage davor waren es drei gewesen. Außerdem besteht ja immer noch eine gewisse Chance auf die 7, falls ich von heute auf morgen 1,2 Kilogramm oder mehr verlieren sollte (was aber, fürchte ich, nicht allzu wahrscheinlich ist). 

Heute hatte ich diese Vorbesprechung für die Bestrahlung und bin jetzt in einigen Punkten schlauer als vorher, allerdings in ein paar ziemlich wichtigen muß ich noch weiter warten. Was ich weiß: Vor die Radiotherapie haben die Götter außer dieser Besprechung noch ein weiteres CT gesetzt. Den Termin dafür bekomme ich per E-Mail, versprochen wurde mir das für den Freitag. Allerdings ist eines der zwei CTs in der Strahlentherapie-Abteilung der Klinik gerade unpäßlich und falls die Techniker länger mit der Reparatur brauchen sollten, kann sich die Sache noch länger hinziehen. Mit zwei Wochen werde ich wohl rechnen müssen, weil vor mir schon ein Dutzend weiterer Patienten wegen des ausgefallenen CT vertröstet werden mußten und natürlich vor mir in der Warteschlange stehen. Anschließend an das CT wird es weitere ein bis zwei Wochen dauern, bis es wirklich losgeht, also voraussichtlich Anfang bis spätestens Mitte Juni. 

Ein bißchen lästig ist es mir, daß die Bestrahlungen nun doch fünfeinhalb statt drei bis vier Wochen dauern, also in jedem Fall bis in den Juli hineinreichen werden, und wenn ich Pech habe, sogar bis Anfang August. Auch nicht begeistern kann ich mich dafür, daß die Termine mir vorgegeben werden (die krieg ich dann auch per E-Mail). Immerhin durfte ich eine Wunschtageszeit angeben, aber wir sind bei den Bestrahlungsterminen leider auch nicht bei Wünsch dir was, denn mein Wunsch wird nur dann erfüllt, falls ein Patient zu der fraglichen Tageszeit gerade seine Bestrahlungen beendet. Andernfalls muß ich eben die Tageszeit nehmen, die mir gegeben wird und sie die ganzen fünfeinhalb Wochen beibehalten.

Na ja, aber auch da muß ich jetzt halt durch. Ich habe ja sowohl während der Chemo als auch vor und nach der OP den Arbeitsanfall immer bewältigt, auch wenn die Termine nicht immer so richtig günstig lagen. Auch wenn ich den Beginn und den Endzeitpunkt der Bestrahlungen noch nicht genau kenne: Von übernächster Woche bis mindestens Mitte Juli ist bei mir der Arbeitsplan ziemlich voll. Dann hoffe ich jedenfalls, daß ich wenigstens von der Müdigkeit verschont bleibe, die eine der häufigsten Nebenwirkungen der Radiotherapie sein soll.

Erfreulicher war wieder die Reaktion der (übrigens sehr sympathischen) Ärztin bei der Untersuchung der OP-Narben, sie war nämlich richtig begeistert davon, wie schnell und wie gut das verheilt war. Das habe ich gerne gehört, sie kann das immerhin mit anderen Operierten vergleichen. In den letzten Jahren hatte ich bei kleineren Verletzungen manchmal den Eindruck gehabt, daß sie langsamer als früher verheilen (ich schob das auf das übliche "Alt werden ist halt 💩"), aber entweder traf dieser Eindruck in Wirklichkeit gar nicht zu oder es hat sich wieder geändert - oder für größere Verletzungen, etwa durch eine OP, gelten einfach andere Gesetze als für kleine Schnittwunden und dergleichen.

Mein Haupthaar sprießt jetzt ganz fröhlich, und vor allem Wimpern und Augenbrauen wachsen in fast schon atemberaubenden Tempo. Das wird auch so bleiben, jedenfalls hat mir die Ärztin das versprochen. Allenfalls die Achselhöhle, die von den Strahlen etwas abkriegen wird, wird wohl noch länger haarlos bleiben - denn kurioserweise sind das die einzigen Haare, die sich bislang noch gar nicht zum Wachsen entschließen konnten.

***

Die Tagesschau hat vor ein paar Tagen einen Bericht über die in letzter Zeit in die Schlagzeilen geratenen Medikamente zum Abnehmen publiziert, die auf den Wirkstoffen Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid basieren. Autor ist ein gewisser Boris Geiger, ich nehme an, der hier. Den Namen werde ich mir merken, nur um mir künftig das Weiterlesen von vornherein sparen zu können, sobald zu welchem Thema auch immer sein Name darübersteht. 

Eine Kostprobe des unverdaulichen Eintopfs, den er uns serviert:

Adipositas gilt als chronische Stoffwechselerkrankung, die schwierig zu behandeln ist. Bei leichteren Fällen hilft eine Umstellung auf kalorienarme Ernährung plus mehr Bewegung. Das Problem: Für Patienten, die fünfzig oder mehr Kilo zu viel haben, reicht das nicht. Sie können damit langfristig im Schnitt nur fünf Prozent Gewicht reduzieren. Der Grund: Ihr Körper wehrt sich gegen den Kalorienentzug und aktiviert Hormone, die den Heißhunger auf Kalorien ankurbeln.Hier kam bisher meist nur eine Magen-OP in Frage. Dabei wird der Magen operativ verkleinert und verändert - man wird schneller satt. Doch eine OP ist immer ein riskanter Eingriff und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Mit den Abnehmspritzen kommt nun ein dritter Therapiebaustein dazu, der direkt auf den Hormonhaushalt des Körpers einwirkt.

Alleine in diesem Absatz stecken schon so viele Mißverständnisse oder vielleicht auch absichtliche Verdrehungen, daß ich gar nicht weiß, wo ich mit dem Richtigstellen anfangen soll.

Wie kam der Autor etwa auf die merkwürdige Idee, speziell Übergewichtigen, die mehr als 50 Kilo abnehmen sollten, gelänge es langfristig nur, im Schnitt fünf Prozent Gewicht zu verlieren? Wo er diese fünf Prozent hergenommen hat, würde mich echt mal interessieren, denn die Datenlage gibt dies beim besten Willen nicht her, und bei besonders stark Übergewichtigen schon gar nicht. Tatsächlich sind in etlichen Studien die zu Beginn extrem Adipösen sogar diejenigen, denen es am ehesten noch gelingt, einen vergleichsweise großen Teil nach größeren Gewichtsabnahmen - sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen - auch über einen längeren Zeitraum zu halten - Beispiel 1. Beispiel 2 -, nur geht das immer ein bißchen unter, weil in dieser Klientel natürlich auch die Wiederzunahme immer mit besonders hohen Zahlen aufwartet.

Ich habe zu diesen fünf Prozent, die ja dem Herrn Geiger nicht aus dem Nichts zugeflogen sein können, einen ganz bestimmten Verdacht: Es gibt ja den auch von mir häufiger zitierten Satz "95 Prozent aller Diäten scheitern". Den hat der Autor vielleicht ja ebenfalls gehört und irgendwie falsch verstanden. 95 Prozent scheiternde Diäten in eine durchschnittliche Abnahme von 5 Prozent umzurechnen, wäre jedenfalls ein Vergleich von der Sorte "Nachts ist es kälter als draußen" und völlig ballaballa. Unabhängig davon: 95 Prozent aller Diäten scheitern. Daß sich dies aber nicht auf die besonders hohen BMIs beschränkt, hätte Boris Geiger eigentlich auch wissen müssen, wenn er sich mit seinem Thema ernsthaft auseinandergesetzt hätte. Es ergibt sich aus allen Studien, die längere Zeiträume als zwei Jahre umfassen, und es betrifft alle Grade von Übergewicht. 

Da dies so ist, ergibt auch eine Unterscheidung der Ursachen von geringerem Übergewicht und Adipositas, verstanden als "BMI 30+", überhaupt keinen Sinn. Und wieso eigentlich soll Adipositas (und nur Adipositas, nicht aber anderes Übergewicht) hormonelle Ursachen haben, aber dann "leichtere Fälle" von Adipositas trotzdem durch Umstellung auf kalorienarme Ernährung und mehr Bewegung erfolgreich behandelt werden können (wie das offenbar für "Nicht-Adipositas-Übergewicht" unausgesprochen ebenfalls angenommen wurde)? 

Die Vorstellung, daß es zwar ein hormonelles Problem beim Zu- und Abnehmen gebe, dies aber nur bei Leuten vorkomme, deren BMI die magische Zahl 30 überschritten hat, steht nebenbei auch im Widerspruch zu der Erkenntnis, daß es "Dünne Dicke" (oder hießen sie "Dicke Dünne?") gibt, deren BMI im Normalbereich nichts daran ändert, daß ihre inneren Organe an Verfettung leiden und die klassischen erhöhten Risiken der Adipositaspatienten ebenfalls aufweisen. 

Für hormonelle Ursachen von Übergewicht spricht ja in der Tat so vieles, dies ist ja auch einer der roten Fäden in meinem Blog, daß es eigentlich erfreulich sein sollte, wenn dies sich endlich mal herumspricht. Aber wenn das in der zitierten Form verbreitet wird, hat es natürlich unvermeidlich zur Folge, daß für die vermeintlich "normalen" Übergewichtigen weiterhin irgendeine Variante von "Weniger essen, mehr bewegen" für richtig gehalten wird. Erst wenn diese nach allen Erfahrungswerten wie auch wissenschaftlichen Erkenntnissen nahezu unweigerlich zum Scheitern verursachte Methode sie im Lauf der Zeit mittels des Jojo-Effekts über BMI 30 gehievt hat, fängt man plötzlich an, sie auf Grundlage einer anderen Annahme behandeln zu wollen. 

Jede Person mit Adipositas hat aber eine Lebensgeschichte. In der gab es immer auch eine Zeit, in der sie keine Adipositas hatte, und ebenso eine Zeit, in der sie leicht übergewichtig war, aber den BMI 30 noch unterschritten hat.

Das sollte man mitbedenken, wenn man Grafiken wie diese sieht:

Wenn  hormonelle Ursachen für Adipositas angenommen werden, aber gleichzeitig "Weniger essen, mehr bewegen" als Rezept gegen Übergewicht es seit Jahrzehnten nicht verhindert hat, daß diese hormonell bedingte Krankheit von Jahr zu Jahr häufiger wurde, läge es da nicht eigentlich nahe, auch für Übergewicht unter BMI 30 mögliche hormonelle Ursachen einmal näher zu betrachten? Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß die Medikamente, um die es in dem Bericht eigentlich ging, auch bei Normal- oder leicht Übergewichtigen eine Abnehmwirkung haben - anders hätten sie sich als Lifestylemedikamente zum Abnehmen in dieser Zielgruppe ja kaum etablieren können. Wenn die Abnahmewirkung der enthaltenen Wirkstoffe bei Adipositas der Beweis dafür sein sollen, daß Adipositas hormonell bedingt sei, beweist dies dann aber nicht ebenso, daß Gewichtszu- und -abnahmen ungeachtet des BMI immer hormonell gesteuert sind? Und warum ist das Boris Geiger eigentlich überhaupt nicht aufgefallen? 

Die Krönung der Ungereimtheiten waren aber noch nicht einmal die inneren Widersprüchlichkeiten in der Problembeschreibung, sondern dies hier, gleich zu Anfang des Artikels:
"Ich war nicht mehr in der Lage, alleine aus der Badewanne zu steigen - jetzt kann ich sogar wieder Skifahren und Tanzen", erzählt Barbara Stiemerling freudestrahlend. Die Rheinländerin, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, hat gerade eine Abnehmtherapie mit dem Wirkstoff Liraglutid hinter sich. Sie konnte ihr Gewicht damit von fast 84 auf rund 66 Kilogramm reduzieren - innerhalb von mehreren Monaten.

Daß Frau Stiemerling mit 84 Kilo (dem Gewicht, das ich aktuell habe) gewichtsbedingt nicht mehr alleine aus der Badewanne gekommen sein soll und weder Ski fahren noch tanzen konnte, während ich noch mit 130 Kilogramm auf lange mehrtägige Wanderungen gegangen bin, ergäbe allenfalls einen Sinn, wenn sie zwergenwüchsig wäre. In jedem Fall gehörte sie außerdem gar nicht zu denen, die "50 Kilo oder mehr" zu verlieren haben, und müßte somit also nach Meinung des Autors ja eigentlich zu den "leichtern Fällen" gehören, bei denen "eine Umstellung auf kalorienärmere Ernährung plus Bewegung" hätte helfen müssen. Warum dann ausgerechnet sie als Beispiel für die segensreiche Wirkung der Abnehmspritzen gewählt wurde, fand ich so erklärungsbedürftig, daß ich Tante Google befragte und zu meinem eigenen Erstaunen fündig wurde. 

Frau Stiemerling ist nämlich auch schon in einem Fernsehbericht von Herrn Geiger in der Sendung "NANO" auf 3Sat aufgetreten (die ersten paar Minuten der Sendung), die bereits Ende März ausgestrahlt wurde. Der Text bei Tagesschau.de war augenscheinlich eine "Zweitverwertung" ihrer Inhalte. Auch der Fernsehbericht war schon schauerlich schlecht, aber ein paar Zusammenhänge sind zwischen 3Sat und Tagesschau auf dem "Stille Post"-Weg außerdem auch noch verlorengegangen. 

Daß Frau Stiemerling als praktisches Beispiel für die Problematik, zu der angeblich Medikamente die Lösung sein sollen, in Wirklichkeit von vornherein nicht tauglich ist, ergibt sich aber auch aus ihrem Fernsehauftritt. In der Sendung wurde beispielsweise dieselbe Gewichtsabnahme bei Frau Stiemerling genannt: von 84 auf 66 Kilogramm; das war also kein Tippfehler, wie ich zunächst argwöhnte. Bei mir bedeutet ein Gewicht von 84 Kilogramm einen BMI von 29,x. Kann sein, daß die Protagonistin im Film ein bißchen kleiner als ich ist und gerade noch so in den Adipositas-Bereich hineingerutscht war. Jedenfalls hatte sie nie ein Körpergewicht, mit dem sie der im ersten Zitat beschriebenen Zielgruppe angehörte. Dafür wurde in dem Tagesschau-Bericht aber sogar unterschlagen, daß sie im Fernsehbericht erwähnte, sie hätte ja "sogar schon beginnenden Diabetes" gehabt. Die Hauptintention des Fernsehberichts, das nehme ich hier mal vorweg, scheint gewesen zu sein, es anzuprangern, daß die Krankenkassen in Deutschland diese Spritzen zur Gewichtsabnahme nicht bezahlen, im Gegensatz zur Schweiz. Aber Frau Stiemerling hätte sie sich auch in Deutschland verschreiben lassen können, denn als Diabetesmedikament sind sie in Wirklichkeit nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland längst zugelassen. Außerdem hörte man sie über Gelenkbeschwerden klagen. Eine vorzügliche Erklärung für die Sache mit der Badewanne, die ihr nun plötzlich einen ganz anderen Sinn als bei der Tagesschau gibt.

So, und nun habe ich eine ganz unangenehme Nachricht für alle Leser, die wirklich 50 Kilo oder mehr loszuwerden versuchen und vielleicht beim Lesen des Tagesschau-Berichts dachten, die Lösung ihrer Probleme gefunden zu haben: In Wirklichkeit scheint das Medikament Saxenda mit dem Wirkstoff Liraglutid bei extremer Adipositas eine schlechtere Wirkung zu zeigen als bei BMIs zwischen 30 und 40. Das jedenfalls sagte im Fernsehbericht ein gewisser Dr. Sykora vom Adipositaszentrum Luzern, der Arzt, der dort Frau Stiemerling behandelt. Auch das wurde in den Tagesschau-Bericht nicht übernommen.

Der Moment, in dem ich mich im Fernsehbericht aber so richtig veräppelt vorkam, kam erst, als derselbe Dr. Sykora fröhlich erzählte, im Durchschnitt seien mit diesem Medikament sieben bis neun Prozent Gewichtsabnahme zu erwarten. Was genau wäre in diesem Fall dann eigentlich der Riesenvorteil gegenüber den fünf Prozent, die der Herr Geiger für andere Abnehmmethoden erwähnt hat? Klammern wir an dieser Stelle einmal aus, daß diese fünf Prozent höchstwahrscheinlich sowieso nur auf einem Mißverständnis beruhten. Halten wir uns für den Moment nur an das, was der gute Onkel Doktor gesagt hat: sieben bis neun Prozent, beste Wirkung zwischen BMI 35 und 40, und überlegen uns am eigenen praktischen Beispiel, was das in der Realität bedeuten würde. 

  • Einen BMI 40 hatte ich mit ca. 114 Kilogramm. 
  • BMI 40 minus 5 % (angenommener Durchschnittswert bei konventioneller Abnahme) =  5,7 Kilogramm, Endgewicht wären 108,3 Kilogramm, mein BMI läge bei 37,8. 
  • BMI 40 minus 7 % mit Hilfe von Liraglutid (unterer genannter Durchschnittswert) =  8 kg, Endgewicht wäre 106 Kilogramm, mein BMI läge bei 37,1.
  • BMI 40 minus 9 % mit Hilfe von Liraglutid (oberer genannter Durchschnittswert) = 10,3 Kilogramm, Endgewicht wären 103,7 Kilogramm, mein BMI läge bei 36,1. 

Durchschnittlich zwischen 2,3 und 4,6 Kilogramm zusätzliche Gewichtsabnahme durch das Medikament. Alles was recht ist, das ist erbärmlich, und so etwas als Erfolg zu verkaufen eine Frechheit.

Die Frau Stiemerling freilich, das will ich nicht unterschlagen, hat deutlich über diesem Durchschnittswert an Gewicht verloren, bei ihr waren es immerhin um die 20 Prozent. (Fürs Protokoll: Beginnend mit BMI 40 würde ich nach einer Abnahme von 20 Prozent jetzt 91 Kilogramm wiegen statt 84.)

Glücksfall für sie? Oder doch Können der Ärzte? Nun ja - wie man's nimmt. ;-)  

Weil die Abnahmewirkung insgeheim ja gar nicht so toll ist, wie uns das der Herr Geiger weiszumachen versucht hat, werden in Luzern die Patienten, die Liraglutid bekommen, nebenbei zu ganz konventionellen Zusatzprogrammen im Bereich Bewegung angehalten, was wiederum absehbar bedeutet, die Abnahme geht bei denen, die das auch umsetzen, schneller und sollte bei entsprechender krimineller Energie dann auch überdurchschnittlich ausfallen. Der Haken dabei: Nach dem üblichen Zeitraum setzt natürlich die Gegenwehr des Stoffwechsels mit einem sinkenden Grundumsatz ein. Mit anderen Worten: Auch wenn Liraglutid weiter eine reduzierte Nahrungsaufnahme bewirkt, kann sie nach einiger Zeit trotzdem den Bedarf übersteigen und man nimmt wieder zu. 

Am Rande erwähnt sei dazu außerdem noch, daß die überdurchschnittlichen Erfolge, die in Teilbereichen nichts mit einer Liraglutid-Wirkung, sondern mit dem Bewegungsprogramm zu tun hatten, natürlich auch einen Einfluß auf die Durchschnittsabnahme haben. Mit anderen Worten: Die rein auf Liraglutid zurückzuführende Wirkung liegt sogar noch niedriger als die von Dr. Sykora genannten 7 bis 9 Prozent. Am Ende landen wir also höchstwahrscheinlich im Vergleich zu den (fiktiven) 5 Prozent Abnahme mit konventionellen Mitteln bei einem Fall von "Außer Spesen nichts gewesen". Und da die Motivierten, die sich zunächst über ihre überdurchschnittliche Abnahme freuen können, voraussichtlich später viel von ihrer Abnahme wieder zunehmen werden, dürfte eine Fünf-Jahres-Bilanz von Liraglutid ziemlich mau aussehen.

Falls dies also die übliche Vorgehensweise bei der Verabreichung dieses Wirkstoffs sein sollte, ist es kein Wunder, daß im Adiopositaszentrum Luzern die Patienten mit den Motivationstrainer-Phrasen indoktriniert werden, wie sie auch Frau Stiemerling im Filmbeitrag gläubig zum Besten gegeben hat. Ich riskiere die Behauptung: In Luzern sind sie Kummer mit den Langzeitwirkungen von Liraglutid höchstwahrscheinlich insgeheim bereits gewöhnt und wissen genau, auf welche Weise sie die Schuld daran am bequemsten den Patienten in die Schuhe schieben können. 

Semaglutid hingegen scheint ausweislich der einschlägigen Studien eine deutlich bessere Wirkung zu haben, allerdings eben auch nur so lange, wie man das Zeug weiternimmt. Außerdem wurde es von Boris Geiger ja auch nur am Rande erwähnt. Die stärkste Werbewirkung dürfte das Zeug, das Frau Stiemerling bekommen hat, betreffen, das zusätzlich zu dem, was an den anderen Wirkstoffen alles bedenklich ist, außerdem noch den Nachteil hat, daß die Abnahmewirkung meiner Meinung nach jeder Beschreibung spottet. Das kommt mir fast schon vor wie eine Realsatire, die sich an die Comedy-Episode "Mehmet-fix für heißes Wasser" von Kaya Yanar anzulehnen versucht hat. Wieviel Euros man dafür hinblättern soll, kann man hier nachlesen.

Das macht es besonders befremdlich, daß wir als Krankenversicherte auch dieses Präparat von unseren Beiträgen bezahlen sollen, wenn es nach dem Bericht geht: 

Das Problem: Während die medikamentöse Therapie in Ländern wie etwa der Schweiz von den Kassen übernommen wird, müssen Betroffene in Deutschland die Medikamente selbst bezahlen.

Das erinnert mich an einen Fernsehbericht über Magenverkleinerungen, den ich vor vielen (mindestens ca. zehn) Jahren gesehen habe - eine tränenselige Geschichte über eine alleinerziehende junge Mutti mit hohem Übergewicht, der die böse Krankenkasse den Eingriff nicht bezahlen wollte.  Ich erinnere mich deshalb noch so gut daran, weil ich die Dringlichkeit einer Magenverkleinerung bei der pummeligen, aber keineswegs grotesk fetten jungen Frau überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Andererseits fand ich es aber sehr begreiflich, daß sie sie unbedingt haben wollte. Sie glaubte sich ja in akuter Lebensgefahr. Das hatte ihr Arzt ihr weisgemacht. Er trat im Bericht ebenfalls auf, weißbekittelt und mit sorgenvoller Miene. Durch irgendwelche Symptome wurde eine akut vorliegende Gefahr allerdings nicht konkretisiert, deshalb habe ich sie spontan nicht geglaubt. 

Immerhin wirkte die Frau nicht viel älter, als ich gewesen bin, als ich ein Kind im selben Alter hatte, und in diesem Alter fällt man nicht einfach tot um, nur weil man dick ist. Die Gesundheitsgefahr ist eher eine perspektivische. Sie wirkte außerdem auch nur unwesentlich übergewichtiger, als ich es damals gewesen war. Ich habe die junge Frau vor allem dafür bedauert, daß sie einen Arzt hatte, dem nichts Gescheiteres einfiel, als eine Mutter mit einem kleinen Kind ohne vernünftigen Grund in Todesängste zu versetzen. Wenn ich ihr einen Rat hätte geben sollen und mich dabei auf einen Satz beschränken müssen, dann hätte er gelautet: "Suchen Sie sich schnellstmöglich einen anderen Arzt." 

Mich würde interessieren, was aus der Frau aus dieser Doku geworden ist. Ich fand ja damals, die Krankenkasse hatte allen Grund, diese Operation nicht bezahlen zu wollen, aber heute werden solche Eingriffe ja längst auch Leuten aufgedrängt, die sie eigentlich gar nicht wollen, sofern sie sich nicht mit Händen und Füßen dagegen zur Wehr setzen. Früher oder später wird sie also bekommen haben, was ihr die Krankenkasse damals noch verweigert hat. 

Ich wünsche ihr, daß es sich für sie trotz all meiner Bedenken als gute Entscheidung herausgestellt hat. 


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